1895 / 82 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 03 Apr 1895 18:00:01 GMT) scan diff

gesetzes. Darüber kann ja nach den bisherigen Erfahrungen nicht der geringste Zweifel sein, daß das Enteignungsgeseß dringend reformbedürftig ift. Die Arbeiten sind aber in dieser Richtung noch nicht soweit gediehen, daß wir in diesem Jahre hon einen Geseßentwurf vorlegen können. Das hoffen wir allerdings im nächsten Jahre zu können. Wir sind aber jeßt doch überzeugt, daß, um die hier vorliegende Frage zu regeln, der Erlaß des neuen Enteignungsgeseßzes niht unbedingt nothwendig ift, zumal auf alle Fälle, selbft wenn dieses Geseß im nächsten Jahre zur Vorlage kommt, es ja not sehr viele Stadien durhlaufen muß, und man nit absehen kann, wann es definitiv zu stande kommt. Wer sich der Berathung des ersten Enteignungsgeseßzes erinnert, wie da die Gegensäte aufeinanderplaßten, wird glauben, daß es unsicher ist, ob es ge- lingen wird, das Gefeß im nächsten Jahre shon zum Abschluß zu bringen. Die beiden Ressorts sind daher jeßt in Berathung, andere Vorschläge zu machen, auch "wenn das Enteignungsgeseg noch nicht vollständig zum Abschluß gekommen ist. Aber au in der Zwischenzeit wird durch das jeßige Verfahren bei der Forderung der Staatékredite die Gefahr der Kreise an sih vermindert, indem wir jeßt viel genauer die Vor- arbeiten für die Ziehung der betreffenden Eisenbahnlinie wie au für die Kosten machen. Die Anschläge sind in dieser Beziehung sicherer als früher, wo die Kredite meist auf Uebershlägen beruhten und bei der Ausführung sehr leiht erheblichere Ausgaben als nothwendig sich ergaben. Etwas besser wird {hon jeßt der Zustand werden. Aber das unbedingte Festhalten an der Hergabe von Grund und Boden dur die Kreise ist niht rathsam. Fn manchen Fällen wird es allerdings den Kreisen lieber sein, wenn se nämlich in der Lage find, den Grund und Boden billiger hergeben zu können; in andern Fällen aber werden die Kreise ein erhebliches Risiko laufen, und dann wird die Eisenbahnverwaltung viel mehr in der Lage sein, die Risiken, die mit der betreffenden Eisenbahnlinie verbunden find, klarer und bestimmter zu ermitteln als die Kreife. Da wird dann die Regierung mit dem Kreistage sh in Verbindung seßen wegen baarer Zuschüsse, während der Staat selbst die Be- \hafung von Grund und Boden übernimmt.

Ueber das Einzelne kann ih hier noch keine Mittheilungen machen, da die Verhandlungen noch s{weben. Aber ih glaube do dem Herrn Vorredner erklären zu dürfen, daß die Staatsregierung die bestehenden Mißstände vollkommen anerkennt und bemüht sein wird, denselben so bald wie möglich- entgegenzutreten.

err von Shwihow führt aus, daß für die Provinz Posen seit 1890/91 keine Bahn mehr bewilligt worden sei, und giebt dem Wunsche Ausdruck, daß der Minister im Hinblick hierauf den aus dieser Provinz an ihn herantretenden Anträgen auf Bewilligungen aus dem Fünf Millionen-Fonds um fo bereitwilliger entgegenkommen werde. Ferner befürwortet der Redner die Einführung des Vollbahnbetriebs auf der Bahn Posen—Schneidemühl.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ih möchte mir gestatten, Herrn von Schwichow einige Zahlen anzuführen, die, glaube ih, beweiskräftig dafür find, daß, wenn auch die Provinz Posen nit gerade in den leßten Jahren sehr bedaht worden ist mit neuen Nebenbahnen, sie doch im großen und ganzen eine sehr günstige Behandlung mit Bezug auf die Zutheilung von Nebenbahnen erfahren hat. Es find seit dem Jahre 1880, also seit der Verstaatlihung, in der Provinz 826 km Nebenbahnen aus- geführt worden, während beispielêweise in der Provinz Brandenburg 519, in der Provinz Pommern 389, in der Provinz Sdblesien 680, in der Provinz Sachsen 644, in der Provinz Schleëwig-Holstein 255, in der Provinz Hannover 476, in der Provinz Westfalen 327, in der Provinz Hessen-Nafsau 364, in der Rheinprovinz 780 km gebaut sind. Mit Ausnahme von Ostpreußen, wo 1046 km ausgeführt find, ift also die Provinz Posen am besten gefahren bezügli der Ausbildung ihres Nebenbahnennetes. Daneben will ih aber fehr gern zugestehen, daß gewiß sehr viele Wünsche in der Provinz Posen noch vorhanden sind, und es sollte mi freuen, wenn es]möglih sein würde, au in der Provinz Posen in Anregung gebrachte Kleinbahnen mit Staats- unterstüßungen zu bedenken.

Was nun die zweite Frage anbetrifft, nämlich die Umwandlung des Nebenbahnbetriebes auf der Strecke Posen—Schneidemühl in ‘einen NVollbahnbetrieb, so sind nit unerheblihe einmalige und laufende Mehrkosten damit verbunden. Es muß daher zunächst festgestellt werden, ob dies Mehr an einmaligen und an ständigen laufenden Ausgaben im richtigen Verhältniß steht zu den vorhandenen Verkehrs- bedürfnissen. Seit dem gestrigen Tage besteht in Posen eine Königliche Eisenbahndirektion, deren Aufgabe es sein wird, die Verkehrsbedürfnifse der Provinz zu prüfen und sih der Wünsche anzunehmen, die von seiten der Interessenten ihr nahe gelegt werden. Ich bin sehr gern bereit, sie auch auf diesen Wunsch, den Direktionen Bromberg ünd Posen den Auftrag zu geben, nohmals zu studieren.

Freiherr von Dúrant befürwortet die Herstellung eines kürzeren Schienenweges aus der obers{chlesishen Induitriebezirk nah der öfster- reihishen Grenze.

__ Graf von Frankenberg begrüßt die größeren Aufwendungen, die die Vorlage für das Sekundär- und Kleinbahnwesen troß der unbefriedigenden Finanzlage in Aussiht nehme, mit Freuden. Nament- lih spricht er bezüglich der Linien Ströbel—Schweidniß und Bolken- hain—Merzdorf seine Genugthuung aus; doch müsse die letztere Linie nach dem Wunsch aller Interessenten als Vollbahn ausgebaut werden, damit ein Fehler der alten Tracierung der Gebirgsbahn endli wieder ut gemacht werde. Wenn R Geld sei, so werde auf den Sekundärbahnen eine ungeheure Vershwendung getrieben, diefe Bahnen führen mit einer ganz unverhältnißmäßigen Sanalanctoli, Wegen der Vertheilung der für Kleinbahnen zu gewährenden Beihilfen sollte der Minister baldigst bestimmte Grundsäße aufstellen und veröffentlichen. Die Linie Gleiwiß—Ratibor habe man früher einem Privatcomits abgeschlagen ; aber der Staat habe sie bis heute niht gebaut.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ih möchte mir gestatten, mit einigen kurzen Worten auf die Ausführungen des Herrn Grafen Frankenberg zurück- zukommen. Herr Graf Frankenberg hat es beklagt, daß die Verbin- dung von Gleiwiß nach Ratibor einer Privatunternehmung früher abgeshlagen worden sei, und daß die Staatsregierung, wie er glaube, auch gegenwärtig nicht gewillt wäre, eine Privatunternehmung auf dieser Strecke zuzulassen. Es is richtig, daß in früheren Jahren eine Privatunternehmung die nahgesuchte Konzession nit erhalten hat; neuerdings aber ‘und noch gegenwärtig chweben Verhandlungen über die Zulassung einer Kleinbahn wie ja auch Herr von Shwihow {hon ausgeführt hat von Ratibor nach Gleiwiß oder von Nendza nach Gleiwitz oder von irgend einem anderen Punkte aus.

Die Linie Militsch—Trachenberg ist, soviel ich weiß, schon im Bau; die Schwierigkeiten, die sih da gefunden haben, sind gehoben.

Was nun Merzdorf—Bolkenhain anbetrifft, so ift über diese Bahn bereits in beiden Häusern des Landtags in den leßten Jahren viel-

fa verhandelt worden. Die Provinz Sglesien hat den dringenden

Wuns, daß diese Bahn als Vollbahn ausgebaut würde. Die Staats-

regierung hat sih aber nicht davon überzeugen können, daß die Mehr- kosten der Vollbahn im richtigen Verhältniß stehen würden zu dem dadur gegen die Nebenbahn erreichten Nutzen. Die Bahn Merzdorf— Bolkenhain {ließt an Nebenbahnen an; es würden also zunächst diese Nebenbahnen ebenfalls in Vollbahnen umzuwandeln sein, also in erster Linie Bolkenhain—Striegau. Diefe Umwandlung von Bolkenhain— Striegau kostet über 2 Millionen Mark. Es würde dann weiter, wenn der erstrebte Zweck einer kürzeren Vollbahnlinie von Breslau nah dem Gebirge erreicht werden soll, auch die Linie Kanth Striegau oder Ingramsdorf—Striegau gebaut werden müssen, und das würde einen Betrag, inkl. der Umwandlung der Strecke Kanth—Striegau in eine Vollbahn, von über 5 Millionen ausmachen ; alfo würde im ganzen, um eine neue BVollbahn von Breslau aus ins Gebirge her- zustellen, ein Betrag von etwa 8 Millionen Mark ausgegeben werden müssen. Die gegenwärtige Finanzlage schien uns aber eine Ausgabe nit zu rechtfertigen, die ganz unverhältnißmäßig ist gegen den dadur zu erzielenden Nußen. Der Nußen für den Güterverkehr ist an und für sih nit erheblih; für den Güterverkehr wird auch die Vollbahn weniger erftrebt als für den Personenverkehr; das Motiv ist immer das: wir wollen schneller von Breslau nach dem Gebirge befördert werden. Es sind- sehr genaue Ermittelungen angestellt, die ergeben haben, daß, wenn die ganze Strecke Kanth. oder Ingram8dorf— Striegau—Bolkenhain—Merzdorf als Vollbahn ausgebaut würde, sich dann eine Abkürzung von 6 Minuten von Breslau bis nah Hirschberg ergeben würde. Meine Herren , dieser Gewinn von 9 Minuten schien uns in der gegenwärtigen Zeit außer Ver- hältniß zu dem aufzuwendenden Kapital von 7—8 Millionen zu stehen, und zu diesem größeren Kapitalaufwand von 8 Millionen würde außerdem noch eine jährliche Mehrausgabe für den Vollbetrieb von etwa 160 000 (4 bei der vollen Abkürzung hinzutreten; also ein Kapital von 8 Millionen, ein jährliher Mehraufwand von 160 000 M! Unter diesen Umständen erschien es uns durhaus gerathen und noth- wendig, zunächst die Linie Bolkenhain—Merzdorf nur als Nebenbahn auszubauen; es ‘ist dem Wunsche der Provinz Schlesien und der Stadt Breslau aber insoweit entsprohen worden, als die Tracierung der Linie genau in den Kurven und Steigungen gewählt ift, wie es auch für die Vollbahnlinie der Fall sein würde; es find also feine stärkeren Steigungen und kein geringerer Radius in die Linie hineingelegt worden, als bei der Vollbahn traciert war. Es bleibt also die Möglichkeit gewahrt, daß, wenn demnächst ein Bes dürfniß hervortritt, und auch das nöthige Geld dazu vorhanden ift, diese Bahn, ohne daß unnöthige. Kosten aufgewendet sind, in eine Vollbahn umgewandelt werden kann. Mit dieser leßteren Lösung haben si die Interessenten, wie ja Herr Graf Frankenberg bereits ausgeführt hat, im großen und ganzen au zufrieden erklärt. Aller- dings, wie Herr Graf Frankenberg auch erwähnt hat, weil sie nihts Besseres erreihen konnten; aber ih meine, unter den von uns ge- \childerten Verhältnissen kann der Staatsregierung unmöglich ein Vor- wurf daraus gemacht werden, daß fie aus Sparsamkeit vorläufig die Nebenbahnen und nit die Vollbahnen zur Ausführung bringt. Herr Graf Frankenberg hat ausgeführt, daß die unrichtigen Tracierungen der Linien gerade in Schlesien doch zu unnüßen Kosten geführt haben, und bat als Beispiel dafür angegeben, daß die Linie von Berlin nah Breslan ursprünglih über Kohlfurt geleitet worden fei und man sich sväter habe entshließen müssen, die Linie von Arnsdorf nah Gassen zu bauen. Wenn die Linie von Gassen nach Arnsdorf zuerst gebaut wäre, dann hätten wir die Linie nah Kohlfurt nachträglih ebenfalls bauen müssen.

Der Betrieb der Nebenbahnen regelt sch nach der vom Deutschen Reich erlassenen Bahnordnung für dieselben. In dieser Bahnordnung ist, was die Geschwindigkeit der Züge anbetrifft, seit einigen Jahren eine Verbesserung eingetreten, Es kann auf den Nebenbahnen, die nit auf Landstraßen liegen, die Geschwindigkeit bis zu 40 km erhöht werden ; auf den Landstraßen beträgt sie allerdings nur bis zu 20 km. Nun muß ih durchaus zugeben, daß der Betrieb auf den längeren Nebenbahnen für die Passagiere oft recht langweilig und zeitraubend ist. Aber um den Werth der Nebenbahnen rihtig zu beurtheilen, muß man si die Zeit vergegenwärtigen, wo die Bahn noh nicht be- stand. Gegenüber dem nur zu rasch vergefsenen Zustand, der damals bestand, ist jedenfalls das Verkehrsmittel der Nebenbahn ein ganz außerordentlicher Fortschritt. Die Staats-Eisenbahnverwaltung strebt dahin, überall da wo der Verkehrszuwahs das irgendwie rechtfertigt, den Personenverkehr von dem Güterverkehr zu trennen oder aber wenigstens den Personenzügen nur den Güterverkehr beizugeben, der fi von der Anfangs- bis zur Endstation bewegt, um den Aufenthalt auf den Stationen bebufs Einsetzens und Ausfeßens von Güterwagen zu sparen. Geschieht das, so ist die Geshwindigkeit von 40 km immerhin erheb- li genug, um eine angemessene Beförderung herbeizuführen. Wo die Verkehre aber so gering sind, daß eine Trennung von Güterverkehr und Personenverkehr aus ökonomischen Rütkfichten nit eintreten kann, ja, da bleibt allerdings nichts Anderes übrig, als daß man au den Güterverkehr mit dem Personenverkehr in sogenannten gemischten Zügen verbindet. Auf einer großen Zahl von Nebenbahnen ist bereits Güterverkehr und Personenverkehr entweder vollständig oder doch für gewisse Züge getrennt.

Was nun endli die Kleinbahnen anbetrifft, so ist die Anregung des Herrn Grafen von Frankenberg: es möchten doch baldmöglichst Grundsäße veröffentliht werden für die Gewährung von Unter- ftüßungen aus dem Fünfmillionenfonds des vorliegenden Geseßzes, an h gewiß sehr erwägenswerth. Allein, meine Herren, ih bitte dabei doch in Rücksicht zu ziehen, daß es für die nähste Zeit jedenfalls zweckmäßiger ist, der Staatsregierung in Bezug auf die Grundsäye für die Bewilligung von Unterstützungen nicht die Hände zu binden. Die Aufstel- lung ganz allgemeiner Regeln kann meines Erachtens niht den vom Herrn Grafen von Frankenberg beabsichtigten Zweck erfüllen. Die Aufstellung fester Grundsätze würde aber der Sache selber nicht dienlih sein. Im allgemeizen ift ja hon erklärt worden, sowohl vom Herrn Finanz- Minister wie von mir, daß Voraussetzung für die Bewilligung einer Beihilfe aus diesem Fonds in der Regel die Betheiligung der näher stehenden Korporationen sein müsse, also der Kreise und der Provinzen; daß in der Regel Vorausseßung sein müßte, daß die betreffenden Inter- essenten den Grund und Boden umsonst hergeben oder die Kosten dafür tragen. Aber es ist mit voller Absicht dazugeseßt „in der Regel“, denn es können Fälle eintreten, wo es geboten ersheint, an der Regel nit festzuhalten, sondern eine Ausnahme zu statuieren. Es ist ferner gesagt worden : in der Regel nimmt die Regierung in Aussicht, fich finanziell

-an dem Unternehmen zu betheiligen, nicht à fonds perdu, fondern

durch Uebernahme von Aktien u. dergl. Es kann aber ebenso der Fall eintreten, wo es gerathen ersheint, au à fonds perdu Summen zu

geben, beispielsweise Summen herzugeben für ein größeres Bauwerk oder

in anderer Weise Hilfe eintreten zu lassen. Ich würde daher glauben, daß es in dem gegenwärtigen Moment nicht zweckmäßig ist, die Grundsätze zu veröffentlichen, die die Königliche Staatsregierung in den betheiligten

Ressorts sih zur vorläufigen Richtschnur für ihre Erwägungen gesetzt"

hat, sondern erst abzuwarten, welhe Erfahrungen überhaupt mit der direkten Unterstützung seitens der Königlichen Staatsregierung gemacht werden. Sowohl der Herr Finanz-Minister wie ih, sind niht ohne Bedenken gewesen bezüglich dieser direkten Unterstüßung. Wir haben uns die Frage vorgelegt, ob nicht dadurch die Jnitiative der Selbst- hilfe gelähmt wäre, allein die gegenwärtigen Verhältnisse der Land- wirthschaft und der Industrie haben uns beide bewogen, unsere Be- denken zurücktreten zu lassen. Ich glaube aber, daß diese Bedenken wieder mebr hervortreten würden, wenn die Königliche Staatsregierung jeßt durch Veröffentlihung der Grundsäße für die Ertheilung der Beihilfe festgelegt wird. Jch befürworte daher dringend, zunächst der Königlichen Staatsregierung freie Hand zu lassen, und zu vertrauen, daß sie nah bestem Ermessen in sorgfältigster Erwägung die Anträge prüfen wird. i

Herr von Rochow fragt an, wie es mit dem Bau der Linie JFüterbog—Treuenbriegen—Belzig—Rathenow stehe.

Ober-Bürgermeister Bender warnt vor einer Uebershäßung der Kleinbahnen für den Verkehr und bedauert, daß nicht den allgemeinen Wünschen der Bevölkerung entsprehend die Bahn Bolkenhain—Merzdorf als Vollbahn gebaut werde.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Zunächst möchte ih einige Erläuterungen geben be- züglich der gewünschten Fortseßung der Bahn von Jüterbog nach Treuen- brießzen. Es sind wiederholt Projekte aufgestellt worden, die im wesentlihen darauf hinausgingen, eine weitere Ringbahn um Berlin herum herzustellen. Dafür fanden \ich naturgemäß Unternehmer, denen aber weniger an dem Lokalverkehr gelegen war, sondern die im wesentlichen darauf ausgingen, der Staatseisenbahnverwaltung Trans- porte abzufangen. Ein Verkehrsbedürfniß für eine solche durhgebhende Bahn is zur Zeit nicht anzuerkennen und aus diesem Grunde die Konzession nicht ertheilt worden. Dahingegen würde die Staats- regierung Projekten, die eine lokale Bedeutung haben, die als Klein- oder Nebenbahnen Theile dieser Ringbahn zur Ausführung bringen wollten, um bessere Verbindungen für die Landwirthschaft und die dortigen kleinen Industrien herzustellen, gewiß wohlwollend gegen- übertreten.

Was nun die Frage Bolkenhain—Merzdorf anbetrifft, so möchte ih mir: gestatten, doch einige Irrthümer des Herrn Ober-Bürgermeisters Bender zu berichtigen. Die Nebenbahn, die wir bauen, wird nicht länger als die Vollbahn, fondern im Gegentheil noch um 2/10 km fürzer. Die Vollbahn hat 17,4, die Nebenbahn 17,2 km.

Mas nun die Beförderungszeiten anbetrifft, die Herrn Ober- Bürgermeister Bender etwas zweifelhaft erschienen, so find fie im Ministerium auf Grund der vorliegenden sorgfältigen Projekte und auf Grund der ja feststehenden Grundsäße bezüglich der Beförderung der Züge auf den verschiedenen Gefällstrecken eingehend revidiert. Die Zahlen können als feststehend betrahtet werden. Die Linie Bolken- hain—Merzdorf allein als Vollbahn auszubauen hat keinen Werth, das würde die Fahrzeit zwishen Breslau und Hirschberg nur um wenige Minuten abkürzen. Dahingegen ist, wie gesagt, die ganze Tracierung so gewählt, daß sie demnah als Bollbahntrace beibehalten werden fönnte. Der Oberbau is in diesem Falle zu verstärkten inkl. des Kiesbettes und der Bahnkörper etwas zu verbreitern.

Wenn Herr Ober-Bürgermeister Bender gemeint hat, hiermit würde \sich ein neuer großer Weg nah Prag eröffnen, so ift das ja allerdings ein lockendes Zukunftsbild, aber über diese Linie würden wir wobl kaum jemals Schnellzüge fahren. Denn diefe würden über den Kamm des Gebirges gehen müssen, der voraussihtlich nur mit der Zahnradbahn und nicht mit der Adhäsionsbahn erstiegen werden fönnte. Man würde daher nah wie vor wie beute fahren, nämlich über die leistungsfähige Linie Görliz—Dresden.

Meine Herren, der Verkehr mit dem Gebirge ist im Winter ein außerordentlich {wacher und kann es auch nur sein; denn die Be- völkerung im Gebirge ist verhältnißmäßig dünn und ihre Verbindung mit der Hauptstadt Breslau im Winter verhältnißmäßig gering. Die Einrichtung von Schnellzügen im Winter würde vorauésihtlich nit die Kosten des Schnellzuges lohnen. Auch die Schnellzüge, die im Sommer gefahren werden, find keineswegs so außerordentlich beseßt gewesen, sodaß wir wahrscheinli, wenn der Verkehr nit erheblih wächst, au im nächsten Winter nicht dazu kommen werden, die Schnell- züge außerhalb der Saison zu fahren. Denn es muß immerhin ein gewisses Verhältniß zwischen den Einnahmen und Ausgaben aufrecht erhalten werden, namentli aber in einer Zeit wie der heutigen, wo die Staatsfinanzen mit einem Defizit abschließen.

Oer von Dúrant ist der Ansicht, daß die Anlage von Kleinbabnen sh mehr für den Westen als den Often empfehlen werde.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Wenn wir bei den fommiffarishen Berathungen ¿wischen den beiden Ministerien die verschiedenen Linien uns betraten, wofür Sekundärbahnen si eignen, d. h. wo diese Einrihtungen Aus- siht auf Rente bieten, so maht man doch die Erfahrung, daß solche Linien sich immer mehr verringern. Bei der jeßigen Vorlage besteht die Auffassung im Finanz-Ministerium, daß eine ganze Reibe Linien vorliegen, wo mit irgend einer Sicherheit au auf eine nur sehr mäßige Rente nit zu rechnen is, wo das Kapital, welhes der Staat da hineinsteckt, Gefahr läuft, für längere Zeit wenigstens à fonds perdu gegeben zu sein. Man wird wohl glauben das muß ih hier ofen aus\prehen wenigstens in der gegenwärtigen Situation der Staats- finanzen, daß ein solches à fonds perdu-Bauen doc an der Leistungs- fähigkeit des Staats seine bestimmte Grenze hat, und ih erblide gerade in der Beförderung des Kleinbahnwesens einen ganz außer- ordentlich zweckmäßigen und geeigneten wirthshaftlich rihtigen Ersaz für viele Sekundärbahnen, die auf den betreffenden Linien, wo aller- dings eine Eisenbahnverbindung überhaupt nothwendig ift, nicht gebaut werden können, weil fie nah der ganzen Anlage und der Art des Be- triebs für den Verkehr auf den betreffenden Linien viel zu theuer sind. Das. ist der Hauptgrund, welcher namentli das Finanz-Ministe- rium bewogen hat, über die schweren Bedenken, die der Herr Minifter für die öffentlichen Arbeiten geltend gemaht hat in Beziehung auf diesen ganzen Unterstüßungsfonds für das Kleinbahnwesen, wie wir ihn jeßt zum ersten Mal gewissermaßen versuchsweise aufgenommen

_von Fällen,

haben, hinwegzusehen, weil wir uns sagen mußten: es giebt eine Reihe wo eine Bahnverbindung an sich unentbehrlich ift, wo es si aber als eine Kapitalverschwendung herausstellen würde, wenn man dies Bedürfniß mit ‘den theuren Sekundärbahnen befriedigte, wo allerdings auch mannigfackch die Interessenten niht kräftig genug sind, ohne Hilfe des Staats selbst zu einer Kleinbahn zu kommen. Im großen und ganzen wird man daran festhalten müssen, daß man auch nur da Kleinbahnen bauen soll, wo sie eine gewisse Aussicht auf Rente geben. Ist die Gegend in einem folhen Zustand, daß felbst eine billigt gebaute und betriebene Kleinbahn nicht irgend welche Aussicht auf Rente giebt, dann is das Bedürfniß im allgemeinen für die Linie selbs auch nicht vorhanden. (Sehr rihtig!) Meine Herren, gewiß giebt es Fälle, wo Nothstände vorhanden sind, wo die Ver- hältnisse so liegen, daß man ih entschließen muß, von Staats- wegen, namentlich wenn die Nächstbetheiligten au mithelfen, à fonds perdu Kapitalien aufzuwenden; das find aber nur Ausnahmefälle, und deshalb is nah meiner Meinung an dem Grundsaßz zur Verwendung dieser Fonds als Negel festzuhalten, daß der Staat sich nur da betheiligen kann, wo die Verwendung seiner Kapitalien auch einen gewissen Rembours in Aussicht stellt; sonst ift das Unter- nehmen in der Regel niht berechtigt. Davon allerdings nehme ih diejenigen Fälle aus, wo gewissermafssen Nothstandsdarlehne, wie wir sie an vielen Orten haben geben müssen, zu gewähren sind, auch dann, wenn nicht die Aussicht auf eine Rente vorhanden ist. Ich halte es au nit für richtig, wenn Herr Freiherr von Dúrant meint, die Kleinbahnen empfehlen sich mehr für den Westen, als für den Often. Das Vorgehen der Provinzen im Often beweist do eigentlich das Gegen- theil, in Pommern wird mehr für Kleinbahnen gethan, wie bisher in irgend einer anderen Provinz gesehen ist; und das Bedürfniß wird dort allgemein anerkannt, sowohl von den nächsten Interessenten, als von den Kreisen, als von der Provinz. Die Provinz Pommern hat jegt eine sehr erheblihe Anleihe in dieser Beziehung gemaht. Daß dieser Fonds, wie er hier vorliegt, seiner ganzen Natur nah im wesentlichen dem Osten zu gute kommen wird, glaube ich allerdings; aber au da wird er nur zur Verwendung kommen, wenn die betreffenden Ver- bände, Kreise und Provinzen au ihrerseits etwas thun. Der Staat allein wird jedenfalls auch im Osten nicht die betreffenden Kapitalien aufbringen können. Das Bedürfniß wird dort aber größer sein wie im Westen, weil allerdings anzuerkennen ist, daß im Westen die Selbsthilfe leichter ist: einmal, weil die Kapitalien reihliher dort vor- handen sind, dann aber auch, weil in den meisten Fällen im Westen die Aussicht auf eine gute Rentabilität größer ist, also der Privat- unternehmer si leichter herbeiläßt, eine solhe Bahn zu bauen. Wenn nun geklagt worden ist, daß der Staat häufig Linien nicht genehmigt für Privatunternehmer oder als Unternehmen der näheren Verbände, weil er selbs in Aussicht nähme, eine solche Linie zu bauen, so kann ich doch nach meinen Erfahrungen ih fonkurriere dabei ja nicht dreist die Behauptung aufstellen, daß in dieser Beziehung beute weit liberaler verfahren wird, als dies früher jemals der Fall war. Ich bin der Meinung, wenn Fälle vorliegen, wo der Staat zwar die Möglichkeit in Aussicht stellt, daß er demnächst eine folche Linie im Interesse seines großen Eisenbahnneßes bauen oder wieder erwerben würde, wo aber eine bestimmte Absicht des Staats, eine solhe Strecke auszubauen, nicht vorliegt, daß da einem Privat- unternehmer oder einem solhen der betreffenden Kreise und Provinzen keine Hindernisse in den Weg gelegt werden, und der Staat hat dazu um so weniger Veranlassung, als er nah dem Klein- bahngesez in der Lage ift, nöthigenfalls, wenn es seine Interessen erfordern, daß vielleicht cine Kleinbahn zur Sekundärbahn, zur Voll- bahn gemacht werden soll, sich wieder in den Besitz der Kleinbahn zu segen. Jch kann mir nit denken, daß die Befürchtungen und Be- schwerden des Herrn Bender begründet sind, daß so viele Formalien und Schwierigkeiten gemaht werden; der Instanzengang is ein ein- faher und regelmäßiger, und das Staats-Ministerium, sowohl das Ministerium der öffentlichen Arbeiten, wie das Finanz-Ministerium, hat jedenfalls die ernstlihe Absicht, feinerlei unnüße Schwierigkeiten zu machen. Die bisherigen Erfahrungen in Bezug auf die Entwicklung des Kleinbahnwesens in der kurzen Zeit nah Erlaß des Gesetzes ist ja au durchaus nicht ungünstig ; im Gegentheil, in manchen Provinzen entwickelt sich auf Grund der Selbsthilfe das Kleinbahnwesen höchst erfreulih. Ich möchte dringend bitten, daß man in Zukunft in Bezug auf die Herstellung neuer Linien auf Staatskosten sich nit zu große Hoffnungen macht und sih auch nicht verführen läßt, durch die Aufnahme dieser Millionen Mark nun wieder alles auf den großen Staatsbeutel zu schieben. Die Interessenten werden viel besser thun, fich ernstlich zu fragen, ob sie nit alles leisten können; und es wird besser fein, daß da, wo dies möglich ist, sie ohne an den Staat zu rekurrieren in voller Unabhängigkeit die Sache durchführen. Denn eine gewisse Bindung wird dur eine starke Betheiligung des Staats immer ent- steben. Wenn Herr Ober-Bürgermeister Bender darüber geklagt hat, daß man seitens des Staats den Wünschen der Betheiligten so wenig entgegenkomme, wie auf der Strecke Breslau Hirschberg, wo der Wunsh gehegt wurde, diese Strecke als große Voll- bahn auszubauen, so möchte ich ihn doch bitten zu bedenken, daß der doch am meisten zu sagen haben muß, der das Geld hergiebt. Denn die Beträge, die die üteressenten hergeben, sind im Verhältniß zu den Kosten, die dem Staat erwachsen, doch sehr gering. Wenn der allgemeine Say aufgestellt wird, daß leihtere Verkehrsgelegenheit auch mehr Verkehr mache, so ist der allgemeine Sab gewiß richtig; aber keineswegs müssen große Aufwendungen für leihteren Verkehr in allen Fällen rentieren, und sie dürfen nicht berechnet tverden nach dem möglicherweise zukünftigen Verkehr. Nah den Zahlen, die der Herr Minister für Eisenbahnangelegenheiten gegeben hat, würden, selbst wenn Winter und Sommer auf Vollbahnen mit Schnellzügen gefahren würde, die einzelnen Personen, die auf diesen Zügen fahren, dem Staat sehr theuer zu stehen kommen. Wenn wir 8 Millionen verzinsen und dazu 130 000 Mark Betriebsunkosten, wenn ih nicht irre (Zuruf: 160 000 Mark), also 160 000 Mark Betriebsunkosten mehr enttehen, und wenn im Winter auf der Linie Breslau—Hirsch- berá kaum ein Verkehr besteht, der Verkehr wesentlich Vergnügungs- reisende im Sommer umfaßt, so wären das kostspielige Vergnügungs- reisende für den Staat (sehr rihtig!), und ich glaube nicht, daß das eine gerehte Vertheilung der Ausgabea des Staats sein würde. Das Geseh wird angenommen, ebenso die Anträge

der Eisenbahnkommission. Swhluß nach 41/4 Uhr.

a

“Haus der Abgeordneten. 53. Sißung vom Dienstag, 2. April.

Erster Gegenstand der Tagesordnung is die Fortsezung der Berathung über das Gerichtskostengeseß.

Ueber den Beginn der Sizung is gestern berichtet worden. Wir tragen hier nur die Entgegnung des Justiz- Ministers Sh öns|edt auf die Anträge der Abgg. Gorke un Stephan-Beuthen im Wortlaut nach.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Nachdem die vershiedenen Anträge zu § 81 bier begründet wsrden sind, gestatten Sie mir, die Auffassung der Königs- lien Staatéregierung mit wenigen Worten klarzulegen. Nach einer Nichtung scheint mir im Hause eine Uebereinstimmung zu herrschen, die ih theile: niemand {wärmt für zu hohe Gerichtskosten, wie au nit für zu hohe Steuern. Es fragt sich nur, welhe Konsequenzen man daraus ziehen will, und wie weit eine Ermäßigung der im § 81 in Vorschlag gebrachten Säte zulässig is, wenn man die Finanzlage in Betracht zieht; denn darum handelt es sih ja immer bei der Prüfung, ob Ermäßigungen in höherem Maße durchgeführt werden können, als die Regierungsvorlage sie bereits enthält.

Der erste Antrag, den der Herr Abg. Gorke gestellt hat, will ge- statten, daß in Betreff der Erbbescheinigungen im Nachlaßverfahren, ebenso wie es bei den Testamenten bestehendes Recht ist, nicht, wie es die Regierungêvorlage will, die Hälfte der Schulden in Abzug gebracht werden kann, fondern alle Schulden abgezogen werden können. Dem gegenüber möchte ih darauf hinweisen, daß son die Konzession, die die Regierungsvorlage macht, gegenüber dem bestehenden Recht eine sehr weitgehende is, und daß die Bezugnahme auf die für Testamente vorgeschlagenen Gebührensäße deshalb nicht eine vollkommen zutreffende if, weil es eben \{chon bei Testamenten be- stehendes Recht ist, daß nur der reine Nachlaß bei der Kostenberech- nung zu Grunde gelegt wird. Wenn alfo hier im übrigen bei dem Na(hlaßverfahren, dem Erbbescheinigungsverfahren insbesondere, der Abzug der Hälfte der Kosten gestattet wird, so ist dies {on ein fehr weitgehendes Entgegenkommen. Als das Gefeß vom Jahre 1875 über die Kosten im Nachlaßverfahren berathen wurde, sind Anträge in ähn- licher Richtung gestellt worden, einen Schuldenabzug zuzulassen bei der Kostenberehnung. Diese Anträge sind sehr eingehend erörtert worden, man ist aber damals zu dem Ergebniß gekommen, daß dafür nicht genügende Gründe vorlägen. Ich glaube, daß man heute wohl dabei stehen bleiben muß, daß ein weitergehender Schulden- abzug, wie der Entwurf ihn zuläßt, nicht wohl zulässig ist. Ih möchte nur auf die Konsequenzen hinweisen, die sich daraus unter Umständen ergeben können, \chon gegen das bestehende Recht. Die höchste Gebühr für Ertheilung von Erb- besheinigungen beträgt bisher 37,90 A Sie wurde erreiht bei einem Nachlaß: von 60 000 A Wenn wir jeßt den Fall feßen, daß einem folhen Aftivnahlaß Schulden in gleicher Höhe gegenüberstehen, fo würden, falls die sämmtlihen Schulden in Abzug gebracht werden fönnten, niht mehr erhoben werden können als 60 s. Das würde do für die Arbeit, die in Betracht kommt, und hbinsihtlih des finanziellen Ergebnisses einigermaßen bedenklih sein. Ich glaube deshalb, daß die Königliche Staatsregierung auf dem Standpunkt stehen bleiben muß, der in der Vorlage vertreten ift. Ich will im übrigen bemerken, daß, wenn befonders hervorgehoben ist von einem Redner, dem ih bei der Unruhe im Hause nicht vollständig habe folgen können, es handle“ sih vielfah um die Erbfolge von Ascendenten auf Descendenten, diese Erbfolge hon im Gese nah verschiedenen Richtungen eine Begünstigung erfahren hat und darin doch ein ge- wiffses Maß gehalten werden muß.

Es fommt dann der weitere Antrag des Abg. Dr. Stephan, den ich wohl vorwegnehmen fann, weil bei seiner etwaigen An- nahme der für die Rheinprovinz gestellte Antrag des Abg. Dr. Opfergelt gegenstandslos werden würde. Der Abg. Dr. Stephan will „das Zweifache des Gebührensaßes B“ erseßen durch die Worte „der in § 56 bestimmte Gebührensaß B“. Meine Herren, auch dem stehen finanzielle Erwägungen entgegen, und ih glaube nicht, daß die Regierung diesem Antrag irgend wird zustimmen können; sie wird es auch nicht können nach dem eventuellen Antrage des Abg. Opfergelt für die Rheinprovinz aus den {on bei der Kommissionsberathung entwickelten Gründen, daß es überhaupt unzulässig scheint, für dasselbe Geschäft in verschiedenen Landestheilen verschiedene Gebühren zu erheben. E mag rihtig sein, daß die komplizierte Geseßgebung, die in der Rhein- provinz noch gegenwärtig in Geltung sih befindet, unter gewissen Um- ständen mehr Kosten zur Folge hat, und daß der vorgeschlagene Gebührensaß für die Rheinprovinz in einzelnen Fällen stärker emyfun- den werden würde als in den alten Provinzen. Aber das sind Zu- fälligkeiten, auf die nicht bei einem für die ganze Monarchie geltenden Kostengeseß Rücksicht genommen werden kann, und die nicht dahin führen fönnen, daß dasselbe Geschäft in einer Provinz nur halb fo hoch wird besteuert werden können wie in anderen Provinzen.

Im übrigen finden sich in der Vorlage au für die Rheinprovinz bis zu einer gewissen Höhe der Objekte nit unerheblihe Ermäßi- gungen. Wieweit im einzelnen diese Ermäßigungen gehen, kann ih im Augenblick nicht sagen. Der Herr Kommissar wird, wenn darauf Werth gelegt wird, die Güte haben, das Nähere zahlenmäßig, in dieser Beziehung auseinanderzuseßen.

Fch glaube also, diesen beiden Anträgen widersprechen zu müssen.

Der Antrag des Abg. Dr. Hartmann geht ja weniger weit in seinem Verlangen auf Herabsezung der Gebühren, wie die Stephan- Opfergelt’schen Anträge; aber auch er geht der Regierung immer nohch zu weit, und ih muß deshalb auch diesem Antrage widersprechen.

Was den redaktionellen Vorschlag betrifft, die Bemerkung, daß in der Kommissionsberathung einige Worte aus der Regierungsvorlage verschwunden sind, so muß ih bekennen, daß ih auch erst durch den Abg. Dr. Porsch darauf -aufmerkfam geworden bin. Es ift nit der Druck bei der Gegenüberstelung der Regierungsvorlage und des Kommissionsentwurfßs hervorgehoben, und deshalb würde ih auch annehmen, daß es sich nur um eine Omission handelt. Immerhin würde es klarer sein, wenn die Regierungsvorlage in dieser Beziehung wieder hergestellt würde. Es ist rihtig, daß auch in der Regierungsvorlage an einigen Stellen nur von dem Gebührensaß B ohne Erwähnung des § 56 die Rede ist. Dann ift in demselben Ab- schnitt vorher {hon § 56 genannt worden, und deshalb hat man es niht für nothwendig gehalten, eine vollständige Wiederholung eintreten zu laffen.

Bei der-Berathung des § 89, welcher bestimmt, daß bei der Gebührenberehnung bei der Theilung eines Nagnaies eines Ehegatten, der in Gütergemeinschaft gelebt hat, der Werth der gütergemeinschaftlihen Masse nur zur Hälfte in Ansaß gebraht werde, nimmt nah dem Abg. Bachmann (nl.) das Wort der

Justiz-Minister Schönstedt:

Dieser Antrag des Herrn Abg. Bachmann stellt die Absicht der Negierung klar; es wird ihm diesseits niht widersprochen.

Dec Antrag Bachmann, daß, sofern dem überlebenden Ehegatten von der gütergemeinschaftlichen Masse ein anderer Bruchtheil als die Hälfte zufällt, der Werth der Masse zu diesem Bruchtheil in Ansatz gebracht werde, wird angenommen.

93 der Vorlage lautet: Für die Beaufsichtigung von Fideikommissen und Stiftungen werden jöhrlih nah dem Be- trage des Vermögens fünf Zehntheile der in § 38 bestimmten Gebühr erhoben. Dabei wird das angefangene Kalenderjahr sowohl am Anfang als auch am Ende der Beaufsichtigung für voll gerechnet. j

Abg. von Bülow - Wandsbek (fr. kons.) beantragt, daß die Gebühr nur am S(luß derjenigen Kalenderjahre erhoben werden solle, in welchen eine besondere Aufsichtsthätigkeit. des Gerichts staitgefunden habe. Eine Thätigkeit des Gerichts folle nur dann angeyommen werden, wenn die Ansfertigung wenigstens eines amtlichen Schreibens

‘erforderli geworden sei.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Die Annahme des Herrn Abg. von Bülow, daß die Regierung sih mit der Streichung der Nr. 1 des § 93 nit würde einverstanden erklären können, fann ih nur bestätigen. Aber auc der von ihm gestellte weniger weitgehende Antrag muß nah meiner Meinung beanstandet werden, und zwar deshalb, weil ih glaube, daß seine praktishe Ausführbarkeit ernstlihen Bedenken unterliegt. Es würde im Einzelfalle zu allerlei Zweifeln führen, ob in der That eine beauf- sihtigende Thätigkeit der Fideikommißbehörde in einzelnen Jahren stattgefunden hat oder niht. Der Herr Abg. von Bülow hat aller- dings in dem zweiten Theil seines Antrags diese Aufgabe den Be- hörden dadur erleichtern wollen, daß er beantragt hat, festzustellen : eine Thätigkeit des Gerichts sei nur dann anzunehmen, wenn die Aus- fertigung wenigstens eines amtlihen Schreibens erforderlih geworden sei. Nun, meine Herren, das s{heint mir do na doppelter Richtung hin bedenklich zu sein. Es kann ein amtliches Streiben zur Ausfertigung gelangt sein in einer Fideikommißfache, was eigentli für die Beaufsichti- gung des Fideikommisses ohne jede Bedeutung ist. (Sehr richtig! links.) Es kann aber auch eine Beaufsichtigung thatsählich stattgefunden haben, obne daß es zu \chriftlihen Verhandlungen gekommen ist. Sie fann au durh mündlihe Verhandlungen zwischen den Gerichten und den Betheiligten sich zu erkennen geben.

Es würde ferner bei Annahme des Antrags von Bülow auch allen Zufälligkeiten Raum gegeben sein. Es wäre ja denkbar, daß vielleicht sehr fiskalish gesinnte Richter Verfügungen erlassen, um die Anwendung dieses Kostenparagraphen zu ermöglichen; es wäre denkbar, daß es von einem reinen Zufall, von der Geschäftslage abhinge, ob, wenn ein Antrag im Dezember gestellt ist, für die Erledigung des- selben in dem laufenden Jahr Kosten zu erheben sein würden oder nit, je nahdem die Verfügung über den Antrag noch in demselben Monat oder aus vielleiht nebenfählihen Gründen erft im Januar erfolge.

Alle diese Umstände scheinen mir doch so sehr ins Gewicht zu fallen, daß ich meine: der gestellte Antrag wird sich niht zur An- nahme eignen, und ich glaube deshalb, Ihnen die Ablehnung empfehlen zu müssen.

Abg. Dr. Oswalt (nl.) spricht sich gegen den Antrag aus, der gar feine praftische Bedeutung habe.

Abg. Willebrandt (Zentr.) spricht sih gegen den Antrag aus.

Abg. Hartmann (kons.) erklärt, daß seine Partei für den

Antrag stimmen werde.

Der Antrag des Abg. von Bülow wird abgelehnt, der Paragraph in der ursprünglichen Fassung angenommen.

Der § 105 bestimmt, daß für diejenigen gerichtlichen Ge- schäfte, für welche weder reichsgeseßlich noch in der Vorlage eine Gebühr festgesetzt sei, die Hälfte der im § 33 bestimmten Gebühr erhoben werde.

Abg. Kir \ch (Zentr.) beantragt die Reduzierung der Gebühren auf drei Zehntel.

Justiz-Minister Schönstedt:

Für die Gebührenerhebung in Genofsenshaftsregistersahen gilt das Reichsgesetz; fie wird in diesem Geseß gar nit behandelt. Damit erledigt sich die Frage.

Der Antrag wird darauf angenommen und der Rest der Vorlage ohne Debatte genehmigt.

Die zu dem Gesehentwurf eingelaufenen Petitionen werden für erledigt erklärt.

Es folgt die zweite Berathung des Entwurfs einer Ge- bührenordnung für Notare.

S 1 der Vorlage bestimmt, daß die Vergütung für die Berufsthätigkeit der Notare sih aus\cließlich nah den Vor- schriften dieser Gebührenordnung richte.

Abg. Dr. Porsch (Zentr.) beantragt : in dem § 1 auszusprechen, daß dur das vorliegende Gese an den bisher geltenden ge\eßzlichen Vorschriften darüber, welhe Geschäfte zu der Berufsthätigkeit der Notare gehören, und hinsichtlih welher die Notare niemandem ihre Dienste verweigern dürfen, nihts geändert werde.

Justiz-Minister Schönstedt:

Fch halte den Antrag des Herrn Abg. Dr. Porsch in Ueber- einstimmung mit der Mehrheit der Kommission für überflüssig. Ich bin der Ansicht, daß, wenn auh die soeben aus dem Kommissions- beriht vorgetragene Erklärung nicht abgegeben worden wäre, doch nit die Auffassung entstehen könnte, daß diese Gebühren- ordnung über den Umfang der Berufsthätigkeit der Notare habe Bestimmung treffen wollen. Denn die s0dos materias für solche Bestimmungen kann doch nur die Notariatsordnung sein. Wenn es für nothwendig befunden ist, in diesem Geseß für gewisse Handlungen der Notare, die niht zu ihrer eigentlihen Berufsthätigkeit gehören, Gebührensäge festzustellen, so folgt daraus doh nit, daß damit der Kreis der Berufsthätigkeit als solher habe eine Erweiterung erfahren. follen.

Aus diesem Grunde meine ih, daß der Antrag au vom Plenum, wie es in der Kommission geschehen ist, abzulehnen sein wird. Die Schwierigkeiten, die entstehen können aus dem Zweifel, ob in dem. einzelnen Fall ein Notar, der zugleich Rechtsanwalt ift, als Anwalt oder als Notar thätig geworden sei, haben bisher auh bestanden, sind aber, soweit meine Erfahrung reiht, immer in befriedigender Weise gelöst worden.