follen, plôglich das Schiff auf die Seite gegangen if, und daß es “_nicht möglih gewesen is, die Boote, welche auf der hochstehenden Seite des Schiffs sich befunden haben, überhaupt ins Wasser herab- zulassen. Es heißt hier:
In dieser verhältnißmäßig kurzen Zeit sind von den zehn an Bord befindlichen Booten, von denen die geraden Nummern an der Steuerbordseite, die ungeraden an der Backbordseite hingen, nah den Zeugenaussagen im Ganzen 7 Boote zum Auss{wivygen und Herunterfieren klar gewesen, und zwar an Balbordseite 1, 3, 5 und 7, an Steuerbordseite 4, 6 und 8. Bon diesen 7 Booten sind mit Bestimmtheit zu Wasser gekommen Boot 3, welches die ge- retteten Schiffbrühigen getragen hat, Boot 5, welches an dem einen Ende hängen geblieben und voll Wasser geschlagen is, und Boot 7, welches, wie später noch ausgeführt wird, später gekentert sein wird. /
Es ist dann weiter gesagt : ;
Aus dem Klarmachen der sieben Boote rechtfertigt sich jeden- falls der Schluß, daß die Offiziere und Mannschaften in an- erkennendster Weise ihre Schuldigkeit gethan haben, wenn man be- denkt, daß in eifiger Nacht, welche alles bei dem hohen Seegange überkommende Wasser hatte gefrieren lassen, und nah plößlihem Erlöschen der sämmtlichen elektrishen Lichter an Bord gearbeitet werden mußte.
Es if weiter von dem Herrn Vorredner der Vorwurf erhoben worden, daß nicht die nöthigen Signale ergangen find, um die Passagiere zu wecken. In der Entscheidung heißt es demgegenüber :
Ferner ift anzunehmen, daß auch die Passagiere sämmtlich ge- wedckt worden sind. Der Steward Kobe behauptet bestimmt, daß hinten Alles geweckt gewesen sei.
Der Herr Vorredner ist dazu übergegangen, eine Klage, die au sein Herr Kollege aus der sfozialdemokratishen Fraktion vorgebracht hat, zu wiederholen, die sich darauf bezieht, daß die Dampfer unserer großen Seebeförderungsgesellshaften niht ausreihend mit see- männisch ausgebildeten Mannschaften bemannt wären. Ich habe eine Uebersicht über die Bemannung der Schiffe der Hamburg-Amerika- nischen Paetfahrtgesellshaft niht vor mir. Es liegt mir aber hier eine Uebersicht vor über die Bemannung der größeren Dampfer des Norddeutschen Lloyd, und daraus ergiebt \sich, daß dieser Vorwurf in seiner Allgemeinheit — daß im einzelnen Falle cinmal die Beman- nung zu s{chwach gewesen sei, kann ich selbstverständlich nicht be- streiten — nit zutrifft. Beispielsweise ist die „Elbe“, welhe nah dem „Handbuch für die Handelsmarine“ im Ganzen 173 Mann zu haben pflegt, zur Zeit der Katastrophe, wo eine verhältnißmäßig geringe Zahl von Passagieren, und deshalb geringeres . Bedienungspersonal an Bord war, thatsählich bemannt gewesen mit 150 Mann, und darunter befanden ih 38 ausgebildete Seeleute. Zieht man dabei in Betracht, daß also s{chen nah dieser Ziffer es mögli gewesen wäre, jedes von den vorhandenen 10 Rettungsbooten mit 4 ausgebildeten Leuten zu bemannen;- zieht man ferner in Betracht, daß unter dem Maschinenpersonal und unter der übrigen Mannschaft au eine größere Anzahl von Leuten \sih befand, die mit Booten umzugehen verstand, so muß man zugeben, daß dieser Vorwurf nicht begründet ift. Ich stelle dem Herrn Vorredner diese Uebersicht zur Disposition, und er wird finden, daß auch im übrigen bei den größeren Schiffen des Norddeutschen Lloyd die Bemannung jedenfalls eine genügende ge- wesen ift.
Nun, meine Herren, komme ih auf die Bemerkung des Herrn Vorredners, daß eine Mittheilung, die er mir im vorigen Jahre bei der Berathung des Gegenstands gemacht hat, dazu geführt habe, daß der betreffende Gewährsmann, der diese Mittheilung zunächst an den Herrn Abg. Bebel hat gehen lassen, aus dem NReichsgebiet aus- gewiesen sei (Zuruf links), — aus Bremen ausgewiesen sei. Der Herr Vorredner selbs hat {hon vorsichtig die Aeußerung gethan, daß er nit glaube, daß diese Ausweisung auf mich und auf meine Ein- wirkung zurückzuführen sei, und ich kann hier versichern, daß die Aus- weisung mir vollständig fremd geblieben ist bis zu ihrer Durchführung, und daß ih auch nicht den leisesten Anstoß dazu gegeben habe. JIch kann aber au weiter versihern, daß nah den mir vorliegenden Be- richten auh der Norddeutsche Lloyd an dieser Ausweisung ganz un- \{uldig ist, und ih kann endli versichern, daß diese Ausweisung über- haupt mit der Mittheilung, die von dem betreffenden Ausgewiesenen ausgegangen ift, gar nicht im Zusammenhang steht. JIch habe die Akten eingesehen und daraus Folgendes festgestellt :
In Bezug auf die Handhabung der Vereins- und Versammlungs- polizei ist ausweislich diefer Akten in Bremerhaven früher eine etwas milde Praxis gewesen. Vor etnigen Jahren is die Polizei in Bremerhaven in andere Hände übergegangen, und der JFnhaber der Polizeigewalt in Bremerhaven hat es für gut und nüßlich gefunden, eine Verschärfung der Handhabung des Bremischen Vereins- geseßes in Bremerhaven eintreten zu lassen. Diese Verschärfung hat unter anderm darin bestanden, daß die Versammlungen, was früher nit ges{hah, polizeilich überwaht worden find. Das hat unter den Vereinen und unter den Genossen, die sich zu Versammlungen zu- sammengethan haben, eine gewisse Erbitterung hervorgerufen; es ist viel darüber in den Versammlungen gesprohen worden. Es hat eine große Aufregung gegeben, und die Polizeiverwaltung hat das Bedürfniß gefühlt, diejenigen Agitatoren, welche diese Aufregung geshürt haben, und welche kein Recht haben, weiter zu {hüren, aus Bremerhaven zu entfernen. (Lachen links. Sehr richtig! rechts.) Ja, meine Herren, das ist sehr rihtig. Wir sind ja in unserm Hause fo gestellt, daß wir unsern Bedarf an fozialdemokratishen Agitatoren im Inlande be- ziehen können. (Große Heiterkeit.) Es ist nicht nöthig, daß wir das Ausland dazu zu Hilfe nehmen.
Also, meine Herren, finden Sie das nicht weiter auffallend ! Mit dem Fall der „Elbe“ hat es gar nihts zu thun, und im übrigen ift, wenn gerade die Ausweisung in dem Moment eingetreten ist, wo sie eingetreten war, au ein bischen Liebe im Spiel. Dieser Ausländer wollte nämlih eine Wittwe heirathen, welhe im Besitz einer Gastwirthschaft ist, in der sich regelmäßig Versammlungen von fozialdemokratisdjen Agitatoren befanden. (Ah! rechts. Zurufe links.) Das hat die Polizei gehindert, und ih glaube, sie hat Recht dabei.
Meine Herren, der Herr Vorredner hat nun in Bezug auf die künftige Regelung unseres Seewesens und unserer Seeschiffahrt einige Wünsche ausgesprohen. Ich kann im allgemeinen nur wieder- holen, daß auch wir auf diesem Gebiete eine Verbesserungsbedürf- tigkeit anerkennen, und die Regierungen sind auch nicht unthätig gewesen, zu besseren Zuständen zu gelangen.
Wenn der Herr Vorredner es unter anderen bemängelt hat, daß die Schiffe, und, wie er behauptet, vorwiegend die Kapitäne des Norddeutschen Lloyd in einem gefährlihen Tempo ihre Reisen zurück- legen, so ist die Frage der Feststellung einer bestimmten Fahr- ges{chwindigkeit bei Nebel {hon Gegenstand der Verhandlung auf dem internationalen Kongreß zu Washington gewesen. Man hat diese Frage dort nah allen Seiten hin beleuhtet und gründlih erwogen und ist \{ließlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß es doch recht bedenklih sei und dem angestrebten Zwecke niht wohl entsprehe, wenn man Vorschriften über die Fahrgeshwindigkeit auf See erlassen wollte. Meine Herren, einmal ist {hon das Eine zugegeben, daß \sich die Innehaltung und Beobachtung der Vorschriften über die Fahr- geshwindigkeit außerordentlih {wer kontrolieren lassen; man müßte denn, was sich vielleiht aus der Auffassung, die von sozialdemokrati- scher Seite vorgetragen wird, rechtfertigen ließe, jedem Schiff einen Kontrolbeamten mitgeben, der über die inneren Einrichtungen und die Beobachtung der Vorschriften, die über die Behandlung der See- leute erlassen sind, wahte. Sodann aber läßt sih gar nicht eine ein- beitlihe Fahrgeshwindigkeit festseßen; die Schiffe find rückschtlich ihrer Fähigkeit, {nell zu fahren, außerordentlih verschieden, und ebenso sind die Wasserstraßen verschieden, auf denen nothwendiger- weise, wenn man sicher fahren will, auch eine vershiedene Fahr- geschwindigkeit eintreten müßte.
Der Herr Vorredner ist dann auf die Kohlenzieher zu reden ge- kommen. Jh kann dem Reichstag die erfreulihe Mittheilung machen, daß die Selbstmorde, die unter den Koblenziehern in früheren Fahren recht häufig waren, in neuerer Zeit doch abzunehmen scheinen. Aus einer mir vorliegenden Uebersicht ergiebt \sih, daß auf bremischen Schiffen, während im Jahre 1889 noch 26 Selbstmordfälle vor- gekommen sind, fie in den folgenden Jahren auf 15, 19, 13, 13, 4, im Jahre 1895 auf 3 zurückgegangen sind. Auf den hamburgischen Schiffen betrug ihre Zahl im Jahre 1891 noch 12, 1892 ging sie auf 4 zurück, im Jahre 1893 war sie allerdings wieder gewachsen auf 15, ist dagegen im Jahre 1895 wieder auf 5 zurück- gegangen. -Jh kann versichern, daß von seiten der Neichsverwaltung alles geschieht, was geschehen kann, um diesem sehr beklagenswerthen Uebelstande entgegen zu wirken.
Meine Herren, diese Ursache liegt nun in der That darin, daß häufig ganz ungeeignete Personen für diesen {weren Dienst der Kohlen- beshickung auf den Seeschiffen herangezogen werden. Es sind das Personen, die körperlih zurückgekommen find, Leute, die über See ein besseres Fortkommen zu finden hoffen, und die nun das Bestreben haben, ohne Kosten den Weg über den Ozean zu machen. Um dem Engagement solcher Leute entgegenzuwirken, ist darauf hingewirkt, daß sowohl von seiten des Bremischen Lloyd, als auch von seiten der übrigen Dampfschiffahrts-Gesellshaften niemand ohne vorherige ärztlihe Untersuhung angenommen werden darf, und nur dann, wenn diese Untersuchung ergeben hat, daß er körperlih für den Dienst dur- aus tauglich ift.
Ich hoffe, daß auf diesem Wege — der Norddeutsche Lloyd hat bereits in diesem Sinne seine Kapitäne instruiert — künftig nur [eistungsfähige Personen zum Dienst des Kohlenziehers herangezogen werden, und daß dann auch die Selbstmorde unter den Kohlenziehern aufhören.
Daß Mißhandlungen auf Seeschiffen vorgekommen sind, ist niht zu leugnen. Gegen diese Mißhandlungen wird aber auch mit aller Schärfe eingeschritten; alles, was zur Kenntniß der Behörden auf diesem Gebiete gekommen ift, ist auh verfolgt. Ich kann aber sagen, daß die Zahl der Bestrafungen verhältnißmäßig eine geringe ift, und daß die Zahl derjentgen Denunziationen, denen keine Folge hat gegeben werden können oder die nicht zu einer Bestrafung geführt haben, eine recht große ist; es wird also wahrscheinlich auf diesem Gebiet niht immer, bevor man zur Denunziation schreitet, sorgfältig genug geprüft worden fein, ob wirklich eine strafbare Handlung vorliegt.
Wenn der Herr Vorredner weiter gemeint hat, daß aus meinen früheren Aeußerungen sich ergebe, es sei eine \trafrechtliche Verfolgung folher Mißhandlungen und der Verstöße gegen die Dienstvorschriften, die auf Schiffen bestehen, außerhalb des Seeamts nicht mögli, \o muß er mih arg mißverstanden haben. Er hat dabei Bezug ge- nommen auf die Beurtheilung, welhe die Sünde des Steuermanns der „Crathie“ in England gefunden hat. Bei uns wäre es gar kein Zweifel, daß dieser Steuermann der „Crathie“, indem er den Unter- gang einer größeren Anzahl von Menschenleben vershuldet hat, au vor den deutschen Strafrichter gekommen wäre, wenn er in Deutfch- land überhaupt faßbar gewesen wäre. (Sehr gut! bei den National- liberalen.)
Meine Herren, wir haben — und das habe ih bei meiner früheren Ausführung mitzutheilen vergessen — durch unsere Reichs- fommissare eine vershärfte Kontrole der Üüberseeishen Dampfer vor ihrer Abfahrt eingeführt. Wir haben bei der Paketfahrtgesellshaft sowohl, wie beim Lloyd und bei den übrigen in Frage kommenden Rhedereien volles Verständniß dafür gefunden, daß es nothwendig set, die Maßregeln zur Sicherheit der Mannschaften und Passagiere zu erhöhen. Der Norddeutshe Lloyd war dazu übergegangen, für jedes seiner Schiffe eine bestimmte sogenannte Sicherheitsrolle vor- duschreiben, welche ergiebt, was jeder einzelne Mann des Schiffes im Falle des Eintritts einer Gefahr zu thun ‘und zu lassen hat- Diese Sicherheitsrolle wird praktis dadurch in Gebrauch gesetzt, daß im Ausgangs- und im Endhafen nah Maßgabe der Bootsrolle mit den Mannschaften Uebungen angestellt werden in der Bedienung der Boote, in dem Schließen der Schotten, in Bezug auf die Hand- habung der Apparate, die zur Abwendung von Feuersgefahr bestimmt find. Nach allen diesen Richtungen geschieht wirkli, was nur geschehen kann, und da möchte ich doch glauben, daß man mit etwas hoffnungsreiherem Blick in die Zukunft unserer Schiffahrt sehen kann, als der Herr Abg. Bebel es gethan hat. Die Herren von der sozialdemokratishen Partei kommen mit Vorltebe auf diesen Unglücksfall der „Elbe" zurück. Jch verstehe es und ehre es, wenn sie den Schluß aus dem Untergang der „Elbe“ ziehen, daß wir zu besseren Zuständen kommen müssen. Das Unglück selb aber, glaube ih, ist nun breit genug getreten. (Sehr rihtig!) Lassen Sie den Unfall in Ruhe! (Bravo !)
Abg. Lenzmänn (fr. Volksp): Herr Bebel bezeichnet die Herren Bebfen und Frese als Seefahrtsinteressenten; ih zähle nicht zu dieser Kategorie und bestätige Herrn Frese, daß beide Schiffe, die wir in Bremerhaven inspizierten, von oben bis unten \sich in
ordnungêmäßigem Zustande befanden. Besonders ist festzustellen, daß die schweren Schotten allerdings in 3—5 Sekunden zu {ließen waren,
und es waren niht besonders darauf zugerihtete Mannschaften sondern wir E uns, da wir am Sonntags - Nachmittag m waren, der Mannschaften bedienen, die gerade auf dem Schiff anzutreffen waren. Die „Elbe“ ist von einem Schiffsunglück über- rumpelt worden; die hervorgetretenen Uebelstände sind in der
auptsahe auf die Plößlihkeit des Falles zurückzuführen. Der
teward hat eidlich erhârtet, daß alle Passagiere geweckt worden find; ih schenke diesem eidlihen Zeugniß Glauben, was die Sozialdemokraten niht zu thun s{heinen. Unter den Gewährs- männern der Sozialdemokraten befindet go auch nach meinen Erkun- digungen ein Mann, der zwar sceemännishe Erfahrungen erreiht, aber bloß einmal als Kohlenschlepper nah Amerika gefahren is und später wegen Trunksuht vom Lloyd entlassen worden ist. Es ist jedenfalls bester, wenn sih die. Reichstags-Abgeordneten selbst an Ort und Stelle um Informationen bemühen, als wenn sie ih auf die Zu- schriften von Gewährsmännern stüßen, die sie niht fontrolieren können. Das vorzügliche Material der Dampfergesellshaften an Kapitänen darf nit verunglimpft ‘oder angegriffen werden. Disziplin muß sein; aber kein Lloydkapitän wird \ich der hohen Ver- antwortlihkeit für die ihm anvertrauten “ Mannschaften ent- s{lagen. Unsere deutshen Schiffe können in jeder Beziehung den Wettkampf mit den englishen Schiffen aufnehmen. Die Interessen der Rheder gehen mich garnihts an; aber mein Gerechtigkeitsgefühl fordert, daß au die Klagen der niederen Stände begründet und berehtigt sind. Jn Uebertreibungen stimmen wir nicht ein, wenn sie sih gegen Personen richten, dic eine Verunglimpfung nicht verdient haben.
Abg. Metzger (Soz.) protestiert nochmals gegen die Unter- stellung, als ob die Sozialdemokraten {ih bei ihren Anklagen auf die Mittheilungen eines Anonymus gestüßt hätten. Wenn die Regierung bei den Kapitänen eine Enquête veranstalten würde, dürfte sih das Bedürfniß einer Reichs - Seebehörde sehr {nell als ein sehr drin- gendes erweisen. Die vorhandenen Reichsbehörden hätten also nur eine sehr beshränkte Kompetenz. Es sei sehr zu bedauern, daß eine Durch- sicht des Seeunfallgeseßes nit in Aussicht stehe. Wenn darauf verwiesen werde, daß die Seemannsordnung den Kapitän mit Strafen bedrohe, der die Sicherheitsvorkehrungen außer Acht lasse, so übersche man doch, daß es in der Praxis mit der Ausführung dieser Vorschrift bedenklich hapere. Machten die Seeleute Anzeigen, so würden zeitraubende Erhebungen angestellt, welche die Seeleute niht abwarten könnten; die Untersuchungen verliefen ergebnißlos und die schuldigen Kapitäne blieben rubig weiter Schiffsoführer. Dagegen würden diejenigen, welche die vorshriftswidrigen Zustände zur Anzeige gebracht hätten, auf alle Weise gemaßregelt. Auch kämen in dieser Beziehung fehr viele wunderbare Freisprehungen vor. Das Miß- verhältniß zwischen den Denunziationen und den Verurtheilungen sei also gar niht auffallend. Nedner führt einen besonderen Fall einer derartigen Freisprechung an, die erfolgt sei, troßdem der aufs ärgste mißhandelte Kohlenzieher am Tage nah der Mißhandlung gestorben sei. Die ärztliche Untersüchung habe ergeben, daß der Todes- fall mit den Mißhaudlungen niht im Zusammenhang gestanden hahe, sondern die Folge eines Hißschlages gewesen sei. Der Staatsanwalt habe wenigstens die Fußtritte und die Behandlung mit dem Gummischlauh für strafbar gehalten, das Gericht habe aber den Uebelthäter kostenlos freigesprochen. Wie könne man da noch von Uebertreibungen reden.
Abg. Frese verwahrt die Bremer Behörden dagegen, daß sie sich von dem Lloyd oder von irgend jemand beeinflussen ließen. Wenn die Offiziere der „Elbe“ Schuld an der Katastrophe hätten, könnten es doch nicht die Leute der „Crathie“ gewesen sein. Daß die Kapitäne wider besseres Wissen etwas thun würden, nur um sich im Amt zu erhalten, fei eine Unterstellung, die nicht scharf genug zurückgewiesen werden könne. Chinesen und Malaien eigneten sich thatsächlich besser zu Kohlenziehern, als Leute weißer Rasse. Der Lloyd habe die Maßregel {hon längere Zeit durchgeführt, 008 nur ärztlich geprüfte Leute eingestellt werden. Kohlenzieher un Heizer hätten in den Tropen nur 8 Stunden Dienst, je 4 Stunden Dienst und 8 Stunden frei. Die Kollision der „Lahn“ im Kanal mit einem italienishen Schiffe habe bei dihtem Nebel \tattge- funden, der Mannschaft sei keine Schuld beizumessen gewesen. Der Unfall der „Havel“ sei darauf zurückzuführen, daß der ameri- kanische Zwangslootse unrichtige Anordnungen getroffen, denen der Kapitän vergeblich widersprochen habe. Die Untersuhung habe ebenfalls zur Freisprehung geführt. Dasselbe gelte von einem Unfalle, der die „Trave“ betroffen habe. :
Abg. Bebel: Herr Lenzmann if falsch unterrihtet, wenn er glaubt, daß die Deutschen mehr fkritisierten als andere Nationen, was Seeschiffahrt betrifft. Er erinnert sich nit, wie Jahre lang der englishe Abg. Plimfoll gegen die schrecklihen Zustände auf den Seeschiffen im englishen Parlament angckämpft hat, s{ärfer als es je im Deutschen Reichstag geschehen is. Herr Lenzmann beruft sih auf fein Gerechtigkeitsgefühl: gerade diefes ist ja auch für uns das treibende Motiv. Dieses Gerechtigkeitsgefühl hätte ihn ver- hindern follen, hier gegen uns Dinge auszusprehen, welche haarsharf an eine Verdächtigung streifen. Meine Gewährs- männer sind alte erfahrene, zuverlässige Seeleute, wie ih Herrn Lenzmann nohmals erkläre. Einer von ihnen ist 18 Jahre auf See gefahren “und war in höheren Stellungen tbätig; der erklärt u. a, daß die Schotten in den meisten Fällen nicht gebraul;sfälig seien. Die Fahrt des Herrn Lenzmann mit Herrn Frese ist erfolgt, nahdem der Unfall der „Elbe“ {hon 4 bis 5 Wochen alt war; in diesem Zeitraum hat man mit äußerster Ausdauer eben alle die Vorrichtungen getroffen, welhe vorher nicht in ausreichendem Maße vorhanden gewesen sind und deren Mangel die Katastrophe der „Elbe“ mit verschuldet hat. Von dem Kapitän der „Elbe“ habe ih nichts gesagt; ih habe lediglich den amtlihen Bericht angeführt; ich entnehme demselben weiter, daß von seiten der „Elbe“ nichts geschehen ist, um dem Zusammenstoß aus dem Wege zu gehen, und daß es nicht geschehen is, macht die „Elbe“, wenn au in geringerem Umfange, an dem Zusammenstoße mit schuldig. Diese Ausführung richtet si gegen den Ersten Offizier der „Elbe“, der mit untergegangen ist. Der Reichskommissar erklärte ausdrücklih, daß dieser seiner Aufgabe niht gewahsen gewesen fei. Man kann nicht sagen, daß dies bloß die Ansicht des Anklägers ist; das Gericht hat entschieden, daß den wachthabenden Offizier der Vorwurf trifft, daß er niht durch Signal mit der Dampf- pfeife versuht hat, der „Crathie“ aus dem Wege zu gehen. Der Mangel der Bootsmanöver wird ebenfalls in dem Urtheil hervorgehoben, und daß mit den Schotten auh niht Alles geklappt hat, daß fie versagt haben, betont das Urtheil in gleicher Weise. Was will man denn noch mehr? Daß es auf allen Schiffen des Lloyd gleich mangelhaft bestellt sei, habe ih garniht behauptet. Der Fall der „Elbe“ hat enormes Aufsehen gemaht und die umfangreichsten Erörterungen hervorgerufen; wir bedürfen alfo gar keiner „Vorliebe“ für diesen Fall. Die Gewerbeinspektion muß auch für das Seewesen eingeführt werden. : ]
Abg. Dr. Lieber (Bentes In Bezug auf die „Elbe“ hat die Reichsbehörde vollauf ihre Schuldigkeit gethan, sodaß der Vorredner keinen besseren Zeugen für fich aufrufen konnte, als den Reichskom- missarius felbst. Es hat fich aber herausgestellt, daß die Annahmen des Vorredners zum theil. nicht bestätigt sind, namentli daß für die Ret- tung niht das Nöthige geschehen sei. (Abg. Bebel: Habe ih nicht behauptet!) Sie haben getadelt, daß nur drei Boote ins Ds Lo lassen sind, während festgestellt ist, daß durch die Neigung des Schiffs zur Seite die fünf Boote der einen Seite gar nicht zu gebrauchen waren. Herr Bebel hat meine Sachverständigkeit bemängelt, weil ih nur einmal nach Amerika hin- und einmal zurückgefahren set. bin auf vier Schiffen gefahren, nicht zum Vergnügen, sondern zu meiner Information namentlih auch über die Schicksale der Passagiere des Zwischendecks. Ih habe diese Verhältnisse genau kennen gelernt. Ich habe mi selbst überzeugt, daß beim Nebel die Schottenthüren halb geschlossen werden, damit sie im Falle eines Zusammenstoßes schneller ganz geschlossen werden könnten. Aber HZeugni}|e, die Herrn Bebel niht passen, scheinen für ihn niht zu gelten, auch wenn sie von Kollegen aus dem Reichstag abgelegt e Um für die Passagiere und Mannschaften besser zu sorgen, ve-
durfte es der Darlegungen des Vorredners niht; auch ohne diefe hat sih eine Uebereinstimmung des Reichstags heraus eftelt de e folhe Fürsorge stattfinden müsse, und au die verbündeten Regie- rungen haben \ich in ganz demselben Sinne ausgesprohen. Auf das Zeugniß der englischen Konkurrenten sollte man ih hier im Reichs- A nit berufen: es wird von allen seebefahrenen Leuten festge- stellt, daß die englischen Schnelldampfer am rücksihtslosesten fahre _ Abg. Megger bestreitet, daß die Neger und Malaien B
leistungsfähig seien, wie die weißen Heizer. Dafür könne er sih auf Ausfagen von Sachverständigen berufen. Aber die Farbigen seien ein williges und billiges Menschenausbeutungsmaterial. Solche unbequemen Thatsachen würden jedoch immer mit der bekannten Redensart als Uebertreibungen bezeihnet.
Darauf wird die Debatte geschlossen.
Die Ausgaben werden genehmigt.
Nach 5 Uhr wird die weitere Bea bis Freitag 1 Uhr vertagt. Außerdem wird die erste Berathung der
Gewerbeordnungsuovelle auf die Tagesordnung geseßt.
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
Jn dem gestrigen Bericht über die 7. Sizung vom 29. Januar finden sich in den von dem Minister des Jnnern Freiherrn von der Nee bei Berathung des Etats des Ministeriums des Jnnern Fyauenen Reden, wie sie in der Ersten Beilage der Nr. 27 d. Bl. wiedergegeben sind, einzelne Unrichtigkeiten.
Nach dem Stenographischen Bericht des Hauses der Ab- geordneten hat der Minister am Schluß seiner ersten, in Er- widerung auf die Bemerkungen des Abg. Brandenburg ge- haltenen Rede erklärt:
Meine Herren, ih möchte gleih einem Einwand begegnen, der mir vielleiht gemacht werden könnte — ich glaube aus einem Zuruf des Herrn Abg. Jerusalem das entnehmen zu follen —, nämlih dem Einwande, die geringe Zahl der Referendare erkläre \sih dadurch, daß nur wenige Katholiken zu Referendaren genommen würden. (Hört! hört!) Demgegenüber muß ih aber auf das entsciedenste erklären, daß bei der Auswahl der Regierungs-Referendare darauf, ob ‘ jemand evangelish oder katholis ist, absolut keine Rücksicht genommen wird.
__ Der zweite Absaÿß der dritten, an Erklärungen des Abg. As anknüpfenden Rede des Ministers muß, wie folgt, auten :
Der Herr Vorredner hat sodann geglaubt, meine vorhin hier vorgelegte Statistik hinsichtlich ihrer Nichtigkeit, und namentlich hin- sihtlih ihrer Schlüssigkeit bezweifeln zu müssen. Er hat si dann lediglih auf die Behauptung beschränkt, die Statistik treffe nicht zu, ohne auch nur dea Versu eines Beweises hierfür zu mahen. Der- selbe wäre ihm freilih auch nit gelungen.
8. Sißung vom 30. Januar 1896.
Auf der Tagesordnung steht die erste Berathung des Geseßentwurfs, betreffend das Diensteinkommen der Lehrer und Lehrerinnen an den öffentlichen
Volksschulen.
Minister der geistlihen, Unterrichts- und Medizinal- Angelegenheiten D. Dr. Bosse:
Meine Herren! Nah meiner persönlichen Ansicht ift es nit gerade nöthig und au nicht immer nüßlih, daß, wenn ein Minister eine Vorlage hier einbringt, der er einige Bedeutung beimißt, er die Motive dieser Vorlage in nuce nohmals hier entwickelt. Diese Absicht habe ih au nit; aber ih habe die Empfindung, daß es unnatürlich wäre, wenn ih diesen Geseßentwurf, der im vorigen Jahre mit so großem Nachdruck aus der Mitte dieses Hohen Hauses von mir gefordert worden is, diesen Gesetzentwurf, der das Resultat langjähriger, eingehender Erwägung und Arbeiten if, — ich kann sagen seit dem Moment, wo ih vor vier Jahren in mein Amt eingetreten bin .….…. ih sage, es wäre unnatürlich, wenn ih ihm nicht ein Wort mit auf den Weg geben wollte. Ih zweifle zwar nicht, daß Sie im Ganzen und Großen, wenn ih von den Einzelheiten absehe, ihn freundliß aufnehmen werden ; aber es wäre do sehr {chön und mir sehr erwünscht, wenn dieses Kind meines Herzbluts, kann ih sagen, noch freundliher von Ihnen auf- genommen würde (Heiterkeit), und wenn ih das erreichen könnte im Interesse unserer Schule und unserer Lehrer, so wäre mir das eine fehr große Freude.
Meine Herren, ih weiß wohl, daß Männer, die unzweifelhaft unsere Schule sehr lieb haben, der Meinung sind, es wäre zu be- anstanden, daß der Unterrihts-Minister diese Frage der Lehrer- befoldung einzeln zu regeln unternommen und daß er nicht vielmehr feine ganze Kraft darauf gerihtet habe, gleih mit einem Volks\cul- geseß, das den ganzen Umfang der Volkss{hule und ihrer Angelegenheiten umfaßte, vor Sie hinzutreten und bei dieser Gelegenheit diese Besoldungsfrage mit zu erledigen. Ich habe aber — ih glaube s{chon viermal oder fünfmal — in diesem hohen Hause die Gründe dargelegt, die die Staatsregierung abhalten, jeßt mit einem Volksshulgeseßentwurf vor Sie hinzutreten, und ih glaube nicht, daß es nôthig ist, daß ih diese Gründe hier nohmals. spezialisiere, wenigstens jeßt — ih kann das ja noch zu jeder Zeit thun, wenn es von Jhnen verlangt werden sollte; ich glaube aber kaum, daß es dazu kommen wird — denn die Gründe sind bekannt ; man kann darüber zweifeln, ob fie zutreffend sind; für mich sind sie durchshlagend. Ich glaube niht, daß ich in absehbarer Zeit dazu kommen werde, ein Volks\{chulgeseß Ihnen in vollem Umfange vor- zulegen. (Bewegung.)
Es ift mögli, daß mein Nachfolger es Ihnen vorlegen kann, und ich würde mich sehr freuen, wenn ih dazu noch in die Lage käme; man kann die politishen Möglichkeiten nie vollständig ermessen, aber das weiß ih genau, daß die jeßige Königliche Staatsregierung den Zeitpunkt noh nit für gekommen erachtet, um aufs neue die \{chweren, tiefgreifenden und leidenshaftlihen Kämpfe, welche die leßte Vorlage des Volks\chulgeseßentwurfs hervorgerufen hat, zu erneuern. Wir find der Meinung, daß das niht im Interesse des Staates ist, und wir müssen, au wenn Leute, auf deren Urtheil wir sonst viel geben, diesen Wunsch aussprechen, unserer pflihtgemäßen Ueberzeugung folgen; ich wenigstens werde dana handeln und werde jede Kon- sequenz davon tragen.
Meine Herren, dagegen sind wir allerdings der Meinung, daß die geseßlißhe Regelung des Lehrerbesoldungswesens ein so dringendes, ja so gebieterishes Bedürfniß is, daß wir mit Vorlegung eines solchen Gesetzes, wie es Jhnen die Vorlage bietet,
abgesehen von dem Wege, den sie geht, niht länger zaudern dürfen. Wir glauben auch, daß wir im Grunde in Bezug auf die Anerkennung des Bedürfnisses auf die Zustimmung aller Seiten dieses hohen Hauses rechnen dürfen. Denn, meine Herren, bei der vorjährigen Etatdebatte, als ich so scharf darauf angeredet wurde, warum ih das Lehrer- besoldungsgeseß, was damals infolge einer Indiskretion bei einer Anfrage, die ih an die Regierungen gerichtet hatte, bekannt geworden war, denn noch nit einbringe — bei der Schärfe, mit der damals diese Anfrage an mich gerihtet wurde, ist von keiner Seite dieses hohen Hauses das Bedürfniß einer endlihen Regelung des Lehrerbesoldungswesens be- stritten, und ih glaube, daß in der That die allgemeine Frage, die Nothwendigkeit, endlih einmal auf diesem Gebiet geseßliche Ordnungen herzustellen, und die Nothwendigkeit, Hilfe zu bringen, eigentlih einer näheren Begründung garniht bedarf. Meine Herren, die Ueber- zeugung, daß die Abstellung der größten Nothstände in unserm jeßigen Lehrerbesoldungêwesen die dringendste Aufgabe des Unterrichts- Ministers sei, hat \sich mir aufgedrängt — ih kann sagen, {on in der ersten Wode, als ich in mein Amt eingetreten bin; und diese Ueberzeugung is durch die Einblicke, welhe ih be- kommen habe in die Verhältnisse des Lehrerstandes und der Schule und in die Konsequenzen, welche das jetzige Lehrer- befoldungswesen für den Zustand der Schule gewonnen hat, von Zeit zu Zeit befestigt und gestärkt worden. Ich habë s{chon 1892 einen Entwurf eingebracht, betreffend die Verbesserung des Volks\{hulwesens und des Diensteinkommens der Volks\{hullehrer, und jedes Wort, was ih damals zur Begründung der Nothwendigkeit eines geseßgeberischen Eingreifens bezüglich der Nothstände im Lehrerbesoldungswesen gesagt habe, gilt auch heute noh. Mit dem damals vorgeshlagenen Wege ist dieses hohe Haus nit einverstanden gewesen; das Bedürfniß selbst aber eines geseßgeberishen Eingreifens zur Abhilfe der bestehenden Mißstände im Lehrerbesoldungswefen hat das hohe Haus anerkannt ; denn Sie haben damals bekanntlich die vier Millionen, die erwarteten Ueberschüsse und die Zinsen der Einkommensteuerbeträge im Ergänzungs- steuergeseß uns angewiesen; Sie haben damals die Mittel bereit zu stellen gesuht, um das von mir erstrebte Ziel zu erreihen. Mir kam es auf das Ziel an, der Weg war für mih von untergeordneter Be- deutung. Die Vorausseßungen, an die der Beschluß des Hauses ge- knüpft war, haben \sich nit erfüllt: dieUebershüsse sind ausgeblieben, die Unterrichtsverwaltung steht wieder mit den Lehrern vollständig Vis-à-Vis du rien.
Das sind die Vorgänge, und nun fragen Sie sich einmal, wer von Ihnen, wenn er an meiner Stelle wäre, bequem und furchtsam genug gewesen wäre, um dem gegenüber die Flinte ins Korn zu werfen. Das durfte nicht gesehen, es is niht geschehen, es mußte ein neuer, gangbarer Weg gesucht werden, und dieser Weg ist au, dank dem Herrn Finanz-Minister und den Er- folgen unserer Steuerreform und dem höchst bereitwilligen Entgegen- kommen der Finanzverwaltung, gefunden worden.
Ich möchte gerade bei dieser Gelegenheit einer fable convenue begegnen. Mir ist mit einer halben Verbeugung vor mir wiederholt zu meinem Erstaunen gesagt worden: wir wissen ja recht gut, Du meinst es mit den Lehrern sehr gut, Du bist ein Freund der Lehrer, Du hast au von dem Finanz-Minister alles gefordert, was nah dem Wunsch der Lehrer von ihm gefordert werden muß, aber Du bist auf einen unüberwindlihen Widerstand gestoßen, und nun kommt die Borlage heraus, die do die Wünsche niht voll und ganz befriedigt; wir rechnen dir das weniger an, wir wissen recht gut, allein kannt du die Sache nit machen; aber der eigentlihe Schuldner in diefer Sache ist die Finanzverwaltung. Meine Herren, das ist ganz fals. So liegt die Sache durhaus niht. Jch habe die Verpflichtung, das hier ausdrücklich zu sagen, daß ih vom ersten Anfang an, wo ti die Regelung der Sache auf dieser Basis in die Hand genommen habe, bei dem Herrn Finanz-Minister das bereitwilligste Entgegenkommen, das allererfreulihste Verständniß für das Bedürfniß und auch für die Wege gefunden habe, auf denen es möglich ist, diesem Bedürfniß zu genügen. Ich bin es meinem Herrn Kollegen {uldig, das hier aus- drücklih auszusprehen: Ih nehme für mich gar kein besonderes Verdienst in Anspruch, wir haben gemeinsam gehandelt, wir haben gemeinsam das Geseß eingebraht, wir sind mit einander solidarisch und wir werden gemeinsam das Gesetz vertreten.
Nun, meine Herren, weiß ih ja sehr wohl — um glei hier das anzuknüpfen —, da} auch in Lehrerkreisen, nicht in allen, aber do in einien, die Meinung verbreitet is, im Ganzen und Großen biete das Gefeß den Lehrern niht Genügendes. Jh möchte hier in Bezug auf die Frage, warum wir uns darauf beschränkt haben, bestimmte Säße für das Minimaleinkommen auch an den billigsten Orten der Monarchie festzuseßen, niht bis in die Einzelheiten darlegen. J glaube, daß wir darüber uns in der Kommission werden unterhalten müssen, daß wir darüber sehr reihliches Zahlen- material Ihnen werden geben müssen, und es würde {werlich großen Erfolg haben, wenn ih hier diese Zahlen jeßt vor Ihnen auskramen wollte. Jh will nur darauf hinweisen: wir haben anfangs daran gedacht, ob man auch für die theuereren Orte gewisse Minima festsezen Tönnte; aber die Erfahrungen, die wir gemacht haben bei den admini- strativen Aufbesserungen der Lehrergehälter, haben uns davon ab- geschreckt, diesen Weg zu betreten. Denn wir haben gesehen, daß das Minimum, welches wir regierungsseitig auch für theuere Orte fest- geseßt haben, von den Gemeinden als Maximum ergriffen und fest- gehalten worden ist. Es war also nicht im Interesse der Lehrer, diefen Weg zu beshreiten. Deshalb haben wir das nit gethan, und wir kommen auch auf diese Weife zu einer viel einfaheren und glatteren Regulierung, als wenn wir diesen komplizierten Weg hätten beschreiten wollen.
Wir haben, dank dem Entgegenkommen der Finanzverwaltung, drei Millionen Mark zur Disposition, die durch einen Nachtrags-Etat neu zur Verfügung gestellt werden, um die Kosten, die durch dieses Geseß erwachsen, zu decken. Mit den drei Millionen ist auch in dem bescheidenen Umfang, in dem wir hier die Sache in Angriff genommen haben, die Sache niht zu machen. Jh erkenne ausdrücklich an, daß wir uns wohlweislih, und zwar mit Rücksiht auf die ganze finanzielle Lage des Staats, beschränkt haben, nur für eine bescheidene Lebensstellung der Lehrer eine geseßlihe Sicherheit zu er- bitten. Jch weiß sehr wohl, daß, wenn das Grundgehalt von 900 (A um 100 Æ oder auch um 200 M erhöht werden könnte, davon nit glei jeder Lehrer im Ueberfluß ersticken wird. Ja, meine Herren, davon bin ih fest überzeugt. Jh glaube au nicht, daß das eine große Gefahr für die Lehrer sein würde. Aber bedenken Sie wohl, daß bei 63 000 Lehrern eine Zulage von 100 4 zum Grundgehalt
einen Koftenbetrag bedeutet von 6 300 000 4, und wenn Sie 200 4A Zulage zum Grundgehalt verlangen, so sind es 124 Millionen Mark und darüber. Meine Herren, das muß doch aufgebraht werden, wenn auch nicht alles durch Staatsunterstüßung, so doch zum größten Theil. Wir haben deshalb mit voller Ueberlegung den Schwerpunkt nicht auf das Grundgehalt gelegt, sondern wir haben den Schwerpunkt in die Dienstalterszulagen gelegt, und das ist nah - meiner Ueberzeugung auch für die Lehrer das allein Richtige und findet auch in den verständigen Lehrerkreisen durchaus Anklang. Daß wir auch da uns haben Beschränkungen auferlegen müssen, daß wir au da nicht gleih in die Wolken haben fliegen können, das ist klar; aber das ist gewiß, meine Herren, wenn Sie diese Gesetzgebung machen, vielleiht in minderwihtigen Punkten mit wenigen Aenderungen, so können Sie sich darauf verlassen, daß Sie den Lehrern den Druck, unter dem sie bisher gestanden haben, im wesentlichen abnehmen werden, und das ist doch {hon eine große Sache. Es f\tehen in den einzelnen 26 Paragraphen so manche Dinge, die für den, der die Konsequenzen durchschaut, ganz außerordentlih einleuchtende Fortschritte auf dem Gebiete der Stellung des Lehrer- standes und der Schule überhaupt bedeuten.
Meine Herren, ich will nur noch einen Punkt erwähnen, und zwar ganz allgemein. Das ist der, daß man gesagt hat: ja, die anderen 3 Millionen, die ihr noch braucht, ja vielleiht auch noch etwas drüber, wollt ihr nicht hergeben aus dem Staats\äcktel, sondern die wollt ihr den großen Städten einfach nehmen —, und man hat das bezeichnet als eine zwar bequeme, aber ganz handgreifliße Ungerechtig- keit. Nun, meine Herren, ich hoffe und bin gewiß, wir werden in der Kommission in der Lage sein, Ihnen na(h- zuweisen, daß von einer solchen handgreiflißhen Ungerechtigkeit keine Rede sein kann. Jh nehme gar keinen Anstand, anzuerkennen, daß auf den ersten Blickd, wenn man die Sache so lies, man auf folhe Gedanken kommen kann. Jch bin au darauf gekommen, und ih habe ernstlih die Bedenken erhoben: Wollen wir diesen Weg gehen ? fönnen wir diesen Weg gehen, {on aus politishen Gründen ?! Meine Herren, wir mögen ja vielleiht nach dem Urtheil mancher Leute niht gerade die weitblickendsten Politiker sein; ich will das gar- niht für mich in Anspru nehmen; aber fo thöriht sind wir nicht, daß wir uns nicht hätten sagen sollen: alle großen Städte werden auf den ersten Bli jenen Vorwurf gegen uns erheben. Darauf mußten wir gefaßt sein. Und daß die großen Städte bei uns etwas bedeuten, daß darin eine große Summe von Intelligenz, von tüchtigen ehrenwerthen Bürgern ist, daß es für die Regierung nicht gleichgültig sein kann, die großen Städte sich von vornherein zu Gegnern bei einer Vorlage von der Bedeutung der hier vorliegenden zu machen, das haben wir uns natürli auch gesagt. Ih habe mir aber auch sagen müssen: die Sache liegt niht so, man darf die Schullasten garniht trennen von der Schulpfliht. Wer die Geschichte der preußischen Verfassung und die Geschichte des preußishen Schulwesens einiger- mafen kennt, weiß, daß die Schullast von dem ersten Augenblick, wo man bewußt über die Vertretung und Aufbringung der Schullasten nachgedacht hat, in engsten Zusammenhang mit der Schulpflicht ge- bracht ist, und es lag sehr nahe, was der Minister von Ladenberg im Jahre 1849 fagte: wenn man doktrinär und konsequent diefen Gedanken zum Ausdruck bringen wollte, müßte man eigentlih die Scullast zu einer Last jedes einzelnen Staatsbürgers machen, gerade so wie die allgemeine Wehrpflicht, das heißt, man müßte von jedem Staats- bürger eine besiimmte Quote als Zuschlag zu seiner persönlichen Steuerleistung einziehen, um die Schullast aufzubringen. Meine Herren, das würde konsequent dahin geführt haben, daß man die Schullast zu einer einfahen Verpflihtung des Staatsbürgers mate und als Einkommensfteuerzuschlag aufbrähte. Man hat das nicht gethan; man hat gesagt: das ist unhistorisch, es ist au unweise, es widerspricht der ganzen Entwicklung unserer Schule, und es entspricht im tiefsten Grunde au den Interessen dieser Schule niht. Jch stimme dieser Antithefe vollkommen bei; auch ih bin überzeugt, es ift ein Segen, daß unsere Gemeinden bei der Schulverwaltung betheiligt und in erster Linie betheiligt find. Meiner Ansicht nah müssen sie es auch bleiben, und wir haben die erfreulihe Erfahrung gemacht, daß im Ganzen und Großen unsere großen Stadtgemeinden si unaus\prechlih große Verdienste um unser Schulwesen erworben haben. Und, meine Herren, man mag von mir denken, was man will, das kann man mir nicht zutrauen, was mir au gesagt worden ist, daß zur Belohnung dafür, daß unsere großen Städte solche Opfer gebraht haben und mit gutem Beispiel vorangegangen sind, wir ihnen jeßt das wegnehmen, was sie bisher bezogen haben. So liegt die Sache nit, sondern die großen Städte werden es selbs einmal einsehen und müssen es ein- sehen, und ih habe zu ihrer Opferfreudigkeit das Vertrauen, daß sie es einsehen werden, daß sie bisher fäls{chlich, und wenn man mit den Grundsäyen der Verfassung Ernst macht, ungerechterweise Leistungen aus Staatsmitteln bezogen haben, die ihnen nicht zukamen. (Sehr richtig! ‘rechts.)
Warum soll es nicht erlaubt sein, wenn wirklich dies in der Noth der Zeit gemacht worden ist, und wenn man damals dies gethan hat, diese Dinge wieder in Ordnung zu bringen? Warum ist es denn un- erhöôrt bei uns, daß jemand, dem etwas zugeflossen ist, worauf er keinen rechtlihen Anspruch hatte, selbst einsieht und sagt: ih bekomme das zu unrecht ; jawobl, ih erkenne an, die Gerechtigkeit verlangt es, daß ih das wieder herausgebe? Dies Vertrauen habe ih zu den großen Städten. (Bravo!)
Es wird darauf ankommen, daß wir Ihnen das nahweisen, daß die Sache so liegt. Mit meiner bloßen Behauptung, das weiß ih auch, ist die Sache niht bewiesen. Aber, meine Herren, in mancher Beziehung kann ih doch auch ad homine1nu, glaube ih, einige Be- weise dafür erbringen. Denn, meine Herren, die Schulpflicht foll vertheilt werden — das is der Grundsaß unserer Verfassung — nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit der Gemeinden. In: Art. 21 und 2 der Verfasing | bio Unentgelt- lihkeit des Volks\{hulunterrihßts und als Korrelat dazu die Schulpfliht zum Ausdru gebracht. Man war \ich der Kon- sequenzen diefer Anshauungen au damals, als man die Verfassung machte, wie ih schon unter Hinweis auf die Ladenberg'sche Denkschrift gesagt habe, wohlbewußt. Nun ist es aber doch vielleicht ganz nüße lich, meine Herren, wenn wir uns mal vergegenwärtigen, welhe Be« lastung für den Einzelnen \ih ergeben würde, wenn die gesammten Ausgaben für die Volksshulen aus der Staatskasse oder, konkreter ge- nommen, durch Zuschläge zur Einkommensteuer gedeckt würden. Das wäre doch der gerechteste Maßstab und ohne Zweifel der untrüglichste Maßstab für die Leistungsfähigkeit. | 8