1896 / 11 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 14 Jan 1896 18:00:01 GMT) scan diff

Sie etwas, so kann nach meiner Ansicht nur in Frage kommen, ob man nit diejenigen Produkte, wie das Oleomargarin, die vom Auslande kommen, einem höheren Eingangszoll unterwirft. Darüber ließe si reden, nit aber, daß man inländische Produkte, die zur landwirths{haftlichen Produktion gehören, auf diesem indirekten Wege einer Besteuerung unterwirft.

Nun will ih auf einen Punkt eingehen, den Herr von Podbielski

berührt hat. Es ist die Nede davon geweken, ob es sich niht empfehle, die Margarine in der Käfebereitung vollständig zu untersagcn. Darüber ließe sih allerdings streiten. Jch glaube, daß unsere Landwirthschaft im stande ist und thatsählich dem Bedürfniß vollständig genügt, einen durchaus gesundheitlichen, billigen Käse im ausreihenden Umfange zu bereiten, und ih wüßte niht, weshalb dieser gesunden landwirth- \chaftilihen Produktion, die auch billig für den ärmeren Volksftand produziert, eine Konkurrenz dadurch bereitet werden foil, daß man au Margarinekäse gestattet, also ein Produkt, das zweifellos hinter dem Milch- und Rahmkäse zurücksteht. Jh würde von meinem Standpunkt aus, der ich die landwirthschaftlichen Interessen vorwiegend zu vertreien habe, bereit fein, für ein folWes Verbot einzutreten.

Soweit ih überseche, sind das im wesentlichen die Gesichts- punkte, die bei der Debatte hervorgetreten sind. Ih möchte mir nun noch cine allgemeine Bemerkung erlauben. Wenn fast alle auswärtigen Staaten : Dänemark, Schweden, die Niederlande, Ruß- land, Norwegen u. st. w., ihre Geseßgebung bezüglih der Ver- fälshung der Margarine verschärft und dadur Erfolge erzielt haben, so ist dieser Erfolg einmal zwar durch die Bestimmungen des Gesetzes, aber wesentlich durch deren Handhabung erzielt, und darin liegt der Schwerpunkt der ganzen Sache. Wir folgen den übrigen Staaten nah, erkennen ebenfalis das Bedürfniß an, unfer Gefeß zu verschärfen, und haben, wie Sie noch aus dem Munde des Herrn von Boetticher hören werden, den festen Willen, in der Kontrole und Handhabung des Geseßes mit Strenge vorzugehen. Darin, daß wir dem Beispiel anderer Staaten folgen,. glaube ich, licgt {on der Beweis dafür, daß wir nicht cxperimentierend, sondern mit sicherer Aussicht auf Erfolg vorgehen. Jedenfalls müssen wir so auf dem auswärtigen Markt unsere Produktion konkurrenzfähig erhalten. Jch glaube uit, daß das vom Reichsamt des Innern vorgelegte Gesetz über ein maßvolles Ziel und unter Sicherung der Erhaltung der Margarine als billiges Volïsnahrungsmittel hinausgegangen ist. Jch rihte daher an die Herren die Bitte, im allgemeinen Interesse und im Interesse der Landwirthschaft das Geseß vielleiht mit dieser oder jener Aenderung anzunehmen. (Bravo!)

Abg. Höffel (Rp.) will der Moargarincfabrikation nicht entgegentreten, soweit es sich um die Herstellung reiner und guter Waare handelt; es würden aber bei der Fabrikation sehr viele unterwerthige Stoffe gebrauht, ja man berichte sogar von der Verwendung gesundkeitsschädliher Rückstände der Schlächtereien.

Abg. Harm (Soz.) behauptet, daß der Entwurf nur rein agrarishe, Teineêwegs gesundheitlihe Interessen verfolge. Zur Be- kämpfung der Butterfälscher, fuhr der Nedner fort, reiht das bestehende Gese vollklommen aus; aber man wollte eine Erhöhung der Butterpreise herbeiführen, und deshalb kommt diese neue Vor- lage. Die Arbeiter müssen die minderwerthige Margarine ge- nrGen, weil hre. Lohe u s{leWt find. Die Arbeiter drängen sich immer mehr in die Städte; aber weshalb? Früher flapperten den ganzen Winter hindurch die Dreshflegel, jeßt aber bewältigen die Maschinen die Drescharbeit in wenigen Tagen. Herr. Bachem wird der Margarine wohl aus dem Wegae gehen ; deshalb würde ihn auch die Besteuerung derselben nit tren, wohl aber die Arbeiter, auf welche durch die Preis- steigerung die Steuer abgewälzt wird. Eine« Kontrole der Margarinefabrikation ist nur nothwendig, soweit es sich um die Verwendung des Fettes kranker Thiere handelt; aber wozu man den Arbeitern das Kaufen der Margarine verleidet dur besondercs Papier, auf welchem die Bezeichnung „Margarine“ gedruckt ist, das ist un- verständlih. Der Reichstag ist nicht dazu da, dem Volke die Existenz zu ershweren, sontern zu erleihtern; dazu reiht aber das bishen Sozialreform nit aus. Warum will man den Margarinekäse unter- drücken ? Durch die Fabrikation desselben wird es der Landwirthschaft doch mögli, die Magermilch besser zu verwenden als bisher. Graf Caprivi Gi Alle Geseyentwürfe werden daraufhin geprüft, wie fie auf die Sozialdemokratie wirken. Hat man die Vorlage nach dieser Richtung hin geprüft? Das Volk wird {ließli sagen: Wir sind doch nit dazu - da, um als Pakesel für die Herren Agrarier zu dienen. Es ist auf Dänemark verwiesen worden; da ist aber die Vermischung der Margarine mit Butter bis zu 509/06 gestattet. Die Fälschung der Butter foll unmöglich gemacht werden: das ist genug, im übrigen ist es aber besser, das Volk vor diesem Gese zu bewahren.

Staatssekretär des Jnnern, Staats - Minister Dr. von Boetticher:

Meine Herren! Nach tem sahlichen und ruhigen Verlauf den die Debatte am vergangenen Sonnabend genommen hat, habe ih mich der Annahme hingeben zu dürfen geglaubt, daß auch die weitere Berathung sih ohne jede Schärfe vollziehen, und daß der Beschluß des Reichstags in dieser ersten Lesung der sein werde, daß alle speziellen Fragen, . über welhe die Meinungen bezüglich der Gestaltung des vorliegenden Gesetzes noch auseinandergehen, der Be- rathung in einer Kommission woerden anheimgegeben werden. Wenn nun aber heute, abweihend von der Haltung der Nedner, die am vorigen Sonnabend gesprochen haben, mit Schärfe und mit einer ge- wissen politischen Betonung gegen den Gesetzentwurf vorgegangen ift, fo kann ih doch nicht umhin, auh nah den erschöpfenden Aus- führungen meines verehrten Herrn preußischen Kollegen, der mir in sahliher Beziehung kaum etwas zu bemerken übrig gelassen hat, noch einige Worte mir zu erlauben.

Es ist mir in der That auffallend gewesen, daß insbesondere der leßte Herr Redner sich fo weit aufgeschwungen hat, uns davor zu warnen, daß wir dur diese Geseßesoorlage die Unzufriedenheit im Volke vermehren möchten, daß er uns den Vorwurf gemacht hat, wir hätten ledigli, um der agrarischen Begehrlihkeit entgegenzukommen, diesen Entwurf vorgelegt, und daß er uns auf die üblen Folgen aufmerksam gemacht hat, welche seiner Meinung nah unausbleiblich sind, wenn ein solher Entwurf, der nothwendigerwcise das Miß- behagen und den Unwillen weiter Volkskreise erregen werde, zur Annahme gelangen sollte. Nun, meine Herren, diese Betrachtungen entbehren, wie mir scheint, jeglihen Grundes. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Ja, ja, ih werde Ihnen das nachweisen! Nun, wenn der Herr Vorredner annehmen follte, daß das Volk lediglich aus denjenigen Leuten besteht, die zum Vortheil ihrer eigenen Tasche die Butter mit Margarine oder Margarine mit Butter ver- mischen zu dem Zweck, um dafür einen höheren Preis zu erzielen, als die Waare werth ist, dann könnte ex mit seinen Behauptungen Recht haben. So hat er aber nicht Neht, denn der Zwcck der Gesetzesvorlage ist aus\{ließlich darauf gerichtet, die fraudulöse

Konkurrenz fernzuhalten, und den fraudulösen Konkurrenten zur Be- \trafung zu ziehen, niht aber den Konsumenten zu \{chädigen.

Meine Herren, als wir im Jahre 1887 über den in diesem Jahre verabschiedeten Entwurf uns unterhielten, hatten wir noch feine Erfahrungen im eignen Lande gemacht, wie dem Bedürfniß, die fraudulöse Konkurrenz der Margarine gegenüber der Butter zurück- zuhalten, zu entsprehen sein möchte. Wir haben damals auch über eine ganze Neihe von Vorshlägen verhandelt und haben den Eindruck gewonnen, daß es nicht ganz leiht sein würde, die Kon- trole für die Durchführung der durch das Geseß getroffenen Be- stimmungen wirksam zu gestalten. Jch selbst habe damals einen Vorsclag, daß nur 49/9 Butterfett als Zusatz bei der Herstellung der Margarine gestattet werden sollte, mit der Bemerkung bekämpft, daß die Chemie uns zur Zeit noch kein Verfahren an die Hand gäbe, um in leihter Weise die prozentualen Zusäße bei Mischungen genau festzustellen. Meine Herren, das, was ih damals ausgeführt habe, hat die Erfahrung bestätigt, und ih kann heute sagen, der größte Mangel des Gesetzes von 1887 liegt nit in seinen Vorschriften selbst, sondern er liegt darin, daß die Durchführung dieser Vorschriften nit ge- hörig Tontroliert worden is oder nicht gehörig hat kontroliert werden können. Gleihwohl aber bin ich dech der Meinung, daß wir gegen- über den bisher gesammelten Erfahrungen nicht bei dem Geseß vom Juni 1887 stehen bleiben dürfen, sondern daß wir nah verschärsten Bestimmungen suhen müssen, mit welhen wir die fraudulöse Ken- kurrenz wirksamer, als das bisher der Fall gewesen ist, zurück- halten können.

Der Herr Abz. Weiß und der Herr Abg. Harm haben beide in der Begründung der Vorlage den Nachweis dafür vermißt, daß ein Bedürfniß vorliege, gegenüber dem Geseß von 1887 anderweitige Festseßungen zu treffen. Nun, meine Herren, in den Motiven ist auégeführt, daß die Klagen über die fraudulöse Konkurrenz seit dem Geseß von 1887 niht verstummt sind, daß sie im Gegen- theil zugenommen haben. Diese Ausführungen werden bestätigt dur einen Bericht des Polizei-Präsidenten von Berlin, der sehr genau die Zahlen angiebt über die Nichtbefolgung der Vorschriften des Geseßes von 1887, sowohl der Ordnungsvorschriften als auch der Vorschriften über das Verbot der Mishbutter, und diefe Zahlen lassen erkennen, daß die fraudulöse Konkurre:z nach wie vor auf ihrem Gebiet recht thätig ist. Es würde mich zu weit führen, diese einzelnen Zahlen jeßt hier anzuführen, werde mir aber in der Kommission erlauben, darzulegen, daß ein sehr erheblicher Prozentsaß besteht von sol@en Fällen, in denen gegenüber der Gesammtzahl der vorgenommenen. Revisionen und der vorgenommenen Butterankäufe eine Uebertretung der Vorschriften des Gesetzes von 1887 fest- zustellen gewesen ist. Also, meine Herren, das Bedürfniß kann niht bestritten werden, und wenn man nun die Meinung auéspricht, daß das Bedürfniß durch diese Vorlage nur befriedigt werde auf Kosten der arbeitenden Klassen, so bestreite ih das positiv. Fch bin den Rednern, die am Sonnabend gesprochen, außerordentlich dankbar dafür, daß ih aus ihren Auétführungen die übereinstim- mende Anerkennung des Satzes, von dem auch die verbündeten Regie- rungen geleitet werden, habe heraushören können, wonah die Margarine ein an ih zuträglihes, nüßliches Volksnahrungsmittel ist, welhes verbieten oder unterdrüen zu wollen, man weit entfernt ist. Was man eben machen will, das ist das, daß man die Margarine dem Volk in einer gesundheit8gemäßen Gestalt vor- seßen will, und daß man die Margarinehändler abhalten will, unter der Firma Butter ihr der Butter gegenüber minderwerthiges Produkt zu verkaufen. Und, meine Herren, was die Gesundheits- \chädlichkeit anbelangt, fo ist, wie das in den Motiven bereits ausgeführt ist, wenn auch bisher ein Erkranfungsfall nach dem Genuß der Margarine noch niht nachweisbar geworden ist, doch gar nit zu leugnen, daß die Ver- wendung s{ädliher Stoffe bei der Margarinefabrikation immerhin mög- lich ist, daß damit alfo auch auf die menschliche Gesundheit ein nachtheiliger Einfluß geübt werden kann. (Heiterkeit links.) Ganz gewiß! Auch der Herr Abg. Harm wird gewiß im Interesse der Kreise, die er vorzugsweise hier zu vertreten vorgiebt, die Regierung nicht hindern wollen, alle Einrihtungen zu trcffen, die darauf abzielen, daß dem Bolke nur unshädlihe Nahrungsmittel zugeführt werden. Die Be- stimmungen dieses Geseycs aber sind gerade der erste Schritt auf dem Wege einer gesundheitlichen Kontrole der Margarinefabrikation, indem sie zunächst die Anzeigepfliht für die Fabrikanten einführen, und namentlich auch die Kontrole der Händler {ärfer gestalten, als das bisher der Fall war. Danach ist klar, daß, wenn die Bestimmungen des Gesctes ihrer Tendenz nah richtig aufgefaßt und durchgeführt werden, höchstens der Margarinefabrikant und Margarinehändler, nit aber die Konsumenten einen Grund zur Unzufriedenheit ableiten könnten. Es ist infonderheit das Gese weit entfernt, zu ciner Vertheuerung des Fabrikats, das es als ein nüßlihes Nahrungsmittel anerkennt, beitragen zu wollen. Der Herr Vorredner hat zwar gesagt, jede Ver- \{ärfung der Kontrole führe zu einer Vertheuerung; aber den Beweis dafür ist er uns \{huldig geblieben; und ih möchte bezweifeln, daß, wenn man diese Kontrole, die fich aut\chließlih gegen die Fabrikanten und Händler richtet, einführt, man dadurch eine Vertheucrung der Margarine selb\t herbeiführt.

Also, meine Herren, das ist die Absicht des Gesctes. Und wenn der Herr Vorredner weiter sich dazu verstiegen hat, zu meinen, daß diese Kontrolen, die wir einführen, in einer frivolen Weise aus- gestaltet find ih mache übrigens darauf aufmerksam, daß mir das gerade kein parlamentarisher Ausdruck zu sein scheint einer Vor- lage der ve:bündeten Regierungen gegenüber —, so weise ih au diesen Vorwurf auf das ernsteste zurück. Es ift nicht mögli, die Kontrolen, wenn anders sie wirksam sein sollen, zu entbehren. Wenn aber der Herr Vorredner seine Angriffe darauf richtet, taß die Kontrolen auch zur Nachtzeit vorgenommen werden können, so mache ich darauf aufmerksam, daß gerade die Kontrole in denjenigen Tages- und Nachtzeiten vorzugsweise Erfclg verspricht, in denen eben der Geschäftsinhaber die Manfpukatiónen, die er etwa rüdcksihtlich der Mischproduktion vornehmen will, ungestört vornehmen kann.

Meine Herren, ich will mi enthalten, auf die einzelnen Vor- läge, die von seiten der Freunde des Geseß-s gemaht worden sizd, hier des näheren einzugehen; wir werden uns darüber in der Kom- mission unterhalten. Wenn der allgemeine Wunsch ausgesprochen - ift, daß man nicht bloß rücksichtlich der Margarine und Butter, sondern auh rücksichtlich anderer Nahrungsmittel bessere sauitätépolizeiliche Einrichtungen durch die He:stelluag von Untersuchungsämtern schaffen möge, so ist das cin Bestreben, dem die Reich8verwaltung fortgeseßt ihr Interesse zuwendet. Sie hat auch in denjenigen Bundesstaaten,

in denen bisher solche Untersuhungsämter nit bestehen, die Anregung dazu gegeben, und sie hofft, daß dieser Anregung auch bereitwillig Folge gegeben werden wird.

Im übrigen zweifle ih garniht daran, daß die vereinzelt auf getretenen Befürchtungen, die sich an diese Vorlage geknüpft haben, sich als durchazus unbegründet erweisen werden, und daß es uns, wie ih das bereits im vorigen Jahre in Aussicht gestellt habe, gelingen wird, mit dem Reichstag ein Geseß zu vereinbaren, das dem Wunsch entspricht, etwas Nüßliches zu schaffen und au der Landwirthschaft damit zu dienen, daß ihr nicht cin minderwerthiges Produkt in die Konkurrenz eingeführt wird. (Bravo! rets.)

Vize-Präsident Schmidt: Der Herr Staatssekretär von Boetticher hat einen Ausdruck des Abg. Harm bemängelt; der Aus- druck ist hier nicht gehört worden, er würde sonst von hier aus be, anstandet worden sein. Im übrigen muß ih es dem Präsidium vorbehalten, allein zu erklären, ob cin Ausdruck zulässig ist oder nicht.

Staatssekretär des Jnnern, Staats - Minister Dr. von Boetticher:

Es liegt mir durchaus fern, in die Befugnisse des Präsidiums

des Neichétags einzugreifen, und ih glaube, meine ganze Vergangenheit spricht dafür, daß ih das niht gewollt habe; aber einen Ausdru, der hier gebraucht ist, ebenso qualifizieren zu dürfen, wie das jedem Reichstagsmitglied zusteht, das, glaube ih, kann mir niht verwehrt werden. (Bravo! rets.) __ Abg. v. Pl oeß (dkons.): Ohne die agrarishe Agitation wäre ein folches Geseyz nicht - vorgelegt worden; man hatte uns immer mit den kleinen Mitteln vertröstet, und deshalb \trebten wir ein folhes Gesch an. Die pommerschen Molkereien haben den Butter- krieg geführt und haben die Funktionen ausgeübt, welche eigentli der Polizei zufallen sollten. Dabei hat sich herausgestellt, daß in vielen Fällen 50 bis 629%/0 der Butterproben gefälsht waren. Die Händler waren fo vorsichtig geworden, daß sie neuen Kunden nur gute Butter ver- kauften, weil fie in ibnen Polizeibeamte vermutheten; die alten Kunden wurden betrogen dur) die Verabfolgung von Mischbutter. Ich känn nur bedauern, daß die Vorlage nit {on in der vorigen Session gemacht worden is. Wir erkennen es dankbar an, d: wir den Entwurf jeßt bekommen haben, hoffen aber, daß derselbe durch Verbesserungen ausgestaltet wird. Vor allen Dingen gehörte in das Gescß hinein, daß die gesundheité\{ädlihen Stoffe, namentli das Stearin, in die Margarine nit hinein- kommen dürfen. Ferner muß vas Färben der Margarine verboten werden; dem Herrn Minister bestreite ih, daß in den Molkereien das Färben noch stattfindet. Wenn ‘es. noch stattfindet, so wird man es gern preisgeben, falls die Färbung der Margarine verboten wird. Wenn die polizeilihe Kontrole wirkli streng durhgeführt würde, fo fönnten wir von der Verschärfung der Vorlage “absehen; aber die bisherige Praxis hat gezeigt, daß die Polizei die Kontrole nidt ausüben wollte oder nicht durhführen konnte. Unbedingt verlangt werden muß eine rothe Färbung der zum mens{lichen Genuß nicht brauchbaren Margarine, ebenso wie das Viehsalz roth gefärbt wird. Der Entwurf des Bundes der Landwirthe wollte die Zumishung von Milch unter allen Umständen verbieten. Das ist eigentlich die Kernfrage, und es ist sehr mißfällig im Lande auf- genommen worden, daß die wirthschaftlihe Vereinigung des Reichs- tags diese Bestimmung nicht aufreht erhalten hat. Die Fabrikation ist jet fo vorgeschritten, daß man die Margarine auch ohne Milch sdhmierbar machen kann. Was an Margarinefabriken dann an Milch niht mehr verfauft wird, wird durh die Steigerung des Butter- preises erseßt. Daß die Gastwirthschaften u. st. w. die Verwendung von Margarine deklarieren sollen, ist nothwendig. Wenn die Par- garine gut ist, warum sollen die Verbraucher das nicht bekannt geben ? Den Verkehr mit reiner, guter Margarine wollen wir nicht ver- hindern; es giebt aber sehr viel verfälschte, shlechte Waare. Dieser Mischmasch kann feine Margarine sein, sonst könnte er niht so billig verkauft werden. Die reine Margarine fürchten wir Agrarier nit. Die Margarinefabrikanten fordern in ihren Eingaben jeßt {on Ent- \{ädigungen von mehreren Millionen im Fall der Annahme des Ge- seßes. Diese Forderung zeigt, wie riesige Gewinne die Herren erzielen, Dier heißt es ebenfalis, wie bei anderen Dingen: Greif niemals in ein Wespennest, doch wenn Du greift, so greife fest! J bitte, die Vorlage an eine Kommission von 21 Mitgliedern zu verweisen.

Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- stein:

Meine Herren! Jh würde mihch nicht zum Wort gemeldet haben, wenn nit eine Aeußerung des Herrn von Ploeß mich dazu nöthigte.

In der Presse des Bundes der Landwirthe, in gleiher Weise in den Neden im Parlamente, kehrt regelmäßig bei der Kritik von Maßnahmen im Interesse der Landwirthschaft sowohl der Neichs- regierung, wie der. Einzel-, besonders der preußischen Regierung die Darstellung wieder, als fei die Erfüllung der Wünsche in dieser Nichtung dem Drucke zu verdanken, den der Bund der Landwirthe auf die Staatsregierung bezw. die Reichsregierung ausgeübt hat. Heute ist wieder ausgesprochen: das gegenwärtige Gese wäre nicht vorgelegt worden, wenn niht der Bund der Landwirthe dafür die Vnitiative ergriffen und dur seine Macht die Regierung gezwungen hätte, das zu thun. Jch muß mit voller Entschiedenheit diese Behauptung als jeder thaisählihen Unterlage entbehrend zurüdweisen. Erstens ist es in diesem Falle thatsächlih unrichtig; denn bevor der Bund der Landwirthe sich mit der vorliegenden Frage beschäftigte, hat {on der Deutsche Landwirthschafisrath sehr eingeßkend die Frage behandelt. Der Bund der Landwirthe hat im wesentlichen diejenigen Arbeiten und Vorschläge sich angeeignet, die der Deutscße Landwirthschaftsrath ausgearbeitet hatte. Auf Grund der Junitiative des Deutschen Land- woirths{aftsraths aber nicht allein aus dieser Initiative heraus; das ist akienmäßig nahzuweisen hat die Reichsregierung und die preußische Staatsregierung s{chon, bevor ih die Ehre hatte, Land- wirthschafts-Minister zu sein, sih mit der Frage beschäftigt, ob es nothwendig und gerathen fei, auf diesem Gebiete die biéherige Gefeß? gebung zu ändern . oder zu vershärfen Ein fachliher Anlaß dafür, meine Herren, lag {on deshalb vor, weil die preußische, wie die Neichsregierung stets mit Aufmerksamkeit das Vorgehen anderer Staaten auf diesem G-biet verfolgt haben, daneben aber auh ohne Mitwirken des Bundes der Landwirthe über die Wünsche und Bedürfnisse der Landwirthschaft auf dem hier fraglichen Gebiet ftets vollständig unterrichtet gewesen sind. Sowohl die preußische wie die Neichsregierung verfolgen aufmerksam die Geseß- gebung der auswärtigen Staaten bezüglih aller - agraren Fragen. Daraus allein {on hat die Neichs- und die prceußisce Negterung genügende Veranlassung gehabt, dieser Frage näher zu treten. Cine gewisse Tendenz in dem Vorgchen deè Leitung des Bundes der Land- wirthe is klar zu erkennen. Im Lande soll ter Glauben erweckt werden, die gegenwätige Negierung könne helfen, aber wolle nidt helfen, und erst ein Druck des Bundes der Landwirthe sei erforderli, um die gegenwärtige Staatéregierung zu ihrer Pflicht anzuhalten. (Hört, hört! links.) ‘Diese durchaus unberechtigte Behauptung, diesen in jeder Richtung unbegründeten Vorwurf muß ih mit voller Entschiedenheit zurückweisen. Die Reichsregierung scwohl, wie die preußische Regierung sind si vollständig ihrer Pflicht bewußt, haben

sie biéher stets erfüllt und werden sie au ferner erfüllen, ofne daß der Bund der Landwirthe auf die Regierung cinen Druck auszuüben nöthig hat. (Bravo! rets.) :

Bij Pisdent Schmidt: Ich habe das Stenogramm der Rede des Abg. Harm vor mir; derselbe hat gesagt: „Warum wollen Sie in dieser frivolen Weise gerade dem Arbeiterstande diese Ver- legung beibringen.“ Aus dem Ds war beim Zuhören nicht flar ersichtlich, ob dieser Saß sih zul die Regierungsvorlage bezieht. Aus dem Wortlaut scheint aber hervorzugehen, daß diese Absicht vorlag. Deshalb muß ich erklären, daß dieser Ausdruck unzulässig ist und die Ordnung des Hauses verleßt.

Abg. Herbert (S) \priht gegen die Vorlage. Es handle sih hier niht sowohl um eine Vertheuerung des Produkts als um eine Ershwerung der Fabrikation. Die dadur entstehenden Mehr- fosten werden aber auf die Konsumenten abgewälzt werden. Die Erhöhung des Zolls auf Cottonöl im vorigen Jahre bedeute {on eine Maragarinesteuer. Die Margarine habe den Butterkonsum nit einges{chränkt, Die Agrarier würden dur diese Vorlage, welche nur ein Kompliment nah der rechten Seite sei, au nicht befriedigt werden. Was heiße freundlice Konkurrenz? Die Margarine- fabrikanten verfälshen keine Butter, sondern die Butterproduzenten, und das bestrafe hon das Nahrungêmittelgesc). Das diskretionäre

„Ermessen des Bundesraths und der Polizei dürfe hier niht maß-

ebend sein; die Polizei werde mißliebige Fabrikanten mit der Nevi- on chikanieren. Die Anordnung des Verkaufs in getrennten Räumen ershwere und vertheuere den Verbrauch der Margarine. Die Vorlage werde die Konkurrenz der Margarine und die Verfälschung der Butter mit Margarine niht verhindern. Man mache aber lieber Gesezentwürfe zu Gunsten der Agrarier, der Schokkinder, als der Arbeiter, welche nun einmal die Stiefkinder der Regierung seten. Darum diese Vorlage!

Abg. Netti h (èkons.): Es ist darauf hingewiesen worden, daß ih die Geschichte mit den auf den CEisenbahustationen gesammelten Butterbrötchen er:ählt habe. Dos ift rihtig. Ein NReichttags-Ab- eordneter hat mir die Sache erzählt; ich bin nit befugt, ohne Ermächtigung des Herrn seinen Namen zu nennen. Als die Soxhlet’]he Schrift erschien, habe ih den betreffenden Herrn noch einmal gefragt, und es ift festgestellt worden, daß der betreffende Chemiker, der die Untersuhung vorgenommen hat, verstorben ist. Etwas Näheres läßt fch heute nicht mehr festitellen. Professor Sorhlet beurtheilt die Sache vom süddeutshen Standpunkt aus, wo die Verfälslung der Butter mit Margarine nit vorkommt, weil man dort nur ungefalzene Butter ißt, während Margarine gesalzen ist. Aber das Buttershmalz und der Margarinckäse werden als Konkurrenten gefürchtet. In Bezug auf diese steht Sorhlet auf unserem Standpunkte. Er führt aus, daß die VMargarinefabrifation ausgeartet und daß bas jeßige Produkt vom sanitären Standpunkt aus niht mehr so gut sei, wie das, was Mège - Mouries zuerst darstellte. Wenn behauptet wird, daß die Margarine ebenso ver- daulic) sei wie die Butter, so mag das in einzelnen Fällen zutreffen ; ober die Pflanzenöle find s{hwerer verdaulich als Oleomargarine, und Stearin is ganz unverdaulih. Wir wollen rur den Betrug ver- meiden und das Volk beschüßen vor einem unterwerthigen verfälscten Nahrungsmittel.

j Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- tei

Meine H-rren! Die Schlußkemerkung des Hcrrn Abg. Herbert, daß die Agrarier Schoßkinter und die Arbeiter Stiefkindec der Regierung seien, weise ih als unrihtig und jeder thatsählichen Be- gründung entbehrend zurück. (Bravo! rechts.)

Damit schließt vie Debaite.

Die Vorlage wird einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen.

Es folgt die erste Berathung des Gesetzentwurfs, be- {ressend Aenderung und Ergänzungen des Gerichts- verfassungsgesezes und der Strafprozeßordnung.

Abg. Günther (nl.) spricht sih für eine Ausdehnung des Ab- scnittes über die Entschädigung der unshuldig Verurtheilten aus; die Entschädigung soll auch für unschuldig erlittene Untersuchungéhaft gewährt werden.

Staatssekretär des Reichs-Justizamts Nieberding:

Meine Herren! Ich möchte mir nur einige Bemerkungen zu den Eingangs8worten des Herrn Vorredners gestatten, weil diese geeignet sein könnten, über die Stellung und die Intentionen der verbündeten Regierungen bei Einbringung dieser Vorlage Mißverständnisse zu erzeugen.

Dex Herr Vorredner sprach sein Bedauern darüber aus, daß die verbündeten Negierungen bei Feststellung des vorliegenden Entwurfs keine entscheidende Nücksiht auf die Beschlüsse Jhrer Kommission vom vorigen Jahre genommen haben; er spra) die Meinung aus, wir scien in allen Punkten, in welchen die Kommission der Auffassung der Regierungen Konzessionen gemacht hätte, auf den Standpunkt der Kommission getreten, hätten dagegen in allen anderen Punktên, in welchen die Kommission Forderungen aufgestellt habe, diese abgelehnt; er drückte die Besorgniß aus, daß sich aus diesem Verhalten Erschwernisse für die Berathungen im Neichstag ergeben könnten. Nun, felbst wenn ih mich auf den Standpunkt stelle, daß ih den Inhalt der gegenwärtigen Vorlage mit den vorläufigen Be- {lüfsen Ihrer Kommission vom vorigen Jahr vergleihe, und einen Vergleich dahin als berechtigt ansehe, was die Regierungen von diesen Beschlüssen angenommen und was abgelehnt haben, würde ih doch die Behauptung des Herrn Vorredners, daß in den Akänderungen, die die neue Vorlage gegenüber der vorigen enthält, nichts enthalten sei, als Accepte von Verschärfuagen des bestehenden Gesetzes, die die Kom- mission zugestanden habe, alles aber abgelehnt sei, was als Zugeständ- niß gegenüber den Forderungen, die die Kommission gestellt habe, gelten könne, so muß ih diese Auffassung des Herrn Vorredners doch als eine irrige bezeihnen. Jch könnte dies autführlider nachweisen, ih will indessen nur zwei \{ldgende Beispiele anführcn, aus denen das Haus sih überzeugen wird, daß in der That die Au€führungen des Herrn Vorredners nicht überall zutreffend waren.

Wie lag denn die Sache bezüglih derjenigen Bestimmungen, welche der vorjährige Entwurf in Betreff der Gründe der Verhaftung etnes Angeschuldigten vorgeschlagen hatte? Da war unter anderen der Vorschlag gemacht, daß die Verhaftung eines Angeschuldigten au dann zulässig sein solle, wenn die Befürchtung sich ergebe, daß der Angeschuldigte seine Freiheit zur Begehung neuer srafbarer Handlungen benugen kônne. Meine Herren, in dem diesjährigen Entwurf finden Sie die Bestinmvng niht wieder; Ihre Kommission hatte sie im vorigen Jahre nit angenommen.

Zweitens hatte der vorjährize Entwurf bei der. Ordnung des shwurgerihtlichen Verfahrens vorgesehen, daß dem Vorsitzenden des Schwurgerichts die Befugniß zustehen solle, den Geschworenen gegenüber nicht bloß, wie es jeßt Nechtens ift, eine Rechtsbelehrung zu er- theilen, sondern auch den sahliGen Inhalt der Verhandlung zu resümieren Auch diese Bestimmung hat die Zustimmung. der Kommission nit gefunden; der jeßige Entwurf hat sie nicht wicder aufgenommen, |

Diesen Thatfachen gegenüber, glaube ih, geht die Behauptung des Herrn Vorredners in der That zu weit. Jch halte aber über- haupt eine Beurtheilung der Vorlage von dem Standpunkt aus, ob und inwieweit die vorläufigen Beschlüsse der vorjährigen Kom- mission darin Berücksichtigung gefunden haben, nit für cine rihtige. Denn, meine Herren, wie lag die Sache im vorigen Jahre? Ihre Kommission is damals zusammengetreten und hat von vornherein ihre Beschlüsse gefaßt unter Vorbehalt einer zweiten Lesung des Catwurfs, diese ihre vorläufigen Beschlüsse hat sie zum theil gefaßt unter chwankender Betheiligung, unter wechselnden Majoritäten, mit der Aussicht, daß in der zweiten Lesung manche Ergebnisse der erften Lesung geändert werden könnten. Können Sie da billigerweise verlangen, daß der andere Faktor der Gesetzgebung seine woblerwogenen, lange überlegten Vorschläge deshalb alsbald fallen lassen solle, weil in einem vorläufigen Stadium unsicherer Kommissionsverhandlungen gewisse Anschauungen zum Siege gekommen find, die mit der Regierungsvorlage nicht konform waren? Ja, wenn die Kommission in zweiter Lesung ihre Beschlüsse gefaßt haben würde, wenn das Haus in der Lage gewesen wäre, im Plenum dazu Stellung zu nehmen, wenn es niht möglich gewesen wäre, in dritter Lesung die Beschlüsse zur abshließenden parlamentaris@en Berathung zu bringen, und wenn dann die verbündeten Regierungen in einer neuen Vorlage die Beschlüsse des Hauses nicht berücksihtigt hätten dann meine Herren, hätten Sie Grund, zwar niht zu dem Vorwurf, daß die Negierungen Ihre Beschlüsse nicht acceptiert hätten, denn sie steht Ihren Beschlüssen mit ihren eigenen Entschließungen gleihberechtigt gegenüber, aber wohl Grund zur Beschwerde, hätte etwa der neue Entwurf davon abgesehen, seine ablehnende Haltung gegen- über Ihren Beschlüssen zu motivieren. Wie jeßt die Dinge liegen, gegenüber dem nur vorläufigen Ergebniß der Kommissionsberathungen des vorigen Jahres, kann dieser Standpunkt nicht eingenommen werden. Es ist überhaupt nach meiner Meinung nicht rihtig, wollten Sie verlangen, wie es der Herr Vorredner zu thun \ccheint, die Negierungen sollen ihr abschließendes Votum alsbald zu jedem einzelnen Vorschlage, der von der Kommission gemaht ist, kund thun. Die Regierungen können ihre Stellung zu den Beschlüssen des Hauses erst dann nehmen, wenn sie in der Gesammtheit übersehen, wie überhaupt das Haus zu einer Vot lage steht; sonst würden sie sich in dem einen oder andern Punkt engagieren, ohne zu wissen, wie im übrigen der Verlauf der Ver- handlungen sein wird. Es ist deshalb nach meiner Meinung voll- ständig begreiflih, daß die Regierungen sich unabhängig von den Be- \ch{lüssen der vorjährigen Kommission gehalten haben.

Auch daéjenige, meine Herren, was der vorliegende Geseßentwurf ändert, führt nit entscheidend, will ich sagen —, zurück auf den Jn- halt der Beschlüsse der vorjährigen Kommission. Die Regierungen haben es für ihre Pflicht gehalten, aus eigener FJnitiative nach ihren Erfahrungen und Wahrnehmungen nochmals zu prüfen, ob der Entwurf #\o, wie er im vorigen Jahre vorgelegt worden war, auch in diesem Jahre vorzulegen sei, oder ob daran Abänderungen vorgenommen werden sollen. Daß diese Prüfung in einer durchaus selbständigen Weise vor sich gegangen ift, das sehen Sie doch daraus, daß die Abänderungen sich nicht nur bes{chränken auf folhe Wünsche, die in der Kommission laut geworden sind, sondern daß der Entwurf auch darüber hinaus selbständige Abänderungen bringt, -die zum theil ja auch {on den Beifall des Herrn Vorredners gefunden haben.

Meine Herren, ich möchte bitten, aus der Thatsache, daß der gegen- wärtige Entwurf {ih fo indifferent gegenüber den Kommissions- beshlüssen verhält, für die eventuelle Beurtheilung dieser Kommissions- beschlüsse im Schoße der verbündeten Regierungen zunächst nichts zu ließen ; ein solcher Schluß würde nah meiner Meinung unberehtigt sein, und ich würde es bedauern, wenn aus der Thatsache, daß die verbündeten Regierungen von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch gemacht und ganz unabhängig von der voriajährigen Debatte neue Vor- \ckchläge an Sie getracht haben, der Schluß gezogen werden sollte, als wenn die Regierungen nicht voll und ganz bei der Sache wären, und wenn daraus ein Mißtrauen gegen die Intentionen der Regierungen ih entwickeln sollte. Jch kann die Versicherung abgeben, daß wir unsererseits das Möglichste gethan haben, um die neue Vorlage auf das rascheste zum Abschluß zu bringen und ihre baldige Berathung herbeizuführen. Diejenigen Hcrren, die Theilnehmer an den vor- jährigen Berathungen der Kommission gewesen find, werden den Vertretern der verbündeten Regierungen die Gerechtigkeit widerfahren lassen müssen, taß es niht an ihnen gelegen hat, wenn die Ver- handlungen nicht weiter gefördert worden sind.

leine Herren, ih will dabei nicht verhehlen, daß den verbündeten Ne- gierungen der Entschluß, die Vorlage in der gegenwärtigen Session wieder einzubringen, nicht gerade leiht geworden ist. Sie hatten sich, als sie die Frage prüften, do zu vergegenwärtigen, daß die Session, in der wir uns jeßt befinden, aller Voraussicht nah eine sehr {wer belastete sein würde, und sie mußten sich nach den Erfahrungen des vorigen Fahres die Frage vorlegen, ob in einer Session, wie diese ist, es mögli sein würde, den vorliegenden Entwurf durhzubringen, nachdem das vorige Jahr diese Möglichkeit nicht geboten hatte.

Ferner, meine Herren, will id, um ganz aufrihtig zu sein, nicht leugnen, daß, wenngleiß die Vorlage im vorigen Fahr im allgemeinen sympathisch begrüßt wreorden ist, die verbündeten Megierungen sich doch der. Wahrnehmung nicht haben entziehen können, daß an diese symypathischen Bezeugungen, namentlich was die Hauptangelpunkte der Vorlage, die Einführung der Berufung und die Entschädigung unschuldig Verurtheilter betrifft, fo viele Vorbehalte, Wünsche und Forderungen geknüpft wurden, wie es ja auch jeßt bereits wieder von dem Herrn Votredner z. B. geschehen ist, daß es zweifelhaft erscheinen konnte, ob diese vorläufigen Sympathiebezeugungen gegenüber den Prinzipien der Vorlage ausreichen würden, um eine Verständigung über den konkreten Inhalt zu gewinnea. Dieser Umstand war aber für die verbündeten Regierungen von um so größerer Bedeutung, als keines- wegs unter ihnen selbst volle Einmüthigkeit darüber bestand, ob in der That mit der Reform, wie der Entwurf sie vorshlägt, der richtige Weg betreten sci.+ Allerseits unter den Regierungen wurde zwar, was zunächst die Berufung angeht, anerkannt, daß mit der Einführung der Berufung ciner tiefgehenden Strömung in den Anschauungen des Volks Nechaung getragen werde. Aber nicht allerseits wurde an- crkannt, daß diese Strömung eine berechtigte sei, und es wurde die Frage aufgeworfen, ob dabei nicht eine starke Selbsttäushung zu Grunde liege; ob nicht, wenn s{ließlich mit den Opfern einer neuen

doch dasjenige mit

Organisation die Berufung ins Leben getreten sein würde, dies uwe einer Enttäushung und zu der Wahrnehmung führen könne, daß der Einführung der Berufung nicht er-

zielt worden sei, was man davon glaubte erhoffen zu dürfen. Und auf der anderen Seite, meine Herren, was die Einführung einer Entschädigung für unschuldig Verurtheilte betraf, so waren und sind

in diesem Punkt noch jeßt sämmtlihe Regierungen übereinstimmend

der Ansicht, daß es sih hierbei weniger um eine materielle, als um

eine formelle Nechtsänderung handele. Denn sie haben immer

vertreten und vertreten auch heute noch den Standpunkt, der

hier wiederholt im Hause zur Geltung gebracht worden ist, daß von feiten der deutschen Justizverwaltungen niemals und in keinem

Staat es versäumt worden ift, in denjenigen Fällen, in denen das

Unglück wollte, daß cin Unschuldiger verurtheilt wurde, die der Sache

nah, Billigkeits- und Berechtigkeitsgefühl nah angemessene Ent-

schädigung zu gewähren. Demgemäß kann es sich bei der

Einführung der Entschädigung in der gegenwärtigen Vorlage

wesentlih nur darum handeln, einen Gnadenanspruch in eine

Rechtsforderung umzugestalten, und da wurde von einigen Seiten

allerdings das Bedenken aufgeworfen, ob es überhaupt im

wohlverstandenen Interesse der unglücklichen Verurtheilten liege, sie

auf den Weg formalen Nechts zu verweisen, dessen Verfolgung unter

Umständen seine Schwierigkeiten für sie hat, statt die Würdigung

ihrer Entschädigungsansprühe dem wohlwollenden Ermessen der

Justizverwaltung, das bisher niemals versagt hat, zu überlassen.

Nun, meine Herren, die verbündeten Regierungen haben \ich über diese Bedenken hinweggeseßt. Ih habe Ihnen diese Bedenken aber nicht verhehlen wollen, damit Sie um so mehr meiner offenen Erklärung Vertrauen schenken, daß wir bemüht sein werden, zu einer Verständigung über die Sache zu gelangen. Sie haben si darüber hinweggeseßt in Achtung der lebhaften Wünsße nach einer Wiedervorlage des Entwurfs, die gerade auch in der Kommission - dieses Hauses im vorigen Jahre geäußert wurden, als die Kommission sich überzeugte, daß im Laufe der verflossenen Session es nicht mög- lih sei, die Vorlage zu erledigen. Aus dieser Thatsache, daß die verbündeten Regierungen troß ihrer Bedenken zu dem Ent- {luß gekommen sind, die Vorlage wieder einzubringen, werden Sie und wird auch der geehrte Herr Vorredner die Ueber- zeugung {öpfen, daß es den Negierungen mit der Vorlage ernst gemeint ist, und ih kann nur noch hinzufügen: wir unsererseits werden uns Mühe geben, die Vorlage im Wege einer raschen Verständigung in allen zweifelhaften Punkten baldigst zum Abschluß zu bringen.

Abg. Dr. von Buchka (dkons.) spricht die Hcffnung aus, daß der Neichstag diesmal shnelere Arbeit liefern werde als im vorigen Jahre ; an ihm liege jeßt die Entscheidung. Jh werde beantragen, fährt der Redner fort, daß die Kommission nur aus 21 Mitgliedern besteht und daß wir die Arbeiten der vorjährigen Kommission als erste Lesung betrachten und fofort zur zweiten Lesung übergehen, zumal sonft die Cinbringung des Bürgerlichen Geseßbuches die Sache leiht erdrüden fann. Ih bin der Meinung, daß dieses Bürgerliche Geseßbuh möglichst unverändert angenommen wird. Wenn auch von landwirthscaftliher Seite einige Opposition gegen das Geschz=- buch gemacht wird, so find doch die maßgebenden konservativen Kreise damit nicht einverstanden. Ih wünsche, daß es ge- lingen möge, die Arbeiten über die Strafprozeßordnung so nell abzuschließen, daß die Sache erledigt ist , wenn das Bürgerliche Geseßbuch zur zweiten Berathung kommt. Ich bin welches die Nes

ierung in mehreren Punkten bewiesen hat. Der Zustand, daß es für Verbrechen nur eine Instanz giebt, für ten Zivilprozeß über die geringste Summe dagegen zwei Instanzen, will im Volke nicht ein- leuten; deshalb find wir für die Berufung in Strafsachen. Die Frage, ob drei oder fünf Richter, ist niht entscheidend; Hauptsache ist, daß cin zweites Verfahren stattfindet. Was die Entschädigung unschuldig Verurtheilter betrifft, so ist die Entschädigung für unschuldig erlittene Üntersuhungshaft an fi theoretisch ebenso berehtigt, wie die Entschädigung für unschuldig erlittene Strafhaft. Aber es besteht dabei immer die Schwierigkeit, daß man dann wieder zu zwei A ten des Urtheils kommen müßte: zur eigentlichen Freisprehung wegen Un- \chuld und zur absolutio ab instantia. Die Polizei muß bei s{chwerena Verbrechen die Möglichkeit haben, rasch zuzugreifen, und da kann ein- mal ein Jrrthum unterlaufen.

Schluß 5 Uhr, nächste Sizung Dienstag 1 Uhr.

erfreut über das pet E

Literatur.

Die Konkursordnung für das Deutsche Reich vom 10. Februar 1877, erläutert von Dr. von Sarwey. Dritte Auf- lage, bearbeitet von Dr. G. Boßert, Landrichter in Stuttgart. Verlag von Karl Heymann, Berlin. Dieser trefliche Kommentar liegt nunmehr in der neuen Auflage vollendet vor. Seit seinem ersten Erscheinen hat eine reiche Praxis das Konkursreht weiter ausgebaut und die Theorie seine Erkenntniß mannigfach gefördert. Durch die Berücksichtigung dieser Anregungen hat der neue Be- arbeiter das Werk derartig erweitert und vertieft, daß er fast mehr eine neue und selbständige Arbeit, als nur eine neue Auflage bietet. Es war das schöône, von seinem Vorgänger überkommene Ziel des Bearbeiters, in der Form des Kommentars eine gründliche und umsihtige Darstellung der Grundsäße zu geben, auf welchen die N bewirkt beruht oder welhe aus ihren Bestim- mungen herausgebildet werden müssen, ferner die für den Praktiker wichtigen Konsequenzen aus diesen Säßen zu ziehen und die Ent- scheidungen des Reichsgerichts in diesem Zusammenhang eingehend zu besprechen. In dem Bewußtsein, daß er zunächst für den pra En Suristen schrieb, hat sih der Bearbeiter auf die Kernfragen beschränkt, deren Erfassen vor allem noth thut. Dieses Bewußtsein bewahrte ihn vor gesuchten, dem Geseß fremden Konstruktionen und lehrte ihn, die in den Entscheidungen der Gerichte niedergelegten Anschauungen gebührend zu würdigen. Fragen, welche füglich der reinen Theorie überlassen bleiben, treten Ee in den Hintergrund und werden nur kurz präzisiert. Im übrigen aber zeihnet |ch das Werk ebenso sehr dur Gründlichkeit wie dur klaren Fluß der Darstellung aus. „Der Arbeiterfreund“. Organ des Zentralvereins das Wohl der arbeitenden Klassen, herausgegeben von Professor Dr. Viktor Böhmert in Dresden. Verlag von Leonhard Simion, Berlin. Das dritte Vierteljahrsheft des 33. Jahrgangs enthält, neben den in jedem Heft wiederkehrenden Rubriken (Materialien [E gratis Versuche zur Lösung der Arbeiterfrage, Literatur über die rbeiterfrage, wirthschaftlih-soziale Umschau, Chrentafel für Arbeit- eber, die sch um das Wohl ihrer Arbeiter verdient gemacht aben u. st. w.), Abhandlungen über die Gefellschaftsordnung und ihre natürlihen Grundlagen (von Professor Dr. Viktor Böhmert), über die Erfolge der neuen deutschen Mäßigkeitsbewegung (von Dr. W. Bode in Hildesheim), über. die Festseßung des Arbeits- vertrags durch E (von E carl Gerstein in Dortmund) und einen Aufsay von Dr. Hans Crüger in Char- n über die Erwerbs- und Ea MlN ala cnoN e anes im Fahre 1894/95, in welhem in Umrissen ein Ueberblick über den jeßigen Stand der Gencssenshaftsbewegung gegeben wird.