1896 / 54 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 02 Mar 1896 18:00:01 GMT) scan diff

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bebung der Grundsteuer handelte, sondern um eine Außerhebung- segung der Grundsteuer als Staatsfteuer, die möglicherweise da, wo es sich um Gemeinden, niht um Gutsbezirke handelt, wiederaufleben könnte in der Kommunalbesteuerung (aufgelebt ift !), das ist vollkommen zutreffend. Wir baben nun aber bemerkt, daß gerade in diesen Bezirken, wo es n übrigens nicht um uralt angesessene Bauern handelt sie find überbaupt nit privilegiert gewesen —, sondern um Kolonisten, namentli im Regierungsbezirk Frankfurt, die Gemeindesteuer sich sehr wenig geändert hat, gerade in diesen Dorfschaften, wo die Nück- zahlung der Grundsteuer in Frage kommt, und daß thatsächlih der Erlaß der Grundsteuer diesen Besißern wirkli zu gute gekommen ist. Das ift der eine Punkt. Der zweite bezieht sih auf eine Bemer- fung des Herrn Geheimen Raths Dernburg. Meine Herren, gewiß wäre es ein großes Mißverständniß, und ih weiß nicht, wie das Miß- verständniß aus meinen Worten entstehen konnte, wenn man glauben wollte, die Staatsregierung wäre über die Beschlußfassung beider Häuser des Landtags leihthin hinweggegangen. Ich habe ausdrücklich gesagt: die Frage ist im Staats-Ministerium mehrfah unter Berück- sichtigung aller für und gegen sprechenden Gründe erwogen, und die Staatsregierung ist zu der hièr mitgetheilten Entsceidung gekommen. Meine Herren, gewiß bedeutet eine einstimmige Beschlußfassung beider Häuser des Landtags viel; aber sie fann doch nicht soviel bedeuten, daß nun die Staatsregierung oder die Krone unbedingt c an einen solchen Beschluß anschließen müßte (sehr richtig! ); diese Bedeutung kann sie doc niht haben. (Zuruf: Wird au nicht behauvtet!) Hier besteht eine abweichende Meinung zwischen der Staatsregierung und den beiden Häusern des Landtags, und wie die Staatsregierung ih oft gefallen lassen muß, durch die Umstände gezwungen zu sein, auch gegen die nah ihrer Auffassung bessere Meinung einem Beschluß beider Häuser des Landtags nachzugeben, so wird das Umgekehrte auh der Fall sein. Von einer Geringachtung der Bedeutung der Stellung- nabme des Landtags kann dabei in keiner Weise die Nede sein. (Zuruf: Ist auch nicht behauptet worden ! )

Ober - Bürgermeister Beker- Köln bestreitet, daß die großen Städte von der Steuerreform den meisten Vortheil gehabt haben; er fomme bierauf beim Schulgeseß zurück und wolle die Regierung beute nur bitten, fich dur fole Behauptungen nit verleiten zu lassen, noH mehr solhe Reformen zu machen. Er lehne den Antrag Königsmarck ab. Was die Herren heute alles vorbringen, hâtten fie h damals bei der Feststellung der Rückzahlungspflicht überlegen follen. Die Rückzablungspflicht treffe keineswegs am meisten den fleinen Grundbesitz, sondern hauptsächlich den Großgrundbesiß; zudem seien in den meisten Fällen die Grundsteuerentschädigungen {on zurückgezahlt. Prozesse seien nur in ganz geringer Zabl darüber geführt worden. Es handle sich bier um eine mit Zustimmung beider Häuser des Landtags beschlossene Gefeßzebung , die man niht ohne zwingendste Gründe schon w3brend der Ausführung wieder aufheben dürfe. E E / j

Freiherr von Solemacher: Es ist immer ein gewagtes Unter- nebmen, mit dem Herrn Finanz-Minister in eine rhetorische Kon- troverse einzutreten, und ih bin immer ängstlih, wenn ih ihm entgegentreten muß. Es handelt i hier um ein kleines Mittel, das aud der Landwirthschaft nützen kann. Gestern hat uns die Regierung angesounen, _ unfern vorjährigen Befchluß über die General-Kommission für Ostpreußen umzuskoßyen, ohne daß neue Gründe eingetreten sind. Dafür müßte die Regierung Reziprozität praslieren und, wenn im nächsten Jahre im Reichstag wieder die großen Mittel beantragt werden, den Antrag Kaniß und die Doppelwährung annehmen. i -

Professor Dr. Dernburg vertritt nochmals gegenüber dem

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Ober-Bürgermeister Becker seinen Standpunkt.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Ich möchte meinem verehrten Gönrier, dem—Herrn Freiherrn von "lemacher do ein vaar Worte erwidern.

Ich glaube, er hat in zwei Punkten h geirrt. Einmal habe i nichi gesagt mit Bestimmtheit, daß, wenn damals die Nückforde- ‘ung der Grundsteuerentshädigung abgelehnt worden wäre, die Staats- egierung sich dabei beruhigt haben würde, sondern ih habe nur ge- sagt: ih glaube verfönlih, daß tie Staatsregierung um solcher ein- zelnen Frage willen die ganze große Steuerreforin nit hätte {eiter ih stehe in dieser Beziebung genau auf dem Standpunkt, den rredner Herr Geheime Rath Dr. Dernburg eben uns vorgetragen : er do für diese Gesetzgebung gestimmt hat, obwohl er in

iesem einzelnen Punkte {on damals abweichender Meinung war. Meine Herren, i habe vielfa anerkannt, auch damals direkt es auêgesprohen, daß man bei dieser NRückforderung viel für und viel

gegen sagen kann; aber dabei bin ich immer stehen geblieben, und stehe

auch noch, daß, von der juristishen Frage abgesehen, ob

zivilrechtlihe Konstruktion gefunden werden föônne, nah r diese Rückforderung fh rechtfertige oder niht, das natürlide Rechtégefühl im Volke wohl ¡dahin gehen wird und geht, daß es nit richtig ist, daß jemand eine Entschädigung für die Aufhebung einer Befreiung bekommt und nachher dje Entschädigung behält, obwohl ihm do die Befreiung zurückgegeben wird. Das ist ein Grundgedanke, den ih juristisch nicht vertheidigen will: diefe Anschauung doch große Verbreitung gefunden, und aus diefer Anschauung

damals beide Häuser des Landtags der Nückforderung ih frage mich, welhe Wirkung wird es haben,. wenn ; Anderes dazwischen gekommen ist, plöglich nach Seite verfahren wird. eine den gestrigen Fall konnte Herr Freiherr von lemacer aub niht consequentias zieben, denn der Herr Land- hat ausfübrlich dargelegt, daß allerdings die Frage der Errichtung einer General - Kommission : Königsberg ganz anders lag als vor einem Jahre, und ich meine aus den Aeußerungen des Herrn Freiherrn von Sole- macher entnommen zu baben, daß ihn diese Ausführungen des land- wirthschaftlihen Ministers überzeugt haben. Also der vorliegende Fall ift mit dem anderen doch nit zu vergleichen. Graf von Zieten-Schwerin bemerkt, daß die Prozesse haupt- \ählich nur in den Regierungsbezirken Stettin, Stralsund und Schleêwig vorgekommen und dort wahrscheinlih nur durch die Hand- habung des Gesetzes veranlaßt worden seien.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Uns ift nicht bekannt, daß da irgendwie nah anderen Grund- sätzen verfahren sein sollte. Würden mir darüber irgend welhe that- \ählihen Unterlagen gegeben, fo würde ih der Sache ganz zweifellos nachgeben, weil mir naturgemäß eine ganz gleichartige und wie die Herren überzeugt sein wollen, eine woblwollende Behandlung der Frage in der ganzen Monarchie am Herzen liegt.

Der Antrag des Grafen von Königsmarck - wird mit großer Mehrheit angenommen und die Denkschrift dur Kenntnißnahme für erledigt erklärt.

Ueber die Petitionen der Gemeindevertretung von

Bockhausen bei Erfurt und von Einwohnern von Silmers- dorf, Kreis Ost-Prignißz, um Erlaß der Rücerstattung von Grundsteuer-Entshädigungen geht das Haus zur Tagesordnung über. :

Ebenso wird die Petition der Gemeindevorstände des Stadt- und Landkreises Koblenz um Aufhebung des Brüken- geides auf der Schiffsbrücke zwischen Koblenz und Ehrenbreit- fein und um Redweiang der Unterhaltung der Brücke auf t O urch Uebergang zur Tagesordnung erledigt.

Schluß nah 3!/2 Uhr. Nächste Sizung Montag 11 Uhr (Petitionen).

Haus der Abgeordneten. 31. Sigung vom 29. Februar 1896.

Die zweite Berathung des Etats des Ministeriums der eiRliden, Unterrichts- und Medizinal- An- gelegenheiten wird bei dem Titel „Gehalt des Ministers“ fortgeseßt.

Nach der vorgestern mitgetheilten Rede des Abgeordneten Dr. Bachem (Zentr.) nimmt das Wort der

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Ih gehe nur ungern daran, Herrn Abg. Dr. Bachem heute noch einmal zu antworten. Sie werden es begreiflich finden, daß es unmöglich zu einem gedeihlihen Ergebniß führen kann, wenn i hier jeßt Punkt für Punkt meine gestrigen Ausführungen denen des Hercn Abg. Dr. Bachem gegenüber wiederholen will. Das würde {ließli ein unfruhtbarer Streit sein, bei dem beide Theile auf ibrem Standpunkt stehen blieben und bei dem ein eigent- lihes Ergebniß, namentlich im Interesse des konfessionellen Friedens, nit zu erzielen wäre. Was mich aber bestimmt, doch das Wort zu ergreifen, das ist der Umstand, daß Herr Abg. Dr. Bachem einige Anführungen gemacht hat, auf die ih antworten muß, um ihm und auch den von ihm vertretenen Personen und Sachen gerecht zu werden.

FH danke dem Abg. Dr. Bachem zunächst, daß er den Ausdruck „Stlendrian in Kultus - Ministerium“ zurückgenommen hat. Ich fonnie mir den Ausdruck nicht gefallen lassen und werde ihn wir nicht gefallen lassen. Nun hat der Abg. Dr. Bachem an mich den Appell gerichtet, id möchte nun aber auch den Auëdruck „fanatisch", mit dem ih die katholishen Posener Damen belegt hätte, meinerseits zurüd- nehmen. Meine Herren, ich will nur darauf aufmerksam machen, daß ih es mir nie würde haben beikommen lassen; von fanatishen Katholiken oder fkatholischen Damen zu sprechen, sondern ich habe gesprohen und jedenfalls auch nur gemeint, fanatisGen Polonismus und, meine Herren, darin \ehe ih do keinen Vorwurf. Wenn man mich für einen fanatishen Deutschen bält, fo lasse i mir das sehr gern gefallen. Das bin i. (Bravo! links. Unruhe im Zentrum.) Aber, meine Herren, wenn den Schwestern in der Provinz Posen damit irgendwie persönlih zu nahe getreten sein fönnte, fo gebe ih den Ausdruck preis und nehme ihn fehr gern zurü. Auf den Ausdruck kommt es garnicht an.

Nun, meine Herren, will ich mit dem Herrn Abg. Dr. Bachem

mich nit darüber streiten, ob ih gesagt habe ich weiß es nicht mehr; aber i mag es wohl gesagt haben —, er babe früher mehanise Parität verlangt und jeßt verlange er eine falfulatorishe Parität. Herr Abg. Dr. Bachem meint, es hätte richtig lauten müssen: er hâtte früher die Behauptung der Imparität auf mechanische Weise zu be- gründen gesucht und jeßt suche er sie falfulatoris{ zu begründen, und so bâtte ih sagen müssen. Ja, meine Herren, ih habe nichts dagegen, daß Sie es so auffassen. Denn, wenn Sie früher die Imparität auf mechanishe Weise begründeten und jeßt auf falfkulatorische Weise sie zn begründen suchen, so führt das doch auf der Kebrseite zu einec mechanischen beziehungéweise kfalfulatorishen Parität. Das fommi auf auf eins heraus und ift \{ließlich nur ein Streit um Worte. Nun hat Herr Abg. Dr. Bachem gemeint, es wäre doh nit richtig, daß ih behauptet hätte, die Kosten, die für die Restauration der Schloßkirhe in Wittenberg aufgewendet seien aus unserem Erxira- ordinarium, seien Kosten, die ledigli auf rechtlicher Berpflichtung beruben. Ja, meine Herren, auss{licßlich! Der Staat ist re{tlich verpflichtet, die Schloßkirhe in Wittenberg zu unterhalten; und nicht, weil man da eine spezifish evangelishe Bewilligung haben wollte, sondern weil die Kosten infolge des baulichen {lcchten Zustandes des Ge- bâudes so aroß waren, daß sie nicht auf andere Weise bestritten werden konnten, mußten wir hier vor das Land treten und hier aus dem Extraordinarium uns die Mittel bewilligen lassen. Das ift genau derselbe Fall, wie er beim Kölner Dom lag. Mir haben für den Kölner Dom durch den Etat seit 1849 bewilligt 4650 000 (Hört! hört! links.) Dagegen ift die Bewilligung von 395 000 M für die Wittenberger Schloßkirhe, das Heiligthum der Reformation, doch wirklih keine Sache, über die Sie Anlaß haben, sich zu be- klagen. (Sehr ri&tig! links.)

Nun, meine Herren, hat auch Herr Abg. Bachem gemeint, man febe doch garnicht, daß für fatholishe Zwecke auch folhe Bewilli- zungen gemaht werden. Meine Herren, das habe ih ja gerade aus- geführt : in früheren Jahren sind fehr viele solhe Bewilligungen ge- madt für die katholis@e Kirhe. Ih will nur einige anführen. In den Fahren 1850 bis 1852 90 000 4 für den Neubau einer zweiten fatholisWen KirWe in Berlin; im Jahre 1852 30009 4 für den Bau einer Emeritenanstalt für das Biëzthum Münster; in den Jahren 1852 bis 1854 48000 A und 18000 Æ für den Bau der Demeritenanstalten in Köln und Trier; im Jahre 1853 noch cinmal 30 000 M für die fatholishe Kirhe in Berlin; und so geht das weiter. Das sind doch au Zakblen, die für die katholishen Ver- bältnifse cbenso viel gelten wie die Zahlen, die uns Herr Abg. Bachem für die evangelische Seite angeführt hat. (Sehr richtig! links. Un- ruhe im Zentrum.)

Nun hat Herr Abg. Bachem gemeint, ih sollte doch mein ganzes Material hier dem Hause mittheilen. Ja, meine Herren, an si steht dem nichts entgegen; aber ih trage doch Bedenken, dies zu thun. Denn ich habe gestern darauf hingewiesen: ih halte diefe ganzen Be- rechnungen für einen Unfug, ih halte fie au für unrihtig, ih halte se für einen \hiefen Weg, die Verhältnisse zwischen den beiden Kon- fessionen hier im Hause richtig zu stellen. (Sebr richtig! links.) Und des- halb trageih Bedenken, das ganze Haus damit zu belästigen ; aber ich fielle sie den einzelnen Herren, die sie haben wollen, abscriftlich sehr gern zur Verfügung; ih habe gar keinen Anlaß, irgend ein Hehl aus diesen Tabellen zu machen, habe übrigens auch ausdrücklich bevorwortet, daß

wir für die Zeit von 1849 das Material niht im einzelnen aus den Etats herangezogen haben, sondern daß ich die Ermittelungen vom Sahre 1849 eingestellt habe. Ih bin fest überzeugt, daß das zu Gunsten und nicht zu Ungunsten der katholishen Kirche gewesen ift. Nun, meine Herren, Sie sehen son aus diesen Zahlen, die ih Fhnen eben mitgetheilt habe und von denen ich Ihnen ja längst nicht alle genannt habe, daß folie Ausgaben auch geleistet sind, troß des Kap. 115, troßdem darin die kirhlihen Institute begriffen sind! Was die Konsistorialgebäude anlangt, so sagte Herr Dr. Bachem:

ih hätte angeführt, daß die Konsistorialverwaltung früher Sache der

Regierungen gewesen wäre, und das wäre eben auf fatholisher Seite nicht der Fall gewesen. Nein, das habe ich nur deshalb angeführt, um Ihnen zu beweisen, daß in neuerer Zeit durch die Entwicklung

- unserer Verwaltung ein außergewöhnlih ftarkes Bedürfniß zur Er-

bauung neuer Konsistorialgebäude hervorgetreten is. Sehen Sie mal: auf Ihrer Seite besteht das Bedürfniß nit, denn die Gebäude für die bis{öflicen Institute sind ja alle vorhanden. :

Wir haben ja die Domkurien, wir haben neue Domkurien gebaut. (Hört! hört! bei den Nationalliberalen; Zurufe.) Wir haben sie in Köln gebaut, auch eine neue Dompropstei ist dort er- richtet worden.

Das haben wir gewissenhaft gethan und sind uns garnicht bewußt, irgendwie unparitätisch zu Werke gegangen zu scin. Meine Herren, Sie könnten das wohl wissen ich kann nicht behaupten, daß Sie es wissen und will es au nicht, ich kann es mir aber denken, daß Sie, weil Sie einmal annehmen, daß der evangelische Kultus-Minister Sie nicht ganz paritätisch behandelt, das bona fide thun; aber das fönnen wir doc beanspruchen, daß Sie einige Umstände, die ganz ofenkundig find, auch mit in Betracht ziehen. Sie wissen ganz. genau, daß jeßt augenblicklich Verhandlungen \chweben über staatlihe Unterstüßung des hiesigen Neubaues der Matthias- gemeinde, und da sind wir Ihnen entgegengekommen bis zum äußersten. Die Gemeinde hatte den Zeitpunkt versäumt, in dem sonst derartige staatliche Unterstützungen erwirkt werden können, und ich habe mich persönlich dafür ins Zeug gelegt, daß über diese formalen Mängel hinweggesehen werde. Die Verhandlungen-schweben noch und werden hoffentlich zu einem guten Abschluß führen. Ich habe alles Mögliche gethan, um diesen Abschluß zu Gunsten der Ge- meinde herbeizuführen.

Meine Herren, das sollten Sie doch au, wenn sie gerecht und billig sein wollen gegen die Regierung, mit in den Kreis Ihrer Er- wägungen und Betrachtungen ziehen.

Außerdem male ih darauf aufmerksam, daß 3. B. in der Provinz Posen jeßt der Neubau eines Klerikalseminars unter wesent- licher Betheiligung von Staatsmitteln im Werk ist. Allerdings baben wir anerkannt, daß wir in gewisser Beziehung verpflichtet sind, dabei mitzuwirken (Aha! bei den Polen) jawohl, das haben wir aner- fannt ohne Prozeß! (Lachen im Zentrum und bei den Polen.) Ja- wohl, obne Prozeß! Wir haben eingesehen, daß ein Bedürfniß vorlag, und darum haben wir die Handhaben dazu geboten, daß das Be- dürfniß befriedigt werde.

Nun, meine Herren, hat der Abg. Dr. Bachem die Frage der Ober-Regierungs-Räthe herangezogen. In diefer Beziehung habe ich meinen gestrigen Ausführungen garnichts hinzuzufügen. Ich weiß nit, ob außer in Münster noch ein zweiter fatholisher Ober-Regie- rung8-Nath gerade an der Spiße der Schulabtheilung steht; aber wir baben einen, vielleiht noh mehrere katholische Regierungs- Präsidenten, fatholishe Ober-Präsidenten, katholishe Minister, kurz eine ganze An- zahl fathclisGer Verwaltungsbeamten. (Bewegung im Zentrum.) Wie viel, fragen wir nit, sondern wir fragen nur nah der Persön- lichkeit; wenn das tüchtige und gerechte Männer sind, dann werden sie als Katholiken so gut befördert wie als Protestanten.

Dann hat der Abg. Dr. Bachem nochmals zurückgegriffen auf meine gestrige Aeußerung, daß die Unterrichtsverwaltung ih nit für zuständig bält, in den dogmatischen Inhalt des katholischen Religions- unterrichts einzugreifen, und er hat nur die gesezlihe Sicherheit dafür vermißt, daß das niht geschehen könne. Nun, meine Herren, der einzige Fall, den der Herr Abg. Dr. Bachem in dieser Beziehung hat anfübren können, ist der Fall Bollmann aus dem Jahre 187? in dem der Kulturkamvf ausgebrochen ist. Das if der einzige Fall. Seit 1873 ist ein solcher Fall überhaupt nit wieder vorgekommen. Nun muß ich auch sagen, das ift {on ein sehr netter Beweis, wenn in der Zeit von 1873 bis 1897 auch nicht ein Fall einer Beschwerde nah dieser Nichtung vorgekommen ist. Also ich kann ein dringendes Bedürfniß, diese Dinge aufzunehmen, deshalb nicht sehen, weil ich fürhte, daß, wenn der Versuch gemacht wird, diese Dinge geseßlich zu formulieren, daß da der fonfessionelle Kampf in hellen Flammen wieder auflodert.

Meine Herren, was endli die paritätiswen Gymnasien anlangt, so kann ih nur sagen: es ist eine Thatfache, daß seit langen, langen Fahren die preußishe Staatsregierung staatliche Gymnasien nur als varitätishe gebaut und gegründet hat, und zwar mit Rück- sicht darauf, daß von beiden Konfessionen die Mittel dazu auf- gebraht werden müssen. Der Fall, den der Herr Abg. Dr. Bachem hier angeführt hat mit dem Prinz Heinrih-Gymnasium, beruht auf einem Irrthum. Es ift das kein evangelisches, sondern ein paritätishes Gymnasium. (Hört! hört! bei den Nationalliberalen.) Es ift ihm niht der fonfessionell evangelische Charafter beigelegt worden. Es steht das zwar in einem privatim herausgegebenen Schulkalender. Das ift aber falsch; amtlih kann ich nur erflären: das Gymnasium hat nit den spezifisch konfessionell evangelischen Charakter.

Dann hat der Abgeordnete Dr. Bachem noch gebeten, ih mêöhte doch das Zustandekemmen des Kirchhofgesezes be- \chleunigen. Soweit das in meinen Kräften fteht, werde ih das gewiß thun. Nur das ift irrthümlich, wenn der Herr Abg. Dr. Bachem meint, daß die Sache so einfah sei. Wir müssen bei dem Gese die konfessionelle Minderheit durchaus \{chütßen. Das it auch der Wille des Herrn Abg. Dr. Bachem. Das ift aber nit fo leiht. Schon zwischen dem Kultusressort und dem Ressort des

Ministeriums des Innern bestehen in dieser Beziehung Differenzen

und mir liegt eine ganze Anzahl von Petitionen aus der Nhein- provinz vor, worin ih beschworen werde, nach dieser Nichtung hin auf das allervorsihtigste zu Werke zu gehen, und wo mir die allereingehendften Vorschläge darüber gemaht werden, wie diese Dinge zu regeln sind. Also so einfa wie der Herr Abg. Dr. Bachem meint, ift die Sache nit, und deshalb haben wir eben den ersten Entwurf zunächst an die Herren Ober-Präsidenten gehen lassen und wir werden von diesen gewiß Auskunft bekommen, die uns Grundlagen giebt die Sa,

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demnächst zu machen. Ih glaube nit, taß es noch in dieser Session an das Haus kommen wird. Wenn es noch mögli ist an mir foll es gewiß nicht fehlen.

Endlich hat der Herr Abg. Dr. Bachem auch noch gemeint, wir möchten do dafür sorgen, daß die katholishen weibliGßen Orden mit den evangelishen Ordensgenossenschaften gleichgestelt werden. Fa, meine Herren, da kann ich nur wiederholen, was ich fchon gesagt habe: es giebt ja gar keine evangelisden Orden, keine evangelischen Ordenégenossenshaften. Die evangelishen Genoffenshaften bedürfen deéhalb auch, da fie gar feinen Ordenêcharakter haben, nit unter speziellen geseßlihen Bestimmungen stehen, keiner befonderen Er- laubniß. Daraus ergiebt fich naturgemäß die größere Freiheit. Das liegt begründet in dem Charakter des katholishen Ordenswesens und vor allen Dingen für uns in dem Gesetze, an das wir gebunden find. Nun sagt Herr Bachem, ih hätte mi gestern auf das Kompromiß bei Beilegung des Kulturkampfes berufen, und wenn man ih an meine Worte halten wollte, so wäre dieses Kompromiß ja wohl für ewige Zeit unangreifbar. Meine Herren, das is mir natürli garnicht eingefallen; auch ein Kompromiß kann geändert werden im Einver- ständaiß beider Theile; aber das habe ich allerdings behauptet, daß für tie Staatsregierung auch nit der leiseste Grund vorhanden ift, ibrerseits die Initiative zu ergreifen, um dieses Kompromiß umzu- stoßen. Jst das Kompromiß wirklich für Sie unerträglich, dann ist es Ihre Sache, die gesetzgeberische Initiative zu ergreifen ; das können Sie ja und wenn dann die Sache an uns kommt, tönnen wir es uns über- legen. Im übrigen bin ich ganz und gar mit dem Herrn Abg. Dr. Bachem darin einverstanden, daß wir nicht cinen formalen und nit einen faulen foufesfionellen Frieden baben wollen, sondern einen inner- lid:n und materiellen; den strebt tie Negierung an, helfen Sie uns bei diesem Bestreben, dann werden wir auch zu einem gedeihlihen Ziele fommen. (Bravo! bei den Nationalliberalen.)

Abg. Dr. Krause (nl.): Wir können wirflich heute nicht von einem Bachem redivivus fprechen; der vom Abg. von Eynern foustatierte Todtschlag besteht noch fort. Troß der mehanishen Auf- stellungen sind die Tabellen des Herrn Bachem tendenziös. Herr

Bachem mag unter den Seinigen ein Riese sein; er ist be-

siegt worden von einem Zwerg, der kein anderer ift als ein Rechenstift und der Adam Riese heißt. Was foll den paritätischen Gymnasien in Berlin gegenüber die Forderung eines katholischen Gymnasiums? Ist das Parität? Die Katholiken in Berlin haben niemals cin fatholishes Gymnasium verlangt; überlassen Sie doch die Sache Ihren katholishen Berliner Mitbürgern und bevormunden Sic dieselben nit. Bezüglih des Schulgeseßzes bat gestern Herr von Heydebrand d!e konservative Stellung gekennzeihnet. Auf die Umstände der Einbringung des Zedlig’shen Schulgeseßes brauchen wir nicht immer wieder zurückzufommen. Wir sollten alle diese vergangenen Dinge vergangen sein lassen, au das ganze Schulgeseß. Herr von Heydebrand hat zwar angenommen, die Erregung sei damals garniht so groß gewesen; wir haben andere Anschauungen über die damalige tiefgehende Erregung, und wir müssen wünschen, daß man diese Erregung nicht wieder heraufbes{wört. Der Gegensatz zwischen den Evangelishen und Katholischen bestand allerdings nit, ist auch nod nicht behauptet worden. Der Gegensaß bezog sich darauf, wie weit der Einfluß des Staats auf die Schule bewahrt bleiten follte oder nit. Eine große Anzahl von Protestanten und ein nit kleiner Theil von Kaiholiken stand in Widerspruch mit den Anschauungen des Hecrn von Heydebrand und des Zentrums. Von einem Entgegenkommen der Konservativen baben wir damals nichts bemerft. Die c(ristlihe Volksschule, welhe die Konservativen anstreben, hat man beute; Sie (rechts) haben also gar fein Interesse daran, an dem bestehenden Zustand zu rütteln. Es wird auch niemand einer Pariei cinen Vorwurf daraus machen, daß sie eine Forderung, die sie für berechtigt hält, zurüstellt, wenn die Zeit ihre Erfüllung ver- hindert. Herr von Heydebrand hat den Konservativen die Unabhängigkeit gewahrt gegenüber den Mittelparteien und gegenüber dem Zentrum. Ein Zusammengehen der Rechten mit den Mittelparteien ist also nicht auêgelchlossen, wie ja auch ein Zusammenarbeiten zwischen uns und dem Zentram nicht unmöglich ist. Das hat ich bei der Landgemeinde-

ordnung und auch bei der Steuerreform gezeigt. Gegenüber den Klagen des Zentrums über Imparität hat sich leider Herr von Heydebrand nicht ausgesprohen. Wenn das ganze Hans einig ift gegenüber dem Zentrum und die Anklagen des Herrn Bachem für völlig unbegründet bält, fo bätte das auch von der Rechten anerkannt werden follen. Die Forderung der mechanischen Parität würde kaum ernst genommen werden. Herr Bachem spra ‘von krassen Imparitäten; wo fangen diese an? Das ist do ledigli ein Spiel mit Worten. Wer soll venn darüber wachen, daß die Konfession der Beamten berüd- sichtigt wird? Genügt die Zugehörigkeit zur Konfession oder muß man Zentrumsanhänger fein, um als Katholik zu gelten? Giebt es nit in der fatholishen Kirwe auch geistige Gegensäße, wie sie beim Protestantismus hervorgetreten sind? Wenn das geistige Leben în der fkatholis{en Kirche niht so entwickelt ist, so will ih meinen Œrrthum eingestehen. In der protestantishen Kirche find die Gegen- sâue so scharf, daß vielleicht mancher Protestant an einer bestimmten Stelle lieber einen Katholiken als einen Protestanten der anderen Richtung sehen möchte. Man müßte also ein Staatsreligions-Tribunal einrichten, um die Beamten zu prüfen, und wie foll erft dieses Tribunal zusammengeseßt werden! Wenn die Regierung cinen Beamten auf seinen Play seßt, so habe ich zum Ministerium ein größeres Vertrauen, als wenn jemand aus dem Zentrum fagen würde, der Beamte sei nit auf dem rehten Fleck. Nicht aus dem Lande foinmen die Sachen hierher, sondern von hier werden sie ins Land hinausgetragen. Bestimmte, sachliche Beshwerden find gar nit vorgebraht worden, weil sie nicht vorhanden find im Lande. Die Nothwendigkeit des Zentrums sollen andere Leute zeigen. Aber rooher fommen die überflüssigen Debatten? Von wo gehen diese An- regungen aus? Wie will das Zentrum den materiellen Frieden erreiten? So wie es angefangen wird, wird nur die Zer- kflüftung- im Lande hervorgebraht. Der materielle Frieden wird nicht geschaffen, wenn prinzipielle Fragen immer wieder hervorgezerrt werdea, wenn man Gegensäßze künstlih konstruiert. Auf diesem Wege Fönnte der materielle Frieden nur durch Unterdrückung der Minserität erzielt werden, und dadurch wird ein Krieg der Unterdrückten gegen die Unterdrücker, aber fein Frieden erzielt. Gegenüber den um- stürzenden Elementen sollten wir zusammenhalten und uns nicht gegen- seitig bekämpfen. /

Abg. Dauzenberg (Zentr.): Ich bin angenehm berührt dur die Wärme, mit welcher Herr von Heydebrand für die Vorlegung des Volkéshulgeseßes eingetreten is ; ich freue mich, daß die Konferva- tiven cin Zusammengeben mit dem Zentrum nicht ablehnen. Wir werden sie in dieser Frage unterstüßen. Worin soll der Febler gelegen haben bei der Einbringung des Volksschulgeseßes ° Die Zurüdck- ziehung des Geseßzes war ein Akt der Staatëunklugheit. Was uns bei der unglüdckseligen Katastrophe besonders gefreut hat, war das ritterlihe Verhalten des Grafen Zedlig, ter mit dem Gese gefallen ist. Daß Graf Caprivi nicht damals glei mit abging, hat sich später \{chwer geräht, und daß die übrigen Minister blieben, war auch ein greßer Fehler; die Herren, bndiai o des Herrn Miquel, hätten ih als solidarisch erklären müssen. Sie sind nit ehrenvoll im Amte geblicben. So wie Graf Culenburg is noch nie ein Minister empfangen worden hier im Hause, Im Lande hat man bei den Wablen die Antwort gegeben, daß nah den Wahlen die Parteien, welche die Mehrheit bildeten für das Volksschulgeseß, gestärkt hierher kamen. Die Regierung sollte also daran denken, daß dieses Haus unter der Parole des Volks\hulgescßes gewählt ift. Unfrieden würde niht entstehen bei der Wiedervorlegung des Schulgefeßes. Protestanten und Katholiken waren einig bezüglih des christlichen

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Nein, nit cristlih-katholish. Der Minister wäre eigentlih ver- pflichtet, ein folhes Geseß vorzulegen; aber es ift ihm und seinen

äthen angenehmer, fo fortzuwursteln. Wenn der Minister mit der Staatshoheit, von der er geftern so leicht gesprochen hat, in die inneren Angelegenheiten der fatholishen Kirche eingreifen will, dann werden wir ebenso energisch Widerstand leisten wie zur Zeit des Kulturkampfes. Auf ‘diesem Gebiete fönnen wir feine Staatshohbeit anerkennen. Der Minister will si nicht einmischen in den Religions- unterricht und seinen materiellen Inkalt. Aber damit deckt si der Falf’she Erlaß nit; denn die Differenzen entscheidet immer die Schulaufsichtsbebörde, au diejenigen, welche sih darauf beziehen, ob die katholische Religion richtig gelehrt worden ist. Und wer ift die Aufsichtsbehörde? Ein evangelischer Sqgulrath, Regierungs-Präfident und {ließli der protestantische Kultus-Minister. (Zuruf: Scheiter- haufen! Heiterkeit links.) Der Staat ist zur Ertheilung des fatholishen Religionsunterrichts unbefähigt, das ift allein ein Recht der katholischen Kirche, das sagt allein schon der gesunde Menschen- verstand. Bedauerlih ist, daß der Minister meinte, vermittels des Religionsunterrichts sollte die Schule der Kirche ausgeliefert werden. Gerade der Minister sollte sih dreimal besinnen, ehe er so etwas aus- spricht. Ein Lehrer, der FRegen den Bestimmungen der Kirche den Neligiongunterricht ertheilt, hat dur seine eigene Schuld die Ent- fernung von der Kirche verdient ; denn die richtige Ertheilung des Religionsunterrihts ist ja die Vorbedingung feiner Stellung. Wenn ein solcher Lehrer in der Schule behalten wird, so ist das eine Ver- ewaltigung der Eltern, welche einen richtigen Neligionsunterricht ver- angen. Die Zahlen des Ministers können wir nit fontrollieren. Mir erscheint es unfaßlich, ‘daß Jahre lang die Katholiken in dem proteftantisden Preußen fo bevorzugt gewe?en fein sollen. Redner fordert \{ließlich eine Revision des Gesetzes, betreffend die Verwaltung des Kirchenvermögens.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Nun, meine Herren, meine profanen Hände und mein profanes Herz haken beide auch niht den Schatten einer Absicht, in das Heilig- thum der fatholishen Kirche si hineinzustrecken; das hate ih fo oft erklärt, daß ih es nicht noch einmal zu wiederholen brauhe. Ich verzichte deshalb darauf, mich ausführlich mit dem Herrn Abg. Dauzen- berg hierüber auseinanderzuseßen. Ih habe nur drei Punkte zu er- wähnen, über die ih nicht hinweggehen will.

Zuerst will ih ausdrücklih hervorheben, daß ih mit der feinen und tiefen Würdigung des Wortes der ristlißen Volksschule, wie wir das gestern aus dem Munde des Herrn Abg. von Heydebrand ge- bört baben, vollkommen übereinftimme (hört! hört! Bravo!) und daß ih die Pflicht, die christlihe Volksschule, die wir haben, aufrecht zu erhalten, in vollstem Maße anerkenne. (Bravo !)

Aber, meine Herren, wir haben die christli®e Volksschule (sehr richtig!) und fie müßte erst beseitigt oder geschädigt werden. Dafür aber werde ih sorgen, daß sie niht geshädigt wird. (Bravo! rets.) Dafür mag dieses Wort genügen.

Sodann hat der Abg. Dauzenberg mir verschiedene Belehrungen über meine Pflichten, insbesondere über die Pflicht, cin Volksschul- geseß vorzulegen, ertheilt, und zwar mit der Begründung, ih sei dazu verpflichtet, weil das hohe Haus auf die Parole des Volks- shulgesetzes gewählt sei. Jch erwidere darauf, daß ich ganz gewiß niht auf die Parole der Vorlegung eines Volks\hulgesezes gewählt und an diesen Plat gestellt bin.. (Sehr gut! links.)

Drittens! Zu meinem großen Bedauern hat der Abg. Dauzen- berg eine Aeußerung. gethan , die ih unmöglih fo hingehen [assen fann. Ich hatte geglaubt, mi verhört zu haben und habe mir des- halb das Stenogramm kommen lassen. Darnach lautet die Aeuße- rung dahin:

daß das Gesammtministerium doch im Amte blieb, das war mehr als ein Febler; sie find ehrenvoll nicht im Amte geblieben.

Nun, meine Herren, ih bin genöthigt, diefe Aeußerung im Namen des Königlichen Staats - Ministeriums und insbesondere im Namen meiner betheiligten Herren Kollegen auf das entschiedenste zurück- zuweisen. Herr Dauzenberg mag die Handlungsweise der Minister politisch fkritisieren, so viel er will; das werden sie zu ertragen wissen. Aber, meine Herren, ih spreche ihm mit aller Entschiedenheit das Recht ab, ih hier ein Urtheil darüber anzumaßen, ob die Minister Seiner Majestät des Königs ehrenvoll im Amt geblieben sind oder niht. Der vollen Tragweite feiner Aeußerung if \sich der Abg. Dauzenberg vielleiht nicht bewußt. (Widerspru im Zentrum.) Ih fühle mih verpflichtet, hier daran zu erinnern, daß derartige Aeußerungen über abwesente Minister wenigstens der bisherigen Gepflogenbeit niht entsprechen. Ich weise die bezcihnete Aeußerung des Herrn Abgeordneten als vollkommen unbegründet ein für alle Mal biermit zurück. (Bravo!) (Glocke des Präsidenten.)

Vize-Präsident Freiherr von Heereman: Ich habe die Aeußerung des Abg. Dauzenberg niht verstanden. Wenn er sie aber in dieser Weise gegen die Minister gerichtet hat, so muß ih das parlamen- tarisch für unzulässig erklären und den Abg. Dauzenberg nachträglih zur Ordnung rufen. E e

Abg. Dauzenberg: Es -ist mir natürli nicht eingefallen, die Minister persönlich anzugreifen. Ih habe die Frage, ob fie im Amt geblieben sind, lediglich vom rein politisch - konstitutionellen Standpunkt behandelt und nach dieser Seite hin mein Urtheil ab- gegeben, und ih bin leider niht in der Lage, das zurücknehmen zu können. U

Abg. Hansen (fr. kons.) mat den Präsidenten darauf aufmerk- sam, daß der Abg. Dauzenberg seine Aeußerung ausdrücklih aufrecht erhält. 5

Vize-Präsident Freiherr von Heereman erwidert, daß er den Abg. Dauzenberg bereits zur Ordnung gerufen habe. Herr Dauzenberg habe jeßt erklärt, daß er die Aeußerung nicht gegen die Person der Minister gerihtet habe. Der perfönlihe Vorwurf bestehe also niht mehr. : A F

Abg. Hansen: Herr Dauzenberg hat aber ausdrücklih erklärt, er befinde fich nit in der Lage, diese inkriminierte Aeußerung zurück- zunehmen. L : S

Abg. Dauzenberg: Ih habe die Aeußerung in dem Sinne, wie sie der Herr Präsident zunächst aufgefaßt hat, nicht aufrecht er- balten. Meine Aeußerung war bloß eine Aeußerung vom rein politisch-konstitutionellen Standpunkt aus, ohne Nücksicht auf die Perfon der Minister. i

Abg. von Eynern: Herr Dauzenberg hat vom ganzen Ministerium inklusive des Herrn Miquel gesprochen, und wenn das keine versönlihe Sate ist, dann weiß ich nit, was eine ist.

Vize-Präsident Freiherr von Heereman: Auch das habe ih nit gehört; die Sache ist mit einem Ordnungêruf erledigt.

Abg. Hansen: Ich konstatiere, daß Herr Dauzenberg den Nückzug angetreten hat. s L

Abg. von Eynern (nl.): Das Hohe Lied von der katholischen Kirche habe ich von dem Abg. Dauzenberg Jahr für Jahr gehört ; man sollte danah meinen, alle Rehtsnormen müßten bei Seite ge- seßt werden und nur die Lehre . der katholischen Kirche dürfte gelten. Die katholische Kirche entscheidet allerdings, was katholische Lehre ist, aber daß alles, was die Kirche anerkennt, au in den Staats\chulen gelehrt werden foll, das bestreite ih; die Anerkennung der Inquisition darf nicht in den Staatsschulen gelehrt werden. Milde Formen will

Volks\{ul. iq (Zuruf des Abg. von Eynern: Christlih-katholis !)

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man berbeiführen im Kampf zwishen den Konfessionen. Da sollte man \ich zuerst an Herrn Dasbah wenden. Die „Triershe Landes- zeitung“ des Herrn Dasbah schreibt über einen Herrn Fabricius, einen Führer der Nationalliberalen: Derselbe habe eine neue Wagen- \hmiere erfunden, um den festgefahrenen nationalliberalen Wagen aus dem Dreck zu ziehen; er babe die neue Hoensbroeh’che Schmiere verwendet, aber auch schon gesehen, daß er damit angeschmiert worden sei. Na, vielleiht bekommt Herr Dasbah einmal Sqhmiere wegen solher Artikel. 1887 haben wir die großen

olendebatten gehabt. Aber seitdem hat die Regierung ebler auf Fehler gemacht, und wenn \{ließlich der erzbischöflihe Stuhl mit einem Polen beseßt wurde, so kann die Regierung fi nit wundern , wenn die Saat aufgeht. Das Zentrum hat fein Material mehr zu Beshwerden, Sie wissen niht, was Sie in den Nolksversammlungen reden follen. Deshalb machen Sie solhe Er- findungen, wie wir sie in Herrn Bachem's Tabelle sehen, und man mag hier reden, was- man will: Die Tabellen des Herrn Bachem bleiben rihtig und werden in den Volksversammlungen verwendet. Herr Sattler hat allerdings behauptet, daß die katholischen Beamten die Interessen nicht wahrzunehmen verstehen. Aber es kommen Dinge vor, die das Vcelk zu folhen Anschauungen bringen. Wenn Windt- horst in Münster vroklamiert, daß der Papst die Welt regiert, wenn in Aachen der Antrag, das Bild des Kaisers neden das des Papstes zu hängen, abgelehnt wird, wenn das Wort fällt: Katholik ist Trumpf, dann muß das im Volk Verwunderung erregen. Herr Bachem tadelt es, daß 8000 Evangelishe in Münster ein Gymnasium verlangen, wähs- rend 209 000 Katholiken in Berlin kein katholisches Gymnasium haben. Aber in Münster wird kein evangelishes Gymnasium verlangt, sondern ein paritätishes Gymnasium. Dieses Verlangen ift zurückgewiesen worden. Fch weiß nicht, ob der katholishe Ober-Regierungs-Rath dabei eine Nolle gespielt hat. Dabei wird cin neues größeres katholisbes Gymnasium gebaut. Ih möchte nun die evangelischen Klagen über Imparität vorbringen. In Düsseldorf ift ein katholishes Gymnasium; von 24 L&hrern ist nur einer, der Religionslehrer, evangelisch, troßdem neben 353 fatholishen 136 evangelishe Schüler vorhanden sind. Ebenso liegt æs in Koblenz. Wenn Herr Bachem hier für uns ein- träte, dann könnte man ihm mehr Glauben schenken als jeßt. In Düsseldorf ist ein paritätishes Realgymnasium; bei 397 evangelischen und 145 fatholischen Schülern sind unter 24 Lehrern 11 katholische, während es nur §8 sein dörften. Ja, Sie sehen, bei einzelnen Fällen hat man immer Grund zur Klage: Sie (im Zentrum) ver- allgemeinern diese Klagen, beuten Sie politisch aus und bethöôören damit das fatholishe Volk. Die „Germania“ beshwert sh darüber, daß in der Kurmark der Landtag nur evangelischen Stiftungen Zuwendungen macht, den katholischen Anstalten nit. Es steht aber fest, daß die Anstalten keine Nüksicht auf die Konfession nehmen. Die fkatholishen Geistlihen und Stiftungen melden sch nicht. Alle Angaben der „Germania“ sind unrichtig; es ist nur in agitatorisher Weise ein Vorwurf gemacht worden. Ih bin neugierig, wie sich die „Germania“, um den Osnabrückschen Ausdruck zu gebrauchen, „herauélügen“ wird. Wenn der Minister uns vorgerechnet hat, daß in den leßten 70 Jahren die evangelishe Kirhe verkürzt worden is um eine Viertelmilliarde, fo werden wir jeßt Ansprüche erheben, die wir sonst nicht erhoben hätten. Ih bin Herrn Bachem sehr dankbar, daß er diese Klar- legung der Verhältnisse herbeigeführt hat. Im Etat betragen die Zuwendungen an die evangelishe Kirhe 15 4 pro Kopf, an die fatholishe Kirhe 25 4. Die staatlichen Leistungen für die fkatho- lishen Bischöfe zeigen durhaus nicht, daß dieselben noch eiwas hätten von der Einfachheit des ursprüngliten Christenthums. Könnte die evangelishe Kirche niht ähnlihe Ansprüche erheben ? Fn Schlesien sind nah der Reformation 826 evangelishe Kirchen fonfisziert und der evangelische Gottesdienst ist unterdrückt worden. Was ift ein fkatholishes Kirchengut? In alten Zeiten war ja fast jeder anständige Mensch ein Geistlicher , auf 25 erwachsene Personen fam ein Geistlicher. Soll das Vermögen aller dieser Personen Kirchengut sein und jeyt der Kirche zurückgegeben werden ? Der Kultus-Minister meinte, zum Zentrum gerihtet : Lassen Sie uns friedlih mit einander arbeiten! Ja, aber das Zentrum will niht mit dem Kultus-Minister zusammenarbeiten. Mie kann cin Mensch in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nit gefällt? Wenn das Zentrum den Frieden hätte, dann würde es auéetnanderfallen; es wird ja jeßt nur noch durch die Energie ein- zelner Personen zusammengehalten. Aus den Ausführungen des Herrn von Heydebrand konnte hervorgehen, daß die konservative Partei wieder den Versu machen könnte, sih mit dem Zentrum zu vereinigen für das Schulgesezg. Ich erlaube mir, ehe die konservative Fraktion darüber in Berathung tritt, Ihnen das grüne Hefthen über die Beurtheilung des Zedliß’s{en Entwurfs zu überreihen. Ich habe es Herrn von Heydebrand gewidmet. (Herr von Kröcher nimmt das grüne Hefthen in Empfang.)

Abg. Rickert: Es if genug, daß wir nach lokalen und wirthschaftlichen Rücksichten gespalten sind; nun noch eine kon- fessionelle Scheidung bei finanziellen Dingen, das würde die Zer- \tôörung alles Zusammenhangs bedeuten. Ich glaube, Herr Bachem wird an einem Male genug haben. (Widerspruch des Abg. Bachem.) Fch würde das sehr bedauern. Die Berathungen haben gezeigt, daß ein Zündstof in dem Schulgesez liegt, und der Kultus-Minister hat Recht, wenn er die Zeit nicht für geeignet bält für ein solches Gesez. Perfönlih könnten wir nihts dagegen haben, wenn die Herren von Heydebrand und Dauzenberg Arm in Arm gehen würden: die Bewegung, die im Lande daraus entstehen würde, dürfte Ihnen unbequem werden. Glauben Sie wirklich, daß man damals im März ein Geset von 200 Paragraphen durhgebraht hätte? (Zuruf rechts: Ja!) Wir wären mit allen möglichen Anträgen ge- fommen bei der Wichtigkeit des Geseßzes. Herr Dauzenberg bat Herrn Grafen Zedlitz gelobt. Jch stimme ihm zu. Ich bedaure, daß er an diefem Gesez zu Grunde gehen mußte. Die Bewegung gegen das Stulgeset war damals erft am Anfang, und es ist ein Irrthum, zu glauben, daß sie stecken geblieben wäre, wenn ein paar Monate ins Land gegangen wären. Herr von Heydebrand ist wenig unterrichtet über die Stimmung seiner eigenen Parteigenofsen im Lande, wenn er be- bauptet, daß sie damals hinter der Fraktion standen. In Graudenz haben Liberale und Konservative beider Fraktionen gegen das Schul- geseß damals Protest erhoben. (Zuruf rechts: Sogenannte Konser- vative.) Der König von Preußen is auch Deutscher Kaiser. Dieses Gese hatte seine Rückwirkung bis in den Süden gezeigt. Haben Sie nichts von Protestversammlungen in Baden gelesen? Leider steht die Sache hon so, daß die Lehrer nirgends sch{lechter ge- tellt find als in Preußen, daß die meisten deutshen Länder Preußen voraus sind! Ist das ein Zustand, den wir verlängern sollen? Es war auc in den konservativen Reihen Opposition : das Herrenhaus- mitglied Graf Hohenthal hat gegen die Vorlage protestiert. Er wollte Spezialgeseße machen, und das möchte ih dem Minister auh anratben. Es müßten dringende Materien, z. B. die Gefeye über die Schulpflicht, über die Schulversäumniß, ber die Schuldotation u. \. w., geseßlih geordnet werden. Wenn der Minister nicht vorgeht, dann werden wir diese kleinen Geseße wieder einbringen und werden vorwärts zu fommen versu@en. Damals hat man den § 18 zurück- gestellt in der Berathung, weil man niht wußte, was man damit an- fangen sollte. Feuer und Wasser lassen sih niht mit einander ver- mischen. Der Kultus-Minister steht hier niht als evangelischer Mann, sondern als Staats-Minister, wir wollen die Schule nicht an die Kirche überliefern. Der Staat dringt niht in das Gebiet der Kirche ein, das Zentrum will in das Gebiet des Staats eindringen, es will die Staats- \hule zu einer Schule der Kirhe machen.- Das innere Gebiet der Kirhe wollen wir nicht antasten; warum soll ein Katholik, der die Nechte des Staats vertritt, nicht Kultus-Minister sein? Wir wollen, daß die Shule eine Veranstaltung des Staats bleibt, darum werden wir auf diesem Gebiet uns nicht verständigen können. (Zurufe rets: Sehr richtig! Heiterkeit.) Ih würde glauben, auf einem falschen Wege zu sein, wenn ih Ihre Zustimmung hätte. Etwas geirrt haben die Konservativen sh doch; fie haben den Sat des Landrechts an- genommen: Die Schule ift die Veranstaltung des Staats. Das Zentrum hat damals offen dagegen gestimmt. Wie ist es mögli,