1896 / 19 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 21 Jan 1896 18:00:01 GMT) scan diff

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mich zu den anderen fozialpolitischen Fragen wenden zu dürfen. Da haben der sozialdemokratische Redner und der Herr Abg. Werner recht lebhafte Beschwerden geltend gemacht, die sih \{li:lich sogar im Munde des Abg. Werner zu dem starken Auéëdruck steigerten, es handle ih hier um himmelschreiende Mißstände. Jch habe beiden Rednern aufmerksam zugehört und bin in einer gewissen Verlegenheit, wo ih einseyen soll, um so heftige Anklagen abzuwehren; sie schienen mir mehr in der Lautheit der Stimme zu beruhen, als in der Be- gründung der Thatsachen, tie hier vorgebraht waren. (Sehr richtig! rechts.) In diesem Punkte werde ih mit den Herren in keinen Wett- bewerb treten; ih werde mich barauf beshränken, ihren Anführungen, wo sie greifbar sind, die Thatsachen gegenüberzustellen.

Der Herr Abg. Singer hat lebhafte Anklagen gegen die Post- verwaltung aus Anlaß der Urlaubsverhältnisse gerichtet; er hat si dabei auf die Dienstanweisung berufen, die er hier vorgelesen hat. Dabei ist ihm das Mißgeschick passiert, daß er eine nit mehr geltende Dienstanweisung vorgelesen hat. (Heiterkeit rechts.) Der Unterschied, der in der früheren Auflage der Dienstanweisungen gemacht war bezügli des Erholungsurlaubs der Beamten und der Unterbeamten, besteht gegenwärtig niht mehr. Jch denke doch, der Herr Abg. Singer follte aus dieser kleinen Erfahrung entnehmen, daß es nicht zweck- mäßig ift, gleich Kanonen aufzufahren auf einem so unsicheren Terrain. Die jeßige Dienstanweisung macht keinen Unterschied in Bezug auf die Ertheilung von Erholungsurlaub an Beamte und Unterbeamte, sie verlangt nicht, wie das früher der Fall war, den Nachweis besonderer Dringlichkeit bei Ertheilung des Urlaubs an Unterbeamte. Aber, meine Herren, das ist ja richtig, daß die Sache sahlich anders liegt, die RNeichs-Postverwaltung ih tarf das vielleiht beiläufig fagen ift meines Wissens die einzige, die sozialpolitisches Interesse und ihre Fürsorge für die Beamten dadurch bethätigt hat, daß fie die Einrichtung des Erholungsurlaubs eingeführt hat; sie is die erste, die das gethan hat, und meines Wissens noch die einzige, die diefe Einrichtung hat. Sie müssen nämlich, meine Herren, unter- scheiden Erholungêurlaub, der den Beamten ohne weiteres innerhalb gewisser Frist gewährt wird, und den Urlaub, der für längere Dienst- entbaltung, für Kuren, Erholungsreisen u. dergl. gewährt wird. Dieser leßtere Urlaub existiert natürlich überall und auch bei uns, und daß wir da sorgfältig nachsehen, ob wirklich eine so andauernde Berhinderung vorliegt, wie sie manchmal ohne Noth geltend gemacht wird, das versteht sih ganz von selbst; das is unsere Pflicht und Schuldigkeit, und es wäre ein gänzlihes Verkennen unserer Pflicht, wenn wir ohne weiteres jedem Beamten auf Verlc «gen fechs Wochen Urlaub gewähren wollten. Darüber ift doch wohl niht zu reden, daß das niht geht. Auf diese Verhältnisse bezog sih die Verfügung, die der Herr Abg. Singer in die Hände be- kommen hat aus dem Bezirk der Ober-Postdirektion Berlin.

Was den Erholungsurlaub anlangt, so bin ih in der Lage, mit- zutheilen, daß das gänzli anders liegt, als es nah seinen Aeußerungen den Anschein gewinnen mußte. Der Erholungsurlaub is in Berlin für die Unterbeamten in einem Grade zur Einführung gekommen, der, glaube ih, auch den Erwartungen jener Herren entsprehen wird. Wir haben in Berlin 3146 angestellte Unterbeamte; von denen haben 86 9/0 Erholungsurlaub erhalten. Die Ziffer, die der Herr Abg. Singer hatte, bezieht sich auf ganz andere Fälle. Jch meine, meine Herren, das ist doch ein Resultat, das man sehr bo anschlagen muß. (Sehr rihtig!) Nun sind wir der Meinung, daß man bei der Frage des Erholungsurlaubs der Unterbeamten nicht von vornherein schablonenmäßig vorgehen darf. Wir glauben nicht zu irren, daß das Bedürfniß nach Erholungsurlaub bei den einzelnen Klassen der Unter- beamten sehr verschieden ist, und daß es namentli verschieden ift, je nachdem die Unterbeamten auf dem Lande thätig sind oder in den großen Städten. Deshalb haben wir von allgemeinen Verfügungen, wie innerhalb des dur die allgemeine Dienstanweisung gegebenen Rahmens zu verfahren is, Abstand genommen, und, wie ih meine, Haben wir gut daran gethan. Wir lassen die Sache sich entwickeln, und die Zahlen von Berlin beweisen, daß diese Entwicklung nicht in einem engen und den Unterbeamten mißgünstigen Sinne erfolgt, sondern im Gegen-

E in einem liberalen und den wirklihen Bedürfnissen entsprechenden nne.

Damit glaube ih die heftigen Angriffe, die der Herr Abg. Singer gerade an dieses Kapitel geknüpft hatte, dur Thatsachen widerlegt zu haben.

Meine Herren, es steht nicht viel anders mit dem, was Herr Singer über die Kautionen gesagt hat. Er ist so weit gegangen, es der Postverwaltung als eine Anstandspfliht einzushärfen, daß sie die Kautionen, die jeßt herabgeseßt worden sind, möglichst {nell zurückbezahle. Ja, meine Herren, zunächst hat doch der Herr Abg. Singer selbst anführen müssen, daß die Reichs - Postverwaltung die Initiative dazu ergriffen hat, um die Kautionen, die aus den früheren Zeiten sich als etwas zu hoh gegriffen ergeben hatten, auf ein geringeres Maß herabzusetzen. Nun handelt es sih darum, diese Kautionen zurückzugeben. Das ‘ift nun nit fo einfa, wie sih Herr Singer das vorstellt.

Wir haben für die Kautionen geseglih die Bestimmung, daß sie in Staatspapieren gestellt werden müssen, und wir haben aus Anlaß der Anlegung des Staatsschuldbuhs diese Kautionen in eine große Masse vereinigt, zum großen Vortheil der Beamten, die dur die Betheiligung am Staatss{uldbuch allen mit dem Besiß von Cinzelpapieren verbundenen Belästigungen entgehen und auch zum Vortheil der Verwaltung, die dadur nur mit einem Kautionsobjekt zu thun hat. Aus dieser Masse, die beim Staats- shuldbuch in einem Posten zusammengefaßt ist, gilt es nun, diese Kautionen, soweit sie jeßt ermäßigt werden, herauszuscheiden. Für jeden, der von den Operationen beim Staatsschuldbuh Kenntniß hat, ist es klar, daß das keine Sache ift, die innerhalb 6, Wochen oder 6 Monate gemacht werten kann. Dagegen haben wir angeordnet, daß alles, was an Baarbeträgen da ist, augenblicklich zurückgezahlt wird.

Ich meine daher, den Herrn Abg. Singer auch wohl hier überzeugt zu haben, daß diese Frage sich wesentlih anders stellt, als er bei seinem Vortrage angenommen hat.

Der Herr Abg. Singer hat ferner auf den Weihnahts- dienst si bezogen; er hat der Postverwaltung ein starres Festhalten an einem inhumanen Stantpunkt zur Last gelegt, weil fie Soltaten zur Bewältigung des Weibnachtédienstes heranziehe. Dabei übersieht der H rxr Abg. Singer vollständig, in wie geringem Maße das der Fall ist. Wir nebmen alljährlich zu Weihnachten etwa 3000 Hilfs- arbeiter während ber Festzeit an; davon \ind mindestens § Arbeiter

Festhalten wird man da- doch wohl nicht behaupten können, und damit erübrigen fich auch die kleinen Märchen, die man Herrn Abg. Singer berichtet hat, wie daß aus besonderer Protektion bei einem Amt ein einzelner Zivilist zu Weihnachten einberufen worden sei. Nein, meine Herren, bei jedem Amt waren 20 bis 50 Bivilisten einberufen, nicht aus Protektion, sondern weil der Dienst es erfordert und weil wir selber das {hon ibun, was der Herr Abgeordnete von uns verlangt.

Meine Herren, das sind wohl die Gesichtepunkte, die die allge- meinen Bedenken betreffen. Jh meine: es wird wohl nicht er- forderlich fein, daß ich noch auf Einzelheiten eingehe, die hier vor- getragen find; nur ganz krafse Fälle möchte ih richtig stellen.

Unter den Einzelheiten, die dem Herrn Abg. Singer berichtet worden sind, befand sich etwas, was er mit befonderer Lebhaftigkeit uns vorgebalten hat als einen Eingriff in die Privatrehte des Be- amten; tas ist ein Telegramm, welches in Torgau abgeliefert ist mit der Unterschrift: Die Torgauer Festungsgefangenen. Dieses Telegramm haben ein paar Assistenten aufzugeben ih bemüßigt gesehen, die mit ihrem Amtêvorsteher einige Mißhelligkeiten gehabt haben. Der Amttvorsteher hat den Autdruck „die Torgauer Festungsgefangenen“ als etwas angesehen, was seiner Autorität zu nahe trâte, und cr hat, zwar nicht wie der Herr Abg. Singer meinte, eine hohnothpeinlihe Unterfuhung eröffnet, fondern die Beamten, wie es sein Recht und seine Pfliht war, darüber zur Rede gestellt und zurechtgewiesen. Sie sind aus diesem hochnothpeinliWen Hals- gericht lebendig und mit gesunden Gliedern herausgekommecn.

Zum Schluß möchte ich aber noch zu cinem Punkt aus den Anführungen des leßten Herrn Borredners kurz Stellung nehmen. Herr Dr. von Jazdzewski hat zur Sprache gebracht, daß bei den Ortsnamen in der Provinz Posen es ihm wünschenéwerth sei, tie Beamten darauf hinzuweisen, daß sie sih möglich\t entgegenkommend den Korrespondenten zu zeigen hätten. Ih darf dem Herrn Abg. Dr. von Jazdzewski zur Beruhigung sagen, daß das in unserer Dienstanweisung eine allgemeine Vorschrift ist, und daß auf nichts so schr Gewicht gelegt wird von unserer Seite von allen Vorgeseßten, als auf ein entgegenkommendes Verhalten der Postbeamten gegenüber dem korrespondierenden Publikum. Jch glaube faum, daß nach dieser Nichtung es eines so detaillierten Hinweises be- dürfen wird, wie ihn der Herr Abg. Dr. von Jazdzewski hier an- gedeutet hat.

Was aber den Punkt anlangt, den Herr Dr. von Jazdzewski zuleßt zur Sprache gebracht hat, worin er gewünscht hat, daß die Neichs-Postverwaltung ibren Beamten den Zutritt zu einem in Posen exisiterenden Verein verbieten möchte, so trage ich Bedenken, nah der Nichtung bin eine zusagende Erklärung abzugeben. (Bravo!) Es ist den Herren, die hier die Reihs-Postverwaltung zu vertreten haben ich habe hier Umfrage gehalten —, keinem etwas davon bekannt, daß und in welchem Umfange Beamte der Postverwaltung dem genannten Verein beigetreten seien; auch mir is nihts davon bekannt. Aber, meine Herren, es ist doch ein mißlihes Verlangen, was an uns gerichtet wird, allgemein den Beamten den Zutritt zu einem Verein zu verbieten. Wir sind der Meinung, daß wir damit in der That das thun würden, was uns mit vollem Unrecht gegenüber unserem Verhältniß zu dem Pest-Assistentenverbande öfter zur Last gelegt wird. (Sehr rihtig!)) Wir würden damit eingreifen in ein Necht politischer Selbstbestimmung, das wir den Beamten in einem solchen Umfange nicht nehmen dürfen. Wir erkennen gern an, daß für Beamte ein Zurückhalten erforderli is gegenüber Vereinen, die einseitige Partei- ¿wecke verfolgen. Allein wir sind der Meinung, solange nit wirklich die vom Herrn Dr. von Jazdzewski bis jeßt nur befürchteten Uebel- stände fih ergeben haben, daß wir es dem Takt des einzelnen Beamten überlassen können, wieweit er sich diese Zurückhaltung in dem hier vorliegenden Fall aufzuerlegen hat. (Bravo!)

Abg. Hitze (Zentr.) tritt für den Anirag Lingens ein und weist darauf hin, daß felbst in großen Städten, wie Münster, die Sonn- tagsruhe für die Postbeamten noch nicht durchgeführt sei. Der Sonntägsverkehr der Post, fährt der Redner fort, teht doch im Zu- sammenhange mit der Sonntagsruhe in Handel und Gewerbe. Cin Nachmittagsdienst am Sonntag ist dana garniht mehr erforderlich. Cine Abnahme der Packetbeförderung am Sonntag is noh nicht zu bemerken. Der Grund, daß die Näume niht ausreichen, um die Packete während des Sonntags aufzubewahren, kann doch nicht zu- treffen; denn es sind doch die Räume zur Aufnahme des sehr großen Weihnachtsverkehrs ausreichend. Die besondere Belastung des Montags kann auch nicht eintreten, wenn am Sonntage keine Packete angenommen werden. Bezüglich der besonderen katholischen Feiertage kommt es vor, daß selbst in ganz katholishen Gemeinden die Post sih nit an die katholischen Feiertage kehrt.

Darauf wird die weitere Berathung vertagt.

Schluß nah 5!/4 Uhr. Nächste Sißung Dienstag 1 Uhr. (Fortseßung der Berathung des Post-Etats.)

Preußischer Laudtag. Herrenhaus.

3. Sißung vom 20. Januar 1896.

0s den ersten Theil der Sißung ist gestern berichtet worden.

Nachdem das Haus verschiedene kleinere Vorlagen den Kommissionen überwiesen hat, folgt die erste Berathung des Geseßentwurfs, betreffend das Anerbenrecht bei Renten- und Ansiedelungsgütern. stei Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer-

ein:

Meine Herren! Dem vorjährigen Landtage der Monarchie war diese Geseßesvorlage bereits angekündigt ; indessen stellten sih außer- ordentlihe Schwierigkeiten juristisher Natur bei der Feststellung des Entwurfs heraus, deshalb war es in der vorigen Session niht mehr möglich, die Vorlage spruchreif für den Landtag vorzulegen.

Aber auch ein ¿weitcr Grund war maßgebend, weshalb die Staatsregierung glaubte, den Entwurf für diese Session aufheben zu sollen. Die Materie, mit der_ {ih der Entwurf beschäftigt, ist so \{hwieriger Natur, taß die Staatsregierung cs für erwünscht bielt,

den fertiggestellten Entrourf der éffentlichen Kritik zu unterbreiten.

Meine Herren, das is gesehen. Wesentliches ist dabei nicht herausgekommen. Es sind weder sebr erheblihe Bedenken gegen den Entwurf geltend gemacht, noch is klar und bestimmt zum Ausdruck gelangt, daß man mit dem Grundgedanken, mit dem IJIn- halt der Vorlage einverstanden sei. Die Gründe, weshalb

aus dem Zivilstand; nur der Rest sind Soldaten. Also ein starres

die öôffentlihe Meinung \sich mit der Vorlage wenig be-

e

schäftigt hat, find nit festzustellen, vielleiht sind es Schwierigkeiten die auch die öffentliche Kritik bei der Vorlage gefunten hat ; may könnte auh deduzieren, daß die öffentliche Meinung um de8willen keinen Anlaß gehabt hat, sich mit der Prüfung der Vorlage eins gehender zu beschäftigen, weil sie voll und ganz mit dem Inhalt der Vorlage einverstanden war. Wünschen die Herren, daß das nicht sehr umfangreiche Material, welches diese Kritik ¿zu Tage gefördert hat, hier im Hause oder vielleicht in der Kommission wmitgetkeilt wird, fo wird die Staatsregierung Ihren das Material zur Ver- fügung ftcllen.

Meine Herren, dann habe ich mit ein paar Worten den Grund zu berühren, wethalb diese Vorlage zunähst dem Herrenhause vor, gelegt ist, Bei der allgemeinen Bespreung der Vorlage is von einer Seite des Hauses shoa dem Dank dafür Ausdruck gegeben, daß eine so widtige Vorlage zunächst an das Herrenhaus gelangt sei. Die Staatëêregierung hat geglaubt, indem sie diese Vorlage Ihnen, meine Herren, zunächst vorlegte, einmal einem Wunsche, der aus dem Hause an die Staatêregierung herangetreten ist, Necknung tragen zu sollen (sebr rihtig!); andererseits war dieStaatêregierung au der Meinung, daß gerade diese Vorlage, die den Anfang der Ordnung des Agrarrechts in Preußen macht, tie von ganz weittragender Bedeutung an si ift, vornehmlih berufen sei, zunächst hier im Herrenhause gexrüft und erwogen zu werden.

Meine Herren, dann habe ih mich kurz über den allgemeinen Zweck der Vorlage zu äußern. Alle diejenigen Herren, welche die Agrarfrage verfolgt haben, werden sich genauer darüber unterrichtet haben, in welher Richtung in der noch von meinem Dienstvorgänger berufenen Agrarkommission Verhandlungen über die Urfachen der landwirthschaftlichen Krisis und über die Mittel zur Hilfe gepflogen sind. Bei diesen Verhandlungen is darauf hinge- wiesen, und die Agrarkommission hat das als nothwendig ausgesprochen, daß in sehr eingreifender Weise eine Umgestaltung unseres gegen- wärtigen Agrarrechts in die Hand zu nehmen sei, fowohl rüdcksichtlich des Erbrehts für den landwirthschaftliÞh benußten Grundbesit, als auch rüdsihtlich der Frage, ob dur geseßgeberishe Maßnahmen gegen die zunehmende Verschuldung des landwirthschaftlichen Grundbesißes einzuschreiten sei. Meine Herren, die Staatsregierung hat fih zunächst die Frage vorgelegt, ob {on jeßt die Möglichkeit vorhanden sei, geseßgeberisch in der obigen allgemeinen Richtung vor- zugehen. Meine Herren, das hat sich als unausführbar ‘erwiesen, Für ein geseßzgeberishes Vorgehen nah dieser Richtung für den gesammten landwirthschaftlich benußten Grundbesiy bedarf es eingehender, umfassender Untersuchungen, die eingeleitet, keinesfalls aber zum Abs{chluß gelangt sind. Ih will ferner hervorheben, daß zweifellos, wenn man in diese Frage eingreift, auch das Fideikommiß- recht in Preußen, welches sehr vielgestaltig, in den neu erworbenen Landestheilen anders geordnet ist als in den alten Provinzen, zwar in seinen Grundgedanken aufrecht zu erhalten ist, aber einer durhgreifen- den Umgestaltung, besonders aus agrarpolitishen Gründen, bedarf. Auch in dieser Nichtung sind vorbereitende Maßnahmen ergriffen. Aber, meine Herren, darüber kann kein Zweifel bestehen, daß, wenn man ein solhes geseßgeberishes Vorgehen beginnen wollte, gerade die Nenten- und Ansiedlungsgüter tas zweckmäßigstz Objekt des Be- ginnes bilden.

Ic will nicht tiefer auf die Sache eingehen. Jh will aber kurz darauf hinweisen: der Zweck, abgesehen von der Bekämpfung des Polenthums, den ih hier niht weiter berühren will, sowohl bei Erlaß der Ansiedelungs- wie bei Erlaß der Nentengutsgeseßgebung ist zweifellos der gewesen, einen lebenéfähigen mittleren und kleinen Grundbesiß in der ganzen Monarchie, vor allem im Often der- selben zu {afen und zu erhalten, damit auch eine dihtere Be- völkerung besonders in dem Osten der Monarchie herbeizuführen. Nun, meine Herren, werde ih darlegen, in welhem Umfange die erwähnten beiden Geseße {on gewirkt haben. Darüber aber kann nach meiner Auffassung kein Zweifel bestehen, daß, will man dauernd den Zweck der erwähnten Geseßgebung erreihen, so muß dafür Sorge getragen werden, daß niht durch die freie Bewegung der Besißer dieser Güter der Zweck vereitelt wird, daß sie wieder vertheilt, zu grcfeen Latifundien wieder zusammen- gelegt werden. Dann wäre alle Mühe und Arbeit, alle Mittel, die darauf verwandt sind, zwecklos ausgegeben. Daß sie nicht vertheilt werden Töônnen, ist zwar theils in der Rentengutsgesetzgebung, theils in der Ansiedlungsgesezgebung festgelegt. Aber der Fall der Ver- erbung war der springende Punkt, bei dem angeseßt werden mußte, wenn man auh indirekt eine zunehmende Ver- shuldung durch die Erbtheilung vermeiden will und anderer- seits verhüten will, daß diese Besißungen, wenn sie aus dem Zwange der Rentengutêgeseßgebung und der Rentenbanken heraus sind, dann wiederum der freien Verfügung des Besitzers anheimfallen. Deshalb ist der Hauptzweck dieser Gesetzgebung zunächst, das Erbrecht für diese Güter zu ordnen.

Nun, meine Herren, wie diese Vorlage diesen Zweck zu erreichen Leabsihtigt, darauf s{chon jeßt näher einzugehen, dafür liegt wohl kaum ein Grund vor, weil in der allgemeinen Be- gründung der Vorlage die Gesichtspunkte, nach denen die Staats- regierung die Lösung der Aufgabe sih deukt, klar und ausführlich, und zwar besser dargelegt sind, als wenn ih daraus ein kurzes Resumó geben wollte.

Meine Herren, dann weise ich kurz darauf hin, daß die Agrar- kommission neben dem Wunsche, den sie allgemein aussprach, daß die

Ordnung des Agrarrechts nah den vorher von mir angegebenen beiden Nichtungen allgemein in Angriff genommen werde, rücksi{chtlich der Rentengutêgesezgebung einen bestimmten Beschluß gefaßt hat. Er lautet dahin:

„Für das Renteng-t, wie es fich in Preußen unter dem Rentengütergeseß entwickelt hat, ist baldige Einführung eines zwangsweisen Anerbenrechts im Interesse der Erhaltung der neu geshaffenen L)esißungen wünschenswerth.“

In Aueführung dieses Beschlusses ist Ibnen die Vorlage gemacht worden.

Meine Ferren, darüber, in welchem Umfange das zu erlassende Gesetz sofort wirksam werden würde, gestatten Sie mir aus der all- gemeinen Begründung Folgendes mitzutheilen und zugleich darauf hin zuweisen, daß unter den Anlagen 1 bis ŸV zu dieser Vorlage \peziele Nachweisungen darüber gegeben sind, welches Areal jet {on als Ansiedelungs- bezw. als Rentengut ausgetheilt i, und wie groß der Umfang desjenigen - Areals ist, welches für die Bildung vot Renten- wie von Ansiedelungsgütern bei den in Frage kommenden In

zen bereits angemeldet ist. Es würde zu weit führen, wollte i f die Zahlen, die Ihnen gedruckt vorlizgen, hier speziell eingehen ; aher Folgendes gestatten Sie mir do hier besonders hervorzuheben: „Nachdem die etste Rentengutsrente am 1. Juli 1892 auf die Rentenbank übernommen war, sind bis zum 31. Dezember 1894, also während ciner nur 2s¿ jährigen Wirksamkeit des Rentenguts- geseßes vom 7. Juli 1891, 3784 Nentengüter zur Größe von 40 208 ha und mit cinem Tarwerth von 32 616 555 46 endgültig, d. h. unter Uebernahme der Rentengutsgründung in das Kataster und in das Grundbu, fowie unter Uebernahme der Rente auf die Rentenbank, gebildet und den Rentengutsver äußeren Rentenbriefe zum Gesammtbetrage von 23 064758 4 gegeben worden.“

Welches Areal für die Rentengutsbildung j-t noch in Aussicht steht, soweit es jeßt {on angemeldet ist, ergeben die Nachweisungen, die ih eben erwäßnte.

Es siad von der Ansiedelungskommission bis zum 1. Januar

18959 34 Bauernhöfe und 130 Güter mit 81638 ha für 49 556 447 A angekauft. Davon sind 1606 Ansiedlerstellen zur Größe von 28168 hä, für die an enten 190 000 4, an Pacht 85 000 6, zusammen 275 000 4 jährlich zu zahlen sind, bereits ver- eben. N Sie sehen also, meine Herren: wird dieses Geseh die Einführung des zwangêweifen Erbrechts bringen, fo ist das Substrat, für welches das Geseß sofort in Kraft tritt, {hon jt ein außerordentlih umfang- reiches, und man kann nit Sicherheit voraussehen, das dieses Substrat in den nächsten Jahren gewaltig wachsen roird.

Dann, meine Herren, will ich noch folgenden Gesichtspunkt hervor- heben: Will man mit der Einführung dieses zwangsweisen Erbrechts beginnen, fo sind zweifellos gerade diese Besißungen die geeignetste Unterlage, um mit ciner solchen Gescßgebung vorzugehen. Einmal sind es Neubildungen, deren Erhaltung wenigstens nah der Auffassung der Staatsregierung geboten if, wenn man in dem Rahmen der erlassenen Gesehe weiter vorgehen will. Aber, meine Herren, sowohl die Ansiedler, wie die Rentengutênehmer gehören allen Volksftämmen des deutschen Vaterlandes, besonders der preußishen Monarchie an. Es sind also gleihe Nehtsanshauungen über das Erbreht naturgemäß bei den Rentengutsnehmern und Ansiedlern kiht vorhanden, weil sie aus allen Theilen Deutschlands stammen, und weil feststeht, daß die Rechtsanshauungen über das Erbreht bei dem niedersähsi\chen Volkéstamm, bei den Westfalen, bei den Rheinländern, bei den fränkischen, bei den slavishen Volks- stäâmmen außerordentlih verschieden sind. Wollte man für den ge- sammten landwirthshaftlih benußten Grundbesiß ein gleiches Erbrecht einführen, so würde man iu der Verschiedenartigkeit der Rehtsanshauungen der Bevölkerung einem vielleicht unüberwindlihen Widerstand begegnen. Hier, meine Herren, begegnen wir Bevölkerungékreisen aus allen Theilen Deutschlands mit sehr ungleihen Rechteanshauungen über das Erbrecht, welches für diese neuen Besißungen gelten soll. Ein folhes gleihes Rech tsbewußtscin soll hier erst gebildet werden, was gelingen dürfte, weil die Meuschen, die sich dort niedergelassen haben , allen verschiedenen Gattungen der Be- völkerung angehören. Meine Herren, ich habe meine In- struktionsreisen, die ih nah den öftlihen Provinzen machte, und die sh wesentli mit den Ansiedelungs- und mit den Nentengutéverhältnissen befaßt haben, auch deshalb, weil so außerordentlich viele Klagen im Land- tage über tiese Thätigkeit der Staatsregierung erhoben sind, benußt, um, soweit das mögli ist, mich über die Nechtsanshauungen der Rénten- gutsnehmer und Ansiedler zu unterrihten, und ich kann versichern- daß, wo ih auch angefragt habe, bei den Besitzern die Anschauung eine allgemeine war, daß sie dieses mit ihrem Schweiß begründete neue Besißthum als Familienbesißthum erhalten und dasselbe wo- möôglich auf Einen vererben wollen. Meine Herren , das sind die Gründe, aus denen die Regierung geglaubt hat, bei diesen Be- sigungen zuerst vorgehen zu follen.

Meine Herren, zum Schluß will ih noch auf Folgendes hin- weisen :

Wir ftehen wahrscheinlih am Vorabend der Aufhebung unseres sehr vershiedenartigen Privatrechts in Preußen; mit großer Wahr- sheinlihkeit ift anzunehmen, daß der diesmalige Reichstag dem Deutschen Reich ein gemeinsames Recht bringen wird. Einstweilen ist in Ausfiht genommen, den Partikulargeseßgebungen die Möglichkeit zu belassen, rücksichtlich verschiedener Agrarfragen auf dem Wege der Undesgcsegebung vorzugehen. Wenn die Herren zu wissen wünschen, wie die Ordnung dieser Verhältnisse in Aussicht steht, so bin ih bereit, entweder bier im Hause- oder auch in der Kommission über das- jenige, was seitens der Neihs- und Staatsregierung nach dieser Nichtung hin in Ausficht genommen ist, eingehend Mittbei- lung zu machen. Was nach dieser Richtung aus den Beschlüssen des Reichstags und der RNReichêregierung hervorgehen wird, meine Herren, das steht noch nicht fest. Augenblicklich ist rücksichtlich dieses Geseßes die Landesgeseßzgebung zweifellos noch zuständig, ohne einen Eingriff in die Reichsgesezgebung zu machen. Ob das übers Jahr noch der Fall ist, ist zweifelhaft.

Das sind im wesentlichen die Gesichtspunkte, die ih geglaubt habe hier hervorheben zu sollen; daß ich spezieller in die einzelnen Be- stimmungen der Vorlage eintrete, halte ih um deswillen für überflüssig, weil die Geseßesbestimmungen autführlich begründet sind und weil, wie ih annehme, hier nur eine allgemeine Besprehung, nit ein Eintreten hon in Bespre{ung von Spezialbestimmungen stattfinden soll. Sollte es nothwendig sein, im Laufe der Generaldiskussion auch in Spezialbestimmungen einzugreifen, so bin ih auch dazu bereit.

Ich schließe, meine Herren, mit dem Wunsch und der Bitte, daß diese, wie ih glaube, äußerst \{chwierige und howichtige Vorlage ob- jektive Würdigung und Prüfung finden möge. (Bravo !) Graf Udo zu Stolberg: Die öftlihen Landestheile leiden an änem Menschenmangel, deshalb ist die Vorlage mit Freuden zu be- grüßen. Die Bildung von Kol nien is wünschenswerth, aber es müssen auch Garantien für ihre Erhaltung geschaffen werden.

üfe maa dadur bloß ein ländliches Proletariat, so läßt man

die Sache lieber ganz Mir geht die Vorlage eigentli niht weit g, Die Rentengüter müssen vielmehr, wie ih im vorigen Jahre in einer Resolution autspra, den Charakter kleiner Fideikommisse erhalten, eine besondere Kommission aus Staatsbeamten und Laien müßte als Beirath des Ober-Präsidenten das ganze Rentenguts- wesen überwachen. Immerbin maht die Vorlage cinen großen Fortschritt. atme bin ih damit einverstanden, daß die Anerben- eigenschaft des Gutes nicht vom Belieben des Besißers abhängen, sondern zwangsweise begründet werden soll. Wünschenswerth wäre

è Fefiseßpung einer Beleihungsgrenze, um eine Ueberschuldung Wu vermeiden. Die Negelung unseres Agrarrechts müssen wir uns

troß des Bürgerlichen Geseßbuchs vorbehalten. Ich beantrage die L Vorlage an eine Kommission.

Ober-Bürgermeister Struckmann: Mit dem Ziele der Vor- lage, diè Renten- und Ansiedelungsgüter innerhalb derseiben Familie zu erhalten, bin ih im Großen und Ganzen einverstanden. Jn meiner Heimathéprovinz Hannover is sch{on in großem Umfang vom Anerbenrecht freiwillig Gebrau gemacht worden, es sind dort {on 66 000 Güter in die Höferolle eingetragen worden. Aehnlich ist es in Westfalen. Aber tie Beschränkang des Besitzers durch das Anerbenrecht darf nicht so weit gehen, daß die Besißer davon zurückyeshreckt werden. Diese Beschränkung muß genau begrenzt werden, damit die Leute nicht davon abstehen, Rentengüter zu übernehmen. Betenklih is mir, daß das Anerbenrecht nicht nur für künftig zu bildende Rentengüter, soudern auch {hon für vorhandene gelten foll ; denn dadur könnten manche Erwartungen der jeßigen Rentengutsbesißer getäuscht werden. Daß die General- kommisfion allein die entscheidende Instanz sein soll für die Angelegen- heiten, ist nit genügend auch die Generalfommission kann einen

chler machen, und deéhalb muß eine Berufung an eine weitere

nstanz ermögliht werden. Daß für die Bevorzugung des Anerben der Ertrag8werth des Gutes zu Grunde gelegt wird, ist rihtig ; aber die Abfindung der Abfindlinge niht durch Kapital, sondern dur eine Nente scheint mir eine gkoße Härte für dieselben zu sein. Besonders den Töchtern wird das Heirathen erschwert, wenn fie nur eine Rente mitbringen. Allerdings fönnen diese Nenten dur die Rentenbank abgelöst werden, aber die Möglichkeit der Rentenbank, Rentenbriefe auszugeben, wird einmal ershöpft sein, und dann können sich die Abfind- linge fein Kapital mehr beschaffen. Ebenso bedenklih is die Möglich- keit einer Tilgung der Renten dur einen kleinen jährlihen Zuschlag. Was thut der Rentenempfänger mit diesem kleinen Zuschlag? Und nah 30 Jahren ist die Rente getilgt, und dann hat er gar nichts mehr. Die Vorlage beschränkt die freie Verfügung über das Renten- gut allzusehr. Die gänzlihe Veräußerung des Gutes hängt lediglich von der Genehmigung der Genecralfommission ab, die vielleiht so streng vorgeht, daß die Bestimmungen der Vorlage hierüber fast einem gänzlichen Berbot der Veräußerung gleihkommen. Durch die Beschränkung ter Hypothekenfreiheit sollen die Leute gewaltsam zur Sparsamkeit gezwungen werden. Es ist mir sehr fraglih, -ob man dieses Ziel indirekt dur dieses Gese erreichen kann ; die Leute werden dann etnfah zum Wucherer gehen und Wechselshulden machen. . Bei der Löschung der Anerbeneigenshaft hat auch die Generalkommission einen zu_ großen Einfluß. Ich bitte die Kommission, die Vorlage in diesem Sinne scharf zu prüfen.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Jh glaube im Sinne des hohen Hauses zu handeln, wenn ih nicht zu sehr auf alle Einzelheiten, die der Herr Vorredner vorgetragen hat, erwidere, sondern mehr auf die generellen Gesichtspunkte, die dabei in Frage kommen und zu den Konsequenzen führen, die hier in dem Geseß vorhanden sind, eingehe.

Eine der entscheidendsten Fragen ist allerdings die Frage : wie ist die Erbschaft bei einem Anerbengut zu regeln zwishen dem Anerben und den es ist ein ganz guter Ausdruck, den der Herr Vorredner gefunden hat den Abfindlingen. Es hat der Herr Ober-Bürger- meister Struckmann Sorge, daß die Abfindlinge zu kurz kämen. Ich will mal erft bei diesem speziellen Gesichtspunkte stehen bleiben. Was lehrt uns nun die Geschihte des Grund und Bodens in dieser Beziehung? Das gerade Gegentheil! Sie lehrt eine durgehende Uebershäßung des Grund und Bodens bei der Erhb- theilung; sie lehrt eine natürlihe Neigung, unterstüßt namentlih von den Müttern, die Kinder möglichst gleich zu behandeln, ohne Rücksicht auf das Schicksal desjenigen, der das Gut übernimmt. Dies Gesetz hat gerade diesen Zweck, die alte Sitte, wo sie noch stark genug ist, und die in den wirthschaftlichen Verhältnissen allerdings noch einen Boven hat, zu befestigen und zu stärken, indem man hier der sozialen, staatlihen und wirthschaftlichen Aufgabe, die zu erfüllen ist, eine festere geseßlihe Grundlage giebt und wenigstens so viel thut, die auf diese Verhältnisse nicht passenden bestehenden Geseße, aus der römischen Rechtsanschauung hergekommen, nun wieder zu beseitigen und deutsh- rechtlihe Zustände und Nechtsanshauungen endlich wieder zur Gel- tung zu bringen. Ich möchte der Kommission rathen,- in dieser Be- ziehung nicht zu ängstlih zu sein; auch wäre dies nicht richtig für den, der die Verhältnisse des thatsählihen Lebens kennt und vergleiht die Ergebnisse des wenn ich den allgemeinen Aus- druck gebrauchen darf deutschen Erbrechts mit dem Erbreht des römischen Nechts, wie es niht die natürlihe Entwicklung, sondern der rômische Judex, der 400 Jahre regiert hat in diesen Ländern, in dem Lande von Düsseldorf bis nah Regensburg .….., wo die Natural- Erbtheilung ncch gilt, eingeführt hat. Nach meiner Erfahrung ist da, wo das Anerbenreht konsequent aufrecht erhalten is dur die Sitten, wo eine geringe Abfindung an die Abfindlinge gegeben wird, wo der Anerbe bedeutend bevorzugt wird, die Lage der Abfindlinge doch nicht so hlecht: fie haben einen fehr wesentlihen Halt dauernd an dem Hof, der in den Anschauungen der Leute mehr oder weniger noh als alter Familienbesiy gilt. (Sehr rihtig) Die geringe Verschuldung der Höfe, die \sich aus diesem System ergiebt, macht dem Besißer von vornherein oft Ersparungen baaren Kapitals möglich, sodaß ohne Verschuldung des Guts freiwillig unter Lebenden oder auch von Todeswegen aus den ersparten Kapitalien den Abfindlingen weit mehr gegeben werden kann, wie sie hätten bekommen können, wenn der Hof hoh verschuldet ist. (Sehr richtig!) Meine Herren, dies System der höheren Abfindung if ein Griff zu Gunsten der ersten Generation und zu Ungunsten aller weiteren Generationen (sehr richtig !), eine Privilegierung der ersten Generation. Wenn ih mir ein \{huldenfreies Gut denke, das erste Mal können hohe Abfindungen gegeben, da können Hypotheken aufgenommen werden. Das zweite Mal liegen die Hypotheken meist noch ganz unberührt auf dem Gut; da ist das Ergebniß son ein viel {chwächeres, und es wird immer s{chwächer werden, bis hinterher kaum noch etwas übrig bleibt. Wer aber den Grundbesiß ansieht als die dauernde Grund- lage des ganzen Staatslebens (Beifall), wer hier diese reine An- \hauung des rômishen Rechts, der Parzellen-Souveränetät (Beifall und fehr gut !), daß man mit seiner Waare machen kann, was man will, niht anerkennt, sondern höhere Interessen auch einwirken läßt, der muß von Staatswegen dafür sorgen, daß nicht zu Gunsten der ersten Generation die ganze Nachkommenschaft und der Staat selbst benachtheiligt wird, und daß wir nicht einen gänzli leistungsunfähigen Grundbesiß bekommen. (Lebhaftes Bravo!)

Meine Herren, in den Ländern der freien Theilbarkeit ist allerdings eine entgegengeseßte Sitte und Anschauung fo eingewurzelt, daß ih der Meinung bin: ‘da wird nicht viel mehr zu ändern sein; man kann da später das Anerbenrecht fakultativ einführen, es wird aber keine große Bedeutung haben. Das liegt nit bloß in einer tausendjährigen Geschichte und in den daraus er- wachsenen Rechtsanschauungen, festen Sitten und Gewohnheiten das liegt dort an den flimatishen und wirthschaftlichen Verhältnissen. Am Rhein, wo man Gartenkultur oder Weinkultur in einer herr-

lichen Gegend mit im Ganzen günstigen Bodenverhältnissen und bei einem weit günstigeren Klima treibt, als in einem großen Theil des Nordens, da ist die Möglichkeit gegeben, daß der bloße Besiß von eixigen wenigen Morgen eine Familie einigermaßen ernähren kann, da wird allerdings nah meiner Meinung ein untheilbarer Hof, selbst wenn die Geseße den Hof für untheilbar erklären wollten, doch auf die Dauer in einer beliebigen, vom Geseß voraus- zusehenden Größe, nicht erhalten werden. - Ganz anders aber liegen die Dinge in einem großen Theil unserer Monarchie. Da is es umgekehrt, meine Herren. Ich glaube, Sie werden mir als Kenner der Landwirthschaft Net geben, daß da die Untheilbarkeit eines folchen Hofes, das Uebergehen des Hofes als Gesammtheit auf die Kinder meistens eine wirthshaftliGe Nothwendigkeit und wirth- schaftlich rationell ist; denn die Größe dieser Grunbstückde fteht in bestimmtem Verkbältniß zu den Gebäuden. Wenn ih Gebäude besitze, die auéreihend sind, 30, 40 Morgen zu bewirthschaften, ift es irrationell, davon 20 Morgen wegzugeben, dort neue Gebäude aufzu- kauen; auf der einen Seite babe ih eine verhältnißmäßig zu große Gebäudelast, und auf der anderen Seite bekomme ih noch eine neue Gebäudelast; da thut das Geseg nihts Unnatürlich-es, wenn es davon au?®geht, daß cin folher Hof in seiner Gesammt- beit erhalten werden foll. Da fann man annehmen, daß dies dem rationellen Willen der Besißer entspriht und das lehrt die Erfahrung. Nun ergeben sich aus einer solchen Anschauung natur- gemäß gewisse Beschränkungen des einzelnen jeweiligen Eigenthümers. Wir sind überhaupt in einer solhen Anschauungs-Periode diese Ansicht ift mir oft vorgeworfen, aber ih bleibe dabei stehen aus der reinen Gebundenheit sind wir gekommen mit einem großen Sprung in das Prinzip der abfoluten Freiheit (sehr rihtig!), jeßt aber haben wir unsere Erfahrungen gemacht über die Wirkungen dieser absoluten Freiheit, und wir sind jeßt auf fast allen Gebieten des Grundbesitzes, auch auf dem Gebiet von Arbeit und Kapital in der Periode der Re- vision. Wir fragen uns: wie weit müssen wir beschränken ? Kann das fo weiter gehen? Nun sehen wir diese kolossale, rapide Verschuldung des Grundbesißes man braucht die Statistik nur zur Hand zu nehmen —, und wir wissen, daß das verkehrte Erbrehtssystem im Großen und Ganzen eine der wesentlihsten Ursachen dieser gewaltigen Verschuldung ist. (Zustimmung.)

Meine Herren, das ist nicht bloß bei den Bauern der Fall, sondern leider in größerem Maße meiner Meinung nah bei den Gütern, die nit fideikommissarish festgelegt sind. (Sehr richtig!) Und wenn wir weiter gehen und fragen, ob man nit dieses Spezial- geseß für die Rentengüter niveal ausdehnen kann auf andere Grund- besißungen, so wird man an den Gütern nah meiner Ueberzeugung in keiner Weise vorübergehen können. (Bravo!)

Meine Herren, ih habe vorhin gesagt, der Werth des Grund und Bodens wird gar zu leiht überschäßt. Wenn das im allgemeinen wahr ist, so findet man regelmäßig diese Thatsache bestätigt, vor allem bei einer Erbtheilung; da wird einfa gefragt fo sehr sind unsere rômisch-rechtlichen Anshauungen eingewurzelt —, welchen Werth hat das Bauerngut, und dabei denkt Jeder daran: zu welhem Betrag kann man es verkaufen. Während hier die Gesetze, die über die Ver- erbung entscheiden, gerade bewirken follen, daß das Gut nicht verkauft wird, sondern in der Hand der Familie verbleibt, wird bei der Schäßung unwillkürlichß von den Tarxatoren gefragt : was kann mai wohl für das Gut bekommen? und dann rechnet sich jeder Mit- erbe aus: folglich bekomme ich so und so viel. Aber die Abfindlinge, für die Herr Struckmann fo sehr besorgt ist, erwägen nicht, daß der Werth des Guts abhängt von der Bearbeitung desfelben, und daß der Gutsbesiger das ganze Leben hindurh auf dem Gut arbeiten muß, während sie mit ihrer Abfindung an Kapital von dannen gehen und andere Geschäfte betreiben können. Sie ziehen nit das Risiko in Erwägung, welches der Gutsübernehmer bei der Ueber- nahme des Guts übernimmt, und welches Risiko heute auf einen Gutsbesiß mit einem landwirthschaftlihen Betrieb haftet, brauche ih den Herren nicht weiter auseinanderzuseßzen. Jh bin daher nach meinen Erfahrungen viel weniger besorgt, daß die Abfindlinge zu wenig, als daß sie noch immer, troy dieses Geseßzes, unb da die freie Verfügung des Eigenthümers bleibt, unter Lebenden und von Todeswegen zu gut wegkommen. Im ein- zelnen kann man natürlich die Bemerkungen, die Herr Ober- Bürgermeister Struckmann gemacht hat, eingehend prüfen. Ich hoffe aber, daß die Kommission sih niht zu ängstlih nah dieser Richtung hin zeigt. Wenn man den Zweck will, muß. man auth die Mittel wollen.

Nun, meine Herren, haken wir in diesem Geseß und das if es vorzugsweise, weshalb ih hier das Wort ergreife einen großen Schritt gethan, vom Standpunkt der Staatsfinanzen aus angesehen. Wir erklären uns hier bereit, die Abfindungsfummen bis zu dem Werth von drei Vierteln des ganzen Gutes in Kapital zu verwandeln mit staatlicher Garantie. Herr Struckmann hat das als etwas Ge- ringes angesehen, ein Gut bis zu drei Vierteln des ge- häßten Werths zu beleihen und \taatlih die Garantie dafür zu übernehmen. Es ist das aber ein sehr weitgehendes Entgegenkommen für den hier verfolgten Zweck. Ich bin allerdings der Meinung, daß dies Entgegenkommen finanziell nur gerechtfertigt werden könne dur die besondere Stellung des Staats zu den Renten- gütern. Denn unser Risiko, welches wir in diesen Rentengütern stecken haben, ift {on jeßt sehr groß. Wir haben ja den Leuten die Renten in Rentenbriefe verwandelt, haben also die Garantie über- nommen für die Verzinsung der Rentenbriefe, und wir sind im höchsten Grade interessiert auch von seiten der ftaatlihen Finanzen, daß die Renten dauernd bezahlt werden können, daß mit anderen Worten der NRentengutsnehmer dauernd leistungsfähig sei, das zu prästieren, was erx \huldig ist. Daher konnten wir hier einen Schritt weiter gehen und sagen: wenn das heutige Erbreht bestehen bleibt, so können wir den Zeitpunkt voraussehen, wo in vielen Fällen die Leistungsfähigkeit des Rentengutsbesißers so weit gesunken ist, daß er die Rente niht mehr bezahlen kann.

Ich will Jhnen dafür ein Beispiel aus dem Leben erzählen. Ih war im Kreise Kulm, sah da ein Ansiedlungsgut und fand dort auf einem Grundstück von, wenn ih niht irre, 80 ha mit guten Ge- bäuden, gutem Viehftand einen märkischen Bauern, einen sehr kräftigen energishen Mann. Der hatte hier sein kleines Gut verkauft undi war in den Kreis Kulm gezogen, um dort ein großer Bauer zu werden auf Rente. Der Mann sagte, es ginge ihm sehr gut. Darauf fagte ih: „Sie Haben aber vier Kinder. Wie wird die Geschichte werden, wenn Sie einmal sterben?" Dckæ