1895 / 85 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 06 Apr 1895 18:00:01 GMT) scan diff

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Die in freifinnigen und sozialdemokratischen Blättern ge- brachten Mittheilungen über die Gründe, aus welchen der kommandierende General des VI. Armee-Korps, General der Artillerie von Lewinski seinen Abschied erbeten hat es wird darin behauptet, er habe sich einer Etiquette-Fragegum Opfer

ebracht beruhen auf Erfindungen und entbehren jeder thatsäch- ichen Begründung. Das Rangpverhältniß der kommandierenden Generale zu den in der Provinz sonst noh beamteten Würden- trägern des Staats und der Kirche ist durch bestehende Ver- ordnungen endgültig und unantastbar festgestellt; es erfährt auh dann keine Aenderung, wenn die genannten Würden- träger höhere Adelsprädikate oder Fürstlihe Würden besißen.

Jn der französischen Zeitung „Le Matin“ vom 9. März 1895 wird behauptet, daß sih die deutshe Heeres- verwaltung eines von dem französishen Oberst Dérué vor einigen Jahren erfundenen Säbel-Modells unter Nicht-

achtung der Rechte des Genannten bemächtigt und mit diesem

Säbel die preußishe Kavallerie bewaffnet habe.

Diese Nachricht ist völlig unzutreffend. Der betreffende Säbel ist niht einmal zu Probeversuchen herangezogen, geshweige denn bei der preußishen Kavallerie eingeführt worden.

An Stelle des verstorbenen Senats-Präsidenten des Kammer- erihts, Geheimen Ober-Justiz-Raths Dr. Henschke ist der ammergerihts-Rath Dr. Mence_ vom 1. April D N ad

zum Mitgliede des Gerichtshofes zur Entscheidung der Kompetenz- fonflikte ernannt worden.

Wie wir vernehmen, ist dem Wirklichen Geheimen Legations-Rath von Eichhorn die Leitung der Personaliens- 2c. Abtheilung des Auswärtigen Amts übertragen worden.

Der General - Lieutenant Kuhlmann, Jnspekteur der 1. Fuß-Artillerie-Jnspektion, hat Berlin verlassen.

Mecklenburg-Schtvoerin.

Aus Cannes wird den „Meckl. Nachr.“ gemeldet: Das Befinden Jhrèr Kaiserlichen Hoheit der Großherzogin hat sich soweit gebessert, daß Höchstdieselbe gestern die erste Aus- fahrt hat unternehmen können. i

Jhre Königliche Hoheit die Großherzogin Marie und Ihre Hoheit die Herzogin Elisabeth sind aus Rudolstadt wieder in Schwerin eingetroffen.

Lübeck.

Zur Deckung des Fehlbetrags im Staatsbudget für das Rechnungsjahr 1895/96 wird vom Senat die Erhöhung der Einkommensteuer um 2 Proz. in Vorschlag gebracht. Gegenüber dem von der Bürgerschaft und dem Bürgeraus\huß dem Senat ausgesprohenen Ersuchen um Einführung einer lübeckishenStaatslotterie verhält sich der Senat ablehnend. Der Bürgerausschuß hält indessen seinen Antrag vollinhaltlih aufrecht und fordert von dem Senat im wiederholten Fall die Veranstaltung einer Lübeckishen Staatslotterie. Da zwischen Senat und Bürgerschaft über diese Frage eine Einigung nicht hat erzielt werden können, so ist die Angelegenheit einer aus je sieben Mitgliedern des Senats und sieben Mitgliedern der Bürgerschaft bestehenden Kommission übertragen worden.

Hamburg. Dem Senat ist, wie der „Hamb. Korresp.“ erfährt, folgendes Schreiben des Fürsten Bismarck zugegangen: Friedrichéxuh, 2. April. Der hobe Senat bat mich dur die freundlihen Glückwünsche zu meinem Geburtêtage bo geehrt und erfreut. Ich bitte hochdenfelben, dafür und für das woblwollende Zeichen der Anerkennung, welches mir durch Prägung einer Münze zu meinem Andenken zu theil geworden ift, den verbindlichsten Auëdruck meiner Dankbarkeit entgegen zu nehmen. von Bismarck.

Elsaß-Lothringen.

Die gestern im telegraphishen Auszuge mitgetheilte An- sprache des Kaiserlichen Statihalters Fürsten zn Hohenl ohe- Langenburg bei dcm Diner zu Ehren des Lan des-A us- \hus}jes lautete nah der „Straßb. Korresp.“ wie folgt:

Wenn es mir heute zum ersten Mal vergönnt ist, die Mitglieder des Landesaus\chusses in meinem Hause zu tegrüßen, nachdem Seine Majestät der Kaiter mir die Verwaltung des Landes gnädigst über- tragen hat, so gestatten Sie mir vor allem, Ihnen meinen Dank für die liebenéwürdige Aufnahme auszusprechen, die ih bei Ihnen, die ih in dem Reichsland gefunden habe. Ich habe mich rasch hier beimisch gefühlt und weiß mih eng mit dem Lande und seinen Interessen verbunden. Kurz nah meinem Eintreffen und namentlih nach Eröffnung des Landesauéschufses ward mir von den Zeitungen der Vorwurf ge- macht, ih bâtte es unterlassen, ein Programm über meine zukünftige Verwaltungéweise aufzustellen. Nun, meine Herren, was bätte ih da sagen follen? Das Land kannte ih sehr wenig und das Land kannte mih noch weniger. Mein Programm fkann nur darin bestehen, mih zu temüben, auf dem Grund weiter zu bauen, den mein verehrter und bewährter Vorgänger, der jeßige Herr Reichskanzler, in so glüdck- liber Weise zum Woble des Landes gelegt bat, und die von ibm ge- shaffenen geordneten Zustände zu pflegen. Yas bedeutet eine Programmrede, wenn man in ganz neue Ver- hältnisse tritt! Entweder ergeht man sich in allgemeinen nichts- sagenden Redenêarten oder man berührt Fragen, die man nit gründlih studiert bat, und läßt sih zu Zusicherungen verleiten, die man vielleicht nicht einlöfen fann. Als Seine Majestät der Kaiser die Gnade hatte, mi hierher zu berufen, war ih mir voll der ernften Aufgabe bewußt, die mir gestellt ward, und suchte mir klar zu machen, in welher Weise id hier wohl vorzugehen habe. Jch dachte dabei an die Erziehung meiner Kinder, bei der ih nicht nah starren Prinzipien handelte, vielmehr die Eigenschaften derselben zu erkennen sudkte, die mir den Weg zeigen sollten, den ih einzuschlagen bätte, um für das Wokl der Kinder zu forgen und mir ihr Vertrauen zu erwerben. Das gleihe Verfahren dürfte bei der Verwaltung eines Landes angezeigt sein, mit dessen Eigenart man noch wenig vertraut ist. Diese will studiert sein, bevor man selbftändig handelnd vorgehen fann; sie muß den Weg weisen. Bis jegt habe ih nur freundlihes Entgegenkommen gefunden und einen liebenéewürdigen Charakter, dabei eine hocherfreu- lie Ordnungéelicbe. Jch denke, es wird nicht allzu {wer sein, sich gegenseitig zu verstehen. Leiter existieren aber auch in unserem Lande wie überall Elemente, die tas Land nicht zur Ruhe kommen lassen wollen und ter Regierung die Arbeit sehr ershweren. Sie, meine Herren, als die Vertreter des Volks von Elsaß-Lothringen, werden gewiß der Regierung in ihrer Bemühung bei-

in freundli Entgegenkommen den Landeshaushalt festgestellt haben, baben Sie auch in den leßten Tagen den Gesetzentwurf, betreffend. die Gebäudesteuer, in Berathung genommen und demselben in zweiter Lesung Ihre Zustimmung ertheilt, wofür i sehr dankbar bin, da ih die Ueberzeugung habe, daß damit manche drückende Ungleiheit in der S Sbenervergu als beseitigt wird. Ganz besonders zähle ih auf Ihre Mithilfe bei dem Bestreben, einen Wasserweg vom Niederrhein nach Straß- burg herzustellen, der geeignet ist, niht allein Straßburg zu einem hervor- ragenden P SR zu machen, sondern auch dem. oberrheinishen Gebiet billige Zu- und Ausfuhr zu gewähren. Nicht minder wichtig erscheint mir die Aufgabe, den jept durch die Rheinregulierung ver- « ôdeten Ländereien das Leben erhaltende und fördernde Naß zuzuführen, worüber ich Ihnen eine C habe zugehen lassen. Eine Reihe bedeutsamer Aufgaben auf dem Gebiete der Geseßgebung werden uns in den kommenden Jahren beschäftigen, wobei ih auf Ihre freund- liche Mitarbeit rene. Ih werde immer dankbar eine offene Kritik unserer Vorschläge von seiten des Landesausschusses aufnehmen. Seien Sie überzeugt, daß mich nur der eine Gedanke beseelt, wie ich dem mir Allerhöchs übertragenen Auftrag zum Heile des Landes am besten entsprehen kann. In diesem Bestreben müssen Sie, meine Herren, mir helfend zur Seite stehen. Indem ih Sie bitte, mit mir für das Land zu arbeiten, leere ih mein Glas auf Ihr Wohl, meine Herren des Landesausschusses, und auf das Gedeihen unseres geliebten Elsaß-Lothringen.

Die Rede des Fürsten, stellenweise von Beifall unter- brochen, wurde am Schluß von lebhafter Zustimmung begleitet.

: Der Präsident des Landesaus\hu}ses Dr. von Shlum- berger erwiderte mit nachstehenden Worten: eine Herren, es sei mir erlaubt, dem Kaiserlihen Statthalter im Namen des Landesaus\chusses für das von Hochdemselben aus- gebrahte Hoh auf Elsaß-Lothringen und auf den Landesaus\{uß recht berzlich zu danken. Meine Herren, Seine Durhlaucht haben foeben Worte ausgesprochen, die uns zu Herzen gegangen sind und welche uns beweisen, daß Hochdieselben das Wohl des Landes fördern wollen, das\elbe Ziel verfolgt auch der Landesaus\chuß in den Fragen, in welchen er mitzusprehen hat, und ih bin sicher, daß ih immer ein gemeinsamer Weg finden lassen wird, um zum gemeinsamen : Ziele zu gelangen. Und nun, meine Herren, sei es mir gestattet, ein Hoch auszubringen auf das . Wobl und die Gesundheit des Fürsten und der Fürstin. Sie leben hochß hoch hoh! Mit lautem Zuruf stimmte die Festversammlung in das ausgebrahte Hoch ein. : i Der Landesaus\chuß hat in seiner vorgestrigen Sißung den Entwurf eines Gesehes, betreffend die in die Geburts- register einzutragenden Vornamen, nachdem Unter - Staats- sekretär Dr. Hoseus kurz die Gesichtspunkte dargelegt hatte, welhe zur Vorlage dieses Entrourfs geführt hatten, in Lesung angenommen.

erster, zweiler und dritter i eines Gesetzes, betreffend

Ebenso gelangte der Entwurf

die Bestellung der Amtskautionen, nah kurzer Be- aründung dur den Unter-Staatssekretär von Schraut in drei Lesungen zur Annahme. Die Novelle zu den beiden Gesehen von 1889 und 1891 über Grundeigenthum u. st. w. und über Einrichtung von Grundbüchern wurde der zweiten Kommission überwiesen.

sodann bis zum 23. April.

Der Landesausshuß vertagte sich

Oesterreich-Ungarn.

Der Kaiser empfing gestern den Kardinal-Fürsterzbischof von Prag Schönborn in besonderer Audienz. i

Die Berathungen der Zucker-Enquête-Kommission wurden gestern fortgeseßt. Die meisten Experten bezeichneten die Ueberproduktion als Ursache der Krisis und sprachen n. e einé genossenschaftliche Organisation des Bauernstandes, sowie gegen die Kartelle aus. Ein- zelne Experten empfahlen Ausnahmetarife auf den Staatsbahnen für Zucker und Kohle sowie die Einseßung von Schiedsgerichten zur Austragung der Rübenlieferungs- pr zesse und das Verbot des Termingeschäfts in Getreide.

Wie die „Presse“ meldet, hat Ministerium eine Vorlage fertig gestellt, durch welche der Handels-Minister ermächtigt wird, im Verordnungswege Maß- regeln zum Schuße des Publikums gegen die Quantitäts- und Qualitätsverfälshungen bei dem Verkauf ge- wisser inländisher und ausländisher Waaren zu er- lassen. Der Gesezentwurf soll demnächst dem Abge- ordnetenhause vorgelegt werden. Eine in der leßten Sizung des Abgeordnetenhauses eingebrachte Vorlage shlägt für das Jahr 1895 den Bau von 16 Lo kalbahnen mit Staats- hilfe vor, nämlih 7 Bahnen in Böhmen, 5 in Galizien, 3 in Niederösterreih, 1 in Salzburg, ferner den Bau von 7 Eisen- bahnen ohne Staatshilfe, davon 5 für Böhmen und 2 für Galizien. Jnsgesammt werden 23 Lokalbahnen in einer Gesammilänge von 8188 km und mit einem Anlagekapital von 39,58 Millionen Gulden gefordert; 26,6 Proz. dieser Summe sollen durch den Staat, 53,4 Proz. durch die Einzel- Oer und 20 Proz. durch die Junteressenten aufgebracht werden.

Das ungarische Unterhaus wird fich heute bis zum 23. April vertagen. Für die Sißung am 25. d. M. sollen die Gesezentwürfe über die Rezeption der Juden und die freie Religionsübung auf die Tagesordnung geseßt werden.

Großbritannien uud Frland.

Das Unterhaus hat gestern die zweite Lesung der irishen Landbill nah dreitägiger Debatte ohne nament- lihe Abstimmung angenommen. Die Redner der Op- position widerseßten sich der zweiten Lesung nicht, erklärten jedoch, die Bill erfordere eine erheblihe Abänderung in dec Kommission. Der Finanz-Sekretär des Kriegsamts Woodall erklärte, die Regierung hoffe kurz nah Ostern einen Gesezentwurf vorzulegen, dur welchen die Regierung in den Stand geseßt wird, die Dienste der Freiwilligen-Korps für den Nothfall anzunehmen. Dalziel begründete eine Ne- solution zu Gunsten einer zweiten Abstimmung bei Par- lamentswahlen, wenn der Kandidat nicht die ablosute Majorität erhalten hat. Der Präsident der Lokalverwaltung Schaw- Lefevre erklärte, die Regierung habe es dem Hause überlassen, über die Frage eine Entscheidung zu treffen; er halte den Antrag für zweckmäßig und werde für ihn stimmen. Der Antrag wurde. mit 132 gegen 72 Stimmen angenommen.

Gestern wurde im Parlament der Jahresbericht Lord Cromer’s über die Fortschritte Egyptens vertheilt. Nach einem Hinweis auf die in verschiedenen Zweigen des öffentlihen Dienstés durchgeführten Reformen stellt Lord Cromer darin fest, daß die gegenwärtigen Minister und die höheren englishen Beamten der verschiedenen Depar- tements aufrihtig gemeinsam zur Wohlfahrt von Egypten arbeiteten, und daß zu hoffen sei, es werde kein

stehen, die geordneten Zustände ; aufrecht zu erhalten. Nachdem Sie

das Handels- |

widriges Ereigniß das gegenwärtig bestehende gute Ein- vernehmen stören. Wegen der Mißbräuche des Sklavenhandels sei zur Zeit eine Revision der Konvention von 1877 zwischen England und Egypten in Erwägung gezogen.

Frankreich.

Jr der gestrigen Sißung des Senats bemängelte Jsaac bei der Berathung des Kolonial-Etats die -Ver- waltra@g der Kolonien. Der Minister für die Kolonien. Cha,.utemps gab gewisse aus ‘dem Sudan und vom Senegal gemeldete Mißbräuche gui man vegfolne dieselben edoch nah Billigkeit, Gerechtigäeit und nach den Grund- säßen der sfklavereifeindlihen und zivilisatorishen Po- litik, die zu vertreten sich Frankreich zur Ehre rene. Die afrikanishe Politik werde auch fernerhin vor allem eine Handelspolitik sein, man werde sih bemühen, den Kolo- nisations - Kolonnen die Wege zu ebnen. Der Kolo- nial-Etat wurde hierauf angenommen. Bei der Berathung des Etats des Ministeriums des Aus- wärtigen erklärte der Minister des Auswärtigen Hanotaux

auf eine Anfrage Lamarzelle’s: die Angelegenheit des .

Forschungsreisenden Mizon und die Uganda-Frage, wegen deren er, der Minister undseine Amtsvorgänger, sehr dringende Vor- stellungen an die englishe Regierung gerichtet hätten, würden. leicht erledigt werden können, wenn sie nicht mit einer Gruppe von. Fragen von allgemeiner Bedeutung zusammenhingen, die seit langem zwischen den beiden Regierungen erörtert würden. Gerade diese Gruppe von Fragen habe in den leßten Tagen im englishen Unterhause zu einer seyr lebhaften Debatte Anlaß gegen Er wolle erklären, daß der Charakter, den diese

ebatte durch gewisse Redner erhalten dae Le die Debatte selbst ihn wirklih überrasht hätten. Wenn ein neues entschcidendes oder auch nur wichtiges N politischen oder diplomatishen Charakters eingetreten wäre, jo würde er die plößliche Erregung, die sih im englishen Hause kundgegeben habe, verstanden haben, aber er könne versichern, daß kein Ereigniß solhen Charakters vorliege. Die seit mehreren Jahren hinsichtlich der afrikanishen Angelegenheiten zwischen England und Frankreih eingeleiteten Verhand- lungen befänden sich noch in der Shwebe; die Diplomatie seße ihre Arbeit fort. Er sei nur darüber erstaunt, daß man anläßlich der am vergangenen Freitag im englishen Unter- hause abgegebenen Erklärungen dieser O Thatsache: niht Rechnung getragen zu haben scheine. frage sih, weshalb man gegen Frankreich. gleihsam öffentlich Beschwerde über dessen Absichten gerichtet habe, da man doch über deren Charakter nicht habe im unklaren sein können. Der Minister unterzog sodann drei Fragen: bezüglih des Niger, bezüglich des Mekong und bezüglich des oberen Nil|s einer Besprehung. und erklärte, hinsichtlih des oberen Mekong befinde sich die englisch-französishe Kommission in vollständigstem Einver= ständniß; in dieser Hinsicht sci keinerlei Schwierigkeit voraus- zusehen. Was den Niger angehe, so sei dies eine Frage nah dem Rechte der Niger-Kompagnie, die entgegen der inter- nationalen Berliner Akte beanspruche, den ganzen Handel in ihre Hände zu bringen und jeden Transit in dem von ihr mehr oder weniger thatsählich beseßten Gebiete zu unterbinden. Die Frage sei zwishen Frankreih und der britishen Regierung zu erörtern, aber, gestüßt auf die Afte vom Jahre 1885, bestreite die französishe Re-

‘gierung, bis die Frage auf diplomatishem Wege entschieden

sei, die Ansprüche der Niger-Kompagnie. Bezüglich der Frage des oberen Nils hob der Minister hervor, wie unbekannt das weite Gebiet zwishen den Seen und Wady-Halfa noch sei, und erinnerte an das englisch - deutshe Ab- fommen von 1890, das englis - französishe Ueberein- kommen, betreffend Sansibar, sowie an das Abkommen zwischen dem Congostaat und England vom Mai 1894 und das Abkommen des Congostaates mit Frankreih vom. August 1894. Die von Frankreih eingenommene Haltung, sagte der Minister, sei folgende : Die Gebiete, um die cs sich handle, ständen unter der Souveränetät des Sultans; wenn sie einen rechtmäßigen Herrn hätten, so würde es der Khedive sein. Dies vorausgeseßt, sagen wir zur englishen Regierung: Jhr crklärt, daß England kraft des Abkommens von 1890 einen Theil dieser Gebiete zu seiner Einflußsphäre rechnet ; laßt uns nun wenigstens wissen, auf welche Gebiete si Eure Ansprüche beziehen; sagt uns, bis wohin sih diese Einflußsphäre erstreckt, die nah Eurer Ansicht am linken Ufer des Nil beginnt und sich nach Norden hin, man weiß nicht bis wohin, ausdehnt; kurz, Jhr rihtet an uns eine unbe- stimmte Forderung, die in Wendungen formuliert ist, die zu verschiedenen Deutungen Anlaß gebèn. Jhr bringt in einem einzigen Saß die egyptishe und die englishe Einflußsphäre zusammen; sagt uns doch, wo Egypten aufhört und wo die Einflußsphäre anfängt, die Jhr fordert. Jhr wünscht, daß wir gegenwärtig, und nah meiner Ansicht vorzeitig, die fernere Gestaltung dieser Gebiete regeln. Jhr wollt unsere Zustimmung erlangen, ohne daß Jhr uns auch nur aus- einandersezt, wozu wir unsere Zustimmung geben sollen. Bei folchen Bedingungen könnt Jhr nicht erstaunt sein, daß wir unsere Einwilligung verweigern und uns unsere Freiheit bewahren. Auf so klare und berechtigte Fragen, fuhr der Minister fort, habe nun die französische Regierung eine be-

stummte Antwort nicht erhalten können. Wenn er die englische“

Negierung drängen wollte, zu antworten, so würden die Unter- handlungen abgebrochen werden und zwar nicht seitens der französishen Regierung. Aber, wenn man sich über einen anderen Punkt, Sierra Leone, habe verständigen können, jo glaube er, daß auch diese Fragen, so verwickelt sie auch seien, sich bei gegenseitigem guten Willen, ihre Lösung herbeizuführen, lôsen laßen würden. Zwischen Frankreich und England gebe es feine Frage des Angriffs oder heftigen Drängens, wo es sich um so verwickelte Probleme handle und wo so verschiedene Wege der Lösung ins Auge gefaßt werden könnten. Kein Mensh könne daran denken, den ersten, auf unzuverlässigen Karten flüchtig \kizzierten Abgrenzungen einen so unabänderlichen Charakter zu geben, wie ihn durch den Gang der Geschichte die Grenzen der europäischen Staaten besäßen. Ebenso könne niemand die Jnitiative unabhängiger Männer, welche zur Erforshung der neuen Ländergebiete auszögen, verhindern wollen. Wenn aber die Zeit gekommen sein werde, die Gestaltung jener fernen Gegenden endgültig zu bestimmen, dann werde er unter denen sich befinden, welche unter Achtung der Rechte des Sultans und des Khedive und unter Sicherstellung dessen, was jedem Einzelnen von Beiden nah seinen Leistungen zukomme, der Ansicht Pie daß die beiden großen Nationen die gecignete Form finden würden, um ihren Interessen und ihren gemeinsamen Wünschen für

als der Minister

ivilisation und Fortschritt zu genügen. Die Rede wurde Dr lebhaften Beifa unterbrochen, T sich auch erneuerte, Hanotaux die Tribüne verließ. Nachdem hierauf der Etat des Auswärtigen angenommen war, wurde die Sißung geschlossen.

Die zur Untersuchung über die Eisenbahnkonven- tionen eingesezte Kommission der Deputirtenkammer hat sich einstimmig gegen die gerichtlihe Verfolgung des früheren Ministers Raynal wegen der von ihm abgeschlo)senen Eisenbahnkonventionen ausgesprochen.

Rußland.

Anläßlih ihrer Hochzeitsfeier hatten, wie „W. T. B.“ aus St. Petersburg berichtet, der Kaiser und die Kaiserin zahlreiche Bittgesuche um Ang erhalten. Jn- folgedessen waren 50000 Rbi. zur Vertheilung bestimmt worden. Nach einem nunmehr im „Regierungsboten“ ver- öffentlichten Rechenschaftsberiht sind 41 683 Rbl. an ins- esammt 4916 Bittsteller vertheilt worden, unter denen sich 3696 St. Petersburger befanden. 500 Rbl. sind der „Phil- anthropischen Gesellschaft“ in St. Petersburg überwiesen und 3081 Rbl. an die Provinzial-Gouverneure zur Aus- theilung an 547 Bittsteller gesandt worden.

Der frühere Finanz-Minister Wyschnegradski ist in der vergangenen Nacht gestorben.

Ftalien.

Dem „Giornale“ zufolge wird die Vermählung des Herzogs von Aosta mit der Prinzessin Ent von Orleans am 183. Mai_ in Stovehouse stattfinden. Wegen der Trauer im Hause Orleans wird die Feierlihkeit einen vollständig privaten Charakter haben.

Spanien.

Die „Gaceta de Madrid“ veröffentliht ein Dekret, durch welches der frühere Minister der öffentlihen Arbeiten Jsasa zum Gouverneur der Bank von Spanien ernannt wird.

Jn der Deputirtenkammer erklärte gestern, wie „W. T. B.“ meldet, auf die Anfrage, ob der Kommandant des Kreuzers „Conde Venadito“ vor Gericht gestellt und seines Oberbefehls enthoben worden sei, weil er auf die „Alliance“ habe schießen lassen, der Minister der Kolonien Castellanos, er könne hierauf keine Antwort ertheilen. Die Wiederherstellung der aufgehobenen unteren Gerichte wurde von der Kammer mit 151 gegen 56 Stimmen abgelehnt.

Zorilla wird dem Vernehmen nah seinen Wohnsiß in Madrid nehmen.

Belgien.

Die Reprä sentantenkammer hat gestern noch ein Amendement zu dem Kommunalwahlgeseß angenommen, worin den früheren Gemeindewählern vom 2%. Jahre an eine Stimme auf Grund der besonderen Fähigkeiten (Kapazität) zugestanden wird. Das Geseg wurde sodann im Ganzen mit 90 gegen 52 Stimmen bei 3 Stimmenenthaltungen an- genommen.

Rumänien.

Das „Amtsblatt“ veröffentlicht das Finanzgeseß und das Budget für 1895/96. Das Parlament hat sih bis zum 22. d. M. vertagt.

Bulgarien.

Jn dem Prozeß gegen den ehemaligen Polizei-Präsidenten Lukanow und Genossen wurden Lukanow, der frühere Polizei-Kommissar Totew und der frühere Polizei-Agent S oif arow schuldig befunden, Luka Jwanow behufs Erlangung eines Geständnisses mißhandelt zu haben. Lukanow und Totew wurden zu 4 Jahren, Soistarow zu 3 Jahren Festungshaft, zum Verlust des Ranges und zum Ersaß der gemeinsamen Prozeßkosten verurtheilt.

Schweden und Norwegen.

Der König wurde, wie „W. T. B.“ berichtet, bei seiner Rückreise von Christiania vorgestern Abend mit großer Be- runs empfangen; auf allen Stationen wurde das Ln es Königlichen Sonderzugs enthusiastish begrüßt. uf dem illuminierten Bahnhofsplaß in Stockholm P aecten etwa 15 000 Menschen der Ankunft des Königs, der alsdann unter unausgeseßten Hurrahrufen der Menge über den ebenfalls festlih erleuhteten Gustav Adolf - Play zum Schloß geleitet wurde. Als die Menschenmenge vor dem Schloß den Königs- sang anstimmte, traten der König und die Königliche Familie wiederholt auf den Balkon, stets vom Jubel der Bevölkerung

begrüßt.

Amerika.

__ Der amerikanische Kreuzer „Marblehead“, gegenwärtig in Gibraltar, hat, wie „W. T. B.“ aus Washington meldet, Befehl erhalten, nah Beiruth zu gehen, ebenso sind einige Kriegsschiffe der Vereinigten Staaten nah Alexandretta und Adana beordert worden, falls die Besorgnisse wegen dortiger Christenverfolgungen sih als begründet erwiesen. Dic ver- antwortlichen türkishen Behörden sollen davon verständigt werden, daß die Vereinigten Staaten den dort unter Vertrags- garantien lebenden amerikanishen Bürgern vollen Schuß an- gedeihen zu lassen gewillt sien E

Dem Ministerium der Kolonien in Madrid ist eine Depesche des Gouverneurs von Cuba vom 4. d. M. zu- egangen, worin die Landung der Jnsurgentenführer

aceo, Valides und Crombet bestätigt wird. Eine Ab- theilung von 700 Aufständischen sei im Zentrum von Cuba bemerkt worden; man vermuthe, daß die Aufständischen die Absicht hätten, die Landung des Jnsur entenführers Gomez zu shüßen, der sih nah den leßten achrihten in Haiti befinde und sih bemühen solle, ein Schiff zu miethen, um auf Cuba zu landen.

Asien.

Das e Bureau“ meldet aus Simla von gestern, daß die erste Brigade der Chitral-Expedition, welche zur Beseßung der Ufer des Swat-Flusses vorgerückt sei, einen Zusammenstoß mit dem Feinde jenseits des alakand- passes gehabt habe. Einzelheiten über das Gefecht fehlten.

Parlamentarische Nachrichten.

Dem Hause der Abgeordneten is der vom Herrenhause enehmigte Entwurf eines Gesetzes, betreffend das Pfandrecht an rivateisenbahnen und Kleinbahnen und die Zwangs8- vollstreckung in dieselben, zugegangen.

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Nr. 14 des „Zentralblatts für das Deutshe Reich“, herausgegeben im Reichsamt des Innern, vom 5. April, hat folgenden Inhalt: Konsulatwesen: Entlassungen bezw. Einziehungen von Konfulaten. Marine und Schiffahrt: Erscheinen des neunten Nachtrags des internationalen Signalbuhs; Vorschriften über die Vermefsung der Schiffe für die Fabrt dur den Suezkanal. Zoll- und Steuerwesen : Veränderungen in dem Stande oder den Befugnissen der Zoll- und Steuerstellen; Abänderung von Tarafäßen. Polizeiwesen: Ausweisung von Ausländern aus dem Reichsgebiet.

Nr. 14 der Veröffentlihungen des Kaiserlichen Ge- E E IDa Es vom 3. April, hat folgenden Inhalt: Personal- achriht. Gesundheitsftand und Gang der Volkskrankheiten. Sterbefälle im Februar. Seeger Maßregeln gegen Cholera 2c. Desgl. gegen Pest. Oeffentlihes Gesundheitswesen in Nürn- berg, 1893. Desgl. in Hamburg. Gesundheitêverhältnisse in Budapest, 1881/91. Geseßgebung u. |. w. (Deutsches Reich.) Pockeneinshleppung. (Preußen, Reg.-Bez. Köslin.) Kindbettficber. (Bayern.) Meßgeräthe für Apotheken. (Württemberg.) JIrren- anstalten. (Mecklenburg-Schwerin.) Malleïn. Shweineseuchen. Diphtherieserum. (Elsaß-Lothringen.) Arzneizettel. (Dester- rei.) Amerikanishes Schweinefleish. (Großbritannien.) Not. (Dânemark.) _ Thierseuhen (Schluß). (Vereinigte Staaten von Amerika.) Schiffe ohne Gesundheitsattest. Gang der Thier- seuhen in Rumänien im 4. Vierteljahr. Desgl. in Serbien. Desgl. in Bulgarien. Zeitweilige Maßregeln gegen Thierseuchen. (Württemberg, Elsaß-Lothringen.) Vermischtes. (Preußen, Berlin.) Karlsbader Mineralbier. (Oesterreih.) Impf tof-Gewinnungs- anstalt in Wien, 1893/94. Monatstabelle über die Sterbefälle in deutschen Orten mit 15000 und mehr Einwohnern, Februar. Desgl. in größeren Orten des Auslandes. Wochentabelle über die Sterbefälle in deutshen Orten mit 40000 und mehr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Krankenhäusern deutsher Großstädte. Desgl. in deutschen tadt- und Landbezirken. Witterung. Grundwasserstand und Boden- wärme in Berlin und München, Februar.

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Bei Anwendung der Bestimmung des § 704 II1 1 des Preuß. Allg. Landrechts („Grobe Verbrechen gegen andere, wegen welcher ein Ghegatte harte und {mähliche Zuchthaus- oder Festungsstrafe nah Urtel und Recht erlitten hat, berehtigen den daran unshuldigen Theil, die Scheidung zu suchen.") if, nach einem Urtheil des Reichs- p IV. Sivilsenats, vom 25. Oftober 1894, niht zu unter-

cheiden zwishen Eheleuten gemeinen, mittleren und höheren Standes, vielmehr ist unabhängig von diesen sozialen Standesunterschieden aus\chließlich der Einfluß der Strafthat Und. der erlittenen Strafe auf das innere Wesen der Ghe u prüsen. Die Frau des Arbeiters W., eine unverbesserlißhe Diebin, war wegen Dieb- stahls im wiederholten Rückfall zu einer längeren Freiheitsstrafe verurtbeilt, welche sie verbüßte. W. klagte auf Chescheidung auf Grund des § 704 I[ 1 des A.-L. R. ie Klage wurde in der Berufungsinstanz abgewiesen, indem das Gericht aus der Lebens- stellung der dem Arbeiterstande angehörenden Parteien herleitete, es würden in diesen Kreisen auch längere Gefängnißstrafen erfahrungs- mäßig als niht so {chwerwiegend angesehen, daß deshalb dem Che- gatten des Bestraften das Zusammenleben mit demselben niht zu- emuthet werden könnte. Auf die Revision des Klägers hob das

eih8gericht das Berufungsurtheil auf, indem es begründend aus- Ur: e. DA8 ¿dr mg hat verkannt, daß bei der Anwendung des § 704 111 A. L.-N. die Prüfung darauf zu richten ift, welchen Einfluß die Strafthat und die erlittene Strafe auf das sittliche, bürgerliche und soziale Verhältniß der Eheleute und damit auf das innere Wesen der Ehe auszuüben geeignet sind. Das innere Wesen der Ehe ist aber von dem Stande und der Lebens- stellung der Parteien unabhängig. Der Geseßgeber hat, wie die Entstehungsgeschichte des ? 704 ergiebt, mit dieser Vorschrift beabsichtigt, „das feine Ehrgefühl dessen, der mit einem Verbrecher nicht zusammenleben wolle, zu shonen und ein solches Gefühl in der Nation zu wecken.“ Von diesem Ehrbegriff muß daher bei An- wendung des § 704 ausgegangen werden.“ (114/94.)

Bei Successivlieferungen einer Waare erstreckt sich, nah einem Urtheil des Reichsgerichts, VI. Zivilsenats, vom 7. Fe- bruar 1895, die Rücktrittsbefugniß des Käufers, wenn der Verkäufer au nur mit einer Rate im Verzuge ist, auf den ganzen Vertrag, soweit er nicht erfüllt ist, somit auf alle noch weiter fällig werdenden Raten. „In konftanter Rechtsprehung is vom Reichs-Ober-Handelsgericht in diesem Sinne erkannt worden, und das Reichsgericht hat sih der Anschauung des Reichs-Ober- Handelsgerichts in einer Reihe von Entscheidungen mit \solcher Entschiedenheit ange- \{lossen, daß in einer Entscheidung des I. Zivilsenats vom 1. Oktober 1887 die Anwendung dieses Satzes als feste Praxis des Reichsgerichts bezeichnet wird. Der erkennende Senat fand keinen Anlaß, von dieser feststehenden Rechtsprechung abzugehen." (342/94.)

Entscheidungen des Ober-Verwaltungsgerichts.

Die in dem Statut einer neuen Innung getroffene Satzung, daß von der Aufnahme in die Innung diejenigen aus- zusliesien sind, welche den an die Mitglieder der Innung in Bezug auf ehrenhaften Lebenswandel zu stellenden A derungen nicht genügen, ist, nach einem Urtheil des Ober-Verwaltungs- gerihts, IIT. Senats, vom 14. Januar 1895, rechtsgültig. Jedoch ift der Lebenswandel des Aufnahme Nachsuchenden deshalb nicht ohne weiteres als niht ehrenhaft zu erahten, weil er sih eines Haus- friedensbruchs oder wörtliher Beleidigungen von Innungs- mitgliedern huldig gemacht hat oder zu Streit und Zank geneigt ist und sih bisher als Gegner des Innungswesens bekannt gemacht hat. Diesen Personen kann deshalb nicht ohne weiteres die Aufnahme in die íFnnung versagt werden. Der Barbier P. war im Jahre 1889 aus der Barbier-Innung zu K. freiwillig ausgeschieden, beantragte aber im Jahre 1891 seine Wiederaufnahme in die Innung. Dies lehnte die Innung ab und die von P. beim Magistrat angebrachte Beschwerde wurde abgewiesen. Hierauf klagte P. gegen die Innung auf Aufnahme. Der Bezirk8ausshuß wies die Klage ab, auf die Berufung des Klägers aber änderte das Ober-Verwaltungsgericht die erste Entscheidung dahin ab, daß die beklagte Innung verurtheilt wurde, den Kläger aufzunehmen. „Die Rechtsgültigkeit", führt das Ober-Verwaltungsgeriht begründend aus, „der in dem Statut der beklagten Innung zu § 44d getroffenen Saßung, wona von der Auf- nahme in die Innung auch H auszuschließen sind, welhe den an die Mitglieder der Innung in Bezug auf ehrenhaften Lebenswandel zu stellenden Anforderungen nit genügen, is allerdings, da die be- flagte Innung ihre Verfassung nah Maßgabe der 97 ff. der Neichs-Gewerbeordnung umgebildet hat, in Binblid auf § 97 Nr. 1 und § 100 Abs. 4 anzuerkennen, Dem Vorderrichter war indeß darin nit beizustimmen, daß der Lebenswandel des Klägers zur Zeit, als über sein Aufnahmegesuch zu befinden war, und auch gegenwärtig nicht als ein ehreuhafter zu erahten wäre. In dieser Beziehung ift es völlig unerheblih, daß Kläger, als er noh der Innung angehörte, mit anderen Genossen die Streichung des § 18 Nr. 3 des Statuts beantragt hat, wonach aus der Innung diejenigen ausgeschlossen werden dürfen, welhe durch unehrenhafte Handlungen oder laster- haften Lebenswandel in {lechten Nuf gerathen sind. Denn hieraus erhellt weder, val Kläger die Streichung in der Absicht beantragt hat, au solchen Personen die Mitgliedschast zu erhalten, welche sich un- ehrenhafter Handlungen oder eines lasterhaften Lebenswandels \buldig gemacht haben, noch daß Kläger für seine Person der Ehrenhaftigkeit

verlustig gegangen ist. War Kläger, wie er behauptet, der Meinung, daß diese Saßzung entbehrlich und auch behufs Vermeidung einer miß- bräulihen Anwendung besser zu beseitigen sei, so durfte er dieser seiner Ueberzeugung durch die Stellung des Antrags auf Streichung der Saßung Ausdruck geben. Ebensowenig rechtfertigt die im Jahre 1888 erfolgte Verurtheilung des Klägers wegen Hausfriedens- druhs zu 5 G Geldstrafe einen Rückshluß auf die ihm abgehende Ebrenhaftigkeit. Auf den ine: des Hausfriedensbruchs ließe sh die Annahme, daß der Thäter die Chrenhaftigkeit nit mehr besißt, doch nur dann gründen, wenn dies aus den besonderen Umständen, unter denen der Hausfriedens- bruch verübt ist, klar erhellte, was hier indeß nicht zutrifft. Au darauf läßt si der Mangel an Ehrezuhaftigkeit auf Seiten des Klägers nit gründen, daß er seiner ganzen Anlage nah zu Streit und Zank geneigt ist. . . . Daß Kläger einzelne Innungsmitglieder wörtlih beleidigt hat, läßt sich, selbst wenn hierbei zu dessen Gunsten ent- \{huldbare Umstände niht in Betracht zu nehmen sein follten, doh feinenfalls als ein Mangel an Ebrenhaftigkeit beurtbeilen. Auf alles dies, wie auch darauf, daß Kläger nah seinem Austritt aus der Innung und während seiner Mitgliedshaft bei der freien Vereinigung deutscher Barbiere sich als ein Gegner des Innungswesens bekannt und \chließlich sogar aus Abneigung gegen die beklagte Innung die Bildung einer zweiten Innung für Barbiere beantragt hat, werde. es für die Beurtheilung des Aufnahmegesuchs doch nur dann ankommen, wenn die Aufnahme auch {hon solhen Personen versagt werden könnte, von denen zu besorgen wäre, daß sie-sich dem- nächst als unverträglihe Mitglieder erweisen und eine gemeinshaftlihe Förderung der Zwecke der Innung beeinträchtigen würden. Von einer solhen Auffassung hat sich anscheinend die Innung wie auh die Aufsichtsbehörde bei der nal des Auf- nahmegesuchs des Klägers vornehmlich leiten lassen, die Berehtigung eines derartigen Standpunktes läßt sh aber weder aus der Ge- werbeordnung noh aus dem Statut herleiten.“ (III. 65.)

Kunst und Wiffenschaft.

In der gestrigen leßten Sing des 13. Kongresses für innere Medizin in München führte Seine Königliche Hoheit der 4 Ludwig Ferdinand von Bayern den Vorsig. Der

rinz wurde, wie „W. T. B.* berichtet, zum ständigen Ehrenmitglicd des Kongresses ernannt. Geheimer Rath, Professor von Ziemßen erstattete sodann das Schlußreferat. Der Ort des nächsten Kongresses ift noch nicht bestimmt.

Land- und Forstwirthschaft.

_ Saatenstand in Ungarn. ;

Aus Budapest, 4. d. M., wird der „Wien. Ztg.“ gemeldet : Nach dem Saatenstandsberiht des Ackerbau-Ministeriums vom 1. April haben der lange Winter, die großen Schneefälle und der viele Regen die landwirthschaftlihen Arbeiten sehr behindert, und dürfte der An- bau in Frühjahrsgerste, Pas Naps, Weizen und Roggen bedeutend eringer werden. Die Ansichten bezüglih des Herbstanbaues sind Fbr divergierend; daß derselbe niht ohne Schaden aus dem Schnee hervorkam, is gewiß. Am meisten litten Roggen, Gerste und Raps, am wenigsten Weizen. Der in Roggen vorkommende Schaden wird auf 5 bis 509/06, in Gerste auf 5 bis 30 9/6, in Raps auf 2 bis 2509/9 und in Weizen auf 1 bis 15 9%/ geschäßt. In jenen Gegenden, wo ÜUebershwemmungen waren, ist der Schaden noch größer. Die nicht erfrorenen oder ausgefaulten Saaten zeigten bei Eintritt des Frühlings eine \chöne, frishe grüne Farbe. Diese Saaten können im N als zufriedenstellend bezeichnet werden. Ueber Futter- mangel werden beinahe im ganzen Lande Klagen laut. Die Wiesen entwideln sich nur langsam.

Theater und Musik.

Neues Theater.

Friedrih Mitterwurzer brahte für sein diesmaliges Gast- spiel einige Novitäten mit; die ersten, in denen er auftrat, sind ita- lienishen Ursprungs und von keineswegs hoher literarischer Be- deutung. Das Schauspiel „Die Unehrlihen“ von Gerolamo Novetta, das in einer Ueberseßung von O. Eisenschiß zur Auf- führung gelangte, erinnert in der Fabel an französische Vorbilder und im Stil an nordishe Dichter. Seitdem die nordischen Dichter die deutshe Bühne nicht E fo fleißig mit Dramen versehen, hat si das italienishe Drama überhaupt mehr bei uns ein- gebürgert. Die italienischen Stücke sind wie die nordischen zumeist dem Leben der Gegenwart entnommen, \reben ebenso kräftig wie jene eine natürliche Gestaltung der äußeren Verhältnisse und der seelishen Ent- wicklung an, aber an die Stelle der mystischen Empfindung, der Näthbsel des Seelenlebens tritt bei den südlichen Dichtern eine sih kräftig in den äußeren Vorgängen abspiegelnde, ungestüme Leiden- schaftlihkeit, die oft rein theatralisch ers{cheint. In den „Un- ehrlihen* wird ein ganz modernes Menschenshickjal in feinem nüchternen Verlaufe dargestellt. Carlo Moretti, ein Bankkassierer, ift von Natur die Ehrlichkeit selbst; einen Kollegen, der die Kasse an- gegriffen hat, verachtet er, aber bedauert ihn nicht, bis er selbft einer übermähtigen Versuchung erliegt. An diesem Beispiel wird - klar gelegt, daß der auf seine Ehrlichkeit niht stolz sein darf, dem die zwingende Versuhung noch nicht genaht is. Moretti’'s Weib hat zur Bezahlung ihres behaglihen Haushalts die selbstsüchtige Hilfe eines Freundes ihres Gatten angenommen, und als dieser plöglih ermordet wird, erfährt Moretti die Schande seiner s die er der Außenwelt durch eine noch glanzvollere Lebensführung verbüllen will. Der Zufall fügt es, daß er zuerst gerade das Geld jenes Mannes angreift, den er verahtet hat. Mit Moretti's Gefangennahme {ließt das Stück. Das Novetta’sche Schauspiel ist, wie man sieht, ein Thesenstück; die Figuren sind zumeist nur Träger von Ideen, ohne ein - wahrhaft eigenes inneres Seelenleben ; die Vorgänge entwickeln \sich nicht naturgemäß aus einander, fondern treffen mehr zufällig zusammen und sind oft mangelhaft begründet. Die Rolle des Carlo Moretti nimmt einen zu breiten Raum ein, was nur um deswillen nicht auffiel, weil sie von Herrn Mitterwurzer vortrefflich gespielt wurde ; besonders die Momente leidenschaftlicher ean brahte der Darsteller glücklich und menf{lich wahr jum

Ausdru

Fn der kleinen Posse „Ein Mustergatte® von Rosen nah einer ÎIdee Gnagnetti®s, welhe die zweite Abends bildete, ließ Mitterwurzer seinem Humor voil die Zügel \chicßen. Er war als unmuthbiger, zerfahrener Muftergatte in der That unwiderstehlih) komis. Mit kaum verbaltenem, innerem Grim trifft er die Vorbereitungen zum ersten Ball, den er mit feiner î Frau besuchen will, um zum Schluß nach taufend Jrrungen und V wirrungen die Nußlosigkeit der ganzen Aufregung zu erfahren; denn der Ball ist in einem Brief, der plößlich aufgefunden wird, lang? abbestellt worden.

Konzerte.

Die Herren C. Halir, C. Markees, Ad. H. Dechert gaben gestern im Saal Bechstein ihren vierten Kammermusik - Abend, wodei sie von dem hier ereits vortheilhaft bekannten Pianisten B. Bufonmt unterftügt wurden Dieses Streichquartett ist seit längerer Zeit im unseren Konzertfälen boch geschäßt; der s{öne volle Klang der Instrumente, die mutter hafte Präzision im Zufammenspiel und vor allen diz Tiefe der Aufs fassung fanden wieder lebhafte Anerkennung. Gestern gelangten nur Beethoven!\he Meisterwerke zum Vortrag. Der Somnate Aar itr Klavier und Violine (Kreuger gewidmet), welche den Abend erètfuete, folgten das große Es-Jur-Trio op. 70 und das Streiquartett V-dur op. d9 - Nr. 1. Der gestrige Adend war leider der Leut U dieser Saîisou: bofentlich werden die ausgezeidaeden KniUer U n nächsten Winter sich wieder bêren laffen.

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