1895 / 279 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 22 Nov 1895 18:00:01 GMT) scan diff

E R E O E B N E N T E R

R E A E N

der Strafprozeßordnung muß übrigens an und unabbängif von der Frage einer den E Did Evan: Frlgcsoroea gewährenden Gntshädigung als ein dringendes anerkannt werden. Durch die jeßige Fa ung des § 399 Nr. 5 ift die Möglichkeit er- öffnet, da âstig Verurtheilte auf Grund neuer Thatsachen oder mittel die Wiederaufnahme des Verfahrens bereits dann erlangen, wenn diese Thatsahen oder Beweismittel allein oder in Verbindung mit den früheren Beweisen geeignet find, ihre Frei- sprechung oder in Anwendung eines milderen Strafgeseßes eine ge- ere Bestrafung zu rehtfertigen. Gelingt es dem Verurtheilten, auf Grund dieser Beftimmung eine Wiederaufnahme des Verfahrens erwirken, so kann er insbesondere dann, wenn eine Reihe von Sahren seit der Verurtheilung verflofsen ift, auf seine Freifprechung mit einiger Wahrscheinlichkeit rechnen. Denn bei der neuen Verhand- lung darf das Gericht nur aus dem ihm in dieser Verhandlung vor- artig Material seine Ueberzeugung \{övfen. Es liegt aber in der atur der Sache, daß selbst solche Ereignisse und Vorgänge, welche ur Zeit der Urtheilsfällung in zweifelsfreier Weise aufgeklärt und festgestellt waren, nah Ablauf eines längeren Zeitraumes zweifelhaft werden, insbesondere wegen Todes oder abges{chwächter Erinnerung der optbelasiungngeihen, Der Schuldbeweis wird \fih daher nah iederaufnahme-des Verfahrens häufig nur in ungenügender Weise erbringen lassen, und die Folge muß eine Freisprehung sogar dann sein, wenn die neuen Thatsachen oder Beweismittel, auf Grund das Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet war, sich \{ließlich als be- deutungslos herausftellen. Zl Möglichkeit ift nah zuverlässigen Mittheilungen unter der Herrschaft der Strafprozeßordnung nicht selten au8genußt worden; es darf nah den in der Gerichtépraxis gemachten brnehmungen an- enommen werden, daß der größere Theil derjenigen Personen, welche feit 1879 im Wege des Wiederaufnahmeverfahrens nadträglih ihre Freisprechung erwirkt baben, keineswegs unschuldig, vielmehr mit vollem Recht als s{huldig verurtheilt war. Durch diese sachlich un- erehtfertigten GreispreGa gen ist der unbegründeten Ansicht, daß die Ball der Fälle der Verurtheilung Unshuldiger im Wachsen begriffen ei, Vorschub geleistet. Daß ein solcher Zustand im Interesse der bürgerlihen Gesell- schaft und des Ansehens der Gerichte nothwendig einer Abänderung bedarf, braucht niht weiter ausgeführt zu werden.

3) Wegfall mehrerer als Ersaß für die mangelnde Berufung ein geführten Garantien in erster Inftanz.

Wie bereits oben bemerkt, baben einzelne der zum Ersatze für die fehlende Berufung in dem Verfahren erster Inftanz eingeführten Garantien insofern {ädlich gewirkt, als sie zu der jeßt vielfach be- Élagten Verzögerung und S&twächung der Strafrechtspflege niht un- wesentli beigetragen haben. Unter dem Vorbehalt, dies an den einshlägigen Stellen näber darzulegèn, oll hier mit Rücksicht auf die D der Praxis gemachten Grfahrungen nur das Folgende bemerkt werden.

Die Beseßung der erkennenden Straffammern der Landgerichte mit fünf Richtern 77 des Gerichtsverfafsungsgesezes) in Verbin- dung mit dem Ausschluß des Berichterstatters aus der erkennenden Kammer 23 Abs. 3 der Strafprozeßordnung) hat einen überflüssigen Verbrauch an Richterkräften in der ersten Instanz zur Folge gehabt. Wenn dem Angeklagten durch die Berufung eine neue Instanz zur Würdigung der Thatfrage gewährt wird, erscheint es unbedenklich, die Zahl der Mitglieder der Strafkammer bei der È g ogt atis auf drei herabzuseßen (Art. T § 77). Es liegt auch feine Veranlafsung vor, die Berufungskammern bei den Landgerihten von der Herab- seßung der Mitgliederzahl auszunehmen. Schon jeßt ist bei diesen Kammern die Dreizahl der: erkennenden Richter vorge]{rieben, wenn es sih um Uebertretungen oder Privatklagesahen handelt, und es haben sich Thatsachen niht ergeben, welhe die Rechtsprehung der c oviigs Besetzung entscheidenden Kollegien minderwerthig erscheinen ießen.

Das dur § 199 der Strafprozeßordnäng eingeführte Zwischen- verfahren gehört zu denjenigen Vorkehrungen, welhe, dem früheren Recht unbekannt, hauptsächlih mit Rücksicht auf das Feblen einer Berufung in das Geseß aufgenommen worden find. Die Vorschrift hat sih als eine wenig zweckmäßige erwiesen, denn die Befolgung derselben führt regelmäßig zu einer Vershleppung des Verfahrens und \châdigt dadurch den Angeschuldigten, während sie ihm thatsächlih diejenigen Vortheile niht gewährt, auf wele sie abzielt. Nur äußerst felten pflegt sie in der F zu dem Ziele zu führen, für welches sie bestimmt ift, nämlih die Eröffnung des Hauptverfabrens abzuwenden. Nah Wiedereinführung der Berufung würde das Fort- bestehen der Vorschrift und die damit verbundene Verzögerung des Verfahrens noch weniger zu rehtfertigen sein. Die Vorschrift kann übrigens unbedenklich auch für das Verfahren vor dem Reichsgeriht und vor dem A beseitigt werden. In diesen Strafsachen rehtfertigt sh die Beseitigung durch die für dieselben ausnahmélos vorgeschriebene Voruntersuhung, in welcher die Sache gründlich vor- bereitet und dem Angeschuldigten rihterlihes Gehör gewährt wird, je durch den Umstand, daß. dem Angeklagten in der Hauptverhand- ung ein Vertheidiger zur Seite stehen muß.

Der § 244 der Strafprozeßordnung entzieht dem Gericht in allen

wichtigeren Strafsachen das Ret, den Umfang der Beweisaufnahme zu bestimmen, und nöthigt zur Erhebung aller herbeigeshafften Beweise, selbft wenn sie vom Gericht für unerheblich erachtet werden. JIn- folge dieser erfahrungsmäßig vom Angeklagten nicht selten mißbraulhten Vorschrift wird die Zeit der Gerichte vielfach für die Behandlung unerheblicher Dinge in Anspru genommen, die Beweisaufnahme ver- wickelt, der Anlaß zu Vertagungen und Verschleprungen gegeben und einer Ausbeutung der Oeffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen zur Erörterung von Vorkommnissen Raum geschaffen, welche, mit dem Gegen- stande der Verhandlung selbs nur in losem Zusammenhang ftehend, geeignet sind, die berechtigten Interessen und das Empfinden der an der Sache betheiligten Personen ohne genügenden Grund erbeblih zu verlegen. Mit Einführung der Berufung in den landgerichtlichen Strafsachen wird für diese Sachen der § 244 unbedenklich wegfallen können. Für diejenigen Sachen, in denen das Rechtsmittel der Be- rufung nit gegeben ift, foll er beibehalten werden. __ Für die Nothwendigkeit der Abschaffung der vorbezeichneten und einiger anderen, später zu besprehenden Bestimmungen kommt auch in Betracht, daß die Berufung an sich zu einer erheblichen Verlänge- rung der Dauer vieler Strafprozesse führen wird. Diese Thatsache läßt die Forderung der Entfernung aller unnöthigen Ershwernisse des Verfahrens um fo dringlicher erscheinen.

4) Erweiterte Zulassung des Kontumazialverfahrens.

Die Strafprozeßordnung hat im § 229 das Kontumazialverfahren grundsäßlih ausgeschlossen, indem fie von der Anschauung ausgegangen ist, daß der Angeklagte nicht ungehört verurtheilt werden dürfe, und daß der erkennende Richter feiner Pfliht zur Erforshung der Wahr- heit nur dann genügen könne, wenn er felbst den Angeklagten vor si sehe und mit feiner Vertheidigung höre. Abweichungen von diesem Grundsaß find nur in beshränktem Umfange zugelassen.

Diese Abweichungen genügen jedoch dem SGe Bedürfniß nicht, sie bewegen fih vielmehr in zu engen Grenzen, wie die [eb- haften, von allen Seiten her laut gewordenen Klagen beweisen.

Das Ausbleiben der Angekiagten im Hauptverhandlungstermin ift ein nfs Vorkommniß und führt nah der gegenwärtigen Lage der Gesetzgebung zu zahlreihen Vertagungen. Bei vielen Gerichten vergeht kaum eine Sitzung, in welcher niht eine solhe Vertagung stattfände. Die Folge davon ist eine Vershleppung des Verfahrens, eine erhebliche Mehrbelastung der Staatékafse mit Zeugengebühren und eine nußglose, nicht unbedeutende Vermehrung der Arbeitslaft. Diese Uebelstände werden von den Gerichten und von den Staats- anwälten, wie auch von den Vertheidigern übereinftimmend als vor- handen anerkannt. ;

Nicht minder {wer fallen die Nachtheile ins Gewicht, welche den Angeklagten selbst und namentli den unbemittelten Angeklagten aus der Nothwendigkeit des persönlihen Erscheinens vor Gericht er-

wachsen. Wenn nämli der Aufenthaltsort des Angeklagten von dem

Siß des erkennenden Gerichts weit entfernt ift, so ift der j bigt, einen erheblichen Ee die e der pwangöiweisen Vorführung unferwerses, einer Mahregel, viele Angeklagte sehr drückend ift und die jedenfalls E den Fällen eine besondere Härte darstellt, wo der Angeklagte \{hließlih für

a gi Li enn wird. t hinzu, daß die Angeklagten auch im Falle einer zwangs- weisen Vorführung die Rückreise auf eigene Kosten ehmen müfsen, und daß der Mangel der hierzu erforderlihen Geldmittel [leiht zu neuen ren Handlungen führen kann. Es erscheint des- unerläßlih, in Betreff der“ Statthaftigkeit einer Verhandlung gegen den ebliebenen Angeklagten die beftehenden Geseyzes- vorschriften dur andere zu erseßen. Die Neuerungen, welhe der Entwurf in dieser Beziehung vorschlägt, beftehen in Folgendem: Das Schöffengericht soll ftets und die Strafkammer soll in allen Straffällen, in denen niht ein Verbrehen den Gegenstand der Unter- fuhung bildet, befugt fein, gegen den ohne genügende Ents{huldigung ausgebliebenen Angeklagten zu verhandeln und zu erkennen (Art. IT è 229). Diese erweiterte Zulaffung des Kontumazialverfahrens bleibt inter dem früheren Rechtszuftande in dem größten Theile des Reichs, nah welchem ein Kontumazialverfahren auch in Verbrechensfällen zu- gelaffen war, noch zurück und unterliegt umsoweniger einem ge- gründeten Bedenken, als nah der Bestimmung des Entwurfs der An-

perlagte bereits in der Ladung auf die Zulässigkeit dieses Verfahrens

ingewiesen sein muß (Art. Il § 215). Uebrigens bebt der Entwurf

ausdrüdlich hervor, daß das Geriht nur dann in Abwesenheit des Angeklagten zur epu nuna schreiten darf, wenn die Anhörung desfelben zur Aufklärung des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Trifft diese Voraussezung nicht zu, so is die Vorführung des Angeklagten anzuordnen oder ein Haftbefebl zu erlaffen.

Anders liegt die Sache bei dem Schwurgeriht. In den Rahmen des shwurgerihtlichen Verfahrens paßt eine Kontumazialverhandlung nit, wie denn auch eine solhe in den Fällen, in denen sie bisher zu- lässig war, shwerlich vorgekommen sein wird. E3 empfiehlt sich daher, für s{wurgerichtlihe Strafsahen das Kontumazialverfahren, soweit dasselbe gegenüber der im legten Sage des Paragraphen aus- gesprochenen Beschränkung überhaupt in Frage kommt, ganz aus- zushließen. Dasfelbe gilt auch von denjenigen Sachen, welche in erster Inftanz vor das Reichsgeriht gehören.

Mit Rüksicht darauf, daß das Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten in allen vor den Schöffengerichten und in dem größeren Theil der vor den Straffammern zu verhandelnden Sachen für zu- lässig erflärt ift, verliert die in dem § 232 der Strafprozeßordnung enthaltene Bestimmung, nah welcher der Angeklagte unter Umständen auf seinen Antrag vom Erscheinen in der Hauptverhandlung ent- bunden werden fann, ihre Bedeutung. Hieraus ergab \ih die Be- seitigung dieser Vorschrift. An der betreffenden Stelle waren nun- mehr solhe Fälle zu berüdcksichtigen, in denen es für die Straffammer oder das Schöffengeriht von Werth ist, eine nähere Auslassung des Angeklagten über die Anklage zu erhalten, in denen es aber mit Rück- sicht auf die große Entfernung des Aufenthaltsortes des Angeklagten und die mit Bezug darauf erfolgte Ankündigung seines Ausbleibens in der Hauptverhandlung unbillig sein würde, den Angeklagten zum persôönlihen Erscheinen zu nöthigen. In solchen Fällen soll eine 4 end Vernehmung des Angeklagten ftatthaft sein (Art. IL[

232).

In Beziehung auf das Kontumazialverfahren in der Berufungë- instanz sind in dem abgeänderten § 370 besondere Bestimmungen vor- gesehen (vergl. die Erläuterungen im besonderen Theil zur Begründung

zu Art. Il § 370). Infoweit dort abweichende N amtnges nicht -

getroffen find, finden nah Maßgabe des allgemeinen Grundîagzes im § 373 der Strafprozeßordnung die das Kontumazialverfahren in erfter Instanz betreffenden Vorschriften auch in der Berufungsinstanz Anwendung. . |

In der Anlage B sind die Vorschriften zahlreiher ausländischer Staaten über das Kontumazialverfahren wiedergegeben. Aus diefer Zusammenstellung geht hervor, daß die meisten dieser Staaten ein solches Verfahren in weiterem, als in dem jeßt von dem Entwurf angestrebten Umfange besitzen.

Im Anschluß an die Erweiterung des Kontumazialverfahrens er- geben fih au einige Aenderungen in dem Verfahren gegen Abwesende, auf welches sih die Vorschriften in den S§§ 318 bis 326 der Straf- prozeßordnung beziehen (vergl. die Erläuterungen im besonderen Theil der Begründung zu Art. IT §S 318 ff.).

5) Beeidigung der Zeugen.

Als in die Strafprozeßordnung die Bestimmung aufgenommen wurde 60), daß fortan die Beeidigung eines Zeugen regelmäßig vor seiner Vernehmung erfolgen solle, war die Erwägung maßgebend, daß eine solche Beeidigung mehr als eine der Vernehmung nahh- folgende geeignet sei, den Zeugen zur Angabe der Wabrheit zu be- wegen, weil fie den Zeugen von vornherein unter den Eindruck der Eidesleistung stelle. Nach den Erfahrungen der Praxis hat jedoch diese Auffassung ih nicht als berechtigt erwiesen ; vielmehr haben ih die bereits im Schoße der Justizkommission des Reichstags gegen die Der gT gige Beeidigung erhobenen Bedenken als begründet heraus- gestellt.

__ Es hat sich nâmlich ergeben, daß der Voreid bei dem Zeugen ein nit allgemein vorhandenes Maß von Einsicht, Ueberlegung und Ge- wissenhaftigkeit vorausfeßt, und daß er bei dem nit seltenen Mangel dieser Eigenschaften die Ecmittelung der Wahrheit ernstlih gefährdet, in so fern er die woblthätigen Wirkungen einer noch während der Vernehmung erfolgenden rihterlihen Ermahnung oder einer Gegen- überstellung mit anderen Zeugen oder dem Angeklagten beeinträchtigt. Erfahrungsgemäß läßt sich ein Zeuge nur s{hwer zur Aenderung wahr- beitswidriger Angaben bewegen, wenn er dieselben cinmal eidlih be- kräftigt hat. :

Der Voreid führt ferner leiht dahin, daß Personen beeidigt werden, welche nah den geseßlihen Vorschriften unbeeidigt zu ver- nehmen find. Denn die Unzulaisigkeit der Eidesleistung ergiebt si vielfach erft aus der Vernehmung selb oder aus der weiteren Be- weisaufnahme. Auch die im zweiten Saß des § 60 dem Richter ge- währte Befugniß zur Aussezung der Beeidigung bis nah Abschluß der Vernehmung reiht niht bin, der bezeihneten Gefahr vorzubeugen, da vor der Vernehmung die Bedenken gegen die Zulässigkeit der Be- eidigung bäufig noh gar nit hervortreten.

Die Erfahrung hat ferner gezeigt, Ba viele Zeugen bei ihrem ersten Grsheinen durch die-Neuhbeit und Feierlichkeit der Verbandlung in Unruhe versezt werden und sih- dann nicht in der genügenden Sammlung befinden, um die ihnen gemachten Vorhaltungen zu ver- stehen. Es ift bedenklih, gerade in einem solhen Moment die Ab- leistung des Eides zu erfordern. 4

Auch die Eidesvermahnung gestaltet fich beim Voreid weniger eindringlich, da der Vorsißgende selten in der Lage sein wird, vor der Vernehmung des Zeugen die Vorhaltungen der Persönlichkeit desselben und seiner Wissen¡haft zur Sache anzupafsen.

Gndlich ift der Voreid mit der Unzuträglichkeit verknüpft, daß die im § 67 vorgeschriebenen allgemeinen Fragen dem Zeugen zwei- mal vorgelegt werden müssen. Die Befragung muß nämlich erfolgen : einmal vor der Eidesleistung, um die Persönlichkeit des Zeugen fest- zustellen und ein Urtheil über die Zulässigkeit und Angemefsenheit der Beeidigung zu ermöglichen (§§ 56, 57), sozann n a ch der Beeidigung, um den Eid auch auf diese Angaben des Zeugen zu erftrecken. Es liegt auf der Hand, daß der Gang der Verhandlungen dadurch in stôrender Weise verzögert wird.

Die vorerwähnten Uebelstände haben \ich in den östlichen Pro- vinzen der preußishen Monarchie mit besonderer Schärfe und in besorgnißerregendem Maße fühlbar gemaht. Die Vorstandsbeamten einzelner preußischer Ober-Landesgerichte haben den § 60 geradezu als eine „Quelle des Meineides“ bezeihnet. Eine gleihe Auffassung ist in den Verhandlungen des preußischen Landtags wiederholt zum Ausdruck gebraht worden.

Es erscheint deshalb als Aufgabe der Geseßgebung, den Voreid dur den Nacheid zu erseßen (Art. Il § 60 Abs. 1).

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entf in ahren dem fs 4 eas der Uges des erfteren nur A Aufklärung bestehe; während En Veweierbebungen vor den zur Urtheilsfällung berufenen

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Vom Mager der Theorie kann dieser Erwägung eine gewisse Berechtigung niht abgesprohen werden ; die Mas dagegen hat ergeben, daß die Bestimmung des § 65 eine verfe lte ift, und daß erade aus ihr ernfte Gefahren für die Strafreht2pflege entspringen.

le Zeugen lafsen \sich erfahrungs nur durch die Beeidigung zur Angabe der Wahrheit beftimmen, balten dagegen im Fall einer uneidlihen Vernehmung absihtlih mit ihrer Wifsenshaft zurück. Ein derartiges Verhalten der Zeugen ift auf Beweggründe der ver- shiedenften Art zurückzuführen. In der Mehrzahl der Fälle liegt ihm eine Beeinflufsung seitens des Angeschuldigten oder seiner Angehörigen u Grunde, und die Gewissenhaftigkeit der Penger ist vielfa uuht ftark genug, um folhen Beeinflufsungen zu widerstehen, da die Al einer unwabren Erklärung gefahrlos zu sein scheint.

In vielen Ober-Landesgerichtsbezirken find, je mebr es bekannt geworden, daß die Zeugen im Vorverfahren unbeeidigt bleiben, defto mehr auch Fâlle vorgekommen, in denen unwahre enausfagen abgegeben wurden. Nicht selten hat ein Zeuge, der in der Haupt- verhandlung jeine im Vorverfahren abgegebene Aussage als unwahr widerrief, als Grund der früberen enan S Wahrheit aus- drücklih angegeben, er habe gewußt, daß er im Vorverfahren nit zu \{chwören brauche. ] : 4

Die Vorschrift des § 65 gefährdet biernach die Wirksamkeit der Strafverfolgung, insofern zufolge der im Vorvezfahren uneidlih abgegebenen unwahren Aussagen die Erhebung begründeter Anklagen unterbleibt und hierdurch häufig die Schuldigen der verdienten Strafe entgehen. Von einzelnen Justizbebörden find Fälle mitgetheilt, in denen der Schuldige straflos geblieben sein würde, wenn niht nach- träglih der Staatsanwalt durch einen Zufall von der Unwahrheit der Zeugenausfagen Kenntniß erbalten bätte. Da ein derartiger Zufall der Natur der Sache na nur selten eintritt, so darf man annebmen, daß die Zahl der Fälle nitt gering ift, in denen auf Grund folcer unwabrer Zeugenausfagen das Verfabren eingestellt wurde.

Auf der anderen Seite if bezeugt, daß Anklagen, welche auf Grund unbeeideter, aber anscheinend glaubwürdiger Ausfagen erboben waren, zur Freisprechung führten, da die Zeugen bei der eitlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung ihre Ausfagen änderten. Unter Umständen dabei die unwahren Aussagen auch eine ungerettfertigte SIIE der Untersuhungshaft des Angeschuldigten zur Folge gehabt.

Die Vorschrift in Absaß 2 und 3 des § 65, wonach eine Beeidi- gung der Zeugen ausnahmsweise {hon im Vorverfabren erfolgen darf, wenn die Beeidigung als Mittel zur Herbeiführung einer wahrheits- gemäßen Ausfage erforderlih erscheint, bat sih dem bezeihneten Miß- stande gegenüber als unzureihend erwiesen. Denn die Gründe, welche im einzelnen Falle den Zeugen zu einer wahrheitéwitrigen Aussage bestimmen fönnen, find dem Richter wie dem Staatsanwalt regel- mäßig unbekannt, und es läßt fih deshalb bei der Vernehmung nur selten übersehen, ob die Voraussetzungen einer alsbaldigen Beeidigung vorliegen. Eine wirkliche Abhilfe ift nur zu erreihen, wenn nach dem Vors&blage des Entwurfs die Beeidigung der Zeugen bei ihrer ersten gerihtlihen Vernehmung zur Regel erhoben wird.

_ Dafür spricht überdies eine Reihe nicht unerhebliher Zweck- mäßigkeitêgründe.

Zunächst ist es selbstverständlib, daß die Zeugen die Thatsachen, über welche sie Auskunft geben sollen, bei ibrer ersten Vernehmung am besten und genauesten im Gedächtniß haben. Sodann läßt fi die einmal beeidete Ausfage au dann im Hauptverfahran verwerthen, wenn der Zeuge inzwischen verstorben oder verschollen ift, während unbeeideten Ausfagen immer nur ein geringes Gewicht beigemessen werden fann. Endlich ift ein im Vorverfabren uneidlich vernommener Zeuge in der Zeit bis zur Hauptverhandlung einer Beeinflufsung

dur den Angeschuldigten erfahrungsgemäß mehr ausgeseßt und -

leihter zugänglich, als ein Zeuge, welher seine Aussage bereits eidlich erbârtet bat.

Aus allen diesen Gründen will die Vorlage die alsbaldige Beeidigung- der vernommenen Zeugen wieder - zur Regel erheben und Sudriabntea von dieser Regel nur insofern gestatten, als dies zur Ver- bütung unzuläfsiger oder überflüssiger Eidesabnahmen erforderlich er- scheint (Artikel Il § 65).

In Folge dieses Grundsatzes erschien es geboten, für tas Haupt- verfahren die Verweisung auf den geleifteten Eid zuzulassen. Andern- falls würde die mehrmalige Beeidigung in derselben Sache zur Regel werden. Eine folhe Häufung der Eidesleiftungen aber müßte dahin führen, die Bedeutung des Eides. abzushwächen.

Schon jet wird, wiewohl im Vorverfahren die Beeidigung nur ausnahmsweise erfolgt, die Unzulässigkeit der Verweisung auf den im Vorverfahren geleisteten Eid als eine nußlose Ershwerung der Haupt- verhandlung empfunden.

Es empfiehlt sih daher, den Grundsaß, welcher in dem früheren preußishen Ret (Verordnung vom 3. Januar 1849 § 55, Straf- prozeßordnung vom 25. Juni 1867 § 254) enthalten war - und fi dort bewährt hatte, in die Reih8gesezgebung aufzunchmen und die Berufung auf den in derselben Strafsache früher geleisteten Eid allgemein zu gestatten (Artikel IT § 66).

Ferner will die Vorlage zur Verhütung von falschen oder un- nöthigen Eiden dem Richter die Befugniß gewähren, bei offenbarer Unglaubwürdigkeit der Anéssage, oder wenn dieselbe nah Ansicht aller Betheiligten sich als unerheblich darstellt, von der Beeidigung Abstand zu nebmen (Artikel 17 § 56a). /

__ Endlich foll der die Heiligkeit des Eides beeinträhtigenden Häufung der Zeugeneide in ciner Verhandlung auch durch Zulaffung gleichzeitiger Beeidigung mehrerer Personen entgegengetreten werden (Art. 11 § 60 Abs. 2).

6) Einführung eines abgekürzten Verfahrens für gewisse, eine \chleunige Behandlung erheishende Strafthaten.

Nicht ohne Berechtigung ist in neuerer Zeit vielfach über die

Schwerfälligkeit und Langsamkeit des durch die Strafprozeßordnung eingeführten Verfahrens Klage geführt worden. In der That ift die inländische Uen, in Beziehung auf die S(leunigkeit des Verfahrens von einem befriedigenden Zustande weit entfernt. Die Dauer der Strafprozesse beträgt selbst in einfachen Sachen in der Regel mehrere Monate, in umfangreichen meist erbeblich mehr. Ja es find, namentlich in der neuesten Zeit, zahlreihe Fälle vorgekommen, in denen die Erledigung des Prozefses bis zur rechtskräftigen Ent- scheidung weit mehr als Jahresfrist in Anspruch genommen bat. _ Unter den Ursachen, auf welhe diese Erscheinung zurückzuführen ist, nimmt die Gestaltung des Verfahrens selbft den ersten Plaß ein. Das gegenwärtige Verfahren ge dem Angeklagten so viele Be- helfe zur Vershleppung und Verweitläufigung der 4 daß deren langsames Fortschreiten {hon hierdurch ausreihcend erklärt wird. Das Verfahren gleicht zuweilen mehr einem langsamen und mühevollen Ringen der geseßlichen Ordnung mit ihrem Verlezer, als einer raschen und energischen Unterwerfung desselben unter das Recht, wie sie das sffentlihe Wobl erfordert.

(Fortseßung in der Zweiten Beilage.)

in welchem Absch des Bersabeets À ali beuirfer fd ot n due Mena 4 ).

V

erft in zu

ziner Gefahr für die Rechtspflezge und damit für die öffentliche

keit zeigen. Der Entwurf bestrebt ih durch Abkürzungen und Ver- einfahungen auf eine Beschleunigung des Verfahrens in allen Straf-

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

Mi 279.

Berlin, Freitag, den 22. November

1895,

(Fortseßung aus der Ersten Beilage.) Diese Ershwernifse in der Verfolgung Schuldiger werden zu

Ordnung; denn sie bestäcken den Frevler in feiner Auflehnung gegen das Geseh, ershüttern das öffentlihe Vertrauen in die Kraft und MWirfszmfkeit der Strafrechtspflege und E Andere zu Rechts- verletzungen, indem fie ihnen dieselben in dem Lichte der Gefahrlosig-

achen hinzuwirken. Daneben erschi-n es geboten, für solche Straf- älle, welhe vornehmlich Schleunigkeit der Aburtheilung erheischen, ein tefonderes abgekürztes Verfahren cinzuführen. Ein Vorbild bieten die Vorschriften des englishen und des französishen Rechts sowie eines b-lzishen Geseßentwurfs.

Wie in der Anl2ge C näher dargestellt, besteht in England und

anfreih eine Einrih:ung, nah welher auf frisher That ergriffene Perionen kurzer Hand nebst den Beweismitteln vor das. Gericht ge- rachi und von diesem nach sofortigem Eintritt in die Haupt- verbandïung unverzüglich abgeurtbeilt werden. Diese Einrichtung hat ih in beiden Ländern bewährt, da die Schnelligkeit des Verfahrens und dcs Eintritts der Strafe den Betroffenen ¿um Bewußtsein bringt, daß die Uebertretung der Strafgeseßze sofortiger Ahndung unterliegt. Dem Publikum wird dadurch die Macht der öffentlichen Ordnung mit dem Erfolge einer wirksamen Absbreckung vor Augen gefübrt. Besonders in größeren Städten gegenüber den dafelbft in der Oeffentlichkeit vielfah auftauheznden bedenklihen Elementen, fowie bei Siörungen des öff-ntlihen Friedens und der osffentlihen Ordnung hat fi dieses besdleunigte Verfahren als werthvoll erwiesen. Die durch die Presse veröffentlihten Mitteilungen über die \{aelle Be- ftrafung von Nuhestörera und Frieden3sbrehern wirken beruhigend und erwecken Vertrauen auf die Rechtspflege.

In Belgien befindet si eine ähnliche geseßlich: Einrichtung noch in der Vorbereitung. Nachdem der NRevräfentanternkammer der Ent- wurf zu einer neuen Strafprozeßordnung vorgelegt worden war, forderte diese durch ihre Kommission in der Sißung vom 20. No- vember 1883 auf Grund der in Franftreich und England gemachten Erfahrungen von der Regierung die Einführung eines dem franzöôsi- schen Gesetze vom 20. Mai 1863 über die flagrants délits entsprechenden fummarishen V-rfabrens (procédure spéciale pour le jugement immádiat des flagrants délits). Der Entwurf der Prozeßordnung ist noch nicht zum Abichluß gelangt. Die belgische Regierung glaubte jedo, die Einführung des \{leunigen Vexfadrens nit weiter auf- schieben zu follen, und legte deshalb dem NRepräsentantenhause in der Sitzung vom 15. April 1890 den Entwurf eines Spezialgeseßes „In- struction des flagrants délits devant les tribunaux correction- nels (Chambre des Représentants No. 150)“ vor, welher im wesentlichen dem franzöfischen Geseße entspriht und dessen Wortlaut in der Anlage C ektenfalls mitgetheilt ift. : : :

Veber die Gründe, welche für die Einführung eines s{leunigen Verfahrens sprechen, findet fih in dem Bericht der Kommission des belgishen Abgeordnetentauses vom 20. November 1883 folgende be- merkenéwerthe Auéfübrung: :

„Sans doute, en admettant cette procédure sommaire pour le jugement des délits flagrants, on s’écarte con- sidérablement des règles ordinaires de Ila procédure pénale. Mais pourguoi ces règles ne pourraient-elles Pas, comme toutes les autres, subir une exception réclamées par des motifs graves? Dictées par PVinté- rêt de la justice, ces règles peuvent être écartées en partie, quand le même intérêt, au lieu d’être Iésé, reçoit une satisfaction. plus rapide et moins coûteusse. Dans les limites de la raison et de léquité, les lois doivent se plier aux besoins sociaux.“*) 5

In der deutshen Strafvrozeßordnung is durch den § 211 ein Anfang in der bezeichneten Richtung gemacht worden. Derselbe ist indeß in zweifaher Hinsicht unzureichend. Er beshränkt fih auf das shöffengerichtlihe Verfahren, während diejenigen Vergehen, welche zu einer sofortigen Ahndung die gegründetste Veranlassung geben, wie die meisten Vergeben gegen die öffentlihe Ordnung und gegen die Sitt- lihfeit, zur Zuständigkeit der Straffammern gehören. In Frankreich und nah dem belgishen Entwurf betrifft das s{leunige Verfahren gerade die vor die tribunaux correctionnels gehörigen Saen. Sodann ermangelt das ae Geseß der nothwendigen Ausge- staltung im einzelnen, was zur Folge hat, daß seine Anwendung zu- meist an äußeren Shwierigkeiten, insbesondere der mangelnden Be- reitihaft des Gerichts und der Zeugen, sowie an ter G der Richter an die Formen des ordentlihen Prozesses shecitert. Nah den Berichten der Justizbehörden ift von dem Verfahren des § 211 der Strafprozeßordnung nur in geringem Umfange und meist nur in großen Städten Gebrauch gemaht worden. E

Die Vorlage sieht daher einerseits die Ausdebnung dieses Ver- fahrens auf die Straffammersahen und andererseits die Auëgestaltung desselben durch besondere Vorschriften vor, welde geeignet find, Ae thatsählihe Durchführbarkeit zu fichern (Artikel Il §S 211

is 211b ;

Der Kreis der dem s{hleunigen Verfahren unterworfenen Straf- thaten umfaßt im englishen Recht eine große Zahl einzeln bezeihneter ergehen. Im französishen Reht wie im belgischen Entwurf be- \hränft er fich auf die délits flagrants, d. h. die Fâlle der Er- s auf frischer e bei allen mit korreftioneller Freiheitsstrafe ¡u ahndenden Strafthaten. Í j Leßterem Vorgang is der Entwurf in Bezug auf die Straf- kammersachen im wesentlichen gefolgt. In Ansehung der s{öfen- erihtlichen Sathen beläßt er es im wesentlihen bei dem bis E Recht mit der Maßgabe, daß dasselbe in den Rahmen des neuen, [ür Strafkammer und Söffengericht gemeinsamen Verfahrens eingefügt ist, um dieses zu einem einbeitlihen zu machen und die der näheren Steshrung dienenden Vorschriften auch für die höffengerihtlichen Sagen gelten zu lassen.

7) Veränderungen in der fachlihen Zuständigkeit der Gerichte. Die sahlie Zuständigkeit der Schöffengerichte ift bei der Be- rathung des Gerichtsverfassungsgeseßes unter großen Meinungsver- schiedenheiten festgestellt worden. Auf einheitlihen Grundsäßen beruht die getroffene Regelung nicht; denn von dem leitenden Gesichtspunkte, den SchöffengeriWten die Uebertretungen, den Strafkammern die Ver- hen, den Schwurgeriten die Verbrehen zu überweisen, sind aus Fwedmäßi feitägründen fo viele Ausnahmen gemacht worden, daß der rundsaßz elbst niht mehr aufrecht erhalten erscheint. Das System des Gesetzes steht hiernach einer weiteren Vermehrung dieser Aus- “V lee Mine Séseint abèr angeeiat e fo nt aber angezeigt. ; : Die iprehung der Schöffengerihte hat si im allgemeinen bewährt, so Due es keinem unterliegt, Es namentlich von denjenigen Vergehen, welhe nah § 75 des Gerichtsverfafsungs see! ungsfähig sind, bezügli deren also bereits anerkannt i i P sich zur Aburtheilung durh Schöffengerichte an si eignen, nige der Regel einfache Thatbestände von vornherein zuzuthei e Leßteres gilt von dem Hausfriedensbruch im Falle des § 123 Abs.

des Strafgeseßbuchs, der Körperverleßung in den Fällen der nur auf Antrag eiatretenden Verfolgung, auch wenn die legtere niht im Wege der Privatkiage geschieht, der Bedrobung im Falle des § 241 und des ftrafbaren Eigennußzzs im Falle des § 298. Es erschien ferner un- bedenklih, bei dem Diebstahl im Falle des § 242, der Unterschlagung im Falle des § 246, dem Betrug im Falle des § 263 und der Sach- beschadigung im Falle des § 303 des Strafgeseybuchs den für die unbedinte Zuständigkeit des Schöffengerihts maßgebenden Werth- betrag von fünfundzwanzig auf hundert Mark zu erhöhen.

Hinfichtlih der bisher niht überweisungsfähigen Strafthaten wurde es für statthaft erahtet, den ftrafbaren Gigennuß auch in den Fällen des 4 Abf. 2 des Strafgeseßbu§s (unerlaubte Ver- anftaltung öffentlicher Ausfpielungen), des § 290 (unbefugte Ja- gebraubnabme von Pfändern feitens öffentlicher Pfandleiber) und des § 291 (widerrechtliche Zueignung von Manition) den Shöffengerichten von vornherein zuzuweisen, da auch diese Vergehen regelmäßig einfache zur Akturtheilung durh Schöffengerichte fich eignende Thatbestände darstellen (Art. 1 § 27 Nr. 3 bs 10). Die Hinzufügung des Schluß- absazes iît durch die erfolgte Erweiterung der Privatklage bedingt und in der besonderen Begründung näher geretfertigt.

Auf eine Erweiterung der unbedingten Zuständigkeit der Schöffen- gerihte weifen auch äußere Zweckmäßigkcitsgründe hin. Zahlreiche, namentlich fleinere, Amtsgerichte find gegenwärtig nit voll be- shâftizt, so daß die Vermehrung ihrer Aufgaben sich dur die Nücksiht auf eine bessere Verwerthung der vorhandenen Kräfte emrfieblt.

Sodann erschien es angezeigt, in den Kreis der überweisungs- fähigen Vergeben die Körperverlezung im Falle des § 230 Abf. 2 des Strafgeschbuchs, die Nöthigung im Falle des § 240 und den strafbaren Eigennuß in den Fällen des § 286 Ab?. 1 (unerlaubte Veranstaltung öffentliber Lotterien) und des § 289 (Wegnahme der eigenen Sachen mit Verlezung fremden Pfand-, Gebraus- oder Zurüdbebaltungérehts) neu aufzunehmen, da au diese Vergeben unter Umständen zur Aburtbeilung durch Schöffengerichte sich eignen werden (Art. T § 75 Nr. 5, 6 und 12).

Erfahren die Landgerichte auf diese Weise eine Geschäfts. verminderung, fo ist es thunlich, denfelben einige bisber zur Zuständig- keit der Shwurgerichte gehörige Verbrechen zu überweisen und dadurch eine in hobvem Grade wünschenswerthe Entlastung der zum Ge- shworenendienst berufenen Staatsbürger herbeizuführen. Für diese Ueberweisung eignen sih €inerseits folche Verbrechen, bei deren Ab- urtheilung eine Mitwirkung des Laienelements ohne alles Interesse ift 176 Nr. 1 und 2 des Strafgeseßbuchs), andererseits solche, binsihtlich deren nach den in der Rechtsprehung gemachten Er- fahrungen für eine derartige Aenderung ein besonderes Bedürfniß hervorgetreten ist. Letteres gilt von den in den §§ 118, 119, 153 bis 155, 268 Nr. 2, 272, 273 des Strafgeseßbuchs vorgesehenen Ver- brehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt , des Meineides, der Urfkfundenfälichung, von den dafelbst in den SS 349 und 351 vor- gesehenen Amtsverbrehen, sowie von den Verbrechen gegen die §S 209 und 212 der Konkuréordnurg. Wie bereits im Entwurf von 188d, der im wesentlihzn gleihe Vorschläge enthielt, ausgeführt war, recht- fertigt sih die Ueberweisung der in Frage stehenden Verbrechen der Urkundenfälshung an die Straffammern um deswillen, weil es fich dabei nit selten um die Beurtheilung besonders s{chwieriger Rechts- fragen handest ; bei den übrigen erfordert die zutreffende Beurtheilung regelmäßig die Behberrshung eines so verwidckelten thatsächlichen Materials, daß selbst einsihtige und gewandte Geschworene f außer stande fühlen, den ihnen gestellten Aufgaben zu genügen. as ins- besondere die im § 351 des Strafgesezbuchs behandelten Fälle der Untershlagung im Amt anlangt, so kommt hinzu, daß die Be- deutung derselben, wie si aus der hier besonders häufigen Bejahung der Frage nach dem Vorhandensein mildernder Umstände ergiebt, vielfa nit von dec Art ist, um deswegen den Apparat des Schwurgerichts in Bewegung zu seßen. Der Entwurf s{hlägt vor, dea Kreis der zur Zuständigkeit der Strafkammern gehörigen Verbrechen dementsprechend zu erweitern (Art. 1 § 73 Nr. 4, 5, 6, 10 bis 12).

Die Zuständigkeit der Strafkammer wird bei dem Verbrechen der Urkundenfälschung im Sinne des § 268 Nr. 2 des Strafgeseß- bus selbftverständlich auch dann begründet sein, wenn neben der angeführten Vorschrift die §§ 269 oder 270 des Gefeßbuchs An- wendung finden. Eine ausdrücklihe Erwähnung der leyteren Be- stimmungen im Text des § 73 des Gerichtsverfafsungsgeseges erschien indessen nicht nothwendig.

Zur Erläuterung der Einzelbestimmung des Entwurfs werden die nachfolgenden Bemerkungen genügen :

Artie L : i Aenderungen verschiedener as im Gerichts- verfassungsgeseße. § 27. A j Die Erweiterung der [eger nen Zuständigkeit ist bereits in der allgemeinen Begründung (Nr. 7) erörtert werden. 28

§ 28. i : Zufolge der Aenderungen im § 27 Nr. 6 bis 8, 10 war hier statt der Werthgrenze von 25 # die neue von 100 Æ einzuseßen.

8 61.

Der § 65 des gegenwärtigen Gesetzes bestimmt, daß im Falle der Berhinderuüng des ordentlihen Vorfißenden den Vorsig in der Kammer dasjenige Mitglied führt, welhes dem Dienstalter nah und bei gleihem Dienstalter der Geburt nah das älteste ist. Diese Vor- chrift hat in der Praxis nit selten zu Unzuträglichkeiten geführt, da nos älteste Kammermitglied mitunter wegen vorgerückten Lebensalters, förverlicher Gebrehen oder aus anderen Gründen zur Führung des Vorsißes wenig geeignet ist, fo daß durch die ihm zugewiefene Stell- vertretung, insbesondere wenn sie von längerer Dauer ift, die Sach- behandlung in einer die Interessen der Rechts flege berührenden Weise leidet. Es erscheint daher geboten, die Bestellung regelmäßiger Ver- treter der Amer Loe enen für die Dauer je eines Geschäftsjahres vorzusehen und diese Bestellung demselben Kollegium zu übertragen, welches über die Vertheilung des Vorsißes selb durch Einschaltung der Worte „sowie über die estellung der regel- mäßigen Vertreter für die D der Kammern" in dem dritten Satze des neu vorgeschlagenen 61 leßtere nur das bisherige Recht wieder.

& 63 a. dem gegenwärtigen Recht unabänderlih.

ahr ihre nachtheiligen Tages boten, ein Rechtsmittel u dessen Einlegung selbftverftändlih ein Drgan der hier der Ober- E, und zu dessen Präsidium des Ober-

ge R müssen. Es erscheint

*) Chambre des Représentants, No. 150, Annexe, Séance du 20 Novembre 1883.

sich aus dem Entwurfe feldt.

befindet. Dies ift

1 gesehen. Im übrigen giebt der

in Gemäßhei 61 bis 63 ten Beschlüsse find nah De n ehe B uit ten ä d ist au nicht zwe ig, da die bei jenen E cis S leniffe, deren Vorkommen der Natur der Sache nah nit ant Elosen ift, hierdurch für ein ganzes Gef Le

Beschlüfse zn gewähren,

d M E Ju Laettng,

cichis zu berufen ist. 2 Guldi m Ee desge zu en ere

die Ordnung diefes als „Einspruch“ bezeichneten Rechtsmittels ergiebt

8& 65 Absah 1. Die hier an dem Wortlaute des geltenden Gesetzes vorgenommene

t ift lediglih eine Folge der bereits erörterten Ergänzung des § 61.

8 73. z , Die Erweiterung der Zuständigkeit der Strafkammern ist bereits in der allgemeinen Begründung (Nr. 7) erörtert worden.

S 75. S In Betreff der Erweiterung des Kreises der überweisungéfäbigen Vergeben sind die Bemerkungen in der allgemeinen Sena (Nr. 7) zu vergleichen. Die außerdem in den Nummern 2, 4 und 1 (früher 11) vorgenommenen Aenderungen ergeben fich ohne weiteres aus der Gestaltung, die der § 27 des Gertchtsverfafsung8gefeßzes im Entwurf erbalten hat. ; In der Nummer 15 (früher 14) sind binter „allein“ die Worte „oder neben Haft“ eingeschaltet worden, um die bisher mangelnde

Uebereinstimmung zwischen § 75 Nr. 14 und § 27 Nr. 2 herbei-

zuführen. Die Aufnahme des § 320 des Strafgeseßbuhs unter die Zahl der niht überweisbaren Vergeben in der Nummer 15 bezweckt den aegenwärtig möglihen Zweifel zu beseitigen, ob die Auëschließung des §. 320 von der unbedingten Zuständigkeit der Schöffengerichte 27 Nr. 2) auch die Aus\{ließung von der Ueberweisungsfähigkeit nach sich ziehe.

S T7. Es wird auf die allgemeine Begründung (Nr. 3) verwiesen.

S T2, Die vorgeschlagene Fassung enthält gegenüber dem jeßigen Geseße nur die eine sachlihe Aenderung, daß die im § 61 vorgeschlagene Be- stimmung regelmäßiger Vertreter für die Vorsizenden au hier ein- tritt. Die geänderte Aufzäblung der Paragraphenzablen ift eine Folge der Einsiebung des neuen § 63 a.

8 123. Die Aenderungen in den Nummern 2 und 3 ergeben \sih aus der Einführung der Berufung gegen die Urtheile der Strafkammer in erster Instanz. Insbesondere bringen sie zum Ausdruck, daß die Ober-Landeëgerihte die Berufungsinftanz bilden. Es ist in dieser Beziehung auf die allgemeine Begründung (Nr. 1) zu verweisen.

S 124. Die Bestimmungen des zweiten Absaßzes haben, soweit allgemeine Gesichtspunkte in Betracht kommen, in der allgemeinen Begründung (Nr. 1) ihre Erörterung gefunden. Die Einzelheiten bedürfen keiner besonderen Rechtfertigung. Wenn die Bildung der auswärtigen Strafsenate an erster Stelle der Landes-Justizverwaltang überlassen ist, so erschien es weiterhin angemessen, durch eine besondere Be- stimmung (Abs. 3) klarzustellen, daß damit der Weg der Landes- gesetzgebung, falls dessen Betretung in einzelnen Bundesftaaten als wünschenswerth erahtet werde, nit ausgeshlofsen sein folle.

S 133. :

Die Aenderung in der Aufzählung der Paragraphen ift eine olge der Einschaltung des neuen, hier nicht Anwendung findenden 63 a. Eine sachliche Abweichung gegenüber dem bisherigen Gesetze

tritt nur infofern ein, als die im § 61 vorgeschriebene Bestellung regelmäßiger Vertreter der Vorsitzenden auch hier Anwendung findet. 8-136 Abs. L E

Die Aenderung der Nr. 2 in ibrem auf das Rechtsmittel der Revision bezüglichen Theile ist eine Folge der Einführung der Be- rufung, über welche die allgemeine Begründung (Nr. 1) zu vergleichen ift. Durch diese Aenderung in Verbindung mit der neuen Nr. 2 des 8& 123 wird zugleich eine erweiterte Zuständigkeit des Neiché- gerichts für die in erfter Instanz zur Zuständigkeit der Strafkammern gebörigen Vergeben insofern begründet, als dasselbe zur Verhandlung und Entscheidung. über die Revision auch dann berufen ift, wenn diese aus\@ließlih auf die Verlegung einer in den Landesgefeßen ent- haltenen Rehtsnorm geftüßt wird. Eine solche Erweiterung ift unbe- denklih, da die in den Landesgeseßen angedrohten Strafen sich regel- mäßig innerhalb der Grenze des § 75 Nr. 15 (früher 14) halten und die betreffenden Sachen daher den Schöffengerihten überwiesen werden können. Insoweit leßteres geshießt, steht die Entscheidung über das Rechtsmittel der Revision den Ober-Landesgerichten zu. /

Am Sghlufse der Nr. 2 sind die Worte „sowie über tas Rechts- mittel der Beshwerde gegen Entscheidungen der Ober-Landesgerichte in der Berufungéinstanz* neu hinzugefügt. Gegen Entscheidungen der Straffkammern in der Berufungsinstanz war {on bisher die Be- {werde an die Ober-Landesgerichte gegeben. Da letztere jegt Be- rufungsgerihte für die erftinstanzlihen Straffammerurtheile werden, so muß auch gegen ihre Entscheidungen in der Berufungsinstanz die Beschwerde üitfsig sein, die nur an das Reichsgeriht gelcitet werden kann.

Artikel Il. Aenderungen in der Strafprozeßordnung. 8 8a.

Nahh dec Strafprozeßordnung (§S§ 7, 8) wird der regelmäßige Gerichtsstand entweder durch den Ort der ftrafbaren Handlung, oder durch deu Wohnsitz des Thäters bestimmt; daneben den Gerichtsstand der Ergreifung einzuführen, hielt man feinerzcit dur ein saliches Bedürfniß nicht für geboten. Wie indessen die seit der Einführung der Strafprozeßordnung gemachten Erfahrungen erwiesen haben, fordert das allgemeine Interesse der Rechtspflege dringend die Möglichkeit, den Beschuldigten au dort zur Aburtheilung bringen zu können, wo er seiner Strafthat wegen ergriffen worden. Wenn fih vor dem 1. Oktober 1879 in Deutshland niht überall ein besonderes Be- dürfniß in dieser Richtung fühlbar gemacht hat, so ift das dadur zu erklären, daß diejenigen deutschen Staaten, in denen ein Gerichtsstand der Ergreifung nicht zugelassen war, meist einen geringeren Umfang besaßen, sodaß es niht auf besondere Shwierigkeiten fticß, einen außer- halb des Thatortes oder des Wohnortes ergriffenez Beschuldigten einem der zuständigen Gerichte zuzuführen. UÜngleih s{wieriger hat ih dieses jedoch in dem ausgedehnten Geltungsgebiete der Straf- prozeßjordnung gestaltet. Häufig kommt der Fall vor, daß ein auf Grund eines Steckbriefes verhafteter Verbreher, welcher fofort bei seiner Festnahme ein ershöpfendes, jede Zeugenvernehmung überflüssig madchendes Geständniß ablegt, egen des Mangels eines Gerichts- standes der Grgreifung Ds einem Gnde des Reichs bis zum anderen transportiert werden muß. E

Demrciize Transporte führen unverhältnißmäßige Belaftungen der Staatskasse und bedenklihe Verzögerungen der Aburtheilung wie auch unter Umständen große Härten gegen den Angeshuldigten herbei. Die Klagen der Gerichte und Staatsanwaltschaften liber die jeßige Be- schränkung der ga ac? as haben sih von Jahr zu Jahr vermehrt. Dem bestehenden Uebelftande foll daher dur die in dem neu ein- gefügten § 8a vorgesehene G, eines Gerihtsftandes der Er-

afft abgeholfen werden. Dieser Vorschlag schließt ich der An-

Phare des gemeinen deutshen und des vor dem 1. Oktober 1879

in peusen geltenden Rechts sowie dem Vorgange der französischen

Ge ung an, nah welher der Gerichtéstand der Grgreifung

als E neben denjenigen des Thatortes und des Wohnortes t ijt.

9, Die Abänderung des § 9 ir nur eine Folge der Einführung des

neuen § 8a.