1896 / 23 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 25 Jan 1896 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 23. Sißung vom 24. Januar, 1 Uhr.

Ueber den Anfang der Sißung wurde in der gestrigen E R Fertieyut der zweiten Berath esordnung : ung weiten Berathung des Ra baua ts-Etats für 1896/97, und zwar des Spezial - Etats des Reichsamts des JFnnern. eim ersten Titel der Ausgaben, Gehalt des Staats-

Jekretärs, nimmt das Wort der Abg. Gamp (Rp.). Redner kommt auf die vom Reichs- Versicherungsamt beabsichtigten Normal-Unfallverhütungsvorschriften für die landwirthschaftlihen Berufsgenossensbaften zu sprechen. Dieselben seien ganz unpraktisch und ficherlih für die östlichen Pro- vinzen undur{chführbar. Bei jeder Maschine, an welcher mehr als zwei Arbeiter beschäftigt sind, führt der Redner aus, soll ein Auf- seher angestellt werden. Wieviel Aufseher foll man denn dann anstellen? Die Gutsbesißer sollen haften für Unfälle an den Maschinen; da wäre es do besser, wenn glei die Fabrikanten von Hâäckselmaschinen 2c. angehalten würden, die Maschinen mit Schußz- vorrihtungen zu versehen. Am tiefsten einshneidend sind die Be- immungen über das Halten von Fuhrwerk und Wagen. Es foll eine Bremse eingeführt werden; aber wie foll diese denn benußt werden, wenn die Wagen vom Pferde aus gefahren werden? Da wäre die Bremse dem Wagenführer garniht zugänglih. Vom Wagen aus soll ein Fuhrwerk nur gefahren werden dürfen, wenn ein Kutschersit mit Rücken- und Seitenlehnen vorhanden i. Wie soll ein Wagen zum Getreide- und Heueinfahren und zum Dung- ausfahren einen solhen Kutschersiß haben! Auh die Vorschriften über die Beleuchtung der Wagen sind in ihrer Allgemeinheit nicht durhführbar. Als Kutscher sollen nur Perfonen über 15 Jahre ver- wendet werden. Auf dem Lande wachsen die Kinder mit den Pferden auf und lernen mit ihnen umgehen. Warum _foll ein Junge von 14 Jahren nit ebenso vorsichtig sein, wie ein fünfzehnjähriger ? Daß die Sensen auf dem Wege zu und von der Arbeit umwickelt ge- tragen werden müssen, ist auch nicht durchführbar. Die Unfälle sfieren meist auf dem Felde bei der Arbeit, niht auf dem Wege. ken, Bodenöffnungen, Wassertonnen u. st. w. sollen mit einem Gitter von 1 m Höhe tiigeben werden. Ein solches Gitter würde die Dorf- jungen eher noch mehr reizen, daran herumzuturnen, und es werden ch die Unfälle mehren. Zechgelage bei der Arbeit sollen verboten Ma. bei den verschiedenen Steigungen der Wege ‘sollen die Räder an einem bestimmten Theile gebremst sein, je_ nah der Steigung. Da müßte ja immer erst ein Feldmesser „die Steigung feststellen. Diese Blüthenlese ahe daß die Vorschriften durhaus unpraktisch sind.

Troßdem Sachverständige sich dagegen ausgesprochen haben, will das Meichs - ersicherungsamt diese Vorschriften doch erlassen. In der Begründung heißt es, daß die zahlreihen Unfälle viel Elend und Unglück darstellen. Darnach könnte es den Arbeitern ersheinen, als wenn die Berufsgenossenschasten die Vorschriften nur aus böôsem Willen niht annehmen wollen. Die Unfälle pasfieren meist in der Trunkenheit; dieser sollte man shärfer entgegentreten. Statt der Vorschriften über die Behandlung der Thiere zur Ver- hütung der Thierquälerei sollte man lieber, wie es jeßt {hon ge- \{ieht, die kleinen Kalender des Thiershußvereins vertheilen; das hilft mehr zur Verhinderung der Thierquälerei als alles Andere. Wenn die Berufsgeno enf{aft Unfallverhütungsvorschriften erläßt, dann sollte den Polizeibehörden davon Mittheilung gemacht werden. In dem Geseßentwurf über die Unfallversicherung, der bevorsteht, sollte eine Bestimmung aufgenommen werden, daß die Verantwort- lichkeit von dem Unternehmer auf die Stellvertreter und Betriebs- [eiter übertragen werden kann. In Bezug auf die Unfallverhütungs-

vorschriften für die Landwirthschaft wäre zu wünschen, daß die Landwirthschaft niht zum Versuchsobjekt für bureaukratische Experi- mente gemacht wird.

Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. von

Boetticher:

Meine Herren! Von der Vorausseßung aus, von der der Herr Vorredner ausgeht, begreife ih ja feinen Unmuth. Aber diese Vor- ausseßung trifft meines Erachtens niht zu; denn die Bestim- mungen, an die er mit viel Humor und Geshick seine Kritik angelegt hat, sind garniht als Vorschriften eingeführt, sondern sie sind vielmehr nur ein Muster, das den landwirthschaft- lien Berufsgenossenschaften gegeben is als Unterlage für die Fest- ftellung der in ihrem Genossenshhaftsbezirk zur Durchführung zu bringenden Unfallverhütungsvorschriften. Die Klage, daß die Vor- \{hriften eingeführt seien, ist also niht berehtigt. Meine Herren, das Reichs-Versicherungsamt is garnicht in der Lage, Unfallverhütungs8- vorschriften zu erlassen, sondern der § 87 des landwirthschaftlihen Unfallversiherungsgeseßes schreibt vor, daß die Unfallverhütungs- vorschriften erlassen werden sollen von den landwirthschaftlichen Berufsgenossenshaften, und daß sie, bevor sie in Kraft treten, der Genehmigung des Reichs-Versichherungs8amts zu unterwerfen sind.

Nun, meine Herren, freue ih mi, daß der Herr Vorredner zu- gegeben hat, daß der Erlaß von Unfallverhütungsvorschristen auf dem Gebiete des Landwirthschaftsbetriebs ein sehr nüßliches Unternehmen ist, und daß er niht als prinzipieller Gegner des Erlasses von Unfallverhütungsvorschriften für den landwirthschaftlichen Betrieb aufgetreten ist. Jh gehe aber noch weiter und sage: von seiten des Neichs - Versiherungsamts war es sehr verdienstlih, darauf hinzuwirken, daß das Bestreben für den Landwirthschaftsbetrieb, Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen, in den einzelnen landwirth- schaftlichen Berufsgenossenschaften gefördert werde, und es war weiter ein sehr verdienstvolles Unternehmen des Reichs: Versiherungsamts, daß es sich bemühte, für diese Unfallverhütungsvorschriften, die innerhalb des Territoriums der einzelnen Berufsgenossenschaften erlassen werden können, gewisse Normative aufzustellen.

Meine Herren, der Vorwurf, daß das Reichs-Versichherungsamt in diesem Falle vom grünen Tisch gehandelt hätte, trifft wirklich nicht zu; denn nah den mir vorliegenden Akten ist das Neichs-Versicherungs- aint in der Frage so vorsichtig verfahren, wie es nur denkbar und mögli ift. Das Reichs-Versicherungsamt hat zunächst sämmtliche Bundesregierungen aufgefordert, ihm Mittheilung zu machen über diejenigen Polizeivorschriften, welhe in den einzelnen Landestheilen zur Verhütung von Unfällen beim Landwirthschaftsbetrieb bereits erlassen sind. Nachdem die Sammlung dieser Vorschriften aus dem ganzen Reih beim Neichs - Versiherungsamt ein- getroffen waren, ist das Reichs-Versiherungsamt dazu übergegangen, unter Zuziehung seiner technischen und sachverständigen Mitglieder einen Entwurf zu Normalvorschriften herzustellen. Dann aber ist dieser Entwourf berathen worden nicht bloß von Mitgliedern des Reichs-Versicherungsamts, sondern es sind zu der begutahtenden Be- rathung zugezogen worden Delegirte, welhe von den Vorständen der Iandwirthschaftlihen Berufsgenofsenschaften ad hoc aus dem ganzen Reiche entsendet sind; es sind Delegirte des Königlich preußischen landwirthshaftlihen Ministeriums zugezogen worden (hört! hört! rechts), und es fleht also außer Zweifel, daß, wenn diese Vorschriften der Kritik berehtigterweise ausgeseßt find, jedenfalls das Reichs-Verficherungsamt die Schuld daran nicht trägt.

Nun aber mache ih den Herrn Vorredner weiter darauf aufmerksam,

daß, weil die landwirthschaftlilen Berufsgenossenschaften ja allein in der Lage sind, die Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen, sie auch das Maß dessen zu bestimmen habe n, was sie an Unfallverhütungsvorrich- tungen den einzelnen Betrieben auferlegen wollen. Es ist ja garnicht nöthig, daß die Berufsgenofsenschaften sich verbotenus an das ihnen mit- getheilte Muster halten, sondern fie können nah Maßgabe der Bedürfnisse ihres Bezirks, nach Maßgabe der Anschauungen, die unter ihren Mitgliedern rüdsihtliÞ des durchführbaren Maßes von Unfallverhütungsbestim- mungen bestehen, abweihend von diesem lediglich ein Muster dar- stellenden Entwurfe, ihre Bestimmung treffen. Damit ist, glaube ih, der Gefahr vorgebeugt, daß überall im Reich den landwirthschaftlichen Betrieben eine Auflage gemaht werden wird, die sie niht ertragen können, und wenn diese Auflage innerhalb des Bezirks einer Berufs- genossenshaft gemacht wird, dann kommt der Saß zur Anwendung : volenti non fit injuria. Beschließt die Berufsgenofsenschaft, nah diesem Muster Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen, so ist das eben ein Ausfluß der Selbstverwaltung, der sich vielleiht in sehr unbequemer Richtung gegen einzelne Leute geltend macht, der aber niht dem NReichs-Ver- ficherungs8amt zur Last gelegt werden kann.

Nun aber wollte ih dazu noch etwas Weiteres sagen. Jch bin ja weit entfernt davon, die einzelnen Vorschriften, die der Herr Vor- redner behandelt hat, hier in Schuß nehmen zu wollen. Dazu fehlt mir auch das ausreichende landwirthschaftliche Verständniß; aber daß alles das, was er gesagt hat, so gar thöôöriht nicht ift, das ergiebt \sih doch aus folgender Betrahtung. Schon lange bevor das Reichs- Versicherungsamt dieses Muster herausgegeben hat, sind einzelne land- wirthschaftlite Berufsgenofsenshaften dazu übergegangen, Unfall- verhütungsvorschriften {für ihren Bezirk zu erlassen und in diesen Unfallverhütungsvorschriften, beispielsweise für die schwarzburg-sonders- hausenshe Berufsgenofsenschaft befindet sih eine Vorschrift wörtlich gleihlautend wie die von dem Herrn Vorredner bemängelte über den Schuß der Sensen und Sicheln. Ebenso finden sih die Vorschriften über die Anbringung von Brems- und Hemmvorrichtungen an Wagen, sowie über die Sicherung von Gruben, Wasserlö{ern 2c., beispiels- weise in den Unfallverhütungsvorschriften der Weimarischen land- wirthschaftlihen Berufsgenossenschaft. Weiter, meine Herren, sind nun {hon eine Reihe von Berufsgenossenshaften der Aufforderung des Reichs-Versicherungsamts, Unfallverhütungsvorschriften zu er- lafíen, gefolgt. Beispielsweise hat außer der \{chwarzburg - sonders- hausenshen Berufsgenossenshaft, die hamburgische, die ih ja nicht als landwirthschaftlihe Berufsgenossenschaft in den Vordergrund ftellen will, aber dann die landwirthschaftlihe Berufêgenossenschaft für Oberelsaß, die weimarishe, die anhaltische Berufsgenossenschaft baben alle schon, natürli} mutatis mutandis was ihnen an dem Muster nicht gefallen hat, haben sie fortgelassen, und was ihnen praktis erschienen ist, haben sie angenommen Unfallverhütungs- vorschriften erlassen. Außerdem is es im Werke, in der Königlich sächsischen, in der hessishen und in der reußischen landwirthschaftlichen Berufsgenossenschaft, der Anregung des Reichs - Versicherungsamts zu folgen.

Nun, meine Herren, bin ih folgender Meinung: Lassen Sie, indem Sie die Anregung des Reichs-Versicherungsamts billigen, die einzelnen landwirthschaftlichen Berufsgenofsenschaften selbst dasjenige herausfinden, was für ihre Bedürfnisse, für ihre Anshauungen und ihre Zwecke das Angemessenste erscheint. Kein Mensch stört sie darin. Es kann niemand darauf hinwirken, daß Vorschriften, die man inner- halb der Berufsgenofsenshaften niht will, erlassen werden. Es ist ein reiner Akt der Selbstverwaltung, und ih wiederhole: wenn hier das Reichs-Versicherungsamt die Anregung dazu gegeben hat, daß auf diesem Punkte etwoas geschieht, so hat es damit niht nur das Inter- esse der Berufsgenofsenschaften gefördert, sondern es hat au selbst eine sehr dankenswerthe That gethan.

Abg. Dr. Hitze (Zentr.): Es wundert mich, daß der Kollege Gamp es übersehen hat, daß es sich um einen Akt der Selbst- verwaltung der Genossenschaften handelt; es scheint fast, er befürchtet, daß die Berufsgenossenschaften anderer Meinung über die Frage sind als er selbst. Sh bedaure, daß in dieser Weise in die Entscheidung der Genossenschaften eingegriffen wird, daß durch eine solhe Kritik die Berufsgenossenschaften beeinflußt werden.

Abg. Gamp: Ich muß es meiner Entscheidung vorbehalten, was ih hier vorbringen will; ih weiß, daß in dieser Beziehung die Landwirthschaft hinter mir steht; ih muß eine solche JInsinuation entschieden zurückweisen. Es handelt sih niht um Dinge, die noh berathen werden ; die sämmtlihen Vorstände haben diese Vorschriften zurüdckgewiesen, und troßdem werden sie ihnen wieder rom Neichs- Bersicherungs8amt vorgelegt. :

Abg. von Staudy (d.-kons.) wundert {ih ebenfalls, daß der Abg. Hie Widerspru erhoben hat. Die Berathungen seien abge- {lossen und die Betheiligten haben die Vorschriften abgelehnt. Man hâtte die einzelnen De zur Erörterung stellen können, aber man habe nicht ein Muster in die Welt imes sondern ein wahres Monstrum. Jch hoffe, so {ließt der Redner, daß die heutige Erörterung dafür sorgen wird, daß das Monstrum keinen Eindruck auf die Berufsgenossenshaften macht.

Abg. Dr. Hitze: Ich überlasse es Herrn Gamp, vorzubringen was er will; aber ih wahre mir auch das Recht, zu sagen, was ich [2 an emessen halte. Nach den ge des Herrn von Staudy st|st es fTlar, daß man die Berufsgenossenshaften nicht frei berathen lasen will, sondern von hier aus beeinflussen möchte.

Abg. Freiherr von Manteuffel (d.-kons.): Das ift doch ein Mißverständniß. Für Brandenburg is die Sache {on abgethan, wir sind davon vershont geblieben. Was mich besonders wundert, ist die Bezeichnung dieser Vorschriften als Normalvorschriften.

Abg. Dr. Hi ß e: Wenn auch die Provinz Brandenburg die Sache hon entschieden hat, so stehen doch andere Provinzen noch zurück, und diese müssen unbeeinflußt berathen.

Abg. Dr. Lingens (Zentr.): Das Institut der Fabrikinspektoren hat sich in erfreulicher Weise entwickelt; die Zahl der Aufsihhts- beamten hat sich vermehrt, und besonders erfreulich ist es, daß im Königreih Sachsen für gewisse Betriebe wetiblihe Inspektoren ernannt sind, Ein trübes Bild ist es, daß in Berlin und Charlottenburg \fih Mißstände in sittlißher Beziehung herausgestellt Eaben, die dur den „Vorwärts“ zum theil zuerst aufgedeckt sind. Es sind vielfach in Berlin noch nit getrennte Ankleide- und Wasch- räume für beide Geshlehter hergestellt; das liegt zum theil an den alten Gebäuden. Ich möchte hinweisen auf die gesundheits- \{chädlihen Einflüsse, welche in Ee bei gewissen kleinen Betrieben bestehen; es herrscht eine übergroße Arbeitszeit in den Bäckereien. Aus Kiel wird berichtet, daß der sittliche Lebenswandel der Arbeiterinnen nirgends s{chlechter i als in Kiel bei den Plätterinnen, die die längste Arbeitszeit haben.

Abg. Wurm (Soz.): Wenn der Abg. Gamp im Interesse der Großgrundbesißer sih gegen die Unfallverhütungsvorschriften wendet, so muß ich doch die Anklage erheben, daß aus den uns vor- liegenden Berichten abermals wieder hervorgeht, daß der Menschen- {uß ein ganz unzureihender ist. Es geschieht etwas mehr als früher, aber es ist doch nur ein verschwindender Prozentsaß dessen, was geschehen sollte. Jn Preußen haben wir durch die Einrichtung, daß die Fabrikinsp-ktoren zu gleicher Zeit die Kessel revidieren, den

Grfolg erzielt, daß die Fabrikinspektoren / ihrer Zeit auf die Kefsselrevisionen und nur 1/6 auf die i bcfinspcton verwenden. Man sollte hier [Mas wieder eine Trennung der Arbeiten vor- nehmen. Die anfangs 1894 vorhandenen Dampfkefsel erfordern 64 000 Revisionen, dafür sind 166 Beamte vorhanden, die zugleich. 500000 Be- triebe revidieren müssen. Die Beamten trifft kein Vorwurf, daß sie nicht mehr leisten können. Wir müßten eigentlihfür Preußen 1800 Beamte haben, dann würde etwas geleistet werden können. Die Verbindung von Kessel- und R ist unmöglich, denn die Kessel- revisionen können nur nah Ansage stattfinden, damit die Kessel kalt gelegt werden. Die Aufsichtsbeamten verlangen felbst, daß man ihnen die Kesselrevision abnimmt. Die Polizei steht diesen Beamten zur Seite. Aber wie steht es mit unserer herrlihen Polizei? Sie muß Alles machen: Bazillen fangen, Kessel revidieren, Margarine untersuchen. Die Berichte ergeben denn auch, daß die Polizei- behörden die Aufficht nur sehr mangelhaft wahrnehmen, namentlich in ländlichen Bezirken. ÎIn Elsaß-Lothringen sind die Zustände noch \{limmer geschildert als in Preußen. Die Fabrikaufsiht seitens der Ortspolizei läßt aber mehr und mehr nah. Der Nürnberger Magistrat hat die Polizeibea:nten angewiesen, sich bei Revisionen erst beim Unternehmer anzumelden, und hat troy des Widerspruchs der Regierung diesen Beschluß aufrecht erhalten. Das widerspricht völlig dem Gesey. Damit erfüllt man allerdings den Wunsch der- jenigen, welche die soziale Gesetzgebung einschränken wollen. In anderen Ländern geht man aber „vorwäris", so z. B. in England, wo die Zahl der Inspektoren vermehrt wird, wo praktische Arbeiter und auh Frauen in dieses Amt berufen werden. Die Fabrik- inspektion muß ausgedehnt werden auf die Werkstätten und die Heimarbeiter; der Handel und Verkehr muß ebenfalls beaufsichtigt werden; es a: eine Reichs-Zentralstelle geschaffen und NReichs- inspektoren angestellt werden, die selbst Anweisungen ertheilen können und sich nicht erst an die Polizei wenden müssen. Ferner müssen die Aufsichtsbeamten gewählt werden. Selbst bürgerliche Frauen- vereine haben sich für die weiblihe Fabrikinspcktion erklärt, aber der Handels-Minister verhielt sih bei den Verhandlungen über eine dahin gerichtete Eingabe im preußischen Abgeordnetenhause gänzlih ablehnend, weil das benußt werden würde, um sozlaldemofratisce Agitationen zu fördern; wann ist denn jemals gegen einen Fabrik-Aufsichtsbeamten von Sozialdemokraten gebeßt worden? Der Minister meinte au, eine Vermehrung des Ausfsichtspersonals würde den Arbeitgebern nicht sympathisch sein, weil der amtlihe Inspektor dem Fabrikanten Rathschläge geben kann. Aber die weiblihen Auffichtépersonen würden nur für die Arbeiter vorhanden sein; das ijt eine prächtige Sozialreform. Ebenso ablehnend hat man sich in den meisten anderen Einzelstaaten verhalten, troßdem der Zentral-Fabrikinspettor in England für die weiblihen Inspektionen eintritt. Die Gemeinde- organe, welche die Aufficht mit ausüben, sind von dea Fabrikanten abhängig, sie fürhten natürlich Verdrießlichkeiten, wenn sie Revisionen vornehmen. Redner weist hierauf besonders auf die Berichte aus Elsaß-Lothringen hin, wo ein Bürgermeister sogar die Revisionen ganz verweigert habe, weil er befürhtete, in den Fabrifkanal geworfen zu werden, natürlich nicht von den Arbeitern. Liefe Stelle, fährtNedner fort, ist in den Neidhsberiht niht aufgenommen worden. Die Arbeiter bringen dem Aufsichtsbeamten Mittheilungen über Mißstände außer- halb der Fabrik, in der Fabrik geben sie vielfah falshe Antworten. Der Kapitalismus hat also fogar die Moral zerstört. Sehr viele Berichte weisen nach, daß die Arbeiter es schwer zu empfinden haben, wenn sie sih direkt an den Fabrikinspektor wenden. Der badische Aufsichtsbeamte Wörrishofer stellt dies auch feft und sagt, daß es niht Mangel an moralishem Muth i}, wenn die Arbeiter beim Fragen schweigen, sondern die Sorge für das liebe Brot. Gerade der badische Beamte that seine Schuldigkeit und wird deshalb von den Unternehmern angegriffen. Der Fabrikinspektor in Köslin hat es abgelehnt, eine Anzeige über Mißstände in einer Fabrik von Anderen als von Arbeitern derselben entgegenzunehmen. (Zuruf des Abg. Iskraut: S ehr rihtig!)) Durch diefen Zwischenruf ist der Standpunkt gerichtet. Die Arbeiter sollen selbst eine Anzeige veranlassen auf die Gefahr hin, ihre Stellung zu verlieren. Bei Arbeiterausständen sucht man die Fabrik- Aufsichts- beamten als Helfer zu benußen, um die Arbeiter zu unterdrücken. Die Arbeiteraus\hüsse haben auch keine Wirkäng gehabt; meistens, namentlich in den Staatswerkstätten, haben sie durch Theilnahme der Fabrikleiter an freier Bewegung verloren. Mit den Gewerkschafts- tartellen stehen die Fabrik-Aufsichtsbeamten wenig in Beziehung. Der Fabrikinspefktor Müller in Hannover hatte sich erdreiftet, zu behaupten, daß die Kartelle nur den Zweck haben, agitatorisch zu wirken. Da- gegen hat eine Protestversammlung stattgefunden, und die Arbeiter haben kein Vertrauen zu diesem Beamten, weil sih aktenmäßig hat feststellen lassen, daß er die Verhältnisse nicht kennt. Auf die Anfrage der Negierung, wie es mit der Nachtarbeit bestellt sei, antwortete er, dieselbe sei nur in den Zukerfabriken vorhanden ; dabei ist aber die Nachtarbeit vor den Thoren Hannovers, in der Dührener Woll- fabrik vorhanden. Wenn die Arbeiter folhe Berichte lesen, dann müssen sie das Vertrauen verlieren, Herr Müller hat behauptet, daß der „Volkswille" sehr viele unrihtige Thatsachen vorgebracht habe. Das ist aber niht wahr, denn sonst hätte man ein fozial- demotratishes Blatt nicht mit Anklagen verschont. r Müller hat au jetzt einen vollständig unrichtigen Bericht geliefert; er hat be- hauptet, daß ein Strike ausgebrohen sei wegen Lohnstreitigkeiten in- folge einer vorher stattgehabten Versammlung, während die Ver- sammlung ers 36 Stunden nah Ausbruch des Strikes aus Anlaß desselben stattgefunden hat. Die Behauptung, daß der Aus- stand erfolglos für die Arbeiter verlaufen sei, ift auch nicht richtig, denn ‘die Lohnforderungen sind den Arbeitern be- willigt worden. Da die Fabrikaufsiht von Staatswegen geübt wird, so herrschen die bösesten Zustände auch in Bezug auf die Ver- öffentlihung der Berichte; in einzelnen Staaten sind die Berichte aber wenigstens da, sie ersheinen zum theil als Beilagen von amt- lichen Zeitungen; in anderen Staaten aber wird der Bericht überhaupt nit veröffentliht, z. B. in Braunschweig. Unter allen Umständen müssen die Berichte allgemein zugänglih gemaht werden. Von Reichs- wegen werden nur Auszüge veröffentlicht; daß sie niht veröffentlicht sind, daß Manches übersehen ist, das liegt vielleicht, wie ih zur Ent- s{huldigung des Verfassers annehme, an einem Irrthum, nit an einer Absicht. Redner bespriht dann die Gefährlichkeit der Webeschiffchen, von denen einige auf den Tisch des Hauses niedergelegt sind, und fährt hierauf fort: In den Teppichfabriken in Gera werden ganz unzureihende Schutzmaßregeln, leichte Drahtgitter, um diese mit großer E dahinlaufenden E angewendet. Eine Verstärkung der Schuyßz- maßregeln haben die Polizeibehörde und die erufegenoenl al abgelebnt. Die Unfälle dur Verleßung mittels dieser Webe|chiffchen O sehr zahlreih. Aber jede Shußzvorrichtung verlangsamt, wenigstens ür die Uebergangszeit, die Arbeit; dadurch wird bet Tagelohn der Untecnehmer, bei Accordlohn der Arbeiter getroffen, weshalb auch die Leßteren manchmal Widerspru erheben. Da hört dann alles Christenthum auf, und es geschieht nihts. Hier wäre der Bundesrath berechtigt und verpflichtet, einzuschreiten. Die Bedürfniß- anstalten in den Fabriken widersprehen allen Grundsäßen der Sitte und Gesundheit; auch hier muß der Bundesrath energisch vor- gehen. Mit welcher Naschheit weiß man unsere Vereine zu packen und unsere Redakteure in Untersuhungshaft zu nehmen. Aber den Arbeitgebern gegenüber geht es viel langsamer. - Das Ar- beitershuygeseß ist unvollständig; denn es hat die Fabrikarbeit in die Hausindustrie getrieben, wo sie jeder Beaufsichtigung entzogen ift. Kinder und Frauen werden mehr als früher in der Haus- industrie beschästigt. Die Arbeitszeit der Frauen is geseß- lich beshränkt; aber durh “die kapitalistishe Hunger- peitshe zwingen die Fabrikanten die . Frauen, Hausarbeit mitzunehmen ; die Arbeiterinnen müssen dann die Kosten für die Beleuchtung und die größeren Räumlichkeiten selbst übernehmen. Es wäre die höchste Zeit gel einen Erlaß gegen die Haubindustrie zu mahen. Für andere Dinge hat man Zeit, aber dafür nit. Ueberall versuhen die Unternehmer \ich den Lasten der Sozialreform zu entziehen und die Gesetze zu umgehen, Was soll daraus werden ? Soll das Volk durch die Hausindustrie noch mehr verelenden und

verkommen? Wer für die heiligften Güter der Nation kämpfen will, der findet im Deutschen Reiche genug zu thun. Dem unlautersten Wettbewerb, dem um die Knochen des Arbeiters, is Thür und Thor weit geöffnet; verhindern Sie diesen unlauteren Wettbewerb, dann wird man in der arbeitenden Bevölkerung einsehen, daß ein Wille vorhanden ist. Aber die Arbeiterschaft hat eingesehen, daß ein solher Wille bei der Intecessenwirthshaft nicht vorhanden ift. Deshalb bleiben die Fabrikinspektorenberihte immer, was sie waren : eine Anklageschrift gegen das Unternehmerthum.

Staatssekretär, Staats-Minister Dr. von Boetticher:

Meine Herren! Jh bin außer Zweifel, daß, wenn das deutsche Volk das Urtheil über das Unternehmerthum und über das, was die Regierung und der Reichstag zu Nuß und Frommen des deutschen Arbeiters gethan haben, fprehen wird, das Urtheil kein so ungünstiges sein wird, als wie es der Herr Vorredner darstellt. (Sehr richtig! rechts. Widerspruch bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ih muß sagen, daß, wenn es dem Herrn Vor- redner darum zu thun gewesen ist, in objektiver und ruhiger Weise die Mißstände, die unleugbar auf dem Gebiete der gewerblichen Arbeit bet uns vorhanden sind, hier vorzuführen, so hätte er das ohne die Tiraden und ohne die Angriffe machen sollen, die er auf das deutsche Unternehmerthum und die Regierungen vorgebraht hat. Er würde damit einen besseren Effekt erzielt haben, als wie er ihn mit feiner Rede zunächst hier in diesem Hause und, wie ih hoffe, auch draußen erzielt hat. (Sehr wahr! rets.)

Meine Herren, was foll denn das heißen, solche Aeußerungen vorztubringen, wie z. B.: daß es das berechtigte Empfinden des arbeitenden Volkes fei, daß es von seiten der Regierung gar nihts zu hoffen habe? Was foll das heißen, wenn er sagt: wo es fih um das liebe Geld handelt, kommt nihts zu Gunsten der Arbeiter zu stande? wenn er weiter sagt, der Staat hat niht den gehörigen Willen, den Arbeiter zu {üßen? Nun, meine Herren, wir wissen uns vollständig frei von diesen Vorwürfen. Die Förderer der Arbeiterschuß-Geseßgebung im Bundes- rath sowohl wie im Reichstag haben sih den Vorwurf niht machen zu lassen, daß sie es unterlassen hätten, das Interesse der deutschen Arbeiter zu fördern. (Sehr richtig! rechts Widerspru bei den Sozialdemokraten.) Nun bringt der Herr Vorredner eine große Anzahl von Thatsahen vor, die in den Berichten der Fabrikinspektoren enthalten sind und die allerdings, wie das auch garnicht Wunder nehmen kann, dafür sprechen, daß in dem Ver- hältniß zwischen Arbeitgeber und Arbeiter, in dem Verhältniß zwischen Arbeiter und Behörde noch nicht alles so ist, wie es sein sol. Jch habe dagegen garnihts, obwohl ich dem Herrn Vorredner bemerklich machen will, daß dieser Weg, die Dinge hier im Reichstag vorzu- bringen, allerdings dazu führen kann, daß die Unzufriedenheit draußen gemehrt wird, daß er aber weniger dazu geeignet ist, denUebelständen Abhilfe zu schaffen, über die er si beklagt. (Sehr richtig! und Zuruf rechts.) Ob die Absiht darauf gerichtet ist, das lasse ih dahingestellt; ih lege auh einem fozialdemokratischen Abgeordneten keine Absicht unter, die er nicht ausgesprochen hat, ih kritisiere nur und \prehe mein Urtheil dahin aus, daß ich es nach langjährigen Erfahrungen, die ih an dieser Stelle gemacht habe, für viel wirksamer halte, die Behörden, die zur Abhilfe berufen sind, auf die Mißstände aufmerksam zu machen, als bier solche Reden zu halten, die wirklich weiter keinen Zweck haben als draußen Unzufriedenheit hervorzurufen. (Zuruf links Heiterkeit.)

Meine Herren, ih bin selbst sehr gern bereit, die Fabrikaufsichts- beamten-Berichte nah der Seite nußbar zu machen, daß ih die berechtigten Klagen, die darin enthalten sind, der Abhilfe entgegen- führe; wenn aber der Herr Vorredner hier im Reichstag eine ganze Reihe von Klagen vorbringt, deren Abhilfe nur innerhalb der einzelnen Bundesstaaten geschehen kann, so kann mir das absolut garnihts helfen; denn wenn ich auch die Regierungen dieser Bundesstaaten darauf aufmerksam machen wollte, so könnte mir ganz einfach erwidert werden: wir sind ja {on aufmerksam gemacht durch die Fabrikinspektoren-Berichte, dazu be- durfte es der Rede des Herrn Abg. Wurm nicht. Insbesondere gilt das von der Klage über die noch immer mangelhafte Ausgestaltung des Gewerbeaufsihtswesens in Preußen. Mein preußischer Kollege, der Herr Minister für Handel und Gewerbe if wvoll- ständig darüber unterrichtet, daß in dieser Beziehung © der Wunsch befteht, das Gewerbeaussichtsinstitut noch weiter aus- ¡ubilden und nach Maßgabe der finanziellen Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, wird er das auch thun. (Zuruf links.) Ich verstehe niht!

Die Frage, ob weiblihe Inspektionsbeamte angestellt werden sollen oder nit, ist eine bekanntlih sehr bestrittene. Der Königlich preußische Herr Handels-Minister steht auf dem Standpunkt, daß es niht nüßlih sei, weibliche Aufsichtsbeamte anzustellen. Wenn der Herr Vorredner also in dieser Beziehung eine Aenderung herbei- führen will, dann mag er sich dorthin wenden, wo diese Aenderung allein vorgenommen werden kann ; von RNeichswegen kann der Königlich preußische Minister niht genöthigt werden, weibliche Aufsichtöbeamte anzustellen, denn die Gewerbeordnung enthält. in dieser Beziehung keine Vorschriften.

Nun hat der Herr Vorredner mit viel Eifer und Fleiß aus den Inspektorenberihten alles zusammengeträgen, was über die mangel- hafte Durchführung der Gewerbeaufsiht darin enthalten ist. Er hat gesprochen über das mangelhafte Verhältniß zwishen Gewerbe- aufsichtsbeamten und Polizeibehörden, hat darüber geklagt, daß ein Gewerbeaufsichtsbeamter im Hauptamt Polizeibeamter sei, er hat geklagt über die Kombination der Kesselrevision mit dem Gewerbe- aufsichtsdienft und hat so eine ganze Reihe von Darstellungen gegeben, die alle darauf hinweisen, daß das höchst mangelhaft ist. Ich kann ihm in dieser Beziehung auh nit helfen, in vielen Beziehungen wenigstens nicht. Jch kann die Uebelstände, die vorliegen, niht beseitigen. Das ist eben Landessache, und wenn beispiels- weise es in Preußen für nüßlich befunden wird, die Kessel- rebision mit dem Aufsichtsdienst zu vereinigen, so hat der Königlich preußishe Herr Minister für Handel und Gewerbe dafür doch auch seine guten Gründe, und auch vom Standpunkt des Herrn Abg. Wurm, worauf ich aufmerksam machen möchte, würde es doch nicht als un- zulässig anzusehen sein, ja man könnte es sogar nüglih finden, wenn der Gewerbeaufsichtsbeamte, der seine Ankunft zum Zweck der Kessel- revifion angekündigt hat, nun also unter voller Vorbereitung des Fabrikbetriebes, des Fabrikleiters in die Fabrik ein- tritt. Jf diese vorherige Ankündigung dazu geeignet, den Fabrikleiter dazu zu bestimmen, daß er in der Fabrik einen fehlerfreien Zustand herstellt, so wird gerade dieses Vorgehen den Arbeiter au darauf

hinweisen, wie der Zuftand in der Fabrik, wenn er anders nach der Vorschrift der Geseze und der Arbeitsordnung eingerichtet werden soll, beschaffen sein kann und muß. Also auch dieses Vorgehen würde an sich fein tadelnswerthes sein. Aber, wie gesagt, ih gehe auf die Einzelheiten - der Klagen nicht ein ; ih will nur der hohen Versammlung nicht vorenthalten, daß, wenn der Herr Vorredner mit vielem Fleiß, wie ih {hon sagte, die Schattenseiten unseres Gewerbewesens dargestellt hat, er ebenso auf der anderen Seite niht berücksitigt hat die Lichtseiten, die sich ebenso aus der Zusammenstellung der Berichte ergeben. (Sehr wahr! rets.) Meine Herren, wenn er z. B. darüber ge- sprohen hat, daß das Verhältniß der Ortspolizeibehörden zu den Gewerbeaufsihtsbeamten ein ungünstiges sei, und daß die selbständige Revisionsthätigkeit der Ortspolizeibehörden nicht überall eine ausreihende und förderlihe sei, so ist darauf hinzuweisen, daß in dieser Berichtszusammensftellung, wie sie den Herren Abgeord- neten vorliegt, durhaus objektiv davon gesprochen ift, einmal rüdck- sihtlih des Verkehrs der Auffichtsbeamten mit den Ortspolizei- behörden, daß dieser Verkehr „fast ausnahmslos als ein leiter und erfreulicher geschildert werde, daß dem Ersuchen der Auf- sichtsbeamten durhweg mit Bereitwilligkeit entsprohen sei, und daß, wo eine Mitwirkung der Ortspolizeibehörden in Anspru genommen würde, stets ein ersprießlihes Zusammenwirken zur Durch- führung dec Arbeitershuß-Bestimmungen zu erzielen war“, daß also die Klagen über das mangelnde Entgegenkommen der Ortsp olizei- behörden gegenüber den Aufsihtsbeamten nicht begründet sind. Und was die selbständige Revisionsthätigkeit der Ortspolizeibehörden anlangt, so ist ausdrücklich hervorgehoben, daß sich aus einer Reihe von Berichten ergebe, daß die Revisionsthätigkeit der Ortspolizei- behörden eine sehr rege und gründliche sei. Auf der anderen Seite find auch die von dem Herrn Vorredner betonten Schaitenseiten auf Seite 27 nit vershweigen; es stehen dana den günstigen Aeuße- rungen zahlreiße Aeußerungen gegenüber, wonach sihch die Orts- polizeibehörden ihre Aufgaben auf dem Gebiete der Gewerbepolizei und Aufsichtsführung nit gewachsen gezeigt haben.

Des Fehlers, nicht ganz objektiv darzustellen, hat ch nun meiner Meinung nah der Herr Vorredner auch \{huldig gemacht rüdsihtlich der Beleuchtung der Verhältnisse, wie sie im Elsaß bestehen. Auch in dieser Beziehung lassen die Ausführungen des Berichts auf den seiten 34 und folgenden klar erkennen, daß die Schattenseiten, die noh hier und da in der elsässischen Industrie sich zeigen, keineswegs verschwiegen worden sind. Auch über das feindlihe Auftreten von Seiten der Arbeitgeber gegenüber den Gewerbeaufsihtsbeamten, bezüg- lich dessen der Herr Vorredner eine Angabe vermißt hat, ist auch auf Seite 37 eine Bemerkung enthalten, die gar teinen Zweifel darüber läßt, daß

4 in dieser Beziehung noch manches zu wünschen übrig bleibt, und das-

selbe ist auf Seite 38 rücksihtlich des Mißtrauens der Arbeiter gegen die Unternehmer geschehen.

Wenn alfo der Herr Vorredner der Meinung is, daß die Zu- sammenstellung nicht objektiv gehalten sei und kein vollständiges Bild gebe, so ist diese Auffassung nicht begründet. Das Eine muß zugegeben werden: nicht alles, was in den Spezialberihten enthalten ist, ift in den Generalberiht übernommen. Dazu is der Generalberiht au nicht bestimmt; der Generalberiht foll nur eine Uebersicht über den Inhalt der Spezialberihte geben und soll bei dieser Uebersiht die typishen Erscheinungen, die zu einem zutreffenden Urtheil über die Natur unseres Gewerbewesens befähigen, darlegen. Das thut aber im vollen Maße der Ihnen hier vorliegende Bericht, und wenn der Herr Vorredner in Beziehung auf die Gestaltung dieses Berichts etwa noch einzelne Wünsche hat, so möge er sie äußern. Den Wunsch können wir aber nit erfüllen, daß der ganze Inhalt der einzelnen Berichte in den Generalberiht übernommen werden möge. Die älteren Mitglieder des Reichstags erinnern sich, daß früher vielfah gestritten is über die Behandlung der Berichte der Aufsihtsbeamten. Wir haben geglaubt und haben dafür auch den Beifall der Majorität des Reichstags gehabt, daß es das Angemessenste sei, die einzelnen Berichte dem Reichstage vorzu- legen und daneben einen Gezeralberiht herzustellen, der sämmtlichen Mitglieder des hohen Hauses zugänglih gemacht wird.

Ich möchte also bitten, die Klagen des Herrn Vorredners nicht allzutief in fich aufzunehmen; sie sind, wie gesagt, unbegründet.

Der Herr Vorredner und in dieser Beziehung muß ich doch auch noch ein Wort sagen hat weiter eine {were Anklage gegen einen Gewerbe-NRath erhoben. Die Gewerbe-Räthe die, wie er versicherte, im allgemeinen seine Freunde find, mit denen er zufrieden ist, soweit sie ihre Pflicht thun, finden doch nicht durchweg seinen Beifall. Er hat den Gewerbe-Rath in Hannover bezihtigt, daß er einen falschen Bericht erstattet habe, und er hat geäußert, daß dieser Beamte, weil er einen falschen Bericht erstattet habe, bei den Arbeitern kein Ver- trauen mehr genieße. Nun bin ih, meine Herren, selbstverständlich außer stande namentlich ohne nähere Angaben —, in eine Prüf ung dieser Behauptung einzutreten und mich darüber auszulassen, ob sich der Gewerbe-Nath in der That einer falshen Berichterstattung \{chuldig gemacht hat. Aber wenn ihn auch dieser Vorwurf treffen sollte, weshalb wendet sich denn der Abg. Wurm nicht an die vorgeseßzte Behörde? Weshalb muß er denn hier im Reichstag den Fall zur Sprache bringen und einen vielleiht pflicht- treuen und tüchtigen. Beamten hier an den Pranger stellen, sodaß jedermann naher von ihm sagt: der Mann hat wissentlich etwas Falsches berihtet! (Sehr richtig! rechts.) Es kann nit zu Nuß und Frommen selbst der Bestrebungen dienen, welhe der Herr Abg. Wurm verfolgt, wenn hier ein Beamter bezihtigt wird, bevor man die demselben vorgeseßten Instanzen angerufen hat, die angerufen werden können, um eine Remedur, die sich etwa gegenüber der Amts- handlung eines Beamten erforderlich macht, herbeizuführen.

Nun, meine Herren, kann ih den Herrn Abg. Wurm verlassen .

und mich darauf beschränken, bezüglich der vershiedenartigen Publikation der Berichte in Aussicht zu stellen, daß ih auf ein übereinstimmendes Verfahren in dieser Beziehung hinwirken werde. Jch hoffe, das wird gelingen, möchte aber bemerken, daß das Interesse an der Lektüre der Berichte der Gewerbe-Aufsihtsbeamten doch nach- den bisherigen Erfahrungen kein übermäßiges ist. Unser Generalbericht beispielsweise wird, abgesehen von den Freiexemplaren, die. wir ausgeben, nur in einer so vershwindend kleinen Anzahl abgeseßt, daß der Verleger darüber klagt, daß er nit auf seine Koften komme. Jch hoffe, daß das mit der Zeit befser werden wird; vorläufig möchte ih aber davon abrathen, den Bericht noch dickleibiger zu machen, denn wir würden sonst noch weniger auf die Koften kommen.

Jnzwischen ist ein Antrag des Dr. Hiße ein- gegan en, welcher den Reichskanzler auffo rit fer die auf Grund des §8 120 d der Gewerbeordnung ergangenen An- ordnungen dem Reichstage eine Zusammenstellung vorzulegen.

Wöürttembergischer Regierungs-Direktor von Shicker: Der Abg. Wurm hat behauptet, daß die Dampfkesselrevi g getrennt t von der Fabrikaufsiht. - Das ift nicht richtig. Die Dampfkesselr wurde 1889 mit der Fabrikaufsiht verbunden, um die l der spektoren zu vermehren. Wenn eine Aenderung eingetreten ist, fo geht sie nur dahin, daß die innere Revision der Kessel niht von den

E L vollzogen wird, aus tehnishen Gründen, damit der Besuch nicht angekündigt zu werden braucht. Im übrigen aber hai sich die Anordnung vollständig bewährt, und es is mir nicht bekannt geworden, daß eine Aenderun gewünscht wird.

, Abg. Wurm (Soz.): Unzufriedenheit wollte ih allerdings erregen bei allen ehrlihen Sozialpolitikern, und ich wollte unseren Antrag 2uf Aenderung der Inspektion begründen. Wir sind dazu da, Miß- stände aufzudecken, nicht festzultellen, wenn Recht ge}hieht. Wo eine Verlotterung der Fabriken eintritt, hilft nur die Furcht, daß der Unternehmer vom abrikinspektor erwisht und auch vom Gericht bestraft wird, womit es allerdings manchmal hapert. Besonders die Zustände in Elsaß-Lothringen müßten hier eingehend besprohen werden, weil im dortigen Landesaus\chuß doch nicht darüber geiproqa wird. Ich habe über den Gewerbe-Rath Müller hier Mittheilungen gemacht, ih weiß, daß es hier doch nügen wird. Wir haben die Sache an die große Glocke gehängt und dem Gewerbe-Rath Müller Gelegenheit gegeben, mit allen Staatsmitteln einzuschreiten. Hätten wir unwahre Thatsachen behauptet, dann wäre es ein Leichtes gewesen, die Un- wahrheit nahzuweisen. Er hat geshwiegen und dadur bewiesen, daß wir Recht haben.

Staatssekretär, Staats-Minister Dr. von Boetticher:

Meine Herren! Jch will dem Herrn Vorredner nur erwidern, daß daraus, daß ein Beamter verleumderishe Artikel nicht dur die Presse berihtigt, noch keineswegs folgt, daß er den Thatbcstand, der in diesen verleumderishen Artikeln enthalten ift, zugiebt.

Abg. Iskraut (Reform-P.): Die Rede des Abg. Wurm war wohl mehr eine Agitations-, als, eine Parlamentsrede. An der ganzen bürgerlihen Gesellshaft gefällt Herrn Wurm nichts weiter als die Fabrikaufsicht ; er hat nur getadelt, daß ein Blatt einen Juden nicht als geeignet für die Fabrikaufsiht bezeichnet hat. Wir sind darüber anderer Ansicht, denn bei den Juden müssen wir sehr lange nach Schuß und Hilfe suchen. Die A sollte auf diesem Wege fortfahren und sich hüten, Juden als Fabrikinspektoren anzu- stellen. Die Sozialdemokratie übt Kritik, aber sle hat niht den Be- ruf zum Arbeitershußk. Mit einzelnen Fällen, die als Aus- nahme die Regel doch nur bestätigen, kann man nicht den Geist, der in der Fabrikaufsiht herrscht, beweisen. Die soziale Frage ift brennend geworden, der Gegensaß zwischen Arbeitern und Arbeitgebern muß ausgeglichen werden, \on|t kann die soziale Frage nit gelöst werden. Die Antwort des Kösliner . Fabrik- imjpektors an den sozialdemokratischen Agitator war vollständig berech- tigt. Die Interessen der Arbeiter und Arbeitgeber können nicht durch das Dazwischentreten sozialdemokratischer Abgeordneten versöhnt werden, denn dadurch würden die Interessengegensäße verstärkt werden. Es ift nits als ein Zeichen der Kälte und Ündankbarkeit, wenn die Sozialdemokraïien nicht anerkennen, daß auf diesem Gebiete der Fabrifkaufsiht etwas Erhebliches ge|hehen is. Die Sozialdemokratie ist blind zu sehen, was die Regierung gethan hat. Man mag auf einem fozialen Standpunkt stehen, auf welhem man will ih stehe auf einem anderen Standpunkt als die Regierung aber wenn die N gs vorgegangen ift, so hat sie Erhebliches gethan grade zum S N der Fabrikarbeiter. Indem ih diesen Gedanken in der Rede des Abg. Wurm nicht gefunden habe, kann ih sie nur als eine agita- torische bezeihnen. Nach Asien brauchen wir nit zu gehen, denn der Theil der Bevölkerung, welcher geeignet ist, uns die heiligften Güter zu nehmen, ist aus Asien shon zu uns Fran.

Abg. Reißhaus (Soz.): Die Fabrikinspektion is sehr mangel- haft. Im Meininger Landtag haben einige Fabrikanten erklärt, daß fie in ihrem Betriebe noch keinen Fabrik- ufsihtsbeamten gesehen hätten ; ein ähnlihes Urtheil fällte ein Delegirter zum Frankfurter Parteitag, und als Hersteller des Berichts über den Parteitag wurden zwei Schriftsteller wegen Beleidigung des Fabrikinspektors zu drei Monaten Gefängniß verurtheilt. Seitdem ist die Fabrikaufsiht auch nit besser geworden; der betreffende Beamte kennt nicht ein- mal die Verhältnisse seines Bezirks; er bestritt jeden Nothstand, während die sozialdemokratish organisierte Arbeiterschaft sich genöthigt sah, dur gefammelte Geldmittel Brot, Kartoffeln und Kohlen zu be- schaffen und zu vertheilen. Wenn die Arbeiter solche Unrichtigkeiten lesen, dann darf man sih niht wundern, daß die Unzufriedenheit unter ihnen wächst. Wenn diese Dinge auch vor die Einzel-Landtage gehören, fo nehme ih doch an, daß ein Druck vom Reiche aus nit ohne Wirkung sein wird.

Abg. Sh midt- Elberfeld (fr. Volksp.): Ich hatte bei der ersten Berathung des Geseßentwurfs, betreffend den Pa Wetibeccci darauf hingewiesen, daß die formalistishe Art der Rehtsprehung die S Und anders auslegt, als sie gemeint ist. Jn Bezug e die Kündigungss\risten der Werkmeister und Betriebébeamten in Tit. 7 enthielt der Gefeßentwurf die Bestimmung, daß als folhe Beamten diejenigen angesehen werden follten, welhe monatlihe Bezüge erhalten. Es wurde die Bestimmung dadur erseßt, daß die Werkmeister auch wöhentlihe Zahlung erhalten fönnten, aber sie müßten auf feste Befugnisse angewiesen sein. Die achte Kammer des Landgerichts Berlin hat in Widerspruch mit allen anderen Kammern ent- schieden, daß ein mit festem Gehalt angestellter Arbeiter, der aber wöchentlich seinen Lohn erhält, nicht als Werkmeister angesehen werden kann; die wöchentliche Lohnzahlung charakterisiere ihn als einen gewöhn- lichen Arbeiter. Der Mann war aber von den Geschäftsinhabern aus- drüdlih als Werkmeister anerkannt. Die Richter stehen dem prak- tishen Leben fern und urtheilen in Widerspru zu den Gesetzen und zu den praktishen Verhältnissen. Jch weiß niht, was gegen dieses Urtheil gesehen kann ; aber es muß etwas geschehen, um das, was u esevae e E ats aues L die En Personen, au r ur{zuführen. im Wege einer Novelle, das m ih der Weisheit der Regierung überlaffen m

Staatssekretär, Staats-Minister Dr. von Boetticher:

Ich kann mich ja auf eine Kritik des Einzelfalles nicht einlafsen, zumal es sich um eine rihterlihe Entscheidung handelt. Wenn aber diese Entscheidung in einem Sinne ergangen ist, der nach der Meinung des Herrn Vorredners nicht der Absicht des Gesetzes entspricht, fo möchte ih ihn damit beruhigen, daß es sich doch nur um eine einzelne Ent- scheidung handelt und daß daraus noch nicht mit Nothwendigkeit folgt, daß nun in anderen, ähnlihen Fällen von den Gerichten ebenso entshieden werden wird. Sollte das aber gleihwohl der Fall sein und sollte der Herr Vorredner mit seiner Meinung Recht haben, so wird man gewiß gern Gelegenheit nehmen, irgend eine Korrektur ein- treten zu laffen.

Abg. Schmidt-Elberfeld (fr. Volksp): lachen B deshalb bebt ia Ie Satte E Corte Pera Es if das zweite Mal, daß ich einen Fall vor a wo die Gerichte entgegen dem Willen der Gesetzgebung entschieden baben,

Staatssekretär, Staats-Minister Dr. von Boetticher:

Dagegen möchte ih nur anführen, daß die Richter in ihren Ent- scheidungen souverän sind ; dagegen ift nichts zu machen. Man kann nur, wenn sie Urtheile fällen, die der Absicht des Geseßes nicht entsprechen, im Wege der Gesetzgebung eine Korrektur eintreten lassen. Es handelt sich zwar um mehrere Fälle, aber doch um Entscheidungen eines und desselben Gerichtshofs. Es besteht also immer noch die Aussicht,