1895 / 116 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 15 May 1895 18:00:01 GMT) scan diff

Tihtig bemessen und lassen für die Zukunft noch eine gewisse Er- weiterung zu.

Meine Herren, man ift bei diesem Gescßentwurf infofern auch von einem andern Prinzip, wie bisher, ausgegangen, als man die Bearbeitung der Unterstüßungsgesuhe der nur bedürftigen Kriegs- theilnehmer nicht den Militärverwaltungen der einzelnen Kontingente bezüglich dem Reichs-Schaßamt übertragen will, um demnächst die Allerhöchste Genehmigung nachzusuchen. Man will diesen Fonds vielmehr den einzelnen Bundesstaaten überlafsen zur eigenen Ver- waltung, weil man der Ansicht ist, daß gerade bei einem derartigen Fonds, dessen Verwendung unter Berücksichtigung der bürgerlichen Verhältnisse der Einzelnen und ihrer Bedürftigkeit erfolgen foll, möglichst dezentralisiert werden muß; die einzelnen Bundesregierungen fönnen in diesem Falle sahgemäßer individualisieren als die Organe der Reichsregierung.

Meine Herren, ich glaube, weiteres der Befürwortung des

Entwurfs nicht hinzufügen zu sollen. Es wird Sie alle in Ihrem patriotishen Gefühl befriedigen und mit Dankbarkeit erfüllen, daß zu Gunsten der Männer, die für das Vaterland gekämpft und geblutet haben, diese Vorlage Ihnen unterbreitet ist. (Bravo!)

Abg. Graf Oriola (nl.): Im Namen meiner Partei kann ih erklären, daß wir der Vorlage mit Wohlwollen gegenüberstehen und sie für durhaus annehmbar halten. Eine Kommissionsberathung halten wir nicht für nöthig, sondern meinen, daß {on heute die zweite Berathung stattfinden kann. Das Geseß soll Abhilfe schaffen einer Ungerechtigkeit, die bisher bestanden hat gegenüber verwundeten Offizieren und Mannschaften der glorreichen Jahre 1870/71. Der Antrag Schöning hatte allgemeine Zustimmung im Hause gefurden. Von der wichtigsten Konsequenz ist der dritte Theil der Vorlage. Eine große Ehrenfsoldbewegung ist in den leßten zwei Jahren durch ganz Deutschland gegangen. Man hatte gehört, die verbündeten Regierungen wollten aus dem zum Nußen und Frommen der In- validen gegründeten Invalidenfonds 67 Millionen für Betriebszwecke des Reichs entnehmen; man wußte nit, daß vom Invalidenfonds in jedem Jahre Kapital in Anspruch genommen wurde. Daraus ift dann der Petitionssturm entstanden. Man wünschte zunächst ganz enerell einen Ehrensold an alle Kriegstheilnehmer. Es stellte si bald die Unausführbarkeit dieses Verlangens wegen der außerordentli hohen Summen, die dabei in Betracht kommen würden, heraus. Dann beschränkte man sich auf das Verlangen eines Ehrensoldes an die bedürftigen Kriegstheilnehmer vom Feldwebel abwärts. Es hat ih herausgestellt, daß etwa 780 000 bis 800 000 Kriegêveteranen aus 1870/71 noch vorhanden sind. Die Petenten selbst Haben ein- geschen, daß ihre ursprünglichen Forderungen zu weit gingen, und sind der Reichsregierung weit entgegengeklommen. Der Staatssekretär hat vollkommen recht, daß man die Kriegsveteranen nicht der öffentlihen Wohlthätigkeit :anheimfallen lafsen solle. Nur verstehen ih und meine politishen Freunde das Wort „Ehxrenfold“ nit so, daß nur die Inhaber des Eisernen Kreuzes, die mit Ehren am Krieg theilgenommen haben, diesen Sold erbalten sollen. Soweit hier eine wirklihe Noth vorhanden is, müssen wir helfen, selbst wenn noch weitere Mittel als jegt erforderlich werden follten. Im Namen einiger meiner politischen reunde möchte ih im Interesse der Kriegstheilnehmer, die unvershuldet in Noth und Elend gelangen, anregen, daß man eventuell dem Gedanken einer Wehrsteuer näher tritt. Die Vorlage kommt noch nicht allen berechtigten Wünschen der Petenten entgegen. Zum Beispiel müßte au Rücksicht genommen werden auf Wohnungstheuerung. Hinweisen möchte i auch vor allem auf die Wittwen der Soldaten, die am leßten Krieg theilgenommen haben. In Frankrei erhalten die Wittwen der Soldaten aus 1879/71 450 Fr. jährlich. In Elsaß- Lothringen erhalten die Wittwen französisber im Kriege gefallener Soldaten eine höhere Pension als die Wittwen der deutschen Soldaten. Eine Frage i auch die, ob man den im Reichs- oder Staatsdienst beshäftigten Soldaten aus 1870/71 nit ihre Pension belassen soll. Und dann verstehen wir vor allem nit, weshalb nicht der Zivilversorgungsshein gegen Entschädigung zurückgegeben werden fann. Ich gehe auf alle diese Ansprüche niht näher ein, au nit auf alle Geseßentwürfe, die der Petitionskommission mitgetheilt find. Zum Schluß möchte ih nur auf Eins hinweisen: Es wäre dringend wünschenêwerth, eine Kodifikation der Invalidenpension8geseße zu machen, Aus all den Novellen, die im Laufe der Zeit gemaht sind, können sich die kleinen Leute, für die das Geseß doch bestimmt ist, nit herausfinden.

Abg. Singer (Soz.): Auch wir sind der Ansicht, daß diejenigen, die im Dienst des Vaterlandes invalide werden, möglich| ausreihend versorgt werden müssen. Wir wünschen deshalb, daß auch diejenigen Invaliden, welche in eine amtlihe Stellung eintreten, im Bezuge ibrer Pensionen nit verkürzt werden. Dem vorliegenden Gesey- entwurf immen wir im allgemeinen zu; feine Annahme wird uns aber dadurch ershwert, daß das, was gewährt werden foll, viel zu wenig ist. In der zweiten Berathung werden wir entsprehende An- träge einbringrn. Zunächst wünschen wir, daß das Wort „ehrenvoll“ gestrichen wird. Wir haben keinen Anlaß, einen Unterschied zwischen denen ¿u machen, die einen ehrenvollen Antheil an dem Kriege genommen baben, und denen, welhe ohne befondece Auszeihnung nur ihrer Pflicht genügt haben. Die Unterstüßung von 120 4 jährli erscheint uns unter den heutigen Verhältnissen als viel zu gering. Sie wäre mehr eine dekorative, als eine praftishe Beihilse. Wir werden vor- lagen, die Summe auf 360 4 zu erhöhen. Schließlich haben wir Bedenken gegen die Bestimmung, daß diejenigen von der Unterftüßung ausgeschlossen werden sollen, welhe fi dur ihre Lebensführung der- selben unwürdig machen. Diese Bestimmung würde zweifellos die Handhabe bieten, die Sozialdemokraten von den Vortheilen des Ge- setzes auszuschließen.

Staatssekretär des Reichs - Shaßamts Dr. Graf von Posadowsky:

Meine Herren! Der Herr Borredner hai dem Wunsch Ausdruck gegeben, daß der Betrag, der den bedürftigen Kriegëtheilnehmern zu- geführt werden foll, über die Summe des Gesetzes, d. h. über 120 M erhöht werde. Meine Herren, ih glaube, Sie Alle theilen den Wuns, alle Bedürftigen fo stellen zu können, daß ein jeder Sonntags scin Hubn im Topfe habe. Aber bei der Bemessung dieses Satzes müssen wir doh Nücksiht nehmen einerseits auf die bestehenden Säße des Militär-Pensionégeseßes ih bemerke, daß die geringste Invaliden- vension nur 72 4 beträgt, also wesentlich geringer ist als die Bei- hilfe, die hier gewährt werden soll und andererseits darauf, daß doch au im Zivildienst zum theil sehr mäßige Pensionen gewährt werden, selb\t Leuten, die 20, 30, 40 Iahre dem Staat gedient haben. Ich möchte auch daran erinnern, daß die geringste Wittwenpension nur 160 M beträgt. Es würde, wenn wir dem Wunsche des Herrn Verredners stattgäben und die Summe der Beihilfen auf 360 4 erhöhten, cinfah der Divisor in die verfügbare Zinssumme ein größercr werden, und damit die beabsichtigte Hilfe einem geringeren Kreise von Betheiligten zu gute kommen.. Und dann, meine Herren, bitte ih diese Frage auch nicht aus großstädtishen Verhältnissen heraus zu beurtheilen. Hier in Berlin mag man mit 120 4 nicht leben können, wenn man vollkommen erwerbsunfähig ift. Wenn Sie sich aber an die Verhältnisse der kleinen Städte und des platten Landes erinnern wollen, so kann man dort in der That mit un- gemein niedrigen Beträgen auskommen. Die Empfänger der Alters- versicherungêrente müssen ja auh davon leben; es sind Verwandte,

bei denen sie \sich in Pension geben, verheirathete Kinder u. \. w. Man fann in kleinen Städten aber auch anderwärts sehr billig unter- kommen, sodaß ih do glaube, ebenso wie die Empfänger von Alters- und Snvalidenrenten davon leben müssen, sich auch eine Möglichkeit für die vollkommen erwerbsunfähigen Kriegstheilnehmer bieten wird, für ihre Beihilfe bei Verwandten unterzukommen, oder doch wenigstens auf dem Lande ein, wenn auch fehr bescheidenes, sehr dürftiges, so doch von der öffentlihen Wohlthätigkeit unabhängiges Leben zu führen. (Bravo! rechts.) .

Bevollmächtigter zum Bundesrath, preußisher General-Lieutenant von Spiß: Der Ausdruck „ehrenvoll“ hat nur die Bedeutung, daß alle Theilnehmer an dem Kriege, welche niht wegen {himpfliher Vergehen, wegen Feigheit oder Fahnenflucht bestraft sind, eventuell der Unterstützung theilhaft werden sollen. Auch den Ausdruck „würdig“ bitte ih bestehen zu lassen. Viele, die erwerbsunfähig und unter- stüßungsbedürftig find, werden nihts bekommen, fodaß es geboten ift, nur die Würdigften auszuwählen. Auf die politische Gesinnung kann die g Les Anwendung finden.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Die Interpretation, welche der General-Lieutenant von Spiß bezüglih der Ausdrücke „ehrenvoll“ und „würdig“ gegeben hat, genügt, um alle Bedenken zu beseitigen. Außer- dem heißt es in dem Geseyentwurf, daß nur „unwürdige Lebens- führung“ von der Wohlthat des Geseßes ausschließen soll. „Lebens- führung“ fann aber nie auf die politishe Gesinnung Anwendung finden. Was die Forderung des Abg. Singer, den Saß von 120 #4 auf das Dreifache zu erhöhen, betrifft, so sollte man do nit ver- gessen, daß es nicht angeht, Iedem, der durch Antheilnahme an dem Krieg seine Pflicht gethan hat, einen Anspruch auf Unterstüßung zuzu- billigen. Das würde zu unabsehbaren Konsequenzen führen.

Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): Eine Mehrforderung, wie sie der Abg. Singer befürwortet, ist leiht gestellt, aber die Ausführung ist chwer. Die Wohlthätigkeit des Abg. Singer hat für mich den- selben Charakter, wie die des Abg. Dr. Schaedler, der den Soldaten ein warmes Abendbrot verschaffen will. Wir müssen daran festhalten, daß die Mole Theilnahme am Kriege noch nicht zu der Forderung berehtigt, Staatspensionär zu werden. Für bedenklich halte ih den Ausdruck „unwürdige Lebensführung". Dieser Ausdruck könnte do von den Verwaltungsbehörden, denen die Vertheilung der Unterstüßungen \chließlih zufallen wird, zu leiht auf dem politischen Gebiet zur An- wendung gebraht werden. Ich würde vorschlagen, statt dieses Aus- drucks etwa zu sagen: unsittlihen oder O Lebenswandel.

Bevollmächtigter zum Bundesrath, preußisher General-Lieutenant von Spig: Ich kann zwar nicht im Namen der verbündeten Regierungen sprechen, aber ih glaube, daß eine folhe Aenderung des Tertes bei diesen keinen Anstoß erregen würde. Vor einer Erböhung des Satzes von 120 4 möchte ih aber warnen ; dieselbe könnte das ganze Geseß doch bedenklich ins Schwanken bringen. Wenn ein Offizier, der noch niht zehn Jahre gedient hat, dur irgend einen Unglücksfall, der nicht als Beschädigung im Dienst angesehen wird, Invalide wird, so erhâlt er gar nihts. Erst wenn er zehn Jahre ge- dient hat, bekommt er 487 4 jährlich. Wenn der Saß erhöht wird, fo wird man auch das Pensionsgeseß und das Reliktengeseß umfstoßen müssen. Welchen finanziellen Effekt dies Vorgehen haben müßte, läßt fich garnicht übersehen. :

Abg. von Leipziger (d. kons.): Ich kann die Bedenken des Abg. Singer nicht theilen. Was den Vorschlag anlangt, statt 120 M 360 M zu gewähren, so würden wir, wenn wir dem Drange unseres Herzens folgen dürften, gern 720 A und noch mehr bewilligen. Aber woher soll das Geld kommen? Die Sozialdemokraten sind beim Sn von Geldern immer bei der Hand, aber wenn es sich um die Deckung handelt, so find sie niht zu haben. Der Say von 120 Æ ift auf dem Lande keineswegs unbedeutend; für die Verbält- nisse, in denen der Abg. Singer zu leben gewohnt ift, mag er freilich niht ausreichen. Angesichts dieser Vorlage empfinde ich Genug- thuung darüber, daß wir im vorigen Jahre nicht darauf eingegangen sind, dem Reichs-Invalidenfonds 67 Millionen zu Betriebsmitteln des Reichs zu entnehmen. Wir würden fonst jeßt niht in der Lage sein, dieses Geseß zu machen.

Abg. Dr. Pachnide: Jh muß mich, indem ih meine Zustimmung zum Geseßentwurf ausdrüdcke, gegen die für die zweite Lesung in Aussicht gestellten Anträge wenden, da sich die finanziellen Wirktungen derselben garnicht absehen laffen.

_ Abg. von Schöning (d. konf.) spricht der Regierung scinen Dank dafür aus, daß fie seiner Anregung durch Einbringen des Entwurfs Folge gegeben hat.

Abg. Bech (südd. Volksp.) bittet die Regierung, aus der großen Zahl der Petitionen von Kriegétheilnehmern Material zu {öpfen für die Behandlung der niht anerkanuten Invaliden.

Abg. Dr. Förster (d. Refp.) erklärt die Zustimmung seiner Partei zu der Vorlage.

Damit schließt die erste Dee. E

In der zweiten Lesung bemerkt bei Artikel T der

Abg. R ichter (fr. Volksp.), daß er sich für die nächste Etats- berathung eincn Antrag vorbehalte, einen höheren Betrag als 400 000 Æ aus dem allgemeinen Penstonéfonds auf den Invaliden- fonds zu übernehmen. Was die Unterstüßung der Kriegsinvaliden anlange, so sei er der Ansicht, daß man in Zukunft dafür auch die Gemeinden heranziehen solle.

_Abg. S inger (Soz.) beantragt, das Wort „ehrenvo ll“ zu streichen.

Abg. von Kardorff (Rp.): Der Anregung des Abg. Richter kann ih nur zustimmen. Es ist sehr wohl mögli und nüßlih, wenn die Gemeinden zur Erhöhung der Unterstüßung der Invaliden all- mählih mit herangezogen werden. Eine folhe Erhöhung der Regie- rung zuzumuthen, ift bedenklih, da der Reichs-Invalidenfonds voraus- sihtlih noch zu vielen Zwecken in Angriff genommen werden muß. Die Wiederholung des sozialdemoftrati'chen Antrags is von Popula- ritäts\ucht diktiert. Daß der Abg. Singer das Wort „ehrenvoll“ gestrihen haben will, ift mir nah den S des Negierungs- vertreters unverständlich. Dazu liegt gar kein Anlaß vor.

Abg. Singer (Soz.) hält das Wort „ehrenvoll“ für überflüssig. Er freue si, doch eine befriedigende Interpretation dieses Worts

erreicht zu haben. örster (Refp.) und Dr. Bachem (Zentr.)

Die Abgg. Dr. sprechen sich gegen die Streichung des Worts „ehrenvoll“ aus.

Bevollmächtigter zum Bundesrath, preußisher Kriegs- Minister Beonfant e S E UDOLEF Bij N

Meine Herren! Ich möchte wirklih bitten, daß Sie das Wort „ehrenvoll“ ftehen lassen. Es ift dieser Ausdruck in dem Gesetz- entwurf nur gewählt, weil wir damit haben ausdrücken wollen, daß von der Wohlthat dieses Geseßes diejenigen ausgeschlossen bleiben müssen, die, wie, ih glaube, Herr General von Spiß chon gesagt hat, sich während des Feldzugs des Plünderns, des Marodierens, der Vergewaltigung oder der Feigheit und Fahnenfluht \{uldig gemaht haben. Solche, nehmen wir an, haben nit ehrenvoll am Feldzug theilgenommen, alle Andern haben ehrenvoll am Feldzug theilgenommen ! (Sehr richtig !) as Singer (Soz.) zieht seinen Antrag nah dieser Erklärung

Die Artikel 1 und 2 werden darauf einstimmig unver- ändert angenommen.

Zu Art. 3, §8 1, liegt ein Antrag des Abg. Singer vor, der die Beihilfe von 120 M jährlich auf 360 H er- eyen E A sh ;

. Singer: (Soz.): Wir n î öthi - larität n haschen ; (rfi jagen ie R A o feliae DIEL diesem Hause. Es ist des Deutschen Reiches niht würdig, einen Mann, bei dem die Vorausfeßung der Unterstüßung , die dauernde Erwerbs-

unfähigkeit zutrifft, mit 10 A monatli abzuspeisen. wird, auf dem Lande kommen die Leute damit aus Sie (nach rechts) doch auf die Branntweinprämie, auf die Zuckerprämie. Diesen Invaliden täglich eine Mark zu geben, ist gewiß nit zu viel. Sie sagen, wir wollen Ausgaben bewilligen, ohne Einnahmen zu verschaffen. 0 Sie doch unserer Foetung, führen Sie eine direkte progesfive inkommensfteuer ein 9 hoh Sie wollen! So lange Sie aber nur im stande sind, Ein: nahmen des Reichs aus den Taschen der Allerärmsten zu {aen müssen wir uns ablehnend verhalten. f

Abg. von Kardorff (Rp.): Die indirekten Steuern belasten durchaus nicht die ärmeren Klassen. Das habe i gestern {on aus. gesprohen. Der Abg. Singer geht von einer falschen Vorausfezung aus: die Vorlage soll niht dazu dienen, den Leuten ihren Lebens. unterhalt zu gewähren, fondern eine Unterstüßung zur befferen Lebens, führung. Wenn wir dazu kommen müßten, ihnen ihren Lebensunter- halt zu geben, so würde der Abg. Singer Recht haben. Die meisten Invaliden sind aber in der Lage, Hilfsmittel außerdem noh zu haben.

Der Antrag des Abg. Singer wird abgelehnt und der Paragraph unverändert angenommen.

S 2 bestimmt, daß von der Unterstüßung neben anderen ausgeschlossen sein sollen „Personen, welhe nah ihrer Lebens- L der beabsichtigten Fürsorge als unwürdig anzu- ehen find.“

Abg. Singer beantragt, diese Bestimmung zu streichen.

Abg. Lenzmann (fr. Volksp.) beantragt: statt „nach ibrer Lebensführung“ „wegen anstößigen Lebenswandels" zu seyen.

Beide Anträge werden debattelos abgelehnt, und auhch S 2 ohne Veränderung angenommen. ;

Nach dem § 3 enischeidet bei gleiher Anwartschaft für den Vorzug in dieser Reihenfolge: Auszeihnung vor dem Feinde, frühere Feldzugsperivde, höheres Lebensalter.

Der Abg. Dr. Förster (d. Refp.) beantragt, die Reihenfolge dergestalt zu ändern, daß die Auszeichnung vor dem Feinde an die leßte Stelle tritt.

Abg. Dr. von Marquardsen (nl.) regt an, den Inhabern des Eisernen Kreuzes einen Ehrensold zu theil werden zu lassen.

Abg. von Kardorff (Np.): Die Inhaber des Eisernen Kreuzes von 1813 haben besondere Zuwendungen aus der Staatskasse erbalten, und die im Volke vorhandene Erinnerung hieran hat wobl zu dem Anspruch geführt, daß derselbe gegenwärtig den Inhabern des Eisernen Kreuzes zu theil werden follte. Ich halte es für wünschenswerth, daß dieser Anspru der Nitter des Eisernen Kreuzes, nahdem seit dem Feldzuge 25 Jahre vergangen sind, wenigstens einigermaßen Berü-

E fände. E L bg. Refp.) \priht sfich in ähnlichem

Dr. Förster (d. Sinne aus. s z

Das Gese gelangt darauf auch in diesem wie in allen folgenden Paragraphen unverändert nah der Vorlage in zweiter Lesung zur Annahme.

_Es folgt die zweite Berathung des Geseßentwurfs, be- treffend die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der Personen des Soldatenstandes des Reichs- heeres und der Marine vom Feldwebel abwärts.

Abg. Harm (Soz.) beantragt, daß die Gewährung von Waisen- geld nicht auf die „ehelichen oder durch nahgefolgte Ehe legitimierten“ Kinder beschränkt, und daß dec Anspru auf Reliktenversorgung nicht davon abhângig gemaht werde, daß der Tod die Folge einer ohne eigene Verschuldung erlittenen Beschädigung ist.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.) führt aus, daß in allen Geseßen ein Unterschied zwishen ehelihen und unehelichen Kindern gemacht worden sei; man fönne nit plöglich hier von der bisherigen Ge- pflogenheit abweihen. Ebenso sci immer untershieden worden, ob der Unfall oder Tod durch eigenes Verschulden herbeigeführt sei oder nicht. Im Invaliden- und Unfallversicherungsgeseß habe man diese Unterscheidung fallen lassen, weil man bei der Gefahrlichkeit der Be- E De Cs der D) ie AR habe. :

g. Dr. Hammacher (nl.) spriht sih gegen den Antrag auf Es der unehelichen Kinder und für den iveltci Ans rag aus.

Staatssekretär des Reichs - Schaßamts Dr. Graf von Posadowsky:

Ich glaube, die verbündeten Regierungen würden gegen die Streichung der Worte „ohne eigene Verschuldung“ keinen Einwand zu erheben haben.

_ Der Antrag auf Gleichberechtigung der unehelichen Kinder

wird abgelehnt, der zweite Antrag angenommen.

Abg. Stadthagen (Soz.) beantragt Erhöhung der Bezüge.

General-Lieutenant von Spitz konstatiert, daß gegenüber dem Neichs-Beamtengeseße diese Vorlage weit höhere Sätze bewillige.

Die Abgg. Dr. B achem (Zentr.) und Dr. Förster (d. Refp.) sprechen sh gegen den Antrag aus.

Der Antrag wird abgelehnt und der § 2 sowie die ganze Vorlage in zweiter Berathung angenommen.

Ohne Debatte gelangt dann in dritter Berathung die Geseßzesvorlage, betreffend die Ausführung des mit Desterreih-Ungarn abgeschlossenen Zollkartells

zur Annahme. zweite Berathung des Entwurfs eines Ge-

Wenn ges so verzidte

Es folgt die seßes über den Beistand bei Einziehung von Abgaben und Vollstreckung von Vermögens strafen.

Der S 3 enthält in seinem zweiten Absaß eine Bestimmung, nach welcher die Gewährung des Beistands behufs Abwendung einer Doppelbesteuerung versagt werden kann.

Auf den vom Abg. Dr. Hammacher (nl.) ausgesvrochenen E nah möglichster Verminderung von Doppelbesteuerungen er-

ar C

Staatssekretär des Reichs-Justizamts Nieberding:

Meine Herren! Jch kann dem Herrn Vorredner darin nur bei- stimmen, daß es sehr erfreulih fein würde, wenn wir nah dem Vor- gange des Gesetzes über die Doppelbesteuerung vom Jahre 1870 weitere Rehtsnormen erhielten, welhe jeder Doppelbesteuerung der Angehörigen verschiedener deutscher Staäten vorbeugen würden. In- zwischen find wir bis jeßt zu diesem wünschenswerthen Ziele noch nicht gelangt, wie das ja auch vom Herrn Abg. Dr. Hammacher be- merft worden ist, und bei der Schwierigkeit und komplizierten Lage der Steuerverhältnisse in den einzelnen deutshen Staaten glaube ih, wird es arch beim besten Willen noch eine Zeit larig dauern, bis wir hier zu einem zweckentsprehenden Ausgleich kommen können. Bis dahin werden wir aber eine Bestimmung, wie die vorliegende ist, niht entbehren können. Ihre Aufnahm? in den Entwuf ist nicht bloß erfolgt mit Rüsich: auf die Erfahrungen, die mit den preußishen Gemeindesteuern ge" macht worden sind, sondern auch ebenso mit Rücksiht auf die Er- fahrungen in dem Verhältniß anderer Bundesstaaten zu einander; au niht nur mit Rücksicht auf die Gemeindebesteuerung, sondern ebenso- wohl in Bezug auf andere Steuerbelastungen indirekter Art für Staatszwecke. Also vorläufig besteht das Bedürfniß, und ih kann Sie nur bitten, wie das ja wohl au der Wunsch des Herrn Vor- redners gewesen ist, dem Vorschlag des Gesetzentwurfs Jhre Zustim- mung zu geben.

(S@hluß in der Zweiten Beilage.)

zum Deutschen Reichs-A

M 116.

Zweite Beilage nzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

Berlin, Mittwoch, den 15. Mai

1895.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Zu §5 Abs. 1 liegt ein Antrag des Abg. Krüger (nl.) und Genossen vor, der ihn dahin erweitert, daß au über die Versagung der Beistandsgewährung im Falle des

3 Abs. 2 die zuständigen Behörden desjenigen Bundesstaats entscheiden, welchem die ersuhte Stelle angehört.

Staatssekretär des Reichs-Justizamts Nieberding :

Meine Herren! Die Bedenken, welche dem Herrn Vorredner Neranlafsung gegeben haben, seinen Antrag zu stellen, sind nah unserer Meinung nicht vorhanden. Wir find der Ansicht, daß jeder Zweifel über die Kompetenz derjenigen Instanzen, welche berufen sein sollen, über die Frage der Doppelbesteuerung in den hier in Betracht kom- menden Fällen zu entscheiden, außer Frage ist. Inzwischen deckt ih die Auffassung des Herrn Antragstellers über diese Kompetenz voll- ständig mit der Ansicht, die dem Entwurf zu Grunde liegt, und wenn es nah Ihrer Meinung richtiger ist, dasjenige, was die Vorlage in dieser Beziehung will, auch noch ausdrücklich hier auszusprechen, fo ist von unserer Seite ein Einspruch dagegen nicht zu erheben.

Der Antrag Krüger wird angenommen und hierauf debattelos die ganze Vorlage.

Es folgen Wahlprüfungen.

Die Wahlen der Abgg. Bohm (3. Potsdam) und Frei- herr v. Malzahn (4. Mecklenburg-Schwerin) werden für gültig erflärt. Ebenso die Wahlen der Abgg. Graf Limburg-Stirum (8. Breslau), Rimpau (8. Magdeburg) und Dr. Hammacher (6. Düsseldorf); doch wird behalt dieser leßten drei Wahlen beschlossen, über einige in den Wahl- protesten behauptete Unregelmäßigkeiten Erhebungen anzustellen und event. Remedur eintreten zu lassen.

Der E betreffend die Kontrole des Neichs- haushalts, des Landeshaushalts von Elsaß-Lothringen und des Haushalts der Schußgebiete für das Etatsjahr 1894/95, sowie die Uebersicht der Reichsausgaben und -Einnahmen für das Etatsjahr 1893/94 werden in dritter Berathung genehmigt.

Darauf erledigt das Haus eine Anzahl von Petitionen

gemäß den Vorschlägen der Petitionskommission. _ Bezüglich einer Petition wegen Abänderung der Be- stimmungen des Strafgeseßbuchs, betreffend Kuppelei, hat die Petitionskommission beantragt, die Petition dem Reichskanzler E Berücksichtigung bezw. als Material zu überweisen mit em Ersuchen, baldmöglichst einen Geseßentwurf vorzulegen, e geeignet ist, dem Umsfichgreifen der Unsittlichkeit zu euern.

_Abg. S inger (Soz.) beantragt, mit Nücksiht auf die {wache Beseßung des Hauses diesen Gegenstand, der eine größere Erörterung veranlassen würde, von der heutigen Tagesordnung abzusetzen.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.) ist der Ansicht, daß sich die Petition und der Antrag der Kommission gerade bei hwaher Beseßung der Tribünen zur Verbandlung eignen.

Das Haus beschließt indeß, den Gegenstand abzusegzen.

Schluß der Sißung 5 Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 66. Sißung vom Dienstag, 14. Mai.

Ueber den Beginn der Sißzung istt gestern berichtet worden.

Auf die Jnterpellation der Abgg. Ring (kons.) und Gen., betreffend die Maßregeln gegen die Einschleppung der Klauenseuche, antwortete der __ Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hamme r- stein-Loxten:

Auf Grund der Viehseucßenkonvention, welhe mit Oesterreich- Ungarn besteht, ist die Einfuhr in den freien Verkehr von Rindvieh, von Schweinen und von Schafen untersagt. Als Ausnahme von diese:n zur Zeit bestehenden allgemeinen Einfuhrverbot sind zugelassen . erstens für Rindvieh die Einfuhr von Rindvieh aus seuchenfreien Theilen Oesterreih-Ungarns, mit Aus\{chluß von Galizien, und die Einfuhr \euchenfreien Rindviehs aus Salzburg, aber nur nah öfentlihen Sc{hlachthäusern einzelner Städte zur sofortigen Ab- s{lachtung. Ferner ist die Einfuhr von Nuß- und Zuchtvieh zum eigenen Bedarf für Grenzbewohner auf Entscheidung im einzelnen Fall zugelassen und für zulässig erkannt. Das sind die maßgebenden Verhältnisse für Rindvieh.

Für Schweine! aus der Kontumazanstalt in Steinbruch ist, und zwar zum Zwecke sofortiger Abshlachtung, die Schweineeinfuhr nur nah öffentlihen Shlachthäusern einzelner Städte gestattet.

Für Schafe ist in beschränkter Zahl und nur zu Zuchtzwecken in einzelnen Fällen die Einfuhr gestattet.

Meine Herren, das sind die welhe im fonfkreten Fall zur Anwendung gelangen. Der welher zu der Interpellation Anlaß gegeben hat, ist folgender:

Am 30. März dieses Jahres wurde bei der Ausladung eines Transports Schweine hier auf dem Zentralviehhofe unter 44 Schweinen ein Schwein als mit der Klauenseuche behaftet und bei weiteren vier Sthweinen desselben Transports der Seuchenverdaht als vorhanden befunden. Der betreffende Transport war am 27. März in Stein- bru verladen und hatte am 29. März die Grenze bei Oderberg über - shritten. Nach dem Gutachten des vereideten Thierarztes ist als fest- gestellt zu erachten, daß die Infektion bereits vor Ueberschreitung der Grenze stattgefunden hat. Als Maßregel, welche die Staatsregierung aus Anlaß dieses einen Falls bereits ergriffen hat, is die Erlaubniß zur Einfuhr von Schweinen aus dem freien Verkehr Oesterreih-Un- garns, welhe nah öffentlihen Schlahthäusern der oberslesishen Städte Beuthen, Myslowiß, Liegniß, Oppeln, Ratibor und Tarnowiß bis jet stattfinden durfte, zurückgenommen.

Ferner, meine Herren, hat die landwirthshaftlihe Verwaltung sofort nach dem Eintritt dieses Vorgangs sih mit der Reichsregierung darüber in Verbindung geseßt, ob und welche weitere Maßregeln zu

maßgebenden Bestimmungen, Fall,

ergreifen scin würden, um die Seucheneinshleppung aus der Kon- tumazanstalt in Steinbruh nah öfentlichen Schlahtbäusern einzelner Städte zu verhüten. Die Verhandlungen mit dem Herrn Reichs- kanzler chweben noch, um ein gemeinsames Vorgehen nit allein in Preußen, sondern auch in den übrigen deutschen Staaten herbeizuführen.

Dann habe ich mitzutheilen, daß im Auftrage der Staatsregierung die Anstalt in Steinbruch kürzlih von preufischezn Veterinären unter- sucht ift, und daß alles in bester Ordnung befunden ist, daß die An- stalt sih als seuchenfrei erwiesen hat. Daß mal ein einzelner Fall, wie der hier vorgekommene, eintreten fann, ist unvermeidlich. Wenn aber alle Einrichtungen auf den öffentlihen Schlachthäusern, wohin die Thiere zur fofortigen Abschlahtung nur gebracht werden dürfen, vollkommen und ausreihend sind, dann ist nach Auffassung der Staats- regierung eine Gefahr selbst dann ausgeschlossen, wenn mal ein auf dem Transport verseuhtes Thier zu den Schlahhthäusern gelangt. Bekannt i} ja allerdings, daß zur Zeit auf dem Berliner Viehho! noch Einrichtungen bestehen, die in dieser Beziehung als genügend niht zu erachten sind. (Hört! Hört!) Das hohe Haus wird es aber gewiß interessieren, zu vernehmen, daß in den legten Tagen unter meiner persönlihen Leitung Verhandlungen mit dem Magistrat der Stadt Berlin, mit dem Herrn Ober-Präsidenten, mit dem Herrn Vertreter des Polizei-Präsidenten letzterer selbs war erkrankt auf dem Shla(hthofe von Berlin stattgefunden haben. Die Stadt befindet ih bereits im Besitz eines vollständig aus- reichenden Terrains, um auf diesem neuen Terrain alle diejenigen Einrichtungen auszuführen, die nothwendig sind, um den Anforderungen in :veterinärer Beziehung zu ‘genügen. Die Stadtvertretung hat in dieser Verhandlung mir gegenüber sich auf das bestimmteste bereit erflärt, sofort die Ausführung der baulichen Einrichtungen sowohl auf dem alten Berliner Vieh- und Schhlachtviehhof als auf dem uen Terrain ins Werk zu seßen. Es handelt sih dabei um eine T gabe von mindestens 2 bis 3 Millionen, und Sie werden zugeben , daß der Stadt die erforderlihe Frist gewährt werden muß, um diese Ein- richtungen fertigstellen zu können, und das wird also wahrscheinlich vor Mitte nächsten Sommers nicht ausführbar sein.

Ich halte mich aber für verpflihtet zu bezeugen, daß ih seitens der Stadtverwaltung das vollste Entgegenkommen feststellen konnte, daß dieselbe gewillt ist, wenn ihr von der Stadtvertretung die nöthigen Mittel zur Verfügung gestellt sind woran der Herr Ober-Bürger- meister nicht zweifelt —, noch im Laufe dieses, spätestens im künftigen Jahre die in der Verhandlung vorgelegten Baupläne zur Ausführung gelangen zu lassen. Dadurch wird besonders der erforderlihe Raum zur Verfügung gestellt werden, daß das im Marktverkehr nicht ver- kaufte Vieh nicht wieder auf den Marktviehhof gelangt, sondern ge- sondert verkauft und abgeschlachtet wird, daß dann täglih der Markt- viehhof nah der Räumung gereinigt und vollständig desinfiziert wird, um eine Ansteckung des neu zum Marktverkehr gelangenden Viehs zu verhüten.

Ferner ist die Stadtverwaltung bereit, bezüglich der Abshlachtung und Verwerthung verseuhten Viehs bessere Einrichtungen wie bisher zu treffen.

Drittens wird eine gemeinsame Kommission niedergeseßt werden zur Prüfung derjenigen Einrichtungen, welche nothwendig find, um die mit Blut- und Fleischabfällen vermishten Dungstoffe unschädlich zu machen, Stoffe, welche jeßt durh den Verkauf im freien Verkehr angebli viel zur Verseuhung von Viehbeständen beigetragen haben sollen, namentlich da, wo mit Ochsen Felder gepflügt werden, welche mit solhen Dungstoffen gedüngt werden.

Endlich hat sich auch die Stadtverwaltung bereit finden lassen, die Laderamven fo einzurihten, daß möglichst bei Tage das an- fommende Vieh entladen und untersuht wird.

Meine Herren, ich beabsichtige, in allernähster Zeit und unter meiner persönlihen Litung Verhandlungen unter Betheiligung des Polizei-Präsidenten, des Ober-Präsidenten, des Regierungs-Präsidenten und des Landraths wegen des NRummelsburger Viehmarkts ein- treten zu lassen. (Bravo! rechts.) Es ift die Absicht, dafür zu sorgen, daß alles Magervieh, welches unrihtiger Weise dem Berliner Vieh- markt zugeführt wird, dort auch zur Abschlachtung gelangt und daß der Markt mit Magervieh auf dafür ausreichend herzustellende Markteinrihtungen in ‘Rummelsburg verwiesen wird. Der Berliner Viehhof muß thunlichst von der Zuführung niht s{lachtbarer Waare frei gehalten werden. (Sehr gut! rechts.) Welche Einrichtungen in dieser Richtung bezüglih des Rummelsburger Viehmarkts zu treffen sind, darüber schweben noch die Verhandlungen; ih behalte mir vor, vielleiht bei anderer Gelegenheit das Ergebniß dieser Verhandlungen zur Kenntniß des hohen Hauses zu bringen. Zur Zeit liegen be- stimmte Pläne noch nicht vor.

Dann hat der geehrte Herr Vorredner gefragt, ob es nicht mögli sei, Quarantäneanstalten an der Grenze zu errihten. Ich theile dem hohen Hause mit, daß See-Quarantäneanstalten zu er- rihten hon jeßt feststehend beshlossen ist, daß aber die Verhand- lungen noch s{chweben, ob auch an den Grenzen, z. B. gegen Oester- reih-Ungarn u. \. w. im Binnenlande Quarantäneanstalten errichtet werden können. Die Frage ist noch nicht abgeshlossen. Jch werde mich bemühen, sie zum Abschlusse zu bringen im Interesse der Abwehr von Viebseuchen aus dem Auslande, indem ich im vollsten Maße an- erkenne, daß, nahdem die deutsche Landwirthschaft, um fich im Innern immun zu machen und zu erhalten, Millionen aufgewendet hat, sie auch einen Anspruch darauf hat, daß diejenigen Einrichtungen getroffen werden, welche verhüten, daß neue Seucheneinshleppungen eintreten. (Bravo!) Wieweit das in kurzer Zeit gelingen wird, darüber kann ih mich niht weiter äußern; an meinen Bemühungen, dies zu er- reichen, soll es nit fehlen. (Lebhafter Beifall.)

Auf Antrag des Abg. von Kardorff trat das Haus in die Besprehung der Jnterpellation ein. :

Abg. von Kardorff (frkons.): Wir haben gewiß alle mit größtem Danke die Erklärung des Herrn Ministers entgegengenommen und haben die Ueberzeugung, daß in der That bezüglich des hiesigen Slachtviehhofs und Rummelsburger Viehmarkts alle nur irgend

möglihen Vorkehrungen getroffen find, um Ansteckungen unseres - Viehs zu vermeiden. Es geschiebt jeßt im landwirthschaftlihen Ministe- rium, was überhaupt geschehen fann. (Zustimmung.) Ih möchte aver ven Herrn Minister noch auf cinen Punkt aufmerksam machen , der nah der Meinung meiner Berufsgenofsen in S(hlesien vielfah dazu beiträgt, das Vieh zu verseuchen, das sind die großen Gâänsetransporte aus NRussish-Polen. Die Gans ist vermöge ihrer breiten Plattfüfe datjenige Thier, welhes am meisten zur Ver- s{chleppung der Maul- und Klauenseuche beiträgt. Das ift wiederholt konstatiert worden. Im Herbst kommen Hunderte von e Waggons mit russishen Gänjen über die Grenze, die dann in Freiheit gesetzt werden und eine große Menge von Ansteckungen verursachen. Ich bitte den Herrn Minister, diesem Punkt seine Fürsorge zuzu- wenden und Untersuhungen anzustellen, wie weit es nothwendig fein wird, die Gänsetransporte im Herbst einer besonderen Kontrole zu unterziehen.

__ Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer» stein-Loxten:

Meine Herren! Ich bin bereit, die gewünschten Untersuchungen ein- treten zu lassen. Mein Kommissar tbeilt mir eben mit, daß einmal die Einschleppung der Maul- und Klauenseuche durch Gänse behauptet, aber niht nachgewiesen sei. Jch bin bereit, auch in dieser Beziehung durch die Veterinärbeamten eine Prüfung anzuordnen.

Abg. Graf von Limburg-Stirum (konf.): Jch bin der An- iht, daß von sfeiten des Herrn Ministers bis jeßt alles geschehen ift, was geschehen fonnte, um der Weiterverbreitung der Seuchen entgegen- zutreten. Darum können wir auch das Vertrauen in den Herrn Minister setzen, daß er au weiterhin alles Nothwendige veranlassen wird.

Abg. von Men del-Steinfels (kons.): Auch ih habe das Ver- trauen zu dem Herrn Minister, daß er alles anordnen wird, was ge- eignet ist, Seuchen fernzuhalten. Ih möchte die Aufmerksamkeit auf die Vershleppung der Seuchen im Inlande hinlenken. Die Vieh- rampen auf den Eisenbahnen bilden eine aroße Verschleppungsgefahr, au die Desinfektion der Wagen müßte s{härfer durhgeführt werden. Es ist Thatsache, daß von den Bahnhöfen eine Verschleppung der Seuchen des öfteren {hon stattgefunden hat. Der Ver- \{chleppung der Seuchen durch den Viehhandel wäre am besten entgegenzutreten durch cine genaue Kontrole der Ein- und Ausgänge bei den Viebbändlern, dur eine genaue Buchführung derselben. Daß an verschiedenen Orten O uarantänestationen eingerichtet sind, dafür weiß ih dem Herrn Minister Dank. Keine Seuche aber ift so {limm wie das Teras-_ fieber. Ih möchte deshalb den Herrn Minister bitten, die Dauer der Inkubation bei dieser Seuche feststellen zu laffen. Die Schweine- feuhe haben wir bercits aus Amerika; wir müssen alles thun, um wenigstens das Teraéfieber von unseren Grenzen fernzuhalten. Wie nach dieser Nichtung, müßte die Quarantäne auch gegenüber Oesterreich- Ungarn, das stark verseucht -ist, durchgeführt werden.

Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- stein-Lorxten:

Meine Herren! Jch will auf die angeregten Maßnahmen, wie zu einer besseren Reinigung der Bahnwroagen und Bahnviehrampen u. f. w. niht weiter eingehen. Ich habe gelesen, daß die Agrarkommission des hoben Hauses in dieser Nichtung Anträge vorbereitet, die wahrscheinlich zu einer Verhandlung im Abgeordnetenhause Anlaß geben werden. Was die übrigen Bemerkungen betrifft, so gehören sie kaum in den Nahmen der Verhandlung über die Interptllation. Ich verspreche, daß die Staatsregierung diejenigen Maßnahmen, welche nothwendig und geeignet find, uns vor Einschleppung des Terasfiebers und ähn- liher Krankheiten zu {üßen, in sehr ernste Erwägung nehmen und deren Durchführung anordnen wird. Der Herr Kultus-Minister läßt untersuchen, wieweit es ausführbar und zweckmäßig ift, aeshlahtetes Fleis nur nah vorgängiger veterinärer Untersuhung und gegen Er- stattung der dadurch erwachsenden Kosten zur Einführung zuzulassen. Daneben werden sonstige Maßnahmen, besonders die Einführung von Quarantäne für einzuführendes lebendes Vieh, wie ih bereits mittheilte, erwogen.

Abg. Langer hans (fr. Volksp.): Ich gebe Herrn von Mendel Recht, wenn er die Verschleppung der Seuchen haupt\ächlih auf die Transporte zurückführt. Die Schlachthôfe haben außerordentlich wenig zur Verbreitung der leider noch fehr stark auftretenden Maul- und Klauenseuche beigetragen. Was Berlin anbetrifft, so sind wir den Wünschen des Herrn Ministers aufs weiteste entgegengekommen. Allerdings {einen mir perfönlih die gestellten Forderungen etwas hart. Es werden sehr große Kosten entstehen, die in der Hauptsache do von den Landwirthen getragen werden müfsen. Vor allem muß einer Weiterverbreitung der Seuchen auf dem Tran®port entgegen- gewirkt werden. Es kommt hierbei besonders darauf an, den Ursprung der Thiere festzustellen, weshalb es vielleiht angebraht erscheinen könnte, den Schweinen vor dem ersten Verkauf einen Stempel mit dem Ursprungsort aufzudrücken.

Geheimer Ober-Regierungs-Rath Beyer wies darauf hin, daß die Maul- und Klauenseuhe im Rückgang begriffen sei. Jn dem leßten Monat sei dieselbe nur in 106 Gemeinden aufgetreten.

Abg. Ring (konf.): Ich weiß wohl, daß Verhandlungen zwischen der Stadt und der Negierung wegen des Schlachthofs seit 8 Jahren geshwebt haben ; daß sie zum Abschluß gekommen, wüßte ich nicht.

Abg. Dr. Kelch (fr. konf.): Ich glaube nicht, daß Herr Abg. Langerhans Necht hat mit seiner Ansicht, die Maul- und Klauenseuche sei weit verbreitet. Nach den bei uns geltenden Bestimmungen muß jeder Thierarzt monatlich an das Kaiserlihe Gesundheitsamt eine Postkarte rihten, auf der die verseuhten Gehöfte genau angegeben werden müssen. Die Einsendung dieser Karten wird genau fontroliert, fodaß man annehmen kann, daß unsere Seuchenauëweise ein genaues Bild von der Ausbreitung geben. In anderen Ländern sind die Nach- richten über Verbreitung der Seuche nicht so genaue, \odaß man den Berichten über Verbreitung der Seuchen in anderen Ländern nicht dasselbe Vertrauen entgegenbringen kann wie bei uns.

Hiermit wurde die Bejprehung der Interpellation ge- \chchlo}}en. E

Es folgten Petitionen.

Ueber eine Petition des Gemeindevorstands von Lissewo um Besetzung der zweiten Stelle der Orts\chule mit einem katholischen, der pol nishen Sprahe mächtigen Lehrer beantragte namens der Kommission für das Unterrichtswesen Berichterstatter Abg. Schall (kons), zur Tagesordnung überzugehen.

Abg. Motty (Pole) stellte den Antrag, Me petiion der Negierung zur Berücksichtigung zu überweisen. s seien in Lifsewo 167 fatholishe und nur 13 evangelishe Kinder. Ohne irgend welche Agitation sei die Petition um Anstellung eines katholischen, der

polnischen Sprache mächtigen Lehrers zu stande gekommen; dies sei

ein Jeden, daß ein wirklihes Bedürfniß vorliege. E

bg. Dasba (Zentr.) hob hervor, es sei eau unverständlich, daß kein katholischer, fondern ein evangelisher Lehrer an einer Schule angestellt werde, die bei einer Schülerzahl von 180 Kindern nur 13 evangelishe Kinder aufweist.