1895 / 121 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 21 May 1895 18:00:01 GMT) scan diff

gebe ih zu, daß, wenn der Eventualantrag des Herrn Abg. Gröber an- genommen wird, dann das wesentlihste meiner Bedenken ErTedigung findet, und ih wiederhole deshalb meine Bitte, zum mindesten dem Eventualantrage des Herrn Abg. Gröber Ihre Zustimmung zu geben, wenn sie an Stelle der obligatorischen die fakultative Geldstrafe nicht

segen wollen.

Abg. Prinz von Arenberg (Zentr.) hebt hervor, daß in den Verhandlungen der Budgetkommission bereits festgestellt sei, daß Herrn Moermann nit der mindeste Vorwurf treffe.

Der Antrag Stadthagen wird abgelehnt.® Der Antrag Gröber wird ohne die Bestimmung, betreffend das Minimum der Geldstrafe, genehmigt und darauf der § 3 der Vorlage in der so neugestalteten Fassung angenommen.

Der & 4 der Vorlage lautet:

Wer den vom Kaiser zur Verhütung des Sklavenraubs und §es Sklavenhandels erlassenen Verordnungen zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu scchstausend Mark oder mit Gefängniß bestraft.

“Auf Antrag Gröber werden hinter den Worten „vom Kaiser“ die Worte eingeshoben: „mit Zustimmung des Bundes- raths“.

Pad ) 5 des Gesetzentwurfs sollen die Bestimmungen im 54 Abj. 2 Nr. 1 des Strafgeseßbuchs, wona bei den im Auslande von Dcutschen begangenen Verbrehen nur auf An- trag Strafverfolgung eintritt, auch auf die in diesem Geseße vorgesehenen strafbaren Handlungen Anwendung finden.

Abg. Stadihagen (Soz.) beantragt, diese Bestimmung dahin zu ändern, daß in jedem Falle Strafverfolgung ein- treten muß. e i

Abg. Stadthagen (Soz.) weist auf den Fall Leist und den Fall Weblan hin, bei welchen wohl Strafverfolgung hätte eintreten können, aber nit eingetreten fei.

Bevollmächtigter zum Bundesrath, Direktor der Kolonial- Abtheilurig im Auswärtigen Amt, Wirklicher Geheimer Legations-Rath Dr. Kayser: Die Angriffe gegen die Regierung, daß sie die vor- gelanenen Missethaten nicht zur Verfolgung gezogen, ist unbegründet. Im Fall Leist ift in beiden Instanzen des Disziplinarverfahrens nur eine disziplinarisch verfolgbare Handlung festgestellt, dagegen anerkannt wordén, daß der Thatbestand einer strafbaren Handlung nit vorliegt. Der Fall Weblan is noch nit zur Entscheidung gelangt, entzieht sich also der Besprehung. Auf die fonstigen Ausführungen des Abg. Stadthagen einzugeben, versage ih mir, wie bisher, so auch jeßt; denn da die Versuche der Herren aus dem Hause, ihn von der Un- richtigkeit seiner Meinungen zu überzeugen, ohne Erfolg waren, jo verzweifle ih auch daran, ihn eines Besseren zu belehren.

Der S 5 wird darauf angenommen. Bei der Abstim- mung über den ganzen Geseßentwurf wird derselbe mit großer Mehrheit angenommen.

Zur Annahme gelangt alsdann auch folgende, vom Abg. Gröber (Zentr.) beantragte Resolution :

„Die verbündeten Regierungen um Einbringung eines Geseßz- entwurfs zu ersuchen, welcher die in den deutshen Schußgebieten unter den Eingeborenen bestehende Hauésfklaverei und Schuldknecht- schaft einer ihre Beseitigung vorbereitenden Regelung unterwirft.“

Das Haus geht sodann über zur Berathung des Geseß- entwurfs, betreffend die Kaiserlichen Schußztruppen für Südwesit-Afrika und für Kamerun.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Der Gesetzentwurf ershien mir anfangs unkbedenklich, aber die Verhandlungen tin der Budgetkommis- sion über den Kolonial-Etat haben bei mir {were Bedenken bervor- gerufen. Damals wurde durch die Verhandlungen fklargestellt, daß ein gewisser Dualismus betreffs unserer kolonialen Schußtruppe in Deutsch-Ostafrika besteht. Nach den geltenden Bestimmungen werden die Offiziere der Schußtruppe vom Reichs-Marineamt selbständig ausgesucht und vom Kaiser ohne Gegenzeihnung ernannt. Dies Uebergehen der Kolonialabtheilung des Auswärtige Amts trägt einen Zwiespalt in unsere Kolonialverwaltung, der zu Konsequenzen führen muß, die sich in Afrika übel bemerkbar machen, und zwar in der Verwaltung, wie in der Frage der Verwendung der Schußtruppe. Schon die Uebertragung des Anciennetätéprinzips auf afrikanishe Verbältrifse führt zu großen Unzutxräglichkeiten ; haben die Offiziere nur mit dem Reichs-Marineamt zu thun, so if es natürlich, daß dieselben sh mehr nah diesem, als nah dem Gouver- neur richten. Daber die Klagen über das Zunehmen des Militaris- mus in Deuts{-Ostafrika. Unter diesen Umständen balten wir es für sehr bedenklih, die für Deutsh-Oftafrika geltenden Bestimmungen jeßt auch auf Südwest-Afrika und Kamerun auszudehnen. Ich balte es für unmögli, den Gesegentwurf ohne Kemmifsionsberatbhung zu erledigen. Ich beantrage daher, den Geseßentwurf an die Budget- fommission zu verweisen.

Abg. von Podbielski (dkons.) stimmt dem Antrag Richter zu.

Bevollmächtigter zum Bundeërath, Direktor der Kolonial- Abtheilung im Auêwärtigen Amt, Wirklicher Geheimer Legations-Rath Dr. KRavser: Ih würde es sehr bedauern, wenn das Geseß nicht in dieser Session zu stande käme. In den Berathungen der Budget- kommission ift nahgewiesen worden, daß die jeßige militäri|che Organisation der Schußtruppe in Ost-Afrika im Interesse der Schlagfertigkeit nothwendig ist. Der militärische Einfluß der Schuß- truppe erstreckt \sich aus\{ließlid auf die Disziplin und die Organi- sation. Die Zivilverwaltung liegt in den Händen des Gouverneurs und des Auswärtigen Amts. Das Budgetreht des Reichstags wird durh die Vorlage in keiner Weise berührt; sie hat nur die eine positive Bedeutung, feste Grundlagen zu {hafen in Bezug auf Gerihtsbarkeit und Versorgung der deutshen Militärpersonen in den Schußgebieten. Es ift ein von allen Staatsrehtslehrern anerkannter Saß, daß alle Personalien in der Armee direkt vom Kaiser ohne Gegenzeichnung refsortieren. Jett sind die Offiziere und Soldaten der S{ußztruppe lediglih darauf angewiesen, daß die Verwaltung im Privatwege ihnen eine Unterstüßung gewährt, falls sie in ihrer Gesundheit ges{ädigt werden.

Abg. Prinz von Arenberg (Zentr.) spriht sch für die Ueber- weisung des Geseßentwurfs an die Budgetkommission aus.

Abg. Graf von Arnim (Rp.): Jch kann mich dem Antrage auf Ueberweisung des Gesetzentwurfs an die Budgetkommission nur anschließen. Wir haben keinen Anlaß, die Sache zu überstürzen, zumal wir bei einer gründlihen Regelung der Frage eventuell auch auf die Beschwerden zurückgreifen und diese, wo nötbig, ändern können. Es giebt andere Dinge, welche dringender der Erledigung bedürfen als dieser Gesetzentwurf.

Abg. Dr. Hammacher (nl.) bedauert, daß der Gesetzentwurf in der Kommission für diese Session begraben werden solle. Die Budget- kommission babe bereits anerkannt, daß die bestehende Organisation gut und dienlich sei. 5 :

__ Abg. Richter (fr. Volksp.): Wenn die Sache eine solche Eile bätte, so wäre es doch Pflicht der Regierung gewesen, darauf zu dringen. daß das am 1. März eingebrahte Gese nicht erft jeßt zur ersten Lesung gebracht werde. Er müsse es bestreiten, daß die Kommission sich mit dieser Regelung der Verhältnisse in Ost-Afrika einverstanden erflärt habe; abgestimmt sei darüber niht worden. Jedenfalls brauche es nit nothwendig zu sein, diefe Verhältnisse auch auf diekleine Polizeitruvpe in West-Afrika zu übertragen. Der Dualiëmus sei niht abzustreiten. Der Direktor der Kolonial. Abtheilung habe es ausdrücklih beklagt, es seien Offiziere ohne Sprachkenntniste nah Afrika geshickt worden; wenn das Kolonialamt vorher von der Ernennung dieser Offiziere Kenntniß gehabt bätte, fo würde es doch dagegen Einfpruh erboben baben. Man fönne über das Recht des Kaisers, über die Personalien der Armee in Deutschland selbständig zu verfügen, denken, wie man

ihrer Aufgabe durhaus gewathsen sei, stehe auch niht unter einem militärishen Kommando, fondern anterstehe in jeder Beziehung dem Polizei-Präsidenten. /

Der Geseßentwurf wird darauf an die Budget- kommission verwiesen.

Bei der folgenden namentlichen Abstimmung über den Gesehentwurf, betreffend Abänderung .des Zucker- euerge eyes Aufrechthaltung der Ausfuhrprämien), wird

erselbe mit 191 gegen 45 Stimmen angenommen.

_ Hierauf wird die Vertagung beantragt. Das Bureau bleibi zweifelhaft über die Abstimmung, es erfolgt daher die Auszählung des Hauses. Un die Vertagung erklären si 110, gegen die Vertagung 90 Mitglieder, die Vertagung if also angenommen. i

S@hluß der Sizung 51/, Uhr.

Preußischer Landtag. Herrenhaus. i 17. Sizung vom Montag, 20. Mai.

Ueber den Beginn der Sißung ist gestern berichtet worden.

Eingegangen sind folgende Anträge: 1) des Grafen von der Shulenburg-Beeßendorf :

Das Herrenhaus wolle folgender Resolution zustimmen:

Im Interesse der Erhaltung des ländlihen Grund- besigerstandes ist es geboten, der reißend anwachsenden Boden- vershuldung Einhalt zu thun und auf eine allmählihe Schuld- entlastung Bedacht zu nehmen. Die römish-rehtlihen Bestimmungen über Verschuldung, Theilbarkeit und Vererbung des Grund und Bodens find durch einscränkende deutsh-rechtliche Vorschriften zu ersezen. Als solhe kommen in Betracht: die Einführung des An- erbenrechts in den Gegenden, wo es der Volkssitte entspriht. Die Errichtung von Heimftätten auf Grund des dem Deutschen Reichs- tage vorgelegten Geseßentwurfs. Die Erseßung der fündbaren privaten Hypothek dur die seitens des Gläubigers unftündbare, binnen einer bestimmten Zeit zu amortisierende Institutshypothek.

2) Des Grafen zu Jnn- und Knyphausen:

Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, für die Bildung bäuerliher Fideikommisse als Stempelsay eins vom Hundert festzuseßen.

3) Des Grafen von Mirbach:

Das Herrenhaus wolle beschließen: die Stempelabgabe ür ländliche Fideikommißstiftungen beträgt drei vom Hundert des Gesammtwerths in Höbe des dreißigfahen Grundsteuer - Rein- ertrags unter Abzug der Schulden. :

Nach Erledigung einer Petition der Weser-Schiffahrts- Interessenten um gleihmäßige Vertiefung der Oberweser, und des Geseßentwurfs über die Fischerei der Ufereigenthümer in den Privatflüssen der Rheinprovinz gelangte der Kommissions- beriht über die Petition des ehemaligen Bürgermeisters Horn in Halle a. S.: die Gewährung einer Entschädigung für ihn aus dem für unschuldig Verurtheilte bestimmten Fonds des Staatshaushalts-Etats zu erwirken, zur Berathung.

Berichterstatter Ober-Bürgermeister Westerburg befürwortete unter Darlegung des Sachverhalts den Antrag der Kommission, die Petition der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Der Magistrat von Torgau, wo Petent Bürgermeister war, habe aus von ibm verwalteten Stiftungen feinen Söhnen Stipendien gewährt, der Petent sei deshalb wegen Untreue vom Landgericht verurtheilt, später aber vom Reichégericht freigesprohen worden. Er habe na seiner Verurtbeilung sein Amt niedergelegt und sei infolge dessen troß 36 jähriger Dienstzeit in eine mißlihe Lage gekommen. : :

Derr von Viest unterttußte mit dem Vinweis daraus, daß er die Verbältniffe versönlih genau kenne, den Antrag der Kommission.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Ih muß allerdings lebhaft bedauern, daß ih mich niht in der Lage befinde, das Einverständniß der Königlichen Staat®regierung mit dem von der Kommission gestellten Antrag zu erklären, und ih glaube annebmen zu können, daß der legte Appell des Herrn von Diest an Ihr gutes Herz für Sie auh nicht die Folge haben tann, Sie zu einem folchen Beschluß zu bestimmen, wenn Sie ch überzeugen möchten, daß derselbe in der That nicht haltbar ift. Diesen Beweis zu führen, wird meine Aufgabe sein. Meine Herren, ih bin weit entfernt, das günstige Urtbeil, welches Herr Präsident von Diest über den Bürgermeister Horn gefällt hat, das günstige Zeugniß, welches er ibm für seine 36 jährige Verwaltungsthätigkeit in der Stadt Torgau auêgestellt hat und über seine tadellose Führung in und außer dem Amt, beanstanden zu wollen. Jch bin weit entfernt davon, zu ver- kennen, daß es ein fehr s{weres und bartes Geschick ist, von dem dieser Herr nach fo langer vorwurfsfreier Dienstzeit betroffen worden ift. Aber, meine Herren, diese Zugeständnisse überheben mich nit der Verpflichtung zu prüfen, wie es in dem vorliegenden Falle gewesen ist und ob das Verhalten des Horn in diesem Fall ein solhes gewesen ist, daß es zu einem fo ungewöhnlihen Beschlusse, wie die Kommission von Ihnen erwartet, führen könnte. Ich darf nur mit wenigen Worten auf das Historische der Sache zurückgebhen. Es finden si also in Torgau drei alte Stiftungen, aus dem 16., die leßte aus dem Anfang des 17. Jabrhunderts ftammend. Es sind drei Familien- stiftungen. In der ersten war die Bestimmung getroffen, daß die Revenüen des Stipendienkapitals nur Angehörigen der betreffenden Familien zu gute kommen follten, und nur, wenn solhe sich nit mehr fänden, auch Torgauer Bürgersöhne berüdcksihtigt werden könnten. Die beiden anderen Stiftungen enthalten folhen Vorbehalt nit. Es be- stand aber ein Zusammenhang zwischen diesen drei Stiftungen. Die Stifter gehörten demselben weiteren Familienverband an. Im Laufe der Jahrhunderte bat \fih eine laxe Praxis ausgebildet. Es waren Angehörige der berechtigten Familien kaum noch zu ermitteln, und es war vorgekommen, daß aus dem Gesammterträgniß aller drei Stiftungen, die niht in getreanter Verwaltung geblieben, sondern zu gemeinsamer Verwaltung verbunden worden waren, Stipendien auch an nit stifts- verwandte Söhne der Stadt Torgau gegeben wurden. Es hatte fih in so weit eine laxere Praxis gebildet, als mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde man bei der Prüfung der Verwandt- schaft, der Zugehbörigkeit zur Stiftungsfamilie, sh niht mehr an den allerstrengften Formalië8mus gehalten hat, sondern sch {on damit zufrieden erklärt hatte, wenn nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit dargethan war. Als nun Herr Bürgermeister Horn an die Spitze der Stadt Torgau berufen wurde, unterzog er auch diese Stiftungen einer eingehenden Prüfung. Er fand, daß sie si in sehr großer Unordnung befanden, und es muß als fein Verdienst anerkannt werden, daß er in diefe Verhältnisse Klarheit hineinzubringen versuhte. Sein Bestreben war dahin gerichtet, diese Stiftungen für

wolle ; jedenfalls sei es nit berechtigt, das au auf die Shuttruppe in Afrika zu übertragen. Die Berliner Schußmannschaft, die do

au von ihm, Angehörige der Stiftungsfamilien seien niht meßr vorhanden und würden auch wohl s{werlich gefunden werden. Es waren nun verschiedene Anfichten im Laufe der Zeit darüber entstan wer eigentlich die Aufsicht über die Stiftungen zu führer babe : * Gerihts- oder Verwaltungsbehörden. Ursprünglih, in der kursäg, sishen Zeit, war die Aufsicht von Gerichten geführt worden, später war sie auf das Kreiëgeriht in Torgau übergegangen. Das war an und für sih von keiner Seite beanstandet worden ; das Kreisgericht in Torgau mischte sih nun in die Verwaltung ein und kam zu der Ansigt daß es unzulässig sei, aus dem Stiftungsfonds irgend jemand etwas zuzuwenden, der nicht einen Zusammenhang mit den Familien nah. gewiesen habe. Es erließ eine Verfügung an den Magistrat, der mit der Verwaltung der Stiftung betraut war, dabin gehend, daß, nahdem verschiedene Aufgebote erlassen waren, an Fremde die Stiftung nur verliehen werden könnte, wenn von der Stadt die Verpflihtung über- nommen werden würde, daß, falls sich später Berechtigte finden würden, eine Erstattung des an die Fremden, Unberechtigten Gezablten erfolge. Die Stadt hat diesem Beshluß niht Folge geleistet ; se hat ihn zu den Akten genommen und s{ließlich die Sache- auf sih beruben laffen.

Nun sind gezahlt worden in den Jahren 1864 bis 1866 an einen gewissen Wippermann, der eine Verwandtschaft zu den Stiftern nicht nahgewiesen hat, für die drei Jahre je 150 Æ, also im Ganzen 450 A Dann ist es rihtig, was auch Herr Präsident von Diest bervorgehoben hat, daß aub einem Sohn eines Kreisgeriht8-Direktors in Torgau 14 Jahre ein Betrag aus der Stiftung gezablt, worden ist, in Summa von 225 Æ Welche Bewandtniß es damit gehabt hat, ist aus den Akten nicht ersihtlich. Eine Andeutung findet sich in den Akten, daß diefer Herr, der 1870 erst nach Torgau versetzt worden ift, mit den Verbältnifsen gän:lih unbekannt war. Er hatte, wie an- genommen werden darf, niht den Vorsig in der zweiten Atbeilung; die Verhandlungen mit der Stadt batten 1868 ihren Abs{luß gefunden, und er hatte gehört, daß einem gewiffen Wippermann {hon vorber ein Stipendium bewilligt war. Es sind dann auch ihm die vor- erwähnten Beträge bewilligt worden.

Nun kommt im Jahre 1878 die erste Bewilligung an den Sobn des Bürgermeisters Horn. Von dieser béèbauptet der Bürgermeister Horn und ih habe keinen Grund, die Richtigkeit in Zweifel zu ziehen daß er in keiner Weise diese Bewilligung veranlaßt habe, sondern daß vom Magistrat in Anerkennung seiner Verdienste um die Stadt und weil er die Stiftung auch für die Stadt selbs nußbar gemacht batte, obne seine Anregung das Stipendium damals seinem ältesten Sohn bewilligt worden sei. Er hat erklärt, er sei in der Sitzung anwesend gewesen, und ein anderes inzwishen verstorbenes Magistratsmitglied habe den Antrag gestellt, seinem Sohn diese Zuwendung zu machen. Darauf habe er \sich entfernt,

Beschluß ging noch weiter; es wurde niht nur, wie bei allen früheren Bewilligungen, der Maximalsaß von 450 bewilligt, sondern alles, was nicht etwa für andere Berechtigte zu verwenden war, was übrig blieb. Und infolge dessen sind an Horn gezahlt worden von 1878 bis 1883 5002,53 # Die Zahlungsanweifungen hat der Bürgermeister Horn selbft ausgestellt; die Quittungen sind theilweise von ihm ausgestellt worden. Jch bemerke glei, daß diese Vorgänge den Gegenftand der späteren ftrafrechtlihen Untersuhung deshalb niht gebildet haben, weil sie verjährt waren. Herr Bürger- meister Horn bemerkt, es sei {on damals zur Sprache gekommen, daß man später auch seinem jüngsten Sohn, wenn er die Universitäts- reife erreiht bätte, eine derartige Zuwendung machen würde. Dieser Fall ist im Jahre 1884 thatsählich eingetreten, und der Bürgermeister Horn hat nun selbst den Antrag gestellt, in Anknüpfung an jene Vor- gânge jeßt au seinem dritten Sohn die Stipendien zu bewilligen. Das if geschehen in einer Sißung, an der er selbs nicht theil- genommen hat. Für diesen Sohn find von 1884 bis 1887 3150 M gezablt worden; im Ganzen sind also 8152 Æ an Horn gelangt.

Inzwischen hat #ch nun jemand gefunden wie das zusammenhängt, weiß ih nicht genau —, es hat ih ein entfernter Verwandter der Stifter gefunden. Es wurde nämlich ein gewiffer Burghardi ermittelt, und der ftellte Klage an auf Anerkennung seiner Berechtigung zu diesem Stipendium als Angehböriger der Familien. Der Prozeß wurde gegen die Stif- tung angestrengt, er ift im Juni 1887 zu Gunsten des Klägers ent- schieden. Die beklagte Stiftung war durch den Bürgermeister Horn vertreten, er bat die Klagebeantwortung gemacht, die Verwandt- shaft bestritten es fehlte, wie ich glaube, aus den Zeiten des dreißigjährigen Kriegs irgend ein Geburtäattest —, schlicßlich ist aber der Anspruch des Burghardi als Verwandten anerkannt. Das Urtbeil ift rechtéfkräftig geworden, und es ift ein Vergleich geschlossen zwischen ibm und der Stadt in Bezug auf die Vergangenheit. Kuri, es war ein Berechtigter da.

Nachdem dieser Prozeß {hon anhängig gemaht und die Klage- beantwortung von dem Bürgermeister Horn, als dem Ver- treter der Stiftung, bereits dem Geriht überreicht war, hat Bürgermeister Horn noch die leßte Zahlung für seinen dritten Sohn erbalten, ¿war nit selbft angewiesen, aber Quittung dafür überreiht und zwar vor der Fälligkeit, am 4. Juni 1887. Fâllig wurde die Rate erft am 1. Juli, der Prozeßtermin war am 23. Juli, und s{chon am 4. Juni hat Horn für das dritte Quartal den Betrag sih überweisen lassen. Im Zusammenhang mit diese Prozeß kam nun eine Denunziation, daß der Bürgermeister Horn sih der Untreue s\{uldig gemaht habe. Die Sache wurde be- trieben von demselben Rechtéanwalt, der die Erben ermittelt und vertreten hatte. Ih muß hier die Angaben des Herrn von Diest in so weit berichtigen, als der Staatsanwalt auf Grund der angestellten Ermittelungen die Anklage erheben wollte; er berichtete aber bei der Zweifelhaftigkeit der Sahe an den Ober-Staatëanwalt in Naumburg, der darüber anderer Ansicht war und den Staats- anwalt anwies, den Strafantrag zurückzuweisen. Gegen diesen Be sheid wurde von dem Anwalt, der inzwischen Pfleger der Stiftung geworden war, Beschwerde bei dem Ober - Landesgericht zu Naumburg erhoben; das Ober - Landesgericht war der Ansicht, daß nach den vorliegenden Thatsachen allerdingé der Verdacht der Untreue begründet sei. Es beschloß die Erhebung der êffentlihen Klage, und so fam es zum formellen Strafverfahren. Dieses führte bei dem Landgericht Torgau zur Verurtheilung des Bürgermeisters Horn zu sechs Wochen Gefängniß wegen Untreuf- Das Urtheil ist aufgehoben worden vom Reichsgericht wegen Verleßuns

die Stadt selbst nußbar zu machen, weil angenommen wurde,

prozessualer und materieller Vorschriften, und es ist vollkommen rihtig-

und in seiner Abwesenheit sei der Beschluß gefaët worden. Der

dah die Aufhebung dieses Urtheils begründet worden ist mit ciner Schärfe, wie sie ganz ungewöhnlich, vielleißht auch iht ganz einwandésfrei sein möchte. Ich trete Herrn pon Dieft vollständig darin bei, mir ist ein Urtheil in meiner Praxis co niht vorgekommen, das in solcher Weise mit dem Urtbeil des Landgerihts umgegangen wäre. Aber wenn Sie daraus vielleicht den Séluß ziehen möchten, daß das Landgericht zu Torgau leihtfertig und ohne genügende Ueberlegung bei der Sache zu Werke gegangen wäre, so würden Sie ihm Unrecht thun. Das Urtheil if mit großer Sorg- falt und nah den eingehendften Erwägungen gefaßt, die mir vor- siegende Abschrift umfaßt 144 Seiten; es handelt sich darin um außerordentlih schwierige thatsählide und rehtlihe Fragen, und bei der Beurtheilung der Sae, zu der das Landgericht gelangt ift, steht es niht allein. Es batte den Ersten Staatsanwalt für si, es hatie das Ober-Landesgericht in Naumburg für sich und auch, in ge- wissem Grade wenigstens, das Ober-Verwaltungsgeriht. Die Be- urtbeilung der Sache seitens des Ober-Verwaltungsgerihts deckt si niht mit der des Reichsgerihts. Ih führe das an, um das Eine wenigstens daraus folgern zu lassen, daß das Urtheil des Land- gerichts doch wohl nicht so unbedingt verwerflich war. Es war Konflikt erhoben seitens der Regierung in Merseburg gegen die Er- hebung der Anklage, darüber bat bekanntlich das Ober-Verwaltungs- geriht zu entsheiden. Das Ober-Verwaltungsgericht bat es ab- gelehnt, daß dieser Konfliktserhebung Folge zu geben sei, mit der Begründung, daß allerdings in thatsähliher und rechtliher Be- ziehung das Verhalten des Bürgermeisters zu beanstanden sei, und daß keineswegs ohne weiteres angenommen werden könne, er babe riht in bôsem Glauben und in Kenntniß der Verbältnisse gehandelt, daß vielmebr die Sache durchaus dazu angethan sei, dem ordentlichen Richter niht entzogea zu werden. Ich glaube annehmen zu können, daß die Rechtsausführungen des Ober - Verwaltung®gerichts mitbestimmend gewesen sind für das spätere Urtbeil des Landgerihts. Mir fehlt ja nun selbstverständlih der Beruf, und es liegt mir vollständig fern, das Urtheil des Reichsgerichts einer Kritik zu unterziehen: auf Grund dieses Urtheils ift die Sache dem Land- geriht in Halle überwiesen worden und es if dort Freisprechung er- folgt; für mich is der Mann rechtskräftig freigesprochen und von dem Vorwurf der Strafbarkeit seines Handelns gereinigt. Ob moralisch sein Berbalten so vorwurfsfrei ift, wie hier dargelegt wird, darüber kann man vershiedener Meinung sein. Weil aber auf die moralische Seite der Sache aud Gewicht gelegt worden ift, und weil mit Rücksicht darauf, daß der Mann fo vollkommen vorwurfsfrei und tadellos sei, an Ihr Mitleid, an Ihr gutes Herz appelliert worden ist, will ih hervor- heben, daß mit der milden Auffassung der Regierung und des Re- gierungs-Präsidenten in Merseburg die Refsortchefs doch keineswegs ganz einverstanden gewesen sind. Herr Bürgermeister Horn hat, nahdem seine rechtskräftige Freisvrehung erfolat war, ein Immediat- gesuch an Seine Majestät gerichtet, in dem er an erster Stelle An- stellung in dem Staatsdienst, an zweiter Stelle eine fort- [laufende Unterstüßung und an driiter Stelle endlich eine Entshädigung aus dem Fonds für unschuldig Verurtheilte forderte. Darüber is an Seine Majestät von dem Minister des Innern und dem Justiz-Minister, meinem Amtsvorgänger, im Einvernehmen mit dem Herrn Finanz-Minister berihtet worden. Auf Grund dieses Berichts hat das Gesuch keinen weiteren Erfolg gehabt, es ist zurüdck- gewiesen worden. Ich bin selbstverständlih niht in der Lage und auch nicht gewillt, aus den Voten der Minifter etwas mitzutbeilen, aber das Eine fann ih ohne Indiskretion sagen, daß die Beurtheilung der Sache abweichend war von der der Regierung in Merseburg. So liegt thatsählih die Sache.

Wie ist nun der rehtlihe Stand der Sahe? Es wird jeßt von dem Bürgermeister Horn verlangt, daß ihm aus dem Fonds zur Ent- schädigung unschuldig Verurtbeilter eine Entschädigung zuerkannt werde, eine fortlaufende Entschädigung, die einigermaßen im Ver- bältniß steht zu dem, was er durch seine vorzeitige Pensionierung an seinen früheren Gekaltébezügen verloren hat. Es ift bier die Ausführung gefallen, daß der Fonds, aus dem die Entschädigung zu zahlen sei, ein Dispositionsfonds sei. Das -ist nit der Fall, sondern der Fonds bat eine ganz genau beschränkte Bestimmung. Kap. 80 Tit. 2a besagt: „Kosten, welche der Iustizfiékus als Prozeßpartei zu zahlen oder zu erstatten bat: aus der Staatékafse zu zahlende Gebühren der Ver- theidiger ; den Beschuldigten gemäß §S 499, 505 Strafprozeßordnung aus der Staatskasse zu ersiattende nothwendige Auslagen und sfonstige, Beschuldigten gewährte Bergütungen für die ihnen ohne ihr Vershulden aus dem Strafverfahren erwachsenen Nach- theile.“ Der Fonds ist also bestimmt, Vergütungen zu gewähren für die einem Beschuldigten ohne sein Vershulden aus dem Straf- verfahren erwachsenen Nachtheile. Meine Herren, darunter den vor- liegenden Fall zu bringen, if nach meiner juristisen Auffafsung unmöglich; und ich glaube, daß die Königlighe Staais- regierung, ohne sch mit den Grundsäßen des Etatsre{chts und ihrer verfassungsmäßigen Verantwortlihkeit in Widerspruh zu segen, nicht in der Lage wäre, der beantragten Resolution, fals Sie dieselbe annehmen möchten, stattzugeben. Nur beiläufig bemerke ih, daß, wenn gesagt wird, dieser Fonds sei ja überreihlih LHemessen, dies nicht zutreffend ist. Er ift überschritten worden im vorigen Jahre um 16 000 4, im leßten Jahre um 15000 A Die Sache liegt niht so, daß man darin frei wirtbshaften und immer noch Geld übrig haben könnte.

Aber liegt denn überhaupt hier ein Nachtheil vor, der dem Bürgermeister Horn erwachsen is ohne sein Vershulden aus dem Strafverfahren? ein Nachtheil, der mit diesem Strafverfahren in ursählicem Zusammenhang steht? Ih glaube nicht; ih glaube, das fann in feiner Weise zugegeben werden. Der Bürger- meister war verurtheilt worden, aber niht rechtskfräftig. Gr selbst war, wie er erflärt, von seiner Unshuld überzeugt, er hatte das Rechtsmittel der Revision eingelegt und war, wie er in einer mir vor- liegenden Schrift sagt, überzeugt, daß er mit diesem Rechtsmittel Erfolg baben und daß das Urtheil vom Reichsgericht vernichtet werden würde. Troß alledem wartete er diese Entsheidung nicht ab, sondern ging dazu über, seine Pensionierung nahzusuchen, vielleicht unter dem Eindruck, daß er in der Stadt an Ansehen verloren habe, vielleiht unter dem Eindruck der ihm von der vorgeseßten Behörde gemachten Aeußerungen. Das war ein vollkommen freiwilliger Aft. Ih begreife es selbstverständli®h vollkommen, daß ein Beamter unter dem Eindrude einer solchen Verurtheilung, die sein Ansehen beeinträchtigt, dazu kommt, auf sein Amt zu verzihten und den Ort zy verlassen, wo er lange ein ehrenvolles Leben geführt hat,

das jeßt mit einem Makel behaftet ersheint; aber es ist das doch Sache eines freiwilligen Entshlufses, und für die Folgen dieses Ent- \hlusses den Staat rerantwortliÞh zu machen, geht über das binaus, wozu wir berechtigt sind. Jh muß aufmerksam machen auf die Konsequenzen, die aus einer folWen Entscheidung gezogen werden könnten. Ja, meine Herren, der Fall kann alle Tage vor- kommen, daß ein angesehener Bürger auf Grund einer nah seiner Meinung unberechtigten Anklage in erster Inftanz verurtheilt wird, und sih nun entshließt, Haus und Hof zu vershleudern und mit seiner Familie in weite Ferne zu ziehen; aber er beruhigt ih nit bei dem Urtheil und verfolgt das zulässige Rechtsmittel, und wenn er nun in der böberen Instanz seine Freisprehung erreicht und dann kommen wollte und fagen: ih habe unter dem Eindruck des Mafkels, der mir angeheftet wurde, mein Vermögen vershleudert, bitte mi dafür aus dem Fonds für unshuldig Verurtheilte zu ent- schädigen, so wüßte ih nicht, wo die Grenzen zu ziehen wären. Wir fämen dabin, daß jedes sväter aufgebobene Urtheil erster Inftanz eine Verantwortlihkeit des Staats begründen würde für diejenigen Entshlüsse, die von dem Verurtheilten unter dem Eindruck eines solhen Urtheils gefaßt sind. Das, meine Herren, geht zu weit, und ich möchte glauben, daß Sie niht ein Ansinnen von folcher Tragweite an die Königliche Staatsregierung stellen können. Ich sage also, die Königlihe Staatsregierung wird niht in der Lage sein, einer solchen etwa von Shbnen zu fafsenden Resolution Folge zu geben, und ich würde es gern sehen, wenn troß aller bier für die Resolution vorgetragenen Ausführungen ein solher Bes{luß von diesem hohen Hause nit gefaßt würde.

Ober-Bürgermeister Westerburg wies darauf bin, daß der einmal Verurtbeilte niht habe Bürgermeister bleiben k3nnen. Das Reich8geriht habe seine Unschuld festgestellt, und deshalb sei es au angebracht, ibm aus dem Fonds für unschuldig Verurtheilte eine Entschädigung zu gewähren.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Daß die Fonds der milden Stiftungen nüßlih verwendet werden müssen, diese Ansicht theile ih vollkommen mit dem Referenten. Es ift auch dafür gesorgt, daß sie im vorliegenden Falle nüßlich verwandt werden. Es hat sich inzwischen eine ganze Reibe von Verwandten gefunden, die ihre Berechtigung zu der Stiftung dargelegt haben. Der eine hatte sfi bereits im Jahre 1884 gemeldet, ein anderer Berechtigter war {on vorher von seiten des Kreisgerichts bezeihnet worden, ein gewisser Vogel. Diese Anmeldungen waren bei Seite ges{choben; es war ihnen feine weitere Folge gegeben. Also verwandt wird die Stiftung, da liegt keine Gefahr vor.

Daß die preußishe Staatskasse die Zuwendung an den Petenten ertragen könnte, unterliegt ebenfalls keinem Zweifel; es fragt sich nur, ob der Staat eine derartige Vervflihtung prinzipiell über- nehmen fann, und das muß ih nach wie vor bestreiten. Bei der ganzen Frage, die so vielfah die Gemüther bewegt bat, von der Entschädigungspflicht des Staats gegenüber uns{uldig Verurtheilten, ist nur die Rede gewesen von rechts8kräftig Verurtheilten, die nit im Wege der Rechtëmittel die Verurtheilung zu beseitigen im stande sind; darüber hbinauszugehen ist noch nie verlangt worden und wird niht verlangt werden können; es wäre unabsehbar, wohin das führen sollte. Im übrigen, wenn der Herr Referent sagt, es bätte #ch nur um Mangel an Takt gehandelt, fo sehe ih mich doch genöthigt, so leid es mir thut, eine Stelle aus der Aeußerung eines der Herren Ressort-Minister zu verlesen, die enthalten ift in dem auf das Gnadengesuch des Bürgermeisters Horn erstatteten Immediatbericht, also eine Aeußerung niht des Justiz-Minifters, sondern eines anderen Ministers, dem die ganzen Aktea vorgelegen haben. Die geht dahin:

„Möge die Handlungsweise des Horn auch niht den That- bestand der Untreue in strafrechtlihem Sinne erfüllt baben und desS- halb die Freisprehung seitens des Strafrihters gerechtfertigt sein, so müsse doch sein Verhalten als Verwalter der Prager’shen und Unrub’\{hen Stiftung vom moralishen Standpunkt einer strengen Mißbilligung unterliegen , und es bleibe auf ibm mindestens haften, daß er durch wiederholte Zuwendungen nicht unbedeutender Sti- pendien an seine Söhne eigennüßig gehandelt babe und jedenfalls vom diéciplinarishen Standpunkt eine ernste Ahndung hätte er- fabren müssen, wenn er im Dienste verblieben wäre. Auch sei Horn infolge der Verurtbeilung durch das Landgericht nicht genöthigt gewesen, sein Amt als Bürgermeister niederzulegen; es bâtte genügt, wenn er seine einstweilige Enthebung von dem Amte nachgesuht und seine weitere Entschließung von dem Erfolge des von ihm gegen die verurtheilende gerihtlihe Ent- scheidung eingelegten Rechtêmittels abhängig gemacht hätte.“

So liegt die Sache. Horn hat sih übereilt und muß nun die Folgen, die dadurch für seine Person eingetreten find, tragen.

Graf von Schlieben meinte, daß der Bürgermeister Horn ebenso beurtheilt werden müsse wie ein rechtsfräftig Verurtheilter. Er sei völlig s{uldlos, das Reichsgericht habe das erfte Urtheil des Torgauer Gerichts auf das Schärfste verurtheilt. Aus juristischen Gründen könne man die Entschädigung nicht ablehnen.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Nur noch ein paar Worte.

Juristishe Bedenken habe ich in Bezug auf die Hauptfrage selbst nicht erheben wollen. Ich habe ausdrücklih gesagt, daß ih mich einer Kritik des reihsgerichtlihen Urtheils bezügli der Frage, ob darnah die Freisprechung des Horn mit Recht erfolgt sei, enthalte. Die juristishen Bedenken liegen für mich auf etatsrecht- lihem Gebiete, ob nämlich aus dem hier in Anspruch genommenen Fonds die Entschädigung gezahlt werden kann. Diese Frage habe ih verneint und muß sie verneinen nach dem vorgelesenen Wortlaut der bier in Rede stehenden Etatsposition.

Ich wiederhole: aus dem Strafverfahren is dem Bürgermeister Horn der Nachtheil nicht erwachsen, und wenn ih troßdem in einem Falle, wie er hier liegt, eine solche Entshädigung zahlen würde, fo würde die Ober-Nechnungskammer das ohne allen Zweifel beanstanden, und ih weiß nit, ob ich nachher die Indemnität von seiten der beiden Häuser des Landtags bekommen würde. (Zuruf: Von uns ja!) Das ift für mich die juristishe Seite der Sache.

Nachdem Herr von Diest nohmals für die Entschädigung des Horn eingetreten, wurde der Kommissionsantrag angenommen.

Die Denkschrift über die gemäß Z 20 des Gebäude- steuergeseßzes vom 21. Mai 1861 ausgeführte zweite Revision der Gebäudesteuerveranlagung wurde nah dem An- trage des Berichterstatters für den Staatshaushalts-Etat und für Finanz-Angelegenheiten Freiherrn von Durant durch Kenntnißnahme für erledigt erklärt.

Ueber eine Petition um Ergänzung bezw. authen- tishe Interpretation des §8 9, T3 und 4 des Ein- E Cn Fg ele zes vom 24. Juni 1891 in der Rich- tung, daß die Abzugsfähigkeit der Grund- und Gebäudesteuer sowie des von den Kirchengemeinden erhobenen Realdezems bei der Steuerveranlagung festgestellt wird, ging das Daa zur Tagesordnung über, ebenso über eine Petition um Abänderung des § 1 Abs. 5 des Einkommensteuer- eseßes vom 24. Juni 1891 in der Nichtung, daß alle onsumvereine mit offenem Laden in Zukunft einkommensteuer- pflichtig werden.

Damit war um 41/, Uhr die Tagesordnung erledigt. Nächfie Sizung unbestimmt.

Haus der Abgeordneten. 68. Sißzung vom Montag, 20. Mai.

Auf der Tagesordnung stand der Antrag Dr. Arendt und Genossen: Die Staatsregierung aufzufordern, den Reichs- kanzler zu ersuchen, ungesäumt und nahdrüdcklich alle diejenigen Schriite zu thun, welhe geeignet sind, zu einer 1nter- nationalen Regelung der Währungsfrage mit dem Endziel eines internationalen Bimetallismus zu führen.

Abg. Rintelen beantragte die Streihung der Worte „mit dem Endziel eines internationalen Bimetallismus“.

Abg. Dr. Arendt (fr. kons.): “Mein Antrag betrifft zwar einen Gegenstand, der der Reichsgesetßaebung unterliegt, aber doch ift gerade in diesem Fall ein Versuh zur Beeinflufsung der preußishen Regie- rung gerechtfertigt. Der Reichstag hat einen Antrag bezügli{ der Wähbrungsfrage angenommen, aber der Bundesrath ift bis jeßt aus den „Erwägungen“ noch nicht herauszekommen, während doch die wirtbshaftlihe Lage eine Verwirflihung erbheischt. Wir legen das Hauvptzewicht auf den erften Theil, während im Herrenhause leider das Gewicht auf den zweiten Theil gelegt wurde, namentli auf seiten der Regierung. Die Agitation für Streichung des leßten Absatzes, der nur das flarer auêësvricht, was der NReichstagsbeshluß beabsichtigt, ist nur ein taftishes Manöver der Goldwährungspartei, die mit offenen Waffen ni&t mebr kämpfen fann. Schon im Staatsrath verfuhr man niht mebr ofen, und ebenso im Herrenhause, wo man beantragte, die Worte „mit dem Endziel eines internationalen Bimetallismus“ zu streihen. Der Minister-Präsident befürwortete diesen Antrag, und es ift wobl das erste Mal, daß ein von der Regierung befürworteter Antrag im Herrenhause gefallen ift. Im Herrenhause wie im Staats- rath bat die Goldwährungépartei eine Niederlage erlitten. Die Herren, die diese Streichung vornehmen wollen, müssen doch ein Programm vorlegen, wie sie si eine internationale Regelung der Währungsfrage obne Bimetallismus denken. Ich kann mir eine solhe Regelung niht denfen. Wir wollen nit allein Hebung, fondern auch Fest- legung des Silberpreises, damit das Silber der Spekulation entzogen werde. An dem Sinken des Silbers is niht die Ueberproduktion von Silber s{huld: denn thatsählich wird garniht fo un- geheuer viel Silber produziert angesihts des großen Bedarfs der Menschheit an Silber. Für die Münzbedürfnifse der ganzen Welt bleiben bei der jeßigen Produktion nur Millionen Kilogramm übrig, also 1 4 auf den Kopf der Bevölkerung nach dem alten Silberpreise. Ueberdies wird die Produktion bald abnehmen, da heute bei der tebnishen Vervollkommnung der Produktion die Silberminen leiter erschöpft werden. In Nevada sind die Silberminen bereits erschöpft, und in Transvaal sowie in Nord-Amerika wird das demnächst der Fall sein. Das reichste Silberbergwerk in Australien wird in einigen Jahren, nit mebr produzieren können wegen Ershövfung. Die Goldproduktion hat #ch in wenigen Jahren verfünfzehnfacht, und doeh is Gold nit billiger geworden, die Produktionsverhbält- nisse können also an den Preisen nicht {huld sein. Gott s{chüße das Vaterland vor einem Krieg unter der „bewährten“ Gold- währung. Die Ephraimiten waren ein gutes, vollgültiges Geldstück im Vergleih zu den beutigen unterwerthigen Fünfmarkstücken. Das deutshe Nationalvermêgen wird durch die Unterwerthbigkeit des Silbers um 2 Milliarden Mark geschädigt, und außerdem geht der ganze Silberbergbau zu Grunde. Der deutshe Erport erleidet die \hwersten Nachtheile, und da befürwortet man die Goldwährung mit den Interessen des Exports. Wir wollen keine schwankende, fondern eine stabile Valuta, die deutschen Landwirthe wollen fih eben niht auf Kosten anderer Kreise bereihern. Die Doppelwährung würde au die allgemeinen Preiéverbältnisse günstig beeinflussen, denn steigende Silberpreise haben auch steigende Waarenpreise zur Folge. Auch die gesammte Landwirthschaft hat Vortheil von der Doppel- währung. Wir wollen die Münze niht vershlechtern, sondern sie gerade durch die Herstellung fester Prägeverhältnisse, voll- werthiger Münzen verbessern. Was der Staat jeßt an Silber produziert, sind doch Scheidemünzen. Durch die Doppel- währung wird die Agiotage niht, wie von den Goldwährungs- männern behauptet wird, begünstigt, sondern gerade beseitigt, das be- weist doch wohl- das Eintreten der Banquiers für die Goldwährung. Die Rotbfchilds sind ebeafalls nicht Anhänger der Doppelwährung, nur der Pariser Rothschild hat im Falle der Einführung der Gold- währung in Franfreih eine Krisis in Aussicht gestellt. Der Bank- direktor Russell hat behauptet, der Rückgang der Waarenpreise in- folge der Goldwährung sei ein Zeichen von Kulturfortshritt. Wenn das wahr wäre, so müßte Rußland auf einer höheren Kulturstufe steben als England. Die Silberländer wissen von einer wirthschaftlichen Krisis nichts. Wir wollen eine stabile Währung, die Währungseinheit der Welt, und Deutschland muß die Initiative ergreifen. Angesichts der gegenwärtigen Haltung des englischen Unterhaufes, der Haltung der franzö- nischen Regierung wird sich eine internationale Regelung derWährungsfrage leiht herbeiführen lassen, zumal der fommende Mann in England, Balfour, Anhänger der Doppelwährung ist; denn dieser hat am 3. April eine Rede zum erften Male nicht in seinem eigenen Namen, sondern im Namen seiner Partei gehalten. Die Ein- führung der Doppelwährung is das beste Geseß gegen den Umsturz, und die sechzig Kommerzien -Räthe des Gold- währungsvereins arbeiten nur der Sozialdemokratie in die Hände. Die Wahrheit des Bimetallismus wird doch durchdringen. Die Behauptung des Reichsbank-Präsidenten Koh, Herr von Dechend sei fein Anhänger der Deopyvelwäbrung gewähren, ift ein Jrrthum. Denn ohne Herrn von Dechend säße ih nicht hier. Herr von Dechend hat mich selbs bewogen, meine Vorbereitungen zur aka- demischen Laufbahn zu unterbrehen, nach Berlin zu ziehen, um mich bier zu popularisieren und die herrschende Unwissenheit in der Währungéfrage zu beseitigen. Wenn Herr Koch davon nichts weiß, so liegt das wobl daran, daß er als früherer Justitiar der Reichsbank von wirthschaftlichen Fragen feine Kenntniß hat. Der Bime- tallièmus if feine agrarische Forderung, sondern eine For- derung aller produzierenden Stände. Wenn die Regierung die Doppelwäßhrung ablehnt, so heißt das, sie über- läßt die Landwirthschaft s\ich selbst und will ihr nicht helfen; dann steben wir vor einer Katastrophe, bei der niht bloß die Landwirthschaft, sondern der ganze Staat zu Grunde geht. Die Re- gierung hat die Wahl, auf welhen Weg sie treten will : auf seiten der Sozialdemokratie oder der produzierenden Stände. Möge ihre Entscheidung zum Wohle des Vaterlandes ausfallen.

Inzwischen war ein Antrag des Abg. Freiherrn von Os und Neukirch (fr. kons.) eingegangen: hinter dem

ort „Bimetallismus“ in dem Antrage Arendt die Worte „einshließlich England“ einzuschalten.

Abg. von Eynern (nl.): Der Gegenstaud; der uns hier be- \chäâftigt, ist ein Gegenstand der Reichsgeseßgebung. Wenn Abg. Arendt seine Rede hier hält, so geschieht dies, weil es ihm noch nicht

gelungen is, eine Rede im Reichstag halten zu können. Sein