1895 / 143 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 18 Jun 1895 18:00:01 GMT) scan diff

sollen erst haften, wenn von den eigentlichen Verpflichteten nihts zu erlangen is, so wäre das ja eine Frage, worüber man streiten kann. Wenn aber beispielsweise Polizeibehörden in großer Zahl Zeugnisse ausstellen für Personen, die direkt über See geben, ohne sich immer um die Stempelfrage zu be- kümmern, fo fann si an folhe Personen der Fiskus naher nicht regresfieren. Eine Disziplinaruntersuchung gegen einen folhen Beamten einzuleiten, is ja natürlich in den meisten Fällen weder rathsam noch ausführbar; denn man kann ja in den meisten Fällen den Beamten natürli nicht nahweisen, daß sie in dieser Beziehung bewußt ihre Amtspflichten verleßt haben. Diese Vorschrift hat aber eben die Bedeutung, daß die Beamten darauf hingewiesen werden, auf diese Fragen ihrerseits sorgfältig zu ahten. Streichen Sie das, dann wird diese ganze Garantie des ftempelpflihtigen Auffommens von vorn- herein so gut wie nullifiziert sein. (Sehr richtig! rechts.) Ich gehe noch weiter. Es ift ja gerade fein Vorwurf für unsere Beamten, aber Thatsache ist es doch, daß die Beamten im Großen und Ganzen nur widerstrebend derartige Staatsfinanzinteressen vertreten und, wo sie können, den Stempelpflihtigen belfen und ibnen Rathschläge geben, wie sie_ die Stempel ersparen können. Die Tendenz der ganzen Beamtenschaft ift in der Beziehung jedenfalls contra fiscum. Dies nun noch zu fördern, eine bestehende Bestimmung aufzuheben, dazu finde ich gar feinen Grund. Und ich möchte dringend bitten, den Paragraphen, so wie ihn die Kommission beschlossen hat, aufrecht zu erhalten.

Abg. Kirsch (Zentr.) trat demgegenüber der Auffassung des Abg. Krause bei.

Abg. Klasing (kons.): Die Beamten unterliegen an und für fich der allgemeinen Aufsicht ihrer vorgeseßten Behörden, sie sind haftbar für den Fall ihrer Vershuldung; wir wollen sie nur keinen Ausnahme- bestimmungen unterworfen sehen. Für Notare insbesondere it dle!e Bestimmung nicht nöthig, da ihre Geschäftsführung einer fortlaufender Kontrole unterliegt.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Der Herr Vorredner sagt, bei Notaren wäre es nit erforderli, weil da immer eine Revision eintritt. Ießt besteht die Bestimmung, daß die Notare eventuell mithaften, und deswegen werden sie jeßt viel sorgfältiger darauf achten als demnächst, wenn das hohe Haus in diefer Beziehung jede Verpflichtung zur Haftung des Stempels treit. Aber selbs unter der gegenwärtigen Geseßz- gebung das kann ich dem Abg. Dr. Klasing sagen ift es sebr vielfah vorgekommen, daß \sich bei den Notaren stempel pflihtige Urkunden fanden, die niht gestempelt waren, und daß wir niht Regreß nehmen konnten an denjenigen, zu Gunsten dessen das geshehen war. Jch bin überzeugt, die allgemeine Neigung der Beamten is nit für die Stempelvflichtigkeit. Wir werden ja nmatürlih, wenn der Stemvelvflihtige noch zu finden und leistungsfähig ist, uns an denselben halten, und haben wir die Stempel bekommen, so ist damit die Sache erledigt. Aber in vielen Fällen ist der Stempelpflichtige niht mehr zu fassen, und wenn eine Schuld des Beamten vorliegt, so wird man natürlich sich an ihn halten müfsen.

Wenn der Herr Abg. Dr. Klasing sagt: man kann ja immer gegen die Beamten s\{chließlich auf dem Wege der Zivil- flage einshreiten, wenn man ibnen ein grobes Ver- \{hulden nahweisen kann. Daß das nur in den seltensten Fällen zum Ziele führen kann, einen solchen Beweis zu: erbringen, daß auf Grund eines groben oder dolosen Vershuldens des Beamten der Stempel defraudiert wurde, das brauhe ich nit weiter au8einanderzuseßen. Streichen Sie die Bestimmung, so können Sie uns jedenfalls nit auf den Weg der Zivilklage verweisen.

Abg. Krause (nl.): Von den Notaren werden die Ordnungsstrafen und Monita der Revisoren viel mehr gefürhtet als die Zahlung des Betrages der Stempel, der nur in seltenen Fâllen ein sehr hoher ift.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Fa, meine Herren! Ob die Beamten im Jahre 1822 forglofer gehandelt haben wie die heutigen Beamten, das wird doch dem Abg. Dr. Krause zu beweisen sehr chwierig sein, und wenn er behauptet : die Beamten haben eine Gesammtstimmung, wenn ih so sagen foll, gegen den Stempel nicht, so glaube ih, find wir im Finanz-Ministerium in dieser Beziehung urtheilsfähiger als Herr Dr. Kraufe. Wir haben die entgegengesezte Erfahrung gemaht, und ih bin überzeugt, dies würde no viel bedenklidier sein, wenn der Antrag des Herrn Abg. Krause angenommen wü-e. Wenn es si bier darum handelte, den Beamten eine neue Verpflichtung aufzuerlegen, so läge die Sache anders; wir vertheidigen abe: nur das bestehende Recht.

Abg. Bartels (kons.) erklärte, daß nur ein Theil seiner volitishen Freunde mit dem Abg. Klasing für den Antrag Krause timmen werde, ein anderer Theil trete für die Kommissions- beshlüfse ein.

Abg. Klasing machte geltend, daß die Beamten für ibrer Regreßpflichtigkeit ih dazu veranlaßt fühlen könnten, igenen Sicherheit in allen Fällen einen möglichst hohen anzuwenden.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Das heißt doch eine ziemli starke Gewissenlosigkeit der Beamten vorausseßzen. Der Beamte muß seine Schuldigkeit thun, sowohl für den Staat als auch für den Steuerpflichtigen. Eine solhe Be- hauptung, daß die Beamten höhere Steuern nehmen, bloß um sich selbst versönlih auf Kosten des Steuerpflichtigen zu decken, kann ih nit acceptieren. Außerdem werden ja die überhobenen Stempel- beträge immer restituiert, also es würde au niht einmal eine große Gefahr darin liegen.

Entgegen dem Antrage Krause wurde § 13 in allen seinen Theilen nah den Beschlüssen der Kommission angenommen.

S 16, betreffend die Stempelverwendnng bei Verhand- lungen von Privatpersonen, wurde mit einigen redafktionellen Aenderungen genehmigt. S 17 seßt die Strafe für Stempel- hinterziehungen auf das Vierfache des bhinterzogenen Stempels, mindestens aber 3 M fest. Kann der Betrag des hinterzogenen Stempels nicht festgestellt werden, so tritt eine Geldstrafe bis zu 3000 M ein.

Auf eine Anfrage des Abg. Kir\ch, ob diese leßtere Bestimmung auch Geltung habe für den Fall der Nichteinreihung der Mieths- verzeihnifse, bemerfte

Finanz-Minister Dr. Miquel:

In Bezug auf die erste Frage is kein Antrag gestellt; fonst würde ih erwidern, daß diese Strafe au denjenigen treffen soll, der

Was die Frage der Umsteklung betrifft, so scheinen mir, soweit ih in diesem Augenblick übersehen kann, Bedenken nicht vorzuliegens Aber ih glaube, es wird tathsam fein, das noch einmal näher anzu- sehen und für die dritte Lesung vorzubehalten.

Nach § 18 tritt für den Fall, daß die Unterlassung der Entrichtung eines Stempels unter Umständen erfolgt ist, welche ergeben, daß eine Steuerhinterziehung nicht hat verübt werden fönnen oder nit beabsihtigt worden ist, statt der vorgedachten Geldstrafe eine Ordnungsstrafe bis zu 300 F ein.

Die Abgg. Jansen und Stephan - Beuthen (Zentr.) beantragten: 1) eine Ordnungsstrafe „bis zum Betrage des niht verwendeten Stempels, jedoch nicht über 150 M6“ fest: zuseßen, 2) für den Fall, daß eine stempelpflichtige, aber nicht mit einem Stempel versehene Urkunde in der für die Ver- wendung des Stempels bestimmten Frist bei einer Behörde eingereiht wird, von einer Ordnungsstrafe abzusehen.

Abg. Stephan- Beuthen (Zentr.): Bei den Ordnungsëstrafen welche auf Grund dieses Gesezes gegen Beamte verhängt werden, ift ein Maximum von 150 4 festgeseßt; es liegt kein Grund vor, gegen Laien, welce das Geseß niht so genau fennen, schärfer vorzugehen. Unser zweiter Antrag ügt fich auf den § 29 diefes Geseßes, wonach außer den Steuerbebörden alie unmittêlbaren und mittelbaren Be- hörden und deren Beamte die Verpflichtung haben, die Besteuerung der ibnen vorkommenden Urfünden zu prüfen. Es wäre eine Ungerehtig- feit, die dabei entdeckten Verstöße gegen das Geseß mit einer Strafe zu belegen, wenn die zur Entrihtung des Stempels festgeseßte Frist noch nit abgelaufen ist. Geseßesunkundige würden dadurch leiht in emvfindlihe Ordnungsfstrafen verfallen.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ich glaube nicht, daß ein Bedürfniß vorliegt, die Marimalhöhe der Ordnungsstrafe von 300 (6 auf 150 herab- zusetzen; im Gegentheil, ih babe hon darauf hingewiesen, daß bei zu niedrigen Ordnungsstrafen es sehr leiht eintreten kann, daß die Behörden sich dann lieber, um gleich einen wirksamen Erfolg zu haben, auf das gewöhnlihe Strafverfahren zurückziehen, während die Einführung der Ordnungsstrafen gerade den Zweck hat, im Interesse des Steuerpflichtigen da, wo offenbar keine fraudulöse Hinterziehung de Stemvels vorhanden ift, Erleichterungen eintreten zu laffen.

Was den zweiten Antrag, wenn ich ihn recht auffasse, betrifft, so versciebt er die Vervflihtung des Steuerpflichtigen in Bezug auf die Zablungsfrist. Dur das ganze Stempelgeseß geht die Bestim- mung: der Stempel muß innerhalb vierzehn Tagen nah Errichtung der Urkunde bezahlt sein. Wenn jemand nun, ohne üble Folgen davon zu haben, rubig warten kann, bis er die Urkunde bei einer öfentliden Bebörde einreiht, fo ift das eine ganz unbestimmte Verlängerung der Frist. Der Antragsteller sagt nit, es muß inner- halb der 14 tägigen Frist Zahlung geleistet werden, fondern er sagt nur, die Urkunde muß eingereiht werden; solhe Bestimmungen führen dabin, daß die klugen Leute die Frist sih verlängern und umgekehrt die Wenigklugen innerbalb der allgemeinen Frist von 14 Tagen auch wirklih thatsählich Zahlung leisten.

Ih mödhte daher nicht glauben, daß es gerathen ift, den Antrag anzunehmen.

Abg. Stephan: Der Herr Minister hat den von mir für die Herabsezung der Ordnungsstrafe angeführten Hauptgrund, daß es un- billig sei, geseßeskundige Beamte für Verfehlungen gegen diefes Gefeß geringer zu bestrafen als rechtsunkundige Laien, gar nicht berührt.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Allerdings hat Herr Dr. Stephan: ganz ret, daß hier scheinbar eine Inkongruenz besteht: bei Beamten 1504, hier bis 300 4 Aber ih glaube, materiell is dieser Unterschied durhaus berechtigt; denn bei den Beamten kann man von vornherein nicht annehmen, und wird es aub nur in den allerseltensten Fällen vorkommen, daß da etwas Anderes vorliegt als eine gewisse Nach- lässigkeit und Unaufmerksamkeit. Dagegen bei den Laien liegen die Fälle oft so, daß man nicht recht weiß: liegt hier Defraude vor, oder ist es bloß Nachlässigkeit? Nun in denjenigen Fällen, wo man wobl geneigt wäre, anzunehmen, daß wahrsceinlih die Hinter- ziehung fraudulés sei, da kann man do vermeiden, die Sache in das Strafverfahren zu bringen, wenn man auf eine angemefsen bobe, bis 300 Æ gehende Strafe erkennen fann. Beruhigt ich der Mann bei dieser Strafe, dann wird «er doh wobl felbst das Gefühl haben, daß er immer noch besser wegkommt, als wenn die Sade in das eigentlihe Strafverfahren geht; beruhigt er si nicht, so hat er ja den Rechtsweg. Ich glaube daber, daß es vielfa auch selbs im Interesse der Steuerpflichtigen liegt, den Minister in die Lage zu bringen, au solche zweifelhaften Fälle, wo man heute zweifellos ein vollständiges Strafverfahren einleitet, im

Wege der Ordnungéstrafe zu behandeln.

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Der erste Antrag der Abgg. Jansen und Stephan wurde abgelehnt, der zweite angenommen und mit diejer Aen-

dérung der 18 ' a Zu 24 („Erstattung bereits verwendeter Stempel“)

beantragte Abg. Stephan, daß die entrichteten Stempel au dann erstattet werden sollen, wenn einem Geschäft eine Suspensivbedingung beigefügt ist und diese Bedingung dann nicht eintritt.

FinanzMinister Dr. Miquel:

Meine Herren! J glaube niht, daß für diesen Antrag irgend ein Bedürfniß vorliegt. Andererseits glaube ih, daß, wenn der An- trag Dr. Stephan angenommen wird, dadur erheblihe ungerechte Begünstigungen vorkommen werden. Ih habe son vorhin darauf hingewiesen, daß es im Interesse einer Partei liegen kann, wenn der Eintritt der Bedingungen die Ausführung des Geschäfts selbs verhindert. Das kann namentli bei Bauspekulationen und dergleihen Verträgen sehr leiht vorkommen. In solchen Fällen obligatorisch vorzuschreiben : es muß unter allen Umständen der Stempel erlassen werden halte ih nit für rihtig. In den Fállen, wo wirklich ein Bedürfniß vorliegt, reiht der legte Saß des Abs. 1 im § 24 vollständig aus. In allen Fällen will ih aber hervorheben, daß ih den Antrag so auffasse, daß die Befugniß der Steuerverwal- tung, welhe sch aus dem Schlußabsaß des § 24 ergiebt, auch in diesem Falle bestehen bleiben soll; sons würde der Antrag noh be- dentliher fein.

Der Antrag wurde abgelehnt.

u S 29 („Verwaltung der Stempelsteuer“) beantragte

Abg. Schmidt- Warburg (Zentr.) die Bestimmung, daß die Steuerämter zur Auskunft nicht allein über die Hohe der zu

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“Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ich glaube, der Herr Vorredner hat si selbst schon den wichtigsten Einwand gemacht, nämlich dahin, daß der ganze Antrag nit nothwendig it. Wenn eine Behörde gefragt wird: wie viel Stempel muß ih hier zahlen, und sie findet, daß kein Stempel zu zahlen ist, dann wird die Behörde fagen: gar kein Stempel. Hierauf wurde der Antrag abgelehnt.

S 30 enthält die Bestimmungen über die Auffichtsführung. Abs. 2 bestimmt, daß alle Behörden und Beamten, Aktien- gesellshaften, eingetragenen Genossenschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung u. \. w. verpflichtet sind, den Vorständen der Stempelsteuerämter die Einsicht ihrer Akten, Bücher und Schriftstücke zu gestatten.

Ein Antrag dcs Abg. Schenck ging dahin, die „ein- getragenen Genofssenschafien“ zu streichen.

Nach dem vierten Absaß des Paragraphen sind Privat- personen auf Erfordern der Stempelsteuerämter verpflichtet, sih über die Beobachtung der Stempelgeseßge auszuweisen, wenn Thatsachen vorliegen, welhe die Vermuthung reht- fertigen, daß die Stempelgeseze verleßt sind. Unter dieser Vorausseßung hat auf den Antrag des Stempelsteueramts das Amtsgericht über die Anordnung einer Beschlagnahme oder Durchsuchung Entscheidung zu treffen.

Die Abgg. Haatcke, Krause u. Gen. (nl.) beantragten eine Fassung dieser Bestimmung, die das gerichtliche Ein: schreiten davon abhängig macht, daß der Aufforderung zum Ausweise niht Folge geleistet wird.

Ein Antrag der Abgg. Jansen und Stephan- Beuthen seßte für „die Vermuthung rechtfertigen“ die Worte: „den dringenden Verdacht rechtfertigen“. :

Die Abgg. Parisius, Stephan und Haake begründeten kurz die gestellten Anträge.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Es liegen hier drei Anträge vor; ih ersuche das hohe Haus, alle drei Anträge abzulehnen.

Der erste Antrag bezieht ih auf die Frage der Befreiung der Genossenschaften von der Revision. Ich weise in dieser Beziehung darauf bin, daß die Genossenschaften dem Reichsstempel gegenüber {on ebenso behandelt werden, wie sie hier behandelt werden sollen; und wenn gegenüber dem Reichéstempel eine folche Befugniß bezw. Verpflichtung der Revision stattfindet, so können Sie {on gar nicht mehr eine andere Bestimmung in Beziehung auf den preußishen Stempel machen. (Sehr richtig! rechts.) Es is au kein Grund vorhanden, die Genossenschaften anders zu behandeln, als z. B. die Gesellschaften mit beshränkter Haftung.

Der Antrag Stephan will den Richter nur in Thätigkeit treten lassen, wenn ein dringender Verdaht vorliegt. Haussuchung kann man abbálten, wenn ein Verdacht vorliegt, auf dem ganzen Gebiet des Strafrechts: warum soll hier der Richter noch eine besondere Be: \{ränkung haben? Entweder giebt er auf das Wort edringend“ nihts; dann hat die Sache keine Bedeutung. Oder aber er legt Gewicht darauf, dann ist es eine weitere Einshränkung auch gegenüber dem bestehenden Recht.

Meine Herren, wenn hier das Wort „Verdacht“ etwa dem Wort „Vermuthung“ vorgezogen würde, so hätte ih dagegen nichts zu er- innern. In beiden Fällen wird der Richter prüfen : Liegt genug Grund vor, um anzunehmen, daß hier die Wahrscheinlichkeit einer Defraude besteht? Bejaht der Richter diese Frage, so wird er zur Beschlag- nabme schreiten; bejaht er sie nit, so wird er den Antrag abweisen.

Aber dieser Antrag Stephan is mir längst so bedenklich nitt, wie der eben motivierte Antrag Haacke. Ich vermuthe fast nach der Auéführung des Herrn Haae, daß hier doch noch ein Mißverständnif untergelaufen ift, und ih bitte das hohe Haus, bei dieser sehr erhebliden Frage mir einen Augenblick Gehör zu schenken. Meine Herren, sind hier in diesem § 30 Absay 2 zwei Fälle zu unterscheiden; die Sahlage war nach der Regierungsvorlage klar, die Faffung der Kommission hat die Sache etwas verdunkelt. Also es stand die Sache so: Privatpersonen werden seitens der Vorstände der Stempel- steuerämter aufgefordert, sh über die gehörige Beobachtung des Stempelsteuergeseßes auszuweisen, wenn Thatsachen vorliegen, wele die Vermuthung rechtfertigten, daß die Stempelgeseße verletzt sind. Das ift einfa.

Der zweite Fall is der, daß ganz unabhängig von einer solchen vorhergehenden Aufforderung, z. B. durch die Anzeige eines Mannes, der dabei betheiligt war, der dringende Verdacht entsteht, daß eine Defraude vorliegt. In diesem Fall kann die Stempelbehörde sich an das Gericht wenden und sagen: hier [iegt der dringende Verdat einer Defraude vor.

Das Gericht ist nun nah freiem Ermessen berehtigt, bierüber zu entsheiden, ob dieser Verdaht genügt. Sagt das Gericht, der Verdacht ist genügend, dann wird zur Revision geschritten, und diele Nevision nimmt in Zukunft nicht, wie bisher, der Stempel- fisfal vor, sondern das Gericht; nur ist vorgesehen, das bei der intimen Sachkunde auf diesem Gebiet, die dem Richter häufig fehlt, zugelassen wird, daß der Stemvelfiskal bei der Haussuchung anwesend ist. :

Nun will der Antrag Haacke verlangen, daß dieses Einschreiten des Gerichts nur bei dringendem Verdacht der Defraude zulässig Ie soll, wenn man denjenigen, gegen welchen der Verdacht vorliegt, vorder benachrichtigt : nimm dih in Acht, nächstens fommt bei dir Hauë- suchung in dem Augenblick, wo ih diese Nachricht gütig!t dem- jenigen, gegen den das ganze Verfahren gerichtet ist, angedeihen lafse, wir? natürlich die Urkunde nicht vorgelegt werden. Jch habe in der Kommission das Beispiel von Stettin angegeben. Es wird von einem wohl- unterrichteten Manne die Anzeige an den Stempelfiskal gebracht: hier sind 30, 40 große Miethsverträge, fie sind alle nicht gestempelt.

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Wenn nun der Richter na dem Antrag Haake verpflichtet gew!

es sich hier handelte, hübsd ih komu!t Vertrag?

wäre, diesem Bauspekulanten, um den Kenntniß zu geben: lieber Freund, nimm dih in Acht; nächstens und halte Haussuchung! so bin ih überzeugt, diese wären gewiß niht vorgelegt worden, sie wären einfa verschwunde?. Solche Bestimmung kann man wirklich nit machen. Nun beruft si der Herr Antragsteller darauf, daß in dem Gelees von 1822 doch eine ähnlihe Bestimmung steht. Das ift vollfomm?? rihtig; aber diese Bestimmung hat si als so ungemein verkehrt 80 zeigt, daß die Gerichte darüber weggegangen sind, und in dem E von Stettin hat der Richter, obwohl eine vorherige Anzeige n die Verdächtigten niht stattgefunden hatte, die Beschlagnahme v? genommen. Der Richter hat selbs gefühlt, daß das E

zahlenden Stempel verpflichtet sein sollen, sondern auch darüber,

die Urkunde produziert, ebenso den Inhaber derselben.

ob überhaupt cine Stempelpflicht vorliege.

möglih der eigentlihe Sinn der Bestimmung sei, und

der allgemeinen Befugniß, ftrafbare Handlungen zu verfolgen, Haus- suchung ohne vorherige freundlihe Mittheilung bei denjenigen zu

halten, welhe der That verdächtig find, haben die Gerichte

gefolgert, daß sie auch hier berechtigt seien, ohne vor- angegangene Aufforderung eine Beschlagnahme zu verfügen. Fch mache dabei darauf aufmerksam, ‘daß das Geseß von 1822 ja nicht in der ganzen Monarchie gilt. In den neuen Landestheilen ift vor- geschrieben, daß das Verfahren sih rihtet nach dem Verfahren bei Verlezung von Zollgeseßen, und bei der Verlegung von Zollgesezen ift diese Vorschrift von 1822 nicht gegeben, sondern da kann der Richter ohne vorherige Mittheilung an denjenigen, gegen den die Beschlag- nahme gerihtet ist, vorgehen, ja (Zuruf) sogar die Steuerbzhörden föônnen ohne Richter solhe Beschlagnahme selbs vornehmen. Also für diese Provinzen würden Sie auh das bestehende Recht über den Haufen werfen und eine nothwendige Kautel -und nothwendige Garantie der Kontrole, die jeßt die Behörden in diefen Provinzen haben, beseitigen.

Nun i} dazu au gar kein Grund vorhanden. Wo kann man eine größere Garantie finden, daß eine solhe Befugniß niht gemiß- brauht wird gegen die Stembpelpflichtigen als hier, wo dem Richter eine fouveräne Entscheidung über die Frage in die Hand gegeben wird ? Wozu sind denn unsere Richter da? Ich glaube nicht, daß sie allzu leihtfertig und allzu geneigt fein werden, unbegründeten Anträgen der Stempelfiskale zu folgen. Wenn Sie das alles in die Hand des Richters legen, so muß das doch Garantie genug sein.

Abg. Reichardt (nl.): Nah dem Geseß von 1822 hatte die Steuerbehörde im Fall des Verdachts einer Stempeldefraudation das Recht, den zur Entrichtung des Stempels Verpflichteten zu einer Er-

lärung aufzufordern. Diesen Zustand wollen wir aufrecht erhalten während der Herr Finanz - Minister ihn ändern will, ob- gleich er zu verschiedentlihen Malen von dem Wunsche sprach, keine Aenderungen an dem bestehenden Zustande vorzunehmen. Eine Hausfuchung bei einem Mann, der sich einer Stempeldefraudation on vielleicht 50 A s{uldig gemacht hat, ist an sih schon eine Strafe, die mir niht im rihtigen Verhältniß zu der Höhe des Vergehens zu stehen scheint. Wenn ein Stempel absihtlich hinterzogen wird, fo wird sich das schon berausftellen. Gegen folche aber, die si unab- sihtlih gegen das Stempelfteuergeseß vergehen, sollte man nicht in der Weise, wie bier bestimmt, vorgehen. j

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Der Herr Abg. Reichardt sagt: hier will der Finanz-Minister an dem bestehenden Recht ändern, und das ift ein

jeständniß, welhes {on genügt, die Sache abzulehnen. Meine Herren, erstens ändert auch der Antrag Haacke an dem bestehenden Recht. In den neueren Provinzen is das leßtere Recht nicht ein- geführt, weil man damals 1867 längst erkannt hatte, daß das be- stehende Necht nah dem Geseß von 1822, wenn es wirkli wörtlich angewandt würde, vollständig ungenügend für die Kontrole sei. Aber das ganze Gesetz enthält ja auch viele sonstige Aenderungen der bestehenden Bestimmungen. Wir wollen reformieren hier. Nun haben wir die Erfahrung gemacht, daß die Gerichte selbst diese enge Inter- pretation des Geseßes von 1822 nicht acceptiert haben. Nach solchen Erfahrungen eine fsolche Bestimmung aufs neue wieder zu legalisieren, das kann do keine rihtige Begründung haben.

Meine Herren, der Herr Abg. Neichardt sagt : wegen ein vaar Groschen Stemvel eine Hausfsuchung zu halten, ist doch gar zu {limm. Der Einwand könnte richtig fein, wenn seit dem Jahre 1822 irgend ein foler Fall vorgekommen wäre. Jch glaube aber niht, daß der Herr Abg. Reichardt einen derartigen Fall nennen kann. Die Stempelbehörde hat stets die Praris gehabt, daß nur beim Verdacht einer systemati- hen Defraudation hoher Beträge eingeschritten werde. In dem Falle von Stettin hat es fih um vielleiht §000 4 gehandelt und die Bau- unternehmer, die da die Vermiethungen vorgenommen haben, haben wohl gewußt, daß Mietbsverträge stempelpflihtig sind, und haben wohl die Abstemvelung nicht aus Nachlässigkeit oder gutem Glauben unterlassen. Hätten wir denselben aber vorher Kenntniß gegeben, daß die Verträge mit Beschlag belegt werden sollten, so geht der gute Glaube und das Vertrauen es Herrn Abg. Reichardt doch sehr weit, wenn er annimmt, die Leute wären bereit gewesen, die Strafbarkeit ihrer Handlungen ohne weiteres durch Vor- egung der Urkunden dem Richter nachzuweisen. 1 vielen Fällen handelt es sich nicht bloß um Nachstempelung, in um Strafen, die auf die Defraudation gelegt sind. Ich mu r der Meinung sein, daß Sie durch diesen Antrag die ganz stimmung fast illusorisch machen.

_ Abg. R ickert (fr. Vgg.): Bei dem Stempelsteuergeseß hat den Herrn Finanz-Minister feine sonstige Gemütblichkeit verlassen : die Bestimmungen dieses Gefeßes sind drakonische. In den meisten Fallen handelt es sih bei Hinterziehung von Stempelbeträgen um Nachlässigkeit. Fch bitte daher, den Antrag Haacke anzunehmen und das Gesecy durch Ablehnung désselben niht noch unpopulärer zu mawen, als es an sich \chon ift. : ß

Der Antrag Schenck wurde abgelehnt, die Anträge Jansen und Haacke angenommen und mit ihnen der 8 30. i

Der S 33 enthält die Uebergangsbestimmungen. Nach der Regierungsvorlage sollen auf die vor dem Inkrafttreten des Geseßes ausgestellten Urkunden, welche bis dahin Stempel- pilichtigkeit erlangt haben, die bisherigen geseßlihen Vor- schriften Anwendung finden. Bei Mieths- und Aftermieths- verträgen sollen die betreffenden Tarifbeftimmungen nur für denjenigen Zeitraum Anwendung finden, für welchen eine Ver- steuerung noch nicht stattgefunden hat.

Die Kommission beantragte: für den Fall, daß der nach den bisherigen Bestimmungen erforderlihe Stempel nicht an- gewandt ist, die betreffenden Urkunden aber nach den Be- stimmungen des vorliegenden Geseßes niht stempelpflichtig sein oder einen geringeren Stempel erfordern würden, Nach- forderung des Stempels und Bestrafung wegen Nichtentrichtung der Stempelsteuer nicht eintreten zu la}sen, während _ Abg. Kirs\ch diese Bestimmung dahin beschränken wollte, daß eine Nachforderung des Stempels und eine Bestrafung wegen Nicht- entrihtung desselben nur insoweit zulässig sei, als in Gemäßheit der Shetisten dieses Gesezes eine Verpflichtung zur Entrichtung von

elfsteuer entstehen würde.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

. Ich glaube, wenn man \ich die Sache klar vergegenwärtigt, so t weder der Kommissionsbes{luß noch auch selbst der allerdings den Kommissionsbeschluß etwas verbessernde Antrag Kirsh annehmbar. Lenken Sie sih einmal das Geseß wird jeßt publiziert und es Ut ja son bekannt —, und es tritt am 1. April 1896 in Kraft: iti neuen Gefeß brauchen sämmtliche Miethsverträge, auch ta e, gar nicht verstempelt zu werden. Von nun an

rden wir also überhaupt gar keinen Miethsftempvel mehr

bekommen. Denn in Zukunft find nicht die einzelnen \chriftlichen Urkunden s\tempelpflihtig, sondern nur das Verzeichniß. Ich will Ihnen ein anderes Beispiel s\agen. Jet sind die Verträge zwischen Descendenten und Ascendenten nah diesem Gesetz frei; wer früher einen folhen geshlofsen hatte, muß zahlen, wer wartet bis zur Publikatien dès Gesezes, ist auch frei in Zukunft. Aber diejenigen, welhe nun wirkli jeßt nah Bekanntwerden dieses Gesetzes die Verträge abschließen, können später au niht mehr berangezogen werden.

: Ich glaube, hier weihen wir doch von den allgemeinen Grund- säßen des Rechts über die Anwendbarkeit neuer Gesetze io einer Weise ab, die gar nit berechtigt ersd;eint und wo ich siher bin ih habe Ihnen nur zwei Beispiele angeführt, ih könnte ja viel mehr an- führen daß die Klugen Profit von der Sache baben und die anderen hineinfallen, wenn ih so sagen darf. (Heiterkeit.)

Meine Herren, ih glaube, wir müfsen bei dem allgemeinen Grundsaß bleiben, daß die Verträge, die unter Geltung des heutigen Rechts geschlossen sind, nah Maßgabe des heutigen Rechts behandelt werden, und diejenigen Verträge, die nach dem 1. April 1896 ge- \chlofen werden, nah dem neuen Geseß.

Anders liegt vielleiht die Sache bei der Strafe; da kann man Milde obwalten lassen und fann sagen: Föhere Strafen sollen nah dem 1. April, au wegen solcher Uebertretungen, welche nah dem jeigen Gesetz geschehen sind, entweder gar nit eintreten oder fie sollen mit den milderen Strafen dieses Gesetzes versehen werden: das soll au Anwendung finden auf Uebertretungen vor Inkrafttreten dieses Ge-

seßes. Aber die ganze Frage der Stempelpflichtigkeit der Urkunden

selbst lediglich nah dew zukünftigen Geseß behandeln zu wollen, das ist nah meiner Meinung gegen alle Grundsäge, die in Bezug auf die Anwendbarkeit der Geseße in Preußen bisher üblich waren.

Ich würde daher bitten, es einfah bei der Regierungsvorlage zu belassen und in Bezug auf die Milderung der Strafe naher bei der dritten Lesung dasjenige aufzunehmen, was die Herren für wünschens- werth halten.

Das Haus beschloß, den Paragraphen in der Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Vielleicht hat das hohe Haus die Geneigtheit, der Anheimgabe zu entsprechen, hier das Datum des Inkrafttretens des Gesetzes einzu- stellen. Es heißt hier: Dieses Geseß tritt mit dem... in Kraft; bei § 34 lautet es ebenso. Jch bitte zu segen: Dieses Geseß tritt mit dem 1. Avril 1896 in Kraft. Wir sind nit im stande bis zum 1. Oktober d. J. das Gesetz in Kr en zu lassen, da wegen der Schwierigkeit der Ausführung eine große Anzabl vo Refsort- und Provinzialhehörden gehört werden müssen. Ich halte es auch nit für zweckmäßig, den Zeitpunkt zu kurz zu greifen, weil das Publikum, die Stempelfiskale, die Notare und Gerichte si erst mit dem Gese vollständig vertraut machen müssen. Da nun ohnehin die Sommerferien dazwischen kommen, halte ich es für rihtig, das In- frafttreten des Gefezes auf den 1. April 1896 festzuseßen.

Demgemäß wurde beschlossen, in die Uebergangsbestim- mungen den 1. April 1896 als Datum des Jnkrafttretens des Gesetzes einzustellen.

Damit war die zweite Berathung des Geseßentwurfs erledigt.

L In dritter Berathung genehmigte das Haus den Gesezentwurf, betreffend das Grundbuhwesen und die Zwangsvollstreckung in das unbeweglihe Ver- mögen in dem Gebiete der vormals freien Stadt Frankfurt sowie den vormals Großherzoglih hessishen und Landgräflich hessischen Gebietstheilen der Provinz Hessen--Nassau __ Abg. von Tepver-Laski (fr. kons.) erklärte, mit Rücksicht auf die vom Justiz-Minister in der Kommission- abgegebenen befriedigen- en Grflärungen über die Berücksichtigung der alten Grundbuhkarten als Grundlage für die neuen Grundbücher, seinen dies bezüglichen An- trag zurückzuziehen. E Be Präsident von Köller beraumte die nächste Sißzung auf Dienstag 11 Uhr an und {lug vor, als einzigen Gegenstand die erste Berathung des Geseßentwurfs über Begründung einer Zentralanstalt zur Förderung des genossen- schaftlihen Personalkredits auf die Tagesordnung zu jeßen.

Abg. Sattler (nl.) beantragte, unter Berufung auf § 3: Geschäftêordnung, auf die Tagesordnung der morgigen Sizung „Interpellation Mellage* zu seßen. 4 :

Aba. Graf Limburg-Stirum (kons.) wies darauf hin, daß nah § 33 der Geschäftêordnung zwar verlangt werden könne, daß die Interpellation auf die morgige Tagesordnung geseßt werde, nit aber, daß sie den ersten Gegenstand derselben bilde. Er beantrage deébalb, sie als zweiten Gegenstand in Aussicht zu nehmen. 2

Abg. Bachem (Zentr.): Meiner Ansicht nah hat Herr Sattler nah § 33 zwar das Recht, zu verlangen, daß die Interpellation auf die Tagesordnung gesetzt wird, nit aber, daß über sie auch verhandelt wird. Jch stimme jedoh dem Wunsche des Herrn Sattler zu; meine Partei steht auf dem Standpunkte, daß die Interpellation recht bald zur Verhandlung kommen möge, um den vielen Verdrehungen und Irreleitungen der öffentlihen Meinung endlih einmal das Waffer abzugraben.

Präsident von Köller: Ich habe die Interpellation für morgen nicht auf die Tagesordnung geseßt, weil wir doch endlih einmal an den Schluß der Session denken, müssen. Es find uns von seiten der Regierung noh zwei Vorlagen zugegangen. Die Vorlage über die Kreditanstalt wird zweifelsohne in eine Kommission verwiesen werden. Wenn wir die erste Berathung ers in nächster Woche vor- nehmen, so wird die Session um eine Woche verlängert. Wir fönnen morgen aber, nöthigenfalls mit Hilfe einer Abendsitzung, die erste Berathung zu Ende führen. Es kann vielleiht auch morgen Abend noch, wenn eine besondere Kommission vorgeschlagen wird, diese sih konstituieren, sodaß wir in der nähsten Woche in die zweite Berathung eintreten können. Dann werden wir noch reihlich Ge- legenheit haben, den Gegenstand, der Herrn Sattler interessiert, zu besprechen.

Abg. Sattler: Während der nächsten Tage wird die Kom- mission doch nicht arbeiten. Die erste Berathung könnte am näthsten Montag auch im Laufe eines Tages erledigt werden. Ich lege Ge- wicht darauf, daß die Besprehung der Interpellation nit verzögert wird; man würde das im Lande nicht verstehen.

Präsident von Köller: Ich nehme allerdings an, daß die Herren, die in die Kommission gewählt werden, auch in dieser Woche ihren Arbeiten obliegen werden.

Abg. Freiherr von Heereman: Ich bitte, die Tagesordnung nah dem Vorschlage des Herrn Präsidenten festzuseßen und die Inter- pellation nah den Kieler Festlihkeiten zu erledigen. Ich habe nichts gegen die Verhandlung der Interpellation; im Gegentheil, sie wird vieles flarstellen. Gefahr liegt jedoch_ im Verzuge nicht.

Abg. Graf von Limburg-Stirum: Es is mir sehr zweifelhaft, ob die Staatsregierung morgen in der Lage sein wird, die Interpellation zu beantworten. Es gehört dazu do eine genaue Kenntniß des gerihtlihen Erkenntnisses. Dieses ift, soviel ih weiß,

noch nit publiziert. Es s{heint also noch nicht fertig zu sein. Dann ist die Sache aber noh niht so weit gediehen, da ans darüber ordentlich und fahlich disfkutieren kann. j

Abg. Sattler: Das Erkenntniß if publiziert, aber nit die Begründung. Allerdings is die Sache für morgen abgethan, wenn die Staatsregierung erflärt, daß fie die Interpellation noch nicht be- antworten föônne; aber das ist doch nicht sicher. Jch persönlich erhebe darum gegen die vom Herrn Präsidenten vorgeschlagene Tageëordnung Widerspruch. f

__ Es wurde abgestimmt, und die Mehrheit entschied sich

für den Vorschlag des Präsidenten. Ein kleiner Theil des Zentrums stimmte gegen, ein Theil der Linken für diesen Me :

Schluß 41/2 Uhr. Nächste Sitzung: Dienstag 11 Uhr (Geseg über Errichtung einer Kreditanstalt). N i

Statistik und Volkswirthschaft.

IX. Deutscher Berufsgenossenschaftstag.

__ Am Freitag, den 14. d. M. fanden zu Danzig im großen Saale des Landeshauses der Provinz Westpreußen die Verbandlungen. des IX. Deutschen Berufsgenossenschaftétages statt. Denselben wohnten bei : als Vertreter des Neichsamts des Innern der Geheime Ober- Regierungs - Rath Caëpar, als Vertreter der Previnzialbehörden der Ober - Präsident, Staats - Minister Dr. von Goßler, der Landes - Direktor Jaekel und der Landes-Rath Hinze, als Vertreter der Militär - Verwaltung General - Lieutenant von Treskow und Admiralitäts - Rath Zeifing, als Vertreter der Stadt Danzig Ober-Bürgermeister Dr. Baumbach und Bürger- meister Trampe. Von dem Präsidenten des Reihs-Versiherungëamts Dr. Böôdiker lag ein Begrüßungsschreiben vor. Der Borsitende, Neichstags-Abgeordnete Rösicke-Berlin eröffnete nah dem Bericht der eNat.-Ztg.“ die Verhandlungen mit einer längeren Begrüßungsansprache, n deren Verlauf er \ih eingehend über die Erfolge der Berufs- iofsenshaften verbreitete und darauf hinwies, daß die Genofsen- jaften diese Erfolge niht zum wenigsten der sozialpolitishen Geseßtz- bung der leßten Jahre zu verdanken hätten, vor -allem aber den r e Kaiserlihen Erlasse gegebenen Anregungen, Der Ober- ent, Staats - Minister Dr. von Goßler begrüßte den Berufs- ssenschaftstag im Namen der Provinz Westpreußen. Sodann ete Abg. Rösicke den Geschäftsberiht. Dana gehören zur 46 Berufsgenofsenshaften gegen 44 im Vorjahre dem Ver- e der deutschen Berufsgenofsenschaften an. Die Zahl der außer- entlihen Mitglieder beläuft fh gegenwärtig auf 120. Zur Zeit 18 Millionen Arbeiter gegen Unfälle versichert und bereits tillionen Mark an Entschädigungen gezahlt worden; dazu kommen 20 Millionen Mark an Verwaltungskosten, sodaß in einem Jahr- zent 65 Millionen Mark verwendet worden sind. -

__ Dann folgten die einzelnen Vorträge. Zu dem Thema: „Erste Hilfe bei Unfällen und Uebernahme des Heilverfahrens durch die Be- rufêgenossenschaften in Gemäßheit der S8 76b und c des Kranken- versicherungsgeseßes“ s\prach zunächst Direktor Mar Schlesinger- Berlin. Der Redner verbreitete sh hauptsächlih über das Heilverfahren iîn den ersten dreizehn Wochen und über die Berliner Unfallstationen und führte u. a. aus: Die obligato- rische Unfallverfiherung habe unzweifelhaft eine bessere Heilung der Verleßten und folgeweise die möglichste Verminderung des Grades ibrer Erwerbsunfähigkeit zur: Folge gehabt. Tausende von Erwerbsunfähigen würden wieder zu arbeitenden nüßlihen Gliedern der Gesellschast, und an die Stelle der Last, Krüppel zu erhalten, trete die produzierende Arbeit der Genefenen. Die drei Millionen Mark, welche die Berufsgenofsenshaften für diesen Zweck jährlich etwa anwendeten, seien eine böhst nüßliche pro- duftivbe Ausgabe. Aus dem Resultat einer Nückfrage, die er, Referent, an alle gewerblihen Berufêgenofienschaften gerihtet habe, fönne er mittheilen, daß ein Theil der Berufsgenossenschaften die Bedeutung der durch die Krankenversicherungs - Novelle verliehenen Rechte und Vortheile voll und ganz zu würdigen gewußt, ein an- derer Theil der Berufsgenossenshaften aber sich bezüglih der etwa zu erzielenden Erfolge ziemlich \keptisch verhalten habe. Das fürzlih erlaffene Rundschreiben des Reichs-Versicherungsamts berichte, daß 38 gewerblihe Berufsgenossenshaften {hon während des Jahres 1893 von dem Rechte der Krankenkassennovelle Gebrau gemadt und damit die besten Erfolge erreiht haben. Nah diesem Bericht erzielten insbesondere auch die Knappschafts-Berufsgenossenschaft durch Errichtung eigener Krankenhäuser, ferner die Nord- östlihe Eisen- und Stahl- und die Steinbruhs-Berufsgenossen- saft durch rationelles Eingreifen während der ersten 13 Wochen überraschende Wirkungen. In diefem Rundschreiben werde auch auf die Berliner Sektion der Brauerei- und Mälzerei-Berufsgenofsenshaft ingewiesen und bemerkt, daß deren Erfolge durch ein planvolles ufammenwirken der Vertrauensärzte mit den im Jahre 1894 in rlin errihteten Unfallstationen sich überaus günstig gestellt en. Es sei bekannt, daß die Zahl der Unfallmeldungen sich Jahr zu Jahr gesteigert habe, und daß auch die Zahl der ents digung8pflihtig gewordenen Unfälle fortshreitend eine größere orden fei. Es werde eben jeßt jeder, auch der kleinste Unfall, teldet und auch für eine minimale Invalidität eine Rente gefordert. agegen habe si die Zabl der fogenannten schweren Unfälle ver- indert; man verdanke dieses erfreulide Ergebniß der allerseits eübten Fürsorge für Unfallverhütung. Damit würden die geäußerten edenken, daß die sozialpolitishen Versicherungêgeseße die Unfälle ver- ehrten, den Unfall gewissermaßen züchteten, s{chlagend wider- gt. Der Korreferent, Zimmermeister Herzog - Danzig ver- breitete si in seinen furzen Ausführungen hauptsählich über den Samariterdienst bei Unfällen und empfahl die Ausbildung von Arbeitnehmern zu diesem wohlthätigen Zweck. Jn der Dis- kussion sprach zunächst Ober - Präsident von Goßler. Der- selbe befürwortete lebhaft die weitere Ausdehnung des Unfall- stationswesens und die Anlernung von Arbeitern zum Samariter- dienst. Auch empfabl er das Zusammengehen mit dem „Verein zur Pflege im Felde verwundeter Krieger“. In ähnlihem Sinne sprachen fich Professor Markull-Königsberg, Direktor Langes- Berlin und Baurath Heldenberger-München aus. Auf Antrag des Fabrifbesigers Dr. Lahmann-Berlin beschloß hierauf die Versammlung den Vorstand zu beauftragen, dem Unfallstationswesen und dem Samariterdienst feine erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden, und beauf- tragte den Ausschuß, sih wegen Gründung von Samariter-Einrich- tungen mit dem Vaterländishen Frauen-Verein“ und ähnlichen Kor- porationen in Verbindung zu setzen.

Es folgte nunmehr der Bericht der Kommission über die statt- gehabte Prüfung des Geseßentwurfs, betreffend die Abänderung der Unfallversicherungégeseße. Fabrikbesißer Dr. Lachmann - Berlin als Referent ging zunächst auf die Entstehung der Kommission ein, deren Bildung auf dem vorjährigen Berufsgenosjen- schaftstag in Dresden beshlofsen wurde. An den Kommissions- berathungen betheiligten sich Vertreter der Berufsgenofsenschaften der hemischen Industrie, der norddeutshen Edel- und Unedel- metallindustrie, der norddeutshen Holzberufsgenofsenshaft, der ostdeutshen Binnenschiffahrts - Berufsgenossenshaft , der rheinish- westfälishen Baugewerks - Berufsgenossenschaft, der rheinisch- westfälishen Tertil - Berufégenossenschaft, der sächsischen Textil- Berufsgenossenschaft, der See - Berufsgenossenshaft, der Spedi- tions-, Speicherei- und Kellerei-Berufsgenossenshaft, der Tiefbau- Berufsgenossenshaft und der Zucker - Berufsgenossenshaft. Der Referent unterbreitete dem Verbandstag im Auftrage der Kom- mission eine Reihe von Abänderungsanträgen zu der Unfallversiche- rungénovelle, unter denen nahstehende die wichtigsten sind: 1) Zum S 2 des Geseßes: „Durch Statut kann bestimmt werden, inwieweit die Entschädigungspfliht auf Unfälle ausgedehnt wird, welche versicherungspflihtige Arbeiter bei einer Thätigkeit erleiden, zu der die Arbeitgeber Veranlassung gegeben haben. ©

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