1896 / 31 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 04 Feb 1896 18:00:01 GMT) scan diff

tenden Rechts die diesem Gesezgebungswerk, das in mühseliger Arbeit geschaffen worden ist, leihthin den Vorwurf maten, es sei nur eine Kompilation. Das Wort, meine Herren, nehme ih bin, denn es ift nach meiner Meinung eine Anerkennung : eine Anerkennung, daß die Kommission den größten Fehler vermieden bat, den Jdealisten wahrscheinlichß gemacht haben würden, den Fehler: mit dem bestehenden Rechtszustande des Volks zu brehen. Das will unser deutsches Volk nit; es will im wesentlichen das behalten, was es hat; es will nur ein Ende. machen dem unleidlihen Zustande der Berrissenheit.

Diesen Vorwurf, meine Herren, daß wir nur kompiliert bâtten, Eönnen Sie jeder Kodifikation machen, die jemals an das Tageslicht getreten ist. Kein Recht hat ihn wohl mehr verdieut als die Kodifi-

Xation Justinian's, die doch mehr als irgend eine andere über ein

Jahrtausend hindurch mit ihren geistigen Einflüfsen die Kulturwelt Europas beherrscht hat. Und selbst der französische Code, dieses Kind der Revolution, besteht im wesentlichen aus altem Recht, wie es in Frankreih galt, aus dem römischen Ret, wie es die französische Nation fich angeeignet hatte, aus dem fränkishen Recht, wie es in dem. Norden Frankreihs \sich erhalten hatte. Und wenn wir von Tadlern des Entwurfs in diesem Punkte verwiesen werden auf das Beispiel des Code, fo sage ih: dieser Hinweis ist unrichtig, der Code spricht gerade für uns. Der Code if zwar mit Begeisterung, darf man wohl sagen, aufgenommen im deutschen Volke, aber nit des- Halb, weil er viel neues Ret geschaffen hätte, sondern einmal, weil ihn der Schimmer der politischen Errungenshaften umgab, an denen das damalige Europa fi begeisterte; aber auch deshalb, weil der Westen unseres Vaterlandes an die Stelle der tammervollen Berrissenheit seines Rechts endlich ein einfahes einheitlides Recht in ihm begrüßen konnte. Meine Herren, wenn Sie im stande Find, die prinzipielen Gesichtspunkte, die ih die Ehre hatte, Ihnen kurz anzudeuten, sih anzueignen, dann, glaube ih, werden wir im Großen und Ganzen darüber nicht zweifelhaft unter einander sein können, daß der Entwurf, wie er hier vorliegt, im all- gemeinen gelungen i; dann werden wir uns nur noch streiten können in Einzelheiten, und das wird ja später unsere Sorge sein. Jh möchte au glauben, daß, was das Ganze des Werks be- trifft, hier im Hause erheblihe Bedenken niht laut werden können. Nur eins darf ih vielleiht gleih eingangs der Diskussion kurz hervorheben: es betrifft das Kleid des Entwurfs, die Sprache, die Seite, mit der das Werk zunächst unser deutsches Volk berührt.

Meine Herren, der Sprache des Gesetzentwurfs ist der Vorwurf gemacht worden, daß sie künstlih, nit einfach, für die weiten Kreise unverständlih, eigentlich nur Juristendeutsh sei. Jch will ofen ge- stehen, daß auch nach meinem Gefühl das Geseßbuh in dieser Formfrage nicht frei von Mängeln is. Aber ih bin nit der Meinung, daß die Vorwürfe, die nah dieser Nichtung hin erhoben werden, in ihrem ganzen Umfange berechtigt sind, und ih glaube nit, daß es einen Mann in Deutschland giebt, oder daß eine Kom- mission geschaffen werden könnte, die im stande wären, ein Geseßbuh zu schaffen, das in diesem Punkt freier von Mängeln und vollkommener wäre als dieses. (Sehr richtig!)

Meine Herren, man hat uns mit einem für den Deutschen nah meiner Meinung nicht berechtigten Stolz auf den Code hingewiesen und ihn als Muster \sprahliher Form uns hingestellt. Diesen Hinweis halte ih nicht für gerechtfertigt ; ih leugne nit, daß der Code fich dur eine elegante äußere Prägnanz auszeichnet, die vor allem für uns Deutsche mit unserer \{werfälligeren Sprache etwas Bestrickendes hat; ih leugne aber entschieden, daß der Code des- halb klarer und verständliher sei als unser Geseßbuh. Im Gegen- theil, meine Herren, wenn Sie Ihren Bli auf die zahllosen Bände der Entscheidungen des höchsten französishen Gerichtshofs, des Pariser Kassationshofs, werfen, auf alle die Urtheile, durch welche das französishe Volk fich erst die Klarstellung seines Rechts hat erkaufen müssen; wenn Sie bedenken, welche Müke, welche Kosten damit dem Volk erwachsen sind, dann werden Sie, glaube i, an- erkennen müssen, daß der Vortheil äußerer Eleganz mit einem folhen Aufwand zu theuer erkauft is. (Sehr rihtig!) Man hat uns dann auf das Allgemeine Landrecht verwiesen und hat uns gemahnt, dessen Spuren zu folgen. Meine Herren, der Vorzug unseres neuen Gesetz- buchs vor dem Allgemeinen Landrecht besteht do zweifellos darin, daß unser Geseßbuch bei weitem [kleiner an Umfang ift und deshalb dem Volke zugängliher. Was dem Allgemeinen Landrecht nahgerühmt werden kann, ist eine gewisse {einbare Gemeinverständ- lidkeit der Sprache. Aber diese Gemeinverftändlihkeit ift in der That nur eine scheinbare; denn auch hier hat die umfangreiche JIudikatur, die sih seit dem Anfang dieses Jahrhunderts an die Praxis des Landrechts geknüpft hat, uns gelehrt, wie wenig gemein- verftändlich in Wirklichkeit das Gesezbuch ist.

- Meine Herren, mag hier die Sache aber au liegen, wie sie will vergegenwärtigen wir uns doch vor allem, was wir mit diesem Gesetzbuch und seiner deutshen Sprache erwerben gegenüber dem, was wir besißen. Wenn wir zugestehen müssen, daß fast die Hâlfte unseres Volks ¡unter fremdsprahigem Ret lebt wie können wir da noch Wagen, aus der nicht vollendeten Form der Sprache des neuen Gntwurfs, der doch immerhin deuts spricht, einen Einwand gegen ihn berzuleiten! (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Das Drittheil unseres Volks, das jeßt darauf angewiesen ist, falls über- haupt der Versuch gemacht werden sollte, die Quellen seines Rechts in den lateinishen und griehishen Sammlungen zu suchen, das würde si glücklich s{chäßen, dieses Geseßbuch zu erhalten. Und, meine Herren, die anderen 14 9% unseres Volks im Westen werden, glaube ih, Nationalbewußtsein genug besißen, um si zu sagen: dieses deutsche Buch mit seiner nicht gerade eleganten Sprache if uns lieber wie das fremde Rechtsbuch, französis geschrieben, (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Meine Herren, von diesem Standpunkt aus, glaube ich, werden wir au über jedes Bedenken, das in der Form der Sprache liegt, binwegkommen.

Was die Erinnerungen gegen Einzelheiten des Entwurfs betrifft, so wird diese gesetzgebende Körperschaft sh der weiten Tragweite Sewußt sein, die bei der Beschlußfassung über den Gntwurf an sie herantritt, und nit geneigt sein, ihre Aufgabe in kleinen Bedenken zu verzetteln. Da möchte ih die Herren werden mir das gestatten auf ein Ereigniß in unserer deutschen Rechtsentwickelung verweisen, das nah der einen Seite eine Warnung, nach der anderen Seite aber au eine Ermuthigung sein kann; das ist die Entstehung unseres Handelsgeseßbuhs. Unser Handelsgeseßbuch is das Werk einer größeren Zahl ganz hervorragender Juristen und Kaufleute, die um die Mitte des Jahrhunderts das Vertrauen ganz

Deutschlands besaßen. Es war in einer zweimaligen müh- seligen Lesung zu ftande gebracht, und im lehten Augenblick, als die Frage entstand, ob annehmen oder ablehnen, da erhob fich die Opposition und namentlich die gelehrte Opposition, und eine große Reihe von mehr als hundert Erinnerungen wurden gegen das Geseßbuch geltend gemaht, mit dem Verlangen, eine noch- malige Revision und Umarbeitung eintreten zu lassen. Meine Herren, der politischen Klugheit der deutshen Regierungen, der Ein- sicht der Stände in den einzelnen Staaten, baben wir es zu ver- danken, daß dieses Begehren abgewiesen wurde, zum Glück für unser Land! Denn wohin wäre es gekommen, wenn nah den Wünschen, die damals laut wurten, nohmals eine umfassende Re- vision des Gntwurfs vorgenommen worden wäre? Jene große Kata- ftrophe, die die Umgestaltung der politishen Verhältnisse unseres Vaterlandes herbeiführte, sand vor der Thür, und die ganze Arbeit, die auf das Handelsgeseßbuh verwandt war, würde, wenn es zu einer neuen Lesung gekommen wäre, in den Strudel der politischen Um- wälzungen hineingezogen worden sein, und wer weiß, wann wir dann dieses Geseßbuch erhalten hätten.

Nun, meine Herren, troß der Hunderte von Bedenken, die damals eine leidenshaftlihe Opposition gegen das Gesebbuh geltend mate, ist es der Stolz unseres Rechtslebens und unseres Volkes. Wer spricht jeßt noch von jenen Bedenken? Und unser Handelsstand hat nie darunter gelitten, daß ihnen keine Rechnung getragen war. Wäre diesen Bedenken Rehuung getragen worden, so wäre es auf die Ge- fahr hin geschehen, daß das ganze Gefeßbuh nit zu stande kam.

Nun, meine Herren, ih glaube, auf solche Art der Diskussion, wie sie damals den deutschen Regierungen und den deutschen Landtagen angefonnen wurde, wird diese politische Körperschaft sih nit ein- lassen. Jch glaube, sie wird sih auf den Standpunkt stellen, zu fragen : was bietet, im Großen und Ganzen genommen, diese Vorlage unserm Volke? Ift es ein Gewinn für das Volk gegenüber dem, was besteht? Sind die Vorzüge so groß, daß wir unbedenklich die zweifellos großen Unbequemlihkeiten in den Kauf nehmen dürfen, die mit der gewaltigen Rechtsumwälzung, wie sie hier ja bevorsteht, verbunden sind? Sind die Vorzüge derart, daß auch der Bevölkerung derjenigen Landes- theile, die jeßt mit ihrem Recht verhältnißmäßig zufrieden sind, an- gesonnen werden darf, ihren Rechtszustand im Interesse der Einheit zu vertauschen mit einem neuen? Das, meine Herren, if für Sie, wie ih glaube, die entsheidende Frage. Es ist au die entscheidende Frage gewesen für die verbündeten Negierungen; die verbündeten Regierungen haben sie sich gestellt und haben fie beantwortet, einstimmig dahin beantwortet, daß gar kein Zweifel darüber sein könne, daß dieses Geseßbuh mit allen Unvollkommenheiten, die ihm auh nah der Meinung der verbündeten Negierungen anhaften, doch ein so gewaltiger nationaler und politisher Fortschritt ist, um alle Bedenken, die vom Standpunkte der Einzelstaaten dagegen erhoben werden können, zurückzudrängen. (Bravo! links und rechts.) Und so shwer es auch einzelnen Regierungen geworden ist, ihre Zustimmung zu dem Entwurfe zu geben, und so sehr sie besorgen, daß die NRechtsumgestaltung, die damit in ihren Landen eingeführt wird, zu manchen empfindlihen Nachwitkungen führen werde, fo haben sie keine Bedenken getragen zu erklären: diese Besorgnisse treten für uns zurück, wir stimmen für das Geseßbuh. (Bravo! links und rets.)

Meine Herren, in der That auch für Sie, auch für jeden Einzelnen unter Ihnen, au für jeden Einzelnen draußen im Lande kann, wenn man die Frage einfa stellt, die Antwort uit zweifelhaft sein. Denn was liegt nicht alles darin, daß die Nechtseinheit eingeführt werden soll, auf dem Gebiete des bürgerlihen Rechts, für jeden Einzelnen ? Wie vereinfaht sih der Rechtsverkehr! Welche Beschleunigung für das ganze Geschäftsleben wird dadurch geschaffen! Wie viel Mühe, Zeit, Sorgen, Prozesse werden erspart, wenn im ganzen Reiche statt der wirren Vielgestaltigkeit der Normen nur ein einheitliches Recht herrsht! Das, meine Herren, ist ein gewaltiger materieller Vortheil für das ganze Land und für den einzelnen Bürger. Auch in Zukunft werden wir ja Prozesse haben, und zweifellos wird sich eine reihhaltige Judikatur an dieses Geseßbuch anknüpfen ; aber, meine Herren, gegenüber demjenigen, was wir haben, gegenüber der Noth und Mühe, die unser Volk anwenden muß, um sich durch das geltende Ret durhzushlagen, wird der Zustand, dem wir mit Hilfe dieses Rechtsbuhs entgegengehen, ein unvergleichlich besserer sein. (Bravo! links und rets.)

Und, meine Herren, weiter: niht nur für den Einzelnen ift der Gewinn erheblich, nein, ich möchte einen anderen Vortheil des neuen Rechts noch höher tellen, das ist die Hebung der Autorität des Rechts, als solhen. Was foll der gemeine Menschenverstand des einfahen Mannes, wenn ibm einmal vorgerückt wird, wie gegen- wärtig das Reht im Lande liegt, wenn ihm im einzelnen Fall nahe gebracht wird und gewissermaßen an seinem eigenen Leibe klar wird was foll der noch denken von der Auktorität, von dem höheren Zwedke des Rechts, wenn es so liegt, wie es bei uns ja vielfah leider der Fall ist, daß in dem einen Ort das Erbrecht absolut verschieden ist, wie in einem nahen Nachbarort, daß hier die Ehefrau Erbin ist, daß dort ein Erbreht für sie überhaupt nit besteht, daß hier Voll- ges{chwister und Halbgeshwister gleihgestellt sind, daß dort, nicht weit davon , ein erheblicher Unterschied zwischen ihnen gemacht wird, daß in einer einzelnen , niht einmal großen Stadt, ein verschiedenes Recht herrscht, im Junern und in den Außentheilen ? Weshalb ? Weil die Stadt in ihren alten Mauern einst besonderes Stadtrecht verliehen erhalten hatte, während sie nun längst über diese Mauer hinausgewachsen ift, über Gebietstheile hin, in denen gemeines Landes- recht die Herrschaft hatte. Aus längst vergessener, historischer Ver- gangenheit hervor haben sih die verschiedenen Rechte erbalten für dieselben Bürger, für dieselben Familien , für dieselben Rechts- verhältnisse, in einer, wie gesagt, dem gemeinen Menschenverstand unbegreiflihen Art. (Sehr gut!) Daß, meine Herren, es mit der Auktorität des Rechts, deren wir do für unsere Zeit vor allem Anderen bedürfen,, anders wird, wenn wir ein Fünfzigmillionenrecht vor uns haben, bei dem jeder einzelne fühlt, es steht hinter ihm die Macht des nationalen Willens und der höhere Zweck einer Ein- heitlihkeit des Rechts für alle Einwohner des Landes und damit die höhere sittlihe Ordnung, is unzweifelhaft.

Und nun, meine Herren, wie ist es in den einzelnen Theilen unseres Landes, wenn das neue Recht ins Leben tritt? Wo beruht da der Gewinn? Nehmen Sie doch den Zustand, wie er jeßt in Mittel- deutshland is : der Bürger hat seinen Prozeß zu führen. Die

Rechtéëquellen kennt er hier niht; niemals hat er ben Kodex gesehen, aus dem ihm Ret gesprochen werden soll. Würde der Kodex ihm vorgelegt? er würde ihn fremdartig anmuthen. Der Richter nimmt » ihn vielleicht zur Hand, um danah das Recht zu finden, oder nein: er nimmt ihn au nit zur Hand, sondern ein ihm geläufiges Pay- dektenlehrbuh ohne legale Autorität, und daraus muß der Bürger sein Recht empfangen. Das ift kein Vorwurf für den Richter, sondern das ist die Noth der Zeit, der wir abhelfen wollen. Und nun im französishen Recht gegen dessen Inhalt ih hier mit keinem Worte Einspruch erheben will —, aber es ist doch nicht ein Recht des deutschen Volks, es ist jeuseits unserer Grenzen geboren, jenseits unserer Grenzen hat es seine naturgemäße Entwicklung. Dort empfängt es. die Be, rechtigung, dort empfängt es die Befruchtung, die jedes Recht aus der fortschreitenden Entwiklung der Kultur empfangen muß, wenn es überhaupt lebensfähig bleiben und nicht absterben soll. Bei ung vegetiert es wie eine Pflanze, die dem natürlichen Boden entrückt ist. Unser Richter sieht deshalb mit einem Auge, wenn er dieg Recht anwendet, nah den Entscheidungen des Kassationshofs in Paris, mit dem anderen Auge nach den Entscheidungen unseres Neichsgerichts in Leipzig. Meine Herren, das ist national beschämend und nachtheilig für die Rechtspflege !

Und, meine Herren, unser preußishes Allgemeines Landrecht! Sein Urtheil wurde ihm gesprochen, als in den zwanziger Jahren die preußische Regierung selbs, in einer Zeit, als die Regierung gewiß von den konservativen Anschauungen beherrs{t war, zu der Erkenntniß kam, das Landre®t sei niht mehr haltbar seitdem sind 70 Jahre vergangen. Die Autorität des Landrehts is noch mehr ges{chwädht, náchdem der preußische Staat neue Landestheile in \sidy aufgenommen hat und die Landesregierung nicht gewagt hat, dieses alte Landre(t in den neuen Landestheilen einzuführen ; sein Bau ist zerstückelt und morsch geworden unter dem Einfluß der Geseßgebung der neueren Zeit in Preußen wie im Reih. Unter solchen Zuständen ist kein Recht haltbar, kein Recht kann unter folhen Verhältnissen das Ansehen des Volkes behaupten. Wie anders wird es werden, wenn das neue Recht, in sih geschlossen, mit unbedingter Geltung an seine Stelle tritt! So, meine Herren, glaube ih, von allen diesen politishen Gesichtspunkten erwogen, die, wie es s{heint, voll maßgebend sein müssen für die Würdigung in diesem Hause, wird man fagen dürfen, daß, wie im übrigen auch das Werk beschafen sein möge, in ihm doch eingeshlossen is ein unermeßliher wirth\chaft- licher, politischer und sittliher Vortheil für unsere Nation ! (Bravo !)

Aber, meine Herrn, bevor ich \chlicße, möhte ih do mit einem Wort Ihre Blicke noch etwas weiter lenken; denn die Wir- kungen des neuen Geseßbuchs werden sih nit auf diesen Einfluß in unseren Grenzen selbst beshränken. Die Wirkungen unseres neuen, einheitlihen Nechts werden viel weiter reichen, über die Grenzen unseres Landes hinaus. Wer dem zweifelnd gegenüberstehen sollte, dea brauthe ih nur an die Thatsache zu erinnern, welhen gewaltigen Einfluß zu Gunsten Frankreichs die Thatsache gehabt hat, daß diese Nation fo bald in den Besiß eines einhcitlichen Rechts getreten ift. (Sehr richtig !) Wie hat dieses einheitlihe Reht zur Verbreitung fcanzösisher An- schauungen beigetragen und au französisher Sympathien, zur Hebung des Ansehens der Nation, des Respekts vor der Energie der Volksseele zu Gunsten alles dessen beigetragen, was man im internationalen Leben das Prestige einer Nation nennt! Meine Herren, die Völker stehen sih au in einem geistigen Kampf gegenüber, und in diesem geistigen Kampf ist dieser unsichtbare, aber täglih wirkende Einfluß der inneren geistigen Macht einer Nation nit zu untershäßen. (Sehr richtig !) Was hat Deutschland auf dem Gebiet des bürgerlißen Rechts an Autorität gegenüber dem in anderen Landen einzuseßen? Bisher haben wir nichts, eigentlich fo gut wie nichts! Denn das Handelsgeseßbuch, das ja denselben Ideen wie diese Vorlage entsprungen ift, bewegt {i doch auf einem so beschränkten Gebiet, daß der Einfluß, den es in internationaler Beziehung ausgeübt hat, bei weitem doch nicht ver- glihen werden kann mit dem Einfluß, mit dem Gewicht, das der französishe Code hat in die Wagschale werfen können - zu Gunsten Frankreihs. Meine Herren, das wird alles anders werden mit dem Augenblick, wo das deutshe Einheitsrechßt Wahrheit geworden. Mit deni Augenblick, wo wir ein einheitlihes Geseßbuch bekommen, wird das deutsche Recht gleichfalls ein internationales Kulturelement. Ge- währ dafür ist die Thatsache, wie hon jeßt die politischen und juristishen Kreise des Auslands mit steigendem Interesse dem all- mählichen Wachsen und Werden dieses deutshen Rechts ent- gegensehen, wie die politishe Presse des Auslands mit rihtigem Gefühl die große Bedeutung ‘des Augenblicks erkannt hat, in welhem das Werk der Kommission an die geseßzgebenden Faktoren des Reichs gebracht wurde; Gewähr dafür ist die CThat- fache, wie bereits jeßt helle Köpfe jenseits unserer Grenzen die Zeit gekommen glauben, um \ich die Frage vorzulegen: welchen Ein- fluß wird die Thatsache des einheitlichen deutschen Nechts ausüben auf das Recht, auf die Anschauungen, auf die Interessen des eigenen Heimathlandes? Darin, meine Herren, liegen do Erwägungen , die das innerste Leben, die geistige Kraft der Nation berühren und die, wie ih meine, bei der Entscheidung, die Sie zu fällen haben werden, nicht außer Betracht bleiben können. An Ihnen wird es sein, ob die Hoffnungen, die, wie ih überzeugt bin, das deutsche Volk an dieses Geseßgebungswerk knüpft, der Erfüllung entgegensehen sollen, ob die Erwartungen berechtigt sind, die man auh im Ausland damit verbindet. Die verbündeten Regierungen haben das Werk ver- trauensvoll in Ihre Hände gelegt, überzeugt, daß Sie erkennen werden, welcher Entschluß gewaltiger politisher Tragweite damit Ihnen anheim- fällt. An Ihnen is es, das Werk zum glücklihen Abschluß zu bringen. (Bravo! bei den Nationalliberalen.) Gelingt es Ihnen, meine Herren, des Dankes der deutschen Nation sind Sie sicher, nicht nur für jeyt, sondern auch in ferne Zeiten hinein. (Lebhaftes Bravo.)

Abg. Dr. Rintelen (Zentr.): Meine Freunde erkennen das Werk als ein großes, bedeutsames und nationales an. Jn den weitesten Kreisen hat si das Verlangen nah einem einheitlihen Recht geltend gemacht. Es sind dabei nit allein die erleihterten Verkehröverhält- nisse maßgebend gewesen, fondern man wollte ein einheitliches deutsches Recht haben. Es is eine große und sch{wierige

Aufgabe, die gelöst werden muß, Vielerlei Wünsche müssen unterdrückt werden, und es handelt \sich im wesentlihen darum, die großen materiellen Prinzipien, auf denen das Gesetz beruht, klar zu stellen und darüber eine Verständigung herbeizuführen. Es kommt hinzu, daß die politishen Parteien und Juristen selbs nicht einig: sind. Wenn wir bedenken, mit welher Sorgfalt und Mühe 20 Jahre lang an diesem Entwurf E ist, welhe Summe von Fleiß darauf

verwendet ist, so können wir sagen: Es ist etwas Großes geschaffen

eine flarere, deutlihere Sprache; er tr

worden. Der zweite Entwurf Me s von dem erften durch n

gt den Forderungen des Lebens mehr Rehnung, da hervorragende Laien mit herangezogen find. Diesen Meitarbeitern muß unser Dank ausgesprochen werden. Auch wir sind bereit, mit allen Kräften mitzuarbeiten an diesem großen Werk. Wir erkennen die Gefahren, welche entstehen würden, wenn die Berathung sih mehrere Jahre hinziehen würde. Aber wir sind uns au bewußt der Gefahr, welhe daraus entsteht, daß die Grundsäße niht genau geprüft werden. Es sind Anregungen laut geworden, den Entwurf ohne weiteres anzunehmen. Das ift eine ganz ungewöhnliche Zumuthung! Eine solche tief einshneidende Vorlage soll der Reichstag unbesehen annehmen ? Ich. freue mi, daß der Wunsch nach einer en bloc-Annahme, wenn er je bestanden hat, in offiziellen g niht mehr besteht. Die zweite Möglichkeit der Behandlung, abgesehen von einer Durchberathung nur im Plenum, die doch wohl niht möglich is, würde die Ueberweisung des ganzen Entwurfs an eine Kommission sein. Das würde aber die Gefahr der Verzögerung mit sich bringen und könnte Aenderungen zur Folge haben, die Ver- wirrungen in das System Hhineintragen. Aber es giebt eine Reihe von Materien, welche von ganz besonderer Bedeutung für unser soztales und religiöses Leben sind, diese müssen einer Kommission überwiesen werden, wozu 21 Mitglieder genügen würden. Meine politischen Freunde haben eine ganze Reihe von Paragraphen aufgestellt, von denen sie wünschen, daß sie einer Kommission überwiesen werden. Jch überreihe den Antrag dem Herrn Präsidenten. Die Kommission würde nah unserem Vorschlage zugleich die Vollmacht erhalten, bei Aenderungen au nicht überwiesene Paragraphen, welche davon betroffen werden, in ihre Berathung hineinzuziehen. Man könnte im Plenum nah Erledigung der ganzen Arbeit der Kommission beginnen; aber ih meine perfönlich, daß es zweckmäßiger wäre, wenn einzelne Abschnitte von der Kommission fertiggestellt sind, dieselben an das Plenum zu bringen. Meine politishen Freunde wünschen, daß das Einführungsgeseß ganz an die Kommission verwiesen wird, namentlich um die Vorbehalte bezüglich der Landesgeseßgebung zu prüfen; denn, wenn man das Gefeß liest, bekommt man einen Schreck über das, was der Landesgesetzgebung vorbehalten bleibt. Manche Ge- seßgebungsmaterien sind allerdings noch nicht reif. Es fehlt z. B. noch die Möglichkeit eines allgemeinen Wasserrehts, troßdem auf diesem Gebiet eine Einheitlichkeit Noth thäte. Ih bin der Ent- widelung des modernen Rechts gefolgt, aber manhes Moderne ist nicht besser als das Alte. Redner bemängelt, daß nicht für gewisse Dinge allgemeine Grundsäße aufgestellt sind, sondern auf andere Paragraphen verwiesen wird, und fährt dann fort: Dieser Uebelstand wird niht mehr beseitigt werden können, wie sih denn im Großen und Ganzen wenig ändern lassen wird. Es wird z. B. von der ent- sprehenden Anwendung dieser oder jener Bestimmung gesprochen ; dadur wird das Publikum in Verwirrung gebraht, weil es niht weiß, wie der eine oder der andere Richter die Sache auffassen wird. In dem Familienrecht ift, meiner Anschauung nah, eine zu weit gehende Ein- mishung des Staats in die Familienverhältnifse enthalten. Die Be- stimmungen find geeignet, in das Familienreht tief einzugreifen und das Familienleben zu stören. Da sollte der Staat seine Hand davon- lassen. Aus erhabenem Mund haben wir die Worte gehört: Schütt Religion, Sitte und Ordnung. Diese Worte lege ih auch als Maßstab an die Vorlage. Meine Freunde find der Meinung, daß

einzelne Theile des Entwurfs geeignet sind, die Ordnung zu zerstören. Es handelt sich dabei um die soziale, die politishe und religiöse AE Ich bin leider in der Lage, den Vorwurf, daß die soziale

Frage nit genügend berüsihtigt ist, daß der Schuß der wirth- shaftlich Schwachen nicht genügend zum Ausdruck gebracht ist, be- stätigen zu können. - Die Kommission kann hier Besserung in den Entwurf hineinbringen. Es fehlt eine Bestimmung über _das Zins- maximum. Auch bezüglih der Miethsverhältnifsse muß dafür geforgt werden, daß der wirthshaftlich Shwache niht erdrückt wird: diese Materie muß einer eingehenden Prüfung unterzogen werden. Ver- bessert werden müssen au die Bestimmungen über die Alimentation unehelicher Kinder und ibrer Mütter. Verhindert werden muß eine zu weit gehende Mobilisierung des Grundeigenthums durch Ein- führung einer zu leihten Veräußerung. In großen Theilen des Vater- landes müssen wir dafür sorgen, daß das Grundeigenthum möglihft in festen Händen liegt. Auch der Kredit follte nicht zu sehr erleihtert werden. Bedenklich ist die Beseitigung der patria potestas, die einfa durch eine bloße Vormundschaft erseßt werden soll. Das wird die ganzen Familienbande auflösen, welhe die Grundlage für Gemeinde und Staat find. Dabei kommt man ja {ließlich zu dem, was die Sozialdemokraten wollen, daß die Kinder den Eltern entzogen werden. Man wird das im Volke nicht verstehen. Die Aufrechterhaltung der väterlihen Gewalt ist im Interesse des sozialen Friedens absolut nothwendig. Einen solchen absoluten Eigenthumsbegriff, wie das römische Recht ihn kennt, kennen wir in Deutschland niht. Der Wald ift durch das preußishe Gese zum Eigenthume des Einzelnen ge- worden; daß jemand bestraft wird, wenn er eine Blume oder eine Beere pflückt, das versteht das Volk niht. Man sollte de-n Eigen- thumsbegriff etwas - weiter fassen, der Eigenthümer darf nicht nach Belieben über sein Eigenthum verfügen, er muß dabei auf das öfentlihe Interesse Rücksiht nehmen. Wozu is die unbe- schränkte Kreditfähigkeit und Wechselfreiheit nothwendig? Nicht genügend find die Bestimmungen über die juristishe Person; die Beschränkung der Vereinsfreiheit if “- nicht richtig, ift niht politisch. Hier sollte die Kommission eine Besserung versuchen. Redner bemängelt ferner die Beftimmungen über die Entmündigung, den Schadensersaß, die Bürgschaft u. #. w. und fährt fort: Jh komme nun zu der fráge. ob der Entwurf die Religion [{chühßt. Bei der Vormundschaft sollte die Religion des Pfleglings berüdsihtigt werden; die religiöse Erziehung der Kinder aus Mischehen sollte reihsgeseßlich geordnet werden. Fn Bezug auf die Gheschließung wiederholt der Entwurf die Bestimmungen des ivilstand8geseßes von 1875; es fehlt aber der Hinweis, den das ivilstandsgeseß enthält, daß dadur die christlihe Taufe und die irhlihe Eheschließung nicht r wurden. Der Entwurf beschränkt ch lediglich auf die zivilrechtlihe Wirkung der Ehe. Das christliche Volk sieht in der Ehe etwas ganz Anderes als ein bloßes bürgerliches Vertxagsverhältniß. Wenn die chriftlihe Ehe zerftört wird, dann zerstören Sie s{ließlich auch den Staat und die Monarchie. Die Zivilehe ist ein ureigenstes Produkt der französishen Revolution. ier follte man einmüthig zusammenstehen und das Chriftenthum chüßen gegenüber dem modernen Liberalismus. Wir müfsen erklären, daß der Entwurf Vorschriften über die Eheschließung enthält, die dem christlihen Glauben widersprechen. Wir erkennen den Ein- griff des Staats in die Eheschließung überhaupt nicht an. Wenn diese Vorschriften angenommen werden, werden wir nit allein gegen den betreffenden Abschnitt, sondern gegen den ganzen Entwurf stimm-n. Abg. Dr. von C uny (nl.): Ich willzurü kehren zu dem allgemeinen Standpunkt. Wir sind èntshlofsen, alles aufzubieten, um den Ent- wurf Gese werden zu lassen. Für uns ist die nationale Bedeutung des: Werks maßgebend. Die Herstellung der Rechtseinheit war für uns das Hauptziel, und in diesem Moment, wo es fi darum handelt, kühn zuzugreifen, dürfen wir es nicht an uns fehlen laffen, um die Vorlage Geseß werden zu lassen. Ih stehe nicht an, zu erklären, daß meine Freunde bereit gewesen wären, die on bloc - Annahme zu empfehlen. Der Vorredner hat diese Zumuthung eine unerhörte ge- nannt ; aber zu großen Zwecken gehören auch große Mittel. Auch in der Kommission werden meine Freunde das Ziel fest im Auge behalten, um endli die Rechtsverschiedenheit und Rechtszersplitterung zu beenden. Meine freunde sind auch der Meinung, daß die Vor- lage troß aller Angriffe Berufener und Unberufener geeignet ift, ihre Aufgaben zu erfüllen und dem deutschen Volke die Einheit des Rechts azu geben. Jn den Angriffen liegt unendlih viel Uebertreibung. Mit einem gewissen Bedenken vertheidige ih die- Vorlage, weil ih selbst Mitglied der zweiten Kommission gewesen bin. Aber troy dieser Mitgliedschaft kann ih wohl die Vertheidigung übernehmen für die wesentlichen Grundzüge, denn die Einzelheiten zu prüfen, die der Vorredner angeführt hat, wird Sache der Kommission sein. t die Vorlage ift vor allem der Vorwurf erhoben worden, sie enthalte wesentlih römishes Recht und bringe niht dem deutschen

Volke deutshes Recht. Man solite doch einmal einen Entwurf bringen, der von Anfang bis zum Ende nur altdeutshes Recht ent- hielte. Das ift eine Unmöglichkeit. Es ift eine Thatsache, mit der auch die Geseßgebung rechnen muß, daß seit 400 Fahren römische Rechtsanschauungen in Deutschland eingedrungen sind, fotaß sie ih gar nicht mehr ausrotten lajsen. Wir haben vortrefflihe Gegen- entwürfe gehabt, ih nenne darunter in erfter Linie den des früheren Abg. Bähr - Cassel; aus diesem Entwurf ist manches in die Vorlage übergegangen; dieser Entwurf ist vielfah durhzogen von römischen Anschauungen. Wenn das bei der Kritik der Fall gewesen ist, dann kann dem Gesegbuh aus seiner rômishen Anschauungsweise kein Vorwurf gemacht werden. Es wird bemängelt, èaß die sozialen Ideen nicht genügend berüdsihtigt sind. Das ift für den jeßigen Entwurf in hohem Grade unberechtigt. Wenn man von einem solchen Entwurf eine foziale Reform erwartet, so verkennt man den Beruf eines solhen Geseßbuchs. Solche Reformen hat auch der Code civil nit geschaffen, er hat nur das Gesetz Gewortdene festgelegt. Wir haben unsere soziale Geseßgebung noch nicht abgeschlossen, daß wir sie berücksihtigen könnten. Eine Selegung der sozialen Ge- danken wird einer späteren Zeit vorbehalten bleiben müssen. Der zweiten Kommission ift es gelungen, die {wer verständliche Sprache des ersten Entwurfs leiht verständlih zu machen. Sie werden es mir verzeihen, daß ih hier als Mitglied der Kommission den Männern, die das fertig gebraht haben, die Sprache zu verbefsern, den Dank ausspreche; es sind das die Männer, die aus dem Schoße der Kommission zu einer besonderen Redaktionskommission zusammen- traten. Soviel ih aus der Nednerliste sehe, bin ich wohl der einzige, der als rheinisher Jurist hier das Wort ergreift. Jch hänge am rheinishen Recht. Ich kann aber dem Staatssekretär in einem Punkte Recht geben: Jeder, der das französische Necht kennen gelernt hat , wird es bestätigen, daß es sih eines hohen nationalen Ansehens erfreut. Zuerft war der Code civil durchaus nit sofort anerkannt; er wurde s{harf fritisiert. Welhes Mittel nationaler Macht und Größe würden die Franzosen aus den Händen gegeben haben, wenn sie solhen Kritiken nahgegeben hätten! Auf Grund dieser Erfahrungen als rheinisher Jurist möchte ih Sie bitten, dem deutschen Volke den Segen der Kodifikation niht vorzuenthalten. Die Kommiffion sollte niht dur juristische Liebhaberei und Rüfsicht- nahme auf dieses oder jenes es dahin bringen, daß das Geseßbuch jeßt niht zu stande komme. Das wäre ein Schaden für das Deutsche Reich, Jch bitte Sie dringend, machen Sie es fo, daß der Entwurf noch in dieser Session Geseß wird. :

Abg. Dr. von Buchka (d. kons.): Wer vor 30 Jahren die Be- rathung einer solchen Kodifiklation vorausgesagt hätte, wäre als Schwärmer verlacht worden. Es if jeßt aber gelungen, eine feste Grundlage für ein nationales Werk zu finden, und wir sind berufen, unsere Zustimmung dazu zu geben und an der Vollendung des Werks mitzuarbeiten. Es is eine der gewaltigsten und größten Aufgaben, welche dem Reichstag je gestellt sind, welche nur heranreiht an jene Aufgaben, vor welchen unsere Väter standen bei der Gründung des Reichs. Möchten wir doch unseren Vätern an Patriotismus und Hingabe ans Vaterland nit nachstehen ! Als es dem deutschen Volk gelungen war, die napoleonifsche Zwingherrschaft abzuwenden, da trat ein ann auf, als Patriot und Jurist gleich ausgezeichnet, der Heidelberger Professor Thibaut, und verlangte ein nationales einheit- lihes Necht. Allein die Zeiten waren nicht dana, ein solhes Werk zu vollenden. Deutschland ging aus dem Wiener Kongreß hervor als ein loser Bund einer Zahl von Staaten, die eine Einigung nicht finden konnten. Die wirthscaftlihe Trennung hörte 1834 auf, als die Zoll- shranken fielen; das war das Morgengrauen der deutshen Einheit. Der Wechselordnung, welche zuerst geshaffen wurde, folgte das Handelsgeseßz- buch. Nach 1870 maten sich die Bestrebungen nah Einheitlichkeit des Nechts immer mehr geltend; {hon 1867 beantragte Miquel die Ausdehnung der Zuständigkeit des Bundes auf das gesammte bürgerliche Recht. Das Wechselreht und Handelsreht, das Strafgeseßbuch und die Zivil- und die Strafprozeßordnung- wurden einheitlih geregelt, nur das bürgerlihe Recht blieb unberührt. Es bedurfte angestrengter Arbeit, um diese Materie zu ordnen in der uns vorliegenden Vorlage. Wie jedes Menschenwerk, hat auch dieses Gegner gefunden. Man hat ihm vorgeworfen, daß es den kapitalistishen Geist Lasker's athme; aber nicht Lasker, sondern Miquel is der Urheber des Gedankens, und ich bestreite, daß die Vorlage einen kapitalistishen Geist hat. Wenn man sich auf den Standpunkt der Kirhthurmspolitik stellt, dann kann man allerdings fagen, man wolle Alles beim Alten lassen, es feien andere Dinge nothwendiger. Wenn auch das Landrecht, das französishe Recht und das fkodifizierte gemeine Recht sfi be- währt haben, so ist das doch kein Beweis für die Entbehr- lihkeit eines einheitlihen Rechts, wenn auch Savigry den Beruf der Gewalt zur Gesetzgebung bestritten hat. Das in Deutschland geltende Recht ist ein umgearbeitetes römisches Recht, welhes nicht ausreilht; es muß einen Abschluß er- langen, der den modernen Verhältnissen entspricht. Unsere Zeit ist außerordentli \{chwierig, die Luft mit sozialen Ideen und Problemen geschwängert. Daraus folgt die doppelte und dreifache Nothwendigkeit, uns die nationalen Güter zu wahren; darin sind wir alle einig mit Ausnahme der internationalen Sozialdemokratie. Mein Herz ist stets da gewesen, wo die deutshe Fahne weht, aber nit die schwarz-roth- goldene von 1848, sondern die shwarz-roth-weiße Fahne des deutschen Kaisers. Neulih hat ein Blatt gesagt: die Medlenburger seien reihstreu bis in die Knochen. Das ist richtig. Wir sind au bereit, troßdem Manches besser bei uns if als in der Vorlage, alle Besonderheiten preiszugeben und uns der Vorlage zu unter- werfen. Ein einheitlides bürgerlihes Recht hat eine hohe Bedeutung für das politishe Leben und für die Rechtswissenschaft. Die kleinen Partikularrehte erforderten für ihre wissenschaftlihe Bearbeitung cine ungeheure Menge von Kraft ; diese ganze Kraft kann sich jeßt dem einen Bürgerlichen Gescßbuch widmen. Das einheitliche Recht übt eine einigende Wirkung aus, die um so größer ist, je umfassender das Geseg. Die Partikularrechte werden ja nit ganz beseitigt, aber sie werden doch eingeshränkt, und damit wird das nationale Bewußtsein ge- kräftigt werden, und es wird dem stolzen Bau des Deutschen Reichs ein neuer Eckstein eingefügt. Aus d'esem Grunde begrüße ih die Vorlage als eine nationale That. Der jetzige Entwurf ift besser als der Entwurf erster Lesung. Mit der T at- sache, daß das rômische Recht in Deutschland vor 400 Jahren ein- geführt ist, müssen wir rechnen, damit hat auch das Landreht und der Code civil rechnen müssen. Das Einführungsgesey \chließt gewiffe agrarishe Sonderrehte von * der reichszefeßlihen Regelung aus, so das Erbpachtreht, das Anerbenrecht 2c. Er enthält allerdings keine Bestimmungen über die Heimstätten. Wenn man die Land- wirthe zu sehr beschränkt in ihrer Verfügung über das Grund- eigenthum, so beschränkt man den Kredit der Leute, den fie do nothwendig brauhen. Das Gesetz soll niht sozial genug sein. Der Schuy des Schwachen zieht sich aber wie ein rother Faden dur das Gese hindurh. Im übrigen i von dem Vorredner be- merkt worden, daß wir feine soziale Géseßgebung machen wollen, fondern ein Bürgerliches Geseßbuh; da müssen wir uns vorsehen, daß wir nit der Zeit vorauseilen. Es wird nachher schon die Zeit kommen, wo wir den Niederschlag der sozialen Geseßgebung hinein- arbeiten können. Herr Rintelen hat die Vorlage als unannehmbar erklärt, wenn die Bestimmungen über die Eheschließung aufgenommen werden. Die Suppe wird wohl auch nicht fo heiß gegeffen werden. Ich halte es nicht für richtig, an der Zivilehe zu rütteln. Es be- standen ganz erheblihe Bedenken damals dagegen; aber die Dinge haben sich seit dem Bestehen der Gesezgebung geändert. Die evangelische und Tkatholishe Kirche ‘haben es verstanden, fs mit diesem Gefeßze abzufinden, und da soll der alte Streit in dieser ohnehin shwer be- lasteten Zeit wieder aufleben ? Bezüglih der Ehescheidung wünschen auch wir manche Veränderung, namentlich muß der Ebescheidungs- grund, der in der Geisteskrankheit liegt, entfernt werden. Man wird auch die Ehescheidung auf Zeit von Tish und Bett wieder ein- führen müssen.“ Unannehmbar is auch die vorgeschlagene Form der Ehescheidung infolge böslicher Verlaffung. Es ist getadelt worden, daß das E nführungtgesey fehr weitgehende Vorbehalte enthalte. Das ist nicht ganz richtig, Ich glaube, wir müssen uns begnügen mit

| welche das Geseß keine Nücksiht nehmen kann.

dem, was hier geboten wird, weil dasfelbe ohnehin {on einen tiefen Eingriff in die Rechte der Einzelstaaten enthält. Es kann unsere Aufgabe nit sein, die Elite der deutshen Juristen, die diese Vorlage zu siande gebraht haben, zu verbessern. Wir müssen uns entscheiden, die Vorlage nur in den Punkten einer Durchsicht zu unterziehen, wo religiöse, wirthschaftliche und politishe Gefichts- punkte es erfordern. Jm übrigen müssen wir die Vorlaze on bioc annehmen. Das ist durchaus keine unerhörte Zuemneng, Das Handelsgeseßbuch und das Bürgerlihe Gesezbuch in Sa sen sind auch en bloc angenommen. Dem WVorshlage des Abg. Rintelen möchte ih widersprechen, daß nur einzelne Theile der orlage der Kommisfion überwiesen werden sollen. Damit find auch die Freunde des E Rintelen wohl nit alle einverstanden. Es wird nichts übrig bleiben, als der Kommission das Ganze zu überweisen. Dafür spreche ich mich im Namen meiner politischen Freunde aus. Die Kommission kann ja ermächtigt werden, einzelne Theile nah ihrem Ermessen on bloc anzunehmen. Meine politischen FrenuDe sind nicht, wie es dur die Presse gegangen ist, Gegner der Vorlage Sie wünschen dringend, daß die Vorlage baldmöglichst und möglichf unverändert Geseß werden möge, möglichst noch im Laufe der gegen- wärtigen Session. Wir werden alles thun, um die Annahme dieses Werkes zu fördern und wir würden es auf das äußerste bedauern, wenn dieser Versuch mißlingen sollte, wir würden | die Verant- wortung für das Scheitern der Vorlage niht auf uns nehm n, sondern sie denen zuschieben, welche sie herbeigeführt haben.

Abg. Schröder (fr. Bag): Ich halte es für nothwendig, der Kommission direkt die Erm tigung zu geben, einzelne Theile en bloc anzunehmen, damit jeder geshäftsordnungsmäßige Zweifel aus- ges{hlofsen wird. Der Widerspruh des Herrn Rintelen wird nicht fo verhängnißvoll wirken, wie es {einen möchte. Es handelt sich \{ließlich doch E der Gheshließung darum, bestehendes Recht aufrecht zu erhalten; es wird nicht mögli sein, das Bürgerliße Geseßbuch zurückzushrauben, wie das Zentrum es wünsht. Das Recht, auf die Gheschließung einzuwirken, hat der Staat sih genommen und wird davon nit zurücktreten. Daß der Reichstag jeßt in die Lage kommt, die leßte Hand an das bürgerliche Recht zu legen, darin liegt für mich ein versöhnendes und erhebendes Moment, denn darin liegt der Beweis, daß der Einheitsgedanke im Volke doch immer noch vorhanden ist troy aller trennenden Momente. Da sollten alle Parteien ih vereinigen zur Arbeit, zur Herstellung eines einheitlihen bürgerlichen Rechts. Darin liegt die beste Stärkung des nationalen Gedankens. Wir müssen uns der Thatsache beugen, daß uns eine Arbeit der besten juristishen Kräfte vorliegt. Da wäre es auch von den Juristen eine Anmaßung, wenn sie glauben wollten, hier etwas bessern zu können. , Jch gebe mich der

offnung hin, daß die Juristen in der Kommission sich mit dem Austaush ihrer Zweifel bescheiden werden. Der Reichstag hat den Entwurf wesentlih unter den großen politishen und fozialpolitischen Gesichtspunkten zu betrachten. Die religiösen Gesichtspunkte möchle ih ausscheiden; denn wenn man sich darin zu sehr vertieft, möchte man eine Einigung nicht erzielen. Man hat verlangt, daß der Ent- wurf spezifisch national sein solle. Die hervorragenden Männer, welche den Entwurf geschaffen haben, standen doch mitten im Leben der Nation. Man kann doch die in unserem nationalen Leben vorhandenen Elemente, bloß weil sie fremden Ursprungs sind, nit ohne weiteres ausscheiden und auf germanistishe Liebhabereten zurück- greifen, für dic das moderne Leben niht mehr die nöthigen Borbedingungen enthält. Alle noch lebenden Volksanschauungen sind in den Entwurf aufgenommen, fodaß unter den Gesihts- punkten der deutsh-nationalen Idee der Entwurf das leistet, was er leisten konnte. Ein Werk, wie das Bürgerliche Geseßbuch kann gegenüber den mannigfachen gährenden und noch nit aus- gereiften sozialen Ideen fich nur der größten Zurückhaltung be- fleißigen. Es gilt, festes, dauerndes Ret zu schaffen und nit den vorübergehenden Zeitströmungen zu folgen. Es wird behauptet, daß die Rechtsstelung der Frau nit die richtige ist, Die Frau hat eine viel bessere Stellung bekommen als früber im Fawilienrecht, im ebeliGen Güterreht und im Erbrecht. Die Vorschriften entsprehen vollständig dem Stande der Nechtsanschauung, die jezt in Deutschland herrscht. Die weiteren Forderungen, welhe noch bestehen, sind Minderheitsforderungen, auf i Auch bezüglich der unehelihen Kinder ift eine wesentlihe Verbesserung eingetreten, ja vielleicht geht darin der Entwurf {hon zu weit, daß er die unehelichen Kinder ganz in die Familie der Mutter aufnehmen will. Der Entwurf der zweiten Lesung enthält wesentlihe Verbesserungen egenüber dem der erften Lesung. Wenn Wünsche übrig geblieben ind, fo werden wir fie unterdrücken müssen, um das Geseßbuh zu stande kommen zu lassen. Eine Kommissionsberathung würden meine politishen Freunde niht verlangen, weil sie der Meinung sind, daß die Verbesserungen auch im Plenum geschaffen werden können, namentlich bezüglih. des Körperschaftérehts, wo der Polizei- geist zu sehr vorgewaltet hat. Jh gebe mi der Hoffnung hin, daß an diesem Punkte die verbündeten Regierungen eine Aenderung zulassen werden. Wir werden allen Verbesserungen zustimmen, über welhe in der Kommission eine Vereinbarung zu stande kommt zwischen den Parteien und den verbündeten - Regierungen. Die Gelegenheit , einen Fortschritt im Rechtsleben zu errei en, darf der Reichstag nicht versäumen. Die Verantwortung dafür kann er niht übernehmen. Gerade in Anbetracht der herrschenden Gegensäßze müssen wir zeigen, la wir im stande find, ein einheitlihes Werk zu [chaffen. Ich shließe mit der Hoffnung, daß der große Moment kein kleines Geschlecht finden möge.

Abg. Leuschner (R. P.): Der erste Geseßentwurf is das Ergebniß einer achtjährigen Arbeit; die zweite Lesung hat die Vorlage gezeitigt. Es ist niht mögli, daß ein derartiger Gesetz- entwurf allen Menschen genügt; es handelt ih darum, ob er im Großen und Ganzen den nationalen Wünschen und den Bedürfnissen des deutschen Volkes Genüge leistet. Ich glaube, daß das in vollem Umfange der Fall ift. Eine spezielle Berathung einer solchen Vorlage im Reichstag ift L ausgeshlossen, daran wird auch wohl niemand denken. Eine Verweisung an eine besondere Kommission ist nah meiner Auffassung eine Maßregel, die mehr oder weniger das Zustandekommen des Gesetzes in Frage stellt. Jch glaube nit, daß wir in einer Kommission von 21 Mitgliedern zum Ziele kommen. Mit besserem Erfolge würde es möglich sein, das Gese zu stande zu bringen, wenn eine freie Kommission gebildet wird un wenn wir für die zweite Lesung einen bestimmten Termin feststellen. FO enthalte mih bei der vorgerückten Zeit, Spezialien vorzutragen.

ie Meinungsverschiedenheiten sind sehr tiefgehende. Auch in der Reichspartei find allerlei Auffassungen vertreten, die s{ließlich dahin geführt haben, daß die Reichspartci L verständigt hat über eine Refolution folgenden Inhalts: ie Deutsche Reichspartei verkennt niht die große nationale Bedeutung eines gemeinsamen Bürgerlichen Gesegbuches für das Deutsche Reich, und würde angesichts diefer Bedeutung gern ihre Bedenken gegen einz-lne Punkte des Entwurfs zurüstellen und für feine en bloc-Annahme eintreten, wenn für fie überhaupt eine A im Reichstag bestände. Nachdem aber Ee Parteien des Hauses ihrerseits die Zustimmung zu dem Entwurf von der Abänderung einzelner Theile derselben abhängig Pes haben, glauben wir unsererseits au unsere Wünsche beziehentlich einer Umarbeitung nit zurückhalten zu sollen. Diese Wünsche beziehen fih vorzugsweise auf die unseres Erachtens nit genügend berücksichtigten, aber mehr zu berücksichtigen- den Ansprüche der Frauen auf Verminderung ihrer Abhängigkeit und. Erweiterung ihrer Rechte auf dem Es Gebiete. Im Interesse des Zustandeklommens des Entwurfes beschränken wir unsere Wünsche auf ein Mindestmaß, glauben aber gleihzeitig be- antragen zu follen, daß der Entwurf eines Bürgerlichen Geseybuchs nicht in eine Kommission verwiesen werde, weil wir fürhten, daß in dieser ein positiver Erfolg schwer zu erzielen sein würde, sondern daß die zweite Lesung ers nach Ablauf“eines längeren eitraumes vor» evon werde, um während dieses Jens in froten Verhand- Ungen über die weitere ges{häftlihe Behandlung zur igung zu gelangen.