1896 / 38 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 12 Feb 1896 18:00:01 GMT) scan diff

has durch die Entwerthung des Silbers unser Absay nah den Silberländern niht die günstige Entwickelung genommen hat, die man erwarten könnte. Der Import aus den Silberländern wird dadurch gestärkt. Aber ift dieser Schaden so deutli, daß man hieraus die Initiative ergreifen wu um eine Aenderung der Währung herbeizuführen? Während unser Export nah den Silberländern nur 3 bis 49/9 beträgt, ist der Exvort Englands etwa 40 bis 50 mal le groß; der Export nah den Silberländern wird auf 250 Millionen fund geshäßt, daran ist England mit } betheiligt. Es hat über- haupt ein großes Interesse an den Silberpreisen, fast ein vitales Interesse. Also in England müßten die ersten Anstrengungen zur Peeung des Silberpreises gemaht werden. Von dem Sinken des ilberpreises haben wir Vortheil, namentlich auch die Landwirth- haft. Unsere Landwirthschaft konkurriert niht mit Silberländern, ondern mit Ländern mit Ie Paptervaluta. Gâäbe es ein Mittel, Staaten von dem ankerott zu retten, dann würden wir es anwenden müssen. Die Herren vertreten den Saß, daß bei der Doppelwährung Argentinien u. #. w. zur Baarzahlung übergehen würden. Wenn Silber und Gold enes sind, dann gehört do derselbe Kredit dazu, Silber oder

old zu kaufen. Nur wenn Silber ein minderwerthiges Metall ift, können die Papierländer eher zur Doppelwährung als zur Gold- währung übergehen. Wenn die verbündeten Regierungen den rationes dubitandi einen weiten Raum gewähren, so liegt darin ein großes Maß von Objektivität. Jch muß anerkennen, daß in den von der Regierung hervorgehobenen Punkten wirklich Prüfungen stattfinden müssen. Jh bin der Meinung, wenn ein bestimmtes Programm und Aussicht auf Erfolg vorhanden wäre, so würde die deutshe Regie- rung thre Pflicht verlegen, wenn sie niht an einer Konferenz fich betheiligen würde. Aber sie muß wissen, um was es sich handelt und ob etwas Nüßliches daraus hervorgeht. Ih nehme an, daß wir demnächst die Anträge des Grafen Mirbach und seiner Genossen erhalten werden, und daß wir dann ausreichende Gelegenheit haben werden, uns mit dieser Frage zu befassen.

Abg. Dr. Schönlank (Soz.): Die Erklärung des Reichskanzlers giebt ein Beispiel der Staatskunst des allerneuesten Kurses. Es macht einen unterhaltenden Eindruck, wie die Zurufe sich vertheilen ; die Gunst des Hauses war Ne mana vertheilt. Aber die Regierung ist davon abgekommen, mit den Agrariern in apodiktisher Weise abzurechnen ; die Erklärung ist ein Liebeëbrief an die Agrarier, min- destens ein Verlegenheitskompliment für das Junkerthum, für den kleinen Adel, der nur durch künstlihe Mittel über Wasser gehalten werden kann. Diese bittere Pille wird versüßt durh die Zuckersteuer ; der Bissen, den sie hinunterwürgen müssen, wird ihnen geshmeidiger gemaht durch die Margarinevorlage. Mit der Doppelwährung wird gegen das Ministerium geschossen, weil man si einen funkel- nagelneuen Kurs wünscht, eine feste Hand, welche die Sozialdemokraten unterdrückt und die Wünsche der Agrarier befriedigt. Es soll ein General kommen, ein St. Arnaud, der den Staatsftreih macht. Uns wird die internationale Vereinigung vorgeworfen, aber das bime- tallistishe Manifest verlangt die Vereinigung der Bimetallisten aller Länder zu gemeinsamen Zielen. Man kann also auch von einer silbernen Internationale reden, die in geheimen Konventikeln in Paris abgeschlossen ist. Herr Arendt, der Prophet des Bimetallismus, hat shon dem Reichskanzler gedroht. Nun, die Bimetallisten ver- dienen diesen Propheten. Die Arbeitershaft muß dieser Plus- macherei, denn um etwas Anderes dreht es sih nit, entgegen- treten; man will den Brotwoucher indirekt durchführen, man will die in Gold gemahten Schulden in minderwerthigem Silber zurück- zahlen. Die Spekulation würde dur) die Doppelwährung in die Höhe getrieben werden. Die Herren , welche die ruhigen Bürger ver- treten wollen, beunruhigen die ganze Welt und halten den natürlichen Verlauf der Dinge auf. Professor Sering unterscheidet sich von dem Agrarier, dem Grafen Mirbach, wie dieser von Herrn von Kardorff. Gerade in der Zeit des Flottenenthusiasmus muß man \sich wehren gegen den Versuch, eine neue Vertheuerung der Lebensmittel herbei- ¿führen Werden die Herren, wenn die Frage an sie herantritt, wie früher: „Kein Kanitz, keine Kähne“ sagen: „Kein Kardorff, keine Kähne?“ Für die Arbeiter is die Goldwährung die einzige und sie werden in der Lage sein, sehr energisch ihren Willen dur{hzuseten. Diese Stellung zur Währungspolitik is immer die unsrige gewesen. Wir haben keine Lust, etwas zu thun, was einer Minderheit die Taschen füllt und die Mehrheit \{ädigt.

Abg. von Kardorff (Rp.): Die deutshen Sozialdemokraten sind in der That die festesten Vertreter der Goldwährung, während die große Masse der englishen und amerikanishen Arbeiter einer ganz anderen Nichtung anhängen. Jch habe auf den Tisch des Hauses ein Plakat niedergelegt, welhes vor den Wahlen in England angeklebt worden ist und unterschrieben is von den Sekretären einer großen Menge von trade unions. Die arbeitenden Klassen in England haben zu den großen Fonds der bimetallistisWen Partei sehr große Beiträge beigesteuert, Die englishen Gewerkschaften vertreten wirklih in ihrer Weise die Interessen der arbeitenden Klassen. Die deutshe Sozial- demokratie dagegen hat lediglich das Interesse, Unzufriedenheit im höchsten Grade im deutshen Vaterlande zu erregen, um es zu einem gewaltsamen Umsturz kommen zu lassen das is Jhnen wiederholt aus Ihren eigenen Aeußerungen nachgewiesen worden —, und darum treten Sie für die Goldwährung ein. Herr Hammacher hat die merkwürdige Aeußerung gethan, die Landwirthschast hâtte an dieser Frage gar kein Interesse. Die „Bank- und Handels- zeitung“ hat aber die der deutshen Landwirthschaft durch die Er- mäßigung der Getreidepreise erwachsenen Verluste auf 378 246 000 4 berehnet! Auch Balfour, in den Augen des Herrn Hammacher gewiß kein unfähiger Mann, hat der Meinung Ausdruck gegeben, daß die De der Goldwährungsländer nothwendig unter dem Sinken der

ilberpreise leiden müssen. Die Papierländer haben ein Interesse an der Wiederherstellung des Silberwerths, weil dadur eine Steigerung der Preise herbeigeführt wird, und weil es ihnen leihter wird, die Metalldeckung zu beschaffen. Sh habe mir in der leßten Rede einen Ordnungsruf zugezogen, der berechtigt war. Aber wenn ih den Ton des Hauses damals verleßt habe, lassen Sie vielleiht den Entschul- digungsgrund gelten, daß ih seit zehn Uhr in der Budgetkommission als Vorsißender fungiert hatte, und daß ich um 5} Uhr niht mehr alles genau gehört habe, und ferner, daß die Insinuation, die Agitation würde durch amerikanishes Geld unterhalten, immer wiederkehrt in der Presse, troßdem le so sehr thöôricht ift. Wenn England, Frankreich und Deutschland die internationale Doppelwährung beschließen, wird Amerika zugreifen. Herr Barth glaubt, daß Amerika auch zur Goldwährung übergehen würde. Da wird er etwas Anderes erleben. Bezüglich Dans \hreibt Herr Raffalowitsch : es sei niht einzusehen, weshalb sich Rußland mit einem Währungsmetall begnügen follte, wenn über kurz oder lang zwei davon zur Verfügung gestellt werden. Die Bimetallisten nehmen in Amerika zu; sie haben im Senat die Mehrheit und bald auch im Repräsentantenhause; sie werden auh vielleiht einen Präsidenten ihrer Meinung bekommen, und dann steht der deutschen Landwirthschaft eine große Gefahr bevor. Deéwegen müssen wir wünschen, daß unsere Regierung eine Initiative niht so von der Hand weist, wie es ag en ist. Der Reichskanzler hat geglaubt, den Grafen Hay eldt besonders in Schuß nehmen zu sollen. Jh muß ausdrücklich konstatieren, daß ich den Namen niht genannt habe; er kommt in dem Brief des Herrn Gibbs vor. Ich habe mich jeder Kritik enthalten. Nur die „Kölnische Zeitung“ hat es für E gehalten, mich mit einer Anschuldigung zu belasten ; das bin ih gewohnt und habe für {e das Maß von Verachtung, welchem ih. hier schon mehrfach Ausdruck gegeben habe. Herr Schön- lank soll ruhig abwarten, ob das Wort: „Kein Kardorff keine Kähne“ kommt. Ich gelte für einen Flottenenthusiasten, ich werde für die Vertheidigung des Vaterlandes, soweit ih es verantworten kann, immer die Mittel bewilligen. Es is heute noch niht ganz aufgeklärt, wie der Hergang bei der Anfrage gewesen ist. Jt die Anfrage gewesen: Will England nach internationalen Vereinbarungen die indishen Münzstätten eröffnen, oder: sollte England bre weiteres die Münzstätten Indiens wieder eröffnen? Die leßtere Frage würde darauf hinauskommen, daß man den obersten Dachstein eher

legen will, als den Grundstein. Mit den Franzosen und Eng- ländern haben wir einen Antrag vereinbart, der von leßteren im englishen Parlament vorgelegt werden wird. - Dann wird sfi zeigen, ob im englishen Parlament eine Mehrheit dafür zu finden ist. Die englischen Bimetallisten hoffen es. Jn England maht sich in Kapitalistenkreisen die Meinung immer mehr geltend, daß es besser i, Schuldner zu haben, die überhaupt bezahlen, ftatt bankerotte Schuldner zu haben Der Bimetallist und Agrarier Méline, der drei Viertel der Mehrheit des französischen Parlaments hinter fih hat, sagt: daß die große Masse der haute finance der Feind des Bimetalliömus ist, und diese haute finance hat eine Presse hinter sich, die gewissenlos in der Auswahl ihrer Mittel ist. Vie Presse bringt keine Aeußerungen im bimetallistishen Sinne, auch bei uns nicht, troßdem die Mehrheit des preußischen Landtags \sich in bimetallistishem Sinne ausgesprochen hat. Ich leugne, def die Engländer ein höheres Interesse haben. Deutschland hat das Interesse an der Erhaltung seiner Landwirth- schaft, und die verbündeten ‘Regierungen hätten alle Veranlassung, die Aufregung zu beshwichtigen, welche in der deutshen Landwirthschaft über die bisher verfolgte Wirthschaftspolitik herrscht. Deshalb wünsche ih, daß die Regierung sich zuvorkommend gestellt hätte. Wenn Sie die Landwirthschaft versöhnen wollen, wenn Sie die kulturellen Interessen und die Vertheidigung des Vaterlandes s{hügen wollen, dann führen Sie die Doppelwährung ein.

Abg. Molkenbuhr (Soz.): Es ift mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die deutshen Arbeiter anders zur Währungsfrage stehen als die englishen. Die Unterschriften unter dem Aufruf, den Herr von Kardorff auf den Tisch gelegt hat, rühren hauptsächlich von Ar- beitervereinen der Baumwollenindustrie her. Das kommt daher, daß die Textilarbeiter niht festen Lohn haben, sondern nah einer s1iding scale gelohnt werden, die von den Preisen abhängig ist. Deshalb haben sie an einer Steigerung der Preise ein Interesse. In Amerika sind die Arbeiter gegen den Silberdollar gewesen. Für die Silber- oder Doppelwährung sind die Arbeiter dèr Silberstaaten zu haben, und damit wird dann in Europa hausiert. Gewisse Kreise werden von der Silberwährung einen großen Profit haben. Aber wer soll die höheren Preise bezahlen? Glaubt man, daß melr von unterirdi- schen Geistern herbeigeshaft wird? Die Arbeiter werden es bezahlen müssen, und die deutshen Arbeiter haben feine sliding scale wie die englischen und kein freies Koalitionsreht wie die Amerikaner. Nicht die hohen Preise rufen das flotte Geschäft hervor, sondern die gesteigerte Nachfrage steigert die Preise. Die Arbeiter würden keine höheren Löhne erhalten, fie rbürden also weniger Waaren kaufen können, und bald würde die Ueberproduktion wieder da sein. Deswegen sind die Arbeiter gegen die Doppelwährung.

Damit ist die Besprehung beendet.

Es folgt die Fortseßung der ersten Berathung der Novelle zur Gewerbeordnung.

Abg. von Strombeck (Zentr.) tritt im Interesse des Eichs- feldes für Ausnahmebestimmungen für die dortigen Hausierer ein. Es äbe viele Gemeinden und kleine Städte, welche keine genügenden

eshäfte hätten, bei denen au die nothwendigen Waaren gekauft werven könnten; die Knehte und Mägde und selb die Bauern hâtten keine Zeit, sich die Waaren aus den größeren Städten zu holen, sie wären auf die Hausierer angewiesen. Redner wendet \ich gegen den Ausschluß der Sämereien und der Schmucksahen vom E und gegen die Hinaufsezung der Altersgrenze ‘bis zum 25. Lebensjahr.

Abg. Hilpert (b. k. F.) bedauert im Interesse des seßhaften Kauf- mannsstandes, daß die shärferen Bestimmungen, die die von Bayern beantragte Vorlage enthielt, nicht angenommen sind.

Abg. Fuchs (Zentr.) wendet sih gegen die Beschränkung des Detailreisens ; die mittleren und kleineren Unternehmer könnten sich nur dadurch konkurrenzfähig erhalten gegenüber den großen Betrieben. Wenn man so einshneidende Bestimmungen träfe, wie die Vorlage, dann müßte man eine Uebergangszeit festseßen, damit die Tausende, die davon betroffen würden, sich eine andere Existenz {hafen könnten.

Damit schließt die Debatte; die Ucberweisung der Vorlage an eine Kommission wird gegen die Stimmen der Freisinnigen, Nationalliberalen und Sozialdemokraten, sowie einiger Mit- glieder des Zentrums abgelehnt.

__ Ohne Debatte erledigt das Haus darauf den Etat des Reihs-Schaßamts, soweit er sich niht in der Kommission

befindet.

Schluß 51/4 Uhr. Nächste t Mittwoch 1 Uhr. (Interpellation wegen der Verhältnisse der Arbeiterinnen in der Wäschefabrikation, Fortsezung der Berathung der Anträge

wegen des Reichs-Vereinsgesetßes.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

17. Sißung vom 11. Februar 1896.

Ueber den Beginn der Sißzung is gestern berichtet worden.

Das Haus sett die zweite Berathung des Staatshaus- halts-Etats für 1896/97 und zwar des Etats der Justizverwaltung fort.

Auf die zu dem Titel „Ausgaben für die Land- gerichte“ gemachten, {hon mitgetheilten Bemerkungen des Abg. Mundckel (fr. Volksp.) erwidert der

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Ueber den Sonnenschein für die Justiz kann ih leider nit in demselben Maße verfügen wie mein Herr Kollege von der Finanz; ih würde sons nach manchen anderen Nichtungen hin gern bereit sein, noch ein weitergehendes Entgegenkommen zu beweisen.

Was die hier angeregte Frage der Einräumung von Arbeitszimmern für die Mitglieder der Landgerichte betrifft, so liegt nach meiner An- shauung die Sache hier etwas anders als bei den Mitgliedern der Amtsgerichte. Bezüglich der Amtsgerichte halte ih es für im höchsten Grade wünschenswerth, wenn dieselben ihre Arbeiten grundsäßlih an der Gerichtsstelle erledigen, und namentli gilt das von den Arbeiten, die das Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit betreffen: Grund- buch- und Vormundschaftssachen; ih halte es im geschäftlichen und dienstlithen Interesse für dringend wünschenswerth, daß die Amtsrichter von den ihnen zur Verfügung ge- stellten Arbeitsräumen in den Gerichtslokalen ausgedehnten Gebrauch machen und möglichst wenig ihre Arbeitsthätigkeit in ihre Wohnung verlegen.

Nun habe ich zu meinem Bedauern in meiner Praxis die Er- fahrung machen müssen, daß dieser Grundsaß von den Herren Amts- rihtern keineswegs überall anerkannt wird, und daß viele von ihnen eine große Vorliebe an den Tag legen, sih die Akten nah Hause kommen zu lassen und nur an Terminstagen sich zum Amtsgericht begeben wollen. In meinen früheren Stellungen, meine Herren, habe ich mir viel Mühe gegeben, dem abzuhelfen und die Herren von anderen Grundsäßen zu überzeugen; hier und da mit Er- folg, aber keineswegs überall. Jh fürchte, wenn den Landrichtern Arbeitszimmer in den Gerichtslokalen angèwiesen werden, daß diese Räume in der Regel unbenugt bleiben würden; und es liegt in der Natur der Beschäftigung der Landrichter, daß die Landrichter ihre meisten

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Arbeiten doch besser in ihrer Wohnung erledigen, kommen zurüdziehen können, und da fie nicht den Störungen ausgeseßt sind, die innerhalb der Gerichtsgebäude jeder Richter meh oder weniger durch Zulauf von Ober- und Unterbeamten und vom Publikum zu gewärtigen hat; sie werden zumeist ihre größeren Ar- beiten, namentlih die Vorbereitung und Ausarbeitung der Urtheil, besser in ihrer Privatwohnung erledigen. Jch wiederhole, die Ee fahrungen, die bei den Amtsgerichten gemacht worden sind, ermuthigen niht zu einer Ausdehnung der Gewährung von Arbeitsräumen bei den Landgerichten.

Wenn der Herr, dessen Klage durch den beredten Mund des Herrn Justiz - Rath Munckel uns soeben vorgetragen ist eine Zurückseßzung darin findet, oder gefunden hat, daß t nah seiner Versegung von dem Amtsgeriht an das Land, geriht nicht mehr dieser Bequemlichkeit sich erfreuen kann, die er früher genossen, so beweist das, daß dieser Herr seine Stellung als Amtsrichter durhaus richtig erfaßt hat und seine Arbeiten erledigt hat, wo sie erledigt werden sollen. Ob er das jeßt noch beim Land- geriht thun würde, ist mir in hohem Maße zweifelhaft.

Inwieweit er bei der Steuereinshäßung für ein Arbeitszimmer in seiner Wohnung einen Abzug verlangen kann, das würde vielleicht bei der Berathung des Steuer-Ctats zur Sprache gebraht werden können. Auch darüber kann ich nit urtheilen, ob eine Vergütung für folhe Räume zu gewähren ist; auch das s{lägt wiederum in dag Gebiet der Finanzen hinein; ih bezweifle aber, daß auf eine Erfüllung dieses Wunsches gerehnet werden kann. Ich bezweifle au, daß der uns soeben vorgetragene Wunsch von vielen Landrichtern getheilt wird, bin vielmehr überzeugt, daß sie nur vereinzelt den Wunsch hegen.

Zu dem Titel „Besoldungen der Hypotheken- bewahrer in der Rheinprovinz“ erklärt der

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Jch kann die von dem Herrn Referenten \oeben vorgetragenen Mittheilungen, die in der Kommission gemacht worden sind, dahin ergänzen, daß der vom Herrn Ober-Landesgerichts, Präsidenten in Köln zu erstattende Bericht vorgestern eingegangen ift, und daß mit demselben ein Geseßentwurf vorgelegt it, der über die künftige Verwendung der Hypothekenbewahrer Bestimmungen treffen foll. Eine Prüfung dieses Geseßentwurfs hat noch nit ftattfinden können, fodaß ih nähere Auskunft noch nicht geben kann. Vielleicht interessiert es die Herren, zu erfahren, daß die Grundbuchanlegung der Nheinprovinz erfreuliche Fortschritte macht und {on soweit gefördert ist, daß im Ganzen von 1 340 000 Artikeln, die in Frage kommen, 686 0900 angelegt sind, also etwas mehr als die Hälfte, daß in 31 von 113 Amtsgerichtsbezirken die Grundbuchanlegung vollendet ist, und daß die leßte Jahresleistung 3/20 der Gesammtleistung be- tragen hat, sodaß, wenn in derselben Weise die Arbeiten fortgeseßt werden, die Hoffnung berechtigt erscheint, daß die ganze Rhein- provinz in 3 bis höchstens 4 Jahren unter Grundbuhre§t stehen wird. Damit wird natürlich ‘auch die Frage über das künftige Schicksal der Hypothekenbewahrer immer brennender, es wird voraussichtlichÞ in diesem Jahre das Hypothekenamt in Krefeld zur Aufhebung gelangen können und im nächsten Jahre dasjenize in Köln.

Nun kann ih nur bestätige, was der Herr Regierungskommlsu in der Kommission gesagt hat, daß eine Verwendung der Hypothek bewahrer im Richteramt geseßlich nicht zulässig, aber auch saclih nicht wünschenswerth fein wird. Unter den sämmtlichen rheinischen Hypothekenbewahrern befindet sich nur einer, der die richterliche Qualifikation erlangt hat, dessen Anstellung als Richter unterliegt keinem Bedenken; bezüglih der übrigen würde die geseßlidhe Möglichkeit zur Anstellung als Richter fehlen. Es würde erst eine geseßliche Konkurrenz geshaffen werden müssen; es würde aber weiter zu berüdcksichtigen sein, daß diese Herren, wenn überhaupt, thatsählid nur als Grundbuchrichter zu verwenden sein würden. Bet manhen würde eine solhe Möglichkeit vollständig ausgeschlossen fein, die Herren haben bis dahin nur eine formalistische Thätigkeit auszuüben gehabt und entbehren, wie ich annehmen muß, derjenigen juristischen Vorbildung, die wir für ihre selbständige Thätigkeit als Grundbuchrichter vorau segen müssen. Es könnte sih daher, wenn man dazu Übergtn wollte, im Wege des Gesetzes die Anstellung der Hypothekenbemirt als Grundbuchrichter zu ermöglichen, die unerwünshte Folge erg daß sie gewissermaßen als Richter zweiter Klasse angesehen würden, u daß die ganze Beschäftigung als Grundbuchrichter, der in der Rhein provinz ohnedies geringe Sympathie entgegengebracht wird, und der ih ein großer Theil der Herren zu entziehen sucht, herabgedrückt würde, was im dienstlihen Interesse sehr zu bedauern wäre. Ich hoffe, daß es gelingen wird, für die Hypothekenbewahrer in ausgiebiger Weise so zu sorgen, daß die Herren einen Grund zur Beschwerde niht haben werden, und glaube, daß in dieser Beziehung den berechtigten Wünschen der Herren auch in diesem hohen Hause Entgegenkommen bewiesen werden wird.

Bei den einmaligen Ausgaben bemängelt

Abg. Kache (kons.) die baulihen Verhältnisse des Land- und Amtsgerichtsgebäudes in Brieg. Die Aufführung eines neuen Gebäudes lasse sich nit mebr hinausschieben, er bitte um Einstellung der Mittel dazu in den Etat.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren ! Das Bedürfniß der Herstellung eines neuen Land» und Amtsgerichtsgebäudes in Brieg wird von der Justizverwaltung în vollem Maße anerkannt. Ein umfassender Neubau ist geplant, der Platz ist dazu vorhanden auf einem fiskalishen Terrain ; ein voll- \tändigFausgearbeiteter Bauplan liegt vor. Seitens der Justiz verwaltung war {hon für das bevorstehende Etatsjahr die Einstellung einer ersten Baurate vorgesehen ; sie hat aber niht erreicht werden fönnen, weil andere noch dringendere Bedürfnisse vorliegen. Jh hoffe, daß es im nächsten Etatsjahr möglich sein wird, die Mittel in den Etat einzustellen.

Abg. Jansen (Zentr.) bedauert, daß die Mittel hierfür noch niht in diesem Jahre bewilligt seien, der Widerstand liege nur beim Finanz-Minister, aber hon wiederholt seien die mißlichen Verhältnisse des Gebäudes in Brieg hier geschildert worden. Redner fordert vom

Minister das Versprechen, daß die Mittel in den nächsten Etat ein- gestellt werden. :

Abg. Lückhoff (fr. kons.) tritt für den Neubau eines Amts- gerihtsgebäudes in Reichenbach ein. y dais atetb

Geheimer Ober-Justiz-Rath Starke erwidert, daß dieje p mene anerkannt me t ya E aber wegen dringenderer Bedürfnisse noch zurückgestellt werden mußlke.

e A e L) befürwortet den Neubau des Gerichts- gebäudes in Magdeburg.

wo sie ih von,

Justiz-Minister Schönstedt:

gch kann die Besorgniß des Herrn Abgeordneten für Magdeburg peruhigén- Die Erwerbung eines Bauplaßyes für die Neubauten hat im vorigen Fahre stattgefunden, aber seitdem haben die Pläne noch

¡ht aufgestellt werden können. Das Raumbedürfniß wird in nächster 2 { kommifsarish an Ort und Stelle festgestellt und dann mit der Ausarbeitung der Pläne begonnen werden. Der zum Bau orbene Play geht über das Bedürfniß für die Bau- lichkeiten hinaus, und diejenigen Theile, die nicht , be- stimmt sind, den gerihtlihen Zwecken zu dienen, sollen demnächst zu anderweitiger Verwendung veräußert werden. Diese Theile sind vor- läufig verpachtet, aber niht das Terrain, welches zu dem Bau in Anspruch genommen werden wird, sodaß aus dieser Thatsache irgend- welche Folgerungen in Bezug auf die Zeit der Bauausführung nicht gezogen werden können. Ds

Abg. Freiherr von Erffa (kons.) wiederholt seinen vorjährigen MWunsh nah dem Bau einer Dienstwohnung für den Amtsrichter des Kreises Ziegenrück, der jeßt außerhalb Preußens in Pösneck wohnen müsse.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Ueber die Anfrage, die der Herr Abg. Freiherr yon Erffa erwähnt hat, ob die Stadt Ranis einen Beitrag zu leisten bereit sei zur Errichtung einer Amtswohnung, ist mir genaues nicht erinnerlih. Ich glaube nicht, daß die Anfrage von mir veranlaßt worden ist. Jedenfalls ift sie nicht präjudizierlih gewesen. Die Ge- meinde hat das Ansinnen abgelehnt unter Berufung auf ihre geringe Leistungsfähigkeit, und dabei hat sich die Verwaltung, die Iustiz- verwaltung und die Finanzverwaltung, ohne weiteres beruhigt. Es liegt gegenwärtig der von einem Unternehmer aufgestellte Plan, dort ein miethsweise von ihm zur Verfügung zu \tellendes Gebäude einzu- rihten, dem Finanz-Minister vor, und ih glaube fagen zu können,

E daß er auf wohlwollende Berücksichtigung zu rechnen hat; es läßt sich

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hoffen, daß in den gewiß unerträglichen Zuständen, auf die der Amts- rihter in Ranis angewiesen ist, bald Abhilfe geschaffen wird.

Abg. Lo b (kons.) ist erfreut über die Einstellung der Mittel für den Erweiterungsbau des Amtsgerichts in Leer, wünscht aber statt der geplanten Anstellung eines fünften Amtsrichters daselbst lieber die Errichtung eines neuen Amtsgerichts mit einem Richter in M irbauberfébn. : Ó

Abg. Noelle (nl.) spriht seine Freude darüber aus, daß der Etat diesmal mehr Mittel für den Bau von Gerichtsgebäuden vorsehe. Er habe auch nichts dagegen, daß Berlin den größten Vortheil davon habe ; er frage aber an, ob an Berlin dieselben An- forderungen an Ueberlassung von Bauterrains_ gestellt werden, wie an kleinere Städte. Allerdings müsse der Staat selbst für die Justizpflege sorgen, aber wenigstens dürfe niht eine einzelne Stadt bevorzugt werden. Für die Unterhaltung der Gerichtsgebäude ge-

| sehe niht genug; wenn die Gerihtsbauten auch nit mit den

Postbauten konkurrieren könnten, so müßten sie doch nicht \chlechter aussehen als ein anständiges Wohnhaus. Namentlih \{chlecht feien die Verhältnisse im Ober-Landes8gerichtsbezirk Hamm. Nedner empfiehlt den Neubau des Gerichtsgebäudes in Plettenberg. : i

Geheimer Ober - Justiz - Rath Starke theilt mit, daß hier- ür die Vorarbeiten im Gange seien, und bestreitet, daß der Ober- L dl ericbtöberirt Hamm stiefmütterlih behandelt werde.

Abg. Freiherr von Plettenberg-Mehrum (konf.) empfiehlt eine Aenderung des Bauprojekts für das Gerichtsgebäude in Wies- baden, worauf

Geheimer Ober-Justiz-Rath Starke bemerkt, daß bisher noch feine Bemängelung des Bauplanes stattgefunden habe.

Abg. Schmiding (nl.) fordert den Neubau eines Gerichts- gebäudes in Dortmund.

Justiz-Minister Schönstedt:

Ich glaube kaum, daß Herr Abg. Schmieding in dem Grade

Optimist ist, daß er im Ernst erwartet hat, in dem jeßt vorliegenden Etat eine erste Rate für ein neues Amtsgericht in Dortmund zu finden. Den augenblicklihen Bedürfnissen ist nah den Berichten der Vorstandsbeamten durch den im vorigen Jahre mit allerdings geringem Kostenaufwande ausgeführten Ergänzungsbau abgeholfen für die nächsten Jahre. Dauernd wird ja allerdings das Amtsgericht in Dort- mund nicht genügen, wenn die Bevölkerung8- und Geschäftszunahme \ in demselben Grade fortsetzt wie in den leßten Dezennien. Die Staatsregierung wird gewiß rechtzeitig darauf Bedacht nehmen müssen, wie dem wachsenden Bedürfniß in einer durchgreifenden Weise ab- ¡helfen sein wird.

Wenn Herr Abg. Schmieding auf einen bestimmten Plaß aufmerksam gemaht hat, so weiß ih nicht, ob einer derartigen Anregung gegenüber seitens der Regierung Überhaupt {hon Stellung genommen werden kann ; früher ist man davon ausgegangen, daß auf dem Platze, den gegen- wärtig das Amtsgericht besetzt, genügend Raum zu einer allen künftigen Bedürfnissen entsprehenden Erweiterung gegeben wäre, wenn das Gefängniß beseitigt wird, das gegenwärtig sh beim Amts- gericht befindet. Wenn ih nit sehr irre, war auf dem Bauplaßz iür das neue Landgericht ursprünglih auch ein Gefängnißbau in Aussicht genommen. Daß dieser Plan definitiv aufgegeben sei, ist mir nicht bekannt, und es würde möglicherweise durch Festhaltung dieses Plans der nöthige Raum für die Erbauung des neuen Amtsgerichtsgebäudes an der gegenwärtigen Stelle beschafft werden können. Der vom Herrn Abg. Schmieding erwähnte Play hätte freilich mit Rücksicht auf die Nähe des Landgerichts sowohl für das Publikum wie für die Rechts- anwalte große Vortheile. Aber ih übersehe nit, welhe Opfer dem Staat dadurch zugemuthet werden würden. Vielleiht würde die Stadt e in der Hand haben, in dieser Beziehung die Vermittelung zu übernehmen und ihrerseits sih mit den Be- dingungen bekannt zu machen, unter welhen der Plaß zu erwerben sein würde. Die Stadt ist dazu besser in der Lage als der Staat- Dann würde die Regierung der Frage wohl näher treten können, ob die Erwerbung des Platzes möglich ist.

Die einmaligen Ausgaben werden bewilligt.

Es folgt der Etat der indirekten Steuern.

Bei der Einnahme von 23 Millionen aus der Stempel - steuer bemerkt

Abg. von Eynern (nl.): Bei der Berathung des Stempel- fteuergesezes habe ih die Erwartung ausgesprochen, daß durch dieses neue Gesez, welhes am 1. April d. J. in Kraft tritt, eine Mehr- einnahme für den Staat erzielt werden würde. In dem vorliegenden Etat steht aber noch die alte Einnahmesumme verzeichnet, ih hoffe,

daß im nächsten Jahre eine der Mehreinnahme entsprehende Summe eingestellt wird.

Finanz-Minister Dr. Miquel :

Meine Herren! Ich habe mich eigentlich {on bei der ersten Einführung des Etats über diesen Punkt geäußert. Jch kann nur wiederholen, daß bei der großen Anzahl von Veränderungen des neuen Geseßzes gegen das bestehende, bei der erheblihen Anzahl von Er- mäßigungen, anderntheils auch wieder bei der Einführung ganz neuer

Stempel und Erhöhung bestehender Stempel es noch heute vollständig unmöglich is, zu sagen oder es irgendwie zu be- rechnen, ob das neue Stempelsteuergeseß Mehreinnahmen bringt oder gar Mindereinnahmen, und in welchem Maße. Jch habe darüber ganz erfahrene Stempelfiskale gehört; die sind sämmtli in dieser Beziehung im Zweifel und haben erklärt, sie könnten eine bestimmte Ansicht darüber überhaupt nicht äußern. Unter solchen Umständen kann man natürlih nit eine sihere neue Summe in den Etat einstellen, sondern wir haben für dies Jahr uns beschränken müssen, auf Grund des bisherigen Geseßes, welhes ja jeßt noch in Kraft is, die Etatisierung vorzunehmen. Ich will daran erinnern, daß vom laufenden Etatsjahre noG 24 Monate übrig sind. Die Schäßung, welhe gut fundiert i}, ergiebt eine wahrscheinlihe Mindereinnahme gegen den Etat von F Million. Das müßte dur das neue Gesetz auch eingebraht werden, wenn der Etatsansaß erfüllt werden soll. Ich glaube daber, wir konnten nicht anders, als geschehen, verfahren. Im nächften Jahre wird die Sache anders liegen. Im Oktober, wo der Etat zum Abschluß kommt, werden wir sechs Monate thatsächliher Erfahrungen hinter uns haben und sicher etatisieren können; gegenwärtig ift das gänzlich ausgeschlossen.

Berichterstatter Abg. Stengel (fr. konf.) theilt mit, daß sich die Budgetkommission überzeugt habe, daß jeßt kein sfiherer Anhalt für die Etatisierung vorhanden sei.

Die Einnahmen werden bewilligt.

Bei den Ausgaben empfiehlt

Abg. Sattler (nl.) die Besserstellung der Ober-Kontrol-Assi- stenten und Haupt-Zoll- und Haupt-Steueramts-Assistenten.

Der Rest des Eiats der indirekten Steuern wird bewilligt. Schluß 3 Uhr. Nächste Sißzung Mittwoch 11 Uhr. (Wahlprüfungen, Petitionen, Etat.)

Parlamentarische Nachrichten.

Dem Reichstage sind folgende Aktenstücke, betreffend die jüngsten Vorfälle in der Südafrikanischen Nepublik, zur Kenntnißnahme von dem Reichskanzler über- sandt worden: 4

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Erlaß an den Kaiserlihen Botschafter Herrn Grafen von Haßtfeldt, London.

Berlin, den 1. Februar 1895.

Eurer Excellenz beehre ih mich von einer Unterredung Kenntniß zu geben, die ih heut mit dem englishen Botschafter gehabt habe. Sir Edward Malet gab mir von einem an ihn gerihteten Privat- schreiben Lord Kimberley's Kenntniß, welches anknüpfend an den von dem Präsidenten Krüger auf Seine Majestät den Kaiser am 27. v. M. ausgebrahten Trinkspruch einige Bemerkungen über die Haltung Deutschlands gegenüber der Südafrikanischen Republik enthielt.

Fch bemerkte dem Botschafter: wenn Lord Kimberley glaube, es werde durch die Haltung Deutschlands ein der internationalen Stellung Transvaals niht entsprehender Geist in jenem Lande ge- nährt, so habe er die Verpflichtung, Thatsachen anzugeben, um seine Annahme zu begründen. Erachte etwa Lord Kimberley den Trink- \pruh des Präsidenten Krüger auf Seine Majestät den Kaiser als einen Ausdruck jenes Geistes und als bedenklih für die englischen Interéssen ? i e i

Unsere Politik gehe einfach dahin, diejenigen materiellen Interessen gegen jeden Eingriff zu {üßen, welhe ih Deutschland durch Er- bauung von Bahnen und die Anknüpfung von Handelsbeziehungen mit Transvaal geschaffen habe. Diese Interessen geböten die Aufrecht- erhaltung Transvaals als selbständigen Staats nah Maßgabe des Vertrags von 1884 und die Sicherung des status quo be- züglih der Bahnen und des Hafens in der Delagoa - Bai. Damit sei der Ausgangspunkt und der Endpunkt unserer Politik in jenen Gegenden gekennzeihnet. Wenn Lord Kimberley ebenfalls die Erhaltung des status quo anstrebe, warum gebiete man denjenigen niht Einhalt, die unter recht unpassenden und unklugen Ausfällen egen Deutshland ganz ofen in London das Programm einer Auf- itauna Transvaals dur die Kap-Kolonie P Bevor man sich mit mehr oder minder versteckten Vorwürsen an die deutshe Regierung wende, möge man gewissen Bestrebungen entgegentreten, welche dem status quo zuwiderlaufen und welche allein die Ursade bilden, daß in Transvaal mehr und mehr die Stimmung um sich greife, welche Lord Kimberley beklage und auf deutsches Konto zu seßen geneigt sei. Sir Edward bedauerte jene Aeußerungen gegen Deutschland, glaubte aber in der jüngsten Rede des Dr. Jameson niht die Absicht einer Annexion, sondern nur den Gedanfen einer commercial federation der sfüdafrikanishen Staaten finden zu sollen. Jh erwiderte, daß gerade der von Dr. SJameson entwidckelte Gebanke, daß „NRhodesia“ die „com- mercial union, amalgamation or federation of all the South African States“ werden folle, unseren Interessen zuwiderlaufe, weil das, etwas kürzer ausgedrückt, pPpolitisch das Protektorat, wirthschaftlich das Handelsmonopol der Kap - Kolonie und den Aus\chluß deutshen Handels bedeute. Wenn die englishen Kolonial- freunde in der Transvaalfrage empfindlih seien, so seien die unserigen es ebenfalls. Wolle Lord Kimberley die Erhaltung des status quo, so seien unsere Auffassungen durchaus identisch ich"würde es gar- niht für ausgeshlossen erahten, daß wir diese Uebereinstimmung \{ri’tlid fixierten. Ich betonte noch besonders, daß die von Herrn Rhodes verkündete Politik der allmählichen Aufsaugung des Tranêvaal- staats durch die Kap-Kolonie und der Gründung einer commercial federation zur Beschleunigung dieses Prozesses wohl kaum als eine Politik der Erhaltung des status quo bezeichnet werden könne.

Marschall. An Seine Excellenz den Kaiserlichen Botschafter Herrn Grafen von Haßtfeldt London.

Nr. 2.

Auszug aus einem Erlaß an den Kaiserlichen Botschafter Herrn Grafen von Haßhfeldt, London, vom 15, Oktober 1895.

Jch hatte gestern mit Sir Edward Malet eine längere Unter- redung, welhe die politishen Beziehungen Age und Deutsch- lands im allgemeinen zum Gegenstand hatte. Bezüglich Tranévaals bemerkte ih dem Botschafter: es shiene mir ungerecht, für die wenig freundlihe Gesinnung, die gegenwärtig in Transvaal gegen England herrsche, Deutschland verantwortlih zu machen; viel näher läge die Frage, ob nit Handlungen von englisher Seite die Erbitterung der Boers hervorgerufen haben; z. B. die Annexion des südlichen Amatonga- landes; auch seien dort gewisse Treibereien seitens der Chartered Company im Gange, welche allmählich alle Elemente in Süd-Afrika, welhe nicht unter Mr. Cecil Rhodes? Abhängigkeit elangen wollten, durch gemeinsame Erbitterung zusamménführten. iederholt hätten wir der englishen Regierung mitgetheilt, daß das Endziel unserer Politik in Transvaal n die Erhaltung des status quo sei und wir bei dieser P durch dem Alge Interessen vornehmlich kommerzieller Natur geleitet würden. Wir eabsichtigten nit, an dem Berbatimy des Transvaalstaats, wie es durch den Ver- trag vom Jahre 1884 mit England firiert sei, zu rütteln; wir müßten es aber allerdings als eine {were E unserer Interessen be- trahten, wenn jener Staat die Selbftändigkeit, die ihm in jenem Vertrag garantiert sei, verliere und zu einem Bestandtheil des großen

„Rhodesia*® herabsinke Marshall.

S 2E 3. elegramm. London, den 25. Oktober 1395.

Bei meiner Unterredung mit Lord Salisbury bemerkte der Premier-Minister unter anderem, daf: er selbst keineswegs die Trans- vaalfrage als einen „\chwarzen Punkt“ zwischen Deutschland und Eng- land ansehe. Zwar erachte er es als selbstverftändlih, daß England an den ihm in Bezug auf Transvaal vertragsmäßig zustehenden Rechten festhalten müsse; er begegne sih aber mit uns in dem Wunsch, daß in der Südafrikanischen Republik der status quo aufreht erhalten

de. Gai Hayfeldt. An das Auswärtige Amt Berlin.

Nr. 4. Telegramm. retoria, den 24. Dezember 1895. Abgegangen den 24. Dezember 1895, 4 Uhr 5 Min. N.M. Angekommen , 25. 2 r c A „M. Aus Johannesburg hierher gelangte Nachrichten lassen befürchten, daß daselbst die englische Partei für die nähsten Tage Unruhen vor- bereitet. Die Regierung trifft dagegen Maßregeln. Herff erff.

An das Auswärtige Amt Berlin.

Nr. 5. Telegramm.

Berlin, den 28. Dezember 1895. Ich habe heute dem englishen Botschafter den Inhalt eines von dem Konsul von Herff in Pretoria hierher gerichteten Telegramms mit- getheilt, wonach in Johannesburg durch die englishe Partei Unruhen vorbereitet werden und dagegen die Regierung des Transvaalstaats Maß- regeln trifft. Jm Anschluß hieran habe ih Sir Frank Lascelles auf die möglichen Folgen eines blutigen Zusammenstoßes hingewiesen und wie bei früheren Anläfsen betont, daß für uns die Erhaltung der E keit des Transvaalstaats, wie sie im Vertrage von 1884 felige et sei, den leitenden Gesichtspunkt bilde und wir in einer gewaltsamen Aenderung des bestehenden Zustands nah der von gewisser Seite an- gestrebten Nichtung eine \{chwere Beeinträchtigung unserer Interefsen

erblickden müßten. Marfch@all.

An Botschafter Graf Haßfeldt, London.

Nr. 6. Telegramm,

erlin, den 30. Dezember 1895.

Bei Mittheilung Ihres Telegramms vom 24. Dezember habe ih der englishen Regierung gegenüber hervorgehoben, daß für uns die Erhaltung der Unabhängigkeit des Transvaalstaats, wie sie im Ver- trage von 1884 festgeseßt sei, den leitenden Gesichtspunkt bilde und wir in einer Störung dieses Zustandes nah der von gewisser Seite angestrebten Richtung eine hwere Beeinträchtigung unserer Interessen erblickden müßten. S :

Schärfen Sie dortiger Regicrung nahdrücklih ein, daß sie jede N strengstens vermeiden müsse, wenn sie sih deutsches

ohlwollen erhalten wolle. Marschall.

An Deutschen Konsul, Pretoria.

I, Cs Telegramm. Pretoria, den 30. Dezember 1895. Abgegangen den 30. Dezember 1895, 8 Uhr 5 Min. V.-M. Angekommen 31. L 1899, 7 12. B

Die englische Partei der sogenannten National-Union in Johannes- burg hat am 26. Dezember ein Manifest veröffentliht, worin Reformen von der Transvaal-Regierung und Ausdehnung des Wahl- rechts gefordert werden. Zur Beslukfafiung über die zu unter- nehmenden Schritte ist von den Aufständischen eine Versammlung auf den 6. Januar einberufen worden. Das Manifest wird allgemein als Drohung gegen Regierung mit Gewaltmaßregeln aufgefaßt und ist nah zuverlässigen Nachrichten durch Mr. Rhodes angeregt und dur seine Freunde unterstüßt, um den Boerenstaat dem kapländischen Einfluß zu unterwerfen leihzeitig auch einen Börsencoup auszuführen. Die englische Partei in Johannesburg hält Waffen und Mannschaften bereit, hat auch Mehl und Getreide aufgekauft und mit Schließung der Minen begonnen, um Unzufriedenheit zu erregen. In Johannesburg jagen sich die tollsten Gerüchte, man glaubt, daß sich mehrere hundert entlassene Betshuana-Polizisten in der Stadt auf- halten. Es herrs{t große Aufregung, Frauen und Kinter verlassen in Gren Anzahl die Stadt. Die Deutschen und die überwiegende Anzahl Angehöriger anderer Staaten verurtheilen das revolutionäre Vorgehen der englischen Partei auf das Entschiedenste und haben ihrer- seits eine Protestversammlung auf morgen in Johannesburg einberufen. Die Transvaal-Regierung beabsichtigt, der Bewegung ihren Lauf \o lange zu lassen, als diese niht in Gewaltthätigkeiten ausartet, ift aber ernstlich ents{lofsen und, wie ich glaube, auch gefaßt, einen etwaigen Aufstand mit Waffengewalt zu unterdrücken, deshalb lehnt der Präsident jeden Kompromiß mit englischer Partei ab. Noch ift die Hoffnung vorhanden, daß der Ausbruch von offenen Unruhen ver- hindert oder noch eingeshränfkt werden kann, wenn eine Einmishung fapländischerseits fern gehalten wird. Jch habe bei der Transvaal- Regierung die erforderlihen Schritte gethan, um auf alle Fälle den nothwendigen Schuß für Leben und Eigenthum der Deutschen in

Johannesburg zu erwirken. Seri

erff.

An das Auswärtige Amt Berlin.

Nr. 8. Telegramm.

Pretoria, den 30. Dezember 1895. Abgegangen den 30. Dezember 1895, 9 Uhr 30 Min. N. M. Angekommen ,„ 31. ¿ 1800, O Die Deutschen Pretorias bitten Euere Mate einmüthig und ehrfurchtsvoll um sofortige Intervention zur Verhütung unvermeids lihen Elends und Blutvergießens. _ : Seiner Majestät dem Kaiser und Könige, Neues Palais.

Nr. 9. Schreiben an den kommandierenden Admiral Herrn Admiral Knorr.

Berlin, den 31. Dezember 1895.

Eurer Excellenz werden die beunruhigenden Nachrichten nicht ent- gangen sein, welhe aus Johannesburg (Transvaal) durch die Presse verbreitet worden sind und nah Meldungen des Kaiserlihen Konsuls in Prâtoria sich als begründet erwiesen haben. Danach scheint die sehr starke englishe Partei in Johannesburg Unruhen vorzubereiten, um eine gewaltsame Verfassungsänderung herbeizuführen.

Zum wirksameren Schuß unserer Interessen halte ih es für noth- wendig, daß unverzüglich ein zweiter Kreuzer nah Lourenço Marques entsendet werde. ur Zeit befindet sich in Delagoa-Bay S. M. Krevzer „Seeadler“, während S. M. Kreuzer „Kondor* inzwischen wieder in dem osftafrikanishen Schutzgebiet oder in den Sansibar- Gewässern eingetroffen sein wird. Das ostafrikanishe Schuggebiet aas von einem Kriegs\{hiff zu entblößen, würde ih umsomehr für edenklich erahten müssen, als der Süden erst vor wenigen Tagen durch die Unterwerfung des Häuptlings Matchemba einigermaßen be- ruhigt zu sein \{heint. Es müßte daher ein anderes Schiff als der „Kondor“ nah der Delagoa-Bay geshickt werden. *)

Im Hinblick auf die Wichtigkeit der in Frage stehenden Inter- Gen würde ih dankbar sein, wenn Eure Excellenz wegen Entsendung eines zweiten Kreuzers nah Lourençco Marques das Erforderliche ver-

*) In Ermangelung eines anderen Kreuzers wurde nah Ein-

treffen des Telegramms Nr. 10 S. M. Kreuzer „Kondor" nah Delagoa-Bay entsandt.