1895 / 300 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 17 Dec 1895 18:00:01 GMT) scan diff

Organisation des Handwerks mitzuwirken und sich über den den Handwerkêskammern zu gebenden Unterbau zu äußern.“

Dieser Gedanke, zunächst autoritative Organe zu schaffen, die uns Jagen fönnen, was ihrer Meinung nah dem Handwerk frowmt, und die mitwirken sollen, bei der demnächstigen Organisation, scheint biernach doch fein ganz unrichtiger zu sein. Wie die Bezirke einer Zwangsorganisation festzustellen sein würden, wie die Gliederung und Organisation sich im einzelnen zu gestalten hätte, wie das Statut aufzustellen wäre: alle diese Fragen sollen von den Handwerks- Tammern begutahtet werden; sie sollen auf diese Weise thätig dabei mitwirken, die demnähhstige Organisation zur Ausführung zu bringen. Haben wir diese Organe nicht, so können Sie uns naher mit Recht den Vorwurf machen: Ihr macht Organisationspläne vom grünen Tisch; dann wird man die Organisationen zerpflücken, dieses und jenes daran auszuseßen haben; und Sie berauben uns der Möglichkeit, uns darauf berufen zu können, daß das Handwerk selbst es gewesen ift, welches sein Geshick in dieser und jener Weise gestaltet zu sehen wünscht. (Sehr richtig!)) Man wird mir einwenden, daß man, um die Ansichten der“ Handwerker kennen zu lernen, derartiger Orga- nisationen nicht bedürfe, daß man dasselbe Ziel im Wege freier Konferenzen erreihen könne und nur die Handwerker verschiedener Anschauungen zu einer Besprehung zusammenzurufen brauche, bei der man ihnen die Organisationsfragen vorlegen könne. Allein, meine Herren, allen solchen Konferenzen ist bisher noh immer von seiten derjenigen, denen die Ergebnisse der Besprehung nit gepaßt haben, der Vorwurf gemaht worden, die Regierung habe sie nah ihrem Belieben zusammengeseßt. (Sehr rihtig!) Und wenn Sie mir etwa entgegenhalten wollten, daß es bereits gegenwärtig Korporationen gäbe, aus denen Vertreter für solhe Besprehungen berufen werden Fönnter, so möchte ih darauf hinweisen, daß ih bereit bin, diesen aller- dings schon bestehenden Korporationen das Mitwirkungsrecht zu geben, und ihnen Sie finden diesen Gedanken auch irt Geseßentwurf aus- gedrückt eine vorwiegende Betheiligung bei der Zusammenfezung der Handwerkskammern zu sichern. Aber darüber dürfen wir uns nicht täuschen, und au der größte Innungsshwärmer kann das nicht in Abrede stellen, daß wenigstens zur Zeit die Zahl der inkorporierten Handwerksmeister gegenüber der Gesammtzahl der Handwerker sehr gering ist. (Sehr wahr! links.) Ih ‘würde daher als ein verant- wortliher Minister meines Erachtens gewifsenlos handeln, wenn ih die Organisation machen wollte nur nach Anhörung der einen Partei, die im Handwerk vertreten ist, und alle übrigen einfach außer Acht ließe. ;

Um alle diese Vorwürfe und Einwürfe abzuschneiden, können Sie nichts Besseres thun, als daß Sie Organe schaffen, welche nah Maßgabe. der thatsählihen Verhältnisse und nah Maßgabe der berechtigten Interessen zusammengeseßt sind, und auf deren Urtheil Sie dann aus dem Grunde auch wirklich etwas zu geben im flande sein würden, weil es eben ein autoritatives Urtheil ift. Daß aber Diejenigen, die außerhalb der Innungen stehen, doch auch das Recht haben, gehört zu werden, und daß fie mindestens den Wunsch darnah haben, kann niht wohl bezweifelt werden. Es liegt mir hier eine Eingabe des Vorstandes des Verbandes deutscher Gewerbevereine vor, in der mitgetheilt wird,

daß auf der 6. ordentlichen Hauptversammlung des Verbandes deutscher Gewerbevereine beshlossen worden ist, zu erklären, daß der Verband es für ein unbedingtes Erforderniß hält, vor Schaf- fung der geplanten Zwangsorganisfationen das . ganze deutsche Handwerk und Gewerbe und nicht nur einen in den Innungen zusammengefaßten kleinen Theil desfelben in dieser Frage zu höôren, da nur dieser Weg geeignet erscheint, zu einem Ergebniß zu gelangen, welches der Ausdruck der Meinung der Gesammtheit und nicht Einzelner ist.

Diese Leute sind doch auch, um mit. Goethe zu \prehen, so zu sagen Menschen. Sie haben doch auch ihr Recht und ihre Wünsche,

fie dürfen doch auch auf Berücksichtigung Anspruch machen, zumal es sh hier um einen so großen Verband handelt. Außerdem liegen mir zahlreihe Aeußerungen einzelner Gewerbetreibender vor. Noch heute Morgen habe ih eine folche von einem Maurermeister aus dem Trierer Bezirk erhalten, der ausdrücklich wünscht, daß nicht nur die Innungen, fondern auch die außerhalb der Innungen f\tehen- den Meister gehört werden möchten. -

Der Werth der Handwerkerkammern is nun aber niht bloß darin zu suchen, daß sie uns mit ihren Gutachten unterstüßen- sollen bei der Lösung der Organisationsfrage, sondern, wie ich {hon vorhin andeutete, sollen sie ein wesentliher Faktor sein zur Mithilfe bei der Dur(hführung der geplanten Organisation. Jch weise in dieser Be- ziehung noch einmal auf Oesterreich hin. In Oesterreih hat die Durchführung der Organisation des Genossenschaftswesens auf gewerblihem Gebiete hon jeßt mehr als 10 Jahre erfordert, und fie is auch heute noch nicht in allen Kronländern vollständig zur Durchführung gekommen. Aus dem Bericht unserer Kommissarien ergiebt \ih, daß das Organisationswerk auh gegen- wärtig noch fortgeseßt wird, daß auch gegenwärtig noch ganze Land- striche der Genofsenschaftsbildung entbehren. In Oesterteih hat man die Gewerbekammern bei der Ausführung des Gesetzes zur Hilfe ge- nommen. Man erkannte dort den Werth, den es hat, wenn man aus dem Handwerkerstand selbs Organe zur Mithilfe bei der Dur- führung der geplanten Einrichtung zur Hilfe nimmt. Weshalb \ollen wir in Deutschland auf diefen Weg verzichten ?

Es mag ja sein, daß gegen die Art und die Zusammensegzung der Handwerkskammern, wïe der Entwurf sie vorsieht, berechtigte Be- denken bestehen. Diese Bedenken können zum Ausdruck gebracht, sie können erledigt werden. Jedes Bedenken aber, meine Herren, das etwa nah der Richtung hin gehen würde, daß der vorliegende Ent- wurf der Organisation präjudiziere, erledigt sich meines Erachtens vollständig dadur, daß dieser Entwurf nur einen völlig provisorischen Charakter hat ; er soll nur einen folhen Charakter haben, und seine Bestimmungen sollen nur so lange in Wirksamkeit bleiben, bis es gelungen sein wird, mit den gesezgebenden Faktoren ein definitives Organisationsgesez zu vereinbaren. Also auh nach dieser Richtung, meine Herren, birgt der Geseßentwurf keinerlei Gefahr.

Wenn etwa ein weiterer Einwand oder eine weitere Besorgniß daraus hergelcitet werden sollte, daß das fkorporierte Handwerk in den Organen, die wir / {hafen wollen, majorisiert werden könnte, so weise ich in dieser Beziehung auf die Vorschrift des § 11 hin,

in der ausdrücklih vorgesehen ist, daß den Vertretern des korporierten Handwerks eine vorzugsweise Betheiligung in den Handwerkskammern gefichert bleibt. Also, meine Herren, auch dieser Einwand ist, glaube

ih, kein beretigter und aus\{laggebender, und er wird nicht den

Entwurf zu Fall bringen dürfen. s

Auf Einzelheiten des Eatwurfs will ih niht weiter eingehen ; es wird sich mir dazu vorausfihtlich noch im Laufe der heutigen Besprehung Gelegenheit bieten. Im übrigen wird die Kommission der geeignete Boden sein, auf dem man die Bedenken, die etwa im einzelnen erhoben werden, erledigen kann. Jedenfalls , meine Herren, möchte ih rathen, diesen Geseßentwurf nit a limine zurüdk- zuweisen. Wie zeitig es möglich sein wird, Ihnen ein definitives Organisationsgeses vorzulegen, kam in diesem Moment nicht mit abfoluter Bestimmtheit gesagt werden. Der Königlich

preußishe Herr Handels - Minister is an der Arbeit, die Sache

wird so eifrig, wie irgend thunlih, gefördert. Man kann einen vorläufigen Plan dahin aufstellen, daß es etwa in der ersten Hälfte des Februar möglich fein wird, dem Bundesrath einen folchen Ent- wurf vorzulegen. Wie lange er Zeit brauht, um im Bundesrath erledigt zu werden, läßt sih ebenfalls niht mit Bestimmtheit sagen. Die Meinungen unter den verbündeten Regierungen über die Organi- sationsfrage werden vorauésihtlich nicht von vorn herein überein- stimmen. Man wird, welhen Weg man auch in dem Entwurf vor- {lagen möge, auf manche Bedenken und Einwände stoßen. Wie {nell es möglich sein wird, diese Bedenken und Einwände zu er- ledigen, läßt sich, wie gesagt, niht mit Gewißheit vorhersehen. Aber selbst, wenn ich annehme, daß die Berathung im Bundesrath nicht länger als vier Wochen dauern würde, so würde do erft die Mitte März als der Termin in Aussiht genommen werden können, wo etwa ein Organisationsentwurf in den Reichstag gelangen könnte. Und da, meine Herren, bitte ich Sie, doch zu über- legen, ob nicht die Durchberathung eines solhen Entwurfs in der jeßt begonnenen Session zu den Unmöglißkeiten gehören würde. Sie werden also frühestens darauf renen fönnen, im nähften Reichstage mit einem folhen Entwurf begrüßt zu werden, und wenn Sie uns inzwishen Gelegenheit geben, durch die Errichtung von Handwerkskammern eine wirklich zweifelfreie und gründlihe Begutachtung unserer Pläne durch die Vertreter des gesammten Handwerks zu erhalten, so können Sie mit größerer Sicherheit darauf rechnen, daß Sie einen weniger angefohtenen, zweifelsfreieren und besser vorbereiteten Entwurf im nästen Jahre vorfinden, als jeßt. Wollen Sie aber den Schritt nicht machen nun gut, dann bleibt für uns weiter nichts übrig, als unsere Organisationsarbeiten fortzuseßen. Wir werden dann wahrscheinli im Laufe dieser Arbeiten dazu übergehen müssen, uns selbst die begutahtende Hilfe zu suchen, auf deren Mitwirkung wir werden Werth zu legen haben, und wir werden Ihnen alsdann das Ergebniß unserer Vorberathungen im nächsten Jahre vorlegen.

Wie aber auch Ihr Votum ausfallen möge, ih weiß mich mit Ihnen und insbesondere mit den warmen Vertretern der Interessen des Handwerks, in einem Punkte siherlich eins: in dem Wunsche, daß Ihr Votum zu Nuß und Frommen und zum Heile des deutschen Haudwerks gereichen möge. (Bravo! rechts.)

Nach dem Abg. H i be (s. d. gestr. Nr.) nahm das Wort der Abg. Gamp (Rp.): Die Erwartung des Herrn von Boetticher, daß seine Vorlage bessere Aufnahme finden würde, kann ih nicht als berechtigt anerkennen. Jn der vorigen Session hätte der Geseßentwurf, der ein Proviforium schaffen sollte, eine andere Aufnahme gefunden. Die Vorlage will kein Provisorium hafen; denn die Wahlen sollen danach alle 5 Jahre stattfinden. Die Vorlage giebt als Provisorium zu viel, als Definitivbum zu - wenig. Man hätte nur die einzelnen Fragen zur Diékussion stellen, die Statuten vorlegen follen und dann auf die Entschließung der Handwerkskammern au geeignetes Gewicht legen sollen. Aber das Statut wird von der Regierung nah Anhörung erlassen, es is keine Selbständigkeit vorhanden. Wenn man jeßt fein flares Bild hat, dann wird es nicht möglich sein, ein folches Bild überhaupt zu gewinnen. In den allgemeinen Hand- werkerkreisen ist die Entscheidung-nicht zu treffen; dann könnte man die Sache auf sih beruhen lassen; denn es würde dann die Mehrheit der Nichtinkorporierten vielleicht nachher entsheiden, daß das Hand- werk gar keine Organisation will. Man fragt und fragt immerfort Interessenten; aber bei der Organifation der Landwirthschaftskammern hat man feine allgemeine Umfrage gehalten, fonst wären die Landwirth- \chaftskammern heute nicht vorhanden. Die Regierung follte doh auf die Meinung der Mehrzahl dieses Hauses ein gewisses Gewicht legen ; Dreiviertel des Reichstags haben sich für die es des Hand- werks ausgesprohen; dadurch ist die Regierung [hon wesentli ihrer Verantwortung entlastet. Welche Stellung follen denn die Handwerks- kammern einnehmen ? Die juristishe Persönlichkeit haben sie nicht ; sie würden ja nit einmal ein Lokal miethen oder einen Sekretär an- nehmen fönnen. Im Geseß wenigstens steht nichts davon. Die Kammern haben keine bestimmten Aufgaben; denn alle Organisationen, welche nur begutachten sollen, haben feine dauernde Thätigkeit ; sie müssen besließende Befugnisse haben, wie man den Landwirthschafts- kammern positive Aufgaben gestellt hat: die Beaufsichtigung der Börse, die Ordnung der Silofrage u. f. w. Hier aber soll {ließlich doch alles durch die Behörde Clibèbén: die Begrenzung der Bezirke, die Abftufung des Wahlrehts alles liegt in den Händen der Re- gierung, die natürlich durch die Regelung dieser Dinge einen genügenden edt auf die Kammern sich sichern kann. Es sind einige Handwerkskammern in Deutschland vorhanden, auf die die Vorlage Rücksicht nimmt. Dadurch scheiden vielleiht Württemberg, Bayern und Sachsen aus dem Geseß ganz aus; dann könnte man vielleicht die Sache für Preußen allein regeln ; vielleiht würden wir beim preußishen Minister-Präsidenten weniger Widerstand finden als beim Reichskanzler. Die Verweisung ‘än eine Kommission hat eigentlih keinen Zweck; es würde si nur darum handeln, eine Reso- lution zu fassen, um für die Berathung der späteren Vorlage den Weg zu ebnen. Aber das könnte auh in der zweiten Lesung ge- macht werden. Da eine große Partei die kommifsarishe Berathung angeregt hat, will ich nicht widersprehen, bitte aber, nur eine kleine Kommission zu bilden. Die Kommission müßte jedo leng berathen, denn ich erinnere daran, daß der Minister von Berlepf esagt hat: die Handwerkerorganisation is mehr und mehr eine Griflenifrage für den gewerblihen Mittelstand geworden.

Staatssekretär des Jnnern, Staats - Minister Dr. von Boetticher:

Meine Herren! Jh muß doch noch einige Worte meinem ersten Vortrage hinzufügen, da ih niht die Ueberzeugung gewonnen habe, daß der Herr Vorredner alle Mißverständnisse abgeshüttelt hat, die etwa an den Entwurf geknüpft werden könnten.

Der Herr Vorredner hat zunächst gemeint, daß dem Gesetz kein proviforisher Charakter beiwohne ; dies ergebe sich aus der Vor- schrift, daß eine Wahlperiode von fünf Jahren festgeseßt sei. Ja, meine Herren, diese Festseßung erklärt sich doh sehr natürlich: wenn man überhaupt ein Organ wählen läßt, so muß man nothwendiger- weise auch dazu übergehen, eine Wahlperiode für die Gewählten fest- zuseßen, ohne Rücksicht darauf, ob das Organ ein langlebiges oder ein kurzlebiges sein wird. Außerdem kommt dabei aber auch noch etwas Anderes in Betracht.

Ich kann mir sehr wohl denken, daß man bei weiteren Er-

Sideinivgen über die Frage der Organisation des Handwerks zu einem

Gesey kommt, das sih lediglich auf den sogenannten Unterbau

bezieht, also dié Zwangsorganisationen im einzelnen ausgeftaltet, nebenher aber diese Handwerkerkammerr als Oberbau in derselben Gliederung bestehen läßt. Das wäre immerhin möglich, wenn ih auch nicht glaube, daß diese Eventualität eintreten wird, aber wie gesagt: es ist mögli. |

Ich bitte also, dem Gese keinen anderen Charakter beizulegen, als derjenige ist, den seine Autoren ihm beigelegt zu sehen wünschen.

Der Herr Vorredner hat dann gemeint, es würde ein falsches Bild geben , wenn man außer Vertretern des korporierten Handwerks auch -noch dem nihtkorporierten Handwerk angehörige Meister ver- nehme. Jh glaube, darin geht er doch etwas zu weit. Jh bin der Meinung, daß, nachdem er selber zugegeben hat, daß ziffermäßig das forporierte Handwerk nur einen verbältnifimäßig geringen Theil des Handwerks ausmacht, er ih der Anhörung des nichtkorporierten Handwerks nicht wird entziehen können; und wenn er insbesondere gegen die Anhörung der Vertreter des Handwerks, die in Gewerbe- vereinen vereinigt find, fih ausgesprohen hat, so muß ich doch sagen, daß in diesen Gewerbevereinen nah ihrer mir bekannten Zu- sammenseßzung eine recht große Anzahl Handwerker sich befindet. (Sehr richtig!) Namentlih in Süddeutschland spielen die Gewerbe- vereine die Nolle wie bei uns die Innungen, und es würde ganz unbillig sein, wollte man diese Gewerbevereine niht mit berücksih- tigen, wenn man die Innungen berüdcksichtigt.

Nun hat mir der Herr Vorredner zum Vorwurf gemaht, daß ih auf die preußishen Landwirthschaftskammern exemplifiziert habe, und hat gemeint, diese Bezugnahme sei durchaus üngerechtfertigt. Er hat dieses sein Urtheil damit zu begründen versucht, daß für die Landwirthschaftskammern in Preußen ein Unterbau bereits vorhanden sei, und zwar in den landwirthschaftlihen Vereinen. Auh nah der Deduktion des Herrn Vorredners halte ih meine Behauptung, daß die Organisation der Landwirthschaftskammern in Preußen nit anders beschaffen ist als die Organisation der Handwerkerkammern im Reich, aufrecht. Denn in Preußen is die Landwirthschaftskammer nah dem dortigen Landwirthschaftskammergesey keineswegs auf den landwirthschaftlichen Vereinen aufgebaut, sondern ihre Mitglieder werden gewählt durch die Kreisaus[hüsse. Es ift also auch für die Landwirthschaftskammern in Preußen noch kein Unterbau vorhanden. (Zuruf.) Gewiß, confer § 8 des Geseßes vom 30. Juni 1893.

Sodann hat der Herr Vorredner gemeint, ‘es sei eigenthümli, daß man gegenüber den Wünschen einer so erheblihen Majorität des Reichstags nicht fofort mit einer definitiven Organisation vorgeht. Er selbst wird ja aus seiner bisherigen amtlichen Thätigkeit wissen, daß die Arbeiten, betreffend die Organifationsfrage, im - preußischen Handels-Ministerium nicht geruht haben, daß sie beständig gefördert find, und er selbs wird auch am besten beurtheilen können, welche Hindernisse der definitiven Erledigung dieser Organisationéfrage bisher entgegengestanden haben.

Nun aber möchte ich doch daran erinnern ich will auf die Frage der Zwangsinnungen nicht eingehen: Die Herren werden aus meinen Vorträgen entnommen haben, daß ich kein absoluter Gegner der Zwangéorganifation bin, und wenn ih in diesen Ruf gekommen bin, so bin ich unverdient dahin gekommen, aber darauf möchte ih doch den Herrn Vorredner verweisen, daß der Reichstag keineswegs immer so gedaht hat, wie die heutige Majorität in der Orga- nifationsfrage denkt. (Sehr rihtig! links.) Und es ift sehr lehrreih, wenn man über folhe Fragen die älteren Verhandlungen nachliest

(fehr richtig! links), und wenn man si erinnert, daß in den früheren

Reichstagen die Herren von Kleist-Reßow (hört! hört! links), Aer- mann, Freiherr von Stumm, von Rheinbaben, von Hertling #ich positiv gegen die Organisation von Zwrangsinnungen ausgesprochen haben. Außerdem, wer giebt uns denn die Gewähr dafür, daß, wenn wir heute Zwangsinnungen machen, dies auf die Dauer den Bedürfnissen des Handwerks genügt? Ich erinnere an die Entwicklung unseres ganzen Handwerks seit zehn Fahren. Es ift gut und nüßlich, auch hier die alten Erörterungen dur- zugehen (sehr rihtig!), wie sie in den Staatsrathsverhandlungen, in den alten Verhandlungen des preußishen Staats - Ministeriums niedergelegt find, wie fie sih hon aus der Gewerbeordnung von 1845, aus dem Geseß von 1849 und der Gewerbeordnung von 1869 ergeben. Meine Herren, ih glaube und weiß, daß das Handwerk in seinen forporierten Vertretern augenblicklich die Zwangsinnungen für ein absolutes Erforderniß bâlt; aber die Gewähr haben Sie nicht, daß diese Auffassung alle Zeit mit gleißer Wärme vertreten werden wird, und die Regierungen, welche in erster Linie die Verantwortung für eine Organisation tragen, dürfen niht ohne weiteres si einem Votum anschließen, fo lange sie dessen Berechtigung nicht selbs anerkennen. Also kann nicht allein dás Votum der Majorität des Reichstags ent- scheidend sein, sondern es muß hinzukommen die eigene Prüfung und Ueberlegung davon, daß das, was diese Majorität will, auch wirklich heilsam ift.

Nun hat der Herr Vorredner Einzelheiten der Vorlage berührt, auf die ja eigentlih beffer bei der Kommissionsberathung einzugehen wäre. Jch will mih auch nicht dazu verleiten lassen, eingehend die Punkte zu besprechen, die er berührt hat; ich möchte nur ein paar

kurze Bedenken gegen die von ihm ausgesprochenen Auffassungen.

mittheilen. Also der Herr Vorredner meint, man beshränke zu Un- recht die Kammern auf eine begutachtende Thätigkeit; venn die Kammern bereits einen Unterbau hätten, wenn sie die Organe hätten, um das Lehrlingswesen in ihre Obhut nehmen zu können, dann hätte man zweckmäßig in dem Gesetzentwurf zugleich au eine verwaltende, auch eine beshlußfassende Thätigkeit nach der Richtung hin vorsehen können, daß fie für das Handwerk alle möglihen nüßlihen Einrich- tungen treffen könnte. So liegt aber die Sache nit. Zunächst soll die Kammer ein berathendes Organ werden; haben wir die Organisa- tion, dann soll sie mitwirken an der Ausführung, und dann wird die Aufgabe des Sprechens zu Ende sein, dann wird ihre Aufgabe sein, praktish zu handeln.

Der Herr Vorredner hat sih sodann über den § 2 geäußert und gemeint, es müsse durch Geseß festgestellt werden, welche bereits vor- handenen Organisationen als gleichwerthig anzusehen seien mit den Handwerkerkammern, die im § 1 Jhnen vorgeschlagen werden.

Ich glaube, meine Herren, das ist ja so ziemli bekannt, welche Organifationen in den einzelnen Staaten bestelen, und es wird ih unshwer ein Urtheil darüber gewinnen lassen , ob diese gleihwerthig sind. Wenn eine ausdrücklihe Bestimmung in § 2 dahin nicht getroffen ist, wer darüber zu bestimmen hat, fo ift das einfach aus dem Grunde

Der Herr Vorredner hat dann den Gedanken aufgestellt, es würde den Vorzug verdienen, wenn man diesen Plan weiter verfolgen wolle, ein preußishes Gese zu machen; er hat die Frage aufgeworfen : warum geht man nicht in Preußen vor und beläßt lediglih denjenigen deutschen Staaten, welche Organe für die Handwerkerange!egenheiten besißen, diese Organe? Meine Herren, die Frage war auch im Kreise des preußischen Staats-Ministeriums erwogen worden; man hat aber davon abgesehen, ein preußisches Gesez zu machen: einmal weil die Materie an \sich nach der Verfassung der Reihs-Gesetzgebung anheim- fällt, und zweitens, weil nicht bloß in Preußen ein Bedürfniß nah Schaffung solcher Organisationen vorliegt, sondern auch eine ganze Reihe anderer Staaten der geordneten Vertretung des fleinen Hand- werks entbehrt.

Der Herr Vorredner hat fih dann \{chließlich noch gewendet gegen

den Paragraphen, in welchem von der Aufbringung der Kosten die

Rede ift, und hat es als ganz ungeheuerlih. bezeihnet, daß man hier- nah dur einen Beschluß des preußishen Staats-Ministeriums die Kommunalverbände mit 2, 3, 4, 5 Millionen Mark belasten könne. So \{limm kann die Sache doch nicht werden. Wenn wir überhaupt eine Vorschrift dahin vorgesehen haben, daß Kommunalverbände diese Kosten tragen sollen, so ist das, wiein den Motiven erörtert, lediglich aus der Betrachtung erfolgt, daß, wenn wir die Kosten auf die Inter- efsenten vertheilen wollten, ganz minimale, um wenige Pfennig sich drehende Beträge von den einzelnen Betheiligten einzuziehen sein würden. Wegen dieser ibrer Geringfügigkeit hat man die Kosten den Gemeinden zur Last gelegt und hat es ihnen gleichzeitig überlassen, die Koften auf die einzelnen Handwerksbetriebe zu vertheilen, wenn sie dies in ihrem Interesse finden. Und wenn s\chließlich die weiteren Kommunalverbände hineingezogen worden sind, so is auch dies lediglich aus der Betrachtung geschehen, daß es sih als nüßlih erweisen kann, so kleine Beträge einbeitlich von größeren Verbänden zahlen zu lassen.

Dem Herrn Abg. Hiße bin ich schr dankbar dafür, daß er dem Geseßentwurf doch wenigstens die Folge geben will, ihn in eine Kommission zu verweisen. Jh unterlasse es jeßt, auf seine Einzelbemerkungen einzugehen, - namentli bezügli der Gestaltung des Lehrlingêwesens, und will in dieser Beziehung nur bemerken, daß von dem Lebrlingswesen in dem Geseßentwurf aus dem einfahen Grunde nicht die Rede is, weil, wie ih {hon hervorgehoben habe, die Handwerkerkammern noch keine Organe haben, um wirksam das Lehrlingswesen besorgen zu können. i

Abg. Freiherr Heyl zu Herrnsheim (nl.): Jch verweise auf die Verhandlungen aus Aalaß der von mir im Januar eingebrachten Interpellation über die Handwerkerorganisation; {on damals war es flar, daß des Nedens auf diesem Gebiet jeßt genug ist, daß ge- handelt werden muß. Mit einer begutahtenden Thätigkeit der Kam- mern ift es nicht abgethan, sie muß au eine verwaltende Thätigkeit werden. Die Organisation muß die Möglichkeit baben, finanzielle Mittel zu beschaffen und alle möglihen Einrichtungen zu treffen im Interesse des Handwerks. Eine abwehrende Stellung gegenüber dem vorzulegenden Entwurf hat man allerdings im Reichstag im Januar noch eingenommen ; aber der Handwerkertag in Halle hat dagegen entshieden Stellung genommen. Es waren da dur die Delegirten 600 000 forporierte Handweiker vertreten. Einftimmig hat man die Boetticher’shen Vorschläge abgelehnt, und die Berlepsh’schen Vor- {läge fanden ziemlih Agaiieiae Billigung. Die freien Gewerbe- vereine, die in Süddeutshland bestehen, werden von Handwerker- freunden dirigiert, fie fönnen durhaus nit als eine Ver- tretung des Handwerks gelten. Zwischen den freien Gewerbe- vereinen und den Innungen bestehen eigentliß keine Meis- nungsverschiedenheiten bezüglich der Berlepsh’schen Entæürfe, mit Ausnahme des einen Punktes, ob freie Innungen oder Zwangs- innungen geschaffen werden sollen. Meine e sind der Meinung, daß der Befähigungönahweis, welher die Gewerbefreiheit einshränkt, für Deutschland unmöglich ist; aber ih glaube, daß die Organisation ohne Befähigungsnachweis au durchführbar ist. Wenn wir so nahe einer Verständigung sind, ist es {hwer, über eine Vorlage, ‘wie sie hier eingebracht it, zu verhandeln, welWe eine Musterkarte ver- schiedenartiger Handwerkskammern und eine Musterkarte bezüglich der Unterscheidung zwischen Handwerk und Fabrikbetrieb hafen würde. Die E aemern werden vielleiht noch gar nicht bestehen, wenn die Berlepsh’sche Vorlage eingebraht sein wird. Deshalb is meine Fraftion nicht in der Lage, für die Vorlage zu stimmen, sie müßte denn so umgearbeitet werden, daß die Kammern in der dauernden Organisation des Handwerks eine Stelle finden, wenn ihnen eine doner Thätigkeit bezüglich des Lehrlingswesens u. st. w. gegeben würde.

Abg. Reißbaus (Soz.): Die Regierung und alle Parteien wollen dem Handwerk belfen; aber keiner weiß, wie. Die Borlage ist auch wohl nur eine Beruhigung für diejenigen ee wel ebenso gut s{hreien fönnen, wie die Agrarier. Ein Schauspiel für Götter ift es, wenn man sieht, wie die Ss, welche das Handwerk vernichten, sih hier erwärmen für die Organisation des Handwerks. Wer ist denn Handwerker ? Der Hausindustrielle? Der Tischler, der für das Magazin arbeitet? Darüber \{weigt sich die Vorlage aus. Die Handwerkskammern werden die Aufsaugung des Handwerks durch die Großindustrie auch nit aufhalten fönnen. Die Pandwerker leben ja meistens überhaupt nur noch von der Aus- eutung der Lehrlinge; es giebt z. B. bei den Barbieren und geleien fast halb fo viel Lehrlinge als selbständige Meister und

ehilfen, und ähnlih liegt es bei anderen zünftigen Handwerkern. In Oesterreih hat man die Handwerkerorganisation durhgeführt, aber die Wünsche der Handwerker find niht in Erfüllung gegangen. Wenn die Handwerkskammern geeignet wären, das Handwerk vom Untergang zu retten, so wären wir die leßten, die dagegen stimmen würden. Wir haben kein Intereffe daran, den Handwerkern die Hilfe zu versagen. Wir sind aber dec Ueberzeugung, daß alle Mittel nihts helfen, deëhalb versprehen wir den Handwerkern au nihts. Wenn die Regierung Auskunft haben will dur die Handwerkskammern, dann soll sie nit bloß die Meister, sondern auch die Gesellen fragen. Man sollte den Arbeitern nur das E freie Koalitionsrecht gewähren: ein solhes ist -jegt niht F g Alle Arbeiterorganisationen werden verfolgt, aufgelöt und

aniert.

Abg. Jakobskötter (d. kons.): Jch habe niemals irgend einem Handwerker versprochen, daß nur dur Zwangsorganisation, Befähigungs- nahweis 2c. seine Lage verbessert werden könne. Wir stellen unsere orderungen im Interesse der Ordnung, ohne davon das Glüdck der andwerker abhängig zu mahen. Gegen die Großindustrie wird das

dwerk nihts ausrihten können, Von einer Ausbeutung der Lehr- Si kann durchaus nicht gesprohen werden. Allerdings sind bei den

lossern die Lehrlinge zahlreicher als die Meister; aber das liegt daran, daß die p ir Bier als Gehilfen in die Fabriken gehen. Solche Zustände wie in Oe erreich wollen wir A shaffen ; j o ebrigens follen au einzelne Druckereien in fozialdemokratishen Händen fein, und da soll es mit den Lehrlingen auch niht immer zum besten teben. Die größten Feinde des Handwerks sind die großen Magazine, welche im „Vorwärts“ annoncieren, und die Fachvereine, welhe den Hand- werkern das Leben {wer mahen. Bezüglich der Vorlage befinde ih mich in vollster Uebereinftimmung mit den andecen Vor-

alten wir unsere Regierung fa viel zu vernünftig.

rednern: mit E E Dana, Lise ion von Heyl. Der dwerkertag in Halle hat sih even?o wie der Handwerkertag in Bent auf denselben Standpunkt gestellt ; niemand wollte von dieser Vorlage etwas wissen; nah den vorjährigen Bersprehungen hatte man von der Reaierung etwas Anderes erwartet. Warum will man jeyt erst alle Interefsenten hören? Wo hat sich denn ein iderspruch erhoben gegen die Forderungen des Handwerks? In der Provinz Brandenburg besteht ja noch eine Handwerkerkammer : warum hat. man diese nicht um ihr Gutachten befragt? Wie noth- wendig ift die Ordnung des Lehrlingêwesens, auf welhem Gebiete die größte Anarchie herrsht. Die Fortbildungsshulen find allerdings den Meistern niht angenehm, weil diese niht nur die Lehrlinge aus der Arbeit fortlafsen, scndern auch das Schulgeld bezahlen müssen. Andererseits haben die Innungen oft genug große Fahschulen ein- gerichtet; 1ch verweise auf die Tischler-Fachschule in Magdeburg, welche jeyt auch von der Gemeinde unterstüßt wird. Ih würde es lieber sehen, wenn die anderweitigen Vorschläge, welhe im Juli bereits einer Konferenz vorgelegt sind, zur Berathung gestellt wären. Diese Vorlage in einer Kommission zu berathen, dafür sehe ih feinen Grund ein; denn ih weiß nit, wie wir sie verbessern sollen. Höchstens würde eine Kommifsion dann am Plate sein, wenn uns die in Aus- sicht gestellte Vorlage noch in dieser Session vorgelegt würde. Diese Vorlage verwirft der gesammte Handwerkerstand, deshalb müssen wir sie ablehnen.

Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. von Boetticher:

Der Herr Vorredner hat von mir auédrücklich eine Erklärung in Bezug auf die definitive Vorlage provoziert, die in Aussicht steht, weshalb ich mich für verpflihtet halten muß, auf diese Provokation zu antworten. Mir scheint, daß das Votum, das der Herr Vor- redner bezügli der ¿geshäftlihen Behandlung abgeben will, doch niht recht \{lüssig is. Nah der ursprünglichen Stellung, die er dieser Vorlage gegenüber eingenommen und die er dahin präzisiert hat, daß er ihr nicht feindlich gegenübergestanden habe, daß er fogar dazu übergegangen fei, fie in Handwerkerkreisen zu vertreten ih sage, nah dieser Haltung scheint es mir do nicht so recht {lüssig zu sein, jegt die Vorlage einfach in den Brunnen zu werfen. Meine Herren, daß die Handwerkerkreise von dieser Vorlage niht allgemein befriedigt sein würden, haben wir uns vorher gesagt, weil eben die Wünsche der Handwerker sehr viel weiter gehen. Deshalb aber glaubten wir doch nicht, diese Vorlage unterlassen zu jollen, weil wir gerade im Gegensaß zu der Anschauung, die dem Herrn Vorredner aus Handwerkerkreisen zugänglich ist, diese Vorlage als ein expediens, das beißt als ein Förderungsmittel, für die Lösung der Organisations- frage ansehen zu follen glaubten. Dieser Standpunkt, das betone ih, ist noch von keiner Seite widerlegt.

Der Herr Vorredner is darauf zurückgekommen, die Befürchtung auszusprehen, daß dur diese Vorlage eine Vershleppung eintreten würde. Nun, ih habe Ihnen bereits gesagt, daß die Arbeiten auf Her- stellung des definitiven Organisationsgesetzes gefördert werden, ernft- lih und kräftig gefördert werden ; ih habe Jhnen weiter gesagt, daß ein bestimmter Zeitpunkt, wann sie zum Abs{luß kommen, ih niht angeben läßt, und daß die günstigste Rechnung, die man in dieser Beziehung aufstellen kann, etwa auf die erste Hälfte oder die Mitte des Monats Mârz hinweist, zu welher Zeit eventuell die Vorlage an den Reichstag kommen fönnte.

Meine Herren, wenn der Herr Vorredner die Frage aufgeworfen hat: Weshalb hat man die Vorschläge des Herrn Ministers von Berlepsch, die der Handwerkerversammlung im Juni d. J. vorgelegen haben, uns nicht vorgelegt, fo habe ich darauf ganz einfach zu erwidern: Diese Vorschläge waren erst ein vorläufiger Entwurf, der dazu bestimmt war, nah Maßgabe des Ausfalls der Beurthei- lung, der Revision unterzogen zu werden. Weshalb diese Revision nicht vor Zusammentritt des Reichstags hat beendet werden können, habe ih bei meinem ersten Vortrag heute auszusprehen mir erlaubt. Ich habe den Herren gesagt, daß die Stihproben-Engquête erft vor wenigen Tagen zum Abschluß gekommen ist.

Nun liegt die Sache ganz einfah so, und ich möchte die Herren wirkli bitten, das festzuhalten : wir sehen nah wie vor die gegenwärtige Vorlage als einen ersten Schritt, wie es die Thronrede bezeichnet hat, zur Eröffnung der Organisation an. Wir sind weit entfernt davon, verschleppen zu wollen; wir wissen nicht mit Be- stimmtheit, wann wir dem Reichstag wegen der definitiven Organi- sation Vorschläge machen können, und deshalb is es unsere Absicht, ohne Aufshub der Arbeiten für die definitive Organisation die gegen- wärtige Vorlage zu bringen, welche uns gleichzeitig und das ist der zweite Schwerpunkt ein Organ schafft das wir demnächst bei der Durchführung der Organisation zweckmäßig verwenden können. Also, meine Herren, wenn Sie die Vorlage jeßt ablehnen, fo wird in Bezug auf den Fortgang der Arbeiten für das definitive Geseg zwar nichts geändert (Heiterkeit rehts.), das ist rihtig, der Fortgang dieser Arbeiten wird jedenfalls nit beeinträhtigt. Allein, wenn sih im Laufe dieser Arbeiten die Nothwendigkeit oder Nüßlich- keit herausftellen sollte, den Handwerkerstand dur autoritative Organe zu hôren, fo werden wir, wenn Sie die Vorlage annehmen, solche Organe haben; wir werden sie aber nicht baben, wenn Sie die Vorlage ablehnen.

Sie haben nun kein Vertrauen zu dieser Organisation; weshalb haben Sie es nicht? Weshalb soll es nicht möglih sein, taß den Anschauungen, die Sie als ein Angehöriger des korporierten Handwerks vertreten, auch in diesen Organen Geltung verschafft wird? Auf der anderen Seite werden Sie als billig denkende Herren doch auh zugeben, daß diejenigen, die anderer Meinung sind, zum Worte kommen müssen. Also die Sache liegt ganz einfach so: Sie leisten dur Annahme der Vorlage meiner Meinung nah unseren Arbeiten eine Förderung und thun etwas, was zur Klärung der ganzen Sache nüßlich is. Wenn mir entgegengehalten wird: die Sache ift ja geklärt, wir find ganz einig darüber, wir wollen die Berleps{h’ schen Vorschläge haben so erwidere ih, daß diese Vorschläge heute noch keineswegs feststehen, sondern daß dies vorläufig Vorschläge sind, die noch der weiteren Klärung an der Hand des Materials, das wir besitzen, bedürfen.

Abg. Fischbeck (fr. Vp.): Ich erkläre namens meiner Freunde,

daß sie auch niht für die Vorlage stimmen können. Die Regie- rung hat erflärt, dey sie sih auf die

große Zahl der Handwerker stüßen wolle, niht auf die Mehrheitsparteien dieses Hauses, nicht auf die Schreier, welhe immer wieder in den Innungsversammlungen für die Zwangsorganisation eintreten. Die Vorlage hat keinen proviforishen Charakter, es sind den Kammern auch dauernde Aufgaben übertragen. Wenn die Handwerkskammern allgemein gültige Vorschriften über Lehrlingswesen u. \. w. erlassen follen, dann müssen au die Gesellen darin vertreten sein. Wie soll denn eine Scheidegrenze gezogen werden zwishen Handwerk und Groß- betrieb? Warum follen den Innungen in den Handwerkerkammern besondere Vorrehte eingeräumt werden? Warum follen die Staats-

behörden fo eingehende Aufsichtsbefugnisse ausüben? Wir glauben, , wenn wir auf dem von uns betretenen e weitergehen, wir denno die vernünftigen Handwerker auf unserer Seite werden.

Abg. Marbe (Zentr.) empfiehlt die Verweisung der Vorlage an eine Kommissior, niht um e bloß abzulehnen, sondern um die Grundlage für eine befere Vorlage zu shaffen. Von einer solchen auch nur vorläufigen Organisation wollten die Handwerker in Süddeutschland nihts wissen. Erst vor wenigen Jahren habe die Regierung anerkannt, daß eine Organisation des Handwerks noth- wendig sei. Wäre das ndwerk in den leßten dreißig Jahren vernünftig organisiert gewesen, so hätte die falshe Organisation der Sozialdemokratie niht auffommen können. Redner stellt ferner für die Kommissionsverhandlungen eine Resolution in Ausficht, die unter Ablehnung des Geseßentwurfs eine örtlihe Organisation des Hand- werks als Unterbau einer weiteren Handwerkervertretung fordert. Wenn, fo {loß seine Rede, das Handwerk gefördert werden soll, warum will man nit für das Handwerk ebenso gut wie für die höheren Berufsftände den Befähigungsnachweis einführen ?

Abg. von Wolszlegier -Gilgenburg bezeichnet die Vorlage

namens der Polen ebenfalls als unannehmbar, weil sie zu weni biete. Gesprohen und geschrieben sei genug, es müsse jet wirklich etwas für das Handwerk gethan werden. Die Handwerkskammern würden \{ließlich nur neue Schreiberei mit si bringen ; fie seien überflüssig, weil sie nur proviforish sein sollen. Die polnischen Handwerker würden niemals in die Lage kommen, ihre Wünsche aus- zusprehen, es müßte denn die Bestimmung getroffen werden, daß in Gegenden mit gemishter Sprache unbedingt Vertreter beider Sprachen vorhanden fein müßten. Er sei niht der Meinung der Sozialdemokraten, daß dem Mittelstande nicht mehr zu helfen sei, er halte das für möglih und deshalb wolle er für die Kommissions- uns stimmen und fsih noch nicht gegen den Geseßentwurf aus- prechen. Abg. Iskraut (Deutsh-soz. Ref.-P.): Bis jezt hat keine einzelne Partei sih günstig zu der Vorlage gestellt; nur von der frei- finnigen Volképartei, welche die energishe Gegnerin der Bestrebungen der dwerker ist, ist Herr von Boettiber gelobt worden. Nicht wegen der Krisen, die darüber entstanden sein Pillen. ist die Vorlage merkwürdig, sondern weil die Vorlage die Unmöglichkeit ausdrückt, die Schäden, welche beseitigt werden sollen, zu beben. Die Vorlage begegnet ebensowenig Sympathien wie die Umsturzvorlage. Für mich befindet si die Regierung in einer tragischen Lage, weil sie, auf dem Boden der liberalen mantesterlihen Theorien stehend, dennoch niht der Landwirthschaft und dem Handwerk belfen kann gegenüber den kommuniftishen Bestrebungen. Nicht einmal die nationalliberale Partei will die Vorlage unterstüßen. Wenn die Regierung der Land- wirthschaft hilflos gegenübersteht, so verstehe ih diese Hilflosigkeit niht gegenüber dem Handwerk, dessen Geschichte den Weg zur Hilfe zeigt. Das Handwerk muß zur Verwaltung kommen, das beißt zur obligatorishen Innung mit dem Befähigungsnahweis. Wir haben überall diz Zwangsselbstverwaltung in Kirche und Gemeinde; warum nit für das Handwerk? Was soll der ftaatlihe Kommissar? Da, wo die Beamten die Verwaltung geführt haben, is mehr zerwaltet als verwaltet worden. Die Erziehung des Handwerks kann nur dur das Handwerk selbst erfolgen, dur die Zwangsinnungen. Wozu sollen erst die Kammern gebildet werden? Um tie Wünsche der Handwerker kund zu geben! Das if eine merkwürdige Bescheidenheit der Regierung, die doch schr wohl weiß, was die Handwerker wollen. Die Handwerker sind und zwar nicht bloß die eigentlichen Zünftler alle der Meinung, daß der jüdishe Einfluß auf das wirthschaftliche Leben zurückgedrängt werden müfse. Wenn die Regierung nichts machen fann, dann fommt fie mit einer Kammer: der Landwirth- saftékammer, Handelskammer , Handwerkskammer. Die Männer, welche an der Arbeit stehen, verlangen nicht in eine Kammer einge- sperrt zu werden. Für die Arbeiten innerhalb des Handwerks würde der Entwurf keinen Erfolg haben; er würde nur einen größeren Ver- brauch von Papier zur Folge haben. Einen solhen Entwurf sollte man dem Handwerk nit aufzwingen. Der ganze Entwurf kommt mir so minderwerthig vor, daß ih es nicht für nöthig halte, über die einzelnen Bestimmungen zu s\prehen. Der Herr Staatssekretär wird jeßt wohl selbst die Empfindung haben, daß er damit den einstimmigen Widerspruch der mit dem Handwerk in Verbin- dung Stehenden gefunden hat. Seit 15 Jahren sind von der Regierung die bündigsten Versprehungen geaeben, und das ganze Ergebniß war bisher nur diese Vorlage. Daß die Heimarbeiter, so- weit fie Handwerker sind, in die Organisation hineingenommen werden müssen, ist selbstverständlih. Aber ih verstehe niht, wie man Leute, die von der Organisation des Handwerks nihts wissen wollen, fragen will über die Art dieser Organisation. Wenn Herrn von Boetticher Zustimmungen zugegangen find von Gewerbekammern, so wird mir mitgetheilt, daß diese Kammern zam größten Theil aus Kauf- leuten, Fabrikanten und nur zum geringsten Theil aus wirklihen Hand- werkern bestehen. Den Handwerkéfammern sollen auh Sachverständige zugeordnet werden. Sollen das die jüdischen Inhaber der Kleider- und Schuhwaarenbazare sein, die Leute, welhe ihre Geschäfte rein kauf- männish betreiben? Jch glaube nicht, daß. diese Vorlage die Wiege ist, in welher das Glück des Handwerks sih befindet, und fordere daher die einstimmige Ablehnung im Plenum.

Schluß 41/2 Uhr. Nächste Sißzung Dienstag 1 Uhr.

Statiftik und Volkswirthschaft.

Ueber die Ergebnisse der Rekruten-Prüfungen im Deutschen Reich enthält das Ende November d. J. autgegebene vierte Viertel- jahrsheft zur Statistik des Deutschen Reichs Nachweise für das t jahr 1894/95. Danach hatten von den 256 142 Rekruten, welche în die Armee und Marine eingestellt wurden, 254301 Schulbildung in deutsher Sprache, 1279 Schulbildung nur in fremder Sprache und 962 waren ohne Schulbidung, d. b. konnten in feiner Sprache ge- nügend lesen oder ihren Vor- und Familiennamen leserlih shreiben.

In Prozenten der Gesammtzahl aller Eingestellten betrug die Zahl derjenigen, welhe weder lesen noch ihren Namen schreiben konnten,

im Ersfatjahre 1884/85 1,21 | 1888/89 0,60 | 1892/93 0,38 1885/86 1,08 | 1889/90 0,51 | 1893/94 0,24 1886/87 0,72 | 1890/91 0,54 | 1894/95 0,22 d z 1887/88 0,71 «j 1891/92 0,45 !

Stellt man für die Bezirke, von welchen die meisten Mann- schaften ohne Schulbildung gestellt wurden, das erste und das leßte der vorftehend genannten Jahre gegenüber, so kamen Analphabeten auf je 100 eingestellte Rekruten in den Regierungsbezirken:

1884/85 1894/95 Marienwerder . . . osen

Danzig Königsberg . . …. Bromberg . . . . 8,47

Ueberall is also eine sehr bedeutende Besserung zu bemerken; am stärksten ist die Verminderung der Eingeftellten ohne Schulbildung in Bromberg, Marienwerder, Posen und Gumbinnen.

Im Königreih Preußen waren von dem im Ersatzjahre 1894/95 in das Landheer eingestellten 149 950 Rekruten, nah einer im Novemberheft des „Zentralblatts für die gesammte Unterrichts- Verwaltung“ gegebenen Uebersiht, ohne Schulbildung 490 oder 0,33 9%, von den in der Kaiserlihen Marine eingestellten 5408 Mann 21 oder 0,39 9/0, im Ganzen von 155 358 Mann 511 oder 0,33 °/%, wäh- rend die Zahl im Jahre 1876/77 noch 2,96 9/9 betrug. Für die einzelnen Provinzen ergeben sich folgende Verhältnißzablen von Analphabeten unter den bei dem Landheere und der Marine eingestellten Rekruten : Ostpreußen 0,99 % (im Jahre 1876/77 noch 7,45 9/9), Westpreußen 1,23 (10,46), Brandenburg 0,06 (0,67), Pommern 0,12 C50 Posen 0,98 (13,00), Schlesien 0,43 (2,51), Sachsen 0:09 (0,36),