1895 / 115 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 14 May 1895 18:00:01 GMT) scan diff

Vorschriften, i L betreffend die Prüfung der Nahrungsmittel-Chemiker.

1: Ueber die Befähigung zur Êorisch-techni hen Beurtheilung von Nahrungsmitteln, Genußmitteln und T enständen (Reichs-

seß vom 14. Mai 1879, „Reichs-Geseßblatt“ S. 145) wird dem- enigen, welcher die in Folgendem vorges, riebenen Prüfungen bestanden hat, ein Auéweis nah dem beiliegenden Muster ertheilt.

S 2. Die Prüfungen bestehen in einer Vorprüfung und einer Hauptprüfung. Die L 5 vir a zerfällt in einen tehnishen und einen wifsen-

; itt. aftlichen Abschn A. Vor pr üfung.

Die Kommission für die Vorprüfung besteht unter ‘dem Borsiß eines Verwaltungsbeamten aus einem oder zwei Lehrern der Chemie und je einem Lehrer der Botanik und der Physik. : :

Der Vorsitzende leitet die Prüfung und ordnet bei Behinderung eines Mitgliedes defsen Vertretung qu,

& 4.

In jedem Studienhalbjahr finden Prüfungen statt. |

Gesuche, welche später als vier Wochen vor dem amtlich festge- seßten Schluß der Vorlesungen eingehen, haben keinen Anspruch auf

erücksichtigung im laufenden Halbjahr. 4 s

Die Prüfung kann nur bei der Prüfungskommission derjenigen Lehranstalt, bei welher der Studierende eingeschrieben ist oder zulegt eingeschrieben war, abgelegt werden.

J,

Dem Gesuch sind beizufügen: l

1) Das Zeugniß der Reife von einem Gymnasium, einem Real- gymnasium, einer Ober-Realschule oder einer dur Beschluß des Bundes- raths als gleihberechtigt anerkannten anderen Lehranstalt des Reichs.

Das Zeugniß der Reife einer gleichartigen außerdeutschen Lehr- anstalt kann ausnahmsweise für ausreihend erachtet werden. :

9) Der durch Abgangszeugnifse oder, soweit das Studium noch fort- gesezt wird, durch das Anmeldebuch zu führende Nachweis eines natur- wifsenshaftlihen Studiums von sechs Halbjahren, deren letztes p zur Zeit der Einreichung des Gesuhs noch nicht abgeshlofsen zu fein braucht. Das Studium muß auf Universitäten oder auf ehnischen Hochschulen des Reichs zurückgelegt fein. : :

Ausnahmsweise kann das Studium auf einer gleichartigen außer- deutshen Lehranstalt oder die einem anderen Studium gewidmete Zeit in Anrechnung gebracht werden. i «

3) Der. durch Zeugnisse der Laboratoriumsvorsteher zu führende Nachweis, daß der Studierende mindestens fünf Halbjahre in chemifden Laboratorien der unter Nr. 2 bezeichneten Lehranstalten gearbeitet hat.

Der Vorfizende der Prüfungskommission entscheidet über die Zulassung und verfügt die Ladung des Studierenden. Leßtere eee mindestens zwei Tage vor der O unter Beifügung eines Ab- drucks dieser Bestimmungen. Die Prüfung kann nach Beginn der leßten sechs Wochen des sechsten Studienhalbjahres stattfinden.

Zu einem Prüfungstermin werden nicht mehr als vier Prüflinge ugelafsen.

T Wer in dem Termin ohne ausreihende Entschuldigung nicht rechtzeitig ersheint, wird in dem laufenden Prüfungshalbjahr zur Prüfung nit mehr zugelassen.

8-7. Die Prüfung erstreckt \ih auf - : unorganische, organische und analytishe Chemie, Botanik, E . E | Bei der Prüfung in der unorganishen Chemie ift auch die Mineralogie zu berücksihtigen. S Die Prüfung ist mündli; der Vorsißende und zwei Mitglieder müssen bei derselben ständig zugegen sein. : / Die Dauer der Prüfung beträgt für jeden Prüfling etwa eine Stunde, wovon die Hälfte auf Chemie, je ein Viertel auf Botanik und Physik entfällt. er die Prüfung für das höhere Lehramt bestanden hat, wird, sofern er in Chemie oder Botanik die Befähigung zum Unterricht in allen Klassen oder in Physik die Befähigung zum Unterricht in den mittleren Klassen erwiesen hat, t E betreffenden Fach nicht geprüft.

Die Gegenstände und das Ergebniß der Prüfung werden von dem Examinator für jeden Geprüften in ein Protokoll eingetragen, welches von dem Vorsißenden und sämmtlichen Mitgliedern der Kommission zu unterzeichnen ift.

Die Zensur wird für das einzelne Fah von dem Examinator er- theilt, und ¡war unter ausschließlicher Anwendung der Prädikate „sehr gut“, „gut“, „genügend“ oder „ungenügend“. (

Wenn in der Chemie von zwei Lehrern geprüft wird, haben beide sb über die Zensur für das gesammte Fach zu einigen. Gelingt dies nicht, so entscheidet die Stimme desjenigen Examinators, welcher die geringere Zensur ertheilt hat. i

9.

It die Prüfung nicht bestanden, so findet eine Wiederholungs- prüfung statt. Dieselbe erstreckt sich, wenn die Zensur in der ersten Prüfung für Chemie und für ein zweites Fah „ungenügend“ war, auf sämmtlihe Gegenstände der Vorprüfung und findet dann nicht vor Ablauf von sechs Monaten statt. :

In allen anderen Fällen beshränkt sich die Wiederholungsprüfung auf die niht bestandenen Fächer. Die Frist, vor deren Ablauf fie niht stattfinden darf, beträgt mindestens zwei und höchstens sechs Monate und wird von dem Vorsißenden nach Benehmen mit dem Examinator festgeseßt. Meldet fich der Prüfling ohne eine nah dem Urtheil des Vorsißenden ausreichende Entschuldigun innerhalb des nächstfolgenden Studiensemesters nah Ablauf der Krist niht retzeitig 4) zur Prüfung, fo hat er die ganze Prüfung zu wiederholen.

__ Lautet in jedem Fache die Zensur mindestens „genügend“, fo ift die Prüfung bestanden. Als Schlußzensur wird ertheilt „sehr gut“, wenn die Zensur für Chemie und ein anderes Fah „sehr gut“, für das dritte Fah mindestens „gut“ lautet; „gut“, wenn die Zensur nur in Chemie „sehr gut“ oder in Chemie und noch einem Fach mindestens „gut“ lautet ; „genügend“ in allen übrigen Fällen.

i j E “S 2 ,

Tritt ein Prüfling ohne eine nah dem Urtheil des Me Eeroen ausreichende Entschuldigung im Laufe er Muna zurück, so hat er dieselbe vollständig zu wiederholen. Die Wiederholung ist vor Ablauf von sechs Monaten nit zulässig. ;

1

Die Wiederholung der ganzen Prüfung kann auch bei einer anderen Prüfungskommission geshehen. Die Wiederholung der Prüfung in einzelnen Fächern muß bei derselben Kommission stattfinden.

Eine mehr als zweimalige Wiederholung der ganzen Prüfung oder der Prüfung in einem Fache ift nicht zulässig.

Ausnahmen von vorstehenden Bestimmungen können aus besonderen Gründen gestattet werden.

12

S _ Ueber den Ausfall der Prüfung wird ein Zeugniß ertheilt. Jst die Prüfung ganz oder theilweise zu wiederholen, so wird statt einer Gesammtzensur die Wiederholungsfrist in dem Zeugniß vermerkt. Dieser Vermerk ist, falls der Prüfling bei einer akademischen Lehr- anstalt niht mehr c arien ist, au in das leßte Abgangszeugni einzutragen. Ift der Prüfling bei einer akademischen Lehranstalt an eingeshrieben, fo hat der Vorsitzende den Dae der Prüfung und die Wiederholungsfristen alsbald der Anstaltsbehörde mitzutheilen. Von dieser ist, falls der Studierende vor vollständig beftandener Vor- rüfung die Lehranstalt verläßt, ein entsprehender Vermerk in das gangszeugniß einzutragen. 6 13

An Gebühren find für die Vorprüfung vor Beginn derselben 30 M zu entrichten.

Für Prüflinge, welche das Befähigungszeuguiß für das böbere t betr in den im § 7 Absatz 5 vorgesehenen Fällen e Gebühren 20 M Bagselbe gilt t die Wiederholung der Prüfung

in einzelnen Fächern 9 Absatz 2). B. Hauptprüfung.

S 14. Die Kommission für die Hauptprüfung besteht unter dem Ds eines Verwaltungsbeamten aus zwei Chemikern, von denen einer au dem Gebiet der Untersuhung von Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen praktis geschult ift, und aus einem Ver- treter der Botanik. e / :

Der Vorsitzende leitet die Prüfung und ordnet bei Behinderung eines Mitgliedes defsen BErtretuen 2

Die Prüfungen beginnen jährlich im April und enden im Dezember. Die Prüfung kann vor jeder Prüfungskommission abgelegt werden.

Die Gesuche um Zulassung find bei dem Vorsißenden bis zum 1. April einzureihen. Wer die Vorbereitungêzeit erst mit dem Sep- tember beendigt, kann ausnahmêweise noch im laufenden Prüfungs- jahre zur Prüfung zugelassen werden, sofern die Meldung vor dem 1, Oktober erfolgt. s 16

Der Meldung sind beizufügen:

1) ein furzer Lebenslauf; 2

2) die im § 5 Nr. 1 bis 3 aufgeführten Nachweise ;

3) das Zeugniß über die Vorprüfung 12); :

4) Zeugnisse der Laboratoriums- oder Anstaltsvorsteher darüber, daß der Prüfling vor oder nah der Vorprüfung an einer der im § 9 Nr. 2 bezeichneten Lehranstalten mindestens ein Halbjahr an Mi- froskopierübungen theil genommen und nah bestandener Vorprüfung mindestens drei Halbjahre mit Erfolg an einer staatlichen Anstalt zur aiten Unter})uhung von Nahrungs- und Genußmitteln thätig ge- wesen ift.

Wer die Prüfung als Apotheker mit dem Prädikat „sehr gut“ bestanden hat, bedarf, sofern er die im § 5 Nr. 2 bezeihnete Bor- bedingung erfüllt hat, der im § 5 Nr. 1 und 3 vorgesehenen Na- weise sowie des Zeugnisses über die Vorprüfung nicht. Wer die Be- fähigung für das böhere Lehramt in Chemie und Botanik für alle Klafsen und in Physik für die mittleren Klassen dargethan hat, bedarf, sofern er den im § 5 unter Nr. 3 vorgesehenen Nahweis erbringt, des Zeugnisses über die Vorprüfung niht. Wer an einer Technischen Hon die Diplom- (Absolutorial-) Prüfung für Chemiker be- tanden hat, bedarf des Zeugnisses über die Vorprüfung niht, wenn die bestehenden Prüfungsvorschriften als ausreihend anerkannt find.

Wer nah der Vorprüfung ein halbes Jahr an einer Universität oder Technischen Hochschule dem naturwissenschaftlichen Studium, ver- bunden mit prafktischer Laboratoriumsthätigkeit, gewidmet hat, bedarf nur für zwei Halbjahre des Nachweises über eine praktishe Thätigkeit an Anstalten zur Untersuhung von Nahrungs- und Genußmitteln.

Den staatlichen Anstalten dieser Art können von der Zentral- behörde sonstige Anftalten zur technischen Untersuhung von Nahrungs- und Genußmitteln, sowie landwirthsaftliße Untersuhungsanstalten gleichgestellt werden.

8 17. :

Der Vorsitzende der Kommission entscheidet über die Zulafsung

E S Dieser hat sich bei dem Vorsißenden persönlich zu melden.

Die Zulassung zur Prüfung is zu versagen, wenn Thatfachen

vorliegen, welhe die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in Bezug

auf die Ausübung des Berufs als Nahrungsmittel-Chemiker darthun.

8 18.

_ Die Prüfung ist nicht öffentlih. Sie beginnt mit dem tehnischen Abschnitt. Nur wer diefen Abschnitt bestanden hat, wird zu dem wifsenschaftlihen Abschnitt zugelassen. Zwischen beiden Abschnitten soll ein Zeitraum von höchstens drei Wochen liegen; jedo kann der Vorsitzende aus besonderen Gründen eine längere Frist, ausnahmêweise au eine Unterbreagzung bis zur Nen Prüfungsperiode gewähren.

Die technische Prüfung wird in einem mit den erforderlichen Mitteln ausgestatteten Staatslaboratorium abgehalten. Es dürfen daran gleichzeitig nicht mehr als aht Kandidaten theilnehmen.

Die Prüfung umfaßt vier Theile. Der Prüfling muß sih be- fähigt erweisen :

1) eine ihren Bestandtbeilen nah dem Examinator bekannte chemische Verbindung oder eine künstliche, zu diesem Zweck besonders ape Mi¡chung qualitativ zu analysfieren und mindestens vier einzelne Bestandtheile der von dem Kandidaten bereits qualitativ untersuchten oder einer anderen dem Examinator in Bezug auf Natur und Mengenverbältniß der Bestandtheile bekannten chemischen Ver- bindung oder Mischung quantitativ zu bestimmen:

2) die Zusammenseßung eines ihm vorgelegten Nahrungs- oder bie qualitativ und quantitativ zu bestimmen;

3) die Zusammenseßung eines Gebrauchs8gegenstandes aus dem Bereich des Gesetzes vom 14. Mai 1879 qualitativ und nach dem Ermessen des Examinators auch quantitativ zu bestimmen ; :

4) einige Aufgaben auf dem Gebiete der allgemeinen Botanik (der vflanzlihen Systematik, Anatomie und Morphologie) mit Hilfe des Mikroskops zu lösen. L

Die Prüfung wird in der hier angegebenen Reihenfolge ohne mehrtägige Mitterterdüiaea erledigt. Zu einem späteren Theil wird nur zugelassen, wer den vorhergehenden Theil bestanden hat.

Die Aufgaben sind i zu wählen, daß die Prüfung in vier Wochen abges{chlofsen werden kann. :

Sie werden von den einzelnen Examinatoren beftimmt und erst bei Beginn jedes Prüfungstheils bekannt gegeben. Die technische Lösung der Aufgabe des ersten Theils muß, Towelt die qualitative Analyfe in Betracht kommt, in einem Tage, diejenige der übrigen Aufgaben innerhalb der von dem Examinator bei Ueberweisung der einzelnen Aufgaben festzusezenden Frist beendet fein.

Die Aufgaben und die geseßten Fristen sind gleichzeitig dem Borten von den Examinatoren s{riftlich mitzutheilen.

ie Prüfung erfolgt unter Klausur dergestalt, daß der Kandidat die technishen Untersuhungen unter ständiger Anwesenheit des Examinators oder eines Vertreters desselben zu Ende führt und die Ergebnisse täglich in ein von dem Examinator gegenzuzeichnendes Protokoll einträgt. 8 20.

Nach Abschluß der tehnischen Untersuhungen (8 19) hat der Kandidat in einem \chriftlihen Bericht den Gang derselben und den Befund zu beschreiben, au die daraus zu ziehenden Schlüsse darzu- legen und zu begründen. Die \{hriftlihe Ausarbeitung kann für die beiden Analysen des ersten Theils zusammengefaßt werden, falls die- selbe Substanz qualitativ und quantitativ bestimmt worden ist; fie hat A für Theil 4 auf eine von dem Examinator zu bezeichnende Auf- gabe zu beschränken. Die Berichte über die Theile 1, 2 und 3 sind je binnen drei Tagen nach Abschluß der Laboratoriumsarbeiten, der Bericht über die mikroskopishe Aufgabe (Theil 4) binnen zwei Tagen, mit Namensunterschrift versehen, dem Examinator zu übergeben.

Der Kandidat hat bei jeder Arbeit die benußte Literatur anzu- geen und eigenhändig die Versicherung hinzuzufügen, daß er die

rbeit ohne fremde Hilfe E hat.

Die Arbeiten werden von den Fachexaminatoren zensiert und mit den Untersuhungsprotokollen und Zensuren dem Vorfißenden der Kommission binnen einer E Empfang vorgelegt.

Die wissenschaftliße Prüfung ift mündlich. Der Vorsitzende und zwei Mitglieder der Kommission müssen bei derselben ständig zu- gegen s Zu einem Termin werden niht mehr als vier Kandidaten zugelassen. j

Die Prüfung erftreckt \ich i

1) auf die unorganishe, organische und analytische Chemie mit besonderer Berücksichtigung der bei der Zusammenseßung der Nahrungs- und Genußmittel in Betraht kommenden chemis{chéèn Verbindungen,

- beantragen, falls er die Entshuldigun

N di Ums owie H der Nähbrstoffe und ihrer R ift a nRS Ee

mittelung der Aschenbestandtheile und organisher Natur; j

2) auf die Herstellung und die normale und abnorme Beschaffen, heit der Nahrungs- und ittel, sowie der unter das Geseß vom 14. Mai 1879. fallenden S Eeagenensiäde. Hierbei is auch auf die sogenannten landwirthshaftlihen Gewerbe (Bereitung von Molkerei, E Bier, Wein, Branntwein, Stärke, Zucker u. dergl. m.) einzugehen;

3) auf die allgemeine Botanik (pflanzlihe Systematik, Anatomie und Ee mit besonderer Berücksichtigung der pflanzlihen Rohstofflehre (Droguenkunde u. dergl.), fowie ferner auf die bakterio- logischen Untersuhungsmethoden des Waffers und der übrigen Nabrungs- va S RNRa jedoch unter Beschränkung auf die einfachen Kultur- verfahren ;

4) auf die den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und

‘Gebrausgegenständen regelnden Geseßze und Verordnungen, sowie_auf

die Grenzen der Zuständigkeit des Nahrungsmittel-Chemikers im Ver- hältniß zum Arzt, Thierarzt und anderen Sachverftändigen, endlich auf die Organisation der für die Thätigkeit eines Nahrungsmitte[- Chemikers in Betracht kommenden Behörden. :

Die Prüfung in den ersten drei Fächern wird von den Fach- eraminatoren, im vierten Fache von dem Vorsitzenden, geeignetenfalls unter auer der Práf einen oder anderen Fachexaminators abgehalten.

Die Dauer der Prüfung beträgt für jeden Kandidaten in der Regel nicht über eine Stunde.

8 23. È Für jeden Kandidaten wird über jeden Prüfungsabschnitt. ein Protokoll unter Anführung der Prüfungsgegenstände und der Zensuren bei der Zensur „ungenügend“ unter kurzer Angabe ihrer Gründe aufs genommen. ¿2

Ueber den Ausfall der Prüfung in den einzelnen Theilen des tehnischen Abschnitts und in den einzelnen Fächern des wissenschaft- lichen Abschnitts werden von den betreffenden Examinatoren Zensuren unter aus\{hließliher Anwendung der Prädikate „sehr gut“, „gut“, „genügend“, „ungenügend“ ertheilt. x

Für Botanik und Bakteriologie muß die gemeinsame Zensur, wenn bei getrennter Beurtheilung in einem dieser Zweige „ungenügend“ gegeben werden würde, egen lauten.

Ist die Prüfung in einem Theile des tehnischen Abschnitts nicht bestanden, so findet eine Wiederholungsprüfung statt. Die Frist, vor deren Ablauf die Wiederholungsprüfung nit erfolgen darf, beträgt mindestens drei Monate und höchstens ein Jahr; sie wird von dem Vorsitzenden nah Benehmen mit dem Examinator festgeseßt.

at der Kandidat die Prüfung in einem Fache des wissensaft- lihen Abschnitts niht bestanden, so kann er nach Ablauf von fechs Wochen zu einer Nachprüfung zugelassen werden. Die Nachprüfung findet in Gegenwart des Vorsizenden und der betheiligten Fach- eraminatoren statt. Besteht der Kandidat auch in der Nachprüfung nit oder versäumt er es, ohne ausreihende Entshuldigung si inner- halb vierzehn Tagen nah Ablauf der für die Nachprüfung gestellten Frist zu melden, so hat er die Prüfung in dem ganzen Abschnitt zu wiederholen. Dasselbe gilt, wenn der Kandidat die Prüfung in mehr als einem Fache dieses Abschnitts niht bestanden hat. Die Wieder- bolung ist vor Ablauf von \echs O nicht zulässig.

Erfolgt die Meldung zur Wiederholung eines Prüfungstheils nicht spätestens in dem nächsten Prüfungsjahre, so muß die ganze Prüfung von neuem abgelegt werden. i

Wer bei der Wiederholung nicht besteht, wird zu einer weiteren Prüfung nicht zugelassen. :

Ausnahmen von vorstehenden Bestimmungen können aus besonderen Gründen gestattet werden. s

S 27: /

Nachdem die Prüfung in allen Theilen bestanden ift, ermittelt der Vorsitzende aus den Einzelzensuren die Schlußzensur, wobei die Zensuren für jeden einzelnen Theil des ersten Abschnitts doppelt gezählt werden, so daß im Ganzen zwölf Einzelzensuren fich ergeben.

Die Schlußzenfur „sehr gut“ darf nur dann gegeben werden, wenn die Mehrzahl der Einzelzensuren „sehr gut“, alle übrigen. „gut“ lauten; die Schlußzensur „gut“ nur dann, wenn die Mehrzahl mindestens „gut“ oder wenigstens sechs Einzelzensuren „sehr gut“ Mrs. In allen übrigen Fällen wird die Schlußzensur „genügend“ gegeben.

Nach Feststellung der Schlußzensur legt der Vorsitzende die Prüfungsverhandlungen derjenigen Behörde vor, welhe den Ausweis über die Befähigung als Na Ee G Hemer 1) ertheilt.

S

Wer einen Prüfungstermin oder die im § 17 vorgesehene Frist ohne ausreihende Entshuldigung versäumt, wird in dem laufenden Prüfungsjahre zur Prüfung niht mehr zugelassen. Der Vorsitzende hat die Zurücstellung bei der im § 27 bezeihneten Behörde zu nicht für ausreihend hält.

Tritt ein Prüfling ohne ausreihende Entschuldigung von einem begonnenen Prüfungsabschnitt zurück, oder hält er eine der im § 19 Absaß 4 und § 20 vorgesehenen Fristen niht ein, so hat dies die Wirkung, als wenn er in allen Theilen des Abschnitts die Zensur „ungenügend“ erhalten hätte. L

Die Prüfung darf nur bei derjenigen Kommission fortgeseßt oder wiederholt werden, bei welcher fie begonnen ift. Ausnahmen können aus besonderen Gründen gestattet werden.

Die mit dem Zulafsungsgesuch eingereihten Zeugnisse werden dem Kandidaten nach bestandener Gesammtprüfung zurückgegeben. Verlangt er sie früber zurück, so ist, falls die Zulassung zur Prüfung bereits ausgesprochen war, vor der Rückgabe in die Urschrift des leßten aka- demischen Abgangszeugnisses ein Vermerk hierüber sowie über den Ausfall der schon zurückgelegten MUnGREYEUE einzutragen.

An Gebühren \ind für die Hauptprüfung vor Beginn derselben 180 Æ zu entrihten. Davon entfallen: I, auf den tehnischen Abschnitt : ; für jeden der ersten drei Theile 25 Æ, für den vierten ___ Theil 15 M, II. auf den wissenschaftlihen Abschnitt 30 #, ITI. auf allgemeine Koften 60 #4 i l Wer von der Prüfung zurücktritt oder zurückgestellt wird, erbält die Gebühren für die noch nit begonnenen Prüfungstheile ganz, die allgemeinen Kosten zur Hälfte zurück, legtere jedoch nur dann, wenn der dritte Theil des tehnishen Abschnitts noch nicht begonnen war. Bei einer Wiederholung sind die Gebührensäße für diejentgen Prüfungstheile, welche wiederholt werden, und außerdem je 15 # Jur jeden zu wiederholenden Prüfungstheil auf allgemeine Kosten zu ent- richten. Für die Nachprüfung in einem Fache des wissenschaftlichen Abschnitts sind 15 # zu zahlen.

Ueber die Zulaffung der in vorstehenden Bestimmungen vor“ gesehenen Ausnahmen entscheidet die Zentralbehörde.

Mu ster. Ausweis

für geprüfte Nahrungsmittel-Chemiker.

Dém Herrn j S a ein e . wird hierdurch bescheinigt, daß er seine Befähigung zur hemis- tehnishen Untersuhung und Beurtheilung von Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauhsgegenftänden durch die vor

Prüfungskommission u ......-.- . mit dem Prädikate abgelegte Prüfung nachgewiesen hat.

: Deutscher Reichstag. 91. Sißung vom Montag, 13. Mai. Ueber den Beginn der Sigzung if gestern berichtet

G Bei der zweiten Berathung des Tabacksteuergeseßes

zunähst auf Anregung des Berichterstatters g.

de Witt der § 4, welcher die Erhebung der Tabackfabrikat- steuer enthält, zur Diskusfion gestellt. .

Die Kommisfion hat die Ablehnung des Geseßentwurfs

tragt. S hält das Wort der

Abg. Dr. Bachem (Zentr.): J kann mih im gegenwärtigen Augenb ick auf eine kurze Erklärung beshränfen: Wir haben im vorigen Jahre die Erklärung abgegeben, daß die Erhöhung der indirekten Steuern bei dem Darniederliegen der Erwerbs- und Wirth- shaftsverhältnisse in allen Berufsftänden, ganz besonders den Mittel- ständen der Landwirthshaft und der Gewerbe um so bedenklicher erscheint, als ja die Aufbringung der Mittel turch indirekte Steuern vorwiegend die minder bemittelten Volkéklassen belaftet und, wie der Augenschein zeigt oder nunmehr gezeigt hat mit den äußersten Schwierigkeiten verbunden ist. Diese Gründe sowie der Umstand, daß das Budget durch die lobenswerthe Arbeit der Budgetkommission in Ordnung gekommen ist, daß nur ein kleines Defizit vorhanden ift, können uns nur dazu bringen, den § 4 und das Geseg abzulehnen. Die Budgetkommission hat es in zweijähriger Arbeit verstanden, nur mit Zuhilfenahme der Börsensteuer die Be- dürfnisse des Reichs zu decken. Im diesjährigen Budget ift bis auf einen fleinen Rest das Defizit beseitigt. Das beweist, was mit ent- schlossener Sparsamkeit zu leisten is. Wir hegen den Wunsch und die Hoffnung, daß das auch in der Zukunft so bleiben wird. Wir hegen vor allem aber auch den Wunsch, daß die ver- bündeten Regierungen das System der Budgetkommission zu dem ibrigen machen, und wir sind überzeugt, daß, wenn wir uns in diesem Bestreben zusammenfinden, es gelingen wird, das unsere Finanzlage belastende Defizit abzuschaffen. Ich schließe mit der Bitte an die verbündeten Regierungen, daß uns in Zukunft nur noch Budgets vor- gelegt werden, von denen au der Reichstag sagen Tann, daß das System ents{lossener Sparsamkeit in ihnen von vornherein befolgt ift.

Abg. Frese (fr. Vg.): Im Anschluß an die von dem Vor- redner abgegebenen Erklärungen möchte ich dem Wunsche Ausdruck geben, daß durch Ablehnung des Geseßes mit erdrückender Mehrheit der Tabackindustrie die ihr dringend nöthige Beruhigung wieder- gegeben werde. Meine politishen Freunde find der Ansicht, daß es unter den obwaltenden Umständen nit angezeigt erscheint, noch in eine ausführlihe Debatte einzutreten. Wir werden gegen die Vorlage stimmen.

Staatssekretär des Reichs - Shagamts Dr. Graf von Posadowsky:

Meine Herren! Es s{cheint ja, daß die Parteien des Hauses nur förmlihe Erklärungen abzugeben geneigt sind. Das foll mi aber nicht abhalten, noch auf einige sahlihe Erwägungen bezüglich der Tabackfabrikat-Steuervorlage einzugeben, die in den Augen der ver- bündeten Regierungen zunächst nihts war als das Mittel zum Zweck der Finanzreform.

In der vorjährigen Session hatten die verbündeten Regierungen aus der Tabacksteuer einen Mehrertrag von 45 Millionen ver- langt unter der Voraussetzung, daß den einzelnen Staaten feste Veberweisungen im Gesammtbetrage von 40 Millionen gewährt würden. Nachdem indeß die Reichs-Weinsteuer und ein erheblicher Theil der vorgeschlagenen Stempelsteuern abgelehnt war, und nah der ganzen Haltung des Hauses gegenüber dem Gedanken von festen Mehr- überweisungen sahen \sich die verbündeten Regierungen veranlaßt, ohne ihren prinzipiellen Standpunkt der Forderung von Mehr- überweisungen aufzugeben, Ihnen ein anderes Tabacksteuergeseß vor- ¡ulegen, das \sich auf die Spannung beschränkte, welche im Etat 1895/96 zwischen Ueberweisungen und Matrikularbeiträgenzu erreichen war.

Meine Herren, es is uns wiederholt in der Prefse und auch bier im Hause der Vorwurf gemaht worden, wir wünschten Steuern auf Vorrath zu bekommen, d. h. Steuern für noch nit sichtbare Ausgaben. Ich glaube, die verbündeten Regierungen haben durh- aus loyal gehandelt, indem sie sich zur Entkräftung dieses Vorwurfs auf den Boden der etatsmäßigen Thatsachen stellten, nachdem die Budgetkommission, deren Verhalten das Plenum gebilligt, die Spannung von 32 auf etwa 6F Millionen ermäßigt hat. Sie werden ton dem Nachtrag8etat auch bereits Kenntniß bekommen haben; die Spannung wird si hiernah voraussihtlich auf 104 Millionen erhöhen.

Meine Herren, wenn ih nun entsprehend der Lage des Etats namens der verbündeten Regierungen die Erklärung abgab, daß wir auch mit einem Tabacksteuergeses vorlieb nehmen wollten, das ledigli jenes Defizit uns bewilligt, so glaube ich, wäre es möglich gewesen, ein Gesetz zu stande zu bringen, das alle Forderungen erfüllt, die man im Interesse der Industrie billiger Weise an ein solches Gesetz stellen fann. Zunächst ift es nahgewiesen, daß bei einer For- derung von nur 104 Millionen der Rauchtaback in allen Preislagen mit Ausnahme der theuersten steuerlich wesentlih geringer belastet sein würde, als er jeßt belastet ift. (Hört, hört! rehts.) Was die Zigarren betrifft, namentli} wenn man von dem Gedanken einer Staffelsteuer aus- geht, welhe die minderwerthigen Zigarren geringer belastet als die theuren, so würden die 3- und auch zum theil 4:-Pfennig-Zigarren noch billiger geworden sein wie jeßt. (Hört, hört! rechts.) Die 5-Pfennig- Zigarren würden durchschnittlich pro 10 Stück 1; mehr gekostet haben. Auch die Erhöhung der Preislagen von Zigaretten in den billigeren Sorten würde eine ganz minimale ge- wesen sein.

Ich glaube, meine Herren, daß ein solher Gesezentwurf auch im dringenden Interesse der Tabackpflanzer, namentlih der TabaŒpflanzer Süddeutshlands liegt. Gegenüber den veränderten Volksgewohnßgeiten wird es nicht möglich sein, den Verbrauch von Rauchtaback zu steigern; aber wenn man den Rauchtaback so wesentlih geringer be- laftete, als es durch die vorliegende Gesezesvorlage mit 10 Millionen Mehrertrag geshähe, würde wahrscheinlich der status quo erhalten werden, und es würde den süddeutshen Tabackpflanzern möglich sein, auch den Tabadckprodukten , die zu Zigarren niht verwendet werden können, im Rauchhtaback weitere Verwendung für die Zukunft zu sichern.

In einem solchen Gesetzentwurf, dessen finanzielle Gestaltung fh aus den Tabellen, die ich in der Kommission vorgelegt habe, ergiebt, würde doch eigentlich alles das erfüllt, was man erreichen will. Der Tabackgenuß der niederen Volksklassen würde zum theil wesentlih verbilligt. Der Tabackgenuß der wohlhabenden Klassen würde steuerlich erheblih stärker gefaßt. Das ist praktisch der Grund- saß der Entlastung der schwächeren Schultern. Es is richtig, daß dieser Gedanke, den Ertrag aus der Tabackfteuer wesentlich zu er- mêßigen, s{chon von einem Mitglied der nationalliberalen Fraktion dorher in der Kommission angeregt war, und es if auch richtig,

daß ih selbs gelegentlih auf diefen Gedanken Hingedeutet habe, Die Erklärung aber, die ih in der zweiten Lesung abgegeben habe, gab ih namens der Mehrheit der verbündeten Regie- rungen ab, und wir gaben uns hierbei der Hoffnung hin, daß hieraus die hohe Kommission Veranlaffung nehmen würde, nochmaks in eine fachlihe Prüfung der Frage einzutreten. Die sozialen Einwendungen, die gegen das Geseß gemaht wurden und die hatten ja unzweifelhaft die Schwerkraft —, wären dur eine solche wesentlihe Abminderung des Ertrages offenbar vollkommen beseitigt; es blieb nur noh der Ein- wand der Kontrole übrig, und wir nahmen an, daß die Kommission auf die Lästigkeit der Kontrole, bei der es \sih doch lediglih um ein Inter- esse der Tabackfabrikanten handelt, ein so wesentlihes Ge- wiht niht legen würde. Es ist in der Kommission auch beantragt worden, sobald ich meine Erklärung namens der verbündeten Regie- rungen abgegeben hatte, die Sißung zu siftieren, um die einzelnen Mitglieder der Kommission in die Lage zu seßen, nochmal mit ihren Fraktionen in Berathung zu treten. [Zur s{merzlihen Ueberraschung der verbündeten Regierungen haben diese Anträge indeß eine Majorität nicht gefunden; vielmehr entschloß sich die Majorität, ohne weitere sachlihe Berathung den § 4 des Gesetzes und damit au das ganze Gesetz in zweiter Lesung kurzer Hand abzulehnen. Ich bemerke, daß dieser ablehnende Beschluß für jeßt und für die Zukunft, glaube ich, nicht dahin gedeutet werden kann, daß alle die Mitglieder der Kom- mission, die sich in der Majorität befanden, gegen eine böbere Besteuerung des Tabacks überhaupt eingenommen sind. Theilweise sind ja bei solchen Komnmissionsbeshlüssen taktishe Gründe maß- gebend. Ein Lheil der Kommissionsmitglieder war vielleicht auch der Ansicht, man könnte höhere Erträge aus dem Taback erzielen, aber auf einem anderen \teuertechnishen Wege, und ein Theil endli glaubte wohl, 10} Millionen wäre d-ch eine Differenz, derentwegen man ein neues Steuergeseß zu machen nicht nöthig hätte.

Meine Herren, wie ‘sollen nun die verbündeten Regierungen eigentlih verfahren? Fordern wir neue Steuern unter Bei- behaltung des alten Steuersystems, dann hören wir, wie bei der Börsensteuer, den Vorwurf: „eine ganz öde Plusmacherei ohne jeden reformatorischen Gedanken“. Fordern wir, an das thatsählih vorliegende Bedürfniß anschließend, neue Steuern auf Grund eines veränderten Systems, so wird uns gesagt: wegen einer so kleinen Summe mat man keine neuen Steuergeseße;; während, so lange die Forderung größer war, das Geseß bekämpft wurde mit den eventuellen fozialen Folgen. Wollen die verbündeten Regierungen das Risiko eingehen, daß selbs einmal eine geringe Abbröckelung der Einnahmen eintritt, zum Besten wichtiger Erwerbszweige, so wird uns der Einwurf gemacht: wir seien Minuëmacher ; und legen wir endlich ein Finanzreformgeseß vor, nah welchem \sich Ueber- weisungen und Matrikularbeiträge balancieren sollen, sodaß das{Reich thatfächlih auf seine eigenen Einnahmen angewiesen ist, so findet das auch nit den Beifall des hohen Hauses.

Meine Herren, der Zweck der Tabacksteuervorlage war doch ledig- lich der, durch die neugewonnenen Mittel zur Finanzreform zu gelangen, und die Finanzireform hat doch im Haufe von den verschiedensten Seiten eine durhaus wohlwollende Beurtheilung gefunden.

Was wird nun, meine Herren, wenn uns keine neuen Mittel be- willigt werden? Ob in Zukunft wieder ein Tabacksteuer-Gesezentwurf vorgelegt wird, wenn Sie den vorliegenden ablehnen? Das, glaube ih, hängt niht von den Wünschen und Auffassungen einzelner Personen in der Regierung ab, sondern das ist eine Frage der finanziellen Ent- widckelung überhaupt. Zunächst, meine Herren, hat doch die Reichs- Finanzverwaltung absolut fein Interesse daran, neue Steuern zu wollen. In dieser Beziehung steht s\elbstverständlich die Reichs- Finanzverwaltung vollkommen auf dem Standpunkt des Herrn Abg. Dr. Bachem. Sie hat immer den Wunsch, daß möglichs mit den vorhandenen Einnahmen die Ausgaben bestritten werden, daß das Reich mit seinen vorhandenen Einnahmen ausfomme. Eine andere Frage ist aber die, ob die Reihs-Finanzverwaltung im einzelnen Falle das staatsrechtlihe Shwergewiht hat, um einen solhen Wunsch zu realisieren. Und andererseits werden auch Ausgaben gefordert, die dringender, unabweislicher Natur sind und infolge deren die Gesammt- ausgaben in stärkerer Progression steigen als die Einnahmen. Wenn wir also eine neue Steuer nit bekommen und auch das Finanzreformgeseß nit, dessen wesentliher Vortheil meines Er- achtens darin besteht, daß es doch zu einer vorsihtigen Bemessung der Ausgaben führt, so liegen nur zwei Möglichkeiten vor: entweder die Matrifkularbeiträge entwideln sich weiter und werden mit der Zeit vielleiht eine Höhe erreihen, die namentli für die fleinen Staaten außerordentlich drückend sein muß ih glaube, das ist von dem Herrn Vertreter der Herzoglih sahsen-meiningenschen Regierung in überzeugender Weise nahgewiesen worden —, oder wir würden zu Steuerprojekten kommen, die in feinem Falle die Majorität des Bundesraths und ebenso wenig des bohen Hauses finden würden, zu direkten Reichs-Einkommensteuern, oder endli, wir müßten wieder zu den indirekten Steuern zurückgreifen; und wenn wir das thun, fo wird es ganz unmöglich sein, jeßt und in Zukunft, eine höhere Be- steuerung des Tabacks von der Diskussion auszuschließen. Ich habe in der Presse die Behauptung gelesen, der Reihs-Schahsekretär shiene nach Ablehnung der Vorlage in der zweiten Lesung sehr erregt gewesen zu sein und sich geärgert zu haben. Meine Herren, nachdem die verbündeten Regierungen sich zwei Jahre lang bemüht haben, auf diesem Wege die Finanzreform durhzuseßen, so wäre ein folches Gefühl vielleiht menschlich verständlih gewesen, wie ih Ihnen aber gern zugestehen will, politish ein Fehler, denn „en politique point de rancune“, und wir werden deshalb auch in Zukunft die Frage der Taback- besteuerung sine ira et studio vollkommen unbefangen weiter prüfen. Nach dieser in den Verhältnissen begründeten Sachlage, die, wie ge- sagt, vollkemmen unabhängig is von der Auffafsung einzelner Per- sonen in der Regierung, liegt es uns selbstverständlih vollkommen fern, lediglih aus gouvernementaler Rehthaberei die blühende Tabatindustrie weiter beunruhigen zu wollen; vielmehr wird die Natur der Dinge immer wieder zu einer höheren Be- steuerung des Tabadcks zurückführen. Meine Herren, wenn es gelänge, mit einem so minimalen Betrage wie 105 Millionen die Finanzreform durhzusezen, so würde ih das für einen großen politischen Gewinn ansehen. Ich habe bereits vorhin angedeutet, daß die Finanzreform entschieden geeignet ift, verlangsamend auf die Steige- rung der Ausgaben zu wirken. Ferner wird es auf diesem Wege mögli sein, wenigstens für einen beshränkten Zeitraum die Einzel- staaten zu hüßen gegen die wachsenden und schwankenden Forderungen

des Reichs, und damit überhaupt erft eine gesunde Finanzverwaltung der Einzelftaaten ermöglicht. ;

Ich habe freilih den Eindruck, als ob ein großes Mafssengrab vorbereitet wäre, in das die Vorlagen der verbündeten Regierungen versenkt werden follen. (Sehr richtig! links.) Den Herren gegenüber, die Sehr richtig! rufen, möchte ich den Wunsch aussprechen, nicht die Lebenden mit den Todten zu begraben. (Heiterkeit.) Die Finanz- reform, meine Herren, ift jedenfalls lebendig, lebendig in der Auf- fassung weiter Kreise des deutshen Volks, und, was noch mehr sagen will, auch lebensfähig und muß lebensfähig bleiben im Interesse des Deutschen Reichs. (Bravo!)

Es liegt mir fern, jeßt noch auf Einzelheiten der Tabackfabrikat- steuer einzugeben ; ich weiß ganz genau, daß jeder der Anwesenden sein Votum bereits im Herzen trägt (sehr rihtig !), und daß ein Versuch, dieses Votum zu ershüttern, nihts Anderes hieße, wie mit Muscheln nah dem Leuchtthurm werfen. Ih lege Ihnen aber troß alledem das große Werk der Finanzreform ans Herz und bitte Sie deshalb, uns die Mittel zu bewilligen, um das Hauptziel: „eine feste Ordnung der Finanzen des- Reihs und der Einzel- staaten“, noch in dieser Session erreihen zu fönnen. (Bravo! rets.)

_ Abg. Bassermann (nl.): Wir stehen, was die Frage der Finanzreform anlangt, auf dem früher zu wiederholten Malen kund- gegebenen Standpunkt, daß wir eine Regelung des Verhältnisses der Einzelstaaten zum Reih nach wie vor für wünschenswerth und erstrebenswerth erachten, deêgleihen aber auch mit dem Abg. Dr. Bachem anerkennen müssen, daß durch eine thunlichst sparsame f panien vermieden werden möge, an die Nothwendig- leit der Erschließkung neuer Steuerquellen beranzutreten. J {ließe mich dem Antrag auf Ablehnung des § 4 des Tabackfteuer- geseßes und der ganzen Regierungsvorlage an. Während ein Theil meiner politishen Freunde den Weg der Fabrikatsteuer von Anfang an für gangbar hielt, hatten Andere, darunter ih, sehr erhebliche Bedenken und halten das System der Tabackfabrikatsteuer für unan- nehmbar. Der Schaßsekretär hat \sih nun bereits in der Kommission auf den Standpunkt gestellt, daß eventuell die Regierung mit einer Mehreinnahme aus dem Taback von 10 Millionen auf der Basis des Tabackfabrikatsteuersystems sich zufrieden geben werde. Dadurh wird aber die prinzipielle Gegnerschaft gegen das System in keiner Weise berührt. Im Gegentheil haben wir bereits in der Kommission hber- vorgehoben, daß es uns höchst bedenflih ersheinen würde, die Aussicht auf die Steuerschraube zu eröffnen, daß_ s{lieflich im Interesse der Industrie der Standpunkt vorzuziehen wäre, daß man mit einem Mal die Sache abmachen foll. Angesichts des Ergebnifses der Kommission bin ih allerdings der Ansicht, daß eine möglichft rasche Ablehnung diefer Vorlage schon im Interesse der Industrie wünschenswerth erscheint. Wir haben uns dem Bestreben gegenüber, aus dem Taback Mehreinnahmen zu erzielen, in der Kommission niht absolut negativ verhalten. Eine Anzabl meiner politishen Freunde hat den Vorschlag gemacht, einen Wertdzoll von 15 %% einzuführen; die Regierungsvertreter haben diesen Vorschlag für unannehmbar erklärt. Andere meiner politischen Freunde waren der Ansicht, daß auf der Basis des heute bestehenden Gesetzes einfah im Wege einer Zollerhböhung Mehreinnahmen zu be- shaffen sind; man fkönnte gleihzeitig mit dieser Erhöhung der Mere den Zweck verfolgen, den inländishen Taback mehr zu s{hüßen, als es bisher der Fall war. Auch dieser An- trag hat eine Mehrheit in der Kommission nicht gefunden. . Jh verfehle nit, hinzuzufügen, daß andere meiner politishen Freunde aus Norddeutschland prinzipielle Gegner der Erhöhung des Zolls sind. Wir verzichten angesihts der Thatsahe, daß in der Kommission keinerlei Einigung auf irgend einen Antrag zu stande gekommen ift, heute darauf, im Plenum diese Anträge wieder vorzubringen. Jch möchte für meine Person noch zum S{hluß binzufügen , daß, nahdem das System der Fabrikatfteuer im Reichstag nunmehr in zwei Sessionen den entshiedensten Widerspruch gefunden hat, einen Widerspruch, der in den Kommissionsberathungen verstärkt hervorgetreten ift, man von diesem System abgehen möge und diejenige Darlegung wieder als rihtiz anerfennen möge, die {hon in der Tabadenquête niedergelegt worden ift. Zweifellos kann man aber ausfprechen, daß es für die Industrie äußerst wünschenswerth wäre, wenn sie mit weiterer Beun- ruhigung durch die Fabrikatsteuer vershont bliebe. Es ift kein Zweifel, daß heute {hon zahlreihe und zwar niht große, fkapital- kräftige Eristenzen, sondern die kleineren, durch diesen Geseßentwurf auf das entschiedenste gefährdet sind.

Abg. von Kardorff (Rp.): Wenn alle Kulturstaaten ohne Ausnahme so bohe Erträge aus den Taback nehmen, wird Deutsch- land allein nicht zurückbleiben und ein fo vorzüglihes Steuerobjekt unbesteuert lassen fönnen. Mit der Zeit werden wir immer wieder auf die Tabasteuer zurückommen, und wenn der Abg. Frese gemeint hat, s nunmehr die Tabackindustrie endlich zur Ruhe kommen werde, so ist das ausgeschlossen. Selbst bei der größten Sparsamkeit wird das Reih nothwendig in die Lage kommen müssen, höhere Steuer- erträge zu brauen. Sie denken nicht an die Einzelstaaten und deren dringende Aufgaben. Jch erinnere an das Schulwesen, an die Erhöhung der Beamtengehälter, an die Ausbildung der Verkehrsverhältnifse. Die direkten Steuern sind bereits so hoh, daß sie shwer eine weitere Anspannung vertragen können; man wird immer auf die indirekten Steuern zurückgreifen müssen. Ich bin der Ueberzeugung, und ih habe sie immer vertreten: es is ein ganz irriger Saß, wenn man be- hauptet, die indirekten Steuern belasten vorzugsweise die niederen Klafsen. Das kann man von einzelnen Steuern bebaupten,- aber niht von allen, namentli nicht von der Tabacksteuer. Nach welchem System der Tabak befteuert werden foll, ist gleich- gültig; aber kommen wird die Steuer, wenn au erft nah Jahren. Die vorgeschlagene Besteuerung würde meines Erachtens die berech- tigten Klagen der Tabackbauern abstellen. Diese hoffen, wesentliche Beschränkungen los zu werden, die aegenwärtig den Tabackbau be- lasten. Alles das sind Dinge, die mit Nothwendigkeit dahin führen müssen, daß wir die Tabacksteuer doch wieder auf die Tagesordnung stellen werden. Wenn darauf hingewiesen wird, daß diefer Reichstag die Tabacksteuer ablehnt, so muß ih doch fragen: was hat denn dieser Reichstag bis jeßt überhaupt produziert? Bei seiner jeßigen Zusammensetzung ift er überhaupt das hat sih ja gezeigt un- fähig, etwas Positives zu leisten. Das liegt in der Zerrissenheit unseres Parteiwesens. Ehe sih das nicht gebessert hat, werden wir au nit zu befferen finanziellen und wirthshaftlihen Verbältniffen kommen. Daß eine Besserung der finanziellen Verhältnisse ein dringendes Erforderniß is, muß jeder zugeben, der fich ernst- lich mit dieser Frage beschäftigt hat. Wir können die Einzel- staaten nicht in diesen finanziellen Nöôthen fißen lassen. Der Reichstag muß helfend eingreifen, und er besißt nur das Gebiet der indirekten Steuern. Wenn von diesem Reichstage nichts zu erwarten ift, vielleicht ift ein anderer Reichstag besser. So zerrissen, wie der Reichstag heute ift, glaube ih, wird faum ein anderer jemals sein können. Dazu habe ih ein zu gutes Zutrauen zu der deutschen Nation. Sie wird sich darauf befinnen, daß eine solche Parteizerrifsenheit das Schlimmste ist, und wird darauf dringen, daß diejenigen, welhe den nationalen Gedanken vertreten, im Reichstage die Majorität haben. Dann wird die Tabacksteuer kommen, ob Sie wollen oder nicht.

Staatssekretär des Reichs - Schaßamts Dr. Graf von Posadowsky:

Meine Herren! Ich habe nicht beabsihtigt, das Wort noh einmal zu ergreifen, aber gegenüber den Erklärungen des Herrn Abg. Bassermann sehe ih mich doch dazu verpflihtet. Es könnten diese Erklärungen im Lande den Schein erwecken, als ob man uns that- \ählich höhere Mittel aus der Tabacksteuer hätte bewilligen wollen