1896 / 41 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 15 Feb 1896 18:00:01 GMT) scan diff

werthung die Shäßungsausschüsse frei zu entscheiden hatten. Aber selbst dies Material konkludiert auf Pachtwerthe und kapitalisiert die Pachtwerthe mit einem Multiplikator von 34 oder 49%, was an sih ja sehr günstig ist, meine Herren, denn man wird kaum im Ganzen ein verpachtetes Grundstück mehr als 30/6 Rente bringend ansehen können. Es hat sich nun auch in der Praxis gezeigt, meine Herren, daß dies Material doch für so überzeugend in der großen Mehrzahl der Schäßungsausshüsse angesehen worden ist, daß durchgängig man auf der Basis der Ergebnisse dieses Materials geshäßt hat, ohne jedoch daß die Kommissionen si blind an dies Material gebunden hätten. In manchen Kreisen haben die Kommissionen erheblich höher ges{chäßt, als nah diesen Materialien; in anderen Kreisen sind sie erheblich heruntergegangen. Im Großen und Ganzen ist aber das Urtheil ge- wesen, daß diese Materialien werthvoll für die Aufgabe der richtigen Schäßung waren, ja selbst nothwendig und im allgemeinen auch zutreffend. Nun muß ih eins zugeben, meine Herren, und das ist ein Punkt, der gewiß Beachtung verdient, daß das gewerbliche Anlage- und Betriebékapiial, welches ja niht wie der Grund und Boden ersihhtlih ist, es ist kein „visiblo property“ zu gering geschäßt ist. Es besteht wenigstens bei uns im Finanz-Ministerium nach den Ergebnissen der ersten Einshäßung das Gefühl mehr kann ih eigentlich niht sagen, denn nahweisen kann man das {wer —, daß das nicht sihtbare gewerbliche Anlage- und Betriebskapital nicht in dem Maße zur vollen Einshäßung gekommen is, wie das bei dem Grund und Boden der Fall i. Es is ja eine Niesenaufgabe gewesen, meine Herren, das gesammte Vermögen des Landes einzushäßzen, und ih bin selt\t erstaunt, daß im Ganzen diese kolossal shwere, noch nirgends gelöste Aufgabe so glatt vor ih gegangen ist. Daß da Fehler mit untergelaufen sind, ist ja ganz natürli, und ih hoffe, daß, wenn ein

Fehler in der bezeichneten Richtung besteht, er bei der zweiten Ein- |

s{chäßung mehr oder weniger ausgeglihen werden wird. Im großen Ganzen, meine Herren, ist dieser Fehler tie natürlihe Folge der Be- chlüsse dieses hohen Hauses, welches die Deklaration in dieser Be- ziehung aus\{chloß, also uns einfah auf die Einshäßung verwies, was gerade bei dem gewerblihen Anlage- und Betriebskapital sehr schwierig ist; darüber kann gar kein Zweifel sein.

Nun meint Herr Graf Kaniß, cs wäre ein sehr bedenklihes Zeichen, daß die Wohlhabenheit überhaupt im Lande zurückginge, und er folgerte dics daraus, wenn ih ihn richtig verstanden habe, daß das mittlere Einkommen und die Zahl der Zenfiten, die ein mittleres Ein- kommen besißen, zurückgegangen wäre. Das widerlegt sich aber einfach durch die Statistik (sehr richtig! links), die auf Seite 6 des Heftes den Herren mitgetheilt ist. Da ftellt sih die Sache so, daß für das Jahr 1895/96, verglichen mit dem Jahr 1894/95, in den Einkommen- steuerstufen von 900 bis 3000 M 2278 998 Zensiten veranlagt waren gegen 2197 712 im Vorjahre, daß in den Stufen von 3000 bis 6000 M 211 761 veranlagt waren, gegen das Vorjahr mit 209 538, also au hier cine Steigerung; dann wächst in den Stufen von 6000 bis 9500 M die Zahl auf 56387 von 55996, in der Stufe von 9500 M und darüber auf 56146 von 55 762, Aber, meine Herren, das ift niht bloß bezügli der Zahl der Zensiten rihtig, sondern es ist auh rihtig ih will das niht weiter vorlesen, die Herren haben das ja vor sih bezüglih der Höhe des eingeshäßten Einkommens.

Also, meine Herren, es ift nicht zutreffend, daß hieraus konklu- diert werden könnte auf einen Rückgang der Wohlhabenheit im allgemeinen, wenn ich hier von Stadt und Land absehe, oder ganz be- sonders auf einen NRücckgang der Wohlhabenheit der Mittelklassen, wie denn überhaupt ich überzeugt bin, daß genau wie in der sächsischen Statistik, wenn wir erst einmal 20 Jahre Steuerveranlagung hinter uns haben, es sich herausftellen wird, daß diese Legende von der Noth- wendigkeit des Nückgangs des Mittelstandes eine Legende is (fehr rihtig ! links), daß umgekehrt in Deutschland die Mittelklassen \ich nicht bloß erhalten in der Zahl und Bedeutung, fondern sich stetig vermehren. Ja, meine Herren, ich glaube, wenn ih einmal prophezeien will, es wird bei uns nicht anders gehen, wie im Königreich Sachsen, daß es sich nämlich herausstellt, daß die sogenannten ganz großen Vermögen nicht bloß in Bezug auf die Größe des einzelnen Besites, sondern auch in Bezug auf die Gesammtzahl der Träger dieser Vermögen nicht zu- nehmen, sondern abnehmen. Das wird sich, glaube ih, bei uns eben- falls fo herausstellen.

Nun, meine Herren, es ist auch nicht zutreffend, wenn gesagt wird, es hätte sich herausgestellt seit der ersten Veranlagung der Einkommensteuer nah Maßgabe des neuen Systems auf Grundlage der Deklaration, daß das Gesammteinkommen nicht zugenommen bätte. Nein, meine Herren, das Gesammteinkommen der physischen Personen ist gegenwärtig {on wieder höher, als es bei der erften Veran- lagung war. Wir haben ja gewiß, meine Herren, einige Jahre gewerb- lihen Stillstandes oder Nückganges hinter uns, und daß das gleich erheblich einwirkt und Schwankungen nah unten hervorruft, ist ja an und für sih erklärlih. Troßdem haben aber heute {on die Ein- kommen der physishen Perfonen, wie sie zur Steuer eingeshäßt sind, das erste Jahr der Veranlagung, welhes noch ein höch günstiges war, weil es einen günstigen zweijährigen Durchschnitt hinter \ih hatte, bereits wieder überholi. Der Hauptrückgang hat gelegen in dem Einkommen der niht physischen Personen, ganz naturgemäß, weil diese von der gewerblichen Krisis am {härfsten betroffen waren, schärfer wie durhs{chnittlich die Gesammtzahl aller physischen Personen, deren Einkommen vielfach auf ganz anderen Quellen beruht, als auf rein ge- werblihen Einnahmen. Aber jeßt, in diesem Jahre, wird \ichs zeigen, daß der Durchschnitt {on wieder günstiger ist, daß die Krisis im wesentlichen überwunden ist, und wenn au die Ergebnisse noh nit so sehr glänzend sein werden, eben weil wir es mit dem dreijährigen Durchschnitt zu thun haben, in welhen noch zwei ungünstige Jahre stecken, so wird sich jeßt eine weitere Steigerung des Einkommens der physischen Personen ergeben.

Also die Sorge, daß im Großen und Ganzen die Wohlhabenheit im Lande abnehme, daß wir in einem vollständigen Rückgang in dieser Beziehung im allgemeinen wären, die geht aus der Statistik nicht allein nicht hervor, sondern das gerade Gegentheil ergiebt si. Meine Herren, ich glaube, wir können von vielen anderen Ländern beneidet werden um die im allgemeinen gesunde Vertheilung der Ver- mögensverhältnisse (sehr rihtig!), wie sie aus der Ergänzungssteuer- Veranlagung erkennbar wird, woraus sich ganz überwiegend die Ver- theilung des Vermögen? ergiebt namentlih äuf die Mittelklassen, und

das Vorhandensein einer starken Gefahr aus der übermäßigen Kon- zentration des Veksnögens in einzelnen Händen wird geradezu wider- legt. Meine Herren, ih bin ganz der. Ansicht des Herrn Grafen

Ausführungen her —, daß die nationalökonomisHe Anschauung, die ih lediglih mit der Steigerung der Produklion und der Erhöhung der Reinerträge beschäftigt und alle anderen großen sozialen Gesichts- punkte aus dem Auge läßt, längst überwunden ist, daß wir vielmehr auch in der Verwaltung unser Augenmerk nicht bloß auf die absolute Höhe der Produktion und die Steigerung der Reinerträge aus der nationalen Wirthschaft zu richten haben, sondern auch auf die Art der Vertheilung, und zwar die Vertheilung în den ein- zelnen Landestheilen, und nicht bloß der Vermögen, fondern vor allem auh der Menschen.

In dieser Beziehung bin ih mit ihm einverstanden, und ih kann garniht leugnen, daß nah dieser Richtung hin ein einseitiger Rük- gang der Verhältnisse der Landwirthschaft sehr bedenklihe Ver- shiebungen nicht bloß in Beziehung auf die Vermögensverhältnisse, fondern auch in Beziehung auf die Bevölkerungsziffer in den einzelnen Provinzen hervorgerufen hat und möglicherweise noch weiter bervor- zurufen droht.

Meine Herren, der Herr Graf Kanitz hat nun gewünscht: wir möchten eine Statistik geben, die namentlich die Schuldverhältnisse klarer lege wenn ih ihn recht verstanden habe. Wir haben für das ganze Land bereits eine solhe Statistik mit denjenigen Vor- behalten, die absolut nothwendig sind, gegeben; aber es wird dem hohen Hause sehr bald cine ausführlihe Bearbeitung der Ergänzungs- und der Einkommensteuer zugehen, aus welcher man die Höhe der Schulden auch nah den einzelnen Regierungsbezirken er- sehen kann. Detaillierter {hat bisher, namentlich für die cinzelnen Kreise, das noch nicht aufgestellt werden können. Es ift aber durchaus zutreffend, was der Herr Graf Kaniß bemerkt, daß diese Statistik in so fern kein vcllständiges Bild über die Schuldverhältnisse giebt, weil ja alle diejenigen Personen, die unter 6000 46 Vermögen haben, der Ergänzungssteuer nicht unterworfen sind, und alle die- jenigen, die unter 900 46 Einkommen haben, der Einkommensteuer niht unterworfen werden. Insofern ist das Bild immer noch ein ungenügendes, und wir beschäftigen uns gerade deswegen gegenwärtig mit einer Spezialstatistik, aus welher die Veränderungen in der Verschuldung des Grundbesißes gegen die erste desfallsige Aufnahme klarer hervorgehen werden als aus dem Material, welches sih aus der Steuerveranlagung ergiebt. In dieser Beziehung sind die Einleitungen bereits getroffen. Jn denselben Amtsgerichtsbezirken, in denen im Jahre 1882 eine Aufnahme statt- gefunden hat, foll sie jeßt wiederholt werden, und es wird da aller- dings ein viel klareres Bild si ergeben, wie sh die Schuldverhältnisse in der Zwischenzeit verändert haben. Jh fürhte allerdings, meine Herren, daß wir da kein sehr günstiges Bild bekommen werden, aber man wird dann auch genau untersuchen müssen, aus welhen Ursachen die Verstärkung der Verschuldung hervorgeht, und wir werden da nicht bloß auf wirth\chaftlichße Verhältnisse, sondern, wie ih hier oft aus- gesprochen habe, auf rechtliche Verhältnisse stoßen, namentli auf die Bestimmungen, die sih auf unser Erbreht beziehen.

Meine Herren, wenn man die Verhältnisse des -platten Landes gegen die Städte vergleicht, so kann man für die ganze Monarchie daraus im Ganzen nur noch unsichere Schlüsse ziehen; einen der Gründe hierfür hat Herr Graf Kani selb} angeführt. Wir haben ganze Provinzen, wo auf dem platten Lande eine so starke Entwick- lung der industriellen Thätigkeit ist, daß man da eigentlih nicht in dem Sinne, der hier gemeint ist, vom platten Lande sprechen kann. Wenn ich daher den Durhhschnitt der Steuerver- bâltnisse des platten Landes vergleihen will zwishen Stadt und Land, fo i es richtiger, dies zu thun für einzelne Provinzen, und in der Beziehung möchte ih den Herrn Grafen Kaniß ich will das Haus damit nicht länger behelligen, eine solche De- batte eignet sich eigentlih garniht für Plenarverhandlungen, das muß man im einzelnen genau ftudieren —, aber ich mödhte ihn darauf hinweisen, daß er diese Vergleihung machen möge zwischen den Ein- kommen auf dem platten Lande und den Städten in den drei Pro- vinzen Ostpreußen, Westpreußen, Posen und einem Theil von Pommern. Er wird dann finden, daß da ganz andere Zahlen herauékommen. Den Durhschnitt von 6 X pro Kopf wird er nicht finden bei Königsberg, Gumbinnen, Marienwerder Danzig u. \. w.; da ist dann das Verhältniß nicht so kriant, wie es sich stellt, wenn man im Durchschnitt des gesammten Staats das platte Land mit den Städten vergleicht, obwohl ih au zugebe, daß da ein fehr erhebliher Sprung allerdings au vorhanden ift.

Meine Herren, aber auch davon abgesehen, wirkt die Steuerbefreiung auf dem platten Lapde ganz anders wie in den Städten. Man wird annehmen können, daß im Ver- hältniß zur Bevölkerungsziffer die Zahl der völlig Steuer- freien, derjenigen unter 900 (G Einkommen, auf dem platten Lande viel größer ist wie in den Städten, ohne daß man behaupten könnte, daß die wirthshaftliwe und soziale Lage dieser Personen, die auf dem platten Lande leben, s{chlechter wäre als die Lage derjenigen, die in den Städten eine Einnahme von 1200 4 haben. (Sehr richtig! links.) Also alle diese Dinge muß man bei solchen Statistiken berück- sichtigen, sonst kommt man zu irrthümlihen Schlüssen. Es kommt auch hinzu, meine Herren, daß eine große Anzahl gerade der wohl- habenderen Grundbesißer niht veranlagt wird auf dem Lande, sondern daß sie infolge des hier und da statifindenden. Absentismus in den Städten zur Veranlagung kommt, während das Einkommen wesent- lih aus ländlihen Verhältnissen resultiert.

Ich führe dies nur alles an, um zu zeigen, wie vorsichtig man folhe Zahlen gebrauhen muß.

Im Großen und Ganzen sind die Schlüsse auf die Lage der Landwirthschaft gegenüber den industriellen, handeltreibenden und gewerbetreibenden Klassen unbestritten. Jh kann nur die Anerkennung, die Herr Graf Kaniß dem Nutzen aus einem solchen Steuersystem, wie wir es jeßt haben, zollt, auch in Beziehung auf die Gewinnung völliger Klarbeit über die Verhältnisse der Bevölkerung und ihre soziale Lage in jeder Weise untershreiben. Meine Herren, nichts ift verkehrter als der Glaube, daß man wohl thue, irgend eine Er- scheinung zu verheimlihen. Es giebt Menschen, die in dieser Be- ziehung stich fürhten vor Klarheit und Wahrheit: der größte Irrthum, auch im Interesse der besißenden Klafsen. Je klarer und sicherer die Verhältnisse vorliegen, durch Zahlen unanfechtbar bewiesen sind, desto mehr {winden die Illusionen nah allen Nichtungen; und das ift eine Nothwendigkeit für die Regierung sowohl wie für den Landtag, eine Nothwendigkeit endlich für eine rihtige Beurtheilung unserer sozialen Verhältnisse in der öffentlihen Meinung und das beste

Kaniß ih leite wenigstens diese Auffassung aus seinen ganzen

vollem Widerspruch stehen und durch dieselben in keiner Weise eret, fertigt werden.

Nur immer, meine Herren, muß man sih das sagen das möchte ih dem Herrn Grafen Kaniß noch zuleßt bemerken —. eine Statistik wird erst werthvoll, je länger sie geführt ist; soziale Zustände kennen is von Bedeutung, soziale Entwickelung kennen ift viel bedeu- tender. Wenn wir erst einmal zehn Jahre lang hier die Statistik vor uns haben, wenn man vergleihen kann, wo die Veränderungen, die sih in der Entwickelung ergeben, liegen, dann werden wir aus dieser Statistik auch viel mehr lernen als heute, wo wir erst vier Jahre vor uns haben, vier Jahre naturgemäß noch mangelhafter Veranlagung, die mit den wirklihen Verhältnissen längst niht im Einklang \teht.

Zum Schluß möchte ih noch ein Trostwort sagen: das, was an Einkommen und Besiß aus dieser Steuerstatistik hervorgeht des können Sie sicher fein —, entspriht noch lange nicht der Wirklichkeit und das Einkommen, was hier sich verzeichnet findet in Zahlen, ist weit geringer, als das wirklihe Einkommen und der wirkliche Besig. (Heiterkeit.)

Abg. Jäkel (fr. Volksp.) widerspriht der Behauptung, daß di Zahl der wohlhabenderen Zensiten abnehme, rügt einige Müäneel u der Ausführung des Einkommensteuergesetzes und tritt für die Abzugs- fähigkeit der Gebäudesteuer in den Kommunen ein. Der Unterschied zwischen den Städten und dem platten Lande werde von den Konser- vativen bei jeder Gelegenheit vorgeführt, die Veranlagung in den Städten sei aber s{härfer als auf dem Lande. In der Stadt werde nah der äußeren Lebensführung und der Wohnung geshäßt, auf dem Lande nah dem wirklihen Ertrage. Haben denn die Städte so großen Vortbeil von der Steuerreform? Gewiß ist ihnen die Gebäudesteuer überwiesen, aber die Städte zumeist sind es, welhe wieder diesen Ausfall des Staats deken.

Geheimer Ober-Finanz-Rath Walla ch bestreitet die Berechtigung der Beschwerde über die Verzögerung der Reklamationen bei den Berufungskommissionen, nur wenige Nückstände seien vorhanden. Beim Ober-Verwaltungsgericht seien allerdings wegen der Geschäfts, überhäufung manche Rückstände, aber durch Vermehrung der Richter- stellen werde dem abgeholfen werden.

Abg. von Eynern (nl.) empfiehlt den Steuerkommissaren die Beschwerden des Abg. Krause zur Lehre. Das Verfahren gegen den erwähnten Zensiten, einen Bank-Direktor, sei abfolut geseßwidrig gewesen. Der Steuerkommissar habe Ermittelungen anzustellen, und er hâtte beim Amtsgeriht über die Hypothek Auskunft einziehen müssen. Die Herren Steuerkommissare, namentlih wenn sie junge Assesforen sind, die sih empfehlen wollen, führen häufig unbescholtene Leute einfach vor Gericht ohne berechtigten Grund, deshalb war es von Herrn Krause ret, daß er diese Beschwerde öffentlich vorgebracht hat. Hoffentlih wird der Finanz-Minister durch eine Zirkularver- fügung eingreifen. Eine Zerseßung des Mittelstandes ergiebt sih aus den Steuerlisten nicht. Die Unterscheidung des Grafen Kanitz zwischen Stadt und Land ist ganz falsch; sehr große industrielle Unternehmungen [iegen auf dem platten Lande, z. B. die meines Fraktionsgenossen Vióöller. Sie (rets) beshweren si über die Auswanderung. Sie klagen ja, daß Sie selbst nichts zu essen haben, warum wollen Sie also die ausgewanderten Arbeiter in folhe arme Gegenden zurückführen, die nah ihren Schilderungen fo s{chlecht sind? Sie halten ja durch ihre Klagen die Leute ab und verderben sih auh den ganzen Hypothekarkredit. Mit dem Aufschwung der Industrie sind Sie nie zufrieden. Mit der Selbstdeklaration bei der Einkommensteuer ift man nicht weiter gekommen als mit der früheren Einshäßung; die Einkommensteuer hat niht mehr erbraht, wenn man von den 122 Millionen alles das abzieht, was neu besteuert wird. Nach dem Schlußsay des Finanz-Ministers sollte man meinen, das ganze System der Deklaration, das auf der Ehrlichkeit beruht, sei illu- forisch, wenn der Minister annimmt, daß doch falsch deklariert werde. Redner fragt an, ob es wahr i, daß eine Verordnung besteht, wonach der Werth von Grund und Boden nah dem Grundsteuer- reinertrage geshägt werden foll.

Finanz-Minister Dr. Miquel :?

Meine Herren! Sich zu vertheidigen gegen Dinge, die existieren, ist bisweilen s{wierig ; aber ih vertheidigen gegen Dinge, die nicht existieren, ist sehr leiht. Die in Bezug genommene Verordnung be- steht nämlih nur in der Phantasie derjenigen, die daran glauben. (Heiterkeit)

Abg. Graf von Kanitz: In dieser Weise wäre eine Schätzung au gar niht möglih. Die Einschätzung hat nicht dieselben Resultate ergeben, wie die Deklaration. Nedner hält seine zahlenmäßigen An- gaben über den Rückgang der wohlhabenderen Klassen aufrecht.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Jch habe leider die Ausführungen des Herrn Abg. von Eynern niht hören können. Ich erfahre nur, daß Herr Abg. von Eynern den Say aufgestellt hat: die Vermehrung des Auf- kommens aus der Einkommensteuer hänge in keiner Weise zusammen mit der Einführung des neuen Veranlagungsverfahrens, sondern die würde au eingetreten sein ohne die Deklaration. Jh glaube diese Behauptung einfach widerlegen zu können mit der Vergleichung der Jahre 1891/92 und 1892/93. Damals i} die Einkommensteuer in- folge der Einführung des neuen Verfahrens um 35 Millionen Mark gestiegen. Glaubt der Herr Abg. von Eynern, daß diese 35 Millionen wirklich auf der Steigerung des Einkommens beruhen ? Nein, die beruht allein auf der Klarstellung von Einkommen, das bisher verheimliht war. So liegt die Sache; das isst so klar, daß gar kein Mensh es bestreiten kann. Wenn wir in diesem Jahre mit der Einkommensteuer nicht so vorgeschritten sind, wie das manche Herren bei der Berathung des Einkommensteuer- geseßes glaubten, so beruht das theils auf der Uebershäßung der fort- shreitenden Vermehrung des Einkommens in einer Nation überhaupt, die verhältnißmäßig viel langsamer is, wie die meisten Menschen glauben, im wesentlihen jedoch darauf, daß das Einkommensteuergeseß bei seinem Jnkrafttreten in die Periode wirthshaftlichen Rückgangs fiel, wo nicht bloß die Landwirthschaft in ihren Erträgen zurückging, fondern gleichmäßig auch das Gewerbe und die Industrie. Wären wir umgekehrt in eine Zeit beginnender Prosperität gekommen, wenigstens nur auf den gewerblihen und industriellen Gebieten, o würde die Einkommensteuer viel rascher gestiegen sein, wie es so der Fall ist. Jch hoffe, daß die jeßt beginnende Prosperitätsperiode von längerer Dauer sein wird; dann wird Herr von Eynern ih überzeugen, daß er sih in dieser Beziehung irrt.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Sicherungsmittel gegen Anschauungen, die mit den Thatsahen in

M 41.

| Zweite Beilage zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

Berlin, Sonnabend, den 15. Februar

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Meine Herren, wenn ich nur mehr \cherzhafterweise in der Schlußbemerkung, die ih vorhin mir gestattete, darauf hingewiesen habe, daß man noch nicht sagen könne, daß das wirkli ermittelte Einkommen der Steuerveranlagung dem wirklich vorhandenen ent- spräche, so wollte ih damit nicht sagen, daß heute das Einkommen nicht besser ermittelt wird, wie voc der Steuerreform. Sie find dodh) alle aus dem praktischen Leben wenn Sie ih noch erinnern, wie die Einkommensteuer veranlagt war vor dem Gesetz, woie beispiels- weise ein Ober-Bürgermeister sagen konnte : wir brauchen jeßt mehr Geld in der Stadt, Prozente darauf zu shlagen ist unangenehm, wir fönnen ja etwas die Steuer erhöhen; denn fie ift ja unzweifelhaft so niedrig, daß, wenn wir die Veranlagung etwas s{ärfer vornehmen, wir das nöthige Geld in die Stadtkasse bekommen. Ja, das ist heute nicht mehr mögli, heute ist die Steuer gleichmäßiger und infolge- dessen gerechter veranschlagt. Die Ungleichheit in der Steuer- veranshlagung war das bedenklihste, und die ist wesentlich ausgeglichen. Aber daraus folgt niht, daß wir {on den vollen Betrag des Ein- fommens der an si Steuerpflichtigen wirklih aus der Steuer heraus- bekommen. Das beruht keineswegs immer auf absihtlicher Hinter- ziehung, das ist durchaus nicht zutreffend. Beispielsweise alles Einkom- men unter 3000 6 is überhaupt nicht deklarationspflihtig, wenigstens heute, und da sind wir auf reine Shäßungen angewiesen. Man wird au immer finden, daß an den Grenzlinien, wo die Steuerpflicht beginnt oder aufhört, die Kommissionen naturgemäß, weil sie nicht und soweit sie niht ganz sicher sind, immer lieber das Weniger- einfommen annehmen als das Mehreinkommen. Wenn man daher bei der Ergänzungssteuer die Grenze hat von 6000 4, so wird man im großen Ganzen annehmen können, daß diese Grenze von dem wirklihen Besiße überschritten wird, auch selbst da, wo er nit zur Steuerveranlagung kommt.

Das habe ich nur mit der Sache sagen wollen. J glaube, unsere neue Steuerreform hat sich auf dem Gebiet der gleidmäßigeren, gerehteren und zutreffenderen Veranlagung durchaus bewährt, und man kann wohl hoffen, daß wir der Wahrheit von Jahr zu Jahr näher fommen in Beziehung auf die Feststellung des Einkommens der einzelnen Zensiten. Die Erfahrung der Behörde wird sih noch mehr ausbilden, man wird auch in Beziehung auf cin taktvolles, zweckvernünftiges Verhalten weniger Fehler in Zukunft machen, und {ließlich werden selbst die Gegner dieser ganzen Reform sagen, daß sie nit im stande seien, irgend etwas Besseres zu ersinnen, als was hier vorliegt. Einzelheiten können reformbedürftig sein, aber das System selbs wird, glaube ih, durch einen anderweiten Vorschlag nit erseßt werden können.

Abg. Fu chs (Zentr.) wendet sih gegen die Schablonisierung gegen- über den Kommunen und bittet den Finanz-Minister, den Kom- munalverbänden mehr Freiheit in Bezug auf ihre Steuerverhältnisse E ller Dr. Sattler (nl.): Die Deklaration hat uns Einblick in die wirthshaftlihen Verhältnisse verschafft, die sih jeßt {on wieder heben. Graf Kaniß hat die Zahlen eifrig, aber niht richtig gelesen. Berwahrung muß ih gegen die Behauptung einlegen, daß der Mittel- stand zurückgegangen ift. Nach den Steuertabellen ist die Zahl der unbemittelten Leute gesunken, die Zahl der mittleren Steuerstufen ist gestiegen. Die größten Vermögen sind nur ganz gering gestiegen. Damit ist die Behauptung widerlegt, daß die Wirthschaftepolitik den Besiy in wenige Hände konzentriere und der Mittelsiand zersezt werde. Die ländlihe Bevölkerung des Ostens hat allerdings an Beroohnerzahl abgenommen - und befindet fih in einer schwierigen Uge; das liegt an der falshen Vesigzvertheilung und an der Produk-

tionsroeise. Es sind zu wenig Menschen da, die Besiy haben. Darum haben wir ja auh das Nentengütergeseß gemacht.

Abg. von Eynern erwidert dem Finanz-Minister, daß in den 35 Millionen Mehreinnahme auch die neue Besteuerung der nicht- physischen Personen und die Erhöhung der Steuer für die größten Vermögen von 3 auf 4 9/6 liegen.

Abg. Graf von A betont no@mals, daß das platte Land zur Ergänzungssteuer mehr herangezogen werde als die Städte. Es sei eine falshe Annahme, daß im Ostei der Großgrundbesiß prävaliere, und daß aus der Besitvertheilung die Nothlage herzuleiten sei.

Abg. Dr. Friedberg (nl) wünsht eine Verbesserung der Statistik der Ergänzungssteuer, die ebenso behandelt werden müsse, wie die Statistik der Einkomme1 steuer.

Die Einnahme aus der Einkommensteuer wird bewilligt.

Bei der Einnahme aus der Ergänzungssteuer 31 100 000 M beschwert sich j

Abg. von Eichel (kons.) darüber, daß in einem Falle der Vor- sißende einer Veranlagungskommission einem Zensiten Aufs{chluß über die Abschäßung der einzelnen Vermögenstheile verweigert habe. Diefe Era werde ganz verschieden behandelt, der Minister solle sie einheitlih regeln.

__ Geheimer Ober-Finanz-Rath Wallach bält es für bedenklich, diese Sache generell zu regeln, es müsse den betreffenden Vorsitzenden oder ae bleiben, je nah Umständen den Aufschluß zu geben oder nicht.

_ Abg. Freiherr von Richthofen (konf.) meint, daß wenigstens kein Verbot, den Aufschluß zu geben, erlassen werden dürfe, wie es in einem ihm bekannten Fall gesehen sei. i

Die Ergänzungssteuer und der Rest der Einnahmen werden bewilligt. j Bei den Ausgaben verwendet sich

__ Abg. Schwarze (Zentr.) für die dur die Steuerreform über- Nd Jevorbenen Rentmeister, für welhe noch nicht hinreichend ge- orgt jet.

_ Geheimer Ober - Finanz-Rath Wallach erkennt die Klage nicht als berechtigt an, nahdem das Rentmeistergeseß vom vorigen Jahre die Verhältnisse dieser Beamten geregelt habe.

„… Abg. Kir \ch (Zentr.) befürwortet die Vermehrung der etats- inäßigen Stellen der Katasterzeihner, damit jedem Katasteramt ein vereideter Katasterzeihner beigegeben werden könne, und die Abgabe der Katasterdokumente von der Bezirksregierung an das Katasteramt; damit die Beschaffung der Dokumente bei Verkäufen und Par- ¿ellierungen nit so lange dauert.

, Abg. Nzepnikowski (Pole) beshwert sich über einen Fall in seiner Gelliceußien Heimath, in welchem ein Den bis aufs allergenaueste seine Bücher und Belege habe vorlegen müssen, die Ver- anlagungsfommission ihn dann aber ohne Rücsiht auf diese Dar- egung setner Vermögensverhältnisse eingeschäßt habe. Es gebe zwar

è Berufung dagegen, aber dieselbe erfordere viel Aufwand an Zeit und Kosten durch Reisen zur Vorlegung der Bücher vor der Be- rufungskommission,

Abg. Dr. Sattler (nl.) macht darauf aufmerksam, daß \ich zum ersten Mal in diesem Etat ein Vermerk bei den Veranlagungs- kosten für die Einkommen- und die Ergänzungssteuer befinde, wona den ortsanwesenden Vorsißenden und Mitgliedern der Vorein- {häßungskommissionen in vereinigten Voreinshäßungsbezirken Ver- fäumnißgebühren bis zur Höhe von 2,50 ( für den Sißungstag, sowie den Mitgliedern der Schäßungsausshüsse angemessene Ent- 1chädigungen für ihre Versäumniß gewährt werden können. Dieser Vermerk müsse rückwirkende Kraft erhalten für die Arbeiten, welche \chon für die Veranlagung für das nächste Steuerjahr gemacht seien. Zek zur dritten Lesung müsse der Vermerk eine entsprehende Aenderung erfahren. Die Abgg. von Bockelberg (kons.) und Cahenslh (Zentr.) sind mit diesem Vorschlag einverstanden. Die Ausgaben des Etats der direkten Steuern werden bewilligt. : Troy lebhafter Vertagungsrufe geht das Haus nah 31/2 Uhr noch zur Berathung des Etats der Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung über. Nachdem der Berichterstatter Über die Einnahmen referiert hat, wird jedoch ein Vertagungs- antrag des Abg. Dr. Sattler angenommen.

Schluß 833, Uhr. Nächste O Sonnabend 11 Uhr. (Berg-Etat, Etat für Handel und Gewerbe.)

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Ein Geistlicher, welher in der Kirhe vor den Kirchen- besuchern die Abstimmung von Wählern innerhalb seiner Pfarr- gemeinde bei einer ‘vorangegangenen, in unanfehtbarer Weise beendeten öffentlihen Wahl abfällig beurtheilt, kann, nah einem Urtheil des Reichsgerichts, I. Strassenats, vom 21. Oktober 1895, wegen Vergehens gegen den § 130a des Strafgeseßbuchs (wonach ein Geistlicher, welcher in einer Kirche vor Mehreren Angelegenheiten des Staats in einer den öffentlihen Frieden gefähr- denden Weise erörtert, mit Gefängniß oder Festungshaft bis zu zwei Jahren zu bestrafen ist) bestraft werden. Ein katholischer Geistliher in Bayern hatte in der Kirche vor Mehreren die nah seiner Auffassung verwerflihe Abstimmung derjenigen Wähler innerhalb seiner Pfarrgemeinde, welche bei der vorangegangenen Landtagswahl niht für den Zentrumskandidaten gestimmt hatten, einer abfälligen Beurtheilung unterzogen und hiermit das durch die Abstimmung seiner Pfarrangehörigen hecbeigeführte Ergebniß der Landtagswahl und die Art und Weise der Ausübung dieses ihres Rechts im allgemeinen zum Gegenstand seiner Erörterung gemacht. Der Geistliche wurde aus § 130 a Strafgeseßbuchs angeklagt und verurtheilt, und die von ihm eingelegte Revision wourde vom Reichs- geriht verworfen, indem es begründend ausführte: „Unter Angelegen- heiten des Staats sind alle Angelegenheiten im weitesten Sinne, die den Staat als solchen Aida , alle Angelegenheiten bei welchen es sich um seine Rechte und Pflichten, seine Inter- essen und Aufgaben handelt, welche wie die Privatangelegenheiten dur die Geseße des Privatrehts durch diejenigen des öffentlichen Nechts geordnet und gestaltet werden, zu verstehen. Der dem Staat obliegende Schuß der Wähler ist aber niht auf diejenigen Fälle beschränkt, in welhen zufolge der vorgefallenen Bedrückungen oder Beeinflussungen die Gültigkeit der vorgenommenen Wahl in Frage gestellt ist. Denn das Wahlverfahren wird nit erst eine Angelegenheit des Staats, wenn dergleihen Verstöße gegen dasselbe erfolgen, sondern es bildet in seiner rechtlichen Gesammtheit von Beginn bis zur Beendigung der Wahl eine durch die Normen des doffentlihen Rechts geordnete staatlihe Angelegenheit. Die Kritik des Angeklagten konnte nun zwar keine Rückwirkung auf den Ausfall des bereits beendigten Wahlverfahrens haben. Das Urtheil stellt aber in thatsählicher Beziehung fest, daß der Angeklagte, indem er das Ergebniß der Wahl in den vom Urtheil angeführten Worten seiner Kritik unterzog, in die Freiheit der Wahlausübung felbst eingegriffen habe, da zufolge der Kundgebung die von ihr betroffenen Wähler be- fürchten mußten, bei Wiederkehr ciner Wahl von geweihter Stelle aus abermals der Mißachtung ihrer Mitbürger preisgegeben zu werden. Ver öffentliche Friede besteht gerade in dem der Bevölke- rung innewohnenden Bewußtsein der NRechtésicherheit, vorliegenden Falis also der Sicherheit bei Ausübung ihres Wahlrehts. Es ge- nügte, wenn der Angeklagte dieses Bewußtsein der Wähler auch nur

efährdete, und es bedurfte niht des Nachweises, daß es nicht loß gefährdet, sondern ershüttert wurde.“ (3046/95.)

Die vom preußishen Kriegs-Ministertum ressortierenden General-Kommandos haben an die ihnen unterstellten Unter- offiziere und Mannschaften im Januar und Februar 1894 Befehle erlassen, in welchen diesen jede Dritten erkennbar gemachte Bethätigung revolutionäreroder s ozialdemokratisherGesinnung, insbesondere durch entsprehende Ausrufe, Gesänge oder ähnliche Kund- gebungen dienstlich verboten worden ist. Diese Befehle find, nah einem Urtheil des Reichsgerichts, 11. Straffenats, vom 8. November 1895, „Befehle in Dienstsachen“ im Sinne des § 92 des Militär- strafgeseßbuhs vom 20. Juni 1872 („Ungehorsam gegen einen Befehl in Dienstsahen durch Nichtbefolgung oder durch cigenmächtige Abänderung oder Ueberschreitung desselben wird mit Arrest bestraft“), und eine Aufforderung an diese Soldaten, die sozial- demokratishen Lehren während ihrer Dienstzeit unter ihren Kameraden zu verbreiten, is aus § 112 St.-G.-B. zu be- strafen, wenn der Auffordernde jene Befehle gekannt hatte, oder wenn er mit der Möglichkeit, daß derartige Befehle erlassen fëien, gerechnet und das Bewußtsein gehabt hat, zu ihrer Nicht- befolgung aufzufordern; dies gilt auch für den Fall der Auf- forderung an die zur Einstellung in das Heer bestimmten und vorläufig in die Heimath beurlaubten Rekruten. „Der Vor- saß is mit Unreht {hon durh die Nichtkenntniß der erwähnten Ste der General-Kommandos für ausgeschlossen erahtet. Ob der Angeklagte gerade diese Erlasse kannte oder nicht, ist niht aus- \hlaggebend ; der in dem erwähnten Strafgeseße erforderte Vorsaß würde vielmehr auch dann anzunehmen sein, wenn der Angeklagte mit der Möglichkeit, daß derartige Befehle erlassen seien, gerechnet und außerdem was allerdings hinzukommen müßte das Bewußsein ehabt hätte, zu ihrer Nichtbefolgung aufzufordern. Nach den Fest- Kellungi des Urtheils war die Aufforderung des Angeklagten gegen Ende September gemaht und an Personen, welhe zum Herbst zur Einstellung in das Heer bestimmt waren, gerichtet, mithin an vor- läufig in die Heimath beurlaubte Rekruten, und daher an Personen des Soldatenstandes im Sinne des § 112 Strafgeseßbuchs. Ein Frrthum des Angeklagten hierüber würde \trafrechtlih ohne Bedeutung sein... (2/41/99)

Entscheidungen des Ober-Verwaltungs8gerichts.

Wird bei einem Einkommen aus Handel oder Gewerbe oder Bergbau voraussihtlich im laufenden Steuerjahr ein steuerpflihtiges Einkommen nicht erzielt werden, so kann nah einer Entscheidung des

Ober-Verwaltungsgerihts, VI. Senats, 1. Kammer, vom 13. Juni

1896.

1895, dieser Umstand auf die Einkommensteuerveranlagung nah dem Durchschnitt der drei vorangegangenen Jahre in keiner Weise einwirken. „§ 58 des Cinkommensteuergeseßes (wonach bei einer Verminderung des Einkommens eines Steuerpflichtigen während des laufenden Steuerjahres um mehr als den vierten Theil unter Um- ständen eine entsprechende Ermäßigung der Einkommensteuer beansprucht werden fann) bezieht sich überhaupt nicht auf die Veranlagung, um die es sich in dem gegenwärtigen Verfahren handelt, sondern auf die in cinem völlig vershiedenen Verfahren zum Austrag zu bringenden Ermäßigungen der veranlagten Steuer. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob § 58 a. a. O. überhaupt auf nihtphysische Personen An- wendung findet." (Rep. VI. A. 380/94.)

Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer is, nach einer Entscheidung des Ober-Verwaltungsgerichts, VI. Senats, 1. Kammer, vom 13. Juni 1895, für die dreijährige Durhschnittsberech- nung des s\teuerpflihtigen Einkommens einer Aktiengesellshaft und sonstigen nihtphysishen Person niht maßgebend dasjenige dem Steuer- jahr zunächst vorangegangene Wirthschaftsjahr, über desfen Ergebnisse vor dem Eintritt des Steuerjahres (1. April) die nah dem Statut zur Feststellung berufenen Organe noch niht Beschluß gefaßt haben. In solhen Fällen sind für die Durch- \hnittsberechnung allein die drei dem leßtverflossenen Wirth- \chaftsjahre vorangegangenen Jahre maßgebend. Der |teuer- pslichtige Uebershuß einer Gewerkschaft, nah deren Statut das Kalenderjahr das Wirthschaftsjahr is, betrug im Jahre 1889: 4 662 279 A6, 1890: 3917125 M, 1891: 789118 A, während das Fahr 1892 einen Verlust von 2317 334 M brachte, alles nah Abzug von 349% des Grundkapitals. Der Zensit beanspruchte event. Fest- setzung der Steuer pro 1893/94 nach dem Durchschnitt der Jahre

3 917 125 + 789 118 2 317 334 1890, 1891, 1892 ( LE : = 796 303 M);

die Veranlagung erfolgte jedoh nah dem weit höheren Durchschnitt der Jahre 1889, 1890, 1891. Die Berufung der Zensitin wurde verworfen, und die Beshwerde wurde vom ODber-Verwaltungs- geriht zurückgewiesen, indem es begründend ausführte: „Aus den Statuten geht hervor, daß vor Abnahme und Feststellung der Rehnung und vor Festseßung der etwa zu vertheilenden Ausbeute von dem Feststehen eines nah § 16 des M E L S berehnenden Üeberschusses niht die Rede fein kann. Denn dur die Erinnerungen und anderweiten S der gewerkschaftlihen Deputation kann die Aufstellung der Jahresrechnung, auch nach Prüfung durch den Direktor, einer sehr erheblihen Abänderung unterworfen werden, durch die sih der Ueberschuß vermehren oder vermindern kann. Da die Abnahme und die Feststellung der Jahresrehnung seitens der gewerkschaftlihen Deputation unstreitig erst nach dem 1. April 1893 erfolgt ist, so \heidet das Jahr 1892 für die Berechnung des steuerpflihtigen Ginkommens aus.“ (Rep. VI. A. 380/94.)

Statistik und Volkswirthschaft.

Das Lehrlingswesen im Kanton St. Gallen.

In dem kürzlih erschienenen 1. Quartal-Hest des zweiund- dreißigsten Jahrgangs der „Zeitschrift für Schweizerishe Statistik“ ist ein Vortrag veröffentlicht, welhen Herr National-Rath Wild gelegent- lih der Jahreósizung der shweiz. statistischen Gesellshaft am 2. Sep- tember v. J. in St. Gallen über „St. Gallische Lehrlingsftatistik“ gehalten hat. Der Inhalt muthet {hon deshalb erfreulich an, weil er ganz frei von vorgefaßten Parteidoktrinen die vorhandenen Mängel ohne Uebertreibung aufzudecken und die zu ihrer Beseitigung geeigneten Mittel im Rahmen der bestehenden Rehtsordnung und praktishen Durchführbarkeit anzugeben versucht. Wenn auch die Ver- hältnisse des Kantons St. Gallen kaum in einem Bezirk Deutsch- lands eine genau entsprehende Parallele finden dürften, fo find doch die von National-Rath Wild dargelegten Erscheinungen und die daran geknüpften Ausführungen zum theil für die Beurtheilung der Lehr- lingsfrage au in Deutschland so lehrreih, daß es angebraht er- scheint, fie durh nachstehende Mittheilungen den deutshen an der Frage interessierten Kreisen näher zu bringen.

Nachdem {hon 1891 auf Wunsch des kantonalen Getwerbevereins vom Volkswirth\chafts-Departement des Kantons eine Erhebung über die Lehrlingsverhältnisse veranlaßt worden war, deren Ergebniß namentlich zu verdoppelten Anstrengungen, um den freiwilligen Lehr- lingéprüfungen eine größere Verbreitung zu geben, geführt und eine fehr erheblihe Vermehrung der gewerblihen FortbildunasfWulen be- wirkt hatte, wurde 1894 mit wesentlih erweitertem und vertieftem Prograimm eine nohmalige Enquête durhgeführt. Es wurden insbesondere die Srazs na der Unterkunft der Lehrlinge, nah dem Vorhandensein von R nah dem Verhältniß der Lehrlingszahl zur Zahl der sonstigen Arbeiter und nah dem Lehrgelde neu in das Programm aufgenommen. Der Fragebogen erhielt folgende Rubriken: Name, Bürgerort, Wohnort der Familie des Lehrlings. Name, Beruf, Wohnort des Meisters. Zahl der beim Meister beschäftigten Gesellen (Angestellten), Lehrlinge, Volontairs (in kaufmännischen Geschäften), jugendlihen Arbeiter ohne Lohn. Geburtsdatum, Eintrittsdatum, Lehrzeitsdauer, Austrittsdatum. Wird Lehrgeld bezahlt? Wohnung (beim Meister, Eltern oder Fremden). Lehr- vertrag (mündlich? \{riftlich? Formular ?) Schulbildung vor und während der Lehrzeit. : / ;

Die Erhebung erstreckte [id auf die Lehrlinge in den gewe s (56) Berufsarten, auf die Lehrlinge in den kaufmännischen (23) Be- rufsarten und die „Lehrtöhter“ in 11 „weiblihen Berufsarten“. Betriebe, welche keine Lehrlinge hielten, wurden nit einbezogen.

Es wurden ermittelt 1416 Lehrlinge in den gewerblichen, 391 Lehrlinge in den kaufmännischen, 415 Lehrtöchter in den weiblichen Berufsarten. Die Zahl der Betriebe, welche Lehrlinge hielten, belief sich auf 1261 gewerblihe Betriebe (davon 200 in der Stadt St. Gallen), 367 kaufmännishe Betriebe (davon 137. in der Stadt St. Gallen) und 325 „weiblihe“ Betriebe (davon 83 in der Stadt St. Gallen). Die 1543 ländlichen Betriebe wiesen im Ganzen 1557 Lehr- linge und Lehrtöchter auf, die 419 \tädtishen Betriebe dagegen 665.

Wir berücksichtigen in nachstehendem nur die „gewerblichen“ Betriebe und die in ihnen gehaltenen Lehrlinge.

Im einzelnen beschäftigte sh der Vortragende zunächst mit der „Zahl der Geschäfte, welche Lehrlinge balten Die Frage sei deshalb gestellt worden, weil häufig die Klage gehört werde, die poll der Lehrgelegenheiten nehme ab, fo daß es je länger je a alte, für einen angehenden Gewerbetreibenden einen tüchtigen eister zu finden. Die Ueberzeugung vom Bestehen dieses Mangels habe einen wesentlihen Antheil an der Gründung von Lehrwerkstätten, welchße durh eine \{hulmäßige rgani- ation die gewöhnlihe Werkstattlehre zu ersegen sich be- trebten. Allerdings komme hierbei {(auch in Betracht, daß die Lehr- werkstätte eine „bessere“ Lehrgelegenheit bieten folle, und dîes namentlih in Rücksiht darauf, daß ese der „stets fortschreitenden Spezialisierung" in den Gewerben die Gelegenheit zur Erlernung eines Gewerbes in allen seinen Einzelheiten stets seltener werde. „In der That* berihtet der Vortragende „sind uns von Be- rufsleuten auch Erklärungen gegeben worden, wona fe um diefes Umstandes willen keine Lehrlinge mehr nehmen, da lo e bei ihnen den Beruf nur sehr unvollständig erlernen könnten, respektive nur eine

seitig ausgebildet würden,"