1895 / 256 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 25 Oct 1895 18:00:01 GMT) scan diff

Zur Entwickelung der Elektrotechnik.

Die erste Sitzung des Elektrotechnishen Vereins nah den erien wurde durch den Ehren-Präsidenten, Staatssekretär des Reichs- ostamts Herrn Dr. von Stephan mit folgender Rede eröffnet:

Hochgeehrte Herren! Ih freue mi, Sie nah der Sommerfrische

beim Anfang unserer Arbeiten für das Wintersemester hier wieder begrüßen zu fönnen, und hoffe, daß der Sommer sih als ein * guter Affumulator erweisen wird, der die Kräfte aufgespeichert hat, und daß Kontakte und Batterien, Leitungen, Widerftände und Isolation sich in gutet Ordnung befinden -werden, und daß wir mit frischen Kräften an unsere Arbeiten für das neue Semester berangehen können.

Nachdem der seit Oktober v. J. verstorbenen Männer welche fiH um die Elektrotehnik verdient gemaht haben gedacht worden war, fuhr Redner fort: : l i

Die Entwicklung der Elektrotechnif auf dem Gebiet des S tarfkstroms war eine durchaus erfreulice. Neben der Anwendung des cleftrishen Stroms für Beleuhtung und Bahnbetrieb erweitert fich das Feld seiner Anwendbarkeit besonders auf dem Gebiet der Kraftübertragung, Kraftvertheilung und der Elektrohemie. Die neuen elcftrohemisden Werke in Bitterfeld sind nunmehr im Betrieb und erzeugen hauptsächlith Bleichpulver, Aeßkali und Aeßnatron, ferner metallisches Natrium, Carbid und verschiedene andere Chemikalien.

Auch in der Landwirthschaft findet die Elektrizität Eingang, theils zum Betriebe der landwirthshaftli®en Mascinen, theils für Ertwässerungszwecke. In dieser Beziebung ist eine jeßt im Bau be- griffene Anlage zur Entwässerung des großen Gebiets des Haffdeich- verbandes im Memeldelta besonders erwähnenêwerth. An dem 26 km langen Deiche kommen 7 Pumpwerke zur Aufstellung, welche das Niedershlagêwasser des Hinterlandes in das Haff befördern sollen. Hierbei war die Frage zu entsheiden, ob es vortheilhafter sei, diefe zerstreur liegenden Pumpen mit Iofalen Dampfmaschinen oder von einer Drehstrom - Zentrale aus mit Elektromotoren zu betreiben. Nach eingehendem Studium ents{chloß fih die Kommission des Haffdeichverbandes für den elektrischen Betrieb, weil derselte gegenüber Dampfbetrieb eine geringere jährliche Auslage erwarten läßt und auch die Vertbeidigung des Deichs gegen Eisdrang durch die Möglichkeit einer guten. Beleuchtung erleichtert. Auf dem Gebiet der Kraftübertragurg ift ferner zu erwähnen die Einführung des elektromotorischen Antriebs der Hilfêsmaschinen für Kriegs- und Handelsschiffe, so vor allem zum Antrieb von Ankerspills und von Winden zum Heben, Laden und Kipyen. Auch in der Montanindustrie, im Gruben- wie im Hüttenbetrieb erweist sich die Elektrizität als vortheilhafte Neuerung. Hier ist besonders be- mertenswerth der Erfolg der Bohranlagen, Förderanlagen und Ventilatoren im Stollenbetrieb, sowie der stationären und beweglichen Krähne zum Befördern von Lasten in Stahl- und Walzwerken.

Gerade in den Bergwerksbetrieben mat sich der große Vortheil -

geltend, der in der Zentralisierung einer einzigen großen Kraftstation für ein auëgedebntes Arbeitsgebiet mit vielen Maschinen besteht. Die geschäftliche Thätigkeit der elektrotehnishen Firmen war durhweg eine sehr rege, nit nur um den Bedarf im Reich selbst zu deten, sondern auch theilweise jenen der Nachbarstaaten und überseeischer Länder, was für die Güte der einheimischen Erzeugnisse, die Tüchtig- keit unserer Elektrotechniker und dén Unternehmungégeist der kaufs männishen Leitung ein beredtes Zeugniß ablegt.

Um dem Verein einen Ueberblick über die Leistung der deutschen Starkstromtechnik geben zu können, wurden die bedeutenderen Firmen aufaefordert, eine Zusammenstellung ihrer seit vorigen Oktober aus- geführten Starkfiromanlagen einzusenden. Diesem Aufruf sind mit danfenswerther Berciiwilligkeit gefolgt die Firmen: Allgemeine Elektrizitäts - Gesellschaft, Gebrüder Naglo, Aktien - Gesellschaft Elektrizitätswerke vorm. O. L. Kummer u. Co. in Dresden, Elektrizitäts - Aktien - Gesellschaft vorm. Schuckert u. Co. in Nürn- berg, Siemens und Halske und die Union-Elektrizitäts-Gesellschaft ; von den übrigen Firmen ist Material nicht eingegangen. Der Ueber- blick über die Thätigkeit der deutschen Elektrotehnik auf dem Gebiet des Starïstromes, den ich Ihnen hier geben fann, ift daber kein voll- ftändiger. Außer einer grcßen Anzahl von kleineren Privatanlagen für Beleuchtungs- und Kraftzweke und Schiffseinrihtungen sind nah obigen Mittheilungen 75 größere Anlagen, wie Elektrizitätswerke, Kraftübertragungen, Theaterbeleuhtungen und elektrischGer Betrieb von Fabriken, Hafenanlagen und Bergwerken errihtet oder in der Ein- rihtung begriffen. Die Gesammtleistung der für diese Anlagen nöthigen Generatoren beträgt 380 000 Kilowatt. Unter den größeren Zentralen, welhe von deutshen Firmen im Ausland erbaut wurdea, find zu nennen diejenigen in Budapest, Barcelona, Bilbao, Guatemala, Johannesburg, Para, Rotterdam, Biella, Bussoleno und Wynau.

Die Entwickelung des Gleicßstromsyfteins blickt {on auf eine Reihe von Jahren zurück, das Drebstromsvystem dagegen trat erst im Jahre 1891 durch die Kraftübertragung Lauffen - Frankfurt aus dem Verfuchsftadjum in die Praxis und hat seitdem in großem Maßstabe praktisch Verwendung gefunden. Die Vorzüge diefes Systems sind von den vershiedenen Fachkreisen richtig erkannt worden, und nachdem man gelernt batte, mit hohen Spannungen umzugeben, konnte man Probleme lösen, deren Ausführbarkeit noch vor wenigen Jahren als unmöglih ershien. Wir finden demna, daß die Mehrzahl der größeren Anlagen beutzutage nah dem Drebftromiystem ausgeführt wird und zwar bet Anwendung von hohen Spannungen. So wird z. B. das jeßt in Ausführung begriffene Elektrizitätäwerk an der Oberspree mit 5000 und das Nheinfeldener Werk sogar mit 15 000 Volt Betriebéspannung arbeiten. In manchen Fällen ist jedech auch Gleistrom und Drebstrom gemeinsam zur Anwendung aekommen, wie z. B. bei dem fkürzlih eröffneten Elektrizitätswerk der Stadt Leipzig, woselbst 2009 Volt Drebstrom in dem an der Peri- pherie gelegenen Werke erzeugt und na einer im Mittelpunkte be- findlihen Unterstation gefübrt wird, wo rotierende Umformer den Drebstrom in Gleichstrom verwandeln. Die Versorgung der äußeren Stadttheile mit Kraft und Licht geschieht mittels Drebstrom.

Eine besonders rege Thätigkeit hat die deutshe Elektrotehnik im Bau elektrisher Bahnen entwickelt. Der Betrieb erfolgt zum größten Theil mittels eleftrisher Zuleitung und Schienenrückleitung, wobei man neuerdings in manchen Fällen auch die Rückleitung mit Speisekabeln versieht, um ein zu großes Potentialgefälle zwischen ver- schiedenen Theilen der Gleise zu vermeiden. Einige Bahnen haben auch unterirdiswe Zuleitung und Pprobeweise wurde verschiedentlih Akkumulatorbetrieb eingeführt. Man läßt die Batterie, welche eine verhältnißmäßig geringe Kapazität besißt, während der Fahrt vom Arbeitsdraht aus laden, um die aufgespeicherte Arbeit beim Befahren jener Straßen abzugeben, in denen die oberirdishe Zuleitung nicht statthaft ist. Augenblicklich werden in Hannover mit diesem ge- mischten System Versuche angestellt.

Seit dem vorigen Oktober sind von deutschen Firmen 38 elek- trishe Bahnen theils erweitert, theils neu hergestellt worden; die Inbetriebsetßzung dieser Bahnen ist entweder {on erfolgt, oder steht nahe bevor. Eine Anzahl der Bahnen liegt im Ausland und es ist ein gutes Zeichen für die kräftige Entwidelung unferer Industrie, daß folhe Aufträge, trotz der auëländischen Konkurrenz, namentli jener von Seiten Nord-Ameritas, an unfere Firmen gelangen. Von den aus- ländischen Bahnen mögen hier erwähnt werden diejenigen in Kairo, Bukarest, Serajewo, Basel St. Moriß, Toulon, Kiew, Bilbao Santurce und Genua. Die gesammte Bahnlänge für Erweiterungen und Neuanlagen beträgt 460 km, die Zahl der Motor- wagen rund 1000 und die Zahl der Motoren rund 1700. Eine interessante Anlage im Inland ist die in der Ausführung begriffene elektrische Lokalbabn, welche unter direktem Anschluß an die Königlich bayerishe Staatébahn den Bahnhof Türkheim mit Wörishofen ver- bindet, und so gebaut wird, daß Wagen der Staatsbahn mitgeführt werden fönnen. Die erste eleftrishe Straßenbahn, welche Berliner Gebiet berührt, die Strecke Gesundbrunnen Pankow, i} kürzlich eröffnet worden. Im Bau begriffen sind verschiedene andere Bahnen in Berlin, unter denen die Linie Zoologisher Garten—Treptow erwähnt werden möge, welche ihren Betrietsftrom von den Berliner Elektrizitäts-

werken bezieben wird. Die Verbindung elektrisWer Babnen mit Be- leuhtungszentralen, die in anderen deutsben Städten {on mehrfach ausgeführt wurde, ist in wirthshaftliher Beziehung eine werthvolle Neuerung, weil dadur eine bessere Ausnußung der mascinellen An- lagen erreiht wird als bei getrennten Betrieben möglich wäre. Ueber die Verbreitung der Anlagen für elektrische Starkströme haben die von der Reih8-Post- und Telegraphenver- waltung vorgenommenen Erhebungen Folgendes festgestellt : Es waren am 1. Oktober d. J. im Deutschen Reih mit Auss{luß von Bayern und Württemberg 7419 Starkstromanlagen im Betrieb. Davon dienten 7108 Anlagen in erster Linie der elektrischen Beleuchtung ; die Zahl der Glühlampen betrug rund 1 380000, die der Bogenlampen 61 060. 90 Anlagen wurden auss{ließlich oder nebenbei zu eleftrolytishen Zwecken, 453 zur Kraftübertragung benußt. Die Zahlen bleiben wegen der Schwierigkeit der Erlangung ganz zuverlässiger Angaben, ament bezüglich der Lampen, vielleit etwas hinter der Wirklich- keit zurüd.

In der Hauptsache wird zum Betrieb der Starkstromanlagen der Gleihstrom benußt. Auëschließlich mit Wechselstrom werden 418, mit Drebstrom 54 Anlagen betrieben. i:

Ungünstige Einwirkungen der Starkströme auf den Fernsprech- betrieb sind bhauptfächlich bei dem Betrieb der eleftrishen Bahnen mit oberirdischer Stromzuführung und Schienenrückleitung vorge- kommen. Die Aufre{terhaltung des Fernsprehbetriebs bat si dur Anwendung geeigneter Vorkehrungen (Verlegung der Fernsprechleitungen aus dem Induktionébereich der Starkstromleitungen, gemeinsame metallishe NRückleitung für die Sprechstellen , in deren Erdleitungen Strôme aus den Schienen der elektrischen Babnen übertreten) im all- gemeinen erreihen lassen, wenn auch vereinzelt unangenehme Störungen aufgetreten find.

Die im Jahre 1892 auf Anregung und mit Unterstüßung des Elektrotechnisen Vereins vom Magistrat in Berlin eingerichtete Tagesklasse für Elektrotehnik an der I. Handwerferschule hat sih gedeihlich entwickelîi. Der Besuch hat den gehegten Er- wartungen durchaus entsprcchen; während der verflossenen scchs Semester waren es zusammen % Sc{üler. In diesem Jahre stellte ih die Nothwendigkeit heraus, den bisher sechémonatigen Lehrgang zu einem vollen Jahresfursus zu erweitern; zugleich fonnte zur Er- leihterung des Besuchs das Schulgeld ermäßigt werden. Der Verein wendet der Tagesklafse für Elektrotebnik au ferner seine Fürforge zu.

Seitens des Comités für Erdstrom-Beobachtungen ist die Mittheilung gemacht, daß die umfassende Erdstrom-Bearbeitung dem Abschluß nahe ift. /

An Stelle des Unterausshusses für die Unterfuhung über die Blitgefahr is eine neue aus sechs Mitgliedern beftehende Kommission gebildet worden, welche die Aufgabe hat, eine „Anleitung zur Herstellung von Bligzableitern“ auszuarbeiten. Mit der Aus- arbeitung eines erften Entwurfs bat die Kommission den inzwischen nach München übergesiedelten Ingenieur Herrn Uppenbern beauftragt. Der Entwurf ist nabezu fertiggestellt und wird demnäthst zur Ver- sendung an die Komumissionsmitglieder gelangen.

Die Frage über den Einfluß der Stadt-Fernsprechneße auf das Verhalten der atmosvhärischen Elektrizität ist durch fortgeseßzte Becbahtungen in einem auêégedehnteren Beob2cbtungé- gebiet weiter getlärt worden. In 1209 Orten mit und obhn- Stadt- Fernspreheinrihtungen finden genaue Aufzcihuungen über das Vor- fommen, den Verlauf und die Wirkungen der Gewitter statt, naŸH denen bisher der Schluß an Berechtigung gewinnt, daß die Drabtneßze der Stadt: Fernfprehanlagen nicht allein die Gefahren für die Gebäude, über welchen sie auêgebreitet find, niht erhöhen, sondern im Gegen- theil diesen einen wesentliben Schutz gegen Blitzgefahr gewähren. Bemerkenswerth" ist, daß unter 9 vom Blitz beschädigten Häusern sich kein einziges mit Nohrständer für Fernsprechleitungen be- funden hat, und daß bei 10 Bliten, welhe folhe Stüßpunftte un- mittelbar getroffen haben, die atmospzärisde Elektrizität durch die Blitableiter zur Erde geführt worden ift, ohne nennenêwerthe Spuren zu hinterlassen.

Das Telegraphen- und Fernsprechneyß des Deutschen Reichs einschließlich Bayern und Württembergs ist im lchten Jahre von 137 883 km Linie auf 144 638 km Linie und von 610 331 km Leitung auf 643 743 km Leitung angewachsen.

Die Zahl der im Deutschen Reih vorhandenen Telegraphen- betriebsftellen beträgt 20 080; davon find 8038 mit Fernsprehern ausgerüstet. Auf dem Gebiete des Telegraphen baues ist als be- langreihstes Vorkommniß die allgemcine Einführung von Kabeln mit i a Se und Bleimantel zu verzeihnen, von denen schon eit einigen Jahren mit Erfolg versubétweise Gebrauh gemacht worden war. Während bei den Guttaperhakabeln das siebenadrige als Normalkabel gelten konnte, ift bei den neuzn Kabeln das 14adrige als folhes zu betraten.

Im Fernsprechbetriebe werden jeßt nur noch 56 adrige Kabel mit Luftraum und Pavierifolierung verwendet. Es ift gelungen, die Sprech- fähigkeit der Fernsprehkabel soweit zu erhöhen, daß sie in den Längen, wie sic jeßt und in absehbarer Zeit angewendet werden, auch in elef- trisher Hinsicht oberirdisde Leitungen vollständig ersetzen können. Die Konstruktion der Bauten für oberirdische Linien is in stetiger Forternitwidelung geblieben, bedirgt durch die zunehmende Vec- dih1ung des Telearaphen- und vor allen des Ferasprechbnetes für den großen Verfchr. Die im abgelaufenen Jahre eingeleiteten Versuche mit der Verwendung von Telegrapbenstangen aus Doppel-T-Eisen an Stelle von Holzstangen sind bisber von befriedigendem Er- folge begleitet gewesen. Gegenwärtig sind die bereits in früheren Jahren vielfa, aber erfolglos angestellten Versuche, hölzerne Stangen mit eisernen Füßen zu versehen, wieder aufgenommen worden. Das Telegraphen-Ingenieurbureau des Neichs-Postamts hat um- fänglie wisserschaftlihe Untersuhungen über den Stromverlauf im Hughes- Apparat, ferner Versuche übec die Ausbreitung starker elek- tri)her Strôme in der Erde, über eine geeignete Form von Schmelzs- sicherungen, durch welche die Vermittelungsanstalten und Theilnehmer der Feinspreneße gegea Brandgefahr durch eindringende starke Strôme geschüßt werden follen, und über geeignete Formen und Auzführungéarten der Erdleitungen von Blitzableitern angestellt ; ferner wurden Versuche begonren, Sammlerzellen als Mikrophon- elemente bei den Theilnehmern der Fernsprehnete zu benußen.

Die Versuche mit dem JIndufktionsweckverfahren in Telegraphenle itungen zu Fernsprechbeirieb unter Einschaltung der Betriebsstellen in Abzweigungen zur Erde sind zum Abschluß ge- kommen. Es hat si ergeben, daß die neue Betriebsweise bei längeren Leitungen mit zahlreiden Anstalten sowobl in Bezug auf das sichere Funftionieren der Wecker, als auch binsihtlich der Sprecverstän- digung dem Nuhestromweckverfahren gegenüber unbedingt den Vorzug verdient. Infolge dessen ist bei der Mehrzahl der bisher nah dem Ruhbeftromweckverfahren betriebenen Leitungen der Induftionëweck- betrieb eingeführt worden.

Die Neuerung erweist sich für die Ausgestaltung des Leitungs- neßes auf dem flachen Lande noch infofern von besonderem Nußen, als sie die Einschaltung neuer Anstalten in vorhandene Leitungen mit Hilfe einfacher Anshlußdrähte ermögliht, während der Anschluß ländlicher Orte bisher nit selten unterbleiben mußte, weil die Her- stellung der erforderlihen Schleifleitungen eine zu hohe Kostenauf- wendung verursachte.

Für das Fernsprechwesen im Deutschen Reich bildet das verflossene Jahr den Beginn einer neuen Entwickelungsstufe, da im Laufe desselben eine Reibe wichtiger Fernsprechverbindung-n zwischen Deutsc{land und den Nachbkarländern dem Betriebe übergeben worden ist. Besonders hervorzuheben find die rund 670 km lange Verbindun Berlin—Wien und die über Hamburg, Kiel und die Injel Fünen s Seeland geführte, rund 800 km lange Verbindung Berlin— Kopenhagen, welche zur Durchschreitung des Kleinen und des Großen Belt etwa 30 km Kabel enthält. Ferner sind zwischen Deutschland und Belgien zwei Ver- bindungen bergeftellt: die eine für den Verkehr von Köln und Aachen mit Verviers und Lüttich, die andere für Gespräche zwischen den genannten deutschen Orten einerseits und Antwerpen und Brüffel andererseits. Die Bauthätigkeit zur Erweiterung und Verdichiung des Fernfpre{h- netes innerhalb des Reichs-Postgebiets hat im abgelaufenez Jahre

gleichfalls einen èrbebliGen Umfang gebabt. An wichtigeren, neu errichteten Verbindungen zwischen versiiebenei Orten sind zu nennen die Leitungen Frankfurt—Straßburg, Erfurt—Leipzig, -* Karleruße— Freiburg—Neufstadt (Sc)warzwald) Konstanz.

Durch die Verbindung der Städte Frankfurt (Main) und Straf;- burg hat es sich ermöglichen lassen, die Stadt-Fernsprecheinridtungen e in den Sprechverkehr mit Frankfurt und Berlin ein- zubeziehen. i

Eine größere Gruppe von Stadt-Fernsprecheinrihtungen ift im badisden Scbwarzwalde zur Ausführung gelangt. Die in Betracht kommenden Orte sind nit allein untereinander, sondern durch die neuen Leitungen Konstanz— Neuftadt—Freiburg und Freiburg—Karls- rube auch mit fast sämmtlihen übrigen Stadt-Fernspreheinri{tungen Badens und durch die Leitung Villingen—Schwenningen mit einem Theil des württembergischen Fernsprehneßes, namentliß mit Stuttgart in Verbindung gebraht worden. Die Zabl der Orte mit Stadt-Fernsprecheinrihtungen im NReichs-Postgebiet bat sich von 387 auf 434, mithin um 47 vermehrt. Die Zabl[ der Sprechstellen beträgt jeßt 109960. Die Stadt-Fernsprech- einrihtung in Berlin ist auch im abgelaufenen Jahre von keiner andern der Welt binsihtlich ihres Umfangs und ibres Verkehrs er- reiht worden. Die Zahl der Anschlüsse beläuft ih gegenwärtig auf 25 430; sie hat fich gegen das Vorjahr um 3360 erhöht. Durch diese Ansblüsse werden 29 075 Berliner Sprechstellen in den Stand gesetzt, unter einander und mit den Theilnehmern in 260 andern deutshen Orten in unmitte: baren Spre(verkebr zu treten. Täglich werden innerhalb der Berliner Anlage rund 410 000 Verbindungen her- gestellt. Einen erheblihen Umfang besiten ebenfalls die Stadt-Fernspre{- anlagen in Hamburg mit 10 789Sprech;stellen, Dresden mit4333 undLeipzig mit 4000 Spre@stellen; außerdem haben zwischen 1000 und 4600 Sprechstellen die Anlagen in Frankfurt (Main). Köln, Breslau, Magdebura, Hannover, Cbemniß, Stettin, Düsseldorf, Bremen, Aachen, Elberfeld, Mannheim, Altona und Halle a. S. Von Be- deutung für den Betrieb von Stadt-Fernspreheinrihtungen größeren Umfanas ift der neuerdings bei einer biefigen Vermittlungsanfstalt angestellte Versu mit einer neuen Vielfah-Umschaltetafel, die bei horizontaler Anordnung des Klinkenfeldes ein Aufnahme- vermögen von 10800 Klinken besitt und mit 400 Anrufsklavven für 6 Arkeitspläße ausgerüstet ist Das Ergebniß dieses Ver- suces ist durchaus zufriedenftellend, und es ift in Auëfiht genommen, zunächst bei einer Stadt-Fernspreheinrihtung mit der unter Verwen- dung der Umschaltetafeln bisheriger Form nicht ausführbar gewesenen Einrichtung einer Vermittlungsanfstalt mit einem einheitlichen Um- schaltesvystem für etwa 10 000 Theilnehmerleitungen vorzugehen. Diese Einrichtung ist, falls sie si au bei den ferneren Versuchen dauernd bewährt, als ein wichtiger Forts{hritt auf dem Gebiete der Fernsprechtechnik anzusehen, indem fie die wünschenswerthe Ver- minderung der Zahl der Vermittlungeanstalten und dadur eine rashere, größere Sicherheit bietende Ausführung der Verbindungen gestattet. Die günstigen Erfahrungen, welche bei einer größeren Anzabl von Telegraphenanstalten mit der Ve r- wendung von Sammlern an Stelle von Primärelemen- ten gewonnen worden sind, haben dazu geführt, diese Neuernng au für den Fernsprechbetrtieb nußbar zu machen, indem zunächst ver- sucêweile, bet einzelnen Fernsprechz-Vermittlungtanstalten die Mikro- pbene durch Saminler betrieben werden, die eine bedeutende Herab- minderung des Widerstands im primären Stromkreise ermöglichen und E einen günstigen Einfluß auf die Lautübertragung erwarten assen.

Die elektirische Beleuchtung der Bahnpostwagen mittels. Sammlerbattezien als Stromquelle, welhe Mitte Mai 1893 auf dem Babnpostkurse Berlin— Frankfurt (Main) begonnen hat, ift nah und nah auf die wichtigeren Bahnpostkurse auêgedehnt worden und hat si fortgeseßt bewährt. Gegenwärtig sind 600 Bahrposft- wagen (= 389/9 des Gesammtbestandes) mit der elektrishen Beleuchtung bereits versehen.

Der telegraphisGe Unfall -Meldedienst bei den Post- und Telegravhenanstalten des platten Landes, welcher es ermöaliht, bei Unfällen aller Art in Gefahren für Gut und Leben zu jeder Tages und Nachtzeit mittels des Telegravben Hilfe aus Nachbarorten herbei- zurufen, ift seit einem Jahre bei weiteren 1091 Anftalten eingeführt worden.

Die Zabl der Orte mit Unfall- Meldestellen ist dadur& auf 8441 gestiegen. Mebr als 50 mal mat im Durbfchnitt täglich das Publikum von dieser segenêreiten Einrihtung Gebrauch. Meine Herren! Wenn ih die vorgeführten Daten in ein vaar Worte zusammenfasse, fo darf ih zu meiner [lebhaften Freude es auésprechen, daß die Elektretectnik, soweit unser Vaterland in Betracht kommt, im abgelaufenen Jahre sebr befriedigende Ergebnisse aufzuweisen hat. Die Elektrizität bat für das praftishe Leben und die Bedürfnifse der Kultur eine bobe Bedeutung gewonnen: durch ihre urgemein vielseitige Verwendbarkeit für natezu alle Zweige der Industrie erobert sie sich noch mit jedem Jahre neue Gebiete und macht sich im Leben und Verkehr, Handel und Gewerbe immer unentbebrlihec. Allerwärts dringt die Elek- trizität siegreich vor; selbst in Ländern, die den Kultur- fortshritten lange unzugänglich waren, bürgert sich die Erzeugung und Verbreitung von Lit und Kraft mehr und mehr ein. Ein sehr erfreulies Zeichen von der lebendigen Kraft unserer beimischen Jadustrie und ibrem Ansehen außerhalb Deutsclands ift cs, daß gerade deutsche Firmen vielfach in siegreichen Wettbewerb treten bei der Herstellung bedeutender eleftrisher Anlagen im Auslande. Diese Téatsachen sind geeignet, der Elektrotechnik, und insbesondere der deutschen, ein glänzendes Zukunftsbild zu eröffnen. Möge die deutshe Elektrotechnik, die in unserem Verein einen Sammelpunkt ihrer wissenschaftlichen, tehnishen und gewerblichen Interessen findet, auf der beshhrittenen Babn rüstig weiter arbeiten und die hervorragende Stelluna, die sie überall durch ihre Leistungen i erworben hat, auch künftig behaupten !

Statistik und Volkswirthschaft.

Ergebnisse der Krankenversiherungs-Statistik

in Bayern.

Na einer Uebersicht über die Bis des Krankenkafsen- wesens im abgelaufenen Jahre, die im leßten Heft der „Zeitschrift des Königlich bayerishen Statistishen Bureaué* gegeben wird, waren im Königreich Bayern 4681 Krankenkafsfen im Jahre 1894 thätig, 20 Kassen mehr als im Vorjahre. Die Zabl der Kassen würde noch beträchtlicher gestiegen sein, wenn nicht 87 Einzelkassen in 2 Ver- bandsfassen zusammengelegt worden wären. Von der Gefammtzahl der 4681 Krankentafsen entfallen auf die einzelnen Kaßfenarten, deren sieben unterschieden werden :

Gemeinde-Krankenversiherungskafsen 4092 gegen 4080 im Vorjahre, VDric-Arantenlahet O Ds p Betriebs- (Fabrik-) Krankenkafsen . 497 487 s Batt-Kräukbenlaen „e % 9 12 o íInnungs-Krankenkafsen. . .. .. H 7 ü Cingeshriebene Hilfs-} welche dem

cil E S 75 des 10 1a, A

Landesrehtlihe H N.-G. ent-

kassen sprachen O L -.

In Bayern ist demnach die Gemeinde-Krankenversiherung weitaus Dn derselben gehören 87,42% der Gesammtzahl aller assen an.

Die Zabl der bei sämmtlichen Krankenkassen des Königreichs ver- sicherten Personen betrug 587 474 am 1. Januar 1894, 602127 am 31. Dezember deéselben Jahres und 645 821 nach dem Jahresdurh- schnitt, gegen 624 615 versicherte Personen im Durchschnitt des Vor- jahres, sodaß fih im Laufe des Jahres 1894 die Zahl der durh- \chnittlih Versicherten um 21 206, d. i. um 3,4% vermehrt hat. Diese 645 821 im Durchschnitt des Jahres 1894 versicherten Personen machen 11,5 %/% der Gefammtbevölkecung des Königreichs aue. Die

[ der Mitglieder vertbeilt \sich auf die einzelnen Kafsenarten, wie folgt: Es waren versuLert

am im Jahres- 31. Dezember durhschnitt 1894 1894

bei der Gezneinde-Krankenversiherung 346 443 382 862 den Orts-Krankenkassen .. . . 93903 101 039 Betriebs. Krankenkassen . . . 151 682 151 439 Bau-Krankenkassen . . 3416 3 832 Innungas-Krankenkassen . . . 2748 2758 Eingeschriebenen Hilfskafsen . 2506 2 447 Landesrechtlien Hilfskafien . 1 429 1444

Es gehören demnach nabezu /5 der sämmtlichen Versicherten der Gemeinde-Krankenversicherung an. E :

Bei den sämmtlichen Krankenkassen des Königreichs find im Jahre 1894 202 617 Erfranfkungsfälle mit 3461244 Krank- heitstagen zur Anzeige gekommen (gegen 224371 Erkranfungê- fälle mit 3 622718 Krankheitstagen im Vorjahre). Es entfielen mithin auf 1 Kassenmitglied 0,31 Erkrankungsfälle und 5,39 Krankheits- tage; auf 1 Erkrankungsfall kommen 17,1 Krankheitstage.

Die Dauer der von den Kassen statutengemäß gewährten Krankenunterstübung stellt fh bei den vershiedenen Kafsenarten, wie folgt: Es gewähren Krankenunterstüßung

in der Dauer von 13 Wohen über 13—26 über

Wochen 26 Wochen

Orts-Krankenkafsen . 90,4 9,6 A Betriebs-Krankenkafsen . 82,3 T0 4,6

Bau- Krankenkassen . . 100,0 Innungs-Krankenkassen . 99,9 A Eingeschr. PUON “VES 20,0 30,0 50,9 LandeSrechtl. Hilfskafsen . 30,0 60,0 10,0

Bei der Gemeinde-Krankenversiherung ist die Unterftüßungédauer ge- sezlih auf 13 Wochen festgeseut.

Was das Prozentverbältniß der Vetsicheruhgs- beiträge zum Lobn anlangt, so find Angaben bierüber bei den Hilfskafsen nit zu liefern. Von den übrigen fünf Kafsenarten, bei denen die Beiträge seitens der Versicherten zu § gezahlt werden, erboben Beiträge im Verbältniß zum Lohn

über über mebr % 15—2% 22-39% als 39%

von je 100

Gemeinde - Krankenversiche-

rungsfkassen 3 24 Ort3-Krankenkassen . : / Betriebs-Krankenkassen

Bau- Krankenkassen

Innungs- Krankenkassen .

Das Kranken geld beträgt bei der Gezmeinde-KrankenversiWerung za § 6 des ESesetes im allgemeinen 509% des ortsüblihen Tage- lohns. Nt die Hilfskassen ist dieses Verbältniß ebensowenig, wie das der Beiträge zum Lebn, nahzuweisen. Bei den übrigen 4 Kafssen- arten zahlen : S :. Ge mehr als dic Hâlfte die Hälfte

des durchschnitilichen Tagelohns oder wirklichen

Arbeitsverdienftes

Dris-Nrankentäsfsen. «¿2 94,2 5,8

Betriebs8-Krankenkassen . . . 89,7 10,3

acta O A 100,0 s Innungs-Krankenkassen . . . 81,8 18,2

Die Gesammtsumme aller Krankeitékosten belief fch im Jahre 1894 auf 7372265 A Berechnet man die Krankheitékosten, welche auf 1 Mitglied entfallen, und stellt man diesem Betrag die Mit- gliederleistungen nämlih die Eintrittsgelder und Beiträge gegenüber, so ergiebt si:

von je 109

Peina der Arbeitnehmer Krant- und Arbeit- aeber sowie Eintrittêgelder M A

Beiträge der Arbeitnehmer allein und Eintrittsçelder

_Es entfielen i auf 1 Mitglied im beitskosten Jahre 1894 bei

der Gemeinde - Kranken- a r den Orts-Krankenkafsen . 15,16 den Betriebs - Kranken-

T a 10,00 É; den Bau-Krankenkafsen . 19,79 25 den Innungçs - Kranken-

i. 1006 13,90 denEingeschricbenen Hilfs-

E Or 16,73 den Landesrechtlichen

E 10 15,37 10,25

überhaupt . 11,42 11,77 7,85 Der Verwaltung83aufwand, der bei der Gemeinde-Kranken- versicherung in Wegfall kommt, betrug auf 1 Mitglied berechnet 1,48 Æ bei den Orts-Krankenkassen, 0,11 4 bei den Betriebs- Krankenkassen, 0,19 4 bei den Bau-Krankenkafsen, 1,93 4 bei den Innungs- Krankenkassen, 0,59 4 bei den Eingeschriebenen und 0,74 4 bei den Landesre{tlihen Hilfékafsen, wele dem § 75 des Reichs- Krankenversicherurg8geseßzes entsprachen. j Den Anforderungen des erwähnten § 75 leisteten n i cht Genüge

(und sind daher in den vorstehenden Erörterungen nicht berüdcksihtigt) 9 Eingeschriebene und 3 Landesrehtlihe Hilfskassen, die zusammen einen durchscnittlihen Bestand von 2019 Mitgliedern batten. Erkrankungs- fâlle kamen bei ibnen 725 zur Anzeige mit 14015 Krankhbeits3- tagen und 30 Sterbefällen, für die fie in8gesammt 31 904 (G an Kranfkbeitskosten und Sterbegeldern verausgabten.

Zur Arbeiterbewegung.

In der s{hottishen Stadt Carlisle versammelten si, der Lon- doner „A. K.“ zufolge, am Mittwoch die Delegirten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Sch iffsbauindustrie, um den drohenden aroßen Ausftand womöglich zu verhindern. Die Verhand- lungen waren geheim. Am Schluß der Sißung wurde die folgende Mittheilung gemacht: In Glasgow beabsichtigen die Meister, die Löhne gleihmäßig zu gestalten. Dadurch befkämen alle Arbeiter, welche unter 7 d die Stunde erhielten, einen Farthing mehr; dabei sei Bedingung, daß die Arbeiter vor sech8s Monaten den Ver- trag nit ändern dürften. Gegen die 7 d hätten die Arbeiter nichts, aber gegen die Kündigungsfrist. Der Vorschlag der Arbeitgeber gehe nun dahin, daß der Vorschlag der Glasgower Schiffebaumeister die Bestätigung ver Konferenz finden möge. Eine Aenderung der Kündigungsfrist folle gegenseitigem Einverständniß überlassen bleiten. Den Belfaster örtlihen Streit angehend, sagen die Arbeitgeber, daß e bei der jeßigen Konjunktur unmöglih sei, die Löhne zu erhöhen. Deshalb s{ch!agen fie ver, daß die Arbeiter in Belfast innerhalb einer Woche an die Arbeit zurükehren. In diesem Falle solle den Arbeitern vom 2. März n. J. ab in den Werkstätten des Vereins im Belfast- und Clyde- Distrikt 4 Penny die Stunde mehr gegeben werden, sobald der Stand der Geschäfte es möglih mache. Der dvann gezahlte Lohn folle ses Monate in Kraft bleiben. Jede weitere Lohnabänderung foll eine ¿iweimonatige Kündigung bedingen. | L

Aus ent wird der „Voss. Ztg.“ vom 23. d. M. berichtet : Auf Andringen des Gouverneurs haben sich die Besitzer der Konftruktionswerkstätten bereit erflärt, die Lohnfrage der Eatscheidung eines Schiedsgerichts zu überlassen, aber unter der Bedingung, daz die ausftändigen Arbeiter sofort nach dem Zusammentreten des Schiedsgerichts die Arbeit wieder auf- nehmen. Die ausftändigen Metallarbeiter baben beschlofsen, diese

orderung abzulehnen; sie wollen er| nach der Fällung des iedsspruchs dic Arbeit wieder aufnekmen. Unter diesen Um- ständen wollen die Arbeitgeber fich auf kein Schiedsgericht mehr ein- lassen. Auch die Genter Seter fordern einen erhöhten Tarif und drohen mit dem Ausstande. Ju Lüttich ist in ter Druckerei des „Journ. de Liège* ein Ausstand der Seer ausgebrochen.

Kunft und Wissenschaft.

Die- Berliner Gesellschaft für Anthropologie nabm mit der Ofktoberfißzung am Sonnabend, den 19. d. M., ihre Arbeiten wieder auf. Die Sizung begann, wie fonst, Abends 7 Uhr im Königlichen Museum für Völkerkunde. Der Vocsißende, Geheime- Medizinal-Rath, Professor Dr. Rud. Virchow gedachte zunächst der Verluste dur den Tod, welche die anthropologishen und ethnologishen Wissen- schaften in der jüngsten Zeit zu verzeihnen hatten, und be- richtete sodann über eine Reibe von wissenshaftlißen Ar- beiten und Mittheilungen, welhe der Gesells&aft von ibren Mitgliedern zugegangen sind. Sanitäts - Rath Dr. Bartels * wies auf das hiesige Museum für Volkëtrachten hin: Habe dasfelbe au noch teineëwegs eine Entwickelung genommen, wic man sie früher heffte, so habe es doch bereits seine Wirkung au über unsere Grenzen hinaus, auf die Nachbarlänter geübt. In Serajewo fei ein Volkstrahten-Museum entstanden, ebenso in Budapest; in Wien gebe es jetzt fogar zwei Stellen, wo diese Interessen gepflegt würden, das „K. K. Naturbistorishe Hofmuseum“ und den „Verein für Oesfterreihishe Volksfunde“. Neuerdings fei aber auch das Museum Franciscc-Carolinum zu Linz in die Reibe der Museen für Volkêtrachten getreten; Ober-Oesterreih werde dort natürlich be- fonders bevorzugt. Photographien der Museumsräutrne gaben eine An- \chauung von der Sammlung, ¿. B. von dem „Oefterreihishen Stübl“, Schlaf- und Wohnzimmer mit bemalter alter Einrichtung, wie sie si beute vielfah, namentli in der Gegend von St. Florian und Steyr vor- findet. Dr. Bartels sprach ferner über Pfeilspißen aus Obsidian, Achat und äbhnliwem Material. Es seien dies offenbar nur Nach- bildungen. Den Pfeilspißen wurde bäufig eine Art Zauberkraft bei- gemessen als Schuß gegen Krankheiten u. derglk.; als Amulette dienten auch jene Nachbildungen von Pfeilspißzen. Professor Dr. Alfred Nebring, der Vertreter der Zoologie an der biesigen Landwirth- \schafilihen Hochschule, hat den Kinderzahn aus der be- rühmten paläol:tbhishen Fundsbiht von Taubach, welche Dr. Arthur Weiß seiner Zeit festgestellt hat, . einer genaueren Üntersubung unterzogen. Der Zahn ist von Dr. Göße fchon vor einigen Jahren beschrieben worden; jeßt befindet er si im Ger- manis{chen Museum zu Jena, von wo ihn der Konservator des Museums, Profeffor Dr. Klopfleisch für die Unterfuhung herlieh. Der Zahn sei der erste untere rechte Backenzahn eines Menschen, zeige aber ähn- lie obere Flächen, wie sie beim Schimpansen vorkommen, und fei in großer Tiefe, dicht über dem Grundwasser gefunden: worden. Nicht weit von der Fundstelle traf man auf eine nestfôörmige Anhäufung von Thierknochen. Auf Veranlassung Nebring's hat Dr. Arthur Weiß die Fundstelle besucht und ein Prefil der Schicht- längen aufgenommen. Uekter der Funds{iht lagern noch elf andere Sciten ; daß nahträglich der Zabn in die Tiefe hinabgerathen fein kônne, wäre ausges{chloffen. Dr. Göße bat in Nussisch Lithauen einen alten Befemer oder Defemer erworben, der auf der einen Seite das ruf- sische, auf der anderen das deutsche Gewicht erkennen läßt. Ueber armenisGe Studien berichtete der Privatdozent der alten Geschichte Dr. jur. et phil. Carl F. Lehmann, inébesondere auch über den ethnishen Zusammenhang der Chaldäer und Armenier: der Redner arbeitet auf jenem Forshung2gebiet zusammen mit Dr. Belck: diese Studien werden démnächst im Druck erscheinen. Den 42 Samoane- rinnen und Samoanern des Paffage-Panoptikums werden die Berliner Antdÿropologen im Laufe der kommenden Woche einen gemeinsamen Besuch abstatten. „Ueter- den Kongreß in Caffel“ berichteten Ge- beimer Medizinal-Rath Virchow und Sanitäts-Rath Bartels; ersterer schilderte auch cen „Auéflug der Wiener Anthropologiscben Gesellschaft nah Bosnien“ und gedahte mit Worten des Dankes der mühevollen Veranstaltungen, welche die Lokalforsher dort überall getroffen batten. Auf dem internationalen zoologishen Kongreß in Leyden ist der viel besprochene „Pithecanthropos erectus“ von Dr. Dubois den Gelehrten Europas zum erften Mal vorgeführt worden. Gebeimer Nath Virchow hat, wie er in seinem Bericht mittbeilt, gerade dieses Fundes wegen den Kongreß besucht. Seine Ansicht lautet dahin: die gefundenen Zähne sowie der relativ auch gut erhaltene Schädel feien wahrscheinli die eines Affen gewesen, aber eines viel größeren, als die beute befannten. Der Schenkelknochen dagegen ftönnte vielleidt einem Menschen angehört haben. Sei der Fund auch nicht das, wofür man ihn angesehen habe, so fei er do jedenfalls von íöInteresse. Vei der an den Vortrag geknüwpften kurzen Debatte bethei- ligten si Professor Dr. Nehring und der Geheime Medizinal-Rath, Professor Dr. Gustav Fritsch- Berlin. Letzterer betonte, daß zwischen der Auffindung des Schädeldaches und des Schenkelknochens der Zeituntershied von cinem Jaßre liege und daß die Stücke wahr- scheinlih garnicht zueinander gehören.

Literatur.

ff. Historise Zeitschrift. Herautgegeben von Heinrich von Sybel und Friedrich Meinecke. 75. Band. München und Leipzig, R. Oldenbourg, 1895. Im vorliegenden Bande, dem leßten, der den Namen Sybel’s trägt, fallen zunächst zwei kurze Nekrologe auf Heinrich von Sybel in die Augen. Im erften schildert der Verleger und Freund Sybel's, Oldenbourg, den Ver- fehr Sybel’s mit Freunden und Kollegen während seines Aufenthaits in München: eine Zeit, die Sybel selbst als die glüdlichste Pericde feines Lebens bezeichnet hat; im zweiten giebt F. Meinecke eine gedrängte Uebersicht über die Ar- beiten des Verstorbenen und seinen Entwicklungsgang als Historiker. Sybel ist nach Meinecke einerseits ein hervorragender Vertreter der vornehmlich von Ranke begründeten idealistishen Geschichtsauffassung, im Gegensatz zu der modernen Richtung, die mehr die materiellen Grundlagen von Staat und Gesellschaft in der bisto- rischen Betractung betent. Andererseits unterscheidet ihn von Ranke der lebendige Zusammenhang mit den politishen Tagesereignifsen, der stets von höchstem Einfluß auf fein bistorishes Schaffen gewesen ift, wie u. a. feine „Entstehung des deutschen Königthums“ und die „Geschichte der Revolutionszeit* aufs deutlichste beweisen. Eine volle Würdigung der Persönlichkeit Sybel’s oder feiner Bedeutung für die Historio- graphie zu geben, beansprucht Meinecke’'s kleine Studie nicht, aber troß aller Kürze hebt sie treffend seine Eigenart hervor. i

Unter den übrigen Aufsäßen des Bandes sind von besonderem Interesse zwei Arbeiten zur preußishen Geschichte. In der ersten charafterisiert Otto Krauske Preußens „größten inneren König“ Friedrich Wilhelm I. und seinen vornehmsten Gehilfen, den Fürsten Leopold von Anbalt. Die genannten Fürsten sind auf den ersten Blick in vielen Dingen einander gleich: beide sind von rauhen Sitten und entgegen dem Geshmack ihrer Zeit allem fran- zösis(en Wesen und der Prunksucht ihrer Fürstlichen Zeitgenofsen durchaus abbold; von großer Energie und lebhaftem Herrscherbewußt- sein erfüllt, find sie beide mit Leib und Seele Soldaten; der eine wie der andere endlich ist ein tüchtiger Volkëwirth und leidenschaft- licher Jäger. Aber nicht minder groß sind die Verschieden- beiten: der Fürst von Dessau war eine friegerische Natur und ein be- deutcnder Feldberr und hierin seinem Königlichen Freunde weit über- legen; dessen Thätigkeit erstrcckte sh dafür mehr auf die innere Organisation des Heeres, seine Auêrüstung, Verpflegung und Verwaltung. Auch die Auffassung ibrer Regentenpfliht war grundverschieden: der Fürst fühlte fih als Patrimonialberr feines Ländchens, deffen Inter- essen mit seinen perfönlihen zusammenfielen ; der König betrachtete fich als ersten Diener des Staats, für dessen Verwaltung er Gott Rehen- schaft ablecen müsse. Ihr Verbältniß zu einander war bekanntli durh- aus freundschaftlich, nit selten sogar vertraulih; aber einen Einfluß auf die auswärtige Politik Preußens hat Fürft Leopold, fo sehr er sih auch

darum bemühte, nie besessen. Desto lieber bediente sch Friedrich Milhelm tes erfahrencn Fürsten bei der Organisation der inneren Ver- waltung ; die meisten seiner Reformen besprah er mit ihm, und im Magdeburgischen, wo das Regiment des „alten Defsauer* in Garnison l2g, und in Ostpreußen, wo er große Güter besaß, war Leopold gradezu cine Art von Statthalter: er kontrolierte die Zivilbehörden und ging ibnez, namentli was die Hebung der ticf darniederliegenden Landwirtbschaft in Ostpreußen betraf, mit Nath und That voran.

In tem anderen Aufsag giebt Paul Bailleu eine detaillierte Schilderung der Genesis des Friedens von Basel nah den Akten des Geheimen Staatsarwivs. Der Krieg Friedri Wilhelms Il. gegen die französishe Revolution war nach VBailleu der unpopulärste, ken Preußen je geführt hat. In Preußen shwärmte die öffentlihe Meinung damals ebenso für die Nationalversammlung und ihre Menschenrechte, wie sie die alte Regierung und die privilegierten Klassen, die durch das Treiben mancher Emigranten fkompromittiert wurden, verachtete. Dazu kam, daß man aller damaligen historischen Tradition entgegen an der Seite der Oesterreicher foht und ihnen zu Liebe die polnischen Angelegenheiten, die Preußen auf das embvfindlihste berührten, zu- vernahläfsigen hien. Wie die öffentlihe Meinung, dachten auch die Minister und Generale: ganz allein der König betrieb den französischen Krieg während zweier Jahre mit Eifer; ritterlihe Theilnahme für die Bourbonen und die“ Hoffnung auf territorialen Ge- winn leiteten ihn dabei ebenso wie der Wunsch, als Vertheidiger des Deutschen Reichs gegen Franfreich aufzutreten. Ausführlich {hildert nun Bailleu, wie die Minifter die Sinnesänderung des Königs bewirkten. Zunächst stellten sie ihm eindringlih die {limme Lage der preußischen Finanzen vor und die Unmöglichkeit, die Krieg8- kosten aus eigenen Mitteln zu bestreiten; auf Hilfsgelder von außer- halb war fernerhin niht zu renen, da England soeben den Subsidten- vertrag gekündigt batte; dann wiesen sie nachdrücklih auf die un- freundliche Haltung Rußlants und Oesterreihs gegen Preußen in Polen hin, die eine Zufsammenziehung der preußischen Streitkräfte im Osten erfordere ; endlich betonten sie, daß niht nur Preußen, fondern das ganze Deut!che Reich ein Snde des französischen Krieges herbei- sehne. Dies gab den Auëschlag: der König ergriff mit Feuer den Ge- danken, das friedensbedürftige Deutshe Reih mit Frankreich zu ver- \föhnen, und ertbeilte seine Zustimmung zu Unterhandlungen mit Frank- rei, die dann unter Hardenberg's Leitung bald zum Frieden von Basel (1795) führten. Man siebt, es war eine Verflehtung rein preußischer und reihsdeutiher Interessen, die die preußische Politif bestimmten; der König vertrat mehr diese, die Minister mehr jene Richkung.

Von den übrigen Aufsäßen erwähnen wir noch, außer den bereits besprochenen Ergänzungen Shybel’'s zum leßten Bande seiner „Begrün- dung des Deutschen Reichs“, die Studien von Georg von Below über die Verwaltung der deutshen Städte und Territoricn im Mittelalter urd von Dietrih Schäfer über die !chwetich - norwegische Union feit 1814.

Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 31. Januar 1850 nebst Ergänzungs- und Ausführungs- geseßen, fommentiert von Amtsrichter Dr. jur. et phil. E. Schwar 8. Verlag von Wilhelm Köbner, Breélau. Von diesem Kommentar liegen drei weitere Lieferungen 2 bis 4 vor, welche das früher an diefer Stelle ausgesprochene Urtheil bestätigen. Die - auf umfangrei®Zer hbistorisher und ftatistisher Grundlage aufgebauten Erläuterungen lesen sich sebr gut und bilden eine Darstellung der wichtigsten Materien des preußisden Staatsrechts im Anschluß an die Verfafsungsartikel und als Ausführung derselben, die wegen dieser Form eines besonderen Reizes niht ent- bebrt. Einzelne wichtige Fragen fommen bei der gewählten Metbode zu viel gründlicherer und anschaulicherer Darstellung, als man in den Lebrbüchern zu finden gewohnt ift, so z. B. Art. 21—24 ff. : die geseßlihen Grundlagen des Volksschulrechts, Art. 28: die Grund- fragen des Preßrehts, wobei vielleiht noch die vor dem Ober-Ver- waltungêEgericht zum Austrag gebrahten Fragen der Theaterzenfur an der Hand der Entscheidungen etwas eingehender hätten behandelt werden fönnen ; ferner Art. 45: Ausflüsse der vollziehenden Gewalt, und Art. 61: der Inhalt der gesetzgebenden Gewalt, Art. 49: das Begnadigungsrecht. Das Bestreben, einen Akriß der Haupt- materien des Staatsrechts zu geben, führt den Verfasser zn- weilen dazu, Materien în das Werk hineinzuziehen, welche, streng genommen, dur den LTert der Verfassungsurkunde nicht erfordert wurden, so im Anschluß an Art. 60 eine vollständige bistorish-dogmatishe Darstellung der Zentralbehörden, der Stellung der Minister zum König und im Staats-Ministerium, alfo von Fragen, für welche die Verfafsungsurkunde nirgends Rechtsquelle ift. Dagegen vermißt man eine eingehendere Behandlung des Haus- Ministeriums und der staatsrechtlichen Stellung der Hofbeamten, zu welcher die bekannte wichtige Entsheidung des Ober-Verwaltungs- gerihts aus dem Jahre 1889 und die damit in gewissem Widerspruch stehende Entscheidung der Wablpyrüfungékommission des Reichstags Veranlassung bieten konnten. Werthvoll wieder sind die Erläute- rungen zu Art. 96 über die Grenzen des Rechtswegs. Der Verfasser bat das politishe Leben mit offenem Auge verfolgt und ift sihtlich bemüht, alle in der Praxis der Parlamente irgendwie zur Kontejstation gelangten Streitfragen einer Prüfung ¿zu unterziehen. Gelegentlich führt ihn dies allerdings zu Bemer- fungen, weclhe mit juristisien Erläuterungen nichts mehr zu thun haben, wie das Urtheil über die Thätigkeit des Staatsraths. In der vierten Lieferung wird die Erläuterung der preußishen Verfassungs- urkunde zu Ende geführt, das Gescß über die Erwerbung und den Veilust der Bundes. und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 fommentiert und die Erläuterung der Verortnung über die Verhütung eines die gesetzlihe Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinigungsrechts vom 11. März 1850 in Verbindung mit allen zur Zeit geltenden reih#- und landesgefeßlichen Bestimmungen über das Versammlungs- und Vereinérecht begonnen.

Die Praxis des Reichsgerihts in Zivilfachen, bearbeitet von A. Bolze, Reichégerihtz-Rath. XIX. Band. Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig. Preis 6 Der vorliegende Band giebt unter 809 Nummern ein getreues Bild der neueren NRechtsprehung des ‘Reich8gerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts und des Prozesses. Die Anlage des Werks ift dieselbe geblieben, und was an dieser Stelle über die früheren Bände berichtet worden ift, gilt auch von dem vorliegenden. Hinzuzufügen ist nur, daß vorau®- igtlih noch in diesem Jahr ein Generalregister zu den ersten sechzehn Bânden erscheinen wird. z

Preußisches Gerichtskostengeseß und Gebühren- ordnung für Notare vom 25. Juni 1895, erläutert ven Nadbyl, NRecht?anwalt und Notar. Carl Heymann’'s Verlag, Berlin. Preis 3 A Diese Ausgabe der Kostengeseße enthält als Er- läuterung des Textes Anmerkungen des Verfassers, Stellen aus dem Bericht des Referenten der Juitizkommission des Hauses der Abge- ordneten und Auszüge aus der Begründung der Regierunasvorlagen, die geeignet sind, das Verständniß der einzelnen Gesepesbestimmungen zu erleichtern und zeitraubendes Nahschlagen unnöthig zu machen.

Im Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig erscheint in nächster Zcit unter dem Titel „Feuer und Schwert im Sudan“ ein Werk von dem bekannten Obersten Slatin Pasha, der vor wenigen Monaten einer zwölfjährigen harten Gefangenschaft bei den Mahdisten entronnen ist. Das Buch foll eine getreue Darstellung des Sudan vor und während der Zeit der Mabdisten geben und dürfte somit auch für die europäische Politik mane Aufschlüsse enthalten.

„Otto Hübner’s Geographisch-ftatistisheTabellen aller Länder der Erde“ sind in der vierundvierzigsten Ausgabe für das Jahr 1895 im Verlage von Heinrich Keller in Nrastines a. M. ershienen. Das inbaltsreihe Werk, welhes in aller Kürze eine univefselle Statistik darbietet, i| vom Professor Dr. von Surashek nach den neuesten wissenschaftlihen und amtlichen Forschungen bearbeitet, und der Inhalt demnach auf allen Gebieten neu gesihtet und vervollständigt. In einer Vorrede theilt der Verfasser die wichtigsten Veränderungen und Ergebniffe