1896 / 31 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 04 Feb 1896 18:00:01 GMT) scan diff

Mecklenburg-Schiwerinu.

Das Befinden Seiner Königlichen Hoheit des Groß- erzogs zeigt, nach cinem den Mecklb, Nachr.“ zugegangenen legramm aus Cannes von gestern, in leßter Zeit eine leite Wendung zum Besseren. Nachdem die Anwandlungen von Dae gefuht seit etwa ahi Tagen nachgelassen haben, treten auch die Anfälle von nervösem Asthma sei

Î eit drei Tagen in leihterer Form auf; die Kräfte steigen langsam, jedoch hat Seine Königliche Hoheit das Bett noch nicht verlassen.

Sachsen-Weimar-Eisenach.

Seine Majestät der Kaiser hat dem Staats-Minister Dr. Freiherrn von Groß, der gestern die Feier seines 50 jährigen Dienstjubiläums beging, Allerhöchstsein Porträt mit eigenhändiger Unterschrift übersandt. Jhre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin widmeten dem Jubilar eine Marmorbüste des Großherzogs, Jhre König- liche Hoheit die Erbgroßherzogin das Bildniß des ver- nei Erbgroßherzogs. Der Großherzog sprach dem inister persönlich seine Glückwünsche aus. Zahlreiche Ab- ordnungen überreihten fostbare Gaben, Adressen 2c. Abends

fand dem Jubilar zu Ehren ein Festmahl statt.

Oldenburg.

Die Beiseßung weiland Jhrer Königlichen Hoheit der Großherzogin wird, der „Oldenb. Ztg.“ zufolge, voraus- fichtlih am Freitag stattfinden. Durch einen Erlaß des Staats- Ministeriums sind alle öffentlichen Lustbarkeiten bis zum Tage nach den Beisezungsfeierlihkeiten untersagt worden.

Braunschweig.

Seine Königlihe Hoheit der Prinz Albrecht von Preußen, Regent des Herzogthums Braunschweig, hat sih in der vergangenen Nacht nah England begeben, um Seine Majestät den Kaiser bei der feicrlihen Beisezung der Leiche des Prinzen Heinrich von Battenberg zu vertreten.

Oefterreich-Ungarn.

Die österreichishen Minister Graf Badeni, Dr. von Bilinski und Freiherr Glanz von Eicha sowie die ungari- schen Ressort-Minifter haben gestern in Budapest bei dem ungarishen Minister-Präfidenten Baron Banffy die Aus-

leihsverhandlungen wieder aufgenommen. Dem „W. T B.“ zufolge wurde von beiden Regierungen eine identische Note an die gatte Bank gerichtet, worin der- selben der Standpunkt der beiden Regierungen in Betreff der Bankfragen bekannt gegeben wird; diese Note trägt den un- garishen Wünshen und Ansprüchen auf Parität volle Rech- nung. Die Bankfrage is} vollständig gesichert; die noch im Umlauf befindlichen ungedeckten Staatsnoten über 112 Millionen Gulden sollen binnen zwei Jahren eingezogen werden. Die Berathungen werden heute fortgeseßt werden; es treffen dazu noch die osterreihischen Minister Graf Ledebur und Freiherr von Guttenberg ein.

Im niederösterreichischen kündigte

Landtage

gen der Statthalter Graf Kielmansegg namens der

egierung an, daß beim Wiederzusammentritt des Reichs- raths ein Geseßentwurf werde vorgelegt werden, be- treffend die berufsgenossenschaftlihe Organisation der Land- wirthe unter Berücksichtigung der Besonderheiten der ein- zelnen Kronländer ; in dem Gesehentwurf werde der autono- mistishe Standpunkt eine stärkere Betonung erfahren. Der Landtag nahm die Regierungsvorlage, betreffend Ab- änderung des Programms für die finanzielle Sicherstellung der Ausführung der Wiener Verkehrsanlagen, einstimmig an, nachdem der Berichterstatter Dr. Lueger der Regierung und der Verkehrskommission für die Vorlage, welche die Bevölke- rung entlaste, gedankt und der Abg. Czedik die Verdienste des Statthalters Grafen Kielmansegg um die Stadt Wien hervorgehoben hatte.

Der gal izishe Landtag hat gestern einen Antrag des Sonder-Ausschusses für die Auswanderungsfrage an- genommen, wonach eine Resolution gefaßt werden foll, in welcher der Landesauss{huß aufgefordert wird, auch fernerhin die Auswanderungs-BVewegung im Lande zu beaufsichtigen und im Einvernehmen mit der Regierung für möglichst energishe Abwehr des Einflusses \hädliher Faktoren zu sorgen. Ferner wird in der Resolution die Re- gierung aufgefordert, die Auswanderungs- Agenten streng zu beaufsihtigen, die vorkommenden Mißbräuche strengstens zu ahnden und eine Novelle zum Strafgeseß einzubringen, durch welche die unberechtigte Vermittelung und die Ermunterung zur Auswanderung verhindert wird. Der Vertreter der Rígie- rung betonte, daß die Behörden bei der Ausfertigung von Neijepässen für Auswanderer ganz vorschriftsmäßig verführen, und daß die Regierung bestrebt sei, den s{hädlihen Einflüssen der Auswanderungs-Agenten entgegenzuwirken.

Großbritannien und Jrland.

Der Kreuzer „Blenheim“ isl mit der Leiche des Prinzen Heinrich von Battenberg in Plymouth eingetroffen.

Frankreich.

___ In der gestrigen As der Deputirtenkammer richtete der Abg. Dussaussoy eine Anfrage an den Ackerbau- Minister Viger über die Einfuhr fremden Viehs und klagte darüber, daß deutsche, ungarishe und amerikanische Hammel den französishen Markt übershwemmten. Der Minister Viger ührte in seiner Antwort aus: er werde darüber wachen, daß die hierauf bezüglihen ministeriellen Verfügungen in strenger Weise ur Anwendung kämen, be- sonders diejenigen / dd welchen die Jmporteure ge- Engen seien, die Hammel geviertheilt mit daran hängendem deshlinge über die Grenze zu bringen. Die Kammer nahm hierauf, nachdem die Dringlichkeit dafür erklärt worden war, ohne Debatte das Grenz- und Handelsabkommen mit China an, welches im Juni vorigen Jahres in Peking ee anee worden ist. Alsdann wurde der Bericht über den Antrag der sozialistischen Deputirten erörtert, wona der frühere Arbeits-Minister Raynal, welcher die Eisenbahn - Konventionen abgeschlossen at, unter Anklage gestellt werden sollte. Dieser Bericht stellt fest, daß mit den Abkommen ein nüßlihes Werk gescha en -sei, und weist die Erhebung der Anklage zurück. Der Deputirte Berry Rechte) fand den Bericht unvollständig. Der sozialistische

eputirte Rouanet behäuptete, die Kommission bábe von

vornherein die Absicht gehabt, Naynal zu rehisertigen, und griff in seinen weiteren Ausführungen die Abkommen leb- haft an. Die Debatte wird heute fortgeseßt werden.

Spanien.

Nah einer Meldung des „W. T. B.“ erklärte der Marschall Martinez Campos in La Coruña : Es sei dringend nothwendig, den Feldzug in Cuba durch alle möglihen Mittel zu beendigen, selbst, wenn dieses nothwendig sein sollte ;

urch das Zugeständniß der Autonomie; die Hilfsquellen der Kolonie, fügte der Marschall hinzu, seien erschöpft. Die Polizei in Madrid ließ gestern Maueranschläge entfernen, welche einen für den Marschall Martinez Campos beleidigenden

Inhalt hatten. Serbien.

Die Skupschtina hat den Antrag der Regierung an- genommen: fie zu ermächtigen, bei temporären Ausfuhr- verboten für die Ausfuhr von Schweinen außerordentliche Erleichterungen im Verordnungswege zu gewähren, und so- dann in der Generaldebatte das Budget genehmigt. Dasselbe schließt in den Einnahmen mit 63 659720 Dinar und in den Ausgaben mit 63 356 906 Dinar ab. Mit diesem Budget werden gegenüber demjenigen vom Jahre 1894 91/7 Millionen erspart. Das Einnahmebudget wurde darauf auch in der Spezialdebatte angenommen.

Bulgarien.

In der Sobranje verlas, wie ,W. T. B.“ aus Sofia erfährt, der Minister-Präsident S toilow heute eine Prokla- mation, worin die Schwierigkeiten hervorgehoben werden, welche sich dem Uebertritt des Prinzen Boris entgegenstellten. Troßdem werde der Uebertritt des Prinzen zur orthodoxen Kirche am 14. Februar erfolgen. Die Proklamation wurde mit Jubel begrüßt.

Schweden und Norwegen. __ Das norwegische Storthing wurde gestern in Chri- stiania eröffnet. Jn der dabei verlesenen Thronrede wird die Hoffnung ausgesprochen, daß, wie die beiden Reiche sih bisher volle reiheit des Handelns gewahrt hätten, ohne irgendwie fremde Mächte zu ersuchen, während eventueller Streitigkeiten und Verwickelungen Hilfe zu leisten, es den Vertretern des Landes auch künftig vergönnt sein werde, eine solche völlig unabhängige Haltung einzunehmen. Es sei ferner zu hoffen, daß das Ünions-Comité, welches zusammengetreten sei, eine Uebereinkunft zum dauernden Glück der beiden Völker anbahnen werde. Afrika.

Die „Agenzia Stefani“ berihtet aus Massowah, Ras Makonen habe aus dem Lager von Farasmai die als Geiseln zurückbehaltenen italienishen Offiziere frei- 0) sen; dieselben seien in ausgezeihnetem Zustande gestern

bend im italienishen Lager angekommen.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Bericht über die gestrige Sißung des Rei chs- tags und der Shlußbericht über die gestrige Sißung des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.

Jn der heutigen (31.) Sißung des Neichstags, welcher der Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. von Boetticher, der Staatssekretär des Reichs - Justizamts Nieberding und zahlreihe Kommissare beiwohnten, wurde die erste Berathung des Entwurfs eines Bürgerlichen Geseßbuchs fvetacegt Das Wort erhielt zuerst der

Abg. Dr. von Dziembowski-Pomian (Pole): Wenn man an die Kritik der Vorlage herantritt, so muß man fragen, ob die Kom- mission etwas Neues geschaffen hat; die Kommission hätte fich von allen partikularrehtlihen Strömungen frei machen müsscn. Es entsteht die weitere Frage, ob die Umwandlung des bürgerlihen Rechts nicht die wirthshaftlihen Verhältnisse stört. Für den Anfang würde das siher der Fall sein; es wird eine geme Rechtsunsicherheit Play greifen bei dem Volke und bei den Juristen. Ich muß das Geseßbuch einer kurzen Prüfung unter- ziehen nah der Richtung, ob es in politischer, juristish-techn1\cher oder religiöser Beziehung den Ansprüchen genügt, welche man an cin folhes großes Werk stellen muß. Jch glaube, daß die Vorlage sich niht unbeeinflußt gehalten hat von politischen Tendenzen, indem sie z. B. die Ansiedlungs- geseßzebung ausschließt und damit für die polnishen Bauern eine Ausnahme schaft bezüglich der Erwerbung des Eigenthums. Für eine solhe Ausnahme müssen ganz andere Gründe sprechen, es müßte das Reich wirklih in Gefahr schweben. Mängel in politischer Beziehung zeigen sih auch bei dem Abschnitt von den juristischen Personen. Die Vereine, welche Politik und Sozialpolitik treiben, sollen keine juristishe Persönlichkeit erhalten. Die Regelung des Vereinsrechts, wie sie der Entwurf bringt, paßt nit für einen Rechtsstaat, sondern für einen Polizeistaat. Dem freien Ermessen des Richters ist zu viel Spielraum gelassen, die Richter selb werden dadurch in eine sehr mißlide Lage kommen, so lange die Wissenschaft und die Judikatur niht vorgearbeitet haben. Auch dem Partikularrecht ist zu viel Raum gelassen. In religiöser Beziehung \chließe ih mich den Auéführungen des Abg. Rintelen an. Wenn die Zivilehe aufreht erhalten wird, dann entstehen Schwierigkeiten mit den Nachbarstaaten; denn Rußland erkennt z. B. eine vor dem Standesamt geschlossene Ehe niht als eine vollgültige an. Redner \{hließt mit der Hoffnung, daß es gelingen werde, das Werk zu einem forderlichen Abschluß zu bringen.

Bei Schluß des Blattes spriht der Abg. Kauffmann.

__— Jn der heutigen (12.) Sigung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister für Landwirthschaft 2c. De von Hammerstein beiwohnte, wurde die zweite

erathung des Staatshaushalts-Etats für 1896/97, und zwar des Etats der landwirthshaftilihen Ver- waltung, beim Kapitel: „Landwirthschaftlihe Lehr- anstalten“ fortgeseßt.

Abg. Dünkelberg (nl.): Die preußischen Ackerbauschulen litten früher an einer zu geringen Schülerzabl, weil die Arbeit auf dem Felde diesen zu wenig Zeit ließ. Erst als durch das Dotationsgesey das landwirthschaftliche Unterrichtswesen auf die Provinzen überging, trat eine Besserung ein durch die Gründung der landwirthschaftlichen Winterschulen. Namentlich der Erfol diefer Schulen im Rheinland zeigt, daß dieselben in bäuerlichen Kreisen immer mehr Anklang finden. Die erste solher Schulen in Wiesbaden wurde leider, nachdem

e an Preußen übergegangen war, 1876 aufgelöst, was sich als ein chwerer Mißgriff erwies. In Hannover sind die landwirthschaftlichen

ittelshulen ÿauptsählich nur Realschulen und haben nur einen

nd Landwirthe, die anderen 42 % gehören anderen Berufs-

sud L landwirthshaftlihen Anhang; nur 58 % der Schüler t

änden an. Die welhen solhe Schulen

Kommunen, in haben mehr an Realanstalten, als an

Inuteresse

liegen,

reinen landwirths{aftli&en Anstalten. Beide Gebiete müßten von einander getrennt werden; die landwirthshaftlihen Schulen allein fönnten sehr gut bestehen und würden 0 der Landwirthschaft mehr nützen als die jeyige Einrichtung, An der Landwirthschaftlichen Akademie in Poppelsdorf besteht ein Mißstand, auf welhen ich den Minister aufmerksam machen möchte, Vie Lehrer dieser Anstalt sind in Bezug auf den Wohnungégeldzushuß ungerecht beschränkt; sie müßten in eine hößere Servisklasse eingestellt werden, um ihre bereh- tigten Klagen ein für alle Mal zu beseitigen, S

Abg. von Ne (ton Die Nothwendigkeit, den Landwirthen mehr theoretische Kenntn se, zu verschaffen, zeigt sich immer mehr. Dazu ist das geeignetste Mittel, zwischen den Winter- \{ulen und der Akademie die landwirthschaftlichen Mittelschulen ein- zuschieben. Die Vorwürfe des Vorredners gegen diese Schulen sind ja in gewissem Sinne berechtigt, aber sie liegen in der Natur der Sache. Vielleiht wäre eine gemeinsame Vorschule und eine Trennung der verschiedenen Fächer in den oberen Klassen angebraht. Schon in der Tertia wird sich übersehen lassen, zu welchem Beruféstande der Schüler eine besondere Neigung hat. Es darf bei diesen Schulen eben nicht darauf gesehen werden, daß der Schüler nur das einjährige Zeugniß ersißt, es muß die technishe Vorbildung für den Beruf berücksichtigt werden. Ich kann nur empfehlen, die bisherige Dreitheilur.g in den landwirthschaftlichen Unterrichtsanstalten beizubehalten und die Mittel- schulen in der angegebenen Weise zu formieren. Die Winterschulen sollten reine Kreisanstalten sein, die Mitielshulen Anstalten der be- treffenden Kommunen und der interessierten Kreise und die Akademien reine Staatsanstalten.

Geheimer Ober-Negierungs-Nath Thiel legte dar, daß die Aufgabe der Schule in Wiesbaden niht aus einer Abneigung gegen Winterschulen überhaupt erfolgt sei. Die Vorwürfe gegen die Mittel- schulen sind niht gerehtfertigt, sie haben niht den Zweck, ledigli die Erwerbung des einjährigen Zeugnisses zu erleichtern. Die landwirthschaftlihen Mittelschulen haben fich nicht auf Veran- lassung des Staats, sondern der Interessenten entwickelt, und es wurde aus den Interessentenkreisen das Streben so mächtig, die Er- werbung des einjährigen Zeugnisses auf diefen Schulen erreichen zu können. Deshalb mußte au auf die allgemeinen Kenntnisse Nüksicht genommen werden. Der landwirthschaftlihe Unterriht wird dadurhch nicht benachtheiligt. Eine Trennung der Examina so, daß das Examen in Sprachen und. allgemeiner Bildung in der Sekunda, das Examen in der Landwirthschaft in Prima stattfindet, hat ih niht als thunlih erwiesen. Wir wollen vermeiden, daß ein großer Theil unserer Landwirthe wohl eine allgemeine Ausbildung, aber keine genügende Fachbildung erbält. Der Wohnungsgeldzushuß in Poppelsdorf ift allerdings niht genügend, und wir sind seit Jahren auf eine Abhilfe bedacht, aber der Finanz-Minister kann nicht diese einzelne Gemeinde in eine höhere Servisklasse bringen. Solche Miß- stände bestehen auch an anderen Orten.

Abg. von Mendel-Steinfels (kons.): Zu wenig Werth hat man bisher auf den Unterricht in der Handelswissenshaft und Handels- kunde gelegt. Je mehr die Landwirthschaft in die Geldwirthschaft bineingetrieben wird, um so mehr muß der Landwirth auch Kaufmann sein. Ich bin selbst Lehrer der Handelswisscnschaft an der Universität Halle und sche, wie interessant diese Vorlesungen unferen jungen Landwirthen sind. An den landwirthscaftlichßen höheren Lehranstalten müssen aych für diesen Zweig der Wissenschaft Lehrkräfte angestellt werden; geeignet wären dazu aber nur Männer, welche selbst praktische Landwirthe sind und au den Handelsverkeßr kennen.

_ Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammerstein er- flârte si bereit, diesen Wunsch in Erwägung zu ziehen.

Abg. Barthold (fr. kou.) bedauerte, daß die Verhältnisse der Lehrer an den landwirthschaftlihen Mittelshulen noch nit geregelt find. Zur Verforgung der Relikten diefer Lehrer werfe der Etat nur 1200 Æ aus, es müßten auch die Kommunen zu Bei- trägen hierfür Herangezogen werden. Ohne Regelung der Lehrerverhältnisse müßten diese Schulen zurückgehen. Ferner meinte Redner, daß die Fortbildungsshulen auf dem Lande niht nur keinen Vortheil, sondern Nachtheil gebracht baben; die dafür verwendeten Staatsmittel sollte man lieber den landwirthschaftlichen Winterschulen zuwenden. Die Wanderlehrer unterrihten den ganzen Winter hindur an den Winterschulen und behalten nur im Sommer Zeit, auf das Land zu gehen. Man sollte deshalb die Zahl der Wanderlehrer vermehren.

Geheimer Ober-Regierungs-Nath Thiel: Es ist noch nit ge- lungen, den Normal-Etat überall einzuführen; es wird aber fort- eseßt daran gearbeitet, die Verhältnisse dieser Lehrer zu regeln. Das Fortbildungsshulwesen auf dem Lande hat sih im Westen sehr gut ent- wickelt, im Osten nicht; vielleiht liegt dies daran, daß man ih auf eine einfeitige Wiederholung des Elementarunterrihts beschränkt hat. Der Unterricht soll jeßt praktisher gemaht werden und Kuratorien für die einzelne Schule eingeseßt werden. Es ist außerordentlih wichtig, daß die jungen Leute noch nah dem Verlassen der Schule in der Fortbildungsschule festgehalten werden, wo sie einer gewissen Disziplin unterliegen.

__ Abg. Langerhans (fr. Vp.): Es giebt eine große Menge von jungen Leuten, für welche die landwirthschaftlihen Winterschulen nicht geeignet find, aber die Fortbildungss{hulen ein großer Segen sind. Die Verbindung des Fachunterrihts mit der Fortbildungs\cule ist ja \{chwierig, aber ohne diesen hat die Schule viel weniger Werth.

__ Abg. Glattfelter (Zentr.) war der Ansicht, daß die Fort- bildungs\hulen auf dem Lande nur Nuyen schaffen.

Das Kapitel wurde bewilligt.

Bei den Ausgaben für das Veterinärwesen besprach

Abg. Graf von Hoensbroech (Zentr.) die obligatorische Trichinenshau auf dem Lande, die dur Poltzeiverfügungen eingeführt sei und mit der jeßt auh der Westen beglückt sei. In seinem Kreise Geldern erfordere die Trichinenschau jährlih 23 000 ( an Gebühren, in den Regierungsbezirken Düsseldorf und Köln 400 000 4; praktische Gele von Trichinose hätten diese Maßregel dort nit veranlaßt, diese Summen werden alfo ausgegeben, um keine Trichine zu finden, und im ganzen Staat werde sih diese Steuer wohl auf Millionen be- laufen. Trichinenverdähtig sei nur das eingeführte amerikanische Schweinefleisch; in 50 Fällen, wo Trichinose festgestellt werde, betreffen 49 das amerikanische Fleisch. Man sollte das eingeführte Fleis aufs \hârfste kontrolieren, unserer Landwirthschaft aber die Steuer der Trichinenshau abnehmen. Die Gefahr fei für die Menschen außer- ordentlih gering, Die Regierung begründe ihre Verfügung besonders mit dem Vorkommen von Finnen. Es entsprehe zwar niht dem An- schen dieses Hauses, den Bandwurm in die Debatte zu ziehen; aber dieses fleine Uebel des Bandwurms entsprehe nicht der Aufwendung von Hunderttausenden für die Untersuhung der Schweine; vorkommenden Falls kaufe man \ih lieber in der Apotheke extractum filicis und warte mit Geduld den natürlihen Verlauf der Dinge ab. Um den Konsumenten vor einer ganz geringen Gefahr zu {üten, ziehe man den Bauern das Geld aus der Tasche.

(Schluß des Blattes.)

Entscheidungen des Reichsgerichts.

„Nach § 43 der Zivilprozeßordnung kann eine Partei einen Richter wegen Besorgniß der Befangenheit niht mehr ab- lehnen, wenn sie bei dérifelben, ohne den ihr bekannten Ablehnungs- g geltend zu machen, in eine Verhandlung {ih eingelassen oder Unträge gestellt hat. Jn Bezug auf diese Bestimmung hat das Neichsgericht, V. Zivilsenat, durch Beshluß vom 9. November 189 ausgesprochen, daß nur die Stellung Rer Anträge, welche den Ausdru eines Ver trauens in die Unbefangenheit des Richters und demgemäß einen stillshweigenden Verzicht auf das Ablehnungs- recht enthalten, das Ablehnungsrecht aufhebt. „Prüft man darauf hin den in Betracht kommenden Vorgang vom 25. Juni 1895, so hat damals allerdings der prozeßbevollmächtigte Anwalt der Beschwerdeführer eineù „Antrag" gestellt, indem er im Verein mit dem Anwalt der

Klägerin und den beiden Anwalten der anderen Beklagten die An- heraumun eines neuen Termins „beantragt“ hat, wie es im Termins- rotokoll heißt. Aber in der Beschwerde wird mit Necht hervor- ehoben, daß dieser Antrag nichts weiter darstelle, als die Verlaut- barun der nah § 205 Abs. 1 Z.-Pr.-O. zulässigen Vereinbarung der arteten über die Aufhebung des Termins vom 25. weiteren rihterlihen Kognition unterliege, und daß die An- beraumung eines neuen Termins lediglich eine rein formale Thätigkeit des Vorsitzenden darstelle, Ein Antrag bei dem Gericht, ‘der eine Unterwerfung unter die Entscheidung des Gerichts und damit den Auêdruck eines Vertrauens in die dasselbe bildenden

_ Nichter enthielte, i gar nicht gestellt worden. Das Gericht hatte

weder über die der freien Vereinbarung der Parteien unterliegende Aufhebung des Termins vom 25. Juni 205 Abs. 1 Zivilprozeß- ordnung) noch über die dem Vorsitzenden obliegende Anberaumung eines veu-n Termins 193 Abs. 2) zu befinden. Dadurch unter- scheidet sih der vorliegende Fall von dem Fall eines von einer Partei ausgehenden, beim Geriht zu f\tellenden und von diesem zu entiheidenden Vertagungêantrags, den die Mehrheit der zivilprozessua- lishen Schriftsteller als Verzicht auf den Ablebnungsantrag im Sinne des § 43 der Zivilprozeßordnung auffaßt". (125/95.)

Die vom Käufer zu tragende Transportgefahr einer von einem andern Ort übersendeten Waare erstreckt sich, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, T. Zivilsenats, vom 16. November 1895, nur auf die Beschädigung, welche die bei der Absendung vertragsmäßig heshaffene Waare beim Transport und infolge desfelbesn erleidet, niht aber auf diejeniae Verschle{hterung, welche zwar infolge des Transports zur äußeren Erscheinung kommt, aber ihren Grund in der vertragswidrigen Beschaffenheit zur Zeit der Absendung hat. „Steht fest, daß die Gerste bei der Ankunft mit Geruch behaftet war, wird von berufenen Sachverständigen begutahtet, daß dieser Mangel auf die innere Beschaffenheit der Gerste bei der Absendung zurückzuführen is, wenn während des Transports keine äußeren s{aädlichen Einflüsse auf dieselbe eingewirkt haben ; wird endlih dargettan, daß es an jedem Anhalt für derartige {ädlihe Einflüsse während des Transports f hlt: so wird dadur ein so hoher, der Gewißheit nahe kommender Grad von Wahrscheinlich- feit für die mangelhafte Beschaffenheit der Gerste bei der Absendung hergestellt, daß die gegentheilige Ueberzeugung auf das bloße äußere Ansehen derselben niht gegründet werden kann.“ (229/95.)

Entscheidungen des Ober-Verwaltungsgerichts.

Nach § 22 des Gewerbesteuergeseßes vom 24. Juni 1891 sind bei Auêëmittelung des Ertrages nicht abzugsfähig Zinsen für Schulden, welche behufs Anlage oder Erweiterung des Geschäfts, Verstärkung des Betriebskapitals oder zu sonstigen Verbesserungen aufgenommen sind. In Bezug auf diese Bestimmung hat das Ober- Verwaltungsgeriht, VI. Senat, 1. Kammer, durch Entscheidung vom 18, April 1895 ausgesprochen, daß unter diesen aufgenommenen Schulden regelmäßig auch die bei Begründung des Gewerbes in Anrehnung auf den Kaufpreis übernommenen Hypotheken, welche auf den über- nommenen gewerblichen Immobilien des Zensiten haften, zu verstehen sind. „Es kann zugegeben werden, daß unter besonderen Umständen Hypotheken laufende und deshalb abzugsfähige Geschäftss{ulden (Art. 16 IV. 1 der Ausführungsanweisung zum Gewerbesteuergesez) darstellen. Aber die Regel ist dies nicht ; vielmehr spricht die Vermuthung gegen

den Charakter der Hypotheken als laufende Geschäfts\{hulden, und es.

wäre deshalb Sache der Beschwerdeführerin (Zensitin) gewesen, die besonderen Um}tände darzulegen, welche, in Abweichung von der Regel, ibre Hypotheken als laufende Geschäfts\{ulden ersheinen lassen.“ (Reg. VI. G. 66/95.)

Nach § 66 des Zuständigkeitsgeseßes vom 1. August 1883 findet gegen die Anordnungen der für die Wahrnehmung der Wasser- polizei zuständigen Behörde wegen Räumung von Gräben, BVächen und Wasserläufen als Rechtêmittel der Einspruch an die Wasserpolizeibehörde statt, und gegen den Beschluß der Be- hôrde findet die Klage im Verwaltungsstreitverfahren statt. Der legte Absay des § 66 lautet: „Auf Gräben, Bäche und Wasser- läufe im Bezirke eines Deichverbandes finden die vor- stehenden Bestimmungen keine Anwendung.“ In Bezug auf diefen leßten Absatz hat das Ober - Verwaltungsgericht, 111. Senat, durch Urtheil vom 28. Oktober 1895 ausgesprochen, daß Räumungsanordnungen der ordentlichen Wasserpolizei- behôrde dem Verfahren nah Maßgabe des § 66 auch dann unter- liegen, wenn sie solhe Gräben, Bäche und Wasserläufe betreffen, die im örtlihen Bezirk eines Deichverbandcs gelegen find; nur Räumungs- anordnungen, welhe nicht von der ordentlihen Wasserpolizeibehörde erlassen sind, find auch nit einem Angriff auf Grund des § 66 des Zuständigkeitsgeseßes unterworfen. „Näumungsanordnungen der ordenilihen Wasserpolizeibehörde können immer nur auf dem im § 66 vorgezeichneten Wege angefohten werden, auch wenn sie sich auf Grâben u. \. w. beziehen, welche im Bezirk eines Deichverbandes ge- legen sind; insbesondere gilt dies auch für den Fall, daß die Zu- ständigkeit derselben zum Erlaß der Räumungs8anordnung deshalb be- stritten wird, weil hierzu angebli eine andere Behörde (Deichbehörde u. f. w.) aus\ließlich berufen sein soll.“ (III. 1335.)

Eine Ortsgemeinde, von welher ein Weg durch eine Nachbargemeinde nah einem dritten Ort führt, ist, nah einem Urtheil des Dber-Verwaltungsgerihts, 1V. Senats, vom 11. Dezember 1895, nicht legitimiert, gegen die Nachbargemeinde im Verwaltungs- streitverfahren zu klagen, daß diese den Weg als einen öffent- lihen anerkenne und demgemäß zu den Unterhaltungskosten dieses Weges für den durch ihr Gebiet führenden Theil Gttspréend bei- steuere; vielmehr ist dies Sache der zuständigen Moe Ne rae „Wie der Schuß des Bestandes der öffentlihen Wege lediglih der Polizeibehörde anvertraut ist, so kann auch nur im Streitverfahren mit dieser und gegen ihr diesen Schuß bezweckendes Einschreiten die Frage, ob ein Weg ein öffentlicher und als folcher zu unterhalten ist, zum Gegenstand der Entscheidung gemacht werden.“ (IV, 1755.)

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

In Stettin fand gestern eine Versammlung von Schneidern und Schneiderinnen statt, in welher, wie die „Ostsee-Zeitung“ berichtet, beschlossen wurde, in den allgemeinen Ausftand einzutreten.

ei der Abstimmung wurden von den etwa 2500 anwesenden Personen 620 gültige Stimmzettel abgegeben, davon lauteten 609 für und 11 fe en den Ausstand. Die anwesenden Schneiderinnen hatten ih, wie estgestellt wurde, überhaupt der Stimmabgabe enthalten.

In Lemberg ist, wie „W. T. B.“ meldet, ein Seterauss\tand ausgebrohen. Die Zeitungen erscheinen in verkleinertem Format.

Kunst und Wissenschaft.

SeinerMajestätdem Kaiser wurdebei der Geburtstags- parole die neueste Erwerbung des Königlichen Zeug- hauses vorgeführt, die seitdem im Lichthof ausgestellt i

ist eine sogenannte „goldene Kanone“, ein Stück, wie es keines der großen europäishen Waffenmuseen besißt. Nur in Hamburg, wo die Kanone erworben, is ein ganz gleiches weites Stück verblieben. h;

Die äußere Erscheinung des Gesehes ist so schön und fein, wie es bei einem Waffen! ieser Art sonst nit an- getroffen wird. Das schlanke, fast 3 m lange Rohr glänzt in

starker Feuervergoldung. Es zeigt neben profilierten Leisten und Ringen drei ausgehobene und ziselierte BVlätterfriese, zwei aus nackten Ningeraeltalten gebildete pes und als Boden- tück einen Elephantenkopf. Die Henkel sind durhch die Größe

Zuni, die keiner | Und Freiheit der Auffassung wie der Ausführung selbständige

Kunstwerke von höchstem Werthe.

Von gleicher, wieder ganz eigener Schönßeit ist die Lafette, deren eichener Holzkern mit röthlih s{himmerndem Birnbaum- holz fourniert ist. Darauf sißen Beschläge, Pfanndeckel Bolzen und Rosetten von lichtem Eisen, durchaus mit herrlih

eäßten Blumenornamenten überzogen. Durch Ausfüllung es Aeggrundes mit einer s{chwarzen Masse treten die weißen Blumen leuchtend hervor. Zweimal findet sh im Ornament die noch unerklärte Marke des Aepyers: E. R. M. 1643. Merkwürdiger noch, weil einzig in ihrer Art, ist die Rohrkonstruktion. Jn keinem Handbuch ist sie beschrieben, nirgends ist etwas Aehnliches zu sehen: ein Kupferrohr von 65 mm Seelendurhmesser und aus je cinem inneren und äußeren Mantel bestehend; als Füllung ein Zylinder aus Kiefernholz, der seinerseits der Dichtung wegen mit Leder umgeben 1st. Jm Rohrboden sindet ih eine Zentralzündung, die durch den Elephantenkopf ver- {lossen wird.

Die Arbeit ist auch vom kunstgewerblihen Standpunkt

ein Vorbild ohne Gleichen, und gerade darauf möge besonders hingewiejen werden. Denn die Verzierung von Waffen wird von den heutigen Kunsthandwerkern bezw. von den kunst- O Lehranstalten niht genügend beachtet. Vor- ilder zum Nachmachen geben diese rge veralteten Konstruktionen freilich niht, und wo affen kopiert werden, ftommt es zu Geschmacklosigkeiten; so, wenn eine Kanone oder Streitaxt zum Thermometer, eine Helmbarte als Leuchter oder Kleiderständer verarbeitet wird. Was nicht zu kopieren, aber zu lernen ist, das ist die harmo- nische Vereinigung der Verzierung mit der zweckmäßigen Form. Der ernste Zweck der Waffe hat die alten Meister stets ge- zwungen, sih in der künstlerishen Ausstattung zu beschränken. Unpraktishe Formen und Uebertreibungen in der Verzierung, die heute an den meisten Gebrauchsgegenständen u. f. w. vorkommen, waren hier durhaus ausgeschlossen, weil sie den Anforderungen höchster Gebrauchsfähigkeit niht entsprohen hätten. Was im besten Sinne stilvoll genannt wird, besißt ein anderer Gegen- stand selten in solhem Grade wie eine Waffe.

Ueber den Ursprung der zwei Geschüße herrsht noch Dunkel, obwohl im 17. und 18. Jahrhundert vielfach davon gesprochen worden ist. Zuerst sprehen Oldenburger in seinem Reisebuch „Thesaurus rerum publicarum“ (Genf 1675), dann Berken- meyer im „Neu vermehrten curieusen Antiquarium“ (Ham- burg 1731) und Andere mit höchster Bewunderung von den „güldenen Kanonen“. Nach diesen Quellen sind die beiden Geschüße lange vor 1675 einem Hamburger Kauf- mann wegen einer Schuld von 12000 Reichsthalern abge- pfändet worden. Stilistishe Gründe lassen darauf O iet daß diese Rohre in Holland hergestellt wurden, und es besteht kein Zweifel, daß Werthstüke so außergewöhnliher Art nur auf Bestellung gefertigt worden sind. Wer hat sie bestellt ? Unwillkürlich denkt man an den Großen Kurfürsten, der kurz vor 1643 in Holland gewesen war und der vor allei Fürsten qeiner Zeit das regite Jntére}e für das Geschüßwesen zeigte, der es vielfah veränderte und verbesserte. Die Stücke könnten somit in Holland in Auftrag gegeben und bei der Ueberführung nah Deutschland dem Hamburger Rheder gegen die oben genannte Summe, die er dem Senat schuldete, abgenommen worden sein. Bis auf die Thatsache der Pfändung bleibt dies indeß vorläufig Hypothese. Hoffentlih werden sich in den Hamburger Akten sihere Nach- rihten finden.

Die neue Zierde des Zeughauses erregte in hohem Grade das Jnteresse Seiner Majestät des Kaisers. Sie ist aus der Sammlung hamburgisher Alterthümer von dem Zeughaus- Direktor durch Tausch erworben. Die Gegengabe bildete neben werthvollen alt - hamburgishen Fahnen, Wosffen, Ausrüstungsstückken 2c. ein prächtiges Kanonenrohr von Bronze, geziert mit Wappen der freien Stadt und mehrerer Patrizierfamilien, mit Jnschriften, Jahreszahl und dem Namen des Hamburger Künstlers, der es gegossen. Durch den Tausch ist die kleine, aber trefflich verwaltete Sammlung Hamburgischer Alterthümer reih und hön vermehrt worden. Auch ihr älterer Bestand ist in einem wesentlichen Theil von Preußen dahin gelangt und zwar durch ein großes Geschenk des Königs, nachmaligen Kaisers Wilhelm 1. Im Jahre 1863 ließ der König die bis dahin im Zeughause auf- bewahrten Bürgerfahnen, die einst von den Franzosen aus Hamburg mitgenommen und dann auf dem Transport von preußishen Truppen wieder zurückerobert worden waren, in Hamburg überreichen.'

In dem photographishen Verlage von Rudolf Schuster (Berlin SW., Jerusalemerstraße 13) ist die von Herrn P. Spieß in der „Urania“ mittels der R öntgen’shen Strahlen aufge- nommene und vorzüglich gelungene Photographie einer Damen- hand erschienen. Dieselbe zeigt das ganze Handskelett nebst Ring, einschließli des Handwurzelknochens, mit großer Schärfe und Deut- lihfeii, während die Fleishtheile nur s{hleierartig durchs{heinend und in zarten Umrissen zu sehen sind. Die Photographie ift, fein auf- gezogen, zum Preise von 1 4 käuflich.

Bauten.

ps Erlangung von Entwürfen zu zwet evangelischen Kirchen für den Vorort Groß-Lichterfelde bei Berlin ist unter den deutshen Architekten ein öffentliher Wettbewerb aus- geschrieben. Die erste dieser Kirchen foll auf der Dorfaue errichtet werden. Als Preise für die drei besten Entwürfe zu“ derselben Fu 2000 4, 1500 A und - 1000 M ausgesegt. Die Preise ür die zweite, auf dem Wilhelmsplay zu erbauende Kirche betragen 1200 #, 800 4 und 500 # Das Preisrichteramt haben übernommen die Herren Geheimer Regierungs - Rath von Tiedemann in Potsdam, Professor Hehl in Charlottenburg, Pro- fessor Vollmer in Berlin, Geheimer Baurath Huntemüller und Regie- rungs-Baumeister Articus in Groß-Lichterfelde, sowie vier Nichtfach- männer, darunter der Pfarrer und der Eee ARTeE, Die Unter- lagen sind vom Gemeindebureau in Lichterfelde zu beziehen, an welches auh die Entwürfe bis zum 15. Mai d. J. einzureichen sind. bleibt den Bewerbern überlassen, \sih an dem Wettbewerb für beide oder nur für eine der Kirchen zu betheiligen.

Land- und Forstwirthschaft.

In der gestrigen ersten Sißzung der XXIV. Plenar- versammlung des Deutschen Landwirthschaftsraths bildete, wie {hon gemeldet, den ersten Gegenftand der Tagesordnung :

die Nahrungsmittelkontrole in Deutshland mit besonderer Nücksiht auf den Schuß der landwirthschaft- liher Produkte vor dem unlauteren Wettbewerb ihrer Erfaßmittel. ProfessorMay (München) befürwortete folgendeRefolu- tion: „Der Deutsche Landwirthschaftérath wolle 1) sih an die einzelnen Landesregierungen mit einer Vorstellung wenden, in welcher dargelegt wird: a. daß eine allgemeinere Durhführung und eine energischere f es d habung der Nahrungsmittelkontrole im Interesse der Landwirthschaft und der landwirthscaftlihen Nebengeroerbe dringend geboten ift, b. daß zur Erreichung dieses Zweckes die Errichtung einer größeren Anzahl öffentliher Untersuhungsanstalten “laat ist, und daß in erster Linie die Errichtung staatlicher Untersuhungsanstalten angestrebt werden soll; 2) sich an die einzelnen Landesregierungen mit der Bitte wenden, zur Beaufsichtigung der Fabriken und Verkaufsstellen für Mar- garine und Kunsispeiscfette, sowie zur Beaufsichtigung des Handels mit Butter und Speisefetten fachverständige Inspektoren anzustellen, welhen insbesondere auß die Aufgabe zu- fallen soll, in allen Theilen ihres Bezirks die Kontrole des Butter- und Fettmarktes zu organisieren, für die energishe und nit erlah- mende Handhabung der Kontrole Sorge zu tragen und durch fort- laufende Berichterstattung die Behörden von allen Vorkommnissen auf diesem Gebiet unterrichtet zu halten ; 3) sih mit dem Verbande der landwirthschaftlichen Versuchsstationen im Deutschen Reich in Verbindung seßen und erwirken, daß in jenen Gebietêtheilen des Neichs, wo eine wirk- fame Kontrole des Buttermarktes infolge des Fehlens öffentlicher Unter- fuhungsanftalten bisher nicht eingerihtet werden konnte, die land- wirthschaftlichen Versuchs\tationen die erforderli werdenden Butter- untersuhungen gegen eine möglichs niedrige Untersuhungsgebühr übernehmen ; 4) an das Kaiserliche Gesundheitsamt die Bitte richten, es möge dafür wirken, daß die von der Nahrungêmittel-Chemiker- versammlung in Eisenah am 4. August 1894 beantragte Kommission von Nahrungsmittel-Chemikern, welche der Reichsverwaltung als tehnisher Beirath dienen foll, bald ins Leben trete, und daß in diese Kommission auch ein Vertreter der landwirthschaftlihen Chemie be- rufen werde.“

Der Korreferent, Geheimer Regierungs - Rath, Professor Dr. Maercker (Halle) stimmte den Anträgen des Professors May zu ; nur in Punkt 3 seines Antrags beantragte er einzufügen: „Die einzelnen Landesregierungen zu ersuchen, den mit der Butter-, bezw. Nahrungs- mittel-Kontrole zu betrauenden Vorstehern und älteren Mitarbeitern der landwirthschaftlihen Versuchésiationen den Befähigungsnachweis als Nahrungsmittel, Chemiker zu ertheilen und denselben hiermit eine autoritative Stellung zu schaffen“. Ferner {lug derselbe vor: staat- licherseits eine Zentral-Untersuchungsstation für jede Provinz zu errihten, an die sih die kommunalen Untersuhungéstationen anzulehnen hätten. Erst eine entsprehende Organisation der Untersuchungsstationen werde dazu führen, daß die naten für Lebens- und Genuß- mittel dem Publikum zum Vortheil gereihen. In der hierauf folgenden Pause einigten si die Referenten, den Passus 3 des Antrags May folgendermaßen zu fassen: „Die den landwirthscaftlihen Ver- suchsftationen vorgeseßten Behörden zu ersuchen, dahin ¿u wirken, daß“ u. w. In ver Debatte nahm nur Bezirks-Präsident Freiherr von Hammerstein (Mey) das Wort. Nach einem kurzen Schlußwort des Professors May gelangte dessen Antrag in der mitgetheilten abgeänderten Fassung, sowie der Zusaßantrag des Professors Dr. Maerker einstimmig zur Annahme. Der Vorsißende theilte hierauf mit, daß der Vorstand beschlossen habe, mit Nücksiht auf die Stellung des Bundesraths zur Währungsfrage leßtere von der Tagesordnung ab - zuseßen. General-Sefretär Dr. Mueller (Berlin) referierte hierauf über: Handel und Notierungswesen an den deutshen Schlachtviehmärkten und Einführung des Handels nach Lebendgewicht. Dieser befürwortete, in Gemein- \haft mit dem Korreferenten Freiherrn von Welser (Ramhof in Bayern), folgenden Antrag: „Der Deutsche Landwirthschaftsrath wolle erklären: I. Die auf der Konferenz vom 6. und 7. November 1855 in Berlin unter Betheiligung von Vertretern des Deutschen O I N faßten Beschlüsse, betreffend : a. die einheitlihe Normierung des Be- griffs Schlahtgewicht, Þb. die Eintheilung der Qualitätsgruppen unter Fortfall der gegenwärtig gebräuchlihen Klassifikation sind als zweck- mäßig anzuerkennen. 11. Es ift anzuftreben, daß, solange nah Schlachtgewicht gehandelt und notiert wird, die Notierung - einheitlih an allen deutschen Viehmärkten nah der unter I bezeihneten Grund- lage vorgenommen wird. III. Der Deutsche Landwirtbhschaftsrath erflärt indessen, daß grundsäßlih der Handel und die Notierung nah Lebendgewiht als der dem Interesse der Landwirthschaft meist entsprehende anzusehen und dessen Einführung thunlichst zu fördern ist. Er erklärt sich deshalb für die in der genannten Konferenz in Bezug auf Handel und Notierung nah Lebendgewicht gefaßte Resolution und beschließt: den deutschen Staatsregierungen, unter Darlegung der für den Handel nah Lebendgewicht \prehenden Gründe, die Bitte vorzutragen: überall nah Analogie der in dem preußishen Geseß über die Errichtung der Landwirthschaftskammern enthaltenen Vorschrift des § 2 Abs. 4 zu veranlassen, daß den land- wirthschaftlihen Interessen-Vertretungen geeignete Mitwirkung bei der Verwaltung der Märkte und den Preisnotierungen gesichert werde.“ An der Debatte betheiligten sich Amtsrath Seer (Nischwitz in Posen),

reiherr von Etrffa (Wernburg in Sachsen), Dekonomie-Rath

fannenstiel (Neudorf in Sachsen), Freiherr von Soden (Fraunhofen in Bayern), ODekonomie-Rath Sodan (Bayern), Domänenpächter Thon (Hof Clarenthal in Nassau) und Justiz-Rath Reih (Meyken in Ost- preußen). Die Referenten s{lugen vor, den Passus 11 ihres Antrages zu fassen: „Es is anzustreben, daß, wo und so lange nah Schlahtgewiht gehandelt und notiert wird, die Notierungen der betreffenden WViehmärkte auf der unter T bezeichneten Grundlage vorgenommen werden ;“ ferner dem Antrage hinzu- zufügen: „Den landwirthschaftlihen Zentralvereinen nochmals dringend zu empfehlen: a. in ihren Bezirken für die Einführung des Lebendgewicht-Handels, b. für die Beschaffung von Gemeindewaagen in allen ländlihen Gemeinden zu wirken.“ Justiz-Rath Reich (Meyken) {lug vor, im Pafsus 7 des ersten Absaßes anstatt der Worte: „und dessen Einführung thunlichst zu fördern ist", zu sagen: „mit allen Mitteln zu erstreben.“ Der Antrag des Referenten ‘pati in dieser Fassung zur Annahme. Danach wurde die Ver- t gegen Uhr Nachmittags auf heute Vormittag 9 Uhr vertagt.

Die beutige zweite Sißung eröffnete der Vorsißende, Landes- Hauptmann von Röder (Ober-Ellguth) mit der Mittheilung, daß der Vorstand des Deutschen Landwirthschaftsraths dem Wunsche des Ausschusses gemäß beschlossen habe, das Zuckersteuergesezß für heute Nachmittag auf die Tagesordnung zu seßen, damit auch das Plenum des Deutschen Landwirthschaftsraths Gelegenheit finde, zu dem Geseßz noch rechtzeitig Stellung zu nehmen.

Den ersten Gegenstand der Tagesordnung bildete: die Organi- sation des ländlihen Arbeitsnachweises. Der Referent Landrath von Werder (Halle a. S.) befürwortete in Uebereinstimmun mit dem Korreferenten Justiz-Rath Reih (Meyken in Ostpreußen folgenden Antrag: „1) Die gegenwärtige Organisation des länd- lien Arbeitsnahweises genügt nicht überall, um eine sachch- gemäße Erhaltung und Vertbeilung der Arbeitskräfte auf dem

ande herbeizuführen. Es empfiehlt sih daher, da, wo das Bedürfniß vorhanden ift, die Organisation des ländlichen Arbeitsnachweises in Angriff zu nehmen. 2) Die Errichtung von Arbeitsnahweisen dur Kommunen und andere, nicht aus Landwirthen gebildete Körperschaften in den größeren Städten erscheint niht geeignet, einen richtigen Aus- tausch der Arbeitskräfte zwishen Stadt und Land herbei- zuführen, begünstigt vielmebr einseitig das schädlide Ab- \strômen der Arbeitskräfte vom Lande nah der Stadt. Eine Organi sation des ländlihen Arbeitsnahweises wird nur dann dem

der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer entsprechen, wenn ihr E ein Verband von ländlichen Arbeitgebern mit einer Zentralstelle

die in allen geeigneten Orten des Verbandsbezirks Arbeitsnachweise- Pren errihtet und leitet. 3) Die Ausdehnung der

ation des ländlihen Arbeitsnahweises über das ganze Deutsche Reih mit einer einzigen Zentralstelle erscheint nicht durhführbar. 4) Der Deutsche Landwirth|chaftsrath wolle beschließen: