1895 / 257 p. 14 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 26 Oct 1895 18:00:01 GMT) scan diff

0. 105 (Waldemarstraße E W. 107 (Mohrenstraße 63/64 NW. 108 (Waldstraße 11), 0. 109 (Krautsstraße 36), W. 110 (Yorfüraße 44a), - C. 111 (Reichsbank), : / sowie bei den Poftzweigstellen in Rixdor f 2 (Prinz Handjery- straße 33) und in Weißensee bei Berlin 2 (Langhans- straße 93) wird der Dienst an ane und geseß- lichen Feiertagen fortan gänzlich ge)chlossen, bei den Postzweigstellen in Charlottenburg 3 (Ber- linerstraße 146) und Charlottenburg 4 (Wilmersdorfer- pra 57) LRgege auf die Zeit von 5 bis 6 Uhr Nachmittags beschränkt. Berlin C., den 25. Oktober 1895. Der Kaiserlihe Ober-Postdirektor, Geheime Ober-Postrath Gri esbach.

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Betanntiaqui g

Bei dem Kaiserlihen Postamt Nr. 7 (Dorotheen- straße) tritt am 1. November eine öffentlihe Fern- sprechstelle in Wirksamkeit. E i

Für die Benugzung dieser Stelle kommen die allgemein gültigen Bedingungen in Anwendung.

Berlin C., den 26. Oktober 1895.

Der Kaiserliche Ober-Postdirektor, Geheime Ober-Postrath Griesbach.

Bekänntmawhung, Maßregeln gegen Viehseuchen betreffend.

Nachdem inhaltlich der amtlihen Ausweise über den Stand der Viehseuchen in Oesterreih-Ungarn die Maul- und Klauenseuche in Galizien erloschen ist, wird

1) die Bekanntmachung vom 4. April 1895 (Geseß- und Verordnungsblatt S. 142), welche die Einfuhr von Rind- vieh aus Galizien verbietet, außer Kraft ges

9) bestimmt, daß von nun an Rindvieh aus Galizien in * die Schlachthäuser derjenigen Städte, denen die Einfuhr von österreichishem Schlachtvieh im Dispenswege geftattet ist, unter den seiner Zeit an die betheiligten Städte besonders bekannt gegebenen Bedingungen wieder eingeführt werden darf.

Die voranstehend in Ziffer 1 und 2 getroffene Verfügung tritt sofort in Wirksamkeit.

München, den 24. Oktober 1895.

Königliches Staats-Ministerium des Jnnern. Freiherr von Feiliz\ch.

Königreich Preußen.

Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht: den prafktijhen Aerzten, Sanitäte-Räthen Dr. Hübener und Dr. Steinbrück in Berlin den Charakter als Geheimer Sanitäts-Rath, und den praktishen Aerzten Dr. Eberty, Dr. Beely und Dr. Herzberg in Berlin den Charakter als Sanitäts - Rath zu verleihen.

Ministerium der geisilihen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten.

Der bisherige Privat:Dozent Dr. Alfred Partheil zu Marburg is} zum außerordentlichen “Professor in der philo- sophishen Fakultät der dortigen Universität ernannt worden.

An der Präparanden-Anjtalt zu Zülz ist der Hauptlehrer und Organist Witton zu Warmbrunn als Vorsteher und Erster Lehrer angestellt worden.

Angekommen: Seine Excellenz der Staats-Minister und Minister für Landwirthschaft , Domänen und Forsten Freiherr von Ham- merstein, aus Schlesien.

Nichtamfliches.

Deutsches Neid. Preußen. Berlin, 28. Oktober.

Seine Majestät der Kaiser und König begaben Sih am Sonnabend Nachmittag nah dem Festmahl im Neichsgerichtsgebäude zu Leipzig mit Seiner Majestät dem König von Sachsen zu Wagen unter dem Jubel der in den Straßen angesammelten Bevölkerung zum Bayerischen Bahn- hof und verabschiedeten Sih dort von dem König Albert auf das herzlihste. Um 31/, Uhr traten Seine Majestät der he sodann mittels Sonderzugs die Rückreise nah dem Neuen Palais an, wo Allerhöchstdieselben nah 7 Uhr eintrafen.

Gestern Vormittag wohnten Beide Kaiserlihe und König- liche Mazestäten dem Gottesdienst in der Friedenskirhe zu a bei. Am Abend begaben Sich Seine Majestät der er nach Liebenberg und trafen um 81/4 Uhr wohlbehalten ort ein.

Der Koloaialrath trat heute Vormittag 10 Uhr im Auswärtigen Amt seiner Herbsttagung zusammen. Von den Mitgliedern hatten ihr Ausbleiben entshuldigt Staats- Minister a. D. von Hofmann und Oberst von Palézieux, sowie der neu in den Kolonialrath berufene Direktor des Norddeutschen Lloyds Wiegand. Neu eingetreten is ferner Geheimer Kom- merzien-Rath Michels aus Köln. Von seiten des Reichs- Schaßamts war Geheimer Ober-Regierungs-Rath von Glase- napp, von seiten des Reichs - Marineamts Major Kolewe zu- gegen. Der Vorsitzende, Direktor der Kolonial-Abtheilung, Wirklicher Geheimer Legations - Rath Dr. Kayser er- öffnete die Sißung, indem er zunächst mit ehrenden Worten des verstorbenen Mitgliedes des Kolonialraths, Geheimen Kommerzien-Raths Langen gedachte. Der Kolonial-

rath ehrte das Andenken des Verstorbenen durch Erheben von den Sißen. Sodann gab der Vorsizende eine allgemeine Uebersicht über die Entwicklung der Schußgebiete im leßten Jahre, welhe im Ganzen als eine zufriedenstellende zu be- zeihnen sei. Es wurde sodann zur Berathung der Etats- Entwürfe geschritten. Nachdem der Vorsißende einige allgemeine Erläuterungen zu den Entwürfen gegeben hatte, wurde in die - Generaldiskussion eingetreten, wobei unter anderem die Frage der Unterdrückung des Sklavenhandels in Sansibar von Herrn Ehren - Domherrn Dr. Hespers zur Sprache gebraht wurde. Allseitig wurde anerkannt,

- daß die deutshen Behörden mit besonderer Gewissenhaftig-

keit und mit besonderem Erfolge bestrebt seien, die Vorschriften der Brüsseler Generalakte zur Durchführung zu bringen. Hierauf wurde die Spezialberathung der Etats vorgenommen und zunächst über den Etats - Entwurf für Ost - Afrika ver- handelt.

Der General der Kavallcrie von Krosigk, à la suite des Leib-Garde- Husaren-Regiments und FJnspekteur der 1. Kavallerie-Jnspektion, ist hierher zurückgekchrt.

Bayern.

Jn der vorgestrigen Sißzung der Kammer der Abge- ordneten wurde die Berathung der Anträge auf Einführung des allgemeinen direkten Wahlrechts fortgeseßt. Der Abg. Orterer beantragte namens der Majorität des Zentrums Uebergang zur Tagesordnung, da, abgeschen von der jtreitigen Frage der Zulässigkeit der Verfassungsänderung während der Regentschaft, bei der jeßzigen Zusammensezung der Kammer die erforderlihe Zweidrittel - Majorität fehle. Der Minister des FJnnern Freiherr von Feilißsch erklärte: da kein Vorschlag auf Gee E: des Wahlgeseßes die Zweidrittel-Mehrheit erhalten würde, sei die Regierung niht in der Lage, einen darauf bezüglihen Entwurf ein- zubringen. Die Regierung halte an dem bisherigen Stand- punkt fest, daß cine Verfassungëänderung nur bei ganz dringenden Gründen während der Regentschaft zulässig sei. Die Weiterberathung wurde auf heute vertagt.

Sachsen.

Seine Majestät der Kaiser hat, wie das „Leipziger Tageblatt“ meldet, dem Ober-Bürgermeister Dr. Georgi seine Freude über den überaus freundlichen O der Aller- höchstihm in Leipzig zu theil geworden sei, ausge}prohen und denselben beauftragt, Allerhöchstseinen Dank zur Kenntniß der Bevölkerung zu bringen. i

Oldenburg.

(H) Seine Königliche Hoheit der Großherzog ist am Sonnabend aus Güldenstein nach Oldenburg zurückgekehrt. Am 28. d. M. wird der Familienrath des Großherzoglichen Hauses, welcher alle zwei Fahre berufen wird, in Oldenburg zusammentreten. An demselben wird auch Seine Hoheit der Herzog Alexander von Oldenburg theilnehmen.

Reuß j. L.

Der Landtag ist gestern eröffnet worden. Außer dem Etat werden noch einigé kleinere Vorlagen zur Berathung gelangen.

Oesterreich-Ungarn. Die „Wiener Zeitung“ veröffentliht die Ernennung des früheren Justiz-Ministers Grafen Schoenborn zum Ersten Präsidenten und die des früheren Finanz-Ministers Böhm-

Bawerk zum Senats - Präsidenten des Verwaltungs- Gerichtshofes. L E / Das ungarische Unterhaus hat sich am Sonnabend bis

zum 5. November vertagt.

Frankreich.

Die Deputirtenkammer seßte vorgestern die Debatte über den Ausstand in Carmaux fort. Der Minister des Innern Leygues nahm seine Ausführungen vom Tage zuvor wieder auf, schilderte den Verlauf des Strikes und wies nah, daß die Behörden einzig bemüht gewesen seien, eine Verständigung herbeizuführen; gewisse Vor- sihtsmaßregelnn hätten natürliGh getroffen werden müssen, namentlich nah dem Attentat auf Rcsseguier. Die äußerste Linke unterbrah fortwährend den Minister, roelcher sih shließlih scharf gegen die Einmischung der sozialistishen Deputirten in den Strike aussprach. Der sozialistische Deputirte Millerand behauptete, die Shvld an dem Strike in Carmaux trage Resseguier, tadelte das Verhalten des Prä- fekten sowie der anderen Beamten und verlangte, daß man den Strikenden zu Hilfe komme. Der Justiz- Ministèr Trâätieux exkläite, daß E lx das Vers halten der Behörden eintrete. Die Deputirtenkammer sei kein Gerichtshof. Der Minister wies sodann mehrere Behaup- tungen des Deputirten Jaurès zurück. Die sozialistischen Deputirten protestierten heftig dagegen. Jaurès wollte sih auf den Minister stürzen, wurde aber von seinen Freunden zurückgehalten. Der Minister verlangte s{ließlich, daß die Kammer durch ihr Votum ihr Vertrauen in die E und die Gerechtigkeit bezeuge. Nachdem hierauf die Diskussion geschlossen worden war, zog der Präsident Brisson seine Zusage, das Schiedsrihteramt in der Carmaux-Angelegenheit zu übernehmen, zurück. Der Deputirte Goblet hielt die Nothwendigkeit eines Schieds\spruches auf- recht. Der Minister-Präsident Nibot erklärte, die Kammer würde einen gefährlichen Weg betreten, wenn sie sih für ein Schiedsgericht ausspräche. Die Regierung wünsche eine schnelle Beilegung des Streitfalles in Carmaux, sie habe nichts ver- nachlässigt, was einen Ausgleich herbeiführen könne. Schließlich forderte der Minister-Präsident ein Vertrauensvotum und tadelte die Angriffe des Deputirten Jaurès gegen die Beamten in Carmauxr. Die Kammer beschloß mit 277 gegen 214 Stimmen, zuerst über die von dem Deputirten Drake eingebrahte Tagesordnung abzustimmen, womit sich der Minister-Präsident Ribot ein- verstanden erklärte. Diese Tagesordnung besagt, daß die Staatsgewalt einzig und allein die Aufgabe habe, die Ordnung und Freiheit der Arbeit zu sihern, und billigt die Erklärungen der Regierung. Dätauf wurde nacheinander über die ein- zelnen Punkte der Tagesordnung abgestimmt und dann dieselbe im Ganzen mit 280 gegen 183 Stimmen angenommen. Der Deputirte Guyot-Deffaigne beantragte, die Regierung zu

beaufiragen, einen neuen Schiedsgerichtsversuch zu machen. Der Antrag wurde mit 270 gegen 234 Stimmen abgelehnt.

Die Budgetkommission s{chlug vorgestern eine Stempelsteuer von 50 Cts. für 100 Fr. ausländischer Staatspapiere und bei sonstigen ausländishen Werthen eine solhe von 2 Fr. für 100 A vor. Der Minister-Präsident Rib ot erklärte sih mit diesem Vorschlag einverstanden.

Bei der gestern in Montluçon vorgenommenen Ersay- wahl eines Deputirten an Stelle des verstorbenen Sozialisten Thivrier wurde der Republikaner Vacher mit 8104 Stimmen gewählt. Der Sozialist Letang erhielt 7840 Stimmen.

Der Vertrag mit Madagaskar, der am Sonnabend in Paris eingetroffen ist, hat nah der „Köln. Ztg.“ folgenden Wortlaut: : :

1) Die Regierung Ihrer Majestät der Königin von Madagaskar erkennt die französische Schußherrschaft an und nimmt sie mit all ihren Folgen an. 2) Die Regierung der Französishen Republik wird bei der Königin von Madagaskar dur einen General-Residenten vertreten sein. 3) Die Regierung der Französishen Republik wird Madagaskar in all seinen auëwärtigen Beziehungen vertreten. Der General-Resident ist mit der Führung der Beziehungen zu den Vertretern der fremden Wiächte beauftragt. Die Angelegenheiten, welche die in Madagaskar ansässigen Ausländer betreffen, werden durch seine Vermitilung be- handelt. Die diplomatisdben und Konsularvertreter Frankceihs im Ausland sind mit dem Schuß der madagassishen Unterthanen und Interessen beauftragt. 4) Die Regierung der Französishen Republik behält sih vor, auf Madagaskar die zur Ausübung ihrer Schußherr- haft nothwendigen Streitkräfte zu unterhalten. Sie übernimmt die Verpflichtung, der Königin von Madagaskar ihren fortwährenden Schutz gegen jede Gefahr zu gewähren, die fie bedrohen oder die Ruhe in thren Staaten gefährden fönnte. 5) Der General-Resident wird die innere Verwaltung der Insel fkontrolieren. Die Königin von Madagaskar verpflichtet fi, diejenigen Neformen durhzuführen, welche die französishe Negierung zur Ausübung ihrer Schußherrschaft sowie auch zur Förderung der wirthshaftlihen Entwicklung der Insel und der Kultur für nothwendig erahten wird. 6) Die Gesammtausgaben der öffentlihen Verwaltungen Madagaskars und der Schulden- dienst werden dur die Einnahmen der Insel gedeck werden. Die Regierung Ihrer,Majestät der Königin von Madagaétkar verpflichtet sid, obne die Ermächtigung der Französischen Regierung keine Anleibe aufzunehmen. Die französische Regierung übernimmt keine Verantwort- lichkeit wegen der Verpflichtungen, Schulden und Konzessionen, welche die Regierung der Königin von Madagaskar vor der Unterzeichnung dieses Vertrags eingegangen fein oder bewilligt haben mag. Die Regierung derFranzösischen Republik wird der Regierung der Königin vonuMadagaskar ihre Mitwirkung leihen, um die Umwandlung der Anleihe vom 4. Dezember 1888 zu erleichtern. 7. und leßter Artikel. In möglichst kurzer Zeit sfoll zu einer Abgrenzung der Gebiete von Diego Suarez geschritten werden. Die Grenizlinie wird, soweit es die Bodengestal- tung gestattet, dem 129 45' südlicher Breite folgen.

Der Vertrag soll den Kammern erst nach der Rückkehr des Generals Duchesne vorgelegt werden. E

Rußland.

Die Kaiserin - Wittwe, der Großfürst Michael und die Großfürstin Olga sind am Sonnabend in St. Petersburg eingetroffen und haben in Gatshina Aufenthalt genommen. l

Der bisherige Minister des Jnnern Durnowo is, wie „W. T. B.“ aus St. Petersburg erfährt, unter Enthebung von seinem Amt zum Präsidenten des Minister- comités ernannt worden. Der Gehilfe des Ministers des Jnnercn Goremykin ist zum Verweser des Ministeriums des Innern ernannt.

Nach dem „Westnik Finanssow“ weist der Abschluß des Neichsbudgets für 1894 folgende Zahlen auf: ordentliche Einnahmen 1153000 000 Rbl. (mehr gegen Voranschlag 148000000 Nbl.), Ausgaben 991 000 000 Rbl (mehr gegen Voranschlag 9000000 Rbl.) : im Ordinarium ergab das Budget von 1894 einen Ueberschuß von 162 000 000 Rbl. (mehr gegen Vor- anshlag 138 000 000 Rbl.). Die außerordentlichen Ein- nahmen ergaben 78 000 000 Rbl. gegen im Voranschlag vor- gesehene 19000000 Nbl. Der Ueberschuß der außerordentlichen Ausgaben über die Einnahmen im Betrage von 85 000 000 Rbl. ist vollständig gedeckt durch den Ucbershuß des ordentlichen Budgets. Das Endresultat ergiebt einen Uebe rschuß von 77 000 000 Rbl. und unter Zuzählung freier Reste aus Krediten abgeschlossener Budgets im Ganzen 92 207 852 Rbl.

Spanien. Zur Verstärkung der Truppenmacht auf Cuba sollen, wie „W. T. B.“ meldet, insgesammt noch über 35000 Mann entsandt werden.

Belgien.

Der Ministerrath is, wie „W. T. B.“ berichtet, am Sonnabend zu einer dringlih anberaumten Sißung zusammen- getreten, um die von mehreren auswärtigen Mächten erhobenen Beschwerden wegen des Verbots, mit Dynamit beladene Fahrzeuge an den Ufern der Schelde landen zu lassen, zu prüfen. Es wurde beshlossen, einen modus vivendi für zwei Monate zu suchen, um während dieser Zeit mit der Stadt Antwerpen über die Grundlage für ein Einvernehmen zu verhandeln.

Türkei,

Bei der Audienz, welche der englishe Botschafter Sir Ph. Currie am Donnerstag bei dem Sultan hatte und die einc Stunde währte, gab, dem „W. T. B.“ zufolge, der Sultan dem Botschafter die Versicherung, daß er fest entshlossen sci, die Reformen durchzuführen und würdige, kompetente Beamte für die Kontrolkommission zu ernennen. Aehnliche Zusiche- rungen gab der Großvezier Kiamil Pascha.

Die Antwort der drei Botschafter auf die leßte Note der Pforte betreffs der Reformen enthält, wie „W. T. B.“ meldet, außer der formellen Empfangsbestätigung auch einige Einwendungen gegen die türkishe Auffassung der getroffenen Vereinbarungen. j

Infolge der Stimmung der armenishen Bevölkerung 1 Zeitun und Umgegend, welche ernstlich den Ausbruch von Ünruhen besorgen lasse, lenkten die Vertreter der Mächte die Aufmerksamkeit der Pforte auf diese Gefahr und ectheilten ihr freundlihe Rathschläge, welche die Pforte mit der Ver- T beantwortete, die nothwendigen Maßnahmen treffen zu wollen.

Das „Reuter sche Bureau“ meldet aus Konslantinopel vom 26. d. M., die Pforte habe eine Depesche des General- Gouverneurs von Bitlis erhalten, derzufolge bewaffnete Armenier am 25. d. M. einen e Wo auf die Moscheen von Bitlis gemacht hätten, wo alle Mohamedaner zur Ver- rihtung des Freitaggebets versammelt gewesen seien. Vie Mohamedaner, durch den Angriff überrascht, hätten sih mit Steinen und Stöcken vertheidigt. Die Behörden

hätten sofort zur Wiederherstellung der Ordnung in alleg Quartiere der Stadt Abtheilungen der Polizei, GendarmerWe

und Militär gesandt. Ein Theil der Armenier habe sich darauf in den Khans verbarrikadiert und fortgefahren, sih der Waffen zu bedienen. Es habe auf beiden Seiten Todte und Verwundete gegeben. E

Dasselbe Bureau meldet ferner, nah Berichten aus türkischer Quelle sei bei den Unruhen in Erzingjan der Jmam getödtet worden, worauf die Mohamedaner die Armenier angriffen und 50 getödtet hätten: auf türkisher Seite seien 10 Todte gezählt worden; schließzlich sei die Ordnung wiederhergestellt worden. Jm Distrikt von Musch seien gleichfalls Unruhen ausgebrochen ; Einzelheiten fehlten. H

In Cetinzje ist die Nachricht aus Skutari eingetroffen, daß daselbst ein blutiger Konflikt zwlshen Mohamedanern und Katholiken staitgefunden habe. Auf beiden Seiten habe es Todte und Verwundete gegeben.

Rumänien.

Jn einer sehr zahlreich besuchten politishen Versammlung in Fassy entwickelte gestern der Minister-Präfident Sturdza das Programm der Regierung. Dem „W. T. B.“ zu- folge, bezeichnete der Minister-Präsident als- die zu erstrebenden Ziele: strenge Beobachtung der Geseze in allen Zweigen der Staatsverwaltung, vollste Wahlfreiheit, Wiederbelebung der bäuerlichen Bevölkerungsklasse und Hebung ihrer ökonomischen Lage, Abschaffung der Kopfsteuer und der ausschließlich auf dem Sauettiiande lastenden Spezialîteuer für den Klerus, Wiederherstellung des budgetären Gleichgewichts ohne neue Steuern durch Einschränkung der Ausgaben und Ersparungen in der Verwaltung, Ordnung der Disziplin in der Armee, sowie Reformen in der kirhlihen Geseßgebung und dem offentlihen Unterricht. Jn Betreff der auswärtigen Politik Numäniens führte der Minister-Präsident im wesentlichen Folgendes aus: Die moderne äußere Politik Rumäniens sei auf dem Schlachtfelde von Plewna eingeweiht und durch die Erhebung Rumäniens zum Range eines Königreichs befestigt worden. Durch seine eigene Kraft und eigene Leistung habe Ru- mänien sich seine Unabhängigkeit und seine geachtete Stellung in dem europäischen Konzert errungen, und es habe auch das Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit, was seine zivilisatorische Sendung im Orient betreffe; es werde auf diesem dur seine nationale Entwicklung vorgeschriebenen Wege verharren. „Jn der nationalen Frage“, fuhr der Minister-Präsident fort, „ist unsere Haltung eine klare und bestimmte. Es ist ein- leuhtend, -daß wir uns allen agitatorishen Eingreifens in die inneren Angelegenheiten der uns benachbarten Staaten, insbesondere in diejenigen der österreichisch - unga- rishen Monarchie, enthalten müssen. Man hat uns des Jrre- dentismus beshuldigt, namentlich auch, daß wir unsere Stammes- genossen in Ungarn zum Widerstande gegen Gesey und Ordnung reizten. Eine derartige Haltung war niemals die unsrige; wir haben niemals diefe Richtung eingeschlagen, die eine schwere Gefahr für uns in sh schließen müßte, falls das gleiche Verfahren gegen uns angewendet würde. Die öster- reichish - ungarishe Monarchie ganz besonders bildet eine Nothwendigkeit ersten Ranges sowohl für das Gleich- gewiht Europas, wie für die Sicherheit des rumänischen Königreihs. Jn diesem Punkte hat es hier nie eine Meinungs- verschiedenheit gegeben, und kann es feine geben. Der JIrredentismus in Rumänien, falls er bestände, wäre eine Absurdität, und die Rumänen werden das Unmögliche und Absurde bei der Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten stets zu meiden wissen. Kein urtheilsfähiger Mensch von gesundem Sinn in Rumänien denkt an Jrredentismus oder Dafko- Rumanismus. Man behauptet auch, daß wir uns in die inneren Angelegenheiten Ungarns einmishen wollten. Nichts hat unseren Absichten jemals ferner gelegen. Wir sind alle von dem Wunsh erfüllt, daß die Kämpfe und Konflikte zwischen Rumänien und Ungarn endcn und durch brüderliche Eintracht abgelöst werden ; denn das beiderscitige Jnteresse fordert es, daß Rumänien und Ungarn freundschaftlihe Be- ziehungen unterhalten. Gerade jeßt stehen wir einem spontanen, wichtigen Akte des Kaisers Franz Joseph gegen- über, der auch für uns hier in Rumänien von guter Vorbedeutung für die Zukunft ist. Wir freuen uns dieser Kundgebung hoher Milde, sowie jedes Aktes, der unsere Beziehungen zu ODesterreih-Ungarn auf solide Grundlagen stellt, dieselben befestigt und andererseits die Harmonie kräftigt; denn unsere Anstrengungen müssen auf Erhaltung freundschaftlichster Beziehungen zwischen beiden Ländern gerichtet sein. Diese Gedankenrichtung kennzeichnet den Weg, den wir verfolgen werden.“ Die Ausführungen des Minister-Präsidenten fanden stürmischen Beifall.

Ein Rundschreiben des Minister-Präsidenten Sturdza an die Vertreter Numäniens im Auslande Per adia: dieselben, daß auf dem Gebiete der äußeren Politik Rumäniens infolge des Regierungswechsels durhaus feine Aenderung beabsichtigt werde.

Dänemark.

Wie „W. T. B.“ aus Kopenhagen berichtet, wurde in einer Versammlung der Delegirten der Partei der Rechten, nachdem ein Kompromiß zwischen der bisherigen Verwaltung und der Parteigruppe des Kammerherrn Jacob Scavenius erzielt worden war, beschlossen, eine gemeinsame Organisation der ganzen Partei zu bilden, und zwar unter einem Ver- waltungsrath von 30 Mitgliedern, in welchen jede Partei- schattierung 15 Mitglieder wählen so]. Ferner wurde be- shlossen, das Verwaltungsrathsmitglied Zitten zu beauftragen, ein Parteiprogramm auszuarbeiten, welches der nächsten

Delegirtenversammlung vorgelegt werden soll.

Asien.

Wie die japanischen Zeitungen melden, wären der bis- herige japanishe Gesandte für Korea" Miura und andere Japaner bei ihrer Ankunft in Ujina verhaftet worden.

_ Nach der Eroberung von Tafao auf Formoja haben die japanischen Truppen auch Tainanfu eingenommen.

Afrika.

Nath einer in Rom eingetroffenen Privatdepeshe aus Adua vom 26. d. M. seßten die italienishen Truppen die Verfolgung Nas Mangascha's fort, welcher sih mit wenigen Leuten nah S choa geflüchtet habe. Das Gerücht vom Tode des Königs Menelik bestätige sich nicht, vielmehr scheine dessen Vormarsch bis Boroumieda sicher zu sein. Es verlaute, die Häuptlinge der Ambara und Lasta sowie andere eien abtrünnig geworden und hätten dem Rufe Menelik's nicht entsprochen. Einer von ihnen habe versucht, die Unterstüßung der Mahdisten zu erhalten, die Verhandlungen hätten jedoch bisher zu keinem Resultate geführt.

Aus Tananarivo wird gemeldet, sämmitlihe Truppen der T ang seien entwaffnet und entlassen worden. Der exal Duchesne habe eine neue Miliz gebildet, die unter dem direkten Oberbefehl der Franzosen stehe.

Kunft und Wissenschaft.

Die juristishe Fakultät der Universität Leipzig hat an- läßlih der Feier der Schlußsteinlegung im Reichsgerichtsgebäude zu Ehrendoktoren promoviert: die Senats-Präsidenten beim NReichs- aeriht von Wolff, Petersfen, Dänhardt und von Bomhard, den Ober - Reich2anwalt Tessendorf, die Reich8gerihts - Räthe Rassow, Meischeider, Meves, Löwenstein, von Bülow und Rehbein, die Rechtsanwalte Bussenius, Arndts und Romberg. Die feierliche Ueberreiwung der Diplome erfolgte durch den Dekan der Fakultät, Geheimen Rath Dr. Wach. /

In der Kolonie D ietrichsfel d, etwa 8 km nordöstlih von Aurich, wurde vor einiger Zeit beim Abgraben eines Sandhügels in einer Tiefe von angeblich 7 Fuß ein Topf aus gebranntem Thon mit einer großen Anzahl Silbermünzen und einigen anderen Silbertheilen aufgedeckt. Die Münzen sind, soweit sie bisber ent- ziffert werden fonnten, deutshen Ursprungs, fogenannte Denare, Halbdenare, Brakteaten und Nachmünzen, theils aus dem Ende des 10., theils aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts. Der Fund wird also in den Anfang oder die Mitte des 11. Jahrhunderts zu seßen sein. Er erscheint nach den bisherigen Feststellungen, abgesehen von dem numismatis{chen Werth, für die Geschichte Ostfrieslands von niht geringer Bedeutung.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs- Maßregeln.

Algerien. Zufolge Verfügung des General-Gouvernements in Algier vom 18. d. M. unterliegen Herkünfte aus Damiette in den algerischen Häfen einer Desinfektion und Isolierung. Auch ist für Herkünfte aus dem übrigen Egypten sowie aus Kleinasien und Marokko eine Ueberwachung angeordnet.

Wien, 26. Oktober. (W. T. B.) Der Minister-Präsident und Minister des Innern Graf Badeni richtete an die Statthaltereien zu Wien, Prag und Brünn sowie an die Landesregierungen in Troppau und Czernowitz einen Erlaß, welcher anordnet, daß mit Rücksicht auf die Ausbreitung der Cholera in Galizien der Ueberwachung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung eine erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet und die entsprehenden Vorkehrungen getroffen sowie die Gemeinden zur ftrengen Handhabung der Vorschriften der Fremden- polizei eindringlich aufgefordert werden.

Handel und Gewerbe.

Vor der Amsterdamer Firma A. v. d. Burg wird seitens der dortigen Polizeibehörde gewarnt.

Tägliche Wagengestellung für Koblen und Koks

an der Ruhr und in Oberschlesien.

An der Nuhr sind am 26. d. M. geftellt 10562, nicht recht- ¡eitig gestellt 2638 Wagen; am 24. Oktober sind, wie berihtigend ge- meldet wird (vgl. Nr. 256 d. Bl.), gestellt 10 386, niht rechtzeitig gestellt 2158 Wagen. :

In Oberschlesien sind am 25. d. M. gestellt 4368, nicht reht- ¡eitig gestellt 1198 Wagen.

Die heutige außerordentliße Generalversammlung des „Hoerder Bergwerts- und Hüttenvereins*“ nahm die An- träge an auf Begebung von 5 020 000 ( Vorzugsaktien und Auf- nahme einer vierprozentigen Anleihe im Betrage von 10 Millionen Mark zur Nückzahlung der alten fünfprozentigen Anleihe. Die Aktio- näre erhalten auf 4 alte eine neue Vorzugsaktie zum Kurse von 105.

Verdingungen im Auslande.

Oesterreich-Ungarn.

4. November, 4 Uhr. K. und K. See-Arsenals-Kommando in Pola: Lieferung für das Jahr 1896, und zwar : Loos l Bretter und Staffelhölzer aus Tannen- und Lärchenbolz, Loos VI Leinöl, Loos VIT Rindsunschlitt, Loos VIIl Graue Waschseife, Unschlittkerzen und Stearinkerzen, Loos IX Besen und Noßhrdecken, Loos XI Bürsten und Pinselwaaren, Loos XI1 Holzkohle, Loos X1V Nosettenkupfer, Barren, Draht. Blehe und Nägel aus Kupfer, Loos XV a verschiedene Röhren aus Kupfer, Loos XV þb verschiedene Röhren aus Muntmetall, Loos XVI Barren und BeschlagbleWße aus Munßmetall, Loos XVIlI1 Messing in Barren, Stangen und Blechen, Messingdraht, Loos XXII1 Kardusen- sädel-Seidenzeug, Loos XXIV Lieferung von dünnen Tausorten, sowie fonstigen Erzeugnissen aus Hanf, Loos XXVI Spagate aus ungetheertem Hanf, Loos XXVI1 Koßen (Decken). Näheres bei der bezeihneten Behörde, sowie bei der Kanzlei-Direktion der Marine- Sektion des K. und K. Neichs-Kriegs-Ministeriums in Wien und dem K. und K. Seebezirks-Kommando in Triest.

Niederlande.

4. November. Lieferung des Zimmer-, Eisen-, Glas- und Farbenmaterials für 23 Arbeiterwohnungen zu Helmond. Be- dingungsheft gegen Bezahlung von 0,50 Fr. erhältliß bei dem Buchhändler F. de Neydt daselbft.

j Verkehrs-Anstalten.

Die am Schluß des zweiten Quartals dieses Jahres begonnenen Arbeiten zur Anlegung eines Zufluchtshafens bei dem an der Elbe belegenen Flecken Bleckede (Reg.-Bez. Lüneburg) sind so ge- fördert worden, daß man den Hafen im nächsten Winter in Gebrauch nehmen zu fönnen hofft. Auch die Arbeiten zur Herstellung einer Kleinbahn im Kreife Bleckede von Dahlenburg über Bleckede nach Echem sind in vollem Gange.

Theater und Musik.

Königliwes Schauspielhaus.

Am Sonnabend gingen zwei dramatische Neuheiten: „Niemand weiß es“, drei Bilder von Theodor Wolff, und „Frauenlob“, ein Lustspiel in drei Aufzügen von Rudolph Lothar, zum ersten Mal in Scene. Das erste Stück „Niemand weiß es“ bietet drei scenishe Bilder von poetishem Reiz dar: Das zirerlihe japanische Mädchen Tajo heirathet den Fürsten ihres Landes, obgleich sie den Maler Yori liebt. Der Grund diefer neigungslosen Heirath bleibt für den Zuschauer Geheimniß, aber man begreift, daß das Wiedersehen der Liebenden die alte Flamme wieder beftig anfaht, und daß Yori den Fürsten tödtet, der die zärtlich Flüsternden überrasht. Tajo, die schuldige Fürstin, stürzt sich stumm in ein Schwert, nahdem Vori, der allen iFragen gegenüber tiefes Schweigen bewahrt, von den Dienern des Hauses zum qualvollen Tode geführt wurde. Die eigentlihe Handlung ist knapp gehalten, denn die drei Abtheilungen des Bühnenwerks zeigen in einer Fülle poetischer, aber für das Scbicksal der Liebenden nebenfächliher Kleinmalerei in kargen Zügen den Abschied der Liebenden, das Wiedersehen und das tragishe Ende ohne wirkliche vsychologische Begründung der Vorgänge, was um fo stärker auffällt, als das Liebes - paar im Dialog nur wenig nationale, also japanishe Eigenart zeigt. Der Hauptreiz des Stücks liegt in der zarten dichterishen, aber rein lyrishen Stimmung, die in den scenishen Bildern ihren Ausdruck findet und der die Kunst des Dekorationsmalers und der Regie ver- ständnißvoell zu Hilfe gekommen ist. Der japanishe Frühlingstag fonte faum flarer und duftiger dargestellt werden, als in der Scenerie des ersten Bildes. Leichte Schneefurhen bedecken noch den fkahlen

Gipfel des nahen Berges, der von einem lihiblauen, bellen Früblings- himmel fih abhebt, während im Thal alle Bäume in Blüthe stehen. Der Maler Yori malt in der wonnigen, frishen Natur, ein Maärchcnerzähler liest eine zierlihe Geschichte, Tajo tritt leise unter den blühenden Kirschbaum, und Musik und Mädchenlachen erklingen in der Ferne. Wenn dann die drei Gespielinnen Tajo’s, durch die Damen von Hochenburger, Pcppe und Lindner dargestellt, mit Blüthen in den Händen und unter Saitenfklang zierlidh über die Bühne schreiten, so ift eine ccht poetishe Stimmung erweckt, und man ent- bebrt in solhen Augenblicken faum die fehlende dramatishe Bewegung. Fräulein von Mayburg spielte die zarte Tajo mit Anmuth; Herr Matkowsky gab den Maler sympathisch und Herr Klein den Fürsten würdig.

Das Lustspiel „Frauenlob“ erfüllte seinen Zweck, eine frohsinnige, lustige Stimmung zu erzeugen. Der Heldin des Stückes, Mathilde, die fich für eine junge Frau au8giebt, um den ehescheuen jungen Herren eine Lektion zu ertheilen, find viele treffende und erbeiternde Be- merkungen in den Mund gelegt, die lebhaften Widerhall bei den Zu- hôrern und Zuschauern fanden. Die handelnden Personen entwideln alle einen gewissen Humor, {hon durch den Gegensaß, der zwischen ihrem eigentlichen Lebensberuf und ihrer dörflichen Lebensweise in einer ab- gelegenen Alpensommerfrische besteht. Eine berühmteSängerin findet bier ihr höchstes Glü in der Kochkunst, die sie mit Eifer betreibt; ein „tragischer Liebhaber“ schreitet mit verwildertem Bartwuchs als Tiroler Bursche von den Bergen, ein Kapellmeister widmet sich dem Jägerlatein und der Abhärtungskur und ein gefürchteter, fritisher Frauenbafser wird von einem natven jungen Mädchen, der Schwester des tragischen Lieb- habers, überwunden. Die Ebescheuen werden so gründlich bekehrt, daß drei Brautpaare sich am Schluß beglückt die Hände reihen. Fräulein Poppe spielte die Rolle der Mathilde mit Anmuth und Geist; Fräulein Hausner führte den Kritiker und gutmüthigen Weiberfeind sehr energisch zu einer gesunderen Lebensanschauung und Frau von Hochenburger gab ihrer Lust am Kochen fast begeisterten Ausdruck. Die Herren Klein, Keßler und Herter charakterisierten die ehescheuen Liebhaber mit guter Laune, und Herr Molenar suchte aus dem Kraftmenschen und dem Kapellmeister eine glücklihe Mischung herzustellen. Herr Vollmer aber hatte den größten Erfolg in der Nolle des tragishen Liebhabers, der eitel wie Narziß, selbst- gefällig und zärtlicen Blicks sein s{chönes Antliß und seine noch schönere Garderobe mustert, als ein neuer Stern am Himmel der fleinen Künstlerfolonie auftauht und sein Herz \{chneller shlagen macht. Lebhafter Beifall rief nah jedem Ukt den Verfasser vor

den Vorhang. Deutsches Theater.

Fulda wollte einmal die moderne Gesellschaft, wie er sie kennt, mit andern Worten die Plutokratie, in einer Situation zeigen, in welcher das Ansehen des Geldes, des Titels, der Reklame nichts gilt und der Mensch nur nah feinem individuellen Werthe bemessen wird. Zu diesem Zweck ersann er eine Geschichte, wie sie etwa Jules Verne, der geniale Nomantiker der Tehnik und der Erfindungen in den „Kindern des Kapitän Grant* oder der „Geheimnißvolen, Insel“ behandelt nur mit dem Unterschiede, daß Fulda an geistreichen Einfällen und phantzsievoller Ausgestaltung der Ereignisse weit binter seinem Vorgänger zurücksteht. Aber {hon Jules Verne's Werke sind nur in ihrer ursprünglihen Romanform reizvoll; dramatisiert haben sie den Weg auf die Ausftattungsbühnen gefunden und wirkten dort im wesentlihen durch den Glanz, der ihnen verliehen werden konnte, und èurch die technishen Wunder der maschinellen Bühnen- einrihtungen. Denkt man sh die Nachahmung einer solhen Dramas tisierung auc) noch dieser äußeren RNeizmittel beraubt, fo kann man ih den Eindruck von „Nobinsons Eiland*“, Komödie in 4 Akten von Ludwoig Fulda, die am Sonnabend zum ersten Male aufgeführt wurde, vergegenwärtigen. Der einzige Unterschied ist der, daß Jules Verne seine Charaktere nur zu dem Zwecke zeichnete, um zu unterhalten, Ludwig Fulda hingegen, um ein sfoziales Problem zu lösen; und was das Charafterisierungsvermögen an jih betrifft, so giebt der ältere Franzose, dessen scharfe Beobachtungsgabe bekannt ift, dem neudeutshen Dichter Fulda in keinem Punkte nah. Um sein Z:el zu erreichen, läßt Fulda einen Kommerzien-Rath mit seinem ganzen liebedienerishen Gefolge, in welchem sich fogar ein moralisch und finanziell heruntergekommener Fürstensproß befindet, gelegentlih einer Gesellshaftsreise um die Welt auf einer einjamen unbewohnten Insel mitten im Ozean stranden, wo jeder unter gleichen Bedingungen den Kampf um's Dasein aufnehmen muß. Hier zeigt ih natürlich, daß praktischer Verstand und körperliche Kräfte mehr werth sind als cine Tasche voll Gold, Ahnenstolz und eine verweihhlihte Kon- stitution. Die ersteren Eigenschaften besißt, wie in den Erzeugnissen vormärzlicher Literatur, nur ein armer Bürgerssohn, Arnold Palm, den der Kommerzien-Rath daheim aus seinen Viensten gejagt hatte und der sih als Heizer an Bord der untergegangenen „Utopia" befand, die leßteren der Kommeczien-Rath und Fürst Harten- stein, die sih gegenseitig im albernen Benehmen überbieten. Die übrigen Personen, die in Europa die Autorität diejer beiden rúüdhaltlos anerkannt hatten, wählen hier einftimmig Arnold Palm zum Führer, sodaß nun ein kleiner Miniaturstaat mit umgekehrter Weltordnung entsteht. Der dritte Akt der Komödie, welcher uns diese Zustände und die Personen in ihren selbstgefertigten Bastkleidern vorführt, bildet den Höhepunkt des Stücks; man muß dem Dichter billig einräumen, daß echter Humor und feine Satire hier einigermaßen für die im übrigen vorherrs- \hende Nüchternheit entshädigen; nur der Schluß, wo als deus ex machina ein deutscher Marine-Offizier erscheint, um nach flüchtiger Begrüßung die Geretteten zu einem solennen Frühstück ein uladen, fällt in die Banalität zurück. Der vierte Akt oder die Rückkehr in die Heimath und in die alten Verhältnisse giebt tem Ganzen einen possenhaften Shluß. Arnold Palm wird durch Ver- mittelung des plôylih vernünftig gewordenen {Fürsten zum Gouveraeur der neuentdeckten Insel ernannt und verlobt sih mit der Nichte des Kommerzien-Raths, die ihm für seine Heldenthaten bis ans Ende der Welt zu folgen gewillt ift.

Die Darsteller nahmen sich des Werks mit aller Wärme an und erzielten in dem dritten Akt einen vollen Erfolg. Genannt. seien Herr Hermann Müller als Kommerzien-Rath, Agnes Sorma als dessen Nichte, Rudolf Rittner als Arnold Palm und Reicher als Fürst Hartenstein.

Neues Theater.

Viel Gutes ist den beiden Novitäten, welche gestern einem zahl- reihen Sonntagspublikum zur Beurtheilung vorgeführt wurden, leider niht nahzurühmen. Das einleitende Werk „10000 Fuß ho“, Plauderei in einem Aufzuge von Friy Wangenheim, hätte mit einigen fräftigen Streihungen und bei zureichender Darstellung redckt wohl gefallen können. Die Idee, ein junges Paar gelegentlih einer Bergpartie in einer hohgelegenen Alpenhütte zusammenzuführen und dort eine Verlobungsscene, ähnli4 wie sie Pohl im Einakter „Die Squlreiterin* ersonnen hat, zu schildern, ist an sih niht übel. Aber eine Plauderei muß kurz sein, und die Darsteller müssen wirklich plaudern können, sonst bleibt die Wirkung aus. Die Kunst zu plaudern war den beiden Vertretern der Hauptrollen, Herrn Weiß und Fräulein Förster, leider garniht eigen, sodaß die Scene den Charakter eines langweiligen Gesprähs annahm und die Zuhörer erleihtert auf- athmeten, als sie zu Ende war. Die Regie hatte dem Stücke äußerlich alle Wahrscheinlichkeit verliehen, auch die Rollen der beiden Berg- führer waren dur die Herren Kraus und Aderer angemessen besetzt.

Das zweite Stück des Abends, ein dreialtiger Schwank von Alexandre Bisson, „Der tapfere Cardunois“ (L’héroique Cardunois), wurde zwar flott gespielt, litt aber ebenfalls an alizu- großer Länge. Das Grundmotiv. daß ein Ehemann sih den Schein des Heldenthums giebt, um seiner Frau zu gefallen, reiht für drei Akte niht hin. Die immerwährenden Wiederholungen gleichgearteter Scenen ohne jeglihe Spannung wirken auf die Dauer ermüdend. Den tapferen Cardunois spielte Herr Panfa mit vielem Humor, leider aber nicht überall verständlih. Auch die Herren Georg und Pagay sind lobend bervor- zuheben. Unter den Damen zeihneten sich Ida Becker und Frida Wagen aus. Fräulein Rügheimer fpielte ein weinerlihes Dienst- mädchen glaubhaft und natürlich.