1895 / 172 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 22 Jul 1895 18:00:01 GMT) scan diff

Großbritannien uud Jrland.

Der Sohn des Emirs von Afghanistan hat sich am Sonnabend Nachmittag in Windsor von der Königin verabschiedet. Auf dem Bahnhof war eine Ehrenwache auf- gestellt. Die Audienz dauerte etwa 20 Minuten und trug einen sehr herzlichen Charakter. Die Königin überreichte dem Prinzen einen eigenhändigen Brief, welcher die Aufschrift trug: „An Seine Hoheit den Emir, meinen geshäßten Freund und Bundesgenossen“. Der Prinz wird England Ende Zuli ver- lassen und von Dover nah Calais in einem Spezialdampfer fahren. Die Weiterreise erfolgt über Brüssel, Paris, Venedig und Egypten. : 8

Bis Sonnabend Abend waren gewählt: 343 Unionisten, 99 Liberale, 6 Parnelliten, 50 Anti-Parnelliten und 2 Mitglieder der Arbeiterpartei. Die Unionisten haben bisher 81 und die Liberalen 16 Sitze gewonnen. Der Erste Lord der Admiralität Goschen wurde wiedergewählt. Den Sit für Roxburgh gewann der Earl of Dalkeith (lib. Unionist). Jr Bigleswade (Bedfordshire) siegte Lord Alwyne Compton (lib. Unionist) über den Liberalen George Russel.

Frankreich,

Der Minister-Präsident Ribot traf gestern Vormittag in Saint-Pol (Departement Pas-de-Calais) ein, um der Eröffnungsfeier des neuen Collège beizuwohnen. Beim Empfange gab der Erzpriester seiner Achtung vor der be- stehenden Gewalt Ausdruck. Der Minister-Präsident Nibot erwiderte, die Regierung sei bestrebt, niht nur die Gewissens- freiheit aller Bürger zu shüßen und zu achten, sondern au dem Klerus seine Mission zu erleihtern. Jn einer später ge- haltenen Rede feierte der Minister-Präsident eine Politik der Einigung im Jnnern und der Festigkeit in den auswärtigen Angelegenheiten, bei denen die Freundschaft einer großen Nation eine Becht für die Würde und die Sicherheit Frank- reis sei. j)

Rußland.

Der Großfürst-Thronfolger wird voraussihtlich am 19./31. Juli von Abbas-Tuman nah Peterhof und von dort mit der Kaiserin-Mutter nah Dänemark reisen. Nach Abbas-Tuman wird der Großfürst-Throufolger niht vor Sep- tember zurückehren. ; .

Die Königin von Griechenland traf gestern Abend in Pawlowsk bei St. Petersburg ein.

Wie der „Grashdanin“ von heute meldet, sind die Ver- Handlungen wegen des Abschlusses des russisch-griechischen Handelsvertrags beendet. Der Vertrag wird auf zehn Jahre abgeschlossen werden. Die Zölle auf russishes Getreide sollen unveränderlich fest bestimmt werden; für das russishe Kerosin soll in Griechenland das Monopol eingeführt werden. Die genannte Zeitung verspriht sih hier- von eine Verdrängung des amerifanishen Petroleums vom griehishen Markt zu Gunsten des russischen. i

Die bulgarisde Deputation hat vorgestern Abend ihre Rückreise über Moskau, Kiew und Wien angetreten. Der Sekretär des slavishen Wohlthätigkeitsvereins, mehrere ZFournalisten und Vertreter der bulgarischen Kolonie fowie der bulgarischen Studenten in St. Petersburg - gaben der Depu- tation das Geleit zum Bahnhof. i j /

Die amtliche Ene Wjedomosti“ (Kirchenzeitung) veröffentliht den Wortlaut der Rede, welche der Ober- Profurator des heiligen Synod Pobjedonoszew am 4./16. Juli an den bulgarishen Metropoliten Clement richtete; dieselbe lautete: :

Wir begrüßen Sie, hohwürdiger Erzbischof, und freuen uns Ihrer Anwesenheit unter uns; wir freuen uns deshalb, weil wir in Ihnen den Repräsentanten Ihres Volks erblicken in dem wahrsten und uns symvathis{sten Ausdrucke seiner Seele, im orthodoxen Glauben, dur welchen Sie, wir und alle demselben treue Slaven leben, uns bewegen und sind. Nur durch diesen Glauben kann jeder slavishe Stamm ge- festigt sein, in ihm allein Schuß vor seinen Feinden und vor seinen falschen Freunden finden, welhe noch gefährlicher als Feinde sind. Und nun, wenn man Sie nah Ihrer Rückehr in die Heimath fragen sollte, was das glaubensgenössishe Rußland Bulgarien wünschte, so jagen Sie: Es wünscht dem bulgarischen Volke Festigkeit im ortho- doxen Glauben, Wahrung der guten, väterlihen Sitten und eine Regierung, deren Seele sich mit dem Volke gemeinsam in dem ortho- doren Glauben vereine.

Den St. Petersburger Blättern zufolge ist die von dem General-Gouverneur gemachte Vorlage, betreffend die Ver- ftärkung des Wachtdienstes ander chinesischen Grenze im Ussuri-Gebiet durch Ansiedelung von Kosaken aus dem europäischen Rußland, welchen erheblihe Privilegien einge- räumt werden, genehmigt worden.

Jtalien.

In der vorgestrigen Sißzung des Senats richteten die Senatoren Pa Costa, Pierantoni, Canonico und Bartoli gelegentlich der Berathung des Justiz- budgets eine Anfrage über den Prozeß Giolitti an die Regierung mit dem Ersuchen, daß dieser Prozeß nicht suspen- diert bleibe. Der Justiz-Minister Cal en da erwiderte mit einer geshichtlihen Darlegung der Sache, indem er hervorhob, daß der Staatsanwalt der Ansicht gewesen sei, daß er nach dem Erkenntniß des Kassationshofes in dieser Angelegenheit nichts mehr zu thun habe. Die Regierung habe im Hinblick auf die parlamentarishen und politishen Verhältnisse diese Frage nit vor die Kammer bringen können. Der Prozeß habe seinen regelmäßigen Verlauf in voller Unabhängigkeit und unter Berücfsihtigung aller Prärogativen genommen. Nah dem Urtheil des Kassationshofes habe der Prozeß keine juridishe Existenz mehr. Parenzo und Canonico beantragten darauf eine Tagesordnung dahin gehend, daß die Frage des Prozesses Giolitti zum Austrag

ebraht werde. Der Minister-Präsident Crispi forderte den Erna auf, diese Tagesordnung abzulehnen und fügte hinzu: die rihterlihe Behörde habe ihre Pflicht gethan : Giolitti habe die Kompetenzfrage aufgeworfen, der Kafssationshof gane Giolitti Recht gegeben. Jn der gegenwärtigen kurzen Session

be die Regierung die Frage wegen der Kompetenz

Kammer in dieser Angelegenheit nicht aufwerfen können, das heiße aber ncht, den Prozeß ersticken oder die Justiz aufheben. Wenn es das Recht der Regierung sei, die Kompetenz der Deputirtenkammer in dem Prozeß an- zuregen, so hätte das auch scitens der Kammer vin oder durch die -bei dem Prozeß betheiligten Parteien ge]hehen können. Die Juftiz könne unabhängig von der Exefkutivgewalt ihren Weg nehmen: im geeigneten Augenblick werde die Regierung die Frage vor die Kammer bringen und ihre Pflicht thun. Die Tagesordnungen wurden darauf zurückgezogen.

sie dem Selef

Gegen Ende der vorgestrigen Sißung der Deputirten- kammer erklärte der Minist er-Präsident Crispi in Er- widerung auf mehrere Anfragen über die von Cavallotti beim Staatsanwalt gegen ihn eingereihte Anzeige, daß er niht die Pflicht habe, auf diese Anfragen inhaltlih zu ant- worten. Nah dem Kammervotum vom 22. Juni sei dieses Argument erschöpft. Die Cregeltellex beharrten darauf, daß das Haus darüber entsheide. Der Justiz-Minister Calenda erklärte auf ähnlihe Anfragen, er ne nicht, ob die Anzeige Cavallotti’s an eine Gerichtsbehörde gelangt sei; wenn dies der Fall sei, so werde die Behörde wissen, wie gemäß zu handeln habe. Nach einer Replik der Fragesteler war der Zwischenfall erledigt. Jn seiner estrigen Sißung béendigte das Haus die Berathung der Fin anzmaßnahmen und wird heute in die Diskussion über die Maßnahmen bezüglih des Schagzes eintreten.

In Palestrina (Provinz Rom) drang gestern die Be- völkerung in die Bureaux der Gemeindebehörde und zerstörte die Möbel und die Akten. Die Ordnung wurde von der be- waffneten Macht wiederhergestellt. Der Grund der Ruhe- störung war die Anwendung der Bestimmungen über die Gemeindesteuer.

Belgien.

Als ü der König gestern in Brüssel nah der Lokal- Ausftellung in der Vorstadt Saint-Gilles begab, rief, wie „W. T. B.“ berichtet, bei seinem Vorüberfahren eine kleine Gruppe von Sozialisten: „Nieder mit dem Schulgeseh !“

Türkei.

Der Khedive nahm am Freitag das Diner im Yildiz- Palast ein. Vom Sultan wurde ihm der Nischam-Jmtiaz- Orden verliehen.

Griechenland.

In der Deputirtenkammer brachte vorgestern der Minister-Präsident Dely annis eine Vorlage ein, dur welche der Ausfuhrzoll für Korinthen um 4 Drachmen für je 1000 1 herabgeseßt wird und die Exporteure zur Zurückhaltung von 15 Proz. der ausgeführten Korinthen verpflichtet- werden. Die Kammer hat die Vorlage im Prinzip angenommen.

Nach einer Meldung der „Politishen Correspondenz“ aus Athen wäre das Kabinet Delyannis fest entschlossen, jedem bedenklihen Umsichgreifen der philomacedonischen Bewegung in Griechenland und speziell dem Uebertritt bewaffneter Banden nah Macedonien nahdrücklist en t- gegenzutreten. Die Pforte habe von dieser Seite keine Verlegenheiten zu erwarten.

Serbien.

Die Anfrage des Abgeordneten Pawlowic über den Protest Hoskier’s hat der Finanz-Minister Popowic am Freitag dahin beantwortet, daß der Protest bestehe und die Re-

ierung alles Nöthige thun werde. Vor der Abstimmung

Bat Der Unie Gesandte Patrimonio auf Befehl einer Regierung bei dem Minister - Präsidenten betreffs es Protestes Hoskier's gegen * die Konversion Einspruch erhoben und die Ausschließung der Hoskier’shen Anleihe von der Konversion verlangt, weil Hoskier ein Spezialpfand habe. Der Minister-Präsident Nowakowic habe geantwortet, er fönne nichts thun, da die neue Konversion den faktishen Werth des Hosfkier schen Pfandes nicht verkleinere, sondern durch die neue Monopolverpfändung vergrößere.

Jn ihrer vorgestrigen Abendsizung hat die Skupschtina die Konversionsvorlage in der Spezialberathung mit großer Majorität angenommen. Die ersten vier Artikel wurden ohne Aenderung genehmigt. Jm Artikel 5 wurde ein Passus über ein siebentcs Mitglied für die autonome Monopolverwaltung hinzugefügt. Ergänzungen und Aende- rungen erfuhren: Artikel 10, betreffend die Stellun der Rechnungskontrole unter den Ober - Recbgutasd des Staats, und Artikel 19, betreffend die Einzelbestim- mungen der Kotierung der Obligationen in Deutschland, D -. und Oesterreich-Ungarn. Art. 21 ist fortgefallen.

rt. 22 bestimmt, daß bei Steuerfreiheit der Loostitres und Be- zahlung aus den Monopolen eine Reduktion der Zinsen auf 2 Proz. eintreten solle. Am Schluß wurden noch zwei neue Artikel an- gefügt, denen zufolge die Verjährungsfrist der Kupons 5 Jahre, die der Obligationen 30 Jahre beträgt. Der Emissionskurs wird seinerzeit durch die Regierung und einen Skupschtina- Ausshuß von 5 Mitgliedern festgestellt werden. Nachdem noch am Sonnabend Abend die Sanktion des Geseßzes durch den König erfolgt war, ist dasselbe gestern amtlich veröffentliht worden. ** Zur Interpellation des Krondeputirten Curcic über die macedonishe Bewegung, welhe dem Ausschuß über- wiesen war, erflärte der Minister-Präsident Nowakowic, er finde die Beantwortung aus politishen Rücksichten nicht opportun. Der Aus\{huß empfahl in seiner Erklärung der Skupschtina, über die Jnterpellation zur Tagesordnung über- zugehen; die Skupschtina hat diesen Antrag vorgestern ange- nommen.

Bulgarien.

Die „Agence Balcanique“ meldet, der Prinz Fer- dinand habe am Sonnabend an den Minister - Präsidenten Stoilomw einen Erlaß telegraphiert, worin er betonte: Er habe im Einverständniß mit dem Minister-Präsidenten vor der blut- befleckten Bahre die Meinungsverschiedenheiten, welche ihn und Stambulow getrennt hätten, vergessen und dem Todten ein nationales Begräbniß erweisen wollen; allein die un- qualifizierbare Haltung der Familie, deren \chrecklichen Schmerz er verstehe und achte, ferner die seinen loyalen und pietätvollen Schritten gegenüber von den Partei- pern des Todten im Lande ausgestreuten unerhörten Be- \huldigungen und die namenlosen, in fast ganz Europa gegen ihn und Stoilow gerichteten Angriffe legten ihm zu seinem aufrichtigsten Bedauern die gebieterishe Pflicht auf, Stoilow anzurathen, daß er sih gleih ihm formell jeder Theilnahme an dem SeicGenbegänguik enthalte. Er sei [darauf gefaßt, daß eine feindselige Meinung hierin neue Vorwände zu Anklagen finden werde, er halte aber diese Entschließung der Ehre des Herrschers und des Ministers würdig, und er sei mehr als je solidarisch mit seinen aufgeklärten und getreuen Rathgebern. Stolz darauf, mit ihnen die Last des Miß- trauens und der Ungerechtigkeiten zu tragen, und stark dur die Aufrichtigkeit einer liberalen und aufgeklärten Politik, deren Früchte zu reifen Aen, warte er ruhig die Be- shwichtigung des Sturms ab, indem er nit zweifle, daß die Regierung bis ans Ende durch die Entdeckung und exemplarische Bestrafung der Mörder Stambulow’s ihre Pflicht thun

werde. Auf Wunsh dcs Prinzen Ferdinand fand in Karlsbad vorgestern um 4 Uhr Nahmittags in der dortigen russischen Kirche ein feierliher Trauergottesdienst für Stambulow statt, welhem der Prinz Ferdinand mit sämmt-

‘lichen Herren seines Gefolges, sowie eine Anzahl dort zur Kux

sih aufhaltender Persönlichkeiten aus Bulgarien beiwohnten.

Ueber das LeichenbegängnißStambulow's am Sonn- abend liegt folgender Bericht des „W. T. B.“ aus Sofia vor:

Schon lange vor 2 Uhr Reg, der für das Leichen- begängniß fesigeseaten Zeit, \trömten die Theilnehmer an der Feier- lihkeit in großer Zahl herbei. Mehr als 300 Kränze waren an dem Sarge niedergelegt, darunter diejenigen des Kaisers von Oester- rei, des Königs. von Rumänien, der Königin von England, ver Stadt Rom und der Anhänger Stambulow's aus allen Städten Bulgariens. Eine Anzahl Städte und Vereinigungen waren dur Depu, tationen vertreten. Jn dem Trauerzuge befand sich weder ein Staats- noch ein Hofbeamter. Der Metropolitan Parthenios, umgeben von zahlreichen Geistlichen, segnete ‘die Leiche cin. In zwei Reihen dahinschreitende Kinder trugen die Kränze. Die gange Geistlichkeit von Sofia schritt dem Leichenwagen voran; demselben folgten die Angehörigen und die intimen Freunde Stambulow's, darunter Petkow, unmittelbar dahinter das diplomatishe Korps, die Vertreter der Presse, die Depu- tationen, viele Bewohner von Sofia und eine sehr große Zahl von Zufchauern. Vor dem Hause Stambulow's war keine Polizei ausgestellt. Der Zug schritt, umdrängt von der Menge, nur langsam vorwärts. An der Stätte des Attentats, welche sich in derselben Straße befindet, hielt der Zug an. Nachdem ein Gebet gesprechen war, begann Pet kow eine Ansprache, indem er sagte: „An dieser Stätte fiel der beste Mann, der soviel für das Vaterland gethan hat, unter den Streichen bezahlter Mörder.“ In diesem Augenblick rief jemand aus der Menge: „Du lügst !“ Ein schrecklicher Wirrwar erfolgte. Die Knaben ließen, schreiend vor Schreck, die Kränze fallen, der ganze Zug stürzte nah den Trottoirs; mebrere Perfonen wurden umgerannt. Die Polizei stellte die Ordnung wieder her. Ein Polizeioffizier erklärte, er sei zur Eskorte des Trauerzuges entsandt, damit derselbe nicht dur die Zuschauer gestört werde. Infolge dieses Zwischenfalls ging der Zug niht vor dem ehemaligen Regentschaftspalais vorbei, vor welhem Reden gehalten werden sollten, fondern begab si direkt zur Kirhe. Diese war bald überfüllt, sodaß die meiften Theilnehmer an der Leichenfeier außerhalb der Kirche Auf- stellung nehmen mußten. Die religiöse Zeremonie war sehr kurz. Da man weitere Ruhestörungen befürchtete, wurden weder in der Kirche noch auf dem Friedhofe Reden gehalten. Der Sarg wurde ab- wechselnd von je vier Freunden Stambulow?s getragen. Die Straße bis zum A war von einer nach vielen Tausenden zählenden Menge beseßt, welche den Zug bis nah dem eine Stunde entfernten Friedhof begleitete. Auch die diplomatischen Agenten gingen zu Fuß mit zum Friedhof, der militärisch und polizeilich beseßt war. Hier wurde nah geschehener Einsegnung der Sarg niedergestellt. Alsbald ertônten im Rücken der Polizei Pfiffe und lautes Geschrei,. sodaß berittene Gendarmen die Ruhe wiederherstellen mußten. Am Grabe ward keine Rede gehalten. Nachdem die religiöse Bes stattungszeremonie beendet war, ertönlen auf ter anderen Seite des Kirhhofs Musik und Freudenrufe. Die gesammte Polizei begab fh sogleich dorthin, eine Menge Neugieriger folgte. Dort feierten an den Gräbern der infolge des Beltschew - Prozesses Hinge- richteten die Sozialisten und andere Gruppen den Tod Stambulow's. Nach einer gegen das Andenken Stambulow's gerichteten leidenschaft- lichen Nede folgte die religiöse Zeremonie der Einsegnung der Gräber; sodann wurden abermals Reden gehalten, darunter von dem Direktor des Bureaus der Sobranje Kirdejaw. Die Polizei sah #sich nicht veranlaßt, einzuschreiten. Bei der Rückkehr der Volksmenge von dem Leichenbegängniß kam es zu Kun d- gebungen vor dem französischen Konsulat. Eine Gruppe von Leuten, welche dem französischen Konsul für die Haltung der französi- {hen Presse anläßlich der Ermordung Stambulow's Dank bezeigen wollten, wurde durch die Polizeimannschaft und Kavallerie aus- einandergetrieben. Ein nach Sofia entsandter Berichterstatter des Wiener „Fremdenblatts" führt die bei dem Leichenbegängniß entstandene Panik darauf zurück, daß die Anhänger Stambulow?s und die Kawassen der Konsulate zum eigenen Schuß gegen die andrängende Volksmenge ihre Revolver gezogen hâtten; geschossen habe man indcfsen niht. Der rumänishe und der serbische Vize-Konsul seien im Ge- drânge niedergeworfen und mit Füßen getreten worden.

__ Die Untersuchung gegen die Mörder Stambulow's wird, nah einer Meldung des „W. T. B.“ aus Sofia von heute, eifrig fortgeseßt. Es bestätigt sih nit, daß Bone Georgiew ein Geständniß abgelegt hat, derselbe ist indessen s{hwer belastet und bleibt in Untersuchungshaft, MRL en Tüfektshiew. Nah Angabe der Untersuchungsbehörde schließen sih die Jndizien gegen Halew, welchen Stambulow als den Haupturheber des Ueberfalls bezeichnete, täglich enger usammen. Der dritte Mitschuldige soll der Macedonier

thanas sein, der gleich Halew unauffindbar ist.

Schweden und Norwegen.

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Christiania hätte der König den ehemaligen Minister Thorne mit der Bildung des neuen norwegischen Kabinets beauftragt. Thorne soll dem Vernehmen nah den Auftrag angenommen haben.

Amerika,

Dem „Temps“ wird aus Madrid gemeldet, daß die Anführer der cubanischen Aufständishen Maceo und Gomez alle ihre Truppen um Bayamo vereinigt hätten, wo der Marschall Martinez Campos von ihnen eingeschlossen sei. Eine amtliche, in Madrid eingetroffene Depesche aus Havanna vom Sonnabend bringt die Nachricht, daß die Truppen des Generals Navarro am Freitag früh von Manzanillo nach Bayamo abmarschiert seien. General Valdes meldete am 18. d. M., daß er unverzüglich nah Ba yam o aufbrechen werde. Jn Paris is gestern die Nachricht eingegangen, daß der General Navarro mit 2000 Mann in Bayamo eingetroffen sei. Ein entscheidendes Gefecht gelte als bevorstehend. :

Die Absendung von Verstärkungen nah Cuba wird in Madrid rash gefördert. Mitte August werden 20 000 Mann Jnfanterie, 1250 Mann Kavallerie, 1200 Mann Artillerie und 1000 Mann Genietruppen dahin abgehen. Der Ministerrath wird, dem „W. T. B.“ zufolge, heute die Ens der ersten Reserve der Jnfanterie be-

ießen.

Die „New-York World“ berichtet, daß nach einem Telegramm aus Carácas in Venezuela eine Erhebung ausgebrochen sei und die Aufständis oar von Valencia die Regierungstruppen unter Oberst Ybarra besiegt hätten. Dabei seien auf Seite der leßteren 20 Mann getödtet und 50 verwundet worden.

: Afrika. Wie dem „Reutershen Bureau“ aus Tanger

gemeldet wird, flößt die Lage in Saffi grobe Besorgniß eôn; cine

roße Anzahl Aufständischer befinde sich in der Nachbar- schaft von Saffi und ein Zusammenstoß werde erwartét. Dic Geschäfte sollen stocken und die Läden geschlossen sein.

. Regelun

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Nach Art. 7 des Handelsgeseßbuchs kann eine Ehefrau ohne Einwilligung ihres Ehemanns niht Handelsfrau sein. In Bezu auf’ diese Bestimmung hat das Reich8geriht, 1V. Zivilsenat, dur Urtheil vom 14. “Február 1895 ausgesprochen, daß zwar weder die fehlende Einwilligung des Ehemanns dur den Richter ergänzt werden kann, noch der vem Ehemann erklärte Widerruf der von ihm ertheilten Genehmigung vom Richter aufgehoben werden kann, daß aber während des hescheidungsprozesses durch einstweilige Verfügung des Richters die Chefrau zum Weiterbetrieb ihres Handel: geschäfts für die Dauer des Prozesses, troß des vom Manne erklärten Widerrufs der ertheilten Ein- willigung, ermächtigt werden kann. „Wenn der Art. 7 Abs. 7 des Page cus bestimmt: eine Ehefrau könne ohne Einwilligun ihres Ehemanns nicht Handelsfrau sein, so ergiebt si hieraus, da die Ebefrau nur mit Einwilligung des Ehemanns Handeléfrau werden tann, daß sie aber auch aufhört, Handelsfrau zu sein, wenn der Mann die Einwilligung widerruft. Die Ertheilung und der Widerruf der Einwilligung unterliegen sonach in Ansehung der Rechtswirksamkeit derselben rechtlihen Beurtheilung. Es is nun dem Berufungsrichter darin beizutreten, daß das Handelsgesezbuch davon ausgeht, daß die Entshließung des Ehemanns nach beiden Richtungen in fein freies Ermeffen gelegt, und daß desbalb sowohl die Eroonguns der feblenden Einwilligung als auch die Aufhebung des vom Mann erklärten Widerrufs der ertheilten Einwilligung dur den Richter ausgeschlossen ist. Jene Vorschrift des Handelsgeseßbuchs ist aber nicht unbedingt zwingender Natur und findet keine Anwendung in einem Falle der vorliegenden Art, wenn die Eheleute im Scheidungs- prozesse stehen und es sich um die Regelung eines für die Dauer des Prozesses herzustellenden, einstweiligen Zustandes handelt, die den Zweck verfolgt, die Ehefrau gegen Nachtheile zu sichern, die der Ehe- mann ihr in böslicher Absicht dur den Widerruf der ihr zum Be- trieb eines R t ertheilten Genehmigung zufügen will. Das Handelsgeseßbuch jat nur geordnete ebelide Verhältnisse im Auge, und von seinem Standpunkte aus ist der unredliche Widerruf der der Ehefrau gegebenen Erlaubniß zur Führung eines Handelsgeshäfts durch den Ehemann bei aufrechter Ehe überhaupt nicht denkbar. Der Art. 7 a. a. O. \teht daher dem Antrage der Klägerin nicht entgegen. . . . Die auf Grund der Gefezesvorschrift des § 819 der Zivilprozeßordnuxg zum Zwecke der eines einstweiligen Zustandes im Ehescheidungéverfahren zu erlassenden einstweiligen Verfügungen sind in Betreff des Gegen- stands nicht eingeshränkt. Sie können sich auf sämmtliche den Ébe- leuten gegeneinander zustehenden Rechte, also auch auf die dem Ebemanne kraft seiner eheherrlißen Gewalt gegen die Ehefrau zu- kommenden Rechte erstrecken, sodaß das hier streitige Ret aleichfalls Gegenstand einer einstweiligen Anordnung sein kann.“ (169/94.)

Entscheidungen des Ober-Verwaltungsgerichts,

Die Vorschrift des § 7 des Kommunalabgabengescßes vom 27. Juli 1885, betreffend die Vertheilung des gemeinde- steuerpflihtigen Einkommens aus dem Besitz oder Betrieb einer L über mchrere Gemeinden erstreckenden Gewerbe-, Bergbau- oder ifenbahnunternehmung (welche mit § 47 des neuen Kommunal- abgabengeseßes vom 14. Juli 1893 übereinstimmt), findet, nah einem Urtheil des . Ober-Verwaltungsgerihts, 11. Senats, vom §8. Mat 1895, ebenso auf Forensen wie auf Gesellschaften und juritishe Personen Anwendung. In Bezug auf den in diesen Paragraphen gemachten Unterschied zwishen Versicherungs-, Bank- und Kreditgesch äften einerseits, wobei die Vertheilung nah Verhältniß der in den einzelnen Gemeinden erzielten Bruttoeinnahmen erfolgt 7a), und den übrigen Fällen andererseits, wobei die Verthei- lung nah Verhältniß der in den einzelnen Gemeinden erwachsenen Betriebskosten erfolgt 7b), hat ferner das Ober-Verwaltungs- gericht in derselben Sache ausgesprochen, daß bei einem Unternehmen, welches neben dem Bank-, Kredit- oder Versicherungsgeschäft noch ein anderes Geschäft betreibt, stets die Vertheilung nah Verbältniß der Betriebskosten (§7b) zu erfolgen hat, es sei denn, daß das andere Geschäft gegenüber dem Bank-, Kredite oder Versicherungsges{häft nur in vershwindendem Umfang betrieben wird. Die Theilhaber der Handelsgefellshaft A., welhe in Berlin und in einer Zweig- niederlassung zu N., einer pommerschen Stadt, ein Bank-, Getreide- und Wollgeshäft betreibt, Hugo A. und Franz M., haben ihren Wohrsiß zu Berlin und wurden in N. als Forensen zu der Gemeinde-Einkommensteuer pro 1893/94 (140% der Staats-Ein- fommensteuer) herangezogen. Der Magistrat zu N. brate bei ihnen den Vertheilungsmaßstab des § 7b des Kommunalabgabengeseßes vom 27. Juli 1885 zur Anwendung, wogegen A. und M. allenfalls den Maßstab der Bruttoeinnahmen 7a) in Anspruch nahmen, be- bauptend, daß die Gesellshaft vorzugsweise Bank- und Kredit- geschäfte betreibe. Das Ober-Verwaltungsgeriht erachtete den Vertheilungsmodus des Magistrats für berebtigt, indem es begründend ausführte: „Dem Vorderrichter ist unbedenklih darin beizutreten, daß §7 a. a. O. nah seinem Wortlaut auf alle im § 1 daselbst genannten Abgabepflihtigen, insbesondere also auch auf die im S T Ab, 3 aufgeführten Forensen sich bezieht. Es ist hier ein alle Fälle um- fassender Vertheilungsmaßstab geseßlih vorgeshrieben, und es kann daber den Klägern nicht gestattet werden, statt ihn anzu- wenden, nah eigenem Ermessen eine Ermittlung des in der einen und der anderen Gemeinde erwahsenden Einkommens zu unternehmen. Das bloße Ueberwiegen der Bankgeschäfte ohne jeden näheren Anhalt reiht nit aus, die Regel des § 7b zu verlassen und nur mit dem § 7a zu rechnen. Daß der § 7b der Negelfall ist, bringt das Gee dadurch zum Ausdruck, daß den Versicherungs-, Bank- und Kreditgeschäften alle übrigen Fälle gegenübergestellt werden. Möchte es dann vielleiht nicht ausgeschlossen sein, ein Ge- schäft, welches in verschwindendem Maße neben dem Versicherungs-, Bank- und Kreditgeshäft in ein anderes Gewerbe übergreift, allein unter den § 7 Litt. a. zu fubsumieren, so ist doch für einen der- artigen Thatbestand hier nihts beigebraht.“ (II. 716.)

Éin

Statistik und Volkswirthschaft,

Zur Arbeiterbewegung.

Aus Flensburg wird der „Köln. Ztg.“ zum Ausstand der Maurer berichtet, daß der dortige Magistrat um Vermittlung in der Streitsache angegangen worden sei;

In Leipzig verhandelten, wie die „Lpz. Ztg.“ berihtet, die Steinmeßgehilfen am Grttas abermals über die Lohnfrage. (Val. Nr. 168 d. Bl.) Die Innung hat auf die erhöhte Lohnforde- zung für charrierte Arbeiten erklärt, daß sie, weun die Gehilfen troy des Tarifs auf dieser unberechtigten Forderung beständen, diese Forde- tung mit Rücksicht auf den augenblicklihen Geschäftsgang zwar be- willigen, dann aber den Tarif für gebrohen und sih niht mehr für aran gebunden halten würde. Die Versammlung beschloß, nochmals finen Versuch zu Unterhandlungen mit der Innung zu machen.

Y In Hof in Bayern befinden si, wie der „Vorwärts“ mittheilt, le Maurer im Ausstande; sie fordern eine Herabsezung der ll tündigen Arbeitszeit auf 104 Stunden und einen Stundenlohn von 35 4. Die Arbeitgeber lehnten jede Verständigung ab. Von fast 300 in Hof beschäftigten Maurern sollen nur 25 an dem Aus- land unbetheiligt sein; von den vorhandenen 12 Unternehmern sollen vei bereits die Forderungen bewilligt haben,

¿, Hier in Berlin haben nah demselben Blatt in der Kisten - labrif von M. Bellgardt sämmtliche Arbeiter wegen Lohnstreits die tbeit niedergelegt. Ferrer sind vierzehn Arbeiter in der Kistenfabrik

n Fuhg in den Auéstand getreten.

Aus Kopenhagen wird dem „W. T. B.* gemeldet: Der große Maurer- und Zimmermannsausstand, welcher ih über ganz Jütland ausdehnte (vgl. Nr. 166 d. Bl.) ist ám Sonnabend durch Vermittlung der Kopenhagener Maurer - Innung beigelegt worden. Am heutigen Montag follte. die Arbeit im ganzen Jütland wieder aufgenommen werden.

Aus Zürich wird dem Berner „Bund“ berichtet: Sämmtlihe Meister- und Gewerbevereine haben sich am legten Donnerstag zu einem Zentralverbande fkonstituiert. Die Vereinigung ist eine Folge der Lohnbewegung und bezweckt eine bessere gemeinschaftlihe SteUung- nahme bei Auss\tänden.

Land- und Forstwirthschaft.

Saatenstand in Preußen um die Mitte des Monats Juli 1895.

Nach den Ermittelungen des Königlihen Statistishen Bureaus berehtigte um die Mitte des Monats Juli der Stand der Saaten in Preußen zu folgenden Erwartungen (Nr. 1: eine sehr gute, Nr. 2: eine gute, Nr. 3: eine mittlere (durch\{chnittliche), Nr. 4: eine geringe, My. 5: eine sehr geringe Ernte): Winterweizen 2,6 (wie im Juni d. 2 Sommerweizen 2,9 (im Juni 2,6), Winterspelz 2,4 (wie im Juni), Winterroggen 3,1 (wie im Juni), Sommerroggen 3,2 (im Juni 2,9), Sommergerste 2,7 (im Juni 2,6), Hafer 3,0 (im Juni 2,6), Erbsen 3,1 (im Juni 2,9), Kartoffeln 2,5 (wie im Juni), Klee (auch Luzerne) 2,8 (im Juni 2,0), Wiesen 2,7 (im Juni 2)

Diesen Zahlen sind in der „Statistishen Korrespondenz“ die folgenden Bemerkungen beigefügt :

Die Mittheilungen für die laufende Berichteperiode sind meist durch Klagen über anhaltende, mit heftigen Winden verbundene Dürre gekennzeihnet. Der {hon im Juni besonders für die öst- lien Provinzen dringend nöthige Regen if bis zum zweiten Drittel des Juli ausgeblieben. Nicht nur, daß die Troenbeit im Osten sich auch auf „die wenigen Berichtsbezirke ausdehnte, welhe nah dem Juniberiht noch fruhtbares Wetter hatten, auch im übrigen Staatsgebiet fehlte es fast durhwea an hinreichenden Niederschlägen. Einige Gewitter und kurze Regenshauer vermochten das ausgedörrte Erdreih nicht zu durdfeußten. Fruchtbares Wetter hatten nur die Provinz Schleswig-Holstein und der größte Theil der Provinz Hannover. In einzelnen östlißen Bezirken wird der Stand der rüchte infolge der Trockenheit als ein geradezu trostloser bezeichnet. Beispiel8weise wird aus dem Regierungsbezirk Gumbinnen mehrfah berihtet, daß es seit Ende des Winters nur an drei Tagen gtennet habe; nit viel besser lauten die Berichte aus den

egierungsbezirfen Königéberg, Danzig, Marienwerder, Posen, Brom- berg, Cassel und Wiesbaden. Mit dem 12. Juli ist im ganzen Staatsgebiete Regen eingetreten, der für die Halmfricth meist zu spät tam, den Futterpflanzen und Kartoffeln aber von Vortheil sein dürfte. Dagegen ift in den Provinzen Schleswig- Holstein, Hannover und Rheinland infolge der leßten Niederschläge, welche von heftigem Sturm begleitet waren, viel Lager entstanden. Ueber Hagelschaden wird aus 49 Bezirken berihtet, im Vormonat aus 48. Die Zahl der betroffenen Bezirke ist eine größere geworden, auch ift der in der verflossenen Berichtsperiode angerihtete Schaden umfangreider. Am s{wersten mitgenommen wurde die Provinz Hessen-Nassau, auf welche allein 15 Hagelmeldungen entfallen, nach denen in 12 Bezirken die Feldfrüchte bis zu 75% zerstört wurden. Es folgen Westpreußen mit 7, Sachsen und die Rheinprovinz mit je 6, Hannover mit 4, Brandenburg ‘und Pommern mit je 2, Posen und Schleswig-Holstein mit je 1 Bericht über Hagelschaden.

Was den Stand der einzelnen Fruchtarten betrifft, so is der des Winterweizens im wesentlihen der gleihe geblieben wie im Juni, doch blieb er im Stroh kürzer als man anfangs annahm. In den Regierungsbezirken Magdeburg und Merseburg wird über Rost geklagt, dessen Folgen die Körnerbildung beeinträchtigen dürften.

Der Winterroggen is in vielen östlichen Berichtsgebieten, insbesondere auf leichtem Boden, nothreif geworden. Fast überall konnte mit der Ernte begonnen werden ; dabei zeigt es sich jedo, wie schon in den Vormonaten berichtet wurde, daß der Stand infolge der Auswinterungen vielfah ungemein dünn ist, Die Anzahl der Garben ift eine geringere als im Vorjahre; dagegen erwartet man, daß der Roggen in bieten Jahre besser shütten wird. Das Stroh ist im allgemeinen kurz. i

"Bet ‘der Tie runa hat der Mangel an ausreichenden Niedershlägen die Ernteaussichten wesentlich herabgemindert. Be- sonders haben die spät bestellten Aecker und Gegenden mit leihtem Boden darunter gelitten, sodaß selbst durchdringender MNegen keine Besserung mehr zu bringen vermohte. Am besten hat die Gerste die Trockenheit vertragen, was wohl seinen Grund darin hat, daß sie zumeist auf besserem, tiefgründigem Boden bestellt wird; do hat sich befonders in den östlihen Provinzen ihr Stand gegen den Vormonat vershlechtert.

__ Am meisten gelitten hat der Hafer, welcher bei weitem nicht

die hohen Erträge des Vorjahres erreihen wird. Da demselben beim Scossen die Feuchtigkeit fehlte, so ist er meist kurz im Strob ge- blieben und nothreif geworden. Auch ift bei dem Mangel an Nieder- {lägen in der Zeit der Körnerbildung ein nur leichtes und flaches Korn zu erwarten. In den von der Dürre am meisten heimgesuchten Provinzen Ost- und Westpreußen und Posen sind große Flächen dieser Fruchtart vollständig ausgebrannt.

Ueber den Stand der Erbsen weichen die Urtheile stark von einander ab. Zum großen Theil haben au sie dur die Trocken- heit gelitten, infolgedessen eine {lechte Blüthe gehabt und wenig e angeseßt. Befonders im Osten sind dieselben von Mehlthau efallen. i

Um so erfreulicher lauten die Berichte über die Kartoffeln. Troß ungenügender Niederschläge stehen dieselben voll im Kraut. Kür die Ausbildung der Knollen wird Regen für dringend nöthig er- achtet. Nach den zulegt eingegangenen Berichten is jedoch im all- gemeinen dem Erdreich seit dem 11. Juli gcnäacude Feuchtigkeit zugeführt worden, sodaß nach dem augenblicklihen Stande auf eine gute Mittelernte zu renen is. Bei den Frühkartoffeln ist in ein- zelnen Gegenden das Kraut welk geworden, und die Knollen sind flein geblieben. Kranke Kartoffeln sind bisher nur ganz vereinzelt bemerkt worden. U

Der Klee hat einen ungewöhnlich reihlihen ersten Schnitt ge- geben, welcher zumeist auch in vorzügliher Güte eingebraht wurde ; um so shlehter aber sehen die Kleefelder zur Zeit aus; zum großen Theile - sind dieselben völlig auêgedörrt und zeigen wenig oder gar kein Wachsthum. Der junge Klee ift entweder garniht aufgegangen oder vertrocknet.

Das Fe gilt von den Wiesen. Nah Menge und Güte hat der erste Schnitt seines gleichen seit Jahrzehnten niht gehabt. Nur ganz selten is in wenigen s{leswig-holsteinishen und hannoverschen Bezirken das Einbringen des Heues dur unbeständiges Wetter etwas ver- zôögert worden. Die andauernde Dürre hat aber die Grasnarbe so aus- getrocknet, daß auf gar keine oder nur eine geringe Nahmahd gerechnet wird, Bei dem gänzlichen Mangel an Grünfuttes hat man im Osten in einzelnen Gegenden mit der Heufütterung beginnen müssen. Die Noten für Klee und Wiesen haben sich daher wesentlih vershlechtert und würden noch ungünstiger lauten, wenn sämmtliche Berichterstatter nur den augenblicklihen Stand der Kleefelder und Wiesen: der Beurtheilung zu Grunde legten und niht ein Theil nur für den ersten Schnitt eine Note abgegeben, ein anderer aber aus den Noten für den ersten Schnitt und den augenblicklihen Stand das Mittel gezogen hätte.

Ernteaussihten in Dänemark,

Der Stand der Wintersaaten und Sommersaaten kann durchschnittlich im ganzen Lande als ein guter bezeichnet werden. Die in leßter Zeit erfolgten reihlihen Niedershläge haben die Aussichten auf eine gute Ernte wesentli Me ;

, Die Heuernte if in vielen Landestheilen bereits beendet und scheint ein gutes Erträgniß zu liefern.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs- Maßregeln.

Ergebnisse der Sammelforschung über das Diphtherie- Heilserum für das 1. Quartal (Januar— April) 1895.

Bei den kommissarishen Berathungen, welche im November 1894 über das Divkhtherie-Heilserum stattfanden, wurde allgemein die Wich- tigkeit und Nothwendigkeit einer gleihmäßigen Zusammenstellung der - Beobachtungen über das Serum in den vetibidizaen Krankenanstalten betont und für diese Zwecke ein Fragebogen zusammengestellt. Seitens des Herrn Reichskanzlers wurde sodann den Bundesregierungen mittels Schreibens vom 7. Januar d. I. nahe gelegt, daß die in den Kranken- bäusern nah folhen einheitlihen Grundsäßen zusammengestellten Wahrnehmungen dem Kaiserlihen Gesundheitsamt behufs entsprechen- der Verwerthung mitgetheilt werden, Die ausgefüllten Fra ebogen sollen am Ende eines jeden ersten Quartalmonats über das Vädttrarnbe Vierteljahr dem Kaiserlihen Gesundheitsamt zugestellt werden.

Bis zum 20: Juni wurden für das 1. Vierteljahr 1895 von 232 Aerzten in 191 Krankenanstalten 2228 Fragebogen eingeliefert. Von diesen 2228 mit Heilserum Behandelten starben 386 = 17,3 0/9; nah Abrehnung der hoffnungslos Eingelieferten, welche innerhalb der ersten 12 Stunden nach der Aufnahme starben, betrug die Sterblich- feitszifffer sogar nur 16,8 9/6, während dieselbe sons bei Krankenhaus- statistiken auf durchscnittlich etwa 50 9/9 berehnet wird. 682 (30,60/6) Kranke zeigten bei der Aufnahme Erscheinungen einer Betheiligung des Kehlkopfes, 632 = 28,4 %/0 sämmtliher Behandelten mußten tracheotomiert oder intubiert werden, davon starben 238 = 37,7%. Die Gesammtzahl der als s{chwer bezeichneten Fâlle betrug 1076 = 48,3 9/0, von denen 722 = 67,1 9/0 genasen. Bemerkenswerth ist die günstige Heilungsziffer bei den Kindern unter 2 Jahren. Die Feb dieser Heilungen belief sih auf 52,6, während font Kinder in diesem Alter fast ausnahmslos starben. Auch bei den operierten kleinen Kindern war das Ergebniß ein günstiges.

_Je früher die Erkrankten Heilserum injiziert erhielten, umso geringer war das Sterblichkeitéeverhältniß, so betrug z. B. dasselbe bei den am 1. Krankheitstage injizierten 6,9 9/0, 2. v v 7,4 9%, D 15,5 9/0, : 5 y ¿ 35,4 9/0. Als Nachwirkungen des Serums wurden im wesentlihen nur Hautaus schläge, Glieder- und Gelenkshmerzen, sowie leite Fieber- bewegungen in einer Anzahl von Fällen beobahtet. Ernstere Schäd- lichkeiten, die mit Bestimmtheit auf die Wirkung des Mittels hätten zurückgeführt werden können, traten innerhalb der Zeit, während welcher die Kranken nah der Injektion noch in den Krankenhäusern verblieben, niht hervor. Später, d. h. erst 3 bis 4 Wochen nah der Behandlung eingetretene Nahwirkungen kommen in der Statistik nicht zum Ausdruck.

Eine einigermaßen sichere ung des Nutens des Heil- serums wird si erst dur die Zusammenstellung des Materials einer längeren Beobachtungszeit aus möglichst vielen Krankenanstalten er- zielen lassen. Immerhin muß das eni der vorliegenden Sta- tistik im Zusammenhalt mit den au sonst fast allerorts gemachten günstigen 2 D als geeignet erahtet werden, zu weiterer An- wendung des Diphtherie-Heilserums aufzumuntern.

__ Der Raum des Blattes gestattet nit, auf die Einzelheiten näher einzugehen, do hat sih das Kaiserliche Gesundheitëamt bereit ertlärt, \folchen Fahmännern, welche sich für die Sache interessieren, einen Abdruck zur Verfügung zu stellen, soweit der zu diesem Zweck reser- vierte Vorrath reicht.

Portugal. Durch eine im „Diario do Governo* Rr. 155 veröffentlichte Verfügung des Königlich portugiesishen Ministeriums des Innern ift der Hafen von Singapore für choleraverseuht erklärt worden.

Handel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlesien.

An der Ruhr sind am 20. d. M. gestellt 11 411, nit rehtzeitig gestellt 294 Wagen.

In Oberschlesien sind am 19. d. M. gestellt 4094, nit recht- ¡eitig gestellt keine Wagen.

Berlin, 20. Juli. (Wochenberiht für Stäcke, Stärke- fabrifate und Hülsenfrüchte von Max Sabersky, Berlin W. 41). Is. Kartoffelmehl 16} 174 #, Ia. Kartoffelstärke 163 17 , ITa. Kartoffelmehl 14—16 #Æ, feuchte Kartoffelstärke Fracht- parität Berlin —,— F, gelber Syrup 19—195 4, Kap.-' Syrup 20—21 #4, Kap. - Export 21—21} 4, Kartoffelzucker ‘nb 19—19# M, do. Kay. 21—21} 4, Rum-Kuleur 33—34 M,

ier-Kuleur 32—34 #, Dextrin, gelb und weiß, Ia. 23—24 4, do. fsekunda 20—22 #4, Weizenstärke (kleinst.) 32—33 X, Weizenstärke Ggroßst.) 37—38 #, Halleshe und Sthlesische 38—39 M, eisftärfe (Strahlen) 49—50 #4, do. (Stüden) 47—48 #6, Maisstärke 33—34 #, Schabestärke 34—35 M, Viktoria-Erbsen 15—19 4, Kocherbsen 14—19 4. grüne Erbsen 14—19. #4, Futtererbsen 12—13 4, inländishe weiße Bohnen 22—24 #, weiße Flahbohnen 23—25 #4, ungarische Bohnen 19—21 #, galizishe und russische Bohnen 17—19 4, E Linsen 30—40 #, mittel Linsen 18—30 4, [leine Linsen

4—18 #4, Mohn, blauer nom. 28—40 4, do. weißer nom. 40—54 4, Hirse, weiße 18—20 #, gelber Senf 16—24 4, Hanfkörner 22 bis 23 #, Buchweizen 14{—167 4, Wicken 12—13 4, Pferdebohnen 12—124 Æ, Leinsaat 22—225 ÆA, Mais loko 114—12 M, Kümmel 50—60 #, Leinkuhen 13—15 46, Rapskuchen 11—124 M, pa. marseill. Erdnußkuchen 123—14 M, ya. doppelt gesiebtes Baum- wollensamenmehl 58 9% 12—13} A, pa. helle getr. Biertreber 28 bis 30 9/0 9{—10} Æ, pa, getr. Getreideshlempe 31—34%% 11}—124 M, a. getr. Mais-Weizenshlempe 35—40 % 12{—13 A, pa. getr. ais\chlempe 40—42 % 12}—13 M, Malzkeime 7}3—9 M4, Roggen- Éleie 8—85 #, Weizenkleie 8—84 #4 (alles per 100 kg ab Bahn Berlin bei Partien von mindestens 10 000 kg).

Ausweis über den Verkehr auf dem Berliner Schlachtviehmarkt vom 20. Juli 1895. Auftrieb und Markt- preise nah Schlachtgewicht mit Ausnahme der Schweine, welhe nah Lebendgewicht gehandelt werden. Rinder. Auftrieb 2948 Stück (Durchschnittépreis für 100 kg.) I. Qualität 122—124 Æ, II. Qualität 112—120 A, III. Qualität 92—106 4, 1V. Qualität 80—88 M Schweine. Auftrieb 6713 Stück. (Durchschnittsvreis für 100 kg.) Mecklenburger 90—92 H, Landschweine: a. gute 86—88 4, bÞ. geringere 80—84 4, Galizier —,— M, leite Ungarn —,— 4 bei 20 9/ Tara, Bakonyer A bei kg Tara pro Stück. Kälber. Auftrieb 1234 Stü. (Durbsnittöpreis für 1 kg.). I. Qualität 1,08—1,14 Æ, IT. Qualität 0,96—1,06 A, III. Qualität 0,84— 0,94 A Schafe. Auftrieb 23 519 Stück. (Durchschnittspreis für 1 Ke) I. Qualität 1,04—1,16 „4, 11. Qualität 0,96—1,00 4, ITI. Qualität —,— M

Der Deutsche Seiler- und Reepshläger-Verband wird seinen 8. Verbandstag am 8. und 9. August d. J, in Wernigerode a. Harz abhalten. Auf der Tagesordnung steht u. a. die Frage der Gründung einer Fahshule. Mit dem Verbandstag wird eine Fachausstellung von Ganz- und Falbsabritgten Roh» materialien, Maschinen und Geräthen des Seiler- und Reepshläger- ewerbes verbunden sein. Programm und Tagesordnung sind im

erbandsorgan, „Deutsche Seiler-Zeitung*", Berlin, veröffentliht. Zum Verbandstag und Besuch der Ausstellung sind alle selbständigen Seiler und Reepschläger eingeladen.

In der Aufsichtsrathssißung der Bergwerk sgesellschaft „Hibernia“ am Sonnabend wurde, wie ,W. T. B,* meldet, vom Vorstand mitgetheilt, daß sich die Kohlenförderung im ersten Semester