1914 / 104 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 04 May 1914 18:00:01 GMT) scan diff

Regierung in Cassel zur weiteren dienstlihen Verwendung überwiesen, der Regierungsasse}sor Hammacher aus Düssel- dorf dem Landrat des Kreises Hadersleben, der Regierungs- assessor von Rappard aus Vohwinkel dem Landrat des Kreises errschaft Schmalkalden, der Regierungsassessor Boehmer aus renzlau dem Landrat des Kreises Rheinbach, der neu ernannte egierungsassessor Freiherr von Schorlemer aus Breslau dem Landrat des Kreises Coesfeld, der neu ernannte Re- lerungsassessor Eich aus Breslau dem Landrate des Kreises önigsberg i. N.-M., der neu ernannte Regierungsassessor von Krosigk ans Potsdam dem Landrate des Kreises Arnsberg und der neu ernannte Regierungsassessor v on der Lühe aus Potsdam dem Landrate des Landkreises Recklinghausen zur Hilfeleistung in den landrätlichen Geschäften zuteilt worden.

Die Regierungsreferendare Dr. Junkermann aus Cöln, von Saldern aus Potsdam, Georg Rimpan aus Schleswig, Friß Henkel aus Posen und Dr. Freiherr von Dobeneck aus Côln haben die zweite Staatsprüfung für den höheren Verwaltungsdienst bestanden.

Seine Königliche Hoheit der Kronprinz Rupprecht von Bayern ist gestern morgen in Dresden eingetroffen und auf dem Bahnhof von Seiner Majestät dem König Friedrih August, dem bayerischen Gesandten Grafen Montgelas, dem bayerischen Generalkonsul, Kommerzienrat Reichel und den Herren des Ehrendienstes empfangen worden. Nach der Begrüßung und der Vorstellung der Gefolge geleitete Seine Majestät der König seinen hohen Gast in das Residenz- {loß. Mittags fand Königliche Tafel in der Villa Wachwitz statt, an der außer den Mitgliedern der Königlichen Familie der Kronprinz Rupprecht mit Gefolge und Ehrendienst, der bayerische Gesandte und andere teilnahmen.

l Oefterreich-Ungarn.

Nach dem gestrigen Bericht über das Befinden des Kaisers war die Nacht besser als die vorhergehende. Das Allgemeinbefinden ist ganz befriedigend, der katarrhalische Zu ftand ist der gleiche.

Großbritannien und Frlanzb. _ Der Herzog von Argyll, der Gemahl der Prinzessin Luise von Großbritannien, ist einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge vorgestern abend gestorben.

Frankreich.

Nach dem endgültigen Ergebnis des ersten Wahl- gangs der Kammerwahlen sind, wie „W. T.“ meldet, 32 Konservative, 27 Mitglieder der Action libérale, 54 fort- \chrittlihe Republikaner, 52 Republikaner der Linken, 27 radikale Republikaner, 11 sozialistische Radikale, 89 geeinigte sozialistische Republikaner, 17 sozialistishe Republikaner, 40 geeinigte Sozialisten, mithin 349 Abgeordnete gewählt worden. In dem zweiten Wahlkreise von Martinique ist das Resultat der Wahlen nicht veröffentliht worden, die Aïten werden der Kammer übersandt werden. 252 Stichwahlen müssen stattfinden. Die Konservativen gewinnen 5 Siße, davon einen neugeschaffenen. Die Action libérale gewinnt 4 Siße, davon einen neugeschaffenen und verliert 3 Siße. Die Progressisten gewinnen 7 Sige, da- von einen neugeschaffenen, und verlieren 8, davon einen durch Abschaffung. Die Republikaner der Linken gewinnen 12 Sige und verlieren 10, die radikalen Republikaner gewinnen 2 und verlieren 7 Sigße, die sozialistishen Radikalen gewinnen 4 und verlieren 3 Sige, davon einen durch Abschaffung, die geeinigten sozialistishen Radikalen gewinnen 12 und verlieren 15 Sige, einen ebenfalls dur Abschaffung. Die sozialistischen Republi- kaner verlieren 3 Siße, die geeinigten Sozialisten gewinnen 5 Sitze und verlieren einen.

Rußland,

___ Ein gestern veröffentlichter Ukas des Kaisers ordnet nach einer Meldung des „W. T. B.“ die Probemobilisierung zweier Bezirke und die Einberufung der Reservisten in zwei anderen Bezirken des Gouvernements Jekaterinoslaw an.

Der Gehilfe des Ministers des Auswärtigen hat der Budgetkommission der Duma mitgeteilt, daß der Minister während der Beratung seines Etats mit Ermächtigung des Kaisers eine Erklärung über die auswärtige Politik Rußlands abgeben werde.

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__ Die ordentliche Sezession des finnishen Landtages ist vorgestern geschlossen worden.

| Türkei.

Vorgestern nahmittag erfolgte auf der Pforte zwischen dem deutschen Botschafter Freiherrn von Wangenheim und dem Großwesir Said Halim Pascha ein Notenaustausch, durch den einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge die Geltung des am 25. Juni ablaufenden deutsch-türkishen Handels- und Schiffahrtsvertrags vom 26. August 1890 sowie die Geltung der Zusaßkonvention vom 7. April 1907 vorbehaltlich der beiderseitigen parlamentarishen Genehmigung auf ein Jahr verlängert wird.

Das von der Pforte den Botschaftern überreichte Memorandum bezüglih der Verfolgung der Musel- manen in Mazedonien rekapituliert die von der Pforte gegen die Verwaltung in Mazedonien erhobenen Beschwerden und stellt obiger Quelle zufolge fest, daß die Lage der Musel- manen immer unerträglihher werde. Die Zahl der aus- gewanderten Muselmanen betrage 163 000. Das Memorandum weist auf die Angriffe hin, die gegen Personen, deren Eigentum und Religion begangen werden, und erklärt, daß alle bei der griechischen Regierung bisher unternommenen Schritte wegen Anwendung des Artikels 2 des Friedensvertrags erfolglos ge- blieben seien. Das Memorandum {ließt mit den Worten, daß in ganz Griechish-Mazedonien nicht eine Spur von Gesetz gegen- über den Muselmanen bestehe. :

Die Pforte hat der französischen Regierung Tabellen übermittelt, in denen angegeben wird, welcher Betrag der öffentlihen Schuld und der anderen Schulden der Türke; einshließlich der s{chwebenden Schuld auf jeden einzelnen der Balkanstaaten zu entfallen hätte. Nach diefer Tabellen, die an die fremdländishen Delegierten der internationalen Kommission für die finanziellen Balkanfragen zu verteilen find, hätte Griechenland 14 315 406 türkische Pfund, Bulgarien 4 075 590,

Serbien 4 451 473, Albanien 1090685 und Montenegro 151 040 türkische Pfund zu übernehmen. Die Kommission soll am 15. Juni ihre Arbeiten wiederaufnehmen. Die ottomani- schen Delegierten haben auch eine Liste der Forderungen otto- manischer Privatpersonen für den ihnen während des Krieges seitens der Balkanstaaten verursachten Schaden vorbereitet.

Albanien.

Meldungen des „W. T. B.“ aus Epirus besagen, daß dort völlige Anarchie herrsche. Zographos sei niht Herr der e Die Aufständischen richteten arge Verwüstungen an, die mohammedanische Bevölkerung sei den Uebergriffen der Banden \{ußlos preisgegeben.

Vorgestern am späten Abend sind der albanischen Regie- rung obiger Quelle zufolge Nachrichten aus Korißa zu- gegangen, wonach die Albaner im Laufe des- Tages einen er- folgreihen Angriff gegen die Aufständischen unternommen, viele in der Gegend des Feindes befindlihe Dörfer zurück- erobert haben und bis Bomati in der Nähe von Kolonia vorgedrungen sind. Die Regierung hegt die volleZuversicht, daß auch Kolonia in allerkürzester Zeit zurückerobert werden wird. Jn ganz Albanien macht sich eine patriotische Bewegung bemerkbar. n allen Teilen des Landes rüstet man zur Befreiung des vom Feinde bedrohten Gebiets. Jn Tirana allein meldeten sich 2000 Freiwillige, die nah Korißa abmarschiert sind. Die Frei- willigen aus Elbasan, Berat und Dibra sowie aus dem Ljuma- und Matigebiete zählen nah Tausenden, sodaß man das Ein- treffen von etwa 10 000 Freiwilligen in Koriza erwartet. Die Regierung hofft mit Hilfe der heranrückenden Scharen von Freiwilligen die Aufstandsbewegung binnen kurzem niederwerfen und die Epirusfrage einer für Albanien günstigen Lösung zu- führen zu können. Die für gestern angekündigte Protestver- sammlung in Durazzo gegen die Bandengreuel in Epirus ist von der Regierung verboten worden.

Amerika.

__ Nach einer Unterredung zwishen dem Staalssekretär Bryan und den Vertretern der drei vermittelnden südameri- kanischen Staaten hat das Staatsdepartement in Washington eine Erklärung veröffentlicht, wonah die Vermittler die Auf- forderung zur Ernennung von Vertretern, die mit ihnen verhandeln sollen, der Regierung der Vereinigten Staaten überbracht und an Huerta und Carranza abgesandt haben.

: Wie „W. T. B.“ meldet, hat die mexikanische Re- gierung die Einstellung der Feindseligkeiten während der Ver- mittlung befohlen. Das dreifahe Abkommen für den Waffenstillstand ist von den Vertretern der Vereinigten Staaten, der Bundestruppen und der Rebellen unterzeichnet worden. Aus El Paso wird gemeldet, daß der General Carranza es formell abgelehnt habe, während der Vermittlungsverhandlungen die Feindseligkeiten gegen Huerta einzustellen. Eine Note dieses Jnhalts sei am Sonnabend nach Washington gesandt worden.

__ Vorgestern sind amerikanische Vorposten bei Water- plant, neun Meilen von Veracruz, von Mexikanern an- gegriffen worden, die die Absicht hatten, die Wasserzufuhr abzuschneiden. Wie der General Funston meldet, sind nur wenige Schüsse gegen die die Wasserwerke bewachenden amerikanischen Truppen, die keine Verluste hatten, abgegeben worden. Die von Veracruz abgesandten Verstärkungen find dorthin zurückgekehrt.\

Sowohl Huerta wie Carranza haben nunmehr die amtliche Zusicherung gegeben, daß die Oelquellen bei Tampico während der Kämpfe geschont werden sollen.

Nach telegraphisher Meldung von dem deutschen Kreuzer

Nürnberg“ vom 28. April aus Guaymas ist dort die Lage unverändert. Jn Mazatlan haben die Deutschen, denen Gelegenheit zur Abreise geboten war, sich entschlossen, unter dem Schuß des japanischen Kreuzers „Jdzumo“ am Orte zu bleiben. Entsprechend einer Vereinbarung der deutschen, eng- lishen und japanischen Seebefehlshaber wird der Schuß der Staatsangehörigen der drei Nationen gemeinsam ausgeübt. Die Deutschen haben den Schußdienst in Guaymas über- nommen, die Engländer in San Blas und die Japaner in Mazatlan. Von dem amerikanischen Kanonenboot „Petrel“ ist in Washington ein drahtloses Telegramm eingelaufen, wonach die Nevolutionäre Puerto Plata auf San Domingo heftig angreifen. Der Kampf sei seit einer Woche im Gange. ‘Der Gouverneur Felin und der General Pegnero, der Befehlshaber des Forts, führen Streitkräfte gegen den Piäsidenten Bordas. Die Lage des leßteren sei schlecht. Die Truppen des Generals Arias hätten ihm den Rückzug nah San Diego abgeschnitten : er trachte seewärts zu entlommen. Der Konsul der Vereinigten Staaten berichtet, daß die Fremden wohlauf sind. :

Der Kongreß von Costa Rica hat, einer Meldung des „W. T. B.“ zufolge, Alfredo Gonzales zum Präsidenten der Republik gewählt.

Der brasilianishe Kongreß ist mit einer Bot- ft des Präsidenten wieder eröffnet worden. Wie „W. T. B“ meldet, hebt die Botschaft die Politik der Spar- samkeit und Gerechtigkeit sowie die Aufhebung des Be- lagerungszustands hervor und stellt ferner die allgemeine Herz- lichkeit der auswärtigen Beziehungen Brasiliens fest, die das Anerbieten der Vermittlung in dem Streit zwischen den Ver- einigten Staaten und Mexiko möglih gemacht habe, deren Er- folg zwar schwierig, aber doch möglich sei. Die Botschaft würdigt weiter die Bedeutung der Besuche des Prinzen Heinrich von Preußen und des ehemaligen Präsidenten Noosevelt und dankt den Vereinigten Staaten für die Aufnahme, die der Minister des Auswärtigen Lauro Müller im ver- gangenen Jahre gefunden habe. Ferner wird die Not- wendigkeit betont, das Heer zu reorganisieren, Reserven zu schaffen und das Flugwesen zu erweitern. Die Eisenbahn- linien seien im leßten Jahre um 2303 km verlängert worden, sodaß sie jeßt ein Gesamtschienenes von 24 590 km umfassen; die Schiffahrtszölle brachten 42 359 Kontos, die Einnahme aus Hafengebühren versprehe einen Ertrag von 27 828 (Holdkontos und 14544 in Papier. Der Betrag der ausgezahlten internationalen Postmandate erreichte 10500000 Fr. Die Telegraphenlinien seien um 2768 km vermehrt worden. Die Lage des Staats\chazes sei shwierig, aber nicht unheilbar. Die Einnahmen aus dem Jahre 1913 betrügen 135 750 Gold- fontos und 407 671 in Papier. Die ausländishe Schuld habe im Dezember 103 772 780 Pfd. Sterl. betragen, die inneren Schulden 726 746 Kontos, der Außenhandel aus\chließlich der Metalle hätte 1913 einen Wert von 132015 061 Pfd. Sterl. gehabt, das bedeute eine Verminderung um 6058719 gegen 1912. Die Ausfuhr an Kaffee und Kautschuk sei um 11499 Pfd.

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Sterling zurückgegangen. gegenwärtig in Vorbereitung.

Asien.

Die Zusammenseßung des neuen cinesischen Kabinetts ist vorgestern bekannt gegeben worden. ie „W. T. B.“ meldet, ist Schuschihchang Staatssekretär Sunpaochi übernimmt das Aeußere, Tuanchihjui das Kriegs- und Liukuanhsiung das Marineministerium.

Afrika.

Nach einer Blättermeldung aus Tanger hat die Kolonne des Generals Courreau das auf dem El-Hodoani-Berge gelegene Lager des Roghi von Nordmarokko angegriffen und vernichtet. Die Truppen des Roghi leisteten hartnäckigen Widerstand, wurden aber \hließlich doch zur Flucht gezwungen.

Im portugiesishen Kongogebiet sind, wie ,„W. T. B.“ meldet, infolge von Steuererhöhungen Unruhen ausgebrochen. Truppen \{chlugen und verfolgen die Rebellen: die Ruhe ist zum Teil bereits wieder hergestellt. :

Parlamentarische Nachrichten.

Die Schlußberichte über die vorgestrigen Sißzungen des Reichstags und des Hauses der Abgeordneten befinden ih in der Ersten Beilage.

- Das Haus der Abgeordneten heutigen (71.) Sitzung, welcher der Unterrichtsangelegenheiten D. Dr. beiwohnte, die zweite Beratung des steriums der geistlihen und heiten, und zwar zunächst die Besprehung des Kapitels „Höhere Lehranstalten“ fort, zu dem der Antrag der Abgg. Dr. Heß und Genossen (Zentr.), betreffend Nicht- bevorzugung von Schülern, die von Vorschulen ommen, vorliegt. ;

Abg. Pietker (fortshr. Volksp.) bespriht unter fortdauernder Unruhe des Hauses, sodaß der Präsident wiederholt um RNuhe bitten und das Haus auffordern muß, die Privatgesp1 äche" nit zu laut zu führen, den Extemporalienerlaß, Mittel für die Ein- schränkung der Frequenz an den böheren Schulen und die Nang- verhältnisse der Oberlehrer und führt aus: Ich bringe diese Dinge niht im persönlichen Interesse zur Sprache, sondern um die allgemeine Aufmerksamkeit auf die erwähnten Wünshe und An- shauungen zu lenken. Mit der Schulreform von 1900 kann ih mich im allgemeinen einverstanden erklären; ih muß aber wünschen, daß den Bedürfnissen der modernen Zeit und dem jteten Fortschritt auf allen Kulturgebieten entsprechend in immer weiterem Umfange Neform- anstalten errihtet werden. Wenn Herr von Kessel für die humanistishen Gymnasien nah wie vor die führ-nde Stellung beansprucht, so kann ih dem nur schr bedingt zustimmen. Die Aufgabe des Lehrers muß es vor allem sein, bet den Schülern Intereffe für seinen Unter- rit zu erwecken, und er muß von allen Hemmungen befreit werden, die seiner Betätiguna in dieser Richtung entgegenstehen. Der Lehrer muß vor allen Dingen Optimist fein, er muß deu Glauben an das Gute im Menschen besißen. Damit gibt er dem Schüler auch zugleich ein Beispiel und Vorbild. Der Lehrer mu auch der Berater der Schüler sein. Ohne Unfehlbarkeit für in Auspruch zu nehmen, kann und wird er do fd haupten und Feine Schüler gewinnen. Der Lehrer foll aber auh in den Stand gefeßt werden, an den Normen mitzuarbeiten nah denen der Unterriht erteilt wird, und ih begrüße die Anregung, die in dieser Hinsicht der Kollege Eickhoff gegeben hat. Dazu gehört au, daß bei der Besegung der Direktorenslellen gewisse Be- s{ränkunagen, die bisher geübt wurden, fallen und die Auswahl aus einem g'ößeren Kreise erfolgt. Bet der heutigen Uebung kommen auf den Schüler durchschnittlich 5 Stunden Unterricht und 3 Stunden häusliche Arbeit täglih. Bet dieser Inanspruhnahme kommt die per- sönlihe Veranlagung des Schülers nicht zu ihrem Necht; Freiheit muß für die Entwicklurg der Eigenart des Schülers geschaffen werden. Bon diesem Gesichtspunkt aus möchte ih also etne Herabseßung des Maßes der Schulforderungen wünschen. Nun hat man die Forderung der Erhöhung des Lehrziels der Abiturienten verlangt. Soll das geschehen dann muß erst recht auf der anderen Seite für Erleichterungen ge- sorgt werden Dem deutschen Aufsaß hat man bisher im Unterricht eine große Rolle zugewiesen, eine so große, daß die ganze Prüfung als \chlecht bestanden gilt, wenn der deutsche Aufsaß niht genügt. Es wird da aber von den Schülern zu viel verlangt, hier würde auch zu reformieren sein. Für die Bürgerkunde, das Staatsrecht follte sich die Schule und sollten sih die Lehrer auf Anregungen be- schränken; das Gleiche gilt für die philosophische Propâdeutik. Meformbedürftig «ist ferner auch das Prüfungewesen. Wenn ein Schüler auf Grund setner Klassenleistung und setner \chrift- lichen Arbeiten befriedigt, sollte er von vornherein von der mündlihen Prüfung bejreit fein. Diese Prüfung selbst muß aber auch umgejtaltet werven. Man soll dem Schüler A Gelegenheit geben, sich ausführlich im Zusammenhang zu äußern, damit er zeigt, daß er in den Geist der Sache eingedrungen ist; die Prüfung muß eine Probe des Verständnisses sein, das der Schüler für den Gegenstand erlangt hat. Die Schule muß Männer mit hellen Blicken und mit hellem Geist erziehen, die dereinst Führer der Nation zu werden bestimmt sind. Dann werden auch diese Männer a ls Dank wissen und befähigt sein, die Geschike der Nation zu leiten.

__ Hierauf nimmt der Minister der geistlihen und Unter- richtsangelegenheiten D. Dr. von Trott zu Solz das Wort, dessen Rede morgen im Wortlaute wiedergegeben werden wird.

(Schluß des Blattes.)

di seßte in der Minister der geistlihen und von Trott zu Solz Etats des Mini- Unterrichtsangelegen-

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Die im Düsseldorfer Wagenbaugewerbe beschäftigten Gehilfen haben der „Rh.-Westf. Ztg.“ zufolge nahdem der bis- herige Larifvertrag mit den Arbeitgebern am 1. Mai abgelaufen war, infolge Streitigkeiten über Lohn und Arbeitszeit die Arbeit niedergelegt.

Die organisierten Maurer und Zimmerer von Lübbedcke und -

Umgegend beschlossen, wie dasselbe Blatt meldet, da ihre Forderung, den Stundenlohn von 0,40 auf 0,45 # zu erhöhen, von den Unter- nehmern abgelehnt ist, unverzüglih in den Ausstand zu treten.

In Velbert sind, wie die „Köln. Ztg.“ mitteilt, die An- streihergehilfen in den Ausstand getreten. Ste fordern die An- erkennung des im vergangenen Jahre abgeschlossenen Reichstarifs durch die dortigen Meister.

In New York kam es, wie ,W. T. B." erfährt, am Freitag- abend bet einer fozialistishen Versammlung auf dem Unionplatze zu Ausschreitungen. Mitglieder der Gewerkschaft der In - dustriear beiter drangen auf den Plaß vor und verursahten Ruhe- störungen. Zahlreiche Polizetbeamte gingen mit ibren Knüppeln gegen fie vor. Es entstand unter der versammelten Menge, die aus 10 000 Mönnern, Frauen und Kindern bestand, etne Panik, wobei ungefähr zwölf Personen verleßt wurden.

Eine Revision des Zolltarifs sei

ommen Mehme

elungen ist, das auch als Komposition eindrucksvoll wirkt.

Aus Wafhington wird dem „W. T. B." gemeldet: Der driegssekretär Garrison hat nah einer Besprehung mit dem Prä- denten Wilson Befehl gegeben, die Zahl der Bundestruppen n Streikrevier von Colorado zu vervierfahen. Der driegssefretär erließ ferner einen Aufruf, in dem Niederlegung der

afen gefordert wird. (Vergl. Nr. 103 d. Bl.).

(Weitere „Statistishe Nachrichien" s. i, d. Zweiten Beilage.)

Kunft und Wissenschaft.

Erste Ausstellung der „Freien Sezession“. I Die Zeiten, in denen der Berliner Sezession von einem großen

G Teil des Publikums fritiklos die Führerrolle in der modernen Kunst- Mhewegung zuerkannt wurde, lag vorüber.

res Bestehens nahmen a / ree Fen gelten wollten, so lebhaften Anteil an den Sezessionsaus-

) ¿r. In dem ersten Jahrzehnt e jene, die als zeitgemäß empfindende

als hinge von deren gutem Gelingen das Heil der

Seutshen Kunst ab. Und während man am Kurfürstendamm all- Fahrlih neue Talente entdeckte und mit Bestimmtheit Genies verhieß, Snalte vor der Toren Berlins, unbekannt und nur von wenigen ge- haßt, Karl Hagemeister in Werder seine Bilder. Man wird sich ach der plôplihen, lärmvollen Entdeckung dieses guten Malers vor r jeßt allgemein beliebten Uebershäßung seiner Kunst hüten, man ird aber gern zugestehen, daß seine besien Bilder, die an die be- Beutenden deutshen Maler des 19. Jahrhunderts anknüpfen und ihre Mrt fortseßen, wertvoller find als die meisten Werke der beliebten todemaler von der Berliner Sezession. Der „Fall Hagemeister“ Veweist wieder einmal die Wahrheit der Nichard Wagnershen Er- P nntnis, daß für die deutshe Kunst nur der „Winkel“ produktiv ift, cht die „großen Marktpläße, Ring- und Promenadenpläpe“. Die ruhigende Gewißheit, daß die Kultur unseres Landes \{ließlich doch cht am Kurfürstendamm „gemacht“ wird, tröstet leiht darüber hin- daß die diesjährige Sezessionsaut stellung sehr s{chlecht geraten ist.

reie Sezession“ nennt ih jeßt die Gruppe, die sich im vorigen ahre infolge künstlerishen Zwistes von der alten Sezession ab- nderte. Es gehören ihr alle jene Künstler an, deren Werke von her den Berliner Sezessionsausftellungen das charakteristische Ge- äge verliehen, und da sie auch das alte Ausfstellungsgebäude inne- ben, so unterscheidet sh diese erste Ausstellung der „Freien ezession“ niht wesentlich von den bisher hier veranstalteten nstaus\tellungen. Der Gepflogenheit, neben den leßten chöópfungen der Mitglieder berühmte ältere Werke der modernen ms vorzuführen, t man gleichfalls treu geblieben. In diesem Nahre zeigt man Auguste Renoirs 1873 entstandene sogenannte T Amazone“. Dieser „Spaztierritt“ wie die zutreffendere Bezeichnung m Kataloge lautet stellt vor einer Landschaft eine Reiterin und hr zur Seite etnen reitenden Knaben dar. Die Figuren sind an- hernd lebensgroß. Neben Renoirs „Lise“ und Manets „Balkon- ne“ und „Olympia® gehört dieses Niesenbild zu den bekanntesten Merken, die der Impressionismus in Frankreich hervorge- racht hat. Im guten Sinne populär ist es freilich niht pie überbaupt die Maler des Impressionismus niht die Kraft be- Jaßen, auch nur ein einziges volkstümlihes Werk {hafen zu können! Kn der Hamburger Kunsthalle, der es gehört, wirkte das Bild unge- mein grau und flah. Hier in der Sezession hängt es zwischen derb nalten Leinwänden und dadurch gewinnt sein Aussehen an [ühender Zartheit und farbigem Duft. Für fich betrachtet, Bleibt es aber ein mäßiges Bild, das uns heutige voll- E E G a va e in tine. Vor, Sphäre entrückte wirkungsvolle Haltung alter NReiter- Bildnisse, noch die pridelnde Farbengebung, die geistreiche lebendige

Mealweise, die der moderne Impressionismus angeblih besizen soll.

Die stofflihe Wiedergabe der Frauenbluse und ein paar geschmackvolle Farbenflecke sind als Malerei ganz gut. Aber diese Vorzüge kommen degen den unangenehmen Eindruck der hölzernen Pferde, der hinge-

Mpischten, kfulissenhaft wirkenden Landschaft und des stumpfen Bodens

icht auf. Wenn s{chon dieses Hauptwerk des Impressionismus ver- gt, fo ift es kein Wunder, daß die Durchschnittsbilder der Berliner ammlung Julius Stern, der man ein Zimmer eingeräumt t, erst recht völlig gleihgültig berühren. Diese Sammlung reiht Pei weitem niht an die wahrhaft bedeutende moderne Berliner ivatgalerie Arnhold heran; was sie enthält, ift landläufige bessere Deutshe Kunsthändlerware: moderne - Franzosen und Berliner Sezessionisten. Der Gesamteindruck dieser Bilder ist liebens- Würdig und gefällig, nett und gepflegt. Das sind zwar alles ngenehme Eigenschaften, aber es fehlt den hier vertretenen Münstlern an Kraft und Leidenschaft, und so vpacken fie Uns an keiner Stelle. Das virtuos zusammengestrihene „Porträt der adame D.“ yon Manet, ein Blumenstilleben von Cózanne,

s von heiterer, pariser Luft durhwehte Boulevardbild Pissaros

d einer jener Frauenakte Nenoirs, in denen der Künstler nah under plastisher Form strebt, {find im Rahmen dieser ammlung die besten Werke. Erfreulißh überrascht Eugöòne Warrières Gemälde „Freundinnen“, mit dem diesent ver- Mappten s\üßlihen Salonmaler ein wverinnerlihtes Werk Claude Monets knapp und gelstreih behandeltes holländisches Hafenbild Mus dem Jahre 1870 erreiht nur die dekorative Wirkung geschmadck- Woller kunstgewerbliher Erzeugnisse; die Strandlandschaft dieses Münstlers {t eines seiner recht häufigen unerträglich fxden Bilder. nter den Werken der Berliner Maler ragen in der Sammlung tern zwei ältere Arbeiten Marx Liebermanns hervor: das

n Menzelshem Geist erfüllte Bild der Kösener Kaiser Friedrih-Gedächtnisfeier in einem Walde, dessen Blätter ngemein leiht und zart wiedergegeben sind, und das 1881 entstandene M Altmännerhaus*“. Unter den neueren Arbeiten Liebermanns ist eine der flott und stellenweise flüchtig heruntergemalten Reiterszenen am rande (Sammlung Stern) wertvoller als das bisher noch nicht ge- gte Bildnis Ludwig Fuldas und als die nichts\sagenden undebilder. Jn altgewohnter männliher Kraft und Frische Mriti in diesem Jahre Wilhelm Trübner wieder auf den Wlan. Das Bildnis seines Sohnes in silberner MNüstung Wor gelbem Vorhang ist freilich ein wenig hart und derb und farbig Whne stärkere Wirkung. Wie gut sind aber seine Bilder aus der Um- egend von Stift Neuburg! Der Pinselsirich in der „Parkmauer n Stift Neuburg“ is} straf und von überlegener Sicherheit, der Marbige Ausdruck voller Kraft und Klarheit und dabei nicht grob, Mondern fein und wundervoll abgestuft. Von A dolf Oberländer Meht man auch in diesem Jahre zwei seiner mehr gezeihneten, als Memalten treuherzigen Bilder, einen „Viehmarkt“ und ein S Dauerngehöft mit Hühnern“, die wie alle Gemälde Oberländers an feine genialen Zeihnungen aus den 80er und 90er Jahren nicht Weranreihen. Der Umstand, daß man von Leibl und von Hans on Marsóes zwet ret belanglose Porträts ausftellt, deutet darauf "in, daß der Kunfsthandel setnen Vorrat an den stark begehrten Wemälden dieser Meister erschöpft hat. Hans Thoma hat einen Raum allein inne und trägt mit seinen Bildern einen Klang aus iner ganz anderen Welt in diese Ausstellung. Man sieht von ihm 0 Arbeiten aus der Zeit von 1862 bis 1895, von denen zwei Bild- nisse, eine mit Herbststimmung und mit dem Geruh welkender lätter erfüllte Parklandschaft, der .Kinderreigen“ und die „Wasser- âlle von Tivoli“ als besonders \{chöône Bilder nachhaltigen Eindruck jinterlassen. Es gibt fast überall vershwommen gemalte oder {let jezeihnete Stellen aber was will das den deutsch empfundenen, erb und voll s{lichter Einfalt gestalteten künstleriïhen Gebilden egenüber besagen! Wir haben uns heute an brillant gemalten Dildern des Jmpressionismus, yon denen nie etn gemütvoller Funke i uns übersprang, wahrhaftig satt gesehen. „Die Deutschen ollten in einem Zeitraum von dreißig Jahren das Wort Gemüt nicht ussprechen, dann würde nah und nah Gemüt \ich wieder erzeugen.“ Diese drei Jahrzehnte, von denen Goethe spricht, liegen hinter

uns. Wenn heute Schriftsteller wie Max Brod sentimentalen Bildern das Wort reden freilich noch zögernd, noch in leiht ironisher Form —, und wenn es auf den Leinwänden ultramodern sein wollender Maler, auf den verrannten Er- zeugnissen der Futuristen von literarishen Dingen wimmelt, so kann man selbst darin Anzeichen erblicken, wohin die Entwicklung führt: zu Bildern mit Jahalt, zu der Ausdruckzskunst eines Haider und Thoma. Die Sezession, die mit dieser Thoma-Ausstellung eine Jeutselige Huldigung beabsichtigte, ahnt wahrscheinli gar nit, daß sie damit eine verwegen moderne Tat vollbraht hat, und weiß wahr- \hetnlich nit, daß dieser Expressionismus stärkere Zukunftsmöglich- keiten in fich birgt als alle Bilder der Liebermann- und Corinth- Schule. Dr. P.

A. F. In der legten Sißung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie sprach als erster Vortragender des Abends der Dr. Felix Speiser über seine Forshungsreisen in den „Neuen Hebriden“. Er begleitete seine Mitteilungen durch gute Lchtbilder, die Land und Leute dieser Südseeinseln treflich ver- anschaulihten, die Bevölkerung aber in einem ungewöhnlich tiefen Kulturzustande zeigten. Sie gehört der melanesishen Rasse an, die überhaupt wohl in furzem dem Untergang geweiht ist, weil die Gesamtheit ihrer Kultur Geheim- bünde, Schweineopfer s\o hoffnungslos selbsi den eifrigsten Menschenfreunden erscheint, daß sie dem modernen Verkehr wohl in naher Zeit unterliegen wird. Von etnem ursprünglihen, materiellen Kulturgut dieser Menschen, wie es doch sonst fast überall, wenn auch in bescheidensten Formen, vorhandén ist, hatte der Vortragende deshalb nicht das Geringste zu berihten. Die in der leßten Zeit über die Inseln niedergegangenen furchtbaren Naturereignisse werden den Untergang einer Bevölkerung von ganz hoffnungs- loser Entwicklung voraussichtlich beschleunigen. Als zweiter Nedner \prach unter Begleitung von Lichtbildern Dr. Josef Bayer - Wien über „Die Chronologie der diluvialen Kulturen und Ablagerungen in den Alpen und in Nord- deutshland“. Im Eingang seiner Darlegungen erörterte der Vortragende die zurzeit unter den Geologen ziemlich zwiespältige Ein- teilung des Eiszeitalters: die von A. Penck und F. Wiegers in Berltn und die abweichende der französishen Schule unter Führung von M. Boule und H. Obermaier. Beide Anschauungen find nach Ansicht des Redners in manchen Punkten nicht mehr aufrechtzuerhalten. Seine eigenen Untersuhungen, bestrebt, die Eiszeitprobleme in besseren Einklang zu bringen mit den Ergebnissen geologischer, paläontologisher und Be loaider Forschungen, lehren, daß die älteste, ficher beglaubigte Kultur in die Mindel-Riß-Zwischen- eiszeit zu verseßen ist (PenckX unterscheidet bekanntltch vier Eiszeiten : Würm, Niß, Mindel und Günz, von denen Würm die jüngste, Günz die älteste darstellt). Das wäre mithin die vorlegte Zwiicheneiszett, etne Pertode, die, nah dem Vorkominen von Elephas antiguus und dem Merckschen Nhinozeros zu \schließen, wärmer gewesen sein muß als unser heutiges Klima. In die vorleßte Eiszeit fällt die Kultur des jüngeren Moustérien, in die leßte Zwischeneis- zeit Niß-Würm dagegen des Aurignacien, die Periode, welche die erste Entfaltung diluvialer Kunst aufweist. Der leßten Würm-Ciszeit ent- \priht das Solutréen, dem Nachglazialzeitalter ist hinwteder das Magdalénien, das MRenntierzeitalter par excellence zuzurenen. Zwischen ihm und dem Bühlstadium glaubt der Vortragende keinen erheblihen Zeitunterschied annehmen zu dürfen. Zur Rechtfertigung

seiner Verlegung des Aurignacien in die legtere Zwischeneiszeit, deren -

ganze Dauer es ausfüllte, führt Dr. Bayer die Beobachtung ins Feld, daß das vollentroickelte Aurignacien zwischen zwei Abteilungen des „jüngeren“ Löß liegt, deren erste sich bei Beginn der leßten Zwischeneiszeit gebildet hat, während die andere später zur Zeit des Heranrückens der leßten, der Würmvereisung, entstanden ist. Aehnlich beweist der in die Zeit des heranrückenden Rißeises zu ver- segende „ältere" Löß zugunsten des Acheuléen, als in diese Zeit fallend, was vor allem die Fauna dieser Formation gut erkennen läßt. Wenn Penck und Wiegers das jüngere Moustérien auch der leßten Zwischeneiszeit, statt wie oben der vorletzten Eiszeit, zuweisen, fo liegt, wie der Nedner an den Profilen von St. Acheul und Ahenheim nachzuweisen sih bemüht, eine Verwechselung des Acheuléen der vorleßten Zwifchen- eiszeit mit Moustérien vor. Die Lößfundstelle von Willendorf an der Donau in Niederösterreich zeigt außerdem einwandfrei, daß für ein leßtzwischeneiszeitlihes „warmes“ Moustérten kein Play ist, baß nämlich die vorleßte zwischeneiszeitlihe Antiquusfauna nah der vor- leßten, der Rißetszeit, überhaupt niht wiederkehrt. Die leßtzwischen- ciszeitlihe Fauna besteht aus einer ganz verschiedenen Ttergesellshaft Mammut, Pferd, Hirsch, vollhaariges Nhinozeros alle ausgesprohen arktishen Elemente fehlen. Für die Nichtigkeit dieser Anschauung \priht auch die Ueberein- timmung der alpinen und der norddeutschen Diluvialablagerungen. Es laufen somit parallel die älteste Eiszeit Norddeutschlands mit der zweitältesten, der Mindel-Etszeit der Alpen, alsdann die erste nord- deutsche Zwisch?neiszeit (Berliner Paludinenbank) mit der zweiten alpinen (Mindel-Riß), ferner die zwette norddeut|che Eiszeit mit der dritten alpinen, der Riß - Eiszeit, und die zweite norddeutsche Zwischeneiszeit mit der dritten alpinen (Niß - Würm), end- lih die dritte norddeutsche Eiszeit mit der vierten alpinen, der Würm-Eiszeit. Der Bühlvorstoß in den Alpen entspräche dem- nach der baltischen Endmoräne JFschniß und den süd- und mittel- \{wedis{hen Endmoränen. Der Berliner Geologe und Konchylien- kenner Dr. H. Menzel bestätigte, wie der Nedner hervorhob, bei seiner jüngsten Anwesenheit in Oesterreih diese Beobachtungen rüchaltlos. Beide Forscher werden im laufenden Jahre noch an den wichtigsten österreihishen Kulturstätten des Elszeitalters gemein- same Grabungen ausführen, hauptsählich in Willendorf, um diese Sachlage nach jeder Richtung hin befriedigend aufzuklären. j Diesem beifällig aufgenommenen Vortrage Dr. Bayers folgte eine längere, zustimmende Kundgebung des von ihm angerufenen Landesgeologen Dr. H. Menzel. Dieser brahte noch einige nähere Ausführungen über die paläontologischen Grundlagen der Chronologie des Diluvialmenschen. Obwohl die typolo- gishe Gliederung der Kulturen von den früheren Forschern be- sriedigend festgestellt ist, bleibt doch ihre geologische Stellung noch immer strittig, und auch deren durch Wiegers-Berltn nahdrücklich vertretene Erklärung hat noch keineswegs alle Zweifel zu heben vermocht. Es muß die Paläontologie zu Hilfe kommen und sie vermag wirksame Hilfe zu leisten. Die Tier- welt konnte sich zumeist niht in dem Maße wie der Mensch den wechselnden, klimatischen Verhältnissen anpassen, und, obwohl ih unter den Wirbeltieren Formen von Änpassungsfähigkeit an Kälte- extreme finden, gibt es nur wenige oder keine solche Leitformen für gemäßigtes Klima. Auf Grund der Reste von Wirbeltieren allein war deshalb bisher eine einwandfreie Gliederung der Diluvialshihten niht möglich. Besser hierfür geeignet zeigten sh die Muscheltiere (Konchylien), die \ch in fast allen, außer den rein glazialen, diluvialen Schichten vorfinden. Viel empfindliher gegen Klimaeinflüsse als die Wirbeltiere, bilden gerade sie für den steten Wechsel von „Feucht“ und „Trocken“, von „Warm“ und „Kalt“ etn ausgezeihnetes Erkennungsmittel. Dr. Menzel konnte s{chon mittels der Konchylienfauna eine Gliederung der Spät- und Nach - Eiszeit in Norddeutschland durhführen. Cbenso war es ihm mit Hilfe dieser Konchylienfauna mögli, die Gliederung des nord- und mitteldeutshen Diluviums genau zu verfolgen und zwei in Betracht kommende, fsich zwischen Eiszeiten einshiebende Zwischeneiszeiten zu unterscheiden. Aus dieser Sonderfauna ergibt sich die ältere dieser Zwischeneiszeiten als die längere und wärmere, die jüngere als eine mit gemäßigtem Klima, aber von kürzerer Dauer und vielleiht auch von mehr kontinentalem Charakter. In Norddeutschland liezen diese zwisheneiszeitlichen Bildungen meist zwischen eiszeitlihen Ablagerungen, nur in den Nand- gebieten und in vielen Teilen Mitteldeutslands sind diese Ablagerungen aus der Ciszelt ersezt durch Kies- und Sandabsäße mit eiszettlicher Fauna. Alfo auch hier vermêgen wir aus der einges{lofsenen

Konchylienfauna mit Sicherheit eiszeitliße und zwischeneiszeitlihe Schichten voneinander zu scheiden, ja selbst die Zwischeneis\hichten wissen wir dur besondere Leitformen voneinander zu trennen. Auch die Lößformation ist mittels der Binnenkonhylien näher zu gliedern, ein Ergebnis, das, wle Dr. Menzel bestätigte, dur Dr. Bayer und ihn im Donautale bei Krems und Willen- dorf jüngst erzielt worden ist. Dort zeigt der jüngere Löß unter einer ganz jungen Shwemmlöß- und Verlehmungszone eine Ausbildung als reiner äolisher Löß mit glazialer Fauna, darunter liegt Shwemmlöß geschihtet, Sand und Gerölle eingelagert ent- haltend. In ihm kommt zu oberst noch eine kühle Fauna vor, weiter unten eine gemäßigte mit vielen Schnecken (helix), vor allem Wein- bergschnecken, darunter folgt die von Bayer bestimmte Göttweiger Verlehmungszone und hierunter nochmals äolischer Löß mit glazialer Fauna. Die Aurignaclen-Schihten des Donautales liegen nun oberhalb der Göttweiger Verlehmungszone in denr Shwemm- loß mit Shnecken und reich:n bis an die Basis des jüngeren L0ß hinauf. Jn ihrem unteren Horizont, also durhaus zwischenei8zeitlih, gehören fie in die leßte Zwischen- eiszeit, Niß-Würm, und werden an anderen Orten. von der eten Lößkultur, dem Solutréen, übeclagert. In die Spätgkazialzeit fällt das Magdalénien. Demnach bleibt für Wiegers' „warmes Moustérien“ kein Plaß in der leßten, der Niß-Würm-Zwischeneiszeit, vielmehr ist das jüngere Moustérien tn das Maximum der Niß-Eiszeit zu stellen, das âltere vor dies in die erste Hälfte dieser vorleßten Etszett, welhe noch Neste von gemäßtgter Fauna zeigt und wo glaziale Formen noch zurücktreten. In die zweite Hälfte der Mindel-Niß-Zwischeneiszeit fällt das Acheulóen, in die erste das Chelléen. Somit gelangte Dr. Menzel zu einer Chronologie des Diluvtalmenschen, die mit der von Dr. Iosef Bayer aufgestellten fast in allen Punkten genaue Ueber- einstimmung ergab.

Literatur.

Walter von Molo: Die Freiheit. Sgillerroman 3. Band. Preis geheftet 4 #4, gebunden 5 4. Verlag von Schuster u. Loeffler, Berlin W. Ergreifend nahe bringt uns Walter von Molo im? 3. Band seines Werkes den s{chwerkranken, um feine Jdeale ringenden Schiller. Weimar mit Goethe und seinem Kreise steht vor uns in packender, lebendiger, bis ins kleinste charafterisierter Weise auf. Wir erleben Schillers Ehe, lernen seine treue kleine Lotte lieben und fühlen mit diesen beiden Menschen die bitterste Not körperlißen und seelischWen Darbens mit. Neben tiefem Ernst gibt uns dies Buch aber auch eine Fülle der humorvollsten Szenen, die Zeichnung derber und drolliger Ge- stalten, wie z. B. des Vaters Kaspar Schiller. Den alternden Goethe erblicken wir bei Beginn des Nomans in ferner Einsamkeit von Schillers Lebenshorizont und mit Spannung erleben wir dann die Annäherung dieser beiden entgegengeseßten und doch zu har- monischer Ergänzung bestimmten Geister am Schluß des Bughes, dessen Stil gewachsen ist mit Schillers entwickelter Wesenêart.

Lundowsky: Menschen Il. Bd. Frauen. Geheftet 5 6, gebunden 7 4. Xenienverlag in Leipzig. Die Hheroishe Frau, die, über das Ge\shlehtlihe hinauswachsend, etn Vollmensh wurde, ist es, der Lundowsky in dem 2. Bande feines mit Begeisterung für alles Hohe und Große geschriebenen Werkes ein Denkmal seßt. Mit liebevollem Verstehen zeichnet er die verschiedensten Frauengestalten, von der urwüchsigen Liselotte, Herzogin von Orleans, bis zu Gertrud Prellwiy, der modernen, nach Wahrheit strebenden Dichterin. Lebenévolle Porträts der betreffenden Frauen führen uns in jedes “neue Lebensbild ein, und in buntem Wechsel ziehen Gestalten von größter Eigenart an uns vorüber, die thre fraulihe Veranlagung zu höchster Entwicklung brahten. Voll Interesse wird man auch dem Abschnitt über die Frauenbewegung folgen, in dem Lundowsky den Frauen vollste Gerechtigkeit zuteil werden läßt, thnen zugleih aber auch die Beschränkung zeigt, in der fie Meisterinnen werden können und follen zum Segen für die Menschheit, der Mann und Weib, gleihwertig, doch nicht gleichartig, dienen sollen.

Oszcar My sing: Der fremde Vetter. Skizzen aus England. Preis 3 S. Nerlagsbucbbandlung Alfred Schall, Berlin. Berein der Bücherfreunde. Sehr unterhaltsam und dabei bildend find diese Skizzen, die Mysing zuerst in der „Kölnischen Zeitung“ als feuilletonistisher Berichterstatter veröffentlihte. Sein fließender Stil sowie seine Begabung, vom Einzelnen aus das Ganze zu beleuhten, die Fähigkeit, nicht nur {arf und ernst zu beobachten, sondern auch heiter und wißig plaudern zu können, geben dem Buch entshieden Anztehungskraft. Dhne jemals ermüdet zu werden, erhalten wir etn Bild des modernen Englands bis zu intimen, charakterischen Einzelheiten, und wir folgen dem Ver- fasser ebenso gern, wenn er Einzelfiguren aus dem Alltagsleben \hildert, als wenn er Fragen der großen Politik in den Kurs feiner Erörterungen zteht.

Technik,

Aus der Geschichte der Färberei. Daß die Färberet zu den ältesten Gewerben gehört, ist begreiflich, denn zunähst bedurfte es zu ihrer Entstehung wohl kaum einer eigenen Erfindung. Es war ein etnjaher und fast selbstverständliher Vorgang, wenn der Véensch irgend einen farbigen Stoff von genügender Lockerheit fand, daß er ihn auf irgend einen Gegenstand seines Gebrauhs zu übertragen suchte, um diesem ein hübscheres Ansehen zu geben. Die Benußung insbesondere der natür- lien Ockererden mußte dem Menschen {hon sehr früh etnfallen und sie reiht weit in die vorgeshichtlihe Zeit zurück. Wurden doch folche Farben, die feiner weiteren Zurichtung bedurften, vom vor- geshihtlihen Menschen sogar hon zum Malen benußt, wte die Wandbilder in manchen Höhlen, namentli}z Südfrankreihs, be- weisen. Etne derartige Verwertung natürliher Farbstoffe kann freilich noch nicht Färberei oder gar Färbekunst genannt werden. Immerhin bestand eine solche als Gewerbe im alten Aegypten wahr- \chetnlich \{chon 3000 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Von diesen Anfängen aber bis zur Färberet der Neuzeit und gar der Gegen- wart ist ein weiter Weg, denn eine Unzahl von Kom- binationen zwtishen Färbemitteln und Stoffen, auf die fie übertragen werden follten, blieb dem Menschen zu untersuchen. Für die Geschihte der Färberet im Altertum ist man haupt- \ächlich auf die erhaltenen Schriftsteller angewiesen. So ist es interessant, im alten Plutarch, der im ersten Jahrhundert n. Chr. lebte, {hon die Erwähnung eines Ausdrucks zu finden, der ungefähr der deutshen Bezeichnung „in der Wolle gefärbt" entspriht. Noch heute wendet der Sprachgebrauch diese Redensart in etgentlihem und übertragenem Sinne an, um eine echte und dauerhafte Färbung zu kennzelhnen. Im Englischen sagt man dafür „im Korn gefärbt“, und das verweist auf den Ursprung des Verfahrens. Mit dem Korn ist nämlich das Scharlahkorn oder dié Scharlachbeere gemeint, die seit alter Zeit zum Färben gedient hat. Vom älteren Plintus er- fahren wir weiterhin, daß in derselben Zeit des römischen Kaiserreichs schon die Anwendung von Beizmitteln mit Alaun und Eisen bekannt war. In anderen Ländern aber ist die Entwicklung eine andere und frühere gewesen. So foll die Färbekunst in Persien ins graue Altertum zurückgehen. Uebrigens hat \sich in Persien bis auf den beutigen Tag die Sage erhalten, daß Jesus Christus ein Färber ge- wesen sei und etne regelrechte Lhre in diesem Gewerbe durchgemacht habe. Diese Ueberlieferung hat si derart befeitigt, daß in Persien die Färber noch heute Christus zum Schußzheiligen haben, obglei sie Mohammedaner sind, und nah einem jeßt freillch verschwundenen Brauch wurde: eine Färberei in Perfien „eine Werkitatt Christi" ge- nannt. Die ersten etgentlihen Kärbereien, also Häuser, die aus- {liel zum Färbereibetrieb ausgenußt wurden , hat es in Europa erst seit dem 8. Jahrhundert gegeben, und zwar zuerst tn Jtalien. Die älteste Gilde von Schwarzfärbern wurde in Deutschland im Laufe des 10 Jahrhunderts errichtet. Jm Mittel- alter war die Stadt Jerusalem die rihtige Umgebung und der Siß einer berühmten und etnträglihen Färberet, die hauytfächlich von Juden ‘betrieben wurde. Daß die Technik auf unsicherem Fuße stand und häufigen Schwankungen unterlag, kann niht wunder- nehmen, da sie eigentlih ohne jede Kenntnis der Chemie in der Luft