1896 / 54 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 02 Mar 1896 18:00:01 GMT) scan diff

daß dieser Kultus-Minister vom Zentrum und von den Konservativen angegriffen wird? Haben Sie einen Grund zu Klagen? Was das Zedliß'she Schulgeseß fesilegen wollte, is durch den Minister Bosse eingeführt worden. Wir hätten Ursache, darüber zu klagen und zur äußersten Wachsamkeit zu mahnen. Auf den Erlaß bezüglich der jüdishen Lebrer und Lehrerinnen will ich erst bei der Spezial- berathung eingehen. In Bezug auf den Religionsunterricht der Dissidentenkinder stimmen wir mit dem Zentrum überein. Ich be- dauere die Haltung des Kultus - Ministers um so mehr, als selbst Herr von Mühler eine andere Stellung eingenommen hat. Professoc Delbrück, der allerdings von Herrn von Stumm in den Bann gethan ift, tadelt ebenfalls die Haltung des Kultus-Ministers. Die Gerichte entscheiden ja auch ganz verschieden, und wenn die Meinung des Ministers wirklich durchdringen sollte, so würde das Parlament die Frage immer wieder aufnehmen. Der Minister hat die Stellung der Lehrer gegenüber den Geistlichen herabgeseßt dadurch, daß den Geistlichen die Beleihung des Rektorats fo erleichtert wird. Die Geistlihen sind statutenmäßig Mitglieder des Schulvorstandes, bezügli der Lehrer hat der Minister es nur als erwünscht bezeichnet. Das Squlaufsichtsgefetz stellte das Recht des Staats fest, und vor ¿wei Jahren rühmte fih der Kultus-Minister, daß in die Lokal- \chulaufsiht die Geistlichen immer mehr hineingebracht würden. Darübec herrschen große Befürchtungen im Lande. Der Minister follte Aufklärung darüber geben, wie jeßt die Geistlichkeit an der Lokalschulaufsicht betbeiligt ist. Als der Minister für die sehsklafsfigen Squlen die Rektoren mit der Schulaufsicht betraute, wurde der bobe Ober-Kirchenrath empfindlich, und der Minister widerrief seine Ver- ordnung. Der Unterrichts-Minister follte entlastet werden von allen Kultusangelegenheiten, die man auf den Justiz-Minister übertragen könnte, womät ja das Zentrum sehr zufrieden sein wärde, da derselbe katholis ist. Ich freue mich, daß der Minister bezüglih der Kreis- Schulinspektion die Techniker bevorzugen will; es ist nur bedauerlich, daß die Durchführung dieses Prinzips fo sehr lange dauern sol, denn jeßt find nur 30 Kreis-Schulinspektoren m Hauptamt angestellt. Es würde noch keine Million nothwendig sein, um sämmtlihe Kreis-Schulinspektionen mit Fahmännern zu beseßen. Ich bin darin einverstanden mit Herrn von Heydebrand: Haben Sie nur Muth, Herr Minister! Die Frage der Schulaufsicht ist keine Frage der Parteien und Konfessionen. Auch positive Geistliche und Lehrer treten für die tehnisde Schulaufsicht ein. Wie denkt \sih Herr Bachem die Freiheit der Wissenschaft? Er will sie felbst an den Universitäten beshränken (Widerspruh des Grafen von Strachwitz: Atheismus!), und Sie, Herr Graf, werden _ dar- über entsheiden, was Atheismus ist. Es hat freilich Keßzer- gerihie gegeben, die sehr urzen Prozeß machten. Was verstehen Sie (rechts) denn unter dem christlichen Banner? Die Raumer'’shen Regulative? Die Schule der Regulative hat es nit verhindert, daß ein Hödel in ihr erzogen worden ijt! Die Religion ist Herzenssahe, und andere Faëftoren find es als der Zwang, die hier wirken müssen. Es war ein preußisher König, der Herrn MWöllmer mit feiner Forderung, daß die Religion aufgezwungen werden sollte, zurückwies. Wir wissen ja, was uns bevorsteht. Windt- horst bat nach der Beseitigung der Maigeseße den Kampf gegen die Schule in Auésicht gestellt. Das Zentrum glaubt jegt, es werde diesen Kampf siegreich führen. Ich rathe Ihnen aber, stehen Sie ab davon, denn Sie werden die Staatss{chule in Preußen nicht zertrümmern. Wenn Sie seben, daß diefer Kampf vergeblih ist, dann trennen Sie den Religionsunterriht von der Schule, was hon Shleiermacher für durchführbar erklärt- hat. Wir werden an dem Landrecht festhalten, wonach die Schule eine Veranstaltung des Staats ist, die nit herabgezogen werden kann unter die Kirche.

Ministerial-Direktor Kügler: Ueber die wichtigsten Dispositions- fonds bat die Schulverwaltung der Budgetkommission eingehende Aus- funft gegeben. Aber davor möhte ih warnen, hierbei zu {heiden ¿wisben den Ausgaben für katholische und evangelische Zwette. Eine Vebersiht über die Verwendung des Fonds zu Schulbauten hat ergeben, daß für fatholishe SHulen mehr aufgewendet is, als für evangelishe. Wir können bei dringlihen Fällen, bei überfüllten Schulen, bei dringend nothwendigen Neubauten nicht danach fragen, ob die Stule eine evangelishe oder katholische ift. Herr Bachem verlangte die Gründung einer katholishen Schule in Schöneberg. Ohne daß irgend ein Herr von katholischer Seite an das Ministerium herangetreten ist, hat das Ministerium die Frage geprüft, ob nicht in Schöneberg eine kfatholische Schule nothwendig sci. Ich babe felbst mit dem Gemeinde-Vorsteher verhandelt; fie wird demnächst eröffnet werden, troßdem die Katholiken allerdings selbst nichts davon wissen wollten, daß eine bcsondere Schule errihtet würde. Der Minister hat die Gründung ciner allmäblih sich vergrößernden katholishen Schule verlangt. In der Oeffentlichkeit kennt man zu wenig die Schwierig- keiten, welhe das sogen. Schulleistungsgeseß von 1887 den Unter- rihisbehörden be In Eberswalde follte eine katholishe Schule errichtet werden, aber der Provinzialrath hat das Bedürfniß dazu verneint. Die „Œrmania“ aber forderte den Minifter auf, ih über die Landesgeseze binwegzusetßen, und stellte es so dar, als wenn der Minister mala ñde die Interessen der katholishen Schule ver- nachlässigte. Aus Westpreußen kamen früher lebhafte Klagen. Aber troß meiner Aufforderung ist nicht ein einziger Antrag an_ uns berangetreten. Am Anfang dieses Jahres waren 271 Kreis-Schul- inspektoren im Hauptamt vorhanden, welche 15424 Schulen mit 39 755 Sgulflaßen beaufsibtigen, 349 mehr als im Vorjahr; im Nebenamte wurden 22710 Swulen beauffihtigt, und zwar 349 weniger als im Vorjahre. Aus der Ortéschulaufficht sind in den siebziger Iahren die katholishen Geistlihen entfernt worden. Die evangelishen Geistlichen blieben, und es war natürlih, daß nach der Beilegung der Streitigkeiten zwishen Staat und Kirche die fatho- lishen Geistlißhen wieder dazu herangezogen wurden. Eine Herab- würdigung der Lehrer liegt nit darin, daß sie niht unbedingt in die Schulvorstände aufgenommen sind. Der Minister hat den dringenden Wunsch ausgesprochen, daß dies geschehen solle; geseß- lihe und statutarishe Vorschriften hindern ihn, eine zwingende Bor- chrift zu erlassen. Ih komme zum Schluß. Die Unterrichts- verwaltung bält die Staatshoheit auf dem Gebiet der Schule un- bedingt fest, bält aber die Mitarbeit der Kirche für nothwendig zur christlichen Erziehung der Iugend.

Abg. Stöcker: Wenn wir ein Schulgeseß hätten, würde die Ner- vosität über diese Debatten verschwinden, Es wäre keine günstigere Gelegenheit, ein Schulgeseß zu hafen als gerade jeßt; eine solche pit wird wohl niemals wiederkommen. Nun jagt man: die Dinge follen nit angerührt werden. Wenn sie aber von anderer Seite angerührt werden und noch dazu nicht ungeschickt, so muß man darauf eingehen. Der Minister will die christlihe Schule haben, aber die Personen wechseln, es sind feste Verhältnisse nothwendig. Wir müßten eine rechtliche Begründung für die Theilnahme aller Faktoren an der Schule han. Die Kinder gehören zuerst den Eltern und dann, weil sie eine unfterblice Seele haben, der Kirche, dann kommt erst der Staat. Bei einem solchen komplizierten Verhältnisse die Schule zu einer bloßen Staatsinstitution zu machen, das geht nicht. Herr Rickert gönnt dem Ober-Kirchenrath nit einmal eine freundliche Verfügung des Kultus-Minifters. Wie will er denn eine christliche Erziehung, wenn keine Verbindung zwischen Schule und Kirche besteht ? Alle Dinge, die ih erwähnt habe, waren im Slhulgeseß günstig geordnet. Bestritten war nur die weitgehende Vollmacht des lien misjars und die freie Schule. Aus der freien Schule sind i großen Pädagogen hervorgegangen. Aber diese beiden Punkte w ledigen auch mit den Herren vom Zentrum. Es ist ohne Beispiel in der Geschichte, daß ein gut ausgearbeitetes Geseg, welches sih einer Mehrheit erfreute und in allen positiven Kreisen gebilligt war, zurüdck- gezogen wurde. Eine Volksabstimmung hätte das Gese mit großer Mehrheit zur Annahme gebracht. Aber wir haben bloß eine Äb- stimmung in der Presse, und es werden die Gewitterstürme herauf- beschworen, die niht am Himmel stehen, sondern mit der Elektrisier- maschine der Redaktion gemaht werden. Wenn Herr Rickert den “pati anführt, so zeigt das die Mache. Sie (links) werden den

orwurf niht zurückweisen können, das Sie damals durch eine grund- lose Agitation die Staatsautorität geschädigt haben. Wir wollen

feinen Parlamentaristnus, aber au keinen Journalismus. Es ift ein Unglück, wenn die Presse eine solche Macht erreicht. (Zuruf: Das Volk!) Es ift auf frühere Perioden hingewiesen worden, aber ich weiß nicht, ob dieHerren rihtig Bescheid wissen. Die Grundsäße des Wöllmer’schen Ediktes sind dieselben, die wir vertreten. Nur die Mittel waren fals, man wollte kleinliche polizeiliheMittel anwenden. Und nun Friedrich Wilhelm 1V. Man mag überihn denken, wie man will; aber in Shuleund Kirche sind von diesem Monarchen Einflüsse ausgegangen, die bis auf den beutigen Tag genügend fortwirken. Und wenn er den Mähten des Umsturzes niht hat Widerstand leisten können, was haben wir beute gegenüber dem Umsturz, können wir damit fertig werden? Also werfe man keinen Stein auf einen König, welcher auf ulerer Seite ein unvergeßlihes Gedächtniß hat in Ewigkeit. Der Minister glaubt, daß die Vorlegung des Schulgeset2s den konfessionellen Frieden stören würde. Das Schulgeseß war damals ein Mittel, die positiven Schichten in beiden Kirchen- zu versöhnen und zu einer gemeinsamen Politik zusammenzuführen. Das war eine politishe Nothwendigkeit und wäre auch ein politischer Erfolg gewesen. Dadurch wäre eine feftere Grund- lage für die innere Politik gegeben worden. Es handelt sich nur um die positive und die liberale Politik im Innern. Diese Gegensäße werde ih nie anerkennen; das bringt ins Unglück und ins Elend. Das ift eine eingebildete, feine wirkliche Schwierigkeit. Die Widtig- keit des liberalen Bürgerthums in nationalen und Bildungsfragen kann ich begreifen, aber nicht in firchlihen Dingen, weil Sie (links) darüber gar keine festen Ansœauungen haben. Damit kann ein Staatswesen nichts machen. Herr Krause hat eine paritätishe Das der beiden protestantishen Richtungen verlangt. Die Herren baben sich alfo vom biblischen Standpunkt entfernt und be- traten ih son als eine besondere Konfession; da sollten Sie doh auch die- nöthigen Konsequenzen ziehen und si eine besondere Kirche hafen. Fch möchte dem Minister den Wunsch nahe legen, ih zu fragen, ob es niht doch möglich ist, ein Schulgeseß zu stande zu bringen. Was wir haben, das ist ein Wirrwarr, daß kein Mensch mehr weiß, was fonservativ ist und was niht. Das Schulgeseß war eine Oase in der Wüste, man hörte ordentlich die Palmen und die Quellen rauschen. Da kam der wüste Wind und zerstörte das {öne Bild. Der Staat fann gegenüber den Umfturzideen feste Grundsäße aufftellen für die Jugenderziehung, er kann das cristlihe Banner hochhalten, das ift die konfessionele Volksschule. Auch die höhere Schule follte kon- fessionell sein, soweit es möglich ist, in konfessionell nit gemischten Gegenden. Für die Katholiken allerdings kann man ein besonderes Gymnasium in Berlin nicht hafen. Viel mehr zu beklagen ift die große Zahl der jüdishen Schüler und Schülerinnen in den höheren Schalen. Das find Nothftände. Unsere ganze Schulreform zielt auf die nationale und religionssittlihe Erziehung; beides ist niht mögli in einer gemischten Schule. Bei der Agendengeseßgebung war auch derselbe Sturm wie beim Schulgeseßy. Wir ließen uns nicht irre maten, und nunmehr ist alles ruhig. Für die Dissidentenkinder wünsche ich Unterricht nicht in der Dogmatik, sondern in der biblishen Geschichte, damit die Kinder wissen, was Christenthum ist, das gehört mit zur Bildung. Die Parität kann nicht in einzelnen Fällen beurtheilt werden , fondern nur im Großen und Ganzen. Die Evangelishen wünschen nur dieselbe Freiheit wie die Katkboliken, sie haben feine Dotation; auf die unbedeutende Mehrausgabe baben wir sieben Jahre lang warten müssen. Auf die Stolgebühren- Entschädigung haben wir fast 20 Jahre warten müssen, obgleich der verstorbene Kaiser Wilhelm die Frage selbst angeregt hatte. Die {rofe Stellung der katholischen Kirche allen andern Kirchen gegenüber ershwert das Zusammenleben. Wir Evangelischen find viel ete ge- neigt, der katholishen Kirhe gereht zu werden, als es umgekehrt der Fall ist. In dem Garnisonlazareth sind Graue Schwestern thätig bei meist evangelishen Kranken; die Botschafterposten und andere hobe Posten sind mit Katholiken beseßt. Durch die ganze geistige Arbeit geht das Bestreben, Deutschland in zwei Theile zu scheiden : einen evan- elifhen und einen fatholischen, die nichts mebr mit einander zu thun Cd Wenn wir fo viel Umsturz baben, fo liegt das an dem Streit der beiden Kirhen. Zwischen den beiden Kirhen sollte der Wettstreit bestehen, wer den andern an Liebe übertrifft. Wenn der Kulturkampf ert vergessen sein wird, dann hoffe ih, daß die Scheidemauern ver- {winden werden.

Abg. Dr. Por sch (Zent.) bält die Gründung eines katholischen Gymnasiums in Berlin für eine berechtigte Forderung. Ein Kom- promiß bestehe nicht, sondern der Zustand sei vom Fürsten Bismarck als Waffenstillstand und vom Papft als aditus ad pacem bezeinet worden. Wir wollen, führt Redner weiter aus, kein Glaubens- tribunal einrihten, wir protestieren nur gegen die Imparität, daß ganze Beamtenklafsen keinen Katholiken in sich zählen. Wir haben erst einen einzigen fatholishen Ober-Präsidenten. Die Vermuthung, daß wir die Klagen künstlih zusammensuhen und ins Land s{leudern, um Unruhe zu erzeugen, ist falsch. Was wir vorbringen, ist der {wache Widerklang dessen, was im Lande umgeht. Zusammengesuht waren die Dinge, die Herr von Eynern vorgebraht hat. Auf den Katholiken- versammlungen hat die Büste Seiner Majestät des Kaisers immer ihren rihtigen Plaß gefunden. Wenn Herr von Eynern mit feiner Mittheilung aus Aachen hat andeuten wollen, daß er unferen Patriotismus bezweifelt, so protestiere ich dagegen auf das aller- entschiedenste. Als Lesebureau für einzelne Zeitungsausschnitte fönnen wir uns bier doch nicht fonstituieren. Die großen Summen, welche den fatholishen Bischöfen zur Verfügung stehen, find zu kir- lichen Ausgaben bestimmt, für welhe keine besonderen Fonds vor- handen sind. Durh den Nückgang des Zinsfußes sind die Bischöfe in große Verlegenheit gekommen, fie müfsen den Ausfall an Zinsen- einnahmen, aus denen fir{lidæ Institute unterhalten werden, aus eigenen Mitteln ersezen. Uebrigens sind meistens die Gehälter der Domkerren nicht sehr hoch, 800—900, 1900 Thlr. Der Religions- unterriht ist ein Theil des Volks\hulunterrihts; aber er ift nur fo lange ein rihtiger, als die Kirche ihn als rihtig anerkennt. Sonst fommt man unter dem Schulzwang zur größten Tyrannei. Wenn einmal ein Lehrer gesch{ädigt wird dadur, daß er aus der Schule entfernt wird, so ift das nicht so {limm, als wenn die höchsten Interessen der Kinder und Eltern ge[{chädigt werden dur einen un- firdlihen Religionsunterriht. Diese Frage kann nit erledigt werden dur eine einseitige Regelung seitens des Staates, sondern nur dur eine Vereinbarung. Ich habe die Bedeutung des Zedliß’schen Schul- gesetzes darin entdeckt, daß das christliche Volksschulwesen auf geseßlihe Grundlagen gestellt werden sollte; er hat die damals bestehende Volks- \Mulvrarxis fodifiziert. Es besteht im gegenwärtigen Augenblick cine Mebrheit für das Schulgeseß, und wenn der richtige Augenblick ver- säumt wird, fo trifft die Mehrheit des Hauses kein Vorwurf.

Darauf wird ein Vertagung2antrag angenommen.

Persönlich bemerkt O

Abg. von Eynern: Das Lob des Herrn Porsch verdiene ih nit, ich bin nur cin Organ der Beschwerdekommission gewesen, welche das Zentrum in den Vertheidigungszustand drängen sollte; daß es sobald ganz vertheidigungslos sein würde, Tonnte ih nit erwarten. Ich verstehe in erster Linie deuts; den ersten Theil der Nede des Herrn Stöcker verstand ih nicht, denn er sprach rômis{.

Abg. Stöcker: Wenn Herr von Eynern das römisch findet, so ist das ein \{chlimmes Zeichen für seinen Zuftand.

Abg. Dauzenberg: Ich erkläre hiermit, daß es mir durchaus fern gelegen hat zu sagen, daß die Herren Minister subjektiv nicht ehrenvoll gehandelt bätten durch ibr Verbleiben im Amte. Sollte man das in meinen Worten finden, fo stehe ih nicht an, diese Worte gänzlih zurückzunehmen. Eine Beleidigung der Herren Minister hat gar niht in meiner Absicht gelegen. E

Abg. von Eynern: Wenn Herr Stödter sagt, das Richtige e E VO I g fden, E ih: vor diesem Beweise

ristliher Demuth beuge ich mich. :

Schluß 41/4 Uhr. Nächste Sigzung: Montag 11 Uhr, (Fortsezung der Berathung des Kultus-Etats.)

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Statistik und Volkswirthschaft.

Die Dezentralisation der Zigarrenindustrie im Großherzogthum Baden.

Der kürzlich veröffentlihte Jahresberiht der Großherzogli badischen Fabrikinspektion enthält über die Ausbreitung der Zigarren- industrie în den ländlichen Ortschaften Mittheilungen, welhe zwar unmittelbar einen eigenartigen Industriezweig und Sena Bevöl- kerungs- und Agrarverhbältnisse betreffen, aber dennoch auch als Beitrag zu der widtigen allgemeinen Frage der fortschreitenden Dezentralifation der Industrie volle Beachtung verdienen.

Der Umstand, daß die Herstellung von Zigarren im Berichtsgebiet fast aus\{ließlich in ais auf dem Lande vorgenommen wird, von denen einige größere Firmen etwa ein Dußend befißen, und das fort- währende Anwachsen der Arbeiterzahl, die bisher durchschnittlich im Jahre um mehr als tausend zugenommen bat, haben es bewirkt, daß in einigen Landeëgegenden fast keine Gemeinde mehr ohne Zigarrenfabrik oder eine Anzahl solcher ist. Diese Bewegung ift bis jeyt noch nah keiner Richtung zum Stillstand gekommen.

Die Wirkungen dieser Erscheinung werden, wie zu erwarten, theils günstig, theils ungünstig beurtheilt. ;

An Eis werden zunächst beurtheilt die ökonomishen Wirkungen. Trotz der theilweise sehr niedrigen Löhne komme gegen früher beträchtlih mehr baares Geld in alle solhe Landorte und bewirke niht nur ein Steigen des ganzen Niveaus der äußeren Kultur, sondern au einen intensiveren Betrieb der Landwirthschaft. Namentlich diese leßtere Wirkung {ei eine außerordentlich bedeutsame. Durch die industrielle Thätigkeit würden zwar zunächst Arbeitskräfte in Anspruch enommen, die bisher der Landwirthschaft zur Verfügung gestanden hätten, thatsählich aber in derselben nicht verwendet worden wären, weil fie nit nöthig gewesen scien. Sie hätten mehr oder weniger bra gelegen. Komme nun durch gewerblihe Verwendung dieser Arbeitskräfte, namentlich derjenigen der jüngeren Familienglieder, mehr baares Geld ins Dorf, so werde ein Theil derselben abgehalten, weg- zuziehen. Die landwirthschaftliche Produktion könne infolge defsen mehr auf den Bedarf einer nichtlandwirtbshaftlihen Ortsbevölkerung zugeschnitten werden. Der ua finde sih vortheilhaft an Ort und Stelle, und der Anbau von Artikeln komme auf, deren Preis weniger von den Schwankungen des großen Markts berührt werde, für die vielmehr immer lohnende Preise zu erzielen seien, wie Milch, Butter, Eier, Gemüse u. dergl. Nach der Ansicht kompetenter Beurtheiler trete in Orten, in denen die Zigarrenfabrikation {hon längere Zeit bestehe, abweihhend von der font gemachten Wahrnehmung, daß der fapitalarme landwirthschaftliche Zwergbetrieb die Qualität des Bodens vers{hlechtere, die Erscheinung auf, daß der Parzellenbesiy, der neben der industriellen Beschäftigung festgehalten werde, eine beständige Steigerung der Qualität des Bodens bewirke. Besonders in den in derERheinebene gelegenen Gemeinden der badishen Pfalz mit ihrem meist sehr geringen sandigen Boden fei diefe Erfheinung eine wahrnehmbare und in einigen Orten eine geradezu auffallende.

Ungünstig beurtheilt werden die Wirkungen der besprochenen Erscheinung bier und da wie der Berichterstatter sagt vom „bäuerlich-aristokratishen“ Standpunkte. Man beklagt von diesem Standpunkt, daß durch die Zigarrenarbeit eine proletarische Bevölke- rung in den Landorten sich bilde, die andernfalls nicht entstehen würde. Dem gegenüber wird aber von dem Berichterstatter darauf hingewiesen, daß der Abzug der übershüssigen ländlihen Bevölkerung nach den Städten dieselben dort in viel größerem Umfange und mit für sie viel verhängnißvolleren Folgen zu einer proletarischen Existenz führen würde. Es sei im persönlichen Interesse der Be- theiligten wie im öffentlihen Interesse besser, wenn die zuwachsende und wenigstens für einen Theil ihrer Existenz auf industrielle Arbeit angewiesene Bevölkerung diese industrielle Arbeit in ihrer Heimath und nicht losgelô\t von derselben verrichte.

Entschieden günstig scheinen si gegenüber den städtischen Zu-

ständen die Wohnverhältnisse für die ländlichen Zigarrenarbeiter zu gestalten. So wurden in einem Amtsbezirk mit bedeutender Zigarrenindustrie in den betreffenden Landorten während der leßten fünf Sahre 186 Wohngebäude vorwiegend mit je einer Wohnung gebaut. Auch die Besichtigungen von Arbeiterwobnungen in Orten mit Zigarren- industrie haben im Ganzen befriedigende Zustände erkennen lassen. In der Gemeinde Sandhausen, Amtsbezirk Heidelberg, wo wegen der sehr stark betriebenen Zigarrenfabrikation besonders ungünstige Verhältnisse vermuthet werden mußten, waren die Zustände jedenfalls weit besser als in den Industriestädten. Die 30 besichtigten Wehnungen zeigten fast durchweg die gleite Beschaffenheit. Nach der Straße ein Wohn- zimmer, nah dem Hofe ein Schlafraum. Das Wohnzimmer war in allen Fällen als solches reserviert, d. h. es enthielt keine Betten. In dem Sclafraum waren nur die Betten der Eltern und der Kinder unter 14 Fahren. Erwachsene Kinder oder vereinzelte Schlafgänger {liefen in einer Dahkammer oder in sonstigen besonderen Räumen. Meist hatte jede Wohnung eine besondere Küche. Die meisten Wohnungen ließen das Bestreben erkennen, sih ein behaglihes Dasein zu schaffen. Leider ist der Miethspreis der Wohnungen im Verhältniß zu den Arbeitslöhnen und auch zu den Bodenpreisen ein recht hoher. Jn anderen Ortschaften baben sich auch weniger erfreulihe Bilder gezeigt, im allgemeinen aber ist, wie gesagt, das Wohnverhältniß der Zigarrenarbeiter auf dem Lande kefser als in den Städten. /

Ungünstig beeinflußt wird das Gesammtbild leider durch die Thatsache, daß in der Zigarrenindustrie die Gesundheit, namentlih die der Arbeiterinnen, mehr als in anderen Industrien leidet. Nach der Ansicht des Berichterstatters ist die Verbesserung der Arbeits- räume im allgemeinen soweit erreiht, daß hier nicht mehr viel ge- {ehen kann. Als Mittel zur Besserung komme eigentlich nur eine Beschränkung der Arbeitszeit, namentlih für Arbeite- rinnen und jugendlihe Arbeiter, in Betracht und sei finanziell von der öIndustrie au recht wohl zu ertragen. _ d N

Die Frage, inwieweit die verhängnißvollen Wirkungen der Heim- arbeit au in diesem Falle die wohlmeinendsten Bestimmungen illuso- risch machen könnten und wie dem etwa vorzubeugen sei, ist der Be- rihterftatter zu erörtern niht veranlaßt gewe]en.

Handel und Gewerbe,

3 erlin, 29. Februar. (Wochenberict für Stärck-, Stärkes- fabrikate und Hülsenfrüchte von Max Sabersty, Berlin W. 8.) Ia. Kartoffelmehl 141—15 #4, Ia. Kartoffelstärte 145—15 , [sa. Kartoffelmebl 11} 124 # , feuchte Kartoffelstärke Fracht- parität Berlin 7,55 F, gelber Syrup 16}—17 c, Kap.- Syrup 177 18 4, Kap. - Export 18}—19 #, Kartoffelzucker elber 16—164 4, do. Kap. 174-—18 #4, Rum-Kuleur 31—32 ,

ier-Kuleur 30—32 4, Dextrin, gelb und weiß, Ia. 20—21 M, do. fefunda 17—19 #4, Weizenstärke (kleinst.) 30—32 5, Weizenstärke (großst.) 35—36 A, Halleshe und Schlesishe 37—38 M, Reisftärke (Strahlen) 47—48 #, do. (Stücken) 46—47 M, Maisstärke 30—32 6, Schabestärke 32—33 X, Biktoria-Erbsen 14—18 6, Kocherbsen 14—19 &, grüne Erbsen 14—19 Æ, Futtererbsen 12{—134 4, inländische weiße Bohnen 24—26 4, weiße Flahbohnen 24—26 4, ungarische Bohnen 21—22 #, galizishe und russis@We Bohnen 18—20 4, große Linsen, neue 26—36 Æ, mittel do. neue 18—24 Æ#, fleine do. neue 13—17 4, Mohn, blauer 22—28 4, do. weißer 40—50 4, Hirse, weiße 15—19 #4, gelber Senf 12—20 4, Hanfkörner 17# bis 19 46, Winterrübsen 187—19 #4, Winterraps 19—19# A, Buchweizen 13}—144 4A, Widcken 12— 125 #, Pferdebohnen 12—124 ÆA, Leinsaat 19—20 A, Mais loko 9—10 4, Kümmel 50—56 4, Leinkuhhen 13—144 4, Rapskuchen 9{—10#4 4, pa. Marseill. Grdnußkuchen 12:—134 #, pa. doppelt gesiebtes Baum- wollensamenmehl 58—629/6 12}—13+ #, pa. helle getr. Biertreber 28 bis 30 9/9 9—9+ M, pa. getr. Getreideshlempe 31-——34% 111—12 4, pa. getr. Mais - Weizenschlempe 39—40% 124—13§ A, pa. getr. Mais\chlempe 40—42 °/o 124—13 4, Malzkeime 84—9} M, Rogogye Fleie 9—94 A, Weizenkleie 8è—94 4 (Alles per 100 kg ab Bahn Berlin bei Partien von mindestens 10 000 kg.)

Zweite Beilage

L Ae

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

N 94.

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Nach § 56 Nr. 6 der preußischen Städteordnung vom 30. Mai 1853 erfolgt die Anstellung der Gemeindebeamten, soweit es ih nicht um vorübergehende Dienstleistungen handelt, auf Lebens- zeit. Diese Vorschrift kann, nah einem Urtheil des Neichsgerichts, IV. Zivilsenats, vom 23. Dezember 1895, nihcht durch gegen- seitige Vereinbarung der Kontrahenten abgeändert werden, und es ist demnach die Verabredung zwischen dem Magistrat und dem Anzustellenden über die zeitliße Begrenzung des Dienftverhältnisses rechtsunwirksam und gilt als nicht getroffen. Wird cin städtisher Beamter aus dem Dienste dem § 56 Nr. 6 zu- wider entlassen, und beruhigt er fih in der irrthümlihen Meinung, daß ihm cin Nechtsanspruch gegen die Stadtgemeinde nit zustehe, so fann er auch später, sobald er seinen Jribum erkennt, seine Nechts- ansprüche gegen die Stadtgemeinde, soweit diese nit inzwischen ver- jährt sind, geltend machen. „Die Anstellung der Gemeindebeamten auf Kündigung is mit klaren Worten untersagt worden. Dieses Verbot findet seine Begründung in der öffentlih rechtlihen Natur des Beamtenverhältnisses, das nicht der Beurtheilung vom privatreht- lien Standpunkt eines gewöhnlichen Vertragsabs{lusses unterstellt werben fann. Das öffentliche Interesse erfordert, daß die Bemeindebeamten, damit eine Gewähr für ihre pflihtgemäße Amtsführung erzielt werde, in Ansehung des Fortbeslandes des Dienstverhältnisses gesicherter ge- stellt werden als die nur durch Privatvertrag verpflichteten Personen. Die fraglihe Gesetzesvorschrift ist daher zwingender Natur. Eine Zuwiderhandlung gegen dieselbe mit rechtlicher Wiröung ist, abgesehen von den besonders nahgelassenen Ausnahmen (hinsihtlich der zu vorübergehenden Dienstleistungen Angestellten und der zu nur mecha- C50 POORAS angestellten Unterbeamten) ausgeschlofsen . . .“

T 5.

Statistik und Volk8wirthschaft.

Das vorläufige Ergebniß der Volkszählung vom 2. Dezember 1895 für den preußischen Staat.

Die bis jeyt bekannten Bevölkerungszahlen können selbstverständlich auf volle Zuverlässigkeit noch keinen Anspruch machen; immerhin aber bieten sie ein ziemlih zutreffendes Bild der Volkszunahme bezw. der in der geographishen Vertheilung der Bevölkerung während des abgelaufenen Jahrfünfts vorgekommenen Veränderungen. Die Zahl der ortsanwesenden Bevölkerung des preußishen Staats (mit Ein- \chluß des bis zum 1. April 1876 noch selbständigen Herzogthums Lauenburg, für 1890 auch mit Einschluß der erst am 1. April 1891 mit der Monarchie vereinigten Insel Helgoland) hat nämlich betragen

nach der Berichtigung am vorläufigen endgültigen der vorläufigen ° Ermittelung Feststellung Ermittelung 1. Dezember 1871 24 681 880 24 689 252 T7372 L, 1875 ¿20.02 902 25 742 404 s 1880. B20 L067 27279 111 L; 1880 „20 313 833 28 318 470 L, 1890 .;- 29 959 388 29 957 367 D é 1895 . 31 847 899 ; G

Das vorläufige Ergebniß ist hiernach neuerdings dem endgültigen beträhtlihß näher gekommen als in früherer Zeit. Im Jahre 1875 waren fehr viele Doppelzählungen vorgekommen, welche erft bei der Aufbereitung der Zählkarten bemerkt werden konnten. Jn den Jahren 1871, 1880, 1885 und 1890 handelte es sih dagegen fast ausshließ- lich um die Beseitigung von Zähllücken, deren Vorhandensein den mit der Vorprüfung der Zählpapiere betrauten Ortébehörden ent- gangen tar.

Nach der vorläufigen Ermittelung ist die Bevölkerung des Königreichs Preußen der „Stat. Korr.“ zufolge auf 31 847 899 Per- fonen gestiegen und hat seit dem 1. Dezember 1890 um 1 890 532 Personen, d. h. um 6,31 aufê Hundert der Bevölkerung vom Jahre 1890 oder R jährlich um 1,23 aufs Hundert zugenommen, obwohl au in diesem Jahrfünft ein erhebliher Theil der natür- lichen, durch den Ueberschuß der Geburten über die Sterbefälle ent- stehenden Bevölkerungsvermehrung durch den Uebershuß der Aus8- wanderung über die Einwanderung verloren gegangen ist. Die Volkszunahme is hiernach im leyten Jahrfünft etwas höher als in dem vorhergehenden gewesen. Seit dem Jahre 1867, wo der preußishe Staat unter Einrehnung des Herzogthums Lauenburg im wesentlichen seine jeßige Ausdehnung erreicht hatte, hat feine Volfszahl um 7 826 459 Personen oder 32,58 aufs Hundert der am 3. Dezember 1867 gezählten Bevölkerung, alljährlich somit im Dur(schnitt um 1,01 aufs Hundert zugenommen. Durch die Er- werbung der Insel Helgoland sind nur 2086 Personen zur Volkszahl hinzugekommen und weiterhin bereits im Fahre 1890 mitgezählt, wenngleih die genannte Insel erst etwas später mit dem preußischen Staatsgebiete vereinigt worden ist. Während dieser 28 Jahre ist die Volkszunahme Preußens jederzeit höher als in fast allen übrigen europäischen Staaten und im Deutschen Reich durhschnittlih gewesen doh war das Anwachsen der Bevölkerung innerhalb dieses Zeitraumê; keineswegs ein gleichmäßiges.

__ Die Volkszahl bezw. jährlihe Volkszunahme Preußens betrugen einshließlich des Herzogthums Lauenburg fowie feit 1890 einschließlich

der Insel Helgoland die die jährlihe Volkszunahme

g % a Bolkszahl Personen T ezember 1G e SRERS E } #166963 0,69 S s 1 F RE 20988 1,05 E Í is Ce Al AA gi | 907879 0,75 1 - O a 28 des att | 327 779 1,13 . « 10VO . . 20900/6001 | 378 106 1,23. 2. e 1890... 01 847 899

In den Provinzen, Regierungsbezirken und Kreisen stellt sich die Volk szunahme während des leßten Jahrfünfts sehr verschieden.

Unter den Provinzen zeigt die stärkste Zunahme Westfalen (11,18 a. H.) und Brandenburg (11,03 a. H.); dann folgen das Rheinland (8,40), Hannover (6,31), der -Stadtkreis Berlin (6,24) und Hessen-Na ssau (5,93 a. H.).

Am gea war das Anwathsen der Bevölkerung in Ostpreußen 2,38 a. H.), und Hohenzollern zeigt wie im vorhergegangenen

ahrfünft sogar eine geringe Abnahme (— 1,46 v. H.).

Von den Regierungsbezirken treten Potsdam (17,65 a. H.), Arnsberg (13,19 a. H.) und Hannover (11,10 a. H.) durch die größte, Gumbinnen (1,84 a. H.) und Uegniß (1,85 a. H.) durch die geringste Volkszunahme hervor ; der Bezirk Sigmaringen zeigt, wie bereits er- wähnt, eine geringe Abnahme.

Unter den 550 Kreisen (einschließli des Stadtkreises Berlin, des vom 1. April d. J. ab selbständigen Stadtkreisfes Solingen und der 4 hohenzollernshen Oberämter) weisen 473 ein Anwachsen, 76 eine Abnahme der Bevölkerung und 1 Rotenburg i. H.-N. weder eine Zu- noch eine Abnahme auf. Die 61 Stadtkreise zeigen fämmt- lih eine Zunahme; diese ist am stärksten und höher als 20 a. H. in Sharl ottenburg (72,25 a. H.), Linden (27,91), Dortmund (24,06),

A

aufs Hundert

Berlin, Montag, den 2. März

Spandau (23,03), Essen (22,18), Düsseldorf (21,70), Kiel (21,59), Harburg (21,38), Stettin (21,08) und Hannover (20,12 a. H.), am geringsten und blieb unter 9 a. H. in Krefeld (1,80 a. H.), Nord- hausen (2,56), Celle (2,83), Altona (3,98), Danzig (4,41) und Posen (4,49 a. H.).

Bon den übrigen 489 Kreisen bezw. Oberämtern zeigen 413 eine Zunahme und 76 eine Abnahme der Volkszahl. Das Anwachsen der Bevölkerung war am größten und höher als 20 a. H. in den Kreisen Teltow (48,27 a. H.), Recklinghausen (31,63), Gelsenkirchen (26,60), Beuthen in Oberschlesien (25,82), Dortmund (25,76), Bochum (24,10), Ruhrort (23,74), Zabrze (23,66), Niederbarnim (21,99), Essen Land (21,47), Posen Ost (21,00) und Kattowiy (20,35 a. H.), om geringsten und niedriger als 1 a. H. in den nah der Reihen- folge der Regierungsbezirke geordneten 52 Kreisen Gerdauen, Heilsberg, Heydekrug, Niederung, Ragnit, Stallupönen, Lößen, Sensburg, Beeskow - Storkow, Soldin, Krossen, Lübben, Pyriß, Regenwalde, Franzburg, Schrimm, Kosten, Schubin, Wongrowiz, Brieg, Schweidnitz, Sagan, Sprottau, Bunzlau, Goldberg-Hainau, Jauer, Schönau, Landeshut, Lauban, Wolmirstedt, Eckartsberga, Querfurt, Worbis, Erfurt Land, Eckernförde, Tondern, Stolzenau, Springe, Duderstadt, Neuhaus a. Oste, Frißlar, Melsungen, Ziegenhain, Lim- burg, Sankt Goar, Altenkirhen, Wipperfürth, Waldbröl, Rheinbach, Erkelenz, Montjoie und Sigmaringen.

Von den 76 Kreisen mit Volksabnahme entfallen 45 auf die älteren östlihen Provinzen, und zwar 7 auf Ostpreußen, 2 auf West- preußen, 2 auf Brandenburg, 5 auf Pommern, 26 auf Schlesien und 3 auf Sachsen; in Posen hat die Bevölkerung aller Kreise zu- genommen. In den älteren Landestheilen des Westens zeigen nur 9 Kreise (1 westfälisher, 5 rheinische und 3 hohenzollernsche Ober- ämter), in den 1866 erworbenen neuen Provinzen hingegen 22 Kreife (3 \{leswig-holsteinishe, 10 hannovershe und 9 hefssen- nassauische) eine àllerdings meistens nur geringfügige Verminderung der Volkszahl. Am stärksten und größer als 3 v. H. war der Rück- gang der Bevölkerung in den 5 Kreisen u. f. w. Kehdingen (--4,48 v. H.), Hecwingen (— 4,00), Bolkenhain (— 3,55), dem Oberlahnkreis (— 3,45) und Lüben (—3,01 v. H.), und in 24 Kreisen betrug er weniger als L v. H., nâmlih in Friedland, Preuß. Eylau, Oleßko, Flatow, Deutsch-Krone, Greifenhagen, Naugard, Kammin, Schlawe, Groß- Wartenberg, Trebnitz, Neumarkt, Ohlau, Münsterberg, Sonderburg, Zellerfeld, Lüchow, Jork, Wittlage, Büren, Schlüchtern, Unterlahn- kreis, Prüm und Schleiden.

Die unter preußisher Verwaltung stehenden Fürstenthümer Waldeck und Pyrmont, welhe im Jahrfünft 1880—85 nur 0,08 und 1885—90 1,25 a. H. Volkszunahme ausgewiesen hatten, zeigen leßterem Zeitraum gegenüber ein etwas geringeres Anwachsen der Bevölkerung, welhe im Kreise des Eisenbergs sogar etwas zurück- gegangen ist Im Fürstenthum Waldeck hat der Kreis der Eder wie im JFahrfünft 1880—85 die stärkste (1,54 a. H.), jedoch vom Fürsten- thum Pyrmont (3,28 a. H.) noch beträchtlich übertroffene Volks- zunahme.”

Zur Arbeiterbewegung.

Das Berliner Gewerbegericht als Einigungs8amt hat am Sonnabend eine fentliche Bekanntmachung erlassen über das Ab- fommen zwishen den Großfonfektionären, Kleinmeistern und den Ausf\tändigen, dur welches der Ausstand der Schneider und Näherinnen in der Herren- und Knabenkonfektion beigelegt worden ist. Die Bekanntmachungenthält den von den drei Kommissionen anerkannten Lohn- tarif und die von diesen festgelegten näheren Bestimmungen, die in Zukunft bei Streitigkeiten zur Richtschnur für die gewählten drei Kommissionen dienen sollen. Die Lokalorganisation der Metallarbeiter hat, wie die „Post“ berichtet, beshlossen, daß Angriffsstrikes in der nächsten Zeit nur unternommen werden dürfen, wenn mindestens zwei Drittel der in der einzelnen Fabrik beschäftigten Arbeiter vollberehtigte Mitglieder find und dem Vorstande recht- zeitig Mittheilung gemacht worden is. Die Tapezierer haben be- chlossen, vorläufig von einer allgemeinen Lohnbewegung Abstand zu nehmen und nur in den Werkstätten, welche die niedrigsten Löhne zahlen, durch Theilausf\tände eine Aufbesserung zu erreichen zu suchen. Die Zahl der ausständigen Zimmerer beträgt noh 900, die der aus\tändigen Tischler 300 Mann. Die Malermeister haben die Forde- rungen der Malergehilfen : 52 sündige Arbeitsdauer wöchentlich, 50 4

Mindeststundenlohn, 50 bezw. 100 %o für Ueberstunden, resp. Nacht- | und Sonntagsarbeit und Gleichstellung der Maler und Anstreicher,

abgelehnt.

Die Lage des Ausstandes im Karwiner Kohlenrevier ist, wie „W. T. B.* aus Troppau vom Sonnabend meldet, unver- ändert. 300 Bergleute des Ignazschachtes in Enngoth schlossen si den Ausständigen an. Jn einer in Adraliß abgehaltenen Versamm- lung versicherte der . Agitator Stojalowski die Ausständigen der Unterstüßung ter Christlih - Sozialen. Die Bergwerks- Direktoren beschlossen in einer Konferenz, Vorschüsse nah Kategorien zu gewähren, und zwar den Häuern 12, den Hundestößern 8, den Schleppern 6 und den Abrecherinnen 5 Gulden ohne Abzug. Außer den regelmäßigen Abschlagszahlungen lehnen die Werksvertreter jede Konzession, insbesondere das auf eine sciedsrihter- lihe Entscheidung und auf Verhandlungen mit dem Ausstands- comitó gerichtete Verlangen ab. Die Behörden sind fort- gesett bemüht, die Zwistigkeiten beizulegen. Von einzelnen Werken sind bereits aus Anlaß des Ausstandes Kündigungen erfolgt. Ein Bataillon Infanterie is im Ausstandsgebiet eingetroffen.

Aus Triest meldet „W. T. B.“: Der Ausstand in Carpano dauert fort. In der Nacht rollte ein Felsbleck von einer Anhöhe herab gegen das Gebäude der Bergwerks-Direktion, ohne jedoch Schaden anzurihten. Sämmtliche Ausständigen des Ausftandsgebiets versammelten \sih in Carpano, wurden aber von der Gendarmerie zerstreut, welhe mehrere Verhaftungen vornahm. (Vgl. Nr. 51 d. Bl.)

Zur Lohnbewegung der Angestellten shweizerischer Eisenbahnen liegen folgende Meldungen des „W. T. B.* vor: Aus Bern wird berihtet: Die durch Vermittlung des Vor- stehers des Eisenbahn-Departements Zemp zwishen den Ver- tretern der meisten Eisenbahn-Direktionen und dem Zentralcomité des Personalverbandes am Sonnabend gepflogenen Verhandlungen führten zur Einigung in Bezug auf die einheitliche Regelung des An- stellungsverhältnisses. Nur die Vertretung der Jura-Simplonbahn behielt sh die Beshlußfassung ihres Verwaltungsraths vor. Auch über die Lohnfrage wurde mit der Zentralbahn und der Gotthardbahn ein vollständiges, mit den Vereinigten Schweizerbabnen und der Tößthal- bahn ein grundsägliches Einverständniß erzielt. Mit der Jura-Simplon- bahn follen die Verhandlungen möglichst bald, etwa in drei Tagen, fortgeseßt werden. Die Nordostbahn nahm an der Konserenz nicht theil. Der Bundesrath hat die Direktion der Nordostbahn unter Vorbehalt weiterer Maßnahmen für den Fall des Ausbruchs des Aus- stands aufgefordert, alles aufzubieten, um den Autstand zu verhindern, der in der Nacht vom Sonntag zum Montag um 12 Uhr beginnen follte. Wie aber aus Zürich gemeldet wird, wurde in einer gestern Nach- mittag abgehaltenen Konferenz zwischen den Direktoren und Verwaltungs- räthen der Nordostbahn und dem Vertreter der Eisenbahn-Angestellten, Dr. Sourbeck, eine Einigung erzielt; der Ausstand wird also vermieden. Aus St. Gallen wird ferner berihtet: Die Verwaltung der Vereinigten Schweizerbahnen hat ein Rundschreiben an sämmtlihe Angestellte gerichtet, in welchem diese auf die RNechts- widrigkeit des Ausftands hingewiesen werden. Gleichzeitig

1896.

wird von Jedem die sofortige Erklärung verlangt, ob er gewillt sei, den Dienstvertrag ohne Unterbrehung innezuhalten und die Arbeit ohne eine dreimonatige Kündigung nit einzustellen. Von dem ganzen Personal des Bahnhofs und des Depots Rorschach hatte bis Sonnabend Mittag niemand unterschrieben.

Aus Paris wird dem „W. T. B.“ gemeldet: In einer sehr zahlrei besuhten öffentlihen Versammlung, welche das Syndikat der Eisenbahn-Angestellten einberufen hatte, wurde Einspruch erhoben gegen das Koalitionëgesez, wie es vom Senat be- {lossen worden i. Nah einer heftigen Rede gegen den Senat und nachdem unter dem Beifall der Versammlung die Erklärung verlesen worden war, daß alle Eisenbahn-Angestellten, wenn während eines Ausstands ein Krieg ausbrähe, auf die erste Kundgebung der Regierung hin sofort die Arbeit wieder aufnehmen würden, wurde eine Tagesordnung angenommen, in welcher das Verhalten des Senats in dem Sinne getadelt und an die Deputirtenkammer in dem Sinne appelliert wird, daß fie das unbeshränkte Ausftandsrecht aller Angestellten erklären möge.

Literatur.

chs. Leitfaden für die Hand der Koch- und Haushal- tung8\chülerinnen. Auf Grund praktisher Erfahrungen zu- sammengestellt und bearbeitet von Lina Hebebran d, Leiterin der Koch- und Haushaltungsshule, und Emil Leuttner, pro rectoratu geprüfter Lehrer zu Hanau. (64 S.) Wittenberg, R. Herrosé’s Verlag, 1895. Preis brosch. 50 „. Ein ganz vortreff- lies Büchlein, welchem für den angegebenen Zweck die weiteste Verbreitung zu wünschen wäre. Es i besonders für den fleinbürgerlißhen Haushalt bestimmt, für die Töchter des Arbeiterstandes, und bedingt durhaus nicht einen vorauf- gegangenen Kursus in einer Koh- und Haushaltungsschule, die ja erst noch im Entstehen begriffen sind. Die wichtigsten Fragen, wie das Mittagessen nahrhaft, leiht verdaulih, wohlschmeckend, den Mitteln entsprehend zu bereiten sei und eine rihtige Abwechselung geboten werden könne, finden in anshauliher Weise ihre Lösung. Nur ist zu bedauern, daß in der Zusammenstellung eines Küchenzettels für vier- zehn Tage die Preise so niedrig angegeben sind, daß sie z. B. Berliner Verhältnissen nicht entsprechen. chs. Lehr- und Lesebuch für die reifere weibliche Jugend, unter besonderer Berücksichtigung der hauswirthschaftlihen Ausbildung, bearbeitet von Emil Kutsche, Hauptlehrer; Wilhelm Koenig und Robert Urbaneck, Lehrer. (476 S.) Wittenberg, 1895. M. Herrosá's Verlag. Preis brosch. 1 #6 80 „Z. Die ent- standenen Hausbaltungs\hulen, in welhen die weiblihe Jugend unseres Volkes kochen, nähen, verständig wirthshaften, kurz alles lernt, was zu einer gediegenen Führung des Haushalts gehört, haben die Verfasser zur Herausgabe dieses preiswerthen und gut aus- gestatteten Buches veranlaßt. Es enthält eine Fülle von Stoff aus allen Gebieten der Schulpensen von berufener Feder und in den weitaus meisten Fällen “neues oder wenig Bekanntes in Prosa und Poesie. Es fehlt auch niht am religiösen Hintergrunde, wie an der Liebe zum Landesherrn, Volk und Vaterland. Eine dankenêwerthe Beigabe bildet der Anhang, welcher einen kurzen Brief- steller mit Mustern für Bewerbungen, Titulaturen, Formularen, Ver- trägen und postalishen Bestimmungen enthält. Jungfrauen- und Frauenvereinen wird mit diesem Buche besonders gedient sein, ganz abgesehen von dem eigentlihen Zweck desselben. chs. Lesebuch für städtishe und gewerbliche Fort- bildungs\schulen (sowie zum Gebrauch in Handelsshulen und kauf- männischen Fortbildung8\{hulen) in drei aufsteigenden Kreisen von F. Schanze, Rektor in Eshwege, und W. Schanze, Lehrer in Caffel. (458 S.) Wittenberg, R. Herrosé’s Verlag, 1895. Preis bros. 1 4 60 «i, gebunden 1 4 90 „. Dieses Buch ist für die männliche Jugend bestimmt, {ließt fich inhaltlich dem vorerwähnten an und erscheint binnen kurzèr Zeit bereits in der vierten Auflage, verbessert und vermehrt, besonders in Bezug auf die Artikel \taats- bürgerlichen Inhalts. Die Abbildungen im Tert sind sauber und \carf ausgeführt. Eine besondere Empfehlung erscheint nicht nöthig. Die „Bestimmungen für den Arzneiverkehr beim Gewerk8-Krankenverein zu Berlin“, bearbeitet von dem praktischen Arzt Dr. Reinsdorf und dem Apotheker B. Scholz, und die „Formulae magistrales Berolinenses“ (96 Arznei- NBerordnungen), mit einem Anhang, enthaltend die Handverkaufspreise i den Apotheken für Arzneistofe, Instrumente, Bandagen, Verkandstoffe, Gefäße u. s. w., und eine Anleitung zur Kostenerfvarniß bei dem Verordnen von Arzneien, herausgegeben von der Armen-Direktion in Berlin (N. Gärtner's Verlags- bu{bandlung, Berlin ; Preis je 1 4), sind in ahter Ausgabe für ‘ahr 1896 erschienen. Obwobl in Berlin entstanden und zunächst Berlin bestimmt, sind die „Bestimmungen für den Arznei- wie die „Formulae“ denno an allen Orten benugtar. Sie en eine Vereinfahung des Verkehrs zwischen Arzt und Apotheker zei und bieten eine Anleitung zur Ersparniß von Kosten. „Praktische Nechtskunde für den Handelsverkehr im nd Auslande“, herausgegeben von der Auskunftei W. r Erstes Heft: „Vertretung im Konkurs- .* Verlag von Puttkammer u. Müblbrecht, Berlin. Preis Diese Schrift will dem Handels\stande namentlich im nit dem Auslande dienen. Sie enthält die wichtigsten gesetz- zen fast aller Länder über das Kenkuränersabren und 2er die Formalitäten, mit denen der Geschäftsmann vertraut cin mußt, und gewährt damit auf engem Raum dem Handel- treibenden eine Belehrung, die ebenso unentbehrlich wie {wer zu be- {hafen ift. Aber auch der Jurist, der sich \chnell über den Rechts- zustand in ¿lande orientieren will, wird fich derselben mit Vortheil edienen Tönnen. Der Roman „Baroneß Dr.“, ' den F. Freiherr von Din ckla ge (Hans Nagel von Brawe) im Verlage von Carl Reißner in Dresden und Leivzig hat erscheinen lassen, spielt in der vornehmen Gesellshaft. Es ift eine ansprehende Erzählung, in der offenbar Wahrbeit und Dichtung innig gemischt erscheinen. Die eindrucks- vollste Gestalt unter den Personen, deren Bekanntschaft uns „Baroneß Dr.“ vermittelt, if der hohselige Prinz Friedrich Karl vor Preußen, der als Fürst und Mens ebenso edel wie wahr, als ein glei bochsinniger und geistvoller Mann ge- \childert wird, dessen Denken und Handeln sich aus seinem klaren Verstand und seiner Gefüblstiefe mit Nothwendigkeit ergiebt. Auch die Titelbeldin und ibr Bruder, ein Marine - Offizier, find über- zeugend und sympatbish gezeichnet, während die übrigen Figuren nur mehr skizzenhaft angelegt find oder gar, wie der Baron Farner, der Diplomat und Jurist, der doch als eine Hauptperson gelten muß, in ihrer Entwickelung der Folgerichtigkeit und darum der Lebenswahrheit entbehren. Die Erzäblung giebt dem Verfasser Gelegenheit, die sogenannte „Frauenfrage* mit Ernst und Verständniß zu erörtern und an der Titelheldin zu zeigen, daß auh cine Frau männlihe That- und Geisteskraft entwickeln und von einem starken Charakter beseelt sein kann, obne echte Weiblichkeit vermissen zu lassen. Die Verwidelungen, welche das Schicksal der Hauptpersonen bestimmen, erscheinen zwar einfa und konventionell, aber man gewinnt doch volle Theilnahme für sie durch die klare und liebevolle Len der Beziehungen zwischen allen diefen Menschen und durch die edlen Motive, die sie zusammenführen und dauernd verbinden.