frei E Beitr ate artei vi Ai R S Dp t E E E - Cs — a ais B -
wird Seine Majestät der Kaiser die Flottenparade über die ge- sammten, in der Kieler Bucht anwesenden deutshen und fremden Schiffe abnehmen, und auch bei dieser Flottenparade wird den übrigen Festtheilnehmern Gelegenheit gegeben werden, die Reiben der ein- heimishen und fremden Schiffe zu durchfahren. Am Abend des 21. Juni wird das Festmahl, welhes das Reich zu geben beabsichtigt, in; einer Festhalle stattfinden, welhe wir ebenfalls an der Mündung des Kanals bei Holtenau errihten werden, und
_am 22. Juni Vormiitags wird ein Flottenmanöver der deutschen
Schiffe in der Ostsee ausgeführt werden. Damit werden die Fest- lichkeiten abges{löfsen, und wir werden den Festtheilnehmern am Mittag des 22. Juni Lebewohl sagen.
äIch sagte hon, daß die Festtheilnehmer während der ganzen Dauer der Feierlichkeiten auf Schiffen untergebraht sein werden, welche wir zu diesem Zweck gechartert haben, und welche ihnen für die ganze Daner der Festzeit ein hoffentlich behaglihes Unter- fommen gewähren werden. Es ‘ist klar, daß eine so ausgedehnte Feier, wie ih sie Jhnen kurz geschildert habe, wenn fie anders des Deutschen Reichs und ihrer Bestimmung würdig gestaltet werden foll, nicht unbeträchtlihe Kosten verursaht. Es wäre nun zwar möglih gewesen, diese Kosten auf einen Titel anzuweisen, welher in dem Baufonds für den Nord-Ostsee-Kanal für repräsen- tative Zwecke bestimmt ift. Allein abgesehen davon, daß dieser Titel auch noch anderen Zwecken dient, fo reiht au sein gegenwärtiger Bestand — es sind etwa 350000 4 noch in ihm vorhanden — weitaus niht hin, um ohne eine sehr erheblihe Ueberschreitung die Kosten der Feierlichkeiten bestreiten zu können. Es ift deshalb ange- messen erschienen, in einem besonderen Antrag auf Bewilligung von Mitteln an den Bundesrath und an den Reichstag heranzu- treten, und dies empfiehlt sich um #o mehr, als wir wünschen müssen, daß auch der Reichstag sein Ja und Amen zu dém Unter- nehmen spricht, und daß auch er dadur, daß er die Kosten für diefen Zweck besonders bewilligt, den vaterländishen Stempel, den natio- nalen Charakter der Feier zum vollen Ausdruck bringt. Ich freue mich, hier dankbar anerkennen zu können, daß das Präsidium des Reichstags in Würdigung dieses Grundes sich bereits bereit erklärt hat, an den Vorarbeiten für die Feierlihkeiten mitzuwirken.
Nun, meine Herren, erscheint ja die Summe, welche wir von Fhnen erbitten, manchem vielleiht recht hoch. Allein, wenn Sie erwägen, daß es in der That ganz außerordentliche Leistungen sind,
wel@e von uns beansprucht werden angesihts der großen und leb-
haften Theilnahme auswärtiger Schiffe, angesichts der Theilnahme einer so großen Zahl von Festgästen, wie wir sie wünshen müssen, so werden Sie zugeben, daß “die geforderte Summe doch nicht als eine übermäßige angesehen werden kann. Ich habe in den leßten Tagen Studien über die Feierlichkeiten gemacht, welche bei der Er- öffnung dés Suezkanals stattgefunden haben, und wenn ih auch weit entfernt bin, den Notd-Ostsee-Kanal mit dem Suezkanal in Parallele zu stellen, und wenn ih mir auch gegenwärtig halte, daß damals die Zahl und der Umfang der veranstalteten Feierlichkeiten ein weit größerer war, als wir ihn in Aussicht genommen haben, so werden Sie doch anerkennen müssen, auch in voller Würdigung dieser Umstände, daß wir uns in bescheidenen Grenzen halten, wenn ih Ihnen sage, daß nah ziemlich verbürgten Nachrichten die Eröffnung des Suezkanals dem damaligen Khedive 50 Millionen Francs gekostet hat. Nun, meine Herren, vermag ih Ihnen aber für die Ihnen zugemuthete Entschließung auch noch einen Trost mit- zugeben, und das is folgender: die Bauleitung des Nord-Ostsee- Kanals hat sih nah Kräften bemüht, vom ersten Tage an zwar so
“folide, aber au so sparsam zu bauen, wie irgend mögli, und ih
zweifle heute nit, daß, wenn nicht ganz außerordentliche, unvorher- gesehene Zwischenfälle eintreten, wir niht allein mit dem uns über- wiesenen Fonds von 156 Millionen auskommen werden, sondern daß es uns voraussihtlich auch gelingen wird, einen Abschluß vorzulegen, welcher eine nicht unerheblihe Ersparniß aufweist. Diese Ersparniß ist zur Zeit geshäßt auf 700 000 (A (Große Heiterkeit.) .
Meine Herren, das scheint Ihnen etwas wenig gegenüber einer Summe von 156 Millionen; aber wenn ich Ihnen näher aus- einandersezen wollte, was wir gegenüber dem ursprünglichen Plan mehr geleistet haben, daß wir den Kanal, um ihn auch für die allergrößten Schiffe benußbar zu machen, noch um einen halben Meter tiefer ausgebaggert haben, als wie es unsere Marine- verwaltung gefordert hatte; wenn ich Ihnen sage, daß man eine ganz neue feste Brücke noc gebaut hat, die ursprünglich nicht in Aus- sit genommen war: dann werden Sie auch diese kleine Ersparniß gern einstreihen, und das um so lieber, wenn ich Ihnen weiter mittheile, daß die Berehnung dieser Ersparniß mit der äußersten Vorsicht aufgemacht ist. Man hat bei ihrer Schäßung einmal alle Forderungen, die noch an uns zu erheben sind, au die ihrem Grunde oder ihrer Höhe nah recht zweifelhaften, zum vollen Betrage eingestellt und hat außerdem bei der Berechnung des Werths der- jenigen Objekte, welche wir noch veräußern dürfen — und dazu ge- hört eine Anzahl von Grundstücken, die einen ganz hübschen Werth repräsentieren — zu einem sehr mäßigen Betrage angeseßt. Ich kann Jhnen zwar nicht versprechen, daß durh den Baufonds der ganze Betrag der heutigen Forderung gedeckt werden wird, aber ih glaube mih nicht in der Voraus\age zu irren, daß über die Hälfte dessen, was wir heute von Ihnen begehren, durch Rüdeinnahmen bei der Kanal- verwaltung seine Deckung finden dürfte.
Also, meine Herren, ih glaube, Sie können anftandslos die Summe, die wir von Ihnen gefordert haben, bewilligen, und wenn Sie das thun und wenn Sie uns dadurch die Möglichkeit geben, Sie am Kanal zu begrüßen, Sie davon zu überzeugen, daß es ein wohl- gelungenes Werk ist, das wir Ihnen vorstellen, ein Werk, das der deutschen Arbeit zur Ehre gereiht und das bei verständiger Aus- nußung auch die Erwartungen zu erfüllen verspriht , die an seine Herstellung rücksihtlich der Förderung der Interessen des Händels und der Schiffahrt, und vor allen Dingen rücsihtliß der Wohl- fahrt . unserer braven Seeleute geknüpft sind: dann, glaube ich, werden Sie Ihre heutige Zustimmung nicht bedauern.
Auch dieses Fest, für das wir Jhre Unterstüßung und Jhre Mit- wirkung erbitten, 1} ein vaterländisches Fest, ein vaterländishes Unter- nehmen, werth der Förderung aller Vaterlandsfreunde. Auch von ihm gilt der Saß: pro patria est, dum ludere videmur. (Bravo!)
Abg. Bebel (Soz.): Jch gebe zu, daß das Werk, um das es fich handelt, ein vaterländishes ist. Der Gedanke desselben is aber
niht neu; er wurde“ shon im 17. Jahrhundert erwogen und dann wieder in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts besonders propagandiert.
Es gereiht meiner Pärtei zur Genugthuung, “daß beso zwei Mäüner, die wir verehren, Marx und Friedrih Engels, den Gedanken hauptsählich befürwortet haben. Vor zehn Jahren haben meine Pariei- genofen einmüthig erklärt, daß fie die Mittel für den Nord-Dstsee- anal bewilligen, obwohl damals das militärishe Moment in den Vordergrund geschoben wurde. Ich hoffe, daß das Werk niemals für militärishe Zwecke Verwendung finden wird. Ich begreife, daß man jeßt den Plan hegt, die Vollendung des Werks mit einer entsprechen- den Feier zu beleben: Ich bedauere, däß wir diesem Plan keine freuñnblihe Seite abgewinnen können. an sfollte in erster Linie eigentli derer gedenken, die mit ihrer Kraft und ihrem Schweiß das
erk geschaffen haben, der 10/000 Arbeitér, die aus ganz Deutsch- land dem Kanal zugeströmt sind. Kein Menfch fragt dar- nad, was aus ihnen jeßt werden soll. Auch viele An- wohner des Kanals sind geschädigt worden, - indem ihnen das Wasser abgegtkaben wurde und sie zu neuen Brunnen- bauten genöthigt wurden. Diese Schädigung sollte man gut machen. Zu einer Feier, wie sie geplant ist, können wir unsere Zustimmung nicht geben. Einmal sind wir Gegner folcher offiziellen Fefte über- haupt; dann verbietet es die Finanzlage, solhe Ausgaben zu machen. Und wer {ind die Kreise, die das Fest arrangieren? Diejenigen, die gerade uns mit ihrer befonderen Feindschaft begegnen. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß demnächst eine Vorlage hier berathen werden foll, die bert ist, der Sozialdemokratie einen Mühlístein an den ADIa zu hängen, so wird män és verstehen, daß wir nicht für die Vorlage stimmen können.
Abg. Richter (fr. Volksp.): Wir bewilligen die geforderte Summe, cbwohl wir gewünscht hätten, daß die Vorlage zu einer Zeit eingebraht worden wäre, wo der Etat noch niht abgeschlossen war. Wir sind nit darae die Matrikularbeiträge zu erhöhen. Was die von dem Abg. Bebel berührte Umsturzvorlage betrifft, so hoffe ih, daß sie in der Häuptsache, wenn die Festlichkeiten stattfinden, hon abgelehnt sein wird. :
In der E angeschlossenen zweiten Berathung nimmt zu den Einnahmetiteln abermals das Wort der
Abg. Richter (fr. Volfsp.), um sih gegen die Aufbringung der Mittel im Wege der Matrikularbeiträge auszusprehen. Die Deckun wird bei der geringen -Veranshlagung der Einnahmen im Etat d im Rahmen dér bisherigen Bewilligungen ermöglichen lassen. Ein besonderer Grund, si der vorgeschlagenen Erhöhung der Matrikular- beiträge zu widerseßen, liegt darin, daß der Reihs-Schaßsekretär diese Maßregel in der Tabacksteuerkommission bereits zu Gunsten der Be- willigung der Tabackfabrikätsteuer zu verwerthen gesucht hat. Ich beantrage die Uebérweisung des Titels an die Budgetkommission.
Dieser Antrag wird abgelehnt und der Nachtrags-Etat unverändert genehmigt.
Zu der hierauf folgenden zweiten Beratzung der Ueber- sicht der Reihs-Ausgaben und -Einnahmen für 1893/94 liegt der Antrag der Rechnungskommission vor:
Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, in Zukunft Unter- nehmungen in den Kolonien, die voraussihtlih größere Etats- übérshreitungen zur Folge haben, in der Regel nur zu beginnen, E vom Reichstage die erforderlihen Nachtragskredite bewilligt ind.
Das Haus stimmt diesem Antrage zu.
Es folgt die von den Abgg. Liebermann von Sonnenberg und Genossen (d. e eingebrahte Jnterpellation, die folgenden Wortlaut hat:
Welche Maßregeln gedenken die verbündeten Regierungen zu ergreifen, um die Ausbeutung, von welcher das gesammte deutsche Bolk durch die künstliche Preistreiberei des Petroleums augenblicklich betroffen ist, zu beseitigen ?
Auf die Frage des Präsidenten, ob die Regierung bereit sei, die Jnterpellation zu beantworten, nimmt das Wort der
Staatssekretär des Jnnern, Staats - Minister Dr. von Boetticher:
Ich bitte, die Erklärung darüber, cb ich bereit bin, die Inter- pellation zu beantworten oder nicht, mit einigen erläuternden Be- merkungen begleiten zu dürfen.
Meine Herren, die Dinge, auf welhe sich die Interpellation bezieht, die NRingbildung in Bezug auf den Petroleumhandel in Amerika, sind der Aufmerksamkeit der verbündeten Regierungen nicht entgangen. Schon seit längerer Zeit ist die Reichsregierung im Verein mit der preußishen Regierung mit der Frage beschäftigt, ob und welche Maßregeln zum Schuß der deutshen Interessen gegenüber dieser Ringbildung zu ergreifen sein möchten. Die Erwägungen sind dem Abschluß nahe; die Beschlußfassung darüber, was zu thun ift, hat aber bis heute noch nicht erfolgen können. Ich halte es unter diesen Umständen niht für gerathen, über das Ergebniß der angestellten Ermittelungen und Erwägungen, über den Stand der Dinge und über die einzelnen Maßregeln, welche in der Presse und aus dem Kreise der Interessenten heraus angeregt worden sind, hier mich zu äußern; ih glaube vielmehr dem Juteresse des deutschen Handels und der Konsumtion mehr zu entsprehen, wenn ih zur Zeit die Beantwortung der Interpellation ablehne.
Abg. Dr. Barth (fr. Vg.) beantragt die Besprehung der Interpellation. j
Präsident Freiherr von Buol ‘ertheilt, ohne die Unter- stüßung dieses Antrags festzustellen, das Wort zur Begründung der Jnterpellation dem
Abg. Zimmerman (d. Refp.): Gegenüber den ungebührlichen Vorgängen, welche unsere Anfrage betrifft, ist es Pflicht des Staats, einzugreifen. Es handelt sich um einen Auswuchs des Kapitalismus, der allerdings der Sozialdemokratie, die sih {hon als Erben diefer Wirthschaftsordnung sieht, nur erwünscht sein kann. Wenn hiergegen nichts geschieht, dann wird man allerdings sagen können, daß in Deutschland das Wort gilt : Die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen. Man würde sagen können, daß wir zum Unter- gange reif sind. Noch ift es Zeit! ôge die Reichsregierung Schritte thun, die Interessen des Volks zu s{hüzen gegen die Ausbeutung durch das internationale Judenthum.
Jn einer längeren Me Ma Ing ed eatie wird festgestellt, daß nah dem Sinne der Geschäftsordnung, sofern die Regierung die Beantwortung einer Jnterpellation ablehnt, der Jnterpellant das Wort nicht erhalten solle, wenn nicht ein
Antrag auf Besprehung die genügende Unterstüßung er-
halten habe.
Abg. Dr. Bar h zieht den Antrag auf Besprehung zurü. Nachdem ihn Abg. Liebermann von Sonnenberg wieder aufgenommen, erhält er eine Unterstüßung von 48 Stimmen, die niht ausreicht. Damit wird der Gegenstand verlassen.
Das Haus erledigt sodann eine Anzahl Wahlprüfungen.
Die Wahlen der Abgg. Siegle-Stuttgart * (nl.), Münch-Ferber- r Cred (nl.) und Engels-Hannover (NRp.) werden für gültig ertiart. 4
Bezüglich der Wahlen der Ab s: Dr. Meyer - Halle (fr. Vg.), Pauli-Potsdam (Rp.) und Pöhlmann- Elsaß-Lothringen (Rp.) werden weitere Erhebungen beschlossen.
Die Wakhl des Abg. Dr. Böttcher - Waldeck (nl.) beantragt die Wahlprüfungskommission für ungültig zu erklären.
Abg. Dr. von Marquardsen (nl.) beantragt, die Wahl- prüfung von der Tagesordnung abzuseßen, und ei ina der Ablehnung dieses Antrags die Beschlußfähigkeit des Hauses
- Die Auszählun ergiebt die Anwesenheit von 160 Ab- geordneten. Das Haus ist demnach nicht beschlußfähig. Schluß 4 Uhr.
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
61. Sißung vom Freitag, 3. Mai.
e den Beginn der Sizung is gestern berichtet worDen.
Auf der Tagesordnung stand zunächst der Antrag von Mendel - Steinfels (kons) auf Bewilligung von 20 Millionen Mark behufs Befriedigung des Kreditbedürfnisses landwirihshaftliher Genossen| schaften zu einem niedrigen Zinsfuß, womit der An- trag Dr. Arendt (fr. kons.) verbunden wurde: die Königliche Staatsregierung zu ersuhen, dem Landtage baldmöglichst eine Vorlage wegen Errichtung einer staat- lihen Zentral-Kreditanstalt für die Kreditbedürf- nisse des kleineren Grundbesißes und des Hand- werkerstandes zu machen. j /
Nachdem Abg. von Mendel-Steinfels seinen Antrag eingehend begründet hatte, erhielt das Wort
Abg. Schenck (fr. Volksp.), welcher in längerer, in den Einzel- heiten auf der Tribüne “unverständliher Darlegung ausführte, die Bildung von Genossenschaften sei das beste Hilfsmittel zur Hebung der Nothlage jedes Gewerbes. Eine Unterstützung S tres sei aber überflüssig, die zahlreichen bestehenden Genofsen]haften hätten bewiesen, daß sie ihren Bedarf an Geld selbs beschaffen könnten. Auch die Landwirthe hätten den Kredit der Genossenschaften reihlich benußt. Eine staatliche Unterstüßung von 20 Millionen würde eventuell recht bald verbrauct sein. Er erkläre sich also gegen den Antrag Mendel, aber au gegen den Antrag der freikonservativen Fraktion, ein Zentral- institut neu zu \chafen, da solhe in der Seehandlung und in der Reichsbank {on vorhanden seien.
Abg. Graw - Allenstein (Zentr.): Der Antrag des Abg. von Mendel sei - eine dankenswerthe Anregung für die Regierung, zu dem freifonservativen Antrage passe der erstere niht. Er sei hier für eine reinlide Scheidung. eehandlung und Reichsbank seien nicht für das Kreditbedürfniß der Landwirthe eingerichtet. Für einen festen Zinsfuß, wie ihn Herr von Mendel wünsche, könne er \sich nit entscheiden ; er wünsche den Zinsfuß nah der Konjunktur des Geldmarkts festgeseßt zu sehen. Redner beantragt Ueberweisung des Antrags an eine Kom- mission von 21 Mitgliedern. :
Abg. Gamp (fr. kons.): Gegen den Antrag Mendel liegen \o- viel praftishe Bedenken vor, daß eine Annahme desselben im Plenum ausgeschlossen erscheint. Beide Anträge sollten einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen werden. Einer reinlihen Scheidung zwishen landwirthschaftlihem und Handwerkerkredit bedarf es nicht. Der Handwerker braucht ebenso langen Kredit wie der Landwirth, und ebenso muß er wie der S audicaeti vor Wechseln bewahrt werden. Zwischen Landwirthschaft und Handwerk besteht kein Unterschied. Es würde im Lande mißverstanden werden, wenn hier nur ein Antrag angenommen wird, der lediglih die Landwirthschaft berücksichtigt. Nach Einführung der Goldwährung kann die Reichsbank zum Kredit des Handwerks und der Landwirthschaft niht mehr beitragen. (Sehr rihtig! rechts.) Das Privatkapital hat sich jeßt in einer Weise assoziiert, daß die Regierung durch die Gründung staatlicher Banken dem ein Gegengewicht bieten muß. Die Genossenschaften allein genügen nicht zur Befriedigung des Kreditbedürfnisses, der mittlere Grundbesigerstand hat sich von den Genossenschaften in weiten Kreisen ferngehalten. Es wäre ja auch ein Leihtsinn, wenn ein wohlhabender Mann einer Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht beiiräte; die Naiffeisen'schen Vereine aber his meistens auf dem Grundsay der unbeschränkten Haftung aufgelgut. Bei den bestehenden Kreditgenossenschaften werden 6 bis 79/0 gefordert. Deswegen verlangen wir ein Zentralinstitut für Yerforiate und Lombardkredit. Namentlich der leßtere muß im Interesse der Landwirthschaft erheblich erweitert werden. Auch die Sparkassen follten zur Erweiterung des Kredits beitragen. A
Abg. Sattler (nl.): Ich glaube sagen zu können, daß wir im
rinzip wit den Herren Freikonservativen und Konservativen überein- timmen, wenn wir auch annehmen, daß bei Eintritt von Staatshilfe die bestehenden Kreditinstitute, rihtig organisiert, genügen dürften. Es kommt also nur darauf an, wie dieser Gedanke ausgeführt wird. Daher halte ih eine Kommissionsberathung für voll- kommen überflässig. Ebenso wird man auch erst später, wenn eine bestimmt formulierte Vorlage vorhanden sein wird, die Frage erörtern können, ob der Kredit für die Landwirthschaft und die Hand- werker gemeinsam oder getrennt geschaffen werden soll. Ich bin daher der Ansicht, daß die Staatsregierung auf die Zustimmung des Hauses renen kann, wenn sie in diefer Richtung vorgeht. Jch erlaube mir zum Schluß die Anfrage zu stellen, ob die Staatsregierung Schritte ethan hat, um dort, wo keine staatlichen Grundkreditanstalten be- tehen, folhe zu gründen.
Finanz-Minister Dr. Miquel:
Meine. Herren! Die Staatsregierung hat sich seit längerer Zeit damit beschäftigt, zweckmäßige Reformen sowohl auf dem Gebiete des Realkredits als des Personalkredits namentlich für die Lanwirthschaft in Erwägung zu ziehen und zur Erörterung zu bringen. Insbesondere ist auch die hier vorliegende Frage der Begründung einer zentralen Ausgleichungsstelle für die landwirthschaftlihen und kleingewerblichen Genossenschaften seit längerer Zeit eingehend erwogen zwischen dem Finanz-Ministerium und dem Minister der Landwirthschaft. Die Vor- bereitungen, in dieser Beziehung einen entscheidenden Schritt zu thun, find schon sehc weit gediehen. (Hört, hört!) Es sind noch einige Fragen näher zu klären, und es war die Absicht, alsbald eine Konferenz von sahkundigen Männern zu berufen, die eigene Erfahrungen auf dem Gebiete des Genossenschaftswesens gesammelt haben, um mit ihnen die Einzelheiten einer solhen eventuellen Vor- lage näher zu besprehen. Würden diese Arbeiten, fo wie sie jezt eingeleitet und fortgeshritten sind, nicht auf ein besonderes Hinderniß stoßen, so wäre es wohl noch möglih, wenigstens nah Pfingsten dem Landtag eine bestimmte Vorlage nah dieser Richtung zu mahen. (Bravo!) Denn, meine Herren, wir sind allerdings mit Ihnen der Ueberzeugung: in der gegenwärtigen Lage sollen die Dinge, die überhaupt gethan werden können zu Gunsten der Verbesserung der Lage der Landwirthschaft, {nell geschehen. (Lebhaftes Bravo rechts.)
Meine Herren, das Personalkreditwesen hat ja in den leßten Fahren au in den öftlihen Provinzen, wo es sehr zurückgeblieben war, einen erfreulihen Fortschritt gemaht; es läßt sich gar niht bestreiten, daß die Zahl der Genossenschaften, ihre Organisation, das Verständniß der Bevölkerung für den Segen dieser Genossenschaften außerordentlih gewachsen ist. Es haben si dabei eine große Zahl hier im Hause befindliher Männer um diese Sache außerordentlihe Verdienste erworben (sehr wahr!); aber je näher man der Sache tritt, desto mehr findet man doh, daß das allerdings ja höchft erfreulihe langsame Fortschreiten dieser Bewegung in ganz Preußen, namentli in den östlihen Provinzen vielfah von Zufälligkeiten abhängig ist und andererseits vielfah auch auf große Schwierigkeiten in der Sache
stößt. Meine Herren, wenn ih spreche von Zufälligkeiten, habe ih haupt- sählich im Auge, daß es mehr oder weniger ein Zufall ist, ob in einer be- stimmten Gegend ein einziger Mann aufsteht, der sh besonders für die Sache interefsiert, und aus freier innerer Bewegung, nur die Wohlfahrt seiner Landesgenossen zu fördern, sih der Sache widmet, ein \egens- reicher Prophet, möchte ih sagen, für diese Sache ; das is mehr oder weniger zufällig. Wir haben in einzelnen Bezirken in Schlesien, in Ost- und Westpreußen, in Pommern einen {önen Anfäng solcher Organisationen, während in anderen weiten Distrikten eigentlich noch alles fehlt. Allerdings haben verschiedene Vereine mit Unterstützung des Herrn Ministers für die Landwirthschaft eine sehr rege und regere Thätigkeit in den östlichen Provinzen in den leßten Jahren ent- wickelt und haben auch \{öône Resultate; aber im Großen und Ganzen fehlt doch die durchgreifende sichere Organisation, die feste Garantie eines ununterbrohenen Fortschreitens.
Wenn ich den Herrn Abg. Schenck rihtig verstanden habe — das war fehr s{chwer, ih habe ihn eigentlih sehr wenig verstanden — (lebhafte Zustimmung), so war er der Meinung, eine solche Zentralstelle sei niht nöthig, weil den Genossenschaften Mittel genug zur Disposition ständen, um ihre Bedürfnisse auf dem Gebiet der Selbsthilfe zu deken. Nun, wo das der Fall ist, braucht diese Art von Verbänden \ick& ja niht an die Zentralstelle zu wenden. (Sehr richtig! rechts.) Die Zentralstelle kann ihnen jedenfalls nihts schaden, aber der Grundidee, die hier gefördert werden foll, stimmen die Herren ja selbst bei, daß es ein Segen is, wenn derartige Genossenschaften sich weiter entwickeln und eine feste Kredit- form für den Personalkredit der Landwirthshaft und des kleinen Handwerks darstellen. Wenn er aber vielleiht der Meinung ist, daß für die ländlichen Kreditgenossenshaften und Verbände in der ganzen Monarchie ein Bedürfniß nah einer zentralen Ausgleihungs- stelle nicht vorhanden wäre, so muß ih, der ih mich in der leßten Zeit eingehènd mit der Sache beschäftigt habe, in Uebereinstimmung mit allen den erfahrenen Männern, mit denen ih mich darüber unter- halten habe, das entschieden bestreiten. (Lebhafte Zustimmung rets.)
Man hat ja früher vielfach auf Seehandlung und Reichsbank hingewiesen. Ich habe meine Ansicht hon dahin geäußert, daß diese Institute die Aufgabe, die wir hier vorzugsweise vor uns haben, nah ihrer ganzen Organisation niht recht erfüllen können. Das liegt in dem Hauptzweck, dem sie dienen: der kaufmännische Kreditverkehr it und wird immer bleiben ein ganz anderer als der der Landwirthschaft. (Sehr richtig! rets.) Im kaufmännischen Kreditverkehr if Kürze des Kredits die Haupt- fache; wenn da der Dreimonatswechsel, der Lombard auf 3 Monate oder die Abrehnung auf 3 Monate das Regelmäßige fein wird, verlangt das Interesse der Landwirthschaft meist, da der Umschlag der Landwirthschaft ein viel langsamerer ist, erheblichß längere Kredite. (Sehr richtig! rechts.) Das können diese Institute an sich wohl nit leisten. Dann aber is im kaufmännishen Verkehr jederzeitige Flüssigkeit der Außenstände, die Möglichkeit der rashen Einziehung naturgemäß viel eher gegeben, in der Landwirthschaft aber niht. Die Landwirthe werden die empfan- genen Vorschüsse meist nur zurückzahlen können, wenn sie threrseits erheblihe Einnahmen bekommen, und dies geschieht in erheblihem Betrage nur nah der Ernte.
Ich glaube, es ift daher {on an {ih richtig, ein besonderes Institut hauptsächlich für diesen Zweck zu gründen.
Daß dabei der Staat seine eigentlihe Aufgabe niht überschreitet, wenn er, nachdem er dieReichsbank begründet und mit erheblihenPrivilegien ausgestattet hat, nachdem wir Jahre lang die Seehandlung besißen, sich in der Zentralinstanz dem Kredit der Landwirthschaft förderlich erweist, und daß er damit niht ganz neue Bahnen beschreitet, liegt ganz flar auf der Hand. (Lebhafter Beifall rechts.)
Der Herr Antragsteller von Mendel hat seinen Antrag genau in dem Sinne motiviert, wie der Antrag der frei- fonservativen Partei lautet, und auch der Herr Abg. Dr. Sattler hat mit vollem Reht darauf hingewiesen : eine sachliche Verschiedenheit, abgesehen von der Formulierung der Ant räge, ist nach dieser Nichtung gar niht hervorgetreten. Namentlich freut es mich, daß er kein Gewicht mehr gelegt hat auf einen festen Maximalzinsfuß, den dieses Zentralinstitut zu nehmen berechtigt wäre. Wenn Sie dabei geblieben wären, fo hätten Sie von vornherein den Keim des Todes hineingelegt. (Sehr richtig)) Denn Geschenke, Zu- wendungen , Liberalitäten haben kurze Beine, sie nüßen der Landwirthschaft nicht viel, sind ein Tropfen auf einen heißen Stein. Sie müssen dieses Institut zu einem wirklih geshäftlihen Institut machen. Dann hat es eine große Entwickelung vor sich. Wollen Sie das aber, so können Sie keinen firierten Zinsfuß haben, er muß fich einigermaßen richten nah dem jeweiligen Stand des Geld- markts. Ein Anderes i} vollständig unmöglih; das haben bis jeßt auch die einzelnen Genofsenshaften thun müssen. Meine Herren, die Grundrentner auszuschließen und die Meinung zu vertreten, daß man dafür eine ganz besondere Organisation machen müffse, halte ih nit für rihtig. Wir wollen namentlich dem Mittel- stand in Stadt und Land helfen, und daß dazu in erster Linie auch die Handwerker gehören, ist klar; nur müssen die Handwerker dieselben Bedingungen erfüllen und erfüllen können, welhe nothwendig für dieses Zentralinstitut gestellt werden müssen. (Sehr richtig! rechts.)
Meine Herren, das Zentralinstitut kann nach meiner Meinung niht unmittelbar Kredit geben an einzelne kleine Darlehnskafsen, ohne daß es die Kreditwürdigkeit der Verwaltung in der Weise revidiert, daß man die Sicherheit der Vorschüsse beurtheilen kann, — davon kann meiner Ueberzeugung nah nicht die Rede sein. Das Institut wird si allerdings keineswegs zu beshränken brauchen auf die Ver- bände der kleinen bäuerlihen Besißer, sondern wenn größere Guts- besiger ähnlihe Verbände bilden, so wird es dieselbe Stellung dazu nehmen können. Eine Kreditgewährung an einzelne Grundbesiger halte ich nach der ganzen Stellung dieses Zentralinstituts für kaum denkbar und für höchst ge- fährlih. (Sehr richtig! rechts.) Allerdings wird das Kreditinstitut, — und ih betrachte das niht als Nachtheil, sondern als Vortheil — ih lebhaft beshäftigea müssen mit der Verwaltung der Verbände selbst, mit denen es in Geshäftsverbindung steht ; wenn es in dieser Richtung, ohne bureaukratishe Beaufsichtigung zu beanspruchen, doch in enger Kenntniß der Verwaltung derselben bleibt, so wird es dur Einwirkung auf die Organisation, durh Rathschläge u. #. w. auf den Loigant der genossenschaftlihen Kreditentwickelung nüßlih einwirken
nnen.
Meine Herren, die einzelnen Fragen, wie hoh das Betriebs-
kapital eines folen Instituts zu bemessen sein wird, wie die Orga- nisation, die Beamtenschaft \ih gestalten wird — alle folche Einzel- fragen, auhch selbst die Frage, die angeregt worden is in Beziehung auf dié Handwerker, glaube ih, hätte das Haus heute wohl nit zu behandeln. Es kommt dabei nicht viel heraus. Sie werden das viel besser thun können an der Hand einer wirklich positiv ge- stalteten Regierungsvorlage. In der Kommission würden dann alle Meinungen zum Ausdruck kommen. Ich kann meinerseits nur die Freude darüber ausdrücken, — und ih glaube ziemlich sicher zu sein, daß das ganze Staats-Ministerium auf demselben Boden stehen wird —, daß nach dem Gange der Debatten, da die großen Parteien des Hauses ihre Meinungen ausgesprochen haben, die Staatsregierung in den Grundgedanken auf volle Zustimmung hier im Hause rechnen könne. (Sehr richtig!)
Die Forderung des Personalkredits ist nach meiner Meinung eine der bedeutendsten Fragen in allen Richtungen... Wenn wir die übermäßige reale Vershuldung des Grundbesißes selbs mit Erfolg dauernd bekämpfen wollen, so muß vor allen Dingen der Personal- kredit fo organisiert sein, daß der Landmann nicht jedesmal eine Hypothek zu bestellen braucht, wenn er nur einen vorübergehenden Kredit wünscht. Das ift eine Kardinalfrage, das is die Vorfrage für eine anderweite Gestaltung des Realkredits und für eine angemessene Beschränkung desfelben. Man wird \sich hüten müssen — und ih habe hier und da eine gewi}e Befürchtung empfunden, daß die Ge- nossenschaften die Grenzen nicht immer innehalten —, Personalkredit zu geben für dauerndes Manko an Realkredit. Jch will das nicht weiter ausführen. Nur vorübergehende Kredite, wo der Kredit- nehmer heute allerdings Bedarf hat, aber als solider Mann sich sagen kann: ich werde zur gegebenen Zeit in der Lage sein, den empfangenen Kredit zurückzuzahlen — nur für folche Zwecke foll es Personalkredit geben. Wenn jemand eine Scheune bauen will und nimmt dafür Personalkredit, den er über- haupt niht mehr zurückzahlen kann — das ift der Anfang des Endes.
Meine Herren, diejenigen erfahrenen Personen, die in der ganzen Genossenschaftsbewegung stehen, find au ihrerseits damit vollständig einverstanden, daß dieses Zentralinstitut bloß die Ausgleihs\telle sein kann für Verbände und nicht für einzelne Darlehnskassen; und um- gekehrt kann man sagen, daß durch diese Verbindung, die ihre Auf- gabe erleichtern, zuglei die Verbandsbildung erheblih gefördert wird; und diese Verbandsbildung is für die zerstreuten kleinen Kredit- genossenshaften nach meiner Ueberzeugung eine absolute Nothwendig- keit; sie liefert allein die Garantie einer dauernden soliden Verwaltung und {ütt die einzelnen Genossenschaften vor Interessenten und interessierten Ausbeutungen durch einzelne einflußreihe Personen.
Meine Herren, eine solche Ausgleihungss\telle brauht dem Staat gar feine finanziellen Opfer aufzuerlegen. Das if, was mich selbst als Finanz-Minister berührt. (Heiterkeit.) Jch habe die Ueber- zeugung, daß bei einer verständigen Verwaltung der Staat durchaus keine Opfer zu bringen brauht und doch den Verbänden eine große Wohlthat erweisen kann. Wir wollen das in der Konferenz, die wir abzuhalten gedenken, in der Besprehung mit Vertretern der Genofsen- schaften aus der ganzen Monarchie noh näher feststellen, daß der Be- darf an Kredit in den einzelnen Provinzen ganz verschieden is auch nach den Zeiten, daß vielfah in einzelnen Landestheilen ein dringendes Kreditbedürfniß vorhanden i}, wenn in anderen Distrikten Ueberfluß an Kassenbeständen vorhanden ist. Jh glaube daher, daß diese Aus- gleihsftelle in Wahrheit eine Ausgleichsstelle sein wird, daß fie in der Lage sein wird, aus ihren eigenen Mitteln, die ihr von der einen d Seite zufließen, das Bedürfniß der anderen Seite zu befriedigen. Daß ein allerdings angemessenes Betriebskapital von vornherein vor- handen sein muß, braucht deshalb nicht bestritten zu werden; man braucht aber deshalb nicht in Sorge zu sein, daß dur ein solches Institut die Finanzen des Staats allzusehr belastet werden.
Nun hat der Herr Abg. Dr. Sattler uns gefragt nah den Maßnahmen in Beziehung auf den Realkredit. Meine Herren, ih habe hon deutlich genug angedeutet, daß jede Neform des Realkredits niht den Zweck haben kann, das Schuldenmachen zu erleichtern in dem Sinne, daß es dazu hinführt, mehr Realshulden zu machen. Das kann niemals der Zweck sein, wohl aber muß es der Zweck sein einer verständigen Organisation — das ist gerade heute ein dringendes Bedürfniß —, den Zinsfuß auch für den Realkredit nah Maßgabe der allgemeinen wirthshaftlihen Entwickelung und des Standes des Geldmarkts möglichft zu erniedrigen. (Sehr wahr ! rechts.)
Es ift ja unzweifelhaft, daß die Landschaften ursprünglich für den Großgrundbesiß gegründet find. Ein selbständiger, zur Vershuldung berehtigter Bauernstand existierte ja garniht zur Zeit der Gründung der Landschaften, die Bauern waren noch lassitisch verbunden mit den Gütern, die Lassiten hatten gar kein Recht, ohne Zustimmung des Gutsherrn Schulden auf ihren Besiß aufzu- nehmen. Friedrih der Große konnte sich also nicht bekümmern um die Bauern; er hat den gewaltigen Schritt gethan, der, möchte ih fast sagen, im heutigen Sinn einen sozialistishen Charakter hatte, aber die größte Wohlthat gewesen ist : die Güter, vershuldete und nicht vershuldete, hoh verschuldete und gering vershuldete, zu einer Solidarhaft zu zwingen, die dadurch aber den in den leßten Kriegen ruinierten Kredit der Güter wieder hergestelltÊ, den Pfand- briefen einen guten Kurs gesihert hat, und diese Solidar- haft is nie einem Gute, soviel ich weiß, zum Schaden gekommen. Nun kam die Separation, die Friedrich der Große ja felbst {hon anfing auf den Domänengütern, und ih glaube mich nit zu irren, daß er mehr Bauern freigemacht, separiert hat, als die ganze Stein-Hardenberg'she Gesetzgebung, die ja einen \o großen Abschnitt in der preußischen Agrargeshihte bezeihnet. Nachher kam die Stein-Hardenberg’she Gesetzgebung, die gutsherrlich-bäuer- lihe Regulierung, die Separation, und da geshah für den Kredit der Bauern nihts. Ich halte das für eine gewisse Versündigung der preußishen Verwaltung . (sehr richtig!)), entschuldbar allein durch die damals herrshenden Prinzipien der Frei- heit; man war so begeistert von der Thatsahe, daß die Bauern frei waren, daß man garnicht glaubte nöthig zu haben, um deren Schicksal sih nun weiter zu bekümmern. Hinterher und später haben die Landschaften rein aus freiem Willen und im Gefühl des Bedürfnisses ihre Thätigkeit mehr und mehr auf den bäuerlichen Besiß ausgedehnt, und namentlich einige Landschaften haben \ih dabei unzweifelhaft große Verdienste erworben. Aber wenn man tiefer in die Sache hineingeht, wenn man z. B. erwägt, dß hier in der Provinz Brandenburg von 60000 Bauernstellen nur
6000 von der Landschaft beliehen find, und daß hier
in der Provinz Brandenburg die Thätigkeit der Land- schaft gerade eine hervorragende auf diesem Gebiet ist im Vergleich zu andern Provinzen, so muß man doch sagen, das find erft Anfänge, wir müssen in diéser Beziehung die Organisation ganz anders aus- bauen. Auch der Herr Landwirthschafts-Minister steht da auf dem Boden, daß es am besten wäre, wenn die weitere Entwicklung des Realkreditwesens in der Hand der Landschaften blieke ; sie haben die größte Erfahrung auf diesem Gebiet, fie haben das Personal ; bei ihnen ist &8 nur eine Weiterentwicklung, während man sonst genöthigt ist, etwas - ganz Neues zu schaffen. Die Konferenz mit den Landschaften bezog \sih eben auf die Frage, ob sie geneigt find — sie können es ja nur aus freiem Willen thun —, dies jenigen Einrichtungen zu treffen, welche zu diesem Zweck erforderli find; wir haben die einzelnen Fragen mit den Landschaften durch- gesprochen, und der Herr landwirthschaftliße Minister wird nunmehr mit den einzelnen Landschaften in dieser Beziehung fch ins Be- nehmen sfeten, die Landschaften werden \ich bestimmt erklären müssen, und hoffentlich wird man da zu einer vollen Einigung gekangen. Dabei sind eine Reihe von Reformen in den Land- schaften selbst nöthig, die aber zumeist {on von den Landschaften selbst als nothwendig erkannt find; ich will auf das einzelne hier nicht eingehen. Ich habe die Ueberzeugung, daß es nicht bloß darauf ankommen wird, Prinzipien aufzustellen, die den heutigen Verhältnissen entsprechen, für neue Vershuldungen, fondern daß es fich vor allem darum handelt, gewissermaßen eine allgemeine Bereinigung vorzu- nehmen (sehr gut!) der alten Schulden, die heute noch viel zu hoh verzinslich sind, wo heute der Landwirthschaft der herabgehende Zinsfuß — wo die die dreiprozentigen preußishen Konsols fast zu pari stehen — noch garnicht genügend zu gute gekommen ist ; dahin zu streben, so {nell wie möglih den Zinsfuß gewisser- maßen für die Landwirthschaft zu fkonvertieren. (Sehr wahr!) Das ift die Hauptaufgabe, und dazu kommt es vor allem darauf an, daß man den Kredit den Bauern nahe bringt. Wer so lange im Leben gestanden hat wie ich, weiß aus eigener Erfahrung, daß sich nit bloß Rechte, sondern auch in viel gefährliherer Weise die Schulden wie eine ewige Krankheit forterben. Tausende von Bauern, die Hypotheken erster Klasse haben, zahlen heute noch 4F und 5 %o. (Sehr wahr!) Hier muß Wandel geschaffen werden, und das ist nur mögli, wenn der Bauer einen Vertrauensmann in der Nähe hat, mit dem er sich persönlich unterhalten kann. In Baden geht man, wie ich höre, jeßt so weit, daß man gewissermaßen dorfweise Mann für Mann Ver- handlungen seitens der Institute anknüpft und die alten Schulden, theilweise Personalshulden, theilweise Wucherschulden, theilweise künd- bare Hypotheken, theilweise viel zu hoh verzinslihe Hypotheken, all- mählich abstößt und dur einen billigen amortisablen Kredit ersetzt. Wenn uns dies gelingt, fo liegt hierin eine wirklich wirksame Ent- lastung der Landwirthschaft; wenn es so ideal gelänge, wie man es si vorstellen möchte, so ist das mehr und bedeutender noch als der Erlaß der Grundsteuer, und der Staat braucht hierbei garniht un- mittelbar zu konkurrieren. Es handelt sich lediglich darum, den allgemein heruntergehenden Zinsfuß der Landwirthschaft rascher zu gute zu bringen, und das ift gegenwärtig noch garnicht in genügender Weise der Fall.
Meine Herren, ich wollte Ihnen bloß zeigen, daß die Staats- regierung doch auf diesem Gebiet nah keiner Seite müßig ift, und ih glaube, die Herren können das Vertrauen haben, daß, soviel in der Hand der Staatsregierung liegt, auch nach der Richtung des Real- kredits fördernd eingewirkt werden wird. Sollte wider Erwarten eine oder die andere Landschaft es für bedenklich oder dur ihre Statuten ausgeschlossen halten, eine derartige Förde- rung des RNRealkreditwesens ihrerseits in die Hand zu nehmen, fo läßt sich immer noch erwägen, ob die Provinzen das nicht thun und ob namentlich die Provinzialhilfskassen, wie das beispiel3- weise in der Provinz Posen vom Grafen Posadowsky als Landes- Direktor in großem Maße bereits geschehen ist, zu wirklihen Kredit- instituten ausgebildet werden können, Schließlich würde, wenn das auch nicht gelänge, was ich aber gar nicht annehmen will, au kein großes Risiko darin liegen, wenn der Staat selbst diese Sache in die Hand nähme. Meine . Herren, wir haben ja drei Provinzen, Hannover, Hessen und Nassau, wo die sogenannten Landeskreditanstalten — in Naffau heißt die Anstalt Landesbank — ursprünglich gegründet wurden, um die bäuerlihen Ablösungen zu fördern bezw. zu erleihtern; nachher, nachdem diese Aufgabe erfüllt war, sind diese Institute Institute für den Bauernstand geworden, für den ländlihen Kredit, auch natürlich für die größeren Grund- besitzer, die dort aber weniger in Betraht kommen und meistens auch eigene Kreditinstitute haben, die rittershaftlihen Kreditinstitute, und man kann wohl behaupten, daß dort der Zinsfuß im allgemeinen für Realbelastung ein viel niedrigerer ist. Jch halte diese Organisa- tion allerdings auch noch nicht für genügend, auch fie muß noch weiter entwickelt werden. Aber beispielsweise in Nassau, wo ih länger im Provinzialausschuß gewesen bin, hatte die Landesbank einen Vertrauensmann in fast allen Dörfern, ob das nun ein Postbeamter oder ein Rentmeister oder ein Lehrer oder der Bürgermeister war. Die Kreditsuhenden konnten immer persönlich mit ihm verhandeln, \sich von ihm berathen lassen, er be- forgte meistens die Schreiben an die Landesbank. Das {webt mir vor, soweit es mögli ist, nach und nah allmählich zu generalisieren, und ih bin überzeugt, daß wir auf diesem Gebiet, ohne uns irgend welchen Jllusfionen hinzugeben, wenn alles zusammenwirkt, Regierung und Landtag, Landschaften und Provinzialverwaltung, ein sehr be- bedeutendes Ziel zum Wohl der Landwirthschaft erreihen können. (Bravo!)
Inzwischen hatten die Abgg. von Mendel und Freiherr
von Zedliß und Neukirch gemeinschaftlich folgenden
Antrag eingebracht :
__eIn Erwägung, daß nah den Erklärungen des Herrn Finanz- Ministers die Regierung bereits in Ausarbeitung eines Gesezent- wurfs begriffen it, welher dem R der Anträge der Tes: von Mendel und Genossen und Arendt und Genossen ent- spricht, und in der Erwartung, daß die Vorlage des Geseßzentwurfs noch in dieser Session erfolgt, wolle das Haus der Abgeordneten beshließen, über die Anträge zur N überzugehen.“
Abg. Parisius (fr. e Route ie von dem Herrn Finanz- Minister in Aussiht gestellte Konferenz sei ja sehr erfreulich, es feble leider aber an jeder Statistik der landwirthschaftlichen Genossenschaften, nur über die Schulze-Delißsh’shen Genossenschaften existiere eine folhe. Die Besprehung von angeblihen Fehlern im Genossen- scha jageses, wie sie Herr Gamp vorgenommen fe, gehöre nicht hierher, sondern in den Reichstag, Die Klagen des Herrn Gamp zeigten, daß er über dasselbe doch niht ge-