1896 / 14 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 17 Jan 1896 18:00:01 GMT) scan diff

R A d Ri alt B R Li o it Q A d E R E E a arti

E T A

_ ih der Börse verschrieben, der goldenen Internationale und allen den

dunkeln Mächten, die damit zusammenhängen. Ich selbst lege auf diese Uebertreibungen keinen sehr großen Werth; ich bin überzeugt, daß der geehrte Herr Vorredner, wenn er dies liest, selbst denkt: Gott üge diesen Antrag vor seinen Freunden. (Heiterkeit.)

&Fch werde stets nah den Grundsäßen der Zollpolitik von 1879 als erste Sorge des Staats betrachten, daß der deutschen Arbeit der innere Markt erhalten bleibt (Unruhe rechts), gleichzeitig aber au, daß für die Ausfuhr Licht und Luft zum Gedeihen verbleibt. Unsere Ausfuhr is au nationale Arbeit. (Sehr wahr! links.) Wir führen über 2500 Millionen an Werthen Fabrikate “alljährlich aus, und darunter is viel Arbeitslohn, denn die Arbeit für die Ausfuhr is zum großen Theil hoh belohnte Arbeit. Das „mads in Germany“, was einst nit allzu freundlich gegen uns gemeint war, is heute ein Empfehlungsbrief für uns geworden (sehr richtig! links); der deutshe Handel und die deutshe Schiffahrt verkünden, indem sie deutshe Produkte nah dem Ausland führen, was Deutsch- lands Fleiß und Deutschlands Kraft vermag; und ich meine, wir bätten allen Anlaß, stolz darauf zu fein, daß auf diese Weise unfer Ansehen in fernen Ländern begründet wird. (Bravo! links.) Der Ge- danke, daß man diefen Theil unserer Erwerbsthätigkeit gleichgültig be- handle, daß man ihn zum Gegenstand mehr oder minder kühner Experimente machen kann, daß, wenn dieser Theil unserer Erwerbs- thätigkeit Noth leidet, irgend ein produktiver Stand Nutzen ziehen kann, is nah meiner innersten Ueberzeugung eine große wirth- schaftliche Verirrung.

Auf- derselben Stufe steht auch dieser Kampf gegen die Meist- begünstigung. Die Meistbegünstigung is ganz gewiß, wie alles, was Menschenwitß erfunden hat, recht unvollkommen; aber es hat sich im Laufe der Jahrzehnte herausgestellt, daß es fein anderes System giebt, um einen friedlihen Austausch mit fremden Nationen zu sichern, mit denen aus Rücksicht auf die Verschiedenheit der wirth- schaftlichen, der finanziellen Verhältnisse eine engere Verbindung unmögli is. Dieser Kampf gegen die Meistbegünstigung, wie er heute geführt wird, ist um so absonderliher angesichts der That- sache, daß gerade Deutschland es gewesen ist, das unter Leitung feines großen Staatsmannes jeßt vor 25 Jahren diesem System den höchsten Tribut der Anerkennung gezollt hat, als wir mit einem der reichsten und wirthshaftlich mächtigsten Staaten, mit Frankreich, im Friedensvertrage von Frankfurt einen unkündbaren Meist- begünstigungsvertrag abgeschlossen haben. (Hört, hört! links.) Daß solhe Anschauungen heute in landwirthschaftlichen Kreisen Eingang finden, is für mich ein Beweis, wie {wer vielfah die Nothlage is, und eine Ermahnung, nicht im Eifer zu erlahmen, um Besserung zu schaffen. Der Antrag Kanitz strebt nah diesem Ziele. Ich habe denselben gewissenhaft geprüft. Ih werde ihn bekämpfen, weil ich glaube, daß er handels- politisch unmöglich ift, daß er praktisch niht durch- führbar is (Widerspruch rechts), und daß er vom sozialpoli-

tischen Gesichtspunkt aus schweren Bedenken unterliegt. Ich bitte aber, meine Herren, keines meiner Worte so zu deuten, als ob ich irgendwie die Absicht hätte, dem Herrn Vorredner oder seinen Herren Mitantragstellern irgend eine andere Gesinnung und irgend eine andere Absicht zu unterstellen als die, nah ihren besten

Kräften für die Landwirthschaft einzutreten. (Bewegung.) Wir haben des Zanks und Streits genug im Lande, und ih will, dem Beispiel des Herrn Vorredners folgend, die Sache lediglich vom sachlichen Gesichtspunkt aus erörtern. Als eine Verbesserung des Antrags erkenne ih an, daß er. die Frage der Vereinbarung dieses An- trags mit unseren Handelsverträgen zur Erörterung stelt. JIch fürhte nur, daß die verbündeten Regierungen das Vertrauen nicht zu rechtfertigen vermögen, was er ihnen dadur bekundete, daß er es ihnen anheimstellte, die Lösung dieser Aufgabe zu finden. Die Aufgabe ist nicht lösbar. Der Herr Vorredner hat eingehend’ von dem Geist und von dem Wort- laut gesprohen. Ich will einfah die Sachlage klarstellen. Wir haben an drei Getreide ausführende Länder: an Oesterreih-Ungarn- an Rußland, an Rumänien, das bindende Versprehen abgegeben, daß wir auf längere Zeit hinaus ihr Getreide zum ermäßigten Zollfatze von 3,50 M bei uns einlassen würden, daß nah. Uebernahme dieser Belastung ihr Getreide mit dem unsrigen frei konkurrieren könne, und daß wir kein Einfuhrverbot erlassen würden. Für diese Kon- zession unsererseits haben wir für deutsche Produkte ähnlihe Zoll- ermäßigungen von jenen Staaten erwirkt. Nun wünscht der Herr Vorredner eine Revision dieser Verträge; ih soll zu den Staaten heran- treten und ihnen sagen: Wir wünschen diese Verträge nah folgenden Richtungen abzuändern: 1) Euer Getreide soll künftig, wenn es bei uns eingeht, niht mit 3,50 4 belastet werden, sondern mit der ganzen Differenz zwischen dem Weltmarktpreis und dem Antrag Kanitz, d. |. ungefähr 10 oder 12 #, das heißt das Dreifache des Konventionalzollsaßes; 2) auch nah Uebernahme dieser Belastung soll Euer Getreide niht in freie Konkurrenz mit dem im Inland erzeugten Getreide treten; es soll dem Monopol des Staats unter- liegen, der nur nah Maßgabe des Bedarfs einführt, und 3) darüber, was der Bedarf ist, entscheidet aus\chließlich das Deutsche Reich.

Nehmen wir einmal den umgekehrten Fall an, stellen wir uns vor, daß einer unserer Vertragéstaaten einen analogen Antrag stellen würde bezüglich der deutschen Produkte, z. B. der Lextilbranche, der chemischen Branche, der Eisenbranche, hinsihtlih deren wir in unseren Verträgen Zollermäßigungen erwirkt haben. Was würden wir wohl dazu sagen? Ich würde einigermaßen um den parlamentarischen Ausdruck verlegen sein, mit dem ich einen solchen Antrag bezeichnen follte. (Sehr gut! links.) Jh würde erwidern: Das is ja keine Revision, das ist die Negation der Verträge; denn die Grundlage, auf der sie aufgebaut sind, wird weggezogen, ja sie wird auf den Kopf gestellt ; ‘denn während wir die Absicht hatten, unseren Güteraustausch zu erleihtern, wirder wesentlich erschwert. Jch habe nicht den geringsten Zweifel, daß die anderen Vertragsstaaten uns dieselbe Antwort geben würden.

Mit der Feststellung, daß der Antrag Kanitz mit diesen konkretcn Handelsverträgen in Widerspruch steht, is aber noch nit einmal der Kernpunkt der Sache getroffen. Ich kann ohne Uebertreibung sagen. der Antrag Kani steht mit dem Begriff eines Handels- vertrags in Widerspruch. (Sehr gut! links.) Denn jeder Staat, der einen solchen abschließt, hat in allererster Reihe die Absicht, seine Proèukte in dem anderen Lande gegen die Behandlung sicher- zustellen, die der Antrag Kaniy dem fremden Getreide angedeihen lassen will. (Sehr richtig! links.) Jede handels-

politishe Vereinbarung, sie mag im übrigen enthalten, was sle wolle, strebt danach, die eigene Waare der Willkür des anderen Staates zu entziehen und die Vorausfeßungen festzulegen, welche zu erfüllen find, damit die eigene Waare mit der im Inland des anderen Staates er- zeugten Waare konkurrieren kann. Ift für die inländishe Waare des anderen Staates das Recht des freien Verkehrs nit vorhanden, besteht das Monopol bezüglich der Inlandswaare, so muß selbstredend auh die Waare, die aus dem Ausland kommt, diesem Monopol fich unterwerfen. Darum ist in den Handelsverträgen die Zulässigkeit des Monopols ausgesprohen. Wenn aber der Herr Vorredner daraus \chließt, wir können ohne weiteres das Getreidemonopol einführen, fo ist das nit zutreffend. Jch kann nicht heute die Zollermäßigung auf ein gewisses Produkt zum Gegenstand eines Handelsvertrages mit einem anderen Staate machen und am folgenden Tage sagen, jeßt mache ih die Thür zu, jeßt führe ih das Monopol ein. (Widerspruch rets.) Was aber absolut unmöglih ift, ist dieses Theil- monopol, das der Antrag Kani vorschlägt (sehr richtig! links), welches \ich nur auf das ausländishe Getreide bezieht; denn ih wiederhole, jeder Handelsvertrag hat seinem Begriff nah den Zweck, die Behandlung zu vermeiden, die der Antrag Kaniy fordert.

Der Herr Vorredner hat dann eine Andeutung gemacht, wir fönnten ja den anderen Staaten diese Pille dadurh s{madckhaft madhen, daß wir unsere Meistbegünstigungsverträge mit überseeischen Staaten kündigen und gleichsam diese dret Vertragsstaaten zu unseren aus\{ließlihen Getreidelieferanten ernennen. Der Vorschlag ist ja auh in der agrarischen Presse gemacht worden. Jch frage mi, ob es wohl der Würde eines großen, unabhängigen Staates entspriht (Bewegung rets), daß er \sich vertragèmäßig bindet, den Bedarf an gewissen Produkten nur von bestimmten Staaten zu nehmen. Mir ijt kein ähnliher Vertrag unter unabhängigen Staaten bekannt. Aber, wie follen wir weiter mit Oesterrei, Rußland, Rumänien die Quote feststellen, die jährlih von dort geliefert werden soll, auf welhe Weise \oll hierüber eine Einigung erzielt werden, wie viel Roggen und Weizen soll prozentuell auf Nußland, Oesterreiß und Rumänien fallen? Wie soll die Kontrole ausgeübt werden? Die fremden Staaten werden kaum ohne weiteres uns das volle Vertrauen \chenken, daß wir niht einmal heimlich 100 & argentinishen Weizen einführen. Wenn eine Prämie darauf geseßt würde, die wirth- schaftlihen und handelspolitischen Beziehungen zwischen verschiedenen Ländern zu einem Chaos zu verwickeln, dann allerdings würde dieser Vorschlag in erster Reihe in Betrag kommen. (Heiterkeit links.) Will man den . Antrag Kaniß durchführen, so muß man den Zeitpunkt abwarten, wo wir in dem vollen Besiy unserer Autonomie sind, wo wir weder Larifverträge noch Meistbegünstigungsverträge haben, dann kann man juriftisch den Antrag durchführen; ob man es wirthschaftlichßh kann, hängt von der Frage ab, ob die Interessen, die an unserer Ausfuhr betheiligt sind, bereit und geneigt dazu sind, eine gleihe Behandlung für die deutschen Produkte seitens anderer Länder zu ertragen, wie dieser Antrag Kanitz sie dem fremden Getreide angedeihen läßt; denn in internationaler Beziehung gilt ein grausames und unerbittliches Geseg, das „Wie Du mir, so ih Dir“.

Die hantdelspolitishe Unmöglichkeit des Antrags Kaniß wird, wenn es ‘einen Komparativ von „unmöglih" gäbe, noch potenziert, wenn nicht einmal die Durhführbarkeit desselben über allem Zweifel erhaben ist. Ich kann mit dem Herrn Vorredner insoweit gehen, als ih zugebe, so lange Deutschland feinen eigenen Bedarf an Getreide nicht erzeugt, so lange es 1/10 bis 1/12 deéselben aus dem Auslande zuführen muß, so lange wird das Reich, wenn es den Ein- und Verkauf in seine alleinigen Hände nimmt, in der Lage sein, eine sehr erheblihe Wirkung auf den JInlandspreis des Getreides auszuüben.

Das ist ja aber nicht der eigentliche Zweck des Herrn Vorredners ; was er wünscht, was die Grundlage seines ganzen Antrages bildet, ist die Schaffung von stabilen, normalen Getreide- preisen. Indem das Neich das ausländisde Getreide in seiner Hand monopolisiert, übernimmt es die gesammte Verantwortlichkeit für die Getreideve:sorgung des Deutschen Neichs, und diese Aufgabe ist niht allein eine Quantitätsfrage, es handelt sih nicht einfah darum, auf jede 10 oder 12 t die in Deutschland gewachsen sind, eine Tonne auéländishen Getreides einzuführen die Frage ist im eminenten Sinn eine Qualitätsfrage (sehr richtig! links), d. h. das Reih muß in der Loge sein, in jedem Augen- blick, an jeder Stelle in Quantität und in Qualität das Getreide bereit zu halteu, was der Bedarf verlangt. Es muß also eine Aufgabe lösen, an deren Lösung heute Hunderttaufende von Menschen beschäftigt find; cs muß Kenntnisse besißen, die wir heute nicht besißen (Widerspruch und Unruhe rets), nämli darüber, was an Quantität und Qualität im Lande vorhanden ist; es muß richtige Schätungen haben über die zukünftige Ernte und, wenn die Ernte vorüber i}, was die Ernte uns gebracht hat. Be- geht die NReichs-Getreideverwaltung Irrthümer, so wird es mit dem normalen Preise des Getreides sofort zu Ende sein.

Dazu kommt aber noch etwas. Es wächst doch auch im In- lande nicht jedes Jahr dieselbe Qualität von Getreide; die Qualitäten find außerortentlich verschieden je nach dem Klima, je nah dem Boden und dazu kommen die elementaren Ereignisse, während der Blüthe, während dcr Ernte, die die Qualität des Ge- treides verändern und verschlechtern. Wenn in einem Jahre in großen Quantitäten Weizen wächst, den man nicht backen kann, oder Hafer wächst, den die Pferde nicht fressen, wie will es nun die Getreideverwaltung anstellen, durch den Verkauf von ausländishem Getreide zu bestimmten Preisen, daß auch dieses Getreide einen Käufer zum normalen Getreidepreise des Antrages Kaniy findet ? Das ift vollständig unmöglih. Der deutsche Bauer wird fich dann mit dem kleinen Finger nicht begnügen , den ihm der Antrag Kaniß dur Feststellung eines Normal-Getreidepreises bietet; er wird, und zwar mit Recht, die ganze Hand verlangen , nämli den Anspruch stellen, daß er au einen Käufer findet, der ihm den nor- malen Preis des Antrages Kani bezahlt, und wenn dieser Käufer ausbleibt, so wird er sagen, daß das Gese ein Versprechen

gegeben hat, das zu erfüllen es außer stande ist. Daraus wird Erbitterung und Unzufriedenheit entstehen. (Sehr richtig! links.) Und wie will der Antrag Kaniß denn die Verkäufer dazu zwingen, daß sie niemals unter diejem Preise ihr Getreide weggeben? Man stellt einen Weizenpreis von 215 #4 fest. Der Verkauf vollzieht sich aber nit rash: da sind Bauern, die müssen ihr Getreide ver-

kaufen, weil sie Geld brauchen ; sie unterbieten sih gegenseitig, der

für 180 A Aus diesem Unterbieten wird nach meiner fesien Ueber: zeugung in der Landwirthschaft Streit und Zank entstehen, der wahr. haftig der Landwirthschaft niht zum Vortheil gereichen kann. (Sehr wahr! links.) Will man einen normalen Preis für Getreide s{affen, so bleibt nur ein Mittel, das ist das Ganzmonopol, das sih nit bloß auf das ausländishe, sondern auch auf das inländische bezieht. (Sehr richtig! links.) Aber dann muß man auch dem deutschen Bauer vollkommen klaren Wein einschenken, was ihm bevorsteht (Sehr richtig! links), daß er niht mehr auf seinem cigenen Aer machen kann, was er will (Sehr richtig! links), daß der Getreidebau monopolisiert wird, daß ihm die Sorten vor: geschrieben werden, die er pflanzen muß, daß ein Heer von Be- amten aufgestellt wird, welches ihn dann Tag und Nacht kontroliert (Sehr richtig! links) kurz, daß alle die Einrichtungen getroffen werden, von denen ih behaupte nach meiner Kenntniß des deutschen Bauernstandes: sie sind dem deutschen Bauer die allerverhaßtesten. (Sehr richtig! links und in der Mitte.) Das, meine Herren, muß man den deutshen Bauern sagen, und dann bin ih überzeugt, daß es mit der werbenden Kraft des Antrags Kaniy bald zu Ende sei, (Sehr richtig! links, Widerspru rets.)

Der Hinweis auf die werbende Kraft des Antrags Kaniß ift für mich kein \{lagendes Argument. Ich verstehe ja, daß mancher Land, wirth in der Noth des Tages die Kunde gern vernimmt : wenn die Gefeßgebung nur wolle, so könne sie heute ein Gesetz“ publizieren, welches im übrigen die Welt läßt, wie fie heute sih bewegt, und ny die Aenderung herbeiführt, daß der Bauer pro Tonne 50 oder 60 4% für sein Getreide mehr bekommt. Aber diese werbende Kraft ist do niht beweiskräftig; denn es wäre nicht zum ersten Male, daß ein Vorschlag weithin Anhang in den Kreisen des Volkes findet und, wenn er erst durchgeführt ist, fich zeigt, daß die werbende Krast im umgekehrten Verhältniß steht zu der Nichtigkeit und zu der Nüß- lihkeit der Idee, die er verwirklicht.

Der Herr Vorredner verwahrt sich gegen den Vorwurf, sein Antrag sei sozialistish; er sagt, dann müßten die Schußzzölle au sozialistisch fein. Das ist ein Fehls{luß; es ist ein Anderes, wenn der Staat durch Schußtzölle auf die Preisbildung eine gewisse Ein- wirkung versucht, und es ist ein Anderes, wenn er das Gesammtrisiko der Preisbildung von den Schultern der Produzenten auf die Allge- meinheit überwälzt. Wenn das geschähe, so würde sehr bald der Gedanke mit elementarer Gewalt sich Raum schaffen, daß, wenn die Getreideproduktion und die Preisbildung des Getreides eine Gesammtlast ist, dieser Gesammtlast auch ein Gesammtreht gegenüberstehen muß, und ich fürchte: das würde Wasser auf die Mühle Derer - sein, welche für die Verstaatlißzung von Grund und Boden eintreten. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.) Davor behüte uns Gott; denn das wäre ein Stoß ins Herz des deutshen Bauernstandes. (Sehr richtig! links und in der Mitte.)

Was ich und damit komme ih zum Schluß dem Antrag des Herrn Vorredners endlih entgegenhalte, ist: ih fürchte, daß, wenn er je zur Durchführung gelangte, er ungleich und ungerecht wirken müßte. Die Personen, welche in erster Reihe einen unmittel- baren finanziellen Vortheil aus dem Antrage bezögen, nämlich Die- jenigen, welche selbsterzeugtes Getreide verkaufen, die bilden doch, was ihre wirthschaftlihe Lage und ihre Bedürftigkeit betrifft, eine überau verschiedenartige Gruppe, und der Umstand, daß die Lebenshaltung des Produzenten beeinflußt wird von dem Preise seiner Produkte, ift doch nicht der Landwirthschaft eigenthümlih; er trifft bei der gesammten Produktion zu. (Sehr richtig! links.) Jch weise auf die große Gruppe von Menschen hin, die nichts besigen als ihrer Hände Kraft, die menschliche Arbeit verkaufen und deren Lebensexisten? mitsammt ihrer Familie von der Verkäuflichkeit ihrer Arbeit und von der Höhe des Arbeitslohnes abhängt. (Unruhe rechts. Sehr rihtig! links.) Der Herr Vorretner sagt: wir verlangen mittlere Getreidepreise. Wie will er es ablehnen, wenn von anderer Seite der Antrag gestellt würde: wir verlangen staatlich fixierte Normal- löhne? (Zuruf rets.) Der Normalarbeitstag hat damit absolut garnichts zu thun. Denken wir uns unser Wirthschaftssystem graphish dargestellt, und ziehen wir die Linie des Antrages Kaniß: Das Ergebniß wird sein, daß er eine Neihe sehr potenter Eristenzen in seine Fürsorge einshließt (Sehr wahr! links) und große Gruppen von Dürftigen auéläßt. Das würde ungleih und ungerecht wirken, und der Deutsche vermöge seines empfindlihen Rechtsgefühls wird dur Nichts fo erregt, als wenn Ungleichheit und Ungerechtigkeit von der Stelle ausgeht, von der er allezeit Gerechtigkeit und gleihes Maß erwartet. (Bravo! links.)

Der Herr Vorredner hat den Saß ausgesprochen: man kann einem Produzenten niht zumuthen, daß er unterhalb seiner Produktions“ kosten verkaufe. Jh halte diesen Saß in feiner Allgemeinheit für falsch und für unvereinbar mit unserer privatwirthschaftlihen Ord- nung; will man ihn aber einführen, dann darf man nicht beliebig die Landwirthschaft herausgreifen, so wichtig fie sein mag, auch niht aus der Landwirthschaft die Getreideproduktion. Dann muß man diesen Sah entweder auf unsere Gesammtproduktion anwenden oder die Grenze so ziehen, daß sie alle diejenigen und nur diejenigen einschließt, welche vermöge ihrer Bedürftigkeit in erster Reihe Anspruch auf diese Fürsorge haben, und dann würden neben den Landwirthen noch große andere Gruppen in die Fürsorge einges{lossen werden müssen.

Man hat mir vorhin, während ih spra, eingeworfen, daß dur) den Antrag Kanitz die Arbeitslöhne würden erhöht werden. Das ist eine Variation des bekannten Satzes, daß, wenn der Bauer Geld hat, die ganze Welt es hat. Der Saß ist an sich gewiß ritig, er wird aber falsch, wenn man ihn dahin bis zum Extrem führt, daß man sagt: gebt nur der Landwirthschaft, was wir haben wollen, dann wird ein Strom von Glück und Gedeihen auf alle anderen Stände herüberfließen. (Sehr richtig! rechts.) Wenn der Wechsel, ven Sie damit auf die Landwirthschaft ziehen, niht eingelöst wird, wenn der Strom ausbleibt, was dann? Dann würde der Antrag Kaniß unter allgemeiner Erbitterung beseitigt werden; ih fürchte aber leider, daß dann die Folge dieses Erperiments bei uns auf lange Dauer hinaus noch in nachtheiligster Weise sih fühlbar machen würde,

Man hat den Antrag Kanitz ein großes Mittel genannt. Ih bedauere das; denn wenn wir das Wort ins Volk hineinwerfen, es feien unsere wirthschaftlichen Zustände fo zerrüttet, daß nur nod große Mittel helfen können (sehr wahr! rechts) wenn dann ein Wettkampf im Volke entsteht um die Größe der Mittel ih fürhte, wir würden wider Willen denjenigen die Wege ebnet,

Eine sagt: ih verkaufe mein Getreide für 200 4 —, der Andere:

welche behaupten, das allergrößte Mittel in der Tasche i

haben, nämlih der Partei, die unsere gesammte wirthschaft- lihe und gesellschaftliche Ordnung zu stürzen strebt. (Sehr richtig! in der Mitte und links.)

Darum stelle ih diesem großen Mittel ein anderes Programm entgegen, das Programm der kleinen Mittel (Be- wegung rets), wie Sie spöttisch sie nennen, d. h. einer ruhigen, besonnenen Reform, die, auf der Erkenntniß der Ursachen der Nothlage der Landwirthschaft fußend, überall, soweit es möglich ist, nach allen Richtungen helfend, s{ützend, bessernd eintritt. Diesem Programm wird vielleiht die werbende Kraft, aber ganz sicher nit der endlihe Erfolg fehlen.

Wenn die Landwirthschaft fortfährt, an dem Antrage Kaniß zu hängen, wenn sie diesem nach meiner innersten Ueberzeugung un- erreihbaren Ziele nachängt, sie wird nicht nur ihre Kräfte ver- geuden, fie wird allmählich mit weiten Interefsengruppen in einen Gegensaß gerathen, der für sie selbs nur nachtheilig sein kann, während ih umgekehrt überzeugt bin, daß sie bei Ausführung jenes Programms der kleinen Mittel auf die Unterstüßung aller Produktiv- stände rehnen kann und aller derer, die es aufrihtig mit der Land- wirthschaft meinen, und die wissen, welche Bedeutung die Erhaltung eines gesunden, kauffkräftigen, seßhaften Bauernstandes für unser Land hat. Auch andere Erwerbsstände haben mit Noth und mit Elend zu simpfen. Der Staat und seine Gesetzgebung vermag nicht alles ; was er vermag, das kann er nur thun unter vertrauensvoller und thätiger Mitarbeit terer, welhen zu helfen er bereit ist, und ich sage: je mehr die Landwirthschaft Vertrauen faßt zu der Regierung, je mehr sie bei ihren Wünschen das Erreichbare ins Auge faßt und gleichzeitig den Bli auf das Ganze richtet ; je mehr sie an dem kon- servativen Grundsay festhält, das Alte nur preiszugeben, wenn es \{chlecht und unbrauchbar geworden, und das Neue nur zu nehmen, wenn es geprüft und gut befunden ift; je mehr, meine Herren, in der {wierigen Lage, in der weite Kreise sih heute befinden, die besizenden Klassen mit dem guten Beispiel vorangehen der Selbstbeherrschung , der Genügsamkeit (lebhaftes Bravo, Sehr gut! links), der werkthätigen Liebe für die Schwachen um so sicherer werten wir unser Ziel erreihen und den Beweis liefern, daß auch auf dem Boden der heutigen Gesellshaftsordnung alle Erwerbskreise friedlih und gedeihlich zusammenwohnen können unter dem kräftigen Schuß des Staats und seiner Geseßgebung. (Lebhafter Beifall in der Mitte und links. Zischen rechts. Wiederholter Beifall.)

Abg. Graf von Galen (Zentr.): Ih habe die Stellung meiner Freunde gegen den Antrag darzulegen. Der Antrag liegt zum dritten Mal vor und is} bereits eingehend auf seinen Kern und Inhalt geprüft worden, er ist au im Staatsrath auéführlih behandelt worden. Es hat si ergeben, daß er nicht ausführbar und mit den Handelsverträgen niht vereinbar is. Daß die Landwirthschaft sehr darniederliegt, wissen wir; es kommt nur darauf an, wie zu helfen ift. Im vorigen Jahre habe ih bereits unseren Standpunkt dahin prä- zisiert, daß der Antrag nah unserer Ansicht niht auf christlich- sozialem Boden gewachsen ist, und daß aus innerer Konsequenz aus diesem Antrage das Monopol hervorgehen s Dieser unser Standpunkt hat sich seitdem sehr geklärt. Die Herren Antragsteller können nach den Ausführungen des Staatssetretärs platterdings nicht verantworten, daß der Antrag, wie er jeßt vorliegt, möglich fei. Mit innerer Nothwendigkeit ms die Monopolisierung des aus- ländischen Getreides die Monopolifierung des inländishen Getreides nah sich ziehen. Muß der Staat au das inländishe Getreide ankaufen, so muß er auch dafür sorgen, daß der Landmann sein Getreide lagerfähig baut; dann muß er jedem Landmann einen Polizisten ins Haus geben, der jedem Bauer vorschreibt, wie er seine Ausfaat machen soll. Somit zerstört der Antrag bis in die tiefste Wurzel den leßten Theil von christlih-sozialer Reform. Die westfälishen Landwirthe haben #sich gegen den Antrag erklärt. Wir haben îm vorigen Jahre die Kommijsionsberathung beantragt, um zu zeigen, daß wir troß unseres prinzipiellen Standpunktes gegen den Antrag bereit find, auf das eingehendste zu prüfen, ob sich niht doch ein Kern herausshälen läßt, welcher der Landwirthschaft helfen fann. Die Kommissioneberathung hat auch nicht ergeben, daß der Antrag ausführbar und mit den Handelsverträgen vereinbar ift. Die Verhältnisse im Westen und Osten sind jo verschieden, daß eine Veiständigung zwischen beiden überhaupt niht möglich ist. Die Noth- lage der Landwirthschaft liegt viel weiter zurück als die Ursachen des Antrags Kanig, sie beruht auf der Befolgung des Grundsatzes des laisser faire, laisser aller seit Anfang des Jahrhunderts. Es muß eine Dezentralisation stattfinden, die Verhältnisse müssen innerhalb einer jeden Provinz geregelt werden. Die kleinen Mittel würden der Landwirthschait nüßlih sein. Besonders müssen zu Gunsten des Westens die Staffeltarife für Vieh fallen. Es ift kein Zweifel über die Stellung des Zentrums zu dieser Frage. Es ist kein ‘Kommissionsantrag gestellt worden, ich erwarte auch niht, daß er gestellt wird; sollte er doch gestellt werden, so sagen wir au Nein.

_ Abg. Graf von Schwerin-Löwiß (dkons.): Aus der Kom- mijsionsberathung ist der heutige Antrag hervorgegangen. Es fragt sich jeßt nur: billigt man den Zweck des Antrags oder nicht, und wenn man ihn billigt, ist der Antrag durchführbar oder stehen erhebliche Bedenken entgegen? Jch vermeide alle Wiederholung früherer Aus- führungen, habe aber auf den Tisch des Hauses eine auf Grunb amt- lihen Materials der bayerishen Regierung angefertigte Aufstellung über die Weizenpreise auf dem Münchener Lokalmarkt niedergelegt. Aus diesen Tabellen sehen Sie die sehr unruhigen Schwankungen der Getreidepreise; jeder starken Bewegung nach oben folgt eine ebenso starke nah unten. Die extremen Schwankungen fallen zusammen mit den politish-unruhigen Zeiten und mit wirthshaftlihen Krisen. Bei regulären Zeiten hatten die Getreidepreise eine Tendenz des lang- samen Steigens, wie sich das ja immer bei allen Kulturvölkern gezeigt. Die Linie, welche die Brotpreise bezeichnet, folgt der der Getreidepreise, aber nach unten niemals vollständig, sodaß da ein erheblicher Unterschied blieb. Jn Stuttgart roaren die Brotpreise den Getreide- preisen gefolgt bis zu dem Moment, wo die Brottaxe aufgehoben wurde ; da erfolgte eine rapide Steigerung. Nach Urtheil aller Sach- verständigen fällt bei gie Tonne Getreide, ehe cs an den Kon- fumenten kommt, ein Betrag von ca. 50 als Gewinn ab. Die Schwankungen der Getreidepreise vergrößern den Gewinn der Zwischengewerbe, deren Unternehmer sich daher sehr schnell vermehren. Vie Beseitigung der Schwankungen würde das Gewerbe der Ge- treidespekulanten schädigen. Deshalþ s\träubt sich die Börse gegen den Antrag Kaniß, weil ihr derselbe die Gewinne entziehen würde, die mehr als 100 Millionen ausmachen. Das übrige deutshe Volk hat von dem Antrage einen wirthshaftlihen Schaden niht. Beim Getreide würde ein Ausgleich der Fes eintreten, beim Brot daneben auch eine cffektive Verbilligung. an hat gesagt, die Bauern würden

ch von uns abwenden, wenn den wahren Inhalt des Antrags Kani erkennen würden. Die Bauern haben nur ein Interesse an stabilen Preisen, ebenso wie die Konsumenten. Ich will nicht den Schein erwecken, als wenn das Interesse der Konsumenten mir E am Herzen läge; die Interessen der Pro- duzenten sind noch viel s{chwerer ins Gewicht fallend, denn es handelt sih um die Existenz der Landwirthschaft. Das Mißver- hältniß zwischen Getreidepreisen und den Produktionskosten wird all- eitig anerkannt. SBye Produktionskosten sind ja gesunken, nur die öhne noch niht. Die Landwirthe haben zum theil mit Verlust gearbeitet, aber die Löhne aufrechterhalten, damit die Arbeiter nicht ho Sozialdemokratie übergehen. Aber niedrige Getreidepreise und

ohe Löhne vertragen sih auf die Dauer nicht mit einander. Da egreifen Sie wohl, weshalb die Sozialdemokraten gegen den

Antrag stimmen, obglei sie andere Parteien damit \{chrecken möchten daß sie den Antrag als fozialiftish bezeihnen. Warum Den Sie denn die wahren Gründe nit ofen aussprehen, ebenso offen wie Karl Marx sich für den Freihandel erklärte, weil dur denselben die soziale Revolution beshleunigt werde? Sie wollen keine gesunde Reform, die der gegenwärtigen Gesellshaft zu gute kommt. Die Bezugnahme auf die Handelsvertragéstaaten is dahin ausgelegt worden, daß wir den Widerspruch des Antrags mit den Handels- vertragéstaaten anerkennen; das ist niht der Fall. Wir wollten nur entsprehend den Erklärungen der Regierung über diese Frage eine Anregung geben, in welcher Weise die Ver- einbarung mit den ertragéftaaten über die Ausführung eines solchen _ Monopols angebahnt werden kann. Denn die Einführung eines solhen Monopols steht dem Reich unzweifelhaft zu. Dabei könuten die europäishen Staaten, welhe Getreide einführen, bevorzugt werden; nur wenn der europäische Getreidevorrath niht aus- reien follte, sollte man au außer-europäishes Getreide heranziechen. Der inländische Getreidehandel würde dabei vollständig frei bleiben. Welchen vernünftigen Grund sollten die Vertragsftaaten haben, au eine Beschränkung des inländishen Handels zu fordern? Die Durchfezung einer solchen Vereinbarung erfordert nur einen festen Willen. Die Ueberzeugung von der Durchführbarkeit unserer Vor- {läge wird kommen, je s{chwieriger die Zeiten werden. Der Widerstand der preußishen und der verbündeten Regierungen richtet sih gegen etwas ganz Anderes, als den vorliegenden Antrag; die Regierungen werden sich der Pflicht nicht eitzichen können, den An- trag wiederholt neu zu prüfen. Die Beschränkung der Dauer des Einfuhrmonopols auf acht Jahre wird viele Gemüther beruhigen. Wenn die Dauer nicht beschränkt wäre, dann würde man si do nicht euen, das Monopol schon früher abzuschaffen, wenn es si nicht bewährt. Im sozialen und wirthshaftlihen Interesse bitte ih, den Antrag anzunehmen; derselbe will niht Unfrieden stiften, sondern den Frieden, und die verbündeten Regierungen haben am allerwenigsten Anlaß, die Tendenz unseres Antrags zu verdächtigen.

__ Abg. NRickert (fr. Vgg.): Ein s{öner wirth\{haftliher Frieden würde das werden. So sehr ih dem Hetrn von Marschall dankbar bin für die Bekämpfung des ungeheuerlihen Antrags, fo sehr muß ich es bedauern, daß die Volkévertretung der ersten Kultur- nation si drei Jahre mit diesem Antrag beschäftigen muß. Freilich wäre das nit möglich gewesen, wenn man den Miran tellern nit Konzessionen gemacht hâtte. Einen Antrag, den Herr von Bennigsen als gemeingefährlih bezeihnete, den Graf Galen als rein fozialistisch charakterisierte, hat man an eine Kommission verwiesen. Und welchen Dank hat Herr von Bennigsen von dem Führer des Bundes der Landwirthe geerntet? Den großen Grundbesiß läßt man ganz bei Seite; man spriht dann immer nur von dem Bruder Bauer. Aber die Bauern wollen von den Dingen nichts wissen. Nedner beruft sich darauf auf die Auslassung eines Bauern, der sich nit auf Kosten der andern Stände bereichern will, und fährt dann fort: Wer sind denn die Mitglieder des Bundes der Landwirthe, namentlich in den kleinen Städten, wo man versucht hat, die Geschäfts- leute zum Eintritt in den Bund zu zwingen? Wie wären anders die Niederlagen in Kolberg-Köslin und Herford - Halle zu erklären, wenn nit der Antrag Kaniß daran {huld hätte, wie der „NReichs- bote“ selbst zugiebt? Wenn die Regierung nicht geduldet hätte, daß mit der Staatsautorität für den Bund gearbeitet wurde, daß die Amtsvorsteher Versammlungen veranstalteten, die nicht einmal an- gemeldet waren? Herr Rudolf Meyer hat enthüllt, daß der Antrag R die Grfindung eines öôsterreihishen Kunstmüllers sei. Herr von Ploeß foll aber 1894 im Januar die Idee abgelehnt haben, weil sie zu sozialistish sei, und im April kam der Antrag an den Neichs- tag. Der Bund der Landwirthe kann dur seine Agitation nur Ver- bitterung erregen und den Landwirthen ihre Berufsfreudigkeit rauben. Die günstige Wirkung der Handelsverträge kann niemand mehr leugnen. Aber freilih, die Herren leben ja von der Bekämpfung der Handelsverträge und der Goldwährung. Die Ausführungen des Herrn von Marschall haben mich vollständig überzeugt. Was foll durch ein Monopol auf aht Jahre erreiht werden? In allen De- batten ist die eine Frage nicht erörtert worden, welcher Theil der Land- wirthe an hoben Getreidipreisen Vortheile hat, wie viele Landwirthe Nachtheile haben. Nach der vom Neichskanzler gegebenen Statistik verkaufen 76 °/o der Landwirthe kein Getreide, davon muß ein großer Theil Getreide zukaufen. Der Bund der Landwirthe hat eine große Enquête veranstaltet; 1300 Antworten sollen eingegangen sein, aber es ist nichts darüber veröffentliht. Einzelheiten sind veröffentlicht, aber auch hon längst als unzutreffend widerlegt worden. Mir hat ein Bauer erklärt, daß die Landwirthe bei Sparsamkeit und Tüch- tigkeit durhkommen können. Die bayerishe Enquête foll den Antrag Kaniß begründen! Diefe Untersuhung is unparteiish geführt und verdient alle Anerkennung. Aber die Nothwendigkeit des Antrags Kaniß kann man daraus nicht folgern ; denn es wird keineswegs eine {were Nothlage der bayerischen Landwirtbschaft festgestellt. Die Verschuldungéverhältnisse sollen, wie aus der Untersuchung sich ergiebt, nit besonders s{lecht sein, aber es fehlt an der Technik; es ist keine Drainage vorhanden, es fehlt an der Verwendung guten Düngers 2c. Hinderlih sei auch der große Pessimismus; man stelle allen Räthschlägen entgegen, daß dem Feldbau bei den s{lechten Preisen doch feine Zukunft bevorstehe. Hat die Landwirthschaft denn nicht {hon s{limmere Krisen durchgemacht, am Anfang des Jahrhunderts, wo die Hälfte der Landwirthe ruiniert war? Heute find die Preise der Güter nicht so gefallen, wie damals. Wenn ein- zelne Landwirthe \{lccht stehen, so wollen wir ihnen ein Geschenk machen; aber wir wollen nicht die reihen Majoratsbesiter unterstüßen. Die Sozialisten stimmen gegen den Antrag, weil sie einen anderen Sozialist!nus als den der Junker wolea. Jch hoffe, daß morgen der Antrag Kani mit 200 gegen 100 Stimmen abgelehnt wird.

Abg. Graf von Bismarck (b. k. F.): Der Antrag Kaniy ist nur ein Nothbehelf, das erkennen auch die meisten Unterzeichner des Antrages an. Aber die Landwirthschaft befindet sich nun einmal in einer auch von Allerhöchster Stelle in der Thronrede anerkannten Nothlage, und Nothlagen rechtfertigen Nothbehelfe. Auch die Schußtzölle sind ja nihts Anderes, und der Antrag Kaniß ist auf demselben Boden gewachsen wie die Schußzzôölle. Es wäre ein idealer Zustand, wenn überhaupt kein einziges Gewerbe Schutzzölle brauchte ; die Vorausseßung dazu wäre aber, daß in sämmtlihen Staaten und Kolonien unter denselben Bedingungen produziert würde, daß sie die- selben Bedürfnisse und dieselbe Währung hätten, sei es Gold-, Silber- oder Doppelwährung. Daß der Antrag wirklih eine Werbe- kraft hat, geht daraus hervor, daß die Zahl der Unterzeichner seit dem vorigen Jahre von 40 auf 100 gestiegen ist. Manche haben sich ers nach s{chweren Bedenken entschlofsen, ihn zu unterschreiben, und zwar sind es feineswegs bloß Großgrund- besißer. Glauben Sie, daß die Mitglieder der NReformpartei Großgrundbesiter als Wähler haben? Und auch die Herren aus dem Westen, aus Bayern, haben ihre {weren Bedenken überwunden, weil sie kein besseres Mittel für den kleinen Landmann wissen. Die Nothlage der Landwirthschaft wird eigentlich von keiner Partei bestritten, und der Staat hat die Pflicht, für die benach- theiligten Erwerbskreise zu sorgen, felbst wenn es nur ein unter- geordnetes Glied am Gefammtorganismus wäre. Es ist anzuerkennen, daß auch die Regierungen bemüht sind, der Landwirthschaft zu helfen. Die Herren links thun so, als wollten fi die Landwirthe auf Kosten der Gesammtheit bereihern. Nun giebt es aber nah der leyten Be- rufézählung an landwirthschaftlihen Bettieben allein 5,6 Millionen, mit ung-fähr 26,2 Millionen Seelen, während die Gesammtheit der Bevölkerung des Reichs ca. 51 Millionen beträgt. Die Hälfte aller S entfällt auf die Landwirthschaft. Dem gegenüber werden

ie doh nicht bestreiten, daß wir die Berechtigung haben, nah Mitteln der Abhilfe zu suchen; und wenn uns von den verbündeten Regierungen oder aus dem Hause cin sympathischeres Mittel vor- eshlagen würde, so würden wir mit Freuden dafür eintreten. Es find uns aber keine besseren Mittel vorgeschlagen. Dazu gehören auch die sogenannten kleinen Mittel niht. Die Viehzucht wird von der Landwirthschaft mit Eifer betrieben ; wenn aber beispieléwcise im nächsten Jahre die umgrenzenden Staaten seuchenfrei und die Grenzen

wieder eröffnet werden, dann \ind alle Ausgaben der Land- wirthe zur Hebung der as weggeworfen. Die Zucker- steuervorlage ift ebenfalls sehr dankenswerth, aber die Vor- lage ist ganz anders im Osten wie im Westen auf- genommen worden, und mein eigener Wahlkreis hat ein- stimmig beschlossen, mich zu ersuchen, gegen die Kontingentierung zu stimmen, ohne welche die Vorlâge für die verbündeten Regierungen unannehmbar ist. Zu einer Verbilligung der Eisenbahntarife würde sih der preußishe Finanz-Minister {wer entschlieien. Auch die Kreditfrage ist eine sehr {hwierige. Die Grundschuld in Preußen beträgt nach den leßten Veröffentlihungen des preußischen Finanz- Ministeriums 14 Milliarden. Nehmen wir an, daß das Kapital- vermögen 50 Milliarden und der Werth von Grund und Boden 30 Milliarden beträgt, so kommen wir zu dem Resultat, da kleine Mittel wenig helfen. Die Beleihungêsgrenze is zu ho. Man sagt mit Recht, daß der Werth der Güter heruntergegangen ist. Da is} es gefährlih, den Kredit zu erhöhen. Ih würde es für heilsamer halten, bei den ep prekären Zuständen den Kredit herabzusetzen ; sonst ist man \{liezlich nur noch Verwalter der Kapita- listen und hat nicht mehr die Besißfreudigkeit, die einen an die Scholle fesselt. Die Landwirthschaft würde besser fahren, wenn es \{chwieriger wäre, Geld aufzunehmen. Die Landwirthe nehmen 3#- bis 4 prozentige Pfandbriefe auf, soviel sie können, und seßen sie in 6 prozentige Papiere um, Daraus entsteht s{ließlich die Verschuldung. Von Meliorationen wollen viele Besitzer nihts wissen, weil sie sagen, sie verzinsen sich do nicht, besonders, da die Grenze des Fallens der Getreide- preise Me nicht abzusehen ist. Wenn die Getreidepreise so weiter sinken, gebt \{ließlich das Nationalvermögen verloren. Der Bruchtheil der andwirthschaftlihen Bevölkerung is sehr bedeutend. Nach der Berufszählung von 1882 beträgt die Zahl derjenigen landwirth- schaftlichen Cristenzen, die bis 100 ha haben, also Bauern, 2 119 000. Wenn Sie das mit fünf multiziplieren, was für die Landwirthe wenig ist, so bekommen Sie 11 Millionen, die darauf angewiesen sind, von ihrem Lande ihr Leben zu fristen. Glauben Sie doh nicht solhen Phantasien, daß Bauern mit 10 Morgen noch Getreide zukaufen. Wer das Leben auf tem Lande kennt, weiß es beffer.

er kleine Besißer, auch der von 20 Morgen, hat keinen Vortheil von billigen Getreidepreisen, der Bauer is doch nicht nebenbei Kapitalift, sondern zieht feinen Unterhalt aus seinem Getreide; die anderen landwirthschaftlichen Produkte kommen daneben nit in Be- traht. Das _Margarinegeseßp kann wohl Genossenschaften und Molkereien nügen, aber niht dem kleinen Bauer. Nicht an- gebraht ist es, «den Antrag mit Entrüstung zurückzuweisen und ihn als eine Schande zu bezeihnen. Wir müssen den Antragstellern dankbar sein, daß sie sich monatelang hingeseßt und gearbeitet haben, um nah einem Mittel zu suchen. Man kann sagen: es taugt nihts, es paßt nicht, wir wollen zur Tagesord- nung übergehen, aber ih finde es unberehtigt, daß man Schlagworte dagegen gebrauht. Ein weiser Staatsmann muß auf die Erhaltung des Körnerbaues bedaht sein. In England wären die Getreidezölle niemals aufgehoben worden, wenn dort der Grundbesitz so getbeilt wäre, wie bei uns. Als Englands Landwirthschaft anfing, ruiniert zu werden, gab es dort nur 20—30 000 Grundbesitzer, wir haben neun Millionen. Warum hat man in Frankrei die Getreidezölle nicht heruntergeseßt, fondern sogar noch erhöht? Weil dort der Grundbesiß noch viel mehr getheilt is, als bei uns. Bei weiterer Detnokrati terung würden wir noch zu dem französishen Erb- recht kommen. Nuf die Handelsverträge will ih nicht eingehen tempi passati! Was hat es für einen Zweck, über vershüttete Milch immer von neuem zu klagen. Man hat gesagt , die Einfuhr des Getreides sei niht wesentlih gestiegen. Das ift aber nicht richtig. Die Noggeneinfuhr ist ganz erheblich gestiegen und beim Weizen liegt die Sache ganz ähnlih. Dieser Cecil Rhodes hat den Plan gehabt, das ganze Südafrika unter seine Macht zu bringen und dann feste und hohe Schußtzölle gegen alle Staaten einzuführen. Die Armuth greift immer weiter um sich. Wo sind die Großkaufleute, wo sind die großen Vermögen geblieben? S mentlih am Rhein scheidet der Großkaufmann allmählich einen Prozent- faß von feinem Vermögen aus, um ihn in Grund und Boden anzu- legen. Der Nothstand ift einmal da, und wir können nichts machen, so lange wir dur die Handelsverträge gebunden sind. Der ganze Zweck der Diskussion ist, die Leute, die kTulturfähig gehalten werden sollen, vor „dem Untergang zu bewahren. Die Klausel über die ewige Meistbegünstigung ist in dem französischen Friedensvertrage nur aufgenommen, weil die Franzosen , wenn es nah ihnen ginge, keine Unze nah Frankrei hineinlafsen würden. Wenn man von anderen Zöllen spricht, dann habe ih noch niht gehört, daß man si glei in den Mantel der Entrüstung hüllt, daß man von Erpressungen, Liebes8gaben und Almosen spricht. 275 Millionen Seelen find nah der Berufs- statistik an landwirthschaftlichen Gebieten interessiert. Wenn die armen Leute von Haus und Hof “gejagt werden, dann werden sie noch \{limmer als die Fabrikarbeiter; sie fallen der revolutionären Partei in die Arme; sie verlieren unzweifelhaft ihre monarbishe Ge- finnung. Die festesten Wurzeln monarchischen Gefühls liegen do in der seßhaften Bevölkerung. Die Leute, die wir vertreten, find dieselben Bauern, welche zah dem 30jährigen Kriege auf ihre Fahne geschrieben hatten: Wir find Bauern von geringem Gut und dienen unserem Fürsten mit unserem Llut. Auf diese Leute wird nit zu renen sein, wenn wir ihnen nicht beistehen. Vielleicht haffen günstige Konstellationen von selbst einmal höhere Getreidepreise; aber wenn es nicht geschieht, fo hoffe ih auf eine größere Zustimmung für andere Pläne, die durhgreifend dazu helfen, daß unser tüchtiger, schafter Bauernstand, der Stolz Deutschlands, uns erhalten werde.

Abg. Graf Bernstorff (b. k. F.): Die Modifikationen des An- trags Kaniß können unsere ablehnende Stellung niht erschüttern. Im Gegentheil, wir halten es für sehr bedenklih, eine solhe Maß- regel nur auf fo kurze Zeit einzuführen, wie der Antrag will. Er ist praktish nicht aus- und burhführbar, widerspricht dem Grundsatz: gleihes Recht für Alle, und kann der Landwirthschaft vielleicht momentan, aber niht auf die Dauer nützen, während er uns dem fozialen Staat und der Verstaatlihung des Grund und Bodens näher bringen würde. Die jeßige Nothlage ist eine Folge der shrankenlosen Freiheit auf allen Gebieten, welche die Liberalen durchgeführt haben. Solchen {nellen iee E gegenüber giebt es keine großen Mittel, die schnell helfen; aber ih hoffe, daß die Elemente, von denen der Graf Bièmarck am Ende seiner Rede spra, uns auch über diese Krisis hinweghelfen werden.

j n 6 Uhr wird die weitere Berathung auf Freitag 1 Uhr vertagt.

Parlamentarische Nachrichten.

Dem Reichstag ist folgender Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung der Gew erbec iu zu- gegangen : i

Artikel 1.

Der § 30 Absaß 1 der Gewerbeordnung erhält folgenden Zusay :

c. wenn die Anstalt nur in einem Theil eines au von anderen Personen bewohnten Gebäudes untergebraht werden soll und dur ihren Betrieb für die Mitbewohner dieses Gebäudes erhebliche Nach- Mee oder T Vie Ult U tan Pers

. wenn die Anstalt zur Aufnahme von Personen mit ansteckenden Krankheiten oder von Geisteëkranken bestimmt is und dur e ôrt- liche Lage für die Besißer oder Bewohner der benachbarten Grund- stücke erhebliche Nachtheile oder Gefahren hervorrufen kann.

, Vor Ertheilung der Konzession sind über die Fragen zu c und d die Ortspolizei- und die Gerineindebehörden zu hören.

Artikel 2. Der § 32 der Gewerbeordnung erbält folgende Fassung: Schauspielunternehmer bedürfen zum Betrieb ihrs Gewecdes der Erlaubniß. Dieselbe gilt nur für das bei Ertheilung der Erlaubniß bezeihnete Unternehmen. Zum Betriebe eines anderen oder eines wesentli veränderten Unternehmens bedarf es eincr neuen Erlaubniß.