1914 / 103 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 02 May 1914 18:00:01 GMT) scan diff

In dieser Beziehung if mit besonderen Anträgen —- ich will hier gleich darauf eingehen, um dann bei der Behandlung der Anträge niht mebr zu spreben zunächst ein Lehrstuhl für osteuropäishe Ge- {ite in Breslau gewünsht. Wir haben einen folhen in Berlin; er ift auf Ihren Wunsch in Berlin eingerichtet, meine Herren. Ob nun das Bedürfnis besteht, an ciner anderen Stelle wieder ‘einen \olchen Lehrstubhl zu errichten, ist mir doch recht zweifelhaft. Jch meine, es genügt, wenn wir einen folchen Lehrstuhl an einer Universität haben. An sich ist die Materie gewiß von Bedeutung und von Wichtigkeit gerade für unsere Verhältnisse. Haben wir fie aber an einer Uni- versität, dann müssen eben diejenigen Studenten, die si für diese Materie interessieren, die betreffende Universität besuhen. Wir können überhaupt niht alle Einzelheiten auf allen Universitäten haben; wir können nur die Universitäten in gewissen Dingen minderrwoichtiger Art gewissermaßen zu Spezialuniversitäten machen; die eine spezielle Materie wird auf dieser, die andere auf jener Universität besonders gefördert, und danach müffen dann die Studenten die Auswahl unter den Universitäten treffen.

Sodann wird ein Lehrstuhl für Tropenpathologie gewünscht. Vielleicht gehört das in den Kreis der Erwägungen, die zu dem An- trage der Errichtung einer Auslandsho{s{chule geführt haben, oder der Berücksichtigung der ausländishen Interessen bei den Universitäten, der Grrichtung eines Auslandinstituts an der Berliner Universität, wie es von den Herren Konservativen beantragt worden ist. Jn diesen Kreis würde auch die Tropenpathologie fallen, so daß es viel- leicht doch nicht notwendig ist, nun außerhalb des Kreises dieser Er- wägungen noch einen besonderen Stuhl für Tropenpathologie einzurichten.

Weiter wird ein Ordinariat für prähistorishe Forshung ge- wünscht. Auch da ist mir zweifelhaft, ob man diese Forschung, noch ¡weiter als es {hon geschieht, fördern soll.

Herr Abgeordneter Faßbender ist in seinen Ausführungen ein- gehend auf die Begründung eines Lehrstuhles für Charitas zu sprechen gekommen. Eine folhe Anregung ist bisher noch nicht an mich gelangt, auch nicht von den Universitäten aus, und ih habe auch aus den Aus- führungen des Herrn Faßbender den Eindruck gewonnen, daß das, was er unter Charitas zusammenfaßte, auch in den bestehenden Einrichtun- gen unserer Universitäten {hon unterrichtet und gelehrt werden könnte. (Fr exemplifizierte felbst auf, wenn ih nicht irre, verschiedene evan- gelish-theologische Fakultäten, wo das Gebiet der Charitas {on in den Unterricht einbezogen wird. Aber ich bin durchaus bereit, diese An- gelegenheit einmal näher zu prüfen, wie auch übrigens die anderen An- träge, und zu sehen, ob es in der Tat angezeigt ift und ein Bedürfnis dafür vorliegt, neue Einrichtungen auf diesem Gebiete an den Univer- siläten zu schaffen.

Von demselben Herrn Abgeordneten ist angeregt worden, an den Universitäten, an denen sich eine katholish-theologishe Fakultät nicht befindet, einem katholishen Theologen in der philo- sophishen Fakultät einen Lehrauftrag für Orien- tierung der Studenten aller Fakultäten in der Religion zu geben. (Sr hat dabei auf eine Einrichtung Bezug genommen, die wir in Münster geschaffen hatten, und die auch noch dort besteht, die aber mit der be- vorstehenden Einrichtung einer evangelish-theologishen Fakultät an dieser Universität wegfallen wird. Es war dies im Interesse der evangelischen Lehramtskandidaten geschehen, um diesen zu ermöglichen, Vorlesungen in der Religion zu hören. Dies ist das Beispiel, das der Herr Abgeordnete angeführt hatte, um daran die Forderung zu knüpfen, daß nun auch für Katholiken, namentlih doch wohl auch für Fatholishe Yehramtsfandidaten, eine derartige Einrichtung an den Universitäten ohne katholish-theologishe Fakultät geschaffen werden möchte. Jch bin bereit, der Frage näher zu treten und einmal einen Versuch zu machen, ob si das bewährt. Jch habe ja gewisse Bedenken dagegen auch hon in der-Kommission geäußert, ob es zweckmäßig wäre, ohne Anschluß an eine Fakultät einen Gelehrten mit einem derartigen Auftrag zu betrauen. Indessen, wie gesagt, ih bin bereit, die Sache näher zu prüfen und eventuell einen Versuh zu machen. Es muß nur auch gelingen, eine geeignete Persönlichkeit dafür zu finden.

Der Herr Abgeordnete von der Osten ist, wie in der Kommission so auch in diesem hohen Hause, auf Wün # che eingegangen, die ihm von einem oder mehreren Nek toren vorgetragen worden sind. Jch habe {hon in der Kommission ecklärt, daß mir von diesen Wünschen nichts bekannt sei, daß sie an mich bisher nicht gelangt seien, daß ih aber bereit sei, in eine Prüfung dieser Wünsche einzutreten. Diese Be- reitwilligkeit habe ih ausgesprochen, weil ich annahm, daß diese Wünsche nun auch an mich gelangen würden. Das ist aber heute noch nicht geschehen. Jh muß doch sagen, daß das doch wohl auch nah Ansicht des Herrn Abgeordneten von der Osten nicht der rihtige Weg ist, daß, wenn ein Rektor oder mehrere Rektoren derartige Wünsche haben, sie sich da niht an ihren Minister wenden und ihm ihre Wünsche vortragen, sondern daß sie thn gänzlih übergehen. Jch weiß übrigens gar niht einmal, vb sie sih an das Abgeordnetenhaus oder nux an einen einzelnen Abgeordneten gewendet haben, ob von einem odex mehreren Rektoren, oder ob überhaupt von einem Rektor oder einem Professor, der früher einmal Rektor gewesen ist, diese Wünsche vorgetragen werden. Das alles kann mih do einigermaßen über- raschen, wie mir die Herren zugeben werden, und ih kann doch sagen, daß, wenn die Rektoren der Universitäten cine Aenderung ihrer Stel- lung nah der einen oder anderen Nichtung wünschen, es dann das Richtige wäre, wenn sie sih an das Ministerium wenden, und dort ihre Wünsche vortragen; sie wären sicherlih dort geprüft worden. Kommen sie dabei nicht zu ihrem Necht, bliebe es ihnen felbstverständ- lih unbenommen, sich an das hohe Haus zu wenden. Das wäre doch wohl das rihtige Verfahren. Wenn also die Wünsche niht noch direkt an mich gelangen, dann werden Sie es mir nicht übel nehmen, wenn ih der: Angelegenheit einen weiteren Fortgang nicht geben kann.

Nun hat in der lebten Zeit in der Oeffentlichkeit und in der Presse, in der Kommission sowobl wie in diesem hohen Hause die Frage der Verleihung der Doktorwürde an die Stu- dtierenden der Zahnheilkunde zu Ausführungen Anlaß gegeben. Jch habe schon in der Kommission erklärt, daß ih mit dieser Frage beschäftigt sei, daß sie aber keine8wegs so einfa läge, wie das von den Studierenden der Zahnheilkunde angenommen wird, Sie hahen ja den allerverkehrtesten Weg beschritten, um Sympathie für ihre Wünsche zu erregen, indem sie sih hier in Berlin und anderen Orten zu einem Streik ents{blossen. Das ist ihnen mit aller Deut- lifeit zum Ausdruck gebracht worden, und i glaube, daß sie heute seléer diesen verfehlten Schritt bereuen. Es ift ihnen selbstverftänd-

li auf Grund dieses Streiks au nicht die geringste Zusag? ge- macht worden. (Bravo!) Jh habe ihnen nur sagen lassen, ih wollte Gnade für Recht insofern walten lassen, als ih mih dur ihr Ver- halten in der Behandlung dieser Angelegenheit nicht zu ihrem Nach- teil beeinfsussen lassen wolle.

Tie Frage ift, wie ih sagte, keineswegs so einfa, und sie kann au: wohl nur im Einverständnis mit den übrigen Bundesstaaten, die Universitäten besißen, geregelt werden, wie wir denn, was Sie gewiß billigen werden, in solchen Fragen möglichst immer einheitlih mit den übrigen deutschen Universitäten vorgehen. Ich bin auch nicht in der Lage, Ihnen heute über diese Angelegenheit eine bestimmte (r- klärung abzugeben. Jcch kann nur wiederholt auf die Schwierig- keiten und darauf hinweisen, daß mit dieser Frage die Ordnung dec medizinischen Doktoerwürde, die ja von der Doktocrwürde in den übrigen Fakultäten wesentlih verschieden ist, zusammenhängt. Es vird fich fragen, ob nicht überhaupt in den Kreis der Erörterungen der medizinisbe Doktor zu ziehen sein wird, und ob nicht auf diese Weise auch den Studenten der Zahnhbeilkunde ihr Recht verschafft rverden kann. Diese werden sich jedenfalls noch einigermaßen gedulden müssen; denn die Angelegenheit bedarf reiflicer Prüfung, ehe sie zum Abschluß gebracht werden kan.

Anders muß ih mi zu den Wünschen stellen, die hier wieder mit \cviel Warmherzigkeit für die Tierärzte vorgetragen worden sind, die als JImature in Vern dereinst den Doktorgrad erworben und nun den Wunsch haben, daß diefer Doktorgrad auch hier in Preußen anerkannt wird. Meine Herren, ‘es war eine Konzession von nicht geringer Bedeutung, als man den tierärztlihen Hochschulen das Pro- motionsrecht einräumte. Es war das ein langjähriges Streben dieser Kreise, und sie konnten, glaube ich, sehr zufrieden sein, als sie das erreiht hatten. Bei den Verhandlungen darüber ist aber von allen Seiten als Bedingung unbestritten anerkannt worden, daß die Vor- auéfeßung für die Erwirkung des. Doktortitels an den tierärztlichen Hoctschulen das Maturitätsexamen sei. Das bing wieder damit zu- sammen und entsprach gerade einer Forderung der tierärztlihen Kreise, daß sie verlangten, nur der sollte approbiertev Tierarzt werden können, der das Maturitätseramen gemacht habe.

Nun wird behauptet, es handle sih doch hier um eine absterbende Kategorie, es seien doch vielleiht nur 200 oder 300, die hier in Ve- tracht kämen, und es sei ihnen zugesagt oder weniastens in Ausficht ge- stellt worden, daß diesen ihren Wünschen entsprochen werden würde. Meine Herren, das ist nicht zutreffend. Vom Ministerium aus ist niemals eine Zusage nah dieser Nichtung hin gemacht worden. Es bandelt si ledialich um die Anfrage eines Studenten der Tierarznei- kunde, der sich an den damaligen Referenten, der jeßt niht mehr im Ministerium ist, mit der Frage gewandt hatte, ob er ihm rate, den Dr. med. vet. in Bern zu machen, oder ob dieser Grad wohl auh mal bei uns eingeführt werden würde. Da ist ihm der Rat gegeben worden, er solle das nur tun, es wäre auch nicht ausge- \{lofsen, daß der Dr. med. vet. auch einmal bei uns eingeführt würde, unter welchen Vorausseßungen und unter welchen Bedingungen, davon ist damals keine Node gewesen. Und selbs wenn man diesen Brief eines Dezernenten als Zusage des Ministeriums ansehen wollte, so müßte man doch sagen, daß nah dem Inhalt dieses Briefes eine Zusage, wie fie jeßt beantragt wird, niemals gemacht worden ist.

Aber, meine Herren, das doch nur nebenbei; das ist natürlich nicht aus\{chlaggebend. Das Aussclaggebende ist die grundsäßliche Stellung und die Schwierigkeit, in die die Unterrihtsverwaltung geraten würde, wenn sie dem Wunsche entsprähe. Der Herr Landwirtschaftsminister steht auf diesem Gebiete anders wie ih; er hat es eben nur mit diesen Tierärzten zu tun. Wenn ih mich aber dazu bereitfinden ließe, den Berner Doktortitel, der, ohne daß das Matukitätsexamen vor- ausgegangen wäre, gemacht worden ist, in Preußen anzuerkennen, fo würde ih ein Unrecht tun gegen zahlreihe Zahnärzte, Apotheker, Ghemiker, Volkéschullehrer, Journalisten und Kaufleute, wenn ih nicht auch ihnen, die als Immatur den philosophischen Doktor ge- macht haben, die Anerkennug der Doktorwoürde in Preußen aus\prechen würde. Das ist die Scä&wierigkeit, in der ih mich befinde, und das sind die Konsequenzen, vor denen ih zurüdschrecke, und es bestimmt mich der Wuns, der von Jhnen allen, meine Herren, gewiß geteilt wird, unsere Doktorwürde bodgzuhalten (Sehr richtig!) und die Doktor-

promotion nit zu erleibtern, sondern fie zu ershweren, damit der

Doktortitel das bleibt; was er früher war. Denn, meine Herren, die Klage, daß zu dem Doktormachen gewissermaßen Doktorfabriken be- gründet wären, haben wir doch vor fturzem in der Oeffentlichkeit ge- hört, und ih glaube, es ist’ eine Aufgabe der Unterrichtsverwaltung, das lhrige dazu zu tun, daß bei der Verleihung der Doktorwürde nah festen Grundsäßen und nicht nach* schwankenden Maßgaben verfahren wird.

Ich bedaure das für die davon betroffenen Herren. Ein Unrecht

geschieht ihnen niht, meine Herren, sie mußten darauf vorbereitet fein,

aus ihren eigenen Kreisen ift die Forderung des abgelegten Maturi- tätseramens hervorgegangen.

Dann if von der Notwendigkeit der Fortenwicklung unserer Universitäten die Rede gewesen. Nun, ih glaube, daß wir in dieser Fortenwicklung begriffen sind, sie vollzieht sich nicht durch starke Eingriffe, sondern durch eine allmähliche Weiterentwick- lung, und das ist, glaube ic, auch das richtige. Jch bin au der An- sicht, daß unsere Universitäten sich den modernen Anforderungen und Ansprüchen, die die fortschreitende Entwicklung unseres Lebens an sie stellt, nicht entziehen dürfen (Sehr rihtig!), sonst würden sie der Ver- steinerung anheimfallen. (Sehr richtig!) Dabei können sie die alten Traditionen und die guten Einrichtungen, die sih bewährt haben, durchaus beibehalten, auf sie die erforderlihen neuen Einrichtungen aufpflanzen, sie in Einklang mit den alten bringen und dann den Be- dürfnissen unserer heutigen Zeit gerecht werden. (Sehr richtig!) Das geschieht jeßt bezüglih der Einrichtung von Seminaren. Wir haben auf diesem Gebiete unzweifelhaft das wird jeder, der unsere Universitätsverhältnisse kennt, zugeben entschiedene Fortschritte gemacht. Es hat sich in der Tat der Lehrbetrieb auf unseren Univer- sitäten geändert. Während es früher lediglih das Kolleg war, steht jeßt neben dem Kolleg mit gleiher Berechtigung das Seminar. (Sehr rihtig!) Das wollen wir weiter ausbauen. Wir haben au bauliche Ginrihtungen in weitem Maße nah dieser Richtung hin getroffen.

Jch weiß sehr wohl, daß auf diesem Gebiete noch vieles zu wünschen bleibt und daß an manchen Stellen so gar noch recht unerfreulice Zuftände in dieser Beziehung bestehen. Wir werden uns bemühen, das allmählich zu ändern; auf einmal ist -das einfa unmögli. Die

Zahl der Studenten ist so enorm gewadsen auf unseren Universitäten; und wenn Sie das Bedürfnis nach intensiverem Lehrbetrieb daneben nehmen, wird es Jhnen begreiflih ersheinen, daß da noh nicht überall alles vorhanden ist, was bei einem geordneten Betrieb vorhanden sein fol. Wir werden uns bemühen, auf dem Gebiet fortzuschreiten, und ih weiß mich dabei der Zustimmung des Herrn Finanzministers zu meiner Freude sicher, er ist bereit, in entsprehenden Grenzen unter Berücksichtigung der verfügbaren Mittel hier helfend mir zur Seite zu stehen, und wenn Sie alle, meine Herren, in Ihren Ausführungen warme Worte für den hohen Wert der Universitäten gefunden haben und Ihre Bereitwilligkeit immer wieder zum Ausdru bringen, die Mittel zu bewilligex, um die Universitäten weiter auszubauen, sie fortzueniwidckeln, dann hoffe ich, daß es dabei bleiben wird, daß die preußischen Universitäten ein Stolz der preußishen Staatsverwaltung sind. (Lebhaftes Bravo!)

_ Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Wir denken nicht daran, künst: lih ein gelehrtes Proletariat zu schaffen und eine Ünmasse von Ge- lehrten in die Welt zu seßen, für die keine Verwendung im sozialen Wrganismus i}. Wir wünschen aber, daß die Akademiker nit aus-

{chließlih aus den besißenden Kreisen kommen, sondern daß cine Aus- wahl der Tüchtigsten und Geeignetsten aus allen Volkskreisen statt- findet. Die politische Freiheit wird auf den Universitäten nicht in ber notwendigen Weise gewahrt. Studenten, die sich allzusehr liberal betatigen, müssen sich gefallen lassen, daß ihnen von der Aufsichts- behörde, vom Senat und Universitätsrichter Schwierigkeiten bereitet werden. Jn Königsberg ist einem Sozialdemokraten untersagt wor= den, in der freien Studentenschaft einen Vortrag über die freien Ge- werkschaften zu halten. Dieser Vorgang ist nur ein Glied in der Kette des Vorgehens gegen die freie Studentenschaft. Wenn sih die Studen- ten aber gegen die Sozialdemokratie betätigen, dann legt man ibnen keine Schwierigkeiten in den Weg. Als die Studenten wegen des Titels „Dr. med. dent.“ sih des Mittels des Streiks bedienten, haben wir keinerlei Entrüstung darüber gehört. Die \tudentischen O rgani- Jationen, namentlih die Korps, find in erster Linie das Aushebungs- gebiet für unsere höchsten Staatsstellen, Besonders die Bonner Borussen werden zu den höchsten Stellen der Diplomatie und des Staates bevorzugt. Das Frauenstudium an unseren preußisben Uni- versitäten hat 1n leßter Zeit stark zugenommen. Die Zahl der Frauen an den preußischen Universitäten war 1913 gegenüber 1912 auf 3436 gégen 29958 gesticgen. Obwohl das Frauenstudium für das Proletariat noch nicht in Frage kommt, seßen wir uns doch dafür ein, daß die rauen in immer größerem Umfang zum akademischen Studium zu- gelassen werden. Die Einschränkung der Zulassung von Ausländern an unteren deutschen Universitäten richtet sich einzia und allein aegen die russischen Studenten. An der Berliner Universität ist im leßten Wintersemester kein einziger russischer Student aufgenommen wor- en, auch in Königsberg und Breslau nicht. Die Zahl der auslän

chen Studierenden war keine so außerordentlich hohe, daß eine Ein-

ränkung der Zulassung von Ausländern notwendig war. Wir haben

hier nicht mit einem Vorgehen im Interesse der deutschen Studentenschaft zu tun, fondern mit einem reaktionären Akte. So ist von dem russishen Generalkonsul von Hamm an die Berliner Un1- versität ein Schreiben gerichtet worden, worin für den Fall, daß sich ein Student für die Universität melden sollte, also {hon vorher, mit- geteilt wurde, daß der Betreffende in Nußland a!s Gymnasiast wegen des Verdachts revolutionärer Umtriebe relegiert worden sei. Und die Berliner Universität hat nicht etwa den Wisch ohne Beachtung zurückgescickt, sondern sie scheint an folhe Dinge schon gewöhnt zu sein. Die Ausweisung von Lunatscharsky i} anscheinend auch auf eine Venunziatioa von seiten der echt russischen Studentenschaft zurü- zusühren, in welcher der Sohn des russishen Generalkonsuls von Damm eine Nolle spielt, der in der „Deutschen Tageszeitung“ einen \chamlofen Artikel über diese Sache geschrieben hat. Die Wissen- schaft kann nicht ganz vorausseßungslos sein, die reinen Geisteswissen- schaften sind an gewisse Vorausseßungen gebunden, und auch die Selbstverwaltung der Universitäten würde kein Heilmittel dagegen sein. Die Sozialdemokratie ist der einzige Hort der Freiheit. Die Frage der Nechte der Privatdozenten ist noch wichtiger als die der Jehte der außerordentlihen Professoren, {on deshalb, weil die Privatdozenten ohne jede staatlihe Unterstüßung dastehen. Die Un- abhängigkeit bder Universitätswissenschaft verlangt, daß die Vrivat- dozenten sichergestellt werden, aber diese Sicherstellung darf nicht mit einer Abhängigkeit der Privatdozenten erkauft werden. Der Aus- {luß der Privatdozenten von manchen Universitätsanstalten ist eine Rechtlosigkeit, die mit der Lehrfreiheit niht vereinbar ist. Der Lebt stuhl von Erich Schmidt ist noch immer nit endgültig beseßt, es wird fortgewurstelt mit der provisorishen Beseßung dur Professor Rothe. Einen Teil der Vorlesungen von Erih Schmidt haben junge Dozenten übernommen. Professor Nöthe hat troß allem Aus- sicht, Nachfolger von Erich Schmidt zu werden. Und doch ist er nicht dur seine wissenschaftlichen Qualifikationen dazu geeignet, sondern dur ganz andere Dinge; er ist ein srammes Mitglied der Leibgarde der Oohenzollern an der Berliner Universität. Er hat bei dem RNeichskommers des Vereins der deutschen Studenten im Januar eine Nede gehalten, von der man glauben könnte, sie sei niht von einem voraus]eßungslosen Lehrer der Wissenschaft, sondern von Herrn von YWldenbuxg-Januschau gehalten. Bekannt ift auch die Stollung von Professor Röthe zum Frauenstudium, er hat zwar jeßt die Frauen zu setner Borlesung zulassen müssen, aber er hat sih nit enthalten, jein lebhaftes Bedauern darüber auszusprechen und den Frauen z1 jagen, daß sie bei gewissen Stellen seiner Vorlesung, wenn er es thnen \age, fortbleiben möchten. Das ist natürlich ein bewußter Hohn des Nachfolgers cines Mannes wie Erich Schmidt. Herr von der Osten hat gegen den Kathedersozialismus gesprochen, die Konservativen treiben eine Haß gegen diesen. Als Nachfolger des Professors Wagner tommt ein reihändler in Betracht, während Wagner entschiedener Schußzöllner ist, Also agrarische Nübßlichkeitsinteressen bestimmen die fkfonservative Haß ih meine natürlih diejenige in der Presse gegen den Kathedersozialiómus. Männer wie Ehrenberg und Bernhard passen den Agrariern natürlich, sie wollen Vertrete1 thres Znteressenstandpunktes auf den Lehrstühlen haben. Wir haben erst kürzlich hier von Vertretern der Rechten sprechen hören von der Freiheit der Wissenschaft und von voraussebungsloser wissenschaft- licher Forsung. Wenn man dann wieder solche Einseitigkeiten bört, so muß man ja gewisse Gefühle des Unwohlseins zurückdrängen. Wertreter der Marxistishen Anschauung werden nicht einmal als Dozenten zugelassen. Jch brauche nur das Wort lex Arons auézu- sprechen, um zu zeigen, was an den Redensarten von vorausseßzungs- loser Wissenschaft wirklich dran ist. Besonders charakteristisch ist es, wie in der leßten Zeit selbst gegen Männer wie Adolf Wagner, Pro- fessor Delbrück und andere hervorragende Nationalökonomen geheßt wird. Man mag die Kathedersozialisten nicht leiden, weil sie vielleicht in einem gewissen Maße die Interessen der breiten Bevölkerung vertreten könnten und weil sie wohl auch freihändlerisch gesinnt sind. In der preußischen Universitätsverwaltung herrscht kein anderer Geist, als der Geist, der ja auch in diesem Hause herrsht. Im vergangenen Jahre hat sih die Berliner Universität an der byzantinis{hèn Jubi- läumsfeier beteiligt, Aber es gab noch einen Mann, der etne Ehrung verdiente, ein gewisser Fichte, der einst der erste Nichter der Berliner O A s war und vielleiht der klangvollste Name gewesen ist unter allen Berliner Universitätslehrern. Man hat an seinem hundert- jährigen Todestage, am 14. Januar 1914, an seinem Grabe etne leine Gedächtnisfeier - abgehalten, wie man sie vielleiht am Grabe eines Selbstmörders abhält. Von einer besonderen größeren Gedächt- nisfeier ist Abstand genommen worden mit Nücksicht auf die Nahe von Kaisers Geburtstag, so wurde offiziell bekanntgegeben. Also die byzantinishe Pflicht ging der Berliner Universität vor der Ghrung ihres größten Mannes. Das charakterisiert die Verhältnisse und gibt nicht das Vertrauen, daß hier in Berlin vorausseßungslose Wissen- {aft gelehrt wird.

(Fortseßung in der Zweitèn Beilage)

f lautend

T T E D e HPE T

(Fortseßung aus der Ersten Beilage.)

Abg. Dr. Dit tri h - Braunsberg (Zentr.): Wir haben in Preu- e ¡jer katholifch- ische Fakultät in Î Münster ßen nur vier katholish-theologische Fakultäten, in Bonn, z Breslau und Braunsberg. Auch die Seminare sind nicht ausreichend vorhanden. Im Snteresse der katholischen Studenten, die besonders auc in Berlin und Greifswald zahlrei sind, müssen an Universitäten, an denen feine fkatholis-theologischen Fakultäten bestehen, Einrich- tungen getroffen werden, durch welche auch die katholishen Studenten in den Strömungen der Religion unterrichtet werden. Jch freue mich, daß der Minister der Frage nähertreten will. Wir müssen uns gegen die Bestrebungen wenden, die den NReligionsgunterricht in eine teli- ajonswissenschaft auflösen wollen, au schon in den mittleren und un- teren Volksschulen. Das würde nur zu einer Zerseßung führen. Cine geschichtliche Wertung der Religion 1 nur möglich auf den höheren Stufen, besonders an den Universitäten, und soll dort zur Vertiefung des Meligionsunterrichtes. dienen. Ich kann dem Minister nur emp- fehlen, das Unternehmen der Göttinger Gesellschaft der Wissen- schaften, die Sammlung der Quellen der Religionsgeschichte mit staat- lien Mitteln zu unterstüßen. Die Göttinger Gesell{haft erwirbt ih dur dieses Unternehmen ein großes Verdienst. Die Privat- dozenten sollen an den Dissettationen beteiligt werden. Es 1st etne bedenkliche Erscheinung, daß wir manche Privatdozenten haben zwischen 30 und 40 Jahren. Darunter sind viele hervorragende Lehrer. We- nigstens diese müssen entsprechend ihrer gesteigerten Bedeutung_für den akademischen Lehrbetrieb größere Beträge bekommen. Vie F0or- derung der Vermehrung der Stellen für die Drdinarten halten wir für berehtigt. Das Verlangen der Privatdozenten, in ihren eigenen An- gelegenheiten gehört zu werden und in thren eigenen Angelegenheiten h zu äußern, muß ebenfalls erfüllt werden. Den Privat- dozenten muß gewährt werden, was im Interesse der Lehrtätigkeit und im Interesse der Universitäten erforderlich ift. A

Ahg. Dr. Heß (Zentr.): Im Interesse der Veterinärmediziner auf Anerkennung des in der Schweiz erworbenen Doktortitels 1st die Stellung des Ministers ziemlich allgemein zu bedauern, bejonders, weil man nach der Erklärung des Landwirtschaftsministers vom 22. Januar dieses Jahres angenommen hatte, daß er inzwischen zu einer anderen Stellung gekommen sei. In weitesten Kreisen des Hauses wird man ih der Argumentation des Ministers nicht anschließen können; sie_ist icht so recht stihhaltig. Gewiß is es richtig, daß eine bestimmte Zu- sage niht gemacht wurde; aber ebenso richtig ist, daß die Stellung im Kultusministeriuum vor der Zeit des jeßt amtierenden Ministers zum mindesten nicht klar gewesen ijt. Das Moment der mangelnden

Maturität follte man niht mehr ins Feld führen, denn man Hat zwischen 1900 und 1910 nicht weniger als 250 JFmmaturen zum VL. phil. promoviert. Auch wir wollen durchaus keine Doktorfabriten schaffen, sondern die strenge Wissenschaftlichkeit des 2 oktortitels auf- rehterhalten. Die Veterinärmébiziner legen großen Wert auf die Fest- stellung, daß der Doktortitel, den sie sich 1n der. Schweiz erworben haben, durchaus vollwertig ist, das hat auch der Veterinärrat durchaus anerkannt. Ich frage den Minister, wie viele der Dissertationen in seinem Nessort mittlerweile auf ihre Wissenschaftlichkeit nacbgeprüft worden sind? Ich möchte darauf hinweisen, daß auch das bayerische Ministerium des In- nern sih der Frage recht wohlwollend gegenübergestellt hat. Ferner bat sich das Abgeordnetenhaus den Wünschen durchaus geneigt gezeigt; die Unterrichtskommission hat das Petitum der Tierärzte etnstimmig der Megierung zur Berücksichtigung überwiesen. Deshalb möchte 1ch dem Minister zur Erwägung anheim geben, ob man den von uns fur durchaus berehtiat gehaltenen Wünschen dieser Herren nicht entgegen- tommen fönnte. Es ift gewiß s{on, wenn in einem Ressort soviel Korpsgeist herrscht, daß sih der Minister die Ansicht seiner Dezer- nenten vollkommen zu eigen maht. Jm vorliegenden Falle aber scheint der Korpsgeist doch etwas übertrieben zu sein. Bezüglich des Dr. med. dent. ift bervorzuheben, daß die Mittel und Wege der Studierenden der Zahnheilkunde durchaus verkehrt gewesen sind. Wir verurteilen den von thnen inszenierten Streik durchaus, bitten ‘aber den Minister,

ibn als einen jugendlichen unüberlegten Schritt aufzufassen. Ich hoffe,

ß die Frage des Dr. med. dent. bald zu einem gedeihlichen Abschluf fommt. Wir tellen uns auf einen entgegenkommenden Standpunkt, veil wir die aroße Bedeutung der Zahnheilkunde für die Bolkshygiene

t untershäßen. Wir begrüßen die Stellung des Ministers zur Anregung des Äbg. Faßbender über die Einrichtung eines Ertraordina- riates für die Karitaswissenschaft. Die Festseßung einer WMarimal- zahl von Ausländern zum Studium an preußischen Universitäten fann zu Unzuträglichkeiten führen. Der Professor Nöthe kann stich nit wundern, wenn er heute von den sozialdemokratishen Yednern mit einem reichlichen Maße von Hohn und Spott übergossen worden ist, Dieser Hohn und Spott ist durhaus berechtigt gewesen, Die professuale Eigentümlichkeit, die Professor Röthe im Laufe der Jahre ans Tageslicht gefördert hat, übersteigt bei weitem das Maß des Be- ehtiglen. Jch möchte bei dieser Gelegenheit zum Ausdru bringen, aßzdie Regierung sich bei Berufung dieses Professors an die Berliner

Wersität nicht auf Konzessionen einläßt. Die Art und Weise, wie Professor Nöôthe den Damen die Tür gewiesen hat, führt nicht nur zu Unzuträglichkeiten, sondern paßt auch durchaus nicht mehr in einen modernen Schulbetrieb hinein.

Geheimer Oberregierungérat Tilmann: Aus der Nede des Vor- reòdners will ich nur einen Punkt berauégreifen. Die Tierärzte, die den Dr. med. vet. in der Schwetz gemacht haben find durchaus nihtzurücktgeseßt behandelt worden. Diese Tierärzte werden nach denselben Grundsäßen behandelt, wie die anderen Kategorien von Leuten, die den Doktertitel bei uns erworben haben. Wenn sie den Vo'aussetßzungen entsprochen haben, die für uns gestellt sind, also das Äbtwrienteneramen gemackt haben, so kann thr Dr. med. vet. bei uns anerkannt werden. Die Auétführungen des Abg. Heß über die Promovierurg von Jm- maturen in der philosophishen Fakultät bedürfen etner Einschränkuna. Diese Promotionen bestehen, aber als große Ausnahmen, nämlich dann, winn eine Doktorarbeit von dec gesamten philosophischen Fakultät einstimmig als eine hervorragende wissenscha\tlihe Leistung anerkannt worden ist. Von dieser Möglichkeit wird nur ein äuß?rst \parfamer Gebrau gemacht. In den letzten dreizehn Jahren sind auf den zehn preußis{chen Universitäten nur 157 Juländer ohne Abiturium ypromoviert, das ist also niht ein Student im Semester. Diese Möglichkeit wird also in dem strengen Sinne gehandhabt, in welchem sie gedacht ist.

Abg. nster berg (fort{chr. Volksp.): Zunächst möchte i meiner Freude Ausdruck geben über die Erklärung des Ministers, daß bei Beseßung von Leh1stühlen nit einseitige Richtungen bevorzugt werden und daß nur die wissenschaftliße Qualifikation eines Professors maßgebend ist. Der Abg. von der Osten kat fh schon auéführlih über die N-eubeseßzung des Lebr- ituhles von Adolf Wagner ausgelassen. Er hat eine etwaige Be- rufung Lujo Brenkanos befürcbtet. Profesor Wagner denkt aber noch gar nicht daran, seine Lehrtätigkeit aufzugeben, bezüglih des Falles Rôthe schließe ih mich den Ausführung n des Vorredners an Es geht niht an, daß man diesem Piof-ssor allein ein Monopol gibt, den sfslutierenden Damen die Tur zu wen Mit der Beseyung des Lehrstuh!es Erh Schmidts sollte man nit allzulange warten. Die Frauen, die #ch dem wissen- \haftlihen Studium widmen, gehören zu den beiten thres Ge- hlechtes, und man sollte ihnen ihr Studium möglichst erleichtern. Die ganze Frauenbewegung hat sich in der legten Zeit außerordent-

Zweite Beilage S zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußishen Staalsanzeiger.

1914.

den 2. Mai

Berlin, Sonnabend, ist nicht zum mindesten darauf zurück- zuführen, daß die Frauen zum Universfitätestudium zugelassen worden sind. Das Zugeständnis, daß die Extraordinarien an der Wahl des Rektors beteiligt werden sollen, ist bis- her da8 einzige, was in dieser Beziehung geschehen ist. Die Extraordinarien wünschen - in der Hauptsache einen größeren Einfluß auf die Gestaltung der wissenschaft- lihen Stellungnahme der Fakultät. Ih hoffe auch, daß der Minister den Privatdozenten und Extraordinarien das Necht gibt, bei der Beurteilung der Doktorarbeiten, foweit sie in thr Spezialfah fallen, mitzuwinken. Das Verhältnis der Ordi- nariate zu den Extraordinariaten ist ein sehr ungünsttges. Die Ordi- nartate müssen unbedingt vermehrt werden und müssen Schritt halten mit der Vermehrung der Zahl der Studierenden. Auf den Universitäten und tehnishen Hochschulen ist das Gefühl fehr allgemein verbreitet, daß es zu wenig Ordinariate gibt, sodaß die Beziehungen der O dinarien zu den Studierenden oftmals aufgehoben werden. Nur die eine ' Bezichung bleibt bestehen, baß der Student unter allen Umständen seine Kolleggelder bezahlen muß. Man darf bei Betrachtung der Zahlen mt ohne weiteres Extras- ordinarien und Privatdozenten zusam1enwerfen, denn die Ertra- ordinarien nehmen immerhin eine gewisse Mittelstelung zwischen den Ordinarien und den Privatdozenten ein. Die Privatdozenten sind vielfa in ihrer Tätigkeit sehr stark behindert. Sie können unter Umständen Seminarübungen nicht abhalten, weil ihnen die Näumlich- keiten niht zur Verfügung gestellt werden ; fie find darin ganz auf das Entgegenkommen der ordentlichen Professoren angewiesen. Das ist ein ungesunder Zustand, da doch die Universitäten gar niht ohne die Tätigkeit der außerordentlihen Professoren und der Privat- dozenten auskommen können. Wir können mit Genugtuung fest stellen, daß ein neuer Idealismus fich entwickelt, der auf den Geist Fichtes zurückgeht, und es wird eine neue Weltanschauung entstehen.

Minister der geistlihen und Unterrichtsangelegenheiten D Di vonDvottzu Solz:

Meine Herren! Wenn ih noch einmal das Wort ergreife, so geschieht es niht, um die soeben gehörten mir in vielen Punkten außerordentlich interessanten Ausführungen näher zu beleuchten, sondern es ist der Umstand, daß sowohl mein Herr Vorredner wie der Herr Abg. Dr. Heß sih den heftigen Angriffen, die der Herr Abg. Dr. Liebknecht gegen den Herrn Geheimrat Professor Dr. Nöthe gerichtet hat, wenigstens bis zu einem gewissen Grade an- geschlossen haben. Das bestimmt mich doch, einige Worte für den hochverdienten Herrn Geheimrat Professor Dr. Röthe hier zu sagen,

Die Angriffe richteten sich wesentli gegen Ausführungen, die Herr Geheimrat Professor Nöthe außerhalb der Universität bei Kom- mersen und festlichen Veranstaltungen gemacht hat. Ich glaube, daß das, was Herr Professor Röthe da spricht, der Kritik dieses Hauses eigentlih nicht unterworfen ist. (Sehr richtig! rets.) Wenn er in der Universität auftritt, dann wird sein Auftreten dort auch hier einer Kritik unterzogen werden können; was er aber außerhalb der Universität tut, das entzieht sid, glaube i, der hiesigen Kritik.

Wenn man eine Rede des Herrn Geheimrats Professor Dr. Nöthe bei solhen festlichen Gelegenheiten gehört hat, wenn man seinen warmen heißblütigen Patriotismus aus diesen Reden hervorleuhten sieht (Bravo! rechts.), die urwüchsige, kräftige Art, mit der er da auftritt, sieht, wie er es versteht, die Studenten mit seinen Worten hinzureißen, dann kommt man doch vielleiht auch zu einer anderen Beurteilung seiner Art und wird geneigt, seiner ausgesprochenen Jn- dividualität Rechnung zu tragen und nicht jedes Wort auf die Wage zu legen. (Sehr richtig! rechts.) Jch kann nur fagen, daß ich eine solche Rede des Herrn Professors Dr. Nöthe bei einem vaterländischen Anlaß mit großer Freude gehört habe. (Bravo! rechts.)

Nun, meine Herren, sind aber die Vorwürfe gegen Herrn Ge- heimrat Professor Dr. Nöthe auch mit Bezug auf seine Tätigkeit an der Universität gemacht worden, und darauf möchte ih doch auch mit einigen Worten eingehen.

Als es sih vor mehreren Jahren um die Berufung des Herrn Geheimrats, längst vor meiner Amtszeit, handelte, da war den Frauen die Immatrikulation an unseren Universitäten noch nicht zugestanden. Er stellte die Bedingung, daß ihm eingeräumt werde, Frauen von seinen Vorlesungen fernzuhalten, wenn er den Ruf nach Berlin an- nehmen sollte. Dieses Necht ist ihm damals zugestanden worden, und er ist daraufhin nach Berlin gekommen. Selbstverständlih bin ich daran gebunden, nahdem dieses Recht dem Herrn Professor Nöthe einmal eingeräumt worden ist. Jch habe {hon in der Kommission zum Ausdruck gebracht, daß selbstverständliß von sämtlichen Pro- fessoren, die an unseren Universitäten lehren, verlangt werden muß, daß sie die Frauen ebenso zulassen wie die Männer, nachdem die Frauen überhaupt einmal zu unseren Universitäten zugelassen worden sind. (Sehr richtig!) Das kann nicht in die Willkür des einzelnen Professors gestellt werden. Das versteht sih ganz von selbst. Bei Herrn Professor Nöthe lag aber, wie ih schon darlegte, der Fall be- sonders. Jch war ihm deshalb um fo mehr dankbar, daß er bei der Schwierigkeit, die sich ergeben hatte, den Lehrstuhl des verewigten Professors Erih Schmidt zu beseßen, si bereit erklärte, von seinem Nechte keinen Gebrau zu machen, und die Frauen zu seinen Vor- lesungen in neuerer Literatur während des Provisoriums zuzulassen, das einzurichten ih mich entschließen mußte. Daß mir das keine er- wünschte Lösung dieser Frage war, brauche ih wohl nicht zu versichern; ich habe das ja au in der Kommission des näheren dargelegt. Es handelt sich, wie ich wiederhole, lediglich um ein Provisorium, nit um eine endgültige Negelung. Dies Provisorium is aber auch nit so eingerichtet, daß Professor Röthe nunmehr allein die Disziplin der deutschen Literatur zu vertreten hätte; das würde in der Tat eine zu große Anforderung an einen Mann stellen. Es ist ihm zur Seite gestellt Professor Heusler, der bisher lediglih nordische Philo- logie vertreten hat und nun den Professor Röthe in der älteren deutschen Literatur unterstüßen wird, und außerdem ein junger Privat- dozent Professor Dr. Schneider, der den Professor Röthe in der neueren Literatur unterstüßen wird, sodaß also die Tätigkeit auf dret Herren verteilt ist. Hiernach trifft die Annahme meines Herrn Vor- rednerá, daß Professor Röôthe zurzeit allein die deutsche Literatur hier auf der Berliner Universität Berlin lese, nit zu. (Abg. Münster- berg: Als einziger Ordinarius!) Jch betone aber’ nochmals: es handelt

li vertieft, und dies

sich hierbei um ein Provisorium, das, wie ich hoffe, von niht allzu langer Dauer sein wird.

Wenn ih mich in der Kommission dahin geäußert Habe, daß es zurzeit an einem prädestinierten Mann gefehlt habe, und daß die Schwierigkeiten, in die wir hier geraten sind, ebenso in Wien Hbe- standen, wo es auch außerordentlih \chwierig gewesen ift, eine Per- fönlichkeit für den gleichen Lehrstuhl zu finden, der gleichzeitig mit dem hiesigen frei geworden war, so habe ih damit gemeint, daß doch aus unseren jüngeren Gelehrten eine Persönlichkeit erstehen und sih zei- gen würde, die geeignet wäre, der Nachfolger von Erich Schmidt zu werden. Das kann auch schon in kürzerer Zeit der Fall fein; darüber krauchen nicht lange Jahre hinzugehen. Insofern glaube ich doch, daß ih auch in dieser Beziehung in der Kommission zutreffendes gesagt habe.

Nun hat Professor Noethe also die Frauen zu seinen Vorlesungen zugelassen. Wenn das die Folge haben sollte, daß er stch davon überzeugte, daß man auch vor Frauen deutsche Literatur lesen kann (Heiterkeit.), so würde ih mich sehr darüber freuen, und ih bin über- zeugt, wenn er diese Ueberzeugung gewinnt, dann wird er sie auch zum Ausdruck bringen und dementsprechend handeln. Denn er ist ein außerordentlih überzeugungstreuer Mann, der überall von der einmal gefaßten Ueberzeugung Rechenschaft ablegt und sih danah wrhält, ohne Nücksicht darauf, ob es Gefallen findet oder mcht. Das macht mir seine Persönlichkeit außerordentlih sympathish (Bravo! rechts.), und ih habe mich hier gern mit einigen Worten für ihn eingeseßt, (Lebhafter Beifall rechts.)

Die Debatte wird geschlossen.

Zur Geschäftsordnung bedauert

Abg. Dr. Ke il (nl.) nicht mehr zum Wort gekommen zu fein, um den Wunsch der Anatomen nach vermehrtem Leichenmatertal zu erörtern.

Abg. Dr. Heß (Zentr.) bedauert, dem Geheimen Nat Tilmann nit in bezug auf die Zahl der immaturen Doktoren widersprechen zu können. Ferner habe ihm ein persönliher Anguff auf Profc sor Noethe ferngelegen. S ;

Abg. Münsterberg (forts{chr. Volksp.) bemerkt gleichfalls, daß ihm eine Beleidigung des Professors Roethe ferngelegen und er nur im Juteresse des Unterrichts gefprochen habe.

Abg. Rosenow (fortshr. Volksp.) bedauert, die Frage nicht erörtern zu Tônven, ob mehr Universitäten errichtet werden sollen.

Abg. Dr. Ar nin g (nl.) bedauert, an einer Erwiderung auf die Ausfübrungen des Geheimen Rats Tilmann verhindert zu sein.

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L/C0S aus wendel n) Cr Veralung “Ver Zu ent Universitätskapitel gestellten Anträge zu.

Die Abgg. Win ckler (kons.) u. Gen. beantragen: die Negierurg zu cisuhin, an der zukünftigen Universität Frankfurt a. V. eine theologische Fafultät _zu errichten und die Ausgaben für diese Fakultät erforderlihenfalls in den Staatshaushal!setat einzustellen.

Die Abgg. Dr. Friedberg (ul.) u. Gen. beantragen: die Regie:ung wird ersucht, auf die Errichtung einer theologischen Kakultàät an der Univeisitää Frankfurt hinzuwirken, ohne dafür Staalsmittel in den Staatshaushaltsetat einzustellen.

Abg. Win ckler (kons.): Wir haben uns in den leßten Jahren wiederholt mit der im Werden begriffenen Universität in Frankfurt am Main beschäftigt. Diese Universität weiht von den übrigen Uni- versitäten Preußens ab, indem sie keine theologische Fakultät Hat. Auch die gelehrten Kreise haben fh mit dieser Frage beschäftiat. Dieser Mangel hat es zuwege gebracht, daß das öffentliche Intez esse auf diesen Unterschied hingelenkt worden ist und die Bedeutung der theologischen Fakultät einmal ins rechte Licht gerückt wurde. Die Theologen können auf das Urteil über ihre Fafultät stolz sein. Die vorliegenden beiden Anträge sind ein Beweis dafür, wie au hier die theologischen Fakultäten beweitrt werden. Jh möchte besonders das Gemeinsame beider Anträge betonen: den Wuüunsh nach Grrichtung etner theologischen Fakultät. Direktoren der preußischen Üniversitäten haben ebenfalls die ungeheure Bedeutung der theologishen Fakultäten zum Ausdruck gebradht. Der Evan- gelishe Bund sieht in Universitäten ohne tbeologishe Fakultäten eine große Gefahr. Schließlich hat die Bezirkesynode Frankfurt am Main einstimmig einen Antrag angenommen, in dem das Fehlen einer theo- logishen Fakultät bedauert wird. Der Mintster hat in der Koms- missicn erklärt, daß ein grundsäßzliher Auéshluß nit vorkiege, nur seien die Mittel für eine theologische Fakultät niht vor- handen. Meine Freunde find nach_ langen Verhandlungen zu der U-berzeugung gekommen, daß hier Staatémittel aufgebracht werdea sollen, wenn diese anderweitig nit zur Verfügung geslellt werden. Wir haben die Notwendigkeit der Errichtung einer Universität in Frankfurt a. M. verneint, deshalb waren wir ursprünglich der An- sicht, daß Staatsmittel niht virwendet werden möchten. Jeßt, nach- dem die Sache so wett gediehen is, würde die Aufwendung von staatlichen Mitteln niht mehr den Charaëter haben wie früher, da es jegt eine aroße Gefahr abzuwenden gilt, die darin bestebt, daß der erste Schritt gcmaht wird, der die Theoloaie als eine Wissenschaft überhaupt nichè mehr kennt. Da wächst diese Frage üker das lokale Interesse weit hinaus. Wir find dafür, daß an der neuen Universität zunächst zwei Professuren eingerichtet werden. Ich hoffe aber, daß die Herren, die in so großzügiger Weise die Vittel für die Universität zur Verfügung gestellt haben, dur unsere Verbandlung und durch die Besprechung in der Oeffentlichkeit dahin geführt werden, ncch einmal zu prüfen, ob nicht cine Grgänzung der Mittel angezeigt fein möchte. Darauf kann es ihnen um so weniger ankommen, weil Frankfurt a. Main teilnehmen soll an dem Ansehen und Ruhm unserer preußischen und deutschen Untversitätéstädte. Die Regierung wolle deswegen nah der Richtung hin noch einmal in Verhandlungen ein- treten. Im übrigen bitte ih, beide Anträge der Budaetkommission zu überweisen. Wir würden aber auch einer ÜUebenveisung an die Ünterrichtzekommission nicht entgegen stehen.

Aba. Dr. Dittrich (Zentr.): Die theologische Fakultät nimmt unter allen Faku!täten die este Stellung ein. Es ist erwünscht, daß in den Strom der Wissenschaften, der vcn Frankfurt aus übér die Gefilde Deutschlands sich ergießen soll, au ein theologisdes Wasser einfließt. In unseren studentischen Kreisen ist das Interesse an Neligtonéwissenschaften tm Steigen begriffen, und man follte daher dem Bedürfnis durch Grrichtung eir er theologischen Fakultät nach- kommen. Nach Lage der Ve' hältnisse ist allerdings nidt zu hoffen, daß Frankfuit aus eigenen Mitteln die Kosten dasür bestritet. Es ist daher zu wünschen, daß der Staat eingreift. Wenn wenigstens ein Leil der Universität vom Staate erhalten wird, fo wird die Unteriichts- verwaltung auch einen ganz anderen Ginfluß auf den Geist her Unt- versität ausüben können, als es fonst der Fall wäre. Auerdiïigs würde dieser Einfluß auch bezahlt werden müssen mit etnem ganz Er- hebliGen Aufwand von Staatsmitteln. Jch glaube, daß man die

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