1896 / 56 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 04 Mar 1896 18:00:01 GMT) scan diff

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Landwirthe auf die Kammer beschlossen worden ift, bestärkt die Zuversicht, daß das in einer langen, freien Vereinsthätigkeit ge- ichaffene Gute sih mit den Vortheilen der neuen korporativen Aus- gestaltung des landwirthschaftlichen Berufsstandes verbinden wird, obne eine zeit- und sahgemäße Entwikelung der landwirthschaftlichen Einrichtungen für die Zukunft zu ers{hweren. P

Die für landwirthschaftliche Meliorationen seit einigen Jahren bewilligten Beihilfen werden, wenn Sie die Vorschläge des Provinzial- Ausschusses gutheißen, eine weitere dankenswerthe Vermehrung er- fahren, und infolge der Verständigung, welche über die Verwendung der von Staat und Provinz gemeinsam zu Meliorationszwecken zur Verfügung gestellten Mittel erzielt is, wird sich eine neue Quelle der Förderung des landwirthschaftlichen Betriebs eröffnen.

Mit Hilfe des von Jhnen bewilligten Zushulles da! im ab- gelaufenen Jahre die Münsterwalder Eindeichung in ihrem oberen Theile ausgeführt werden können, und da durch den bisherigen Verlauf des Eisgangs und des Frühjahrshohwafsers die neuen Anlagen eine Beschädigung nicht erfahren baben, so erscheint die Annahme begründet, daß in diesem Jahre das Werk, welches die Münsterwalder Niederung vor weiterer Zerstörung {hüten soll, zur Vollendung gelangt.

Eine ähnliche Angelegenheit wird Ihrer Beschlußfassung jeßt unter- breitet, und im Interesse der {wer gefährdeten Nasfsauer Niederung ersheint der Wunsch gerechtfertigt, daß die gegen die Betheiligung der Provinz an- -ihrer Bedeichung bestehenden Bedenken gehoben werden möchten. : i R

Für den Ausbau des Chausseeneßes hat die Provinzialvertretung allezeit erbeblihe Opfer gebraht, welche ihr in allen Theilen der Provinz eine dankbare Anerkennung gesichert haben, und daß auch in der gegenwärtigen Tagung der Landtag auf dem mit fo großem Erfolg beshrittenen Wege fortfahren wird, unterliegt wohl kaum einem Zweifel. Je näher das Ziel, welches der Landtag hinsichtlich der Aufscließung der Provinz durh Kunststraßen sich gesteckt hat, ge- rüdckt ist, von desto größerer Bedeutung für die Entwickelung des Nerkehrêwesens erweist sih jet die Vorlage über die Kleinbahnen. Nachdem der Staat feine Bereitwilligkeit zu erkennen gegeben hat, nit allein den Bau von Kleinbahnen zu unterstüßen, fondern au noch weitere Stammbahnen auszubauen, welche für Kleinbahnen die geeigneten Auëgangs- uad Verbindungspunkte darbieten, erscheint der Zeitpunkt gekemmen, die Organisation dieses wichtigen, einer be- deutenden Entwidckelung fähigen Verkehrsmittels in die Hand zu nehmen.

So bieten auch die bevorstehenden Berathungen eine reiche Ge- legenheit, das Wohl der Provinz zu fördern. In dem bewährten Nertrauen, daß dieses hohe Ziel Ihre Beschlüsse wie bisber leiten wird, erkläre ih im Allerhöchsten Auftrage den X1X, Provinzial-Landtag für eröffnet.

Stettin, 3. März. Der XXTI. Provinzial-Landtag der Provinz Pommern wurde heute dur den Königlichen Ober - Präsidenten, Staats-Minister von Puttkamer mit

folgender Ansprache eröffnet : Hochgeehrte Herren! :

Nachdem des Kaisers und Königs Majestät Allergnädigst geruht baben, den XXI11I. Pommerschen Provinzial-Landtag auf heute zu be- rufen, habe i die Chre, Sie beim Beginn Jhrer diesmaligen Sißungen willkommen zu beißen.

Sie haben ih seit Ihrer leßten Tagyung in Ihrem altehr- würdigen Landhause durch einen ebenso zweckmäßig wie s{chöôn ge- ftalteten Umbau ein neues behaglihes Heim ge\chaffen. Es gereicht mir zur besonderen Genugthuung, Sie zu dem Einzuge in diese länzenden Räume zu beglückwünschen und dabei der zuversihtlichen Grwartung Ausdruck zu geben, daß der Geist einträhtigen Zusammen- wirkens, bingebender Thätigkeit für das Wohl unserer Provinz und weiser Wirthschaftlichkeit, wie bisher, so auch ferner an diefer neuen Stätte die Arbeiten des Provinzial-Landtags begleiten wird.

Auch im verflossenen Jahre is Jhnen der Verlust werther Mit- glieder nicht erspart geblieben ; ihr Gedächtniß wird unter Jhnen und in der Provinz in Ehren fortleben.

Die Wablen zur Landwirthschaftskammer, zu deren Einseßung Sie in der vorigen Tagung Ihre Zustimmung gegeben baben, find vollzogen, und wird die Kammer noch im Laufe dieses Monats zur Eröffnung ihrer Thätigkeit einberufen werden. i

Das Kleinbahnwesen ist in fortshreitender Entwickelung begriffen. Ein Ney von annähernd 700 km ist theils vollendet und dem Be- triebe übergeben, theils im Bau begriffen. Die Provinz hat sich hieran mit einem Kapital von nahezu 5 Millionen Mark betheiligt, wovon 4 Millionen bereits zur Zahlung gelangt sind. Die Verhand- lungen mit der Königlichen Staatsregierung wegen Unterstüßung einzelner besonders bedürftigen Unternehmungen aus dem Fünf- Millionen-Fonds dauern noch fort.

Die wobltbätigen Wirkungen der Kleinbahnen auf den öffentlichen Verkebr sind schon jeßt unverkennbar hervorgetreten. Die finanziellen Betriebéergebnisse sind ¿war noch nicht überall als befriedigende zu bezeichnen, indeffen darf von der Zukunft auch in dieser Beziehung eine gedeiblihe Entwidelung erwartet werden.

Shr vorjähriger Beschluß wegen Vorlegung eines Geseßentwurfs, betreffend die Heranziehung von Fabriken, Ziegeleien und anderen industriellen und gewerblihen Etablissements zu Vorausleistungen für den Wegebau, hat in der gewünschten Fassung die Genehmigung der Herren Refsort-Minister nicht finden können, indem dieselben daran festhalten, daß dergleihen Vorausleistungen zu der Unterhaltung von Kunststraßen, auf welhen Chaufscegeld erhoben wird, nit zuzulassen sind. Es wird Ihnen in diesem Sinne eine anderweite Vorlage zu- gehen, auf deren Annahme die Verwaltung rechnen zu dürfen glaubt.

Der unzulänglihe Zustand der beiden Provinzial - Irrenanstalten zu Rügenwalde und Stralsund hat den Entschluß zur Reife gebracht, Ihnen den Vorschlag zu unterbreiten, unter Auflösung dieser beiden Anstalten an einem geeigneten Ort eine neue Anftalt zu errichten, wodur zugleih die Möglichkeit geshaffen werden wird, die Anstalten zu Lauenburg und Ueckermünde von diesen beiden zuleßt erwähnten Kategorien an Kranken in zweckmäßiger Weise zu entlasten.

Œs soll dabei nah Möglichkeit auf die Bedürfnisse und Interefsen der Universität Greiféwald Rücksiht genommen werden.

Die Mittel zur Auéführung dieses Plans sollen aus der Anleibe von 4 Millionen Mark bestritten werden, um deren Bewilligung Sie angegangen werden. Diese Anleihe soll zugleich die Mittel für eine Reihe anderer nothwendiger, meist von Ihnen bereits bewilligter Aus- gaben, namentlih auch für Zahlung des Provinzialbeitrags von 400 000 M zur Vertiefung der Schiffahrts\traße zwischen Stettin und Swinemünde, hergeben.

Es wird Ihnen ferner eine Vorlage zugehen, betreffend die Ab- änderung des Reglements für die Verwaltung des Meliorationsfonds, welhe die Möglichkeit schaffen soll, die Bedingungen für die Be- willigung von Beihilfen aus diesem Fonds für die Betheiligten günstiger zu gestalten.

Desgleichen werden Sie gebeten, Ihre Zustimmung zur Er- mäßigung des Zinsfußes fêr die aus der Provinzial-Hilfskasse ge- währten Darlehne zu ertheilen.

Auch wird Ihnen anheimgestellt werden, die durch Beschluß vom 6. März v. I. übernommene Vürgschaft für einen der Pommerschen Landgenofsenshaft von seiten der Seehandlung gewährten Kredit auch der Zentral-Genossenschaftskasse gegenüber auézusprehen, soweit diese Bürgschaft von der Seehandlung niht in Anspruh genommen wird.

Der Ihnen zur Prüfung und Genebmigung zugehende Entwurf

des Provinzialhaushaltsanshlags für 1896/97 ist unter Berücksich- tigung einerseits der gebotenen Sparsamkeit, andererseits der Be- e f I Bedürfnisse, für welche die Verwaltung {u 10ees , usgestellt, daß es ein inzi nicht bedarf. ; einer Erhöhung der Provinzialabgaben Die großen Heeresübungen, welhe im verwichenen Herbst unter den Augen Seiner Majestät des Kaisers und Königs und Seiner erhabenen Verbündeten in unserer Provinz stattfanden, haben der Be- vôlferung, namentlich der Provinzial-Hauptstadt, die freudig begrüßte Stegen ves geboten, sowobl durch begeisterten Empfang der Erlauchten äste, als auch durch opferwillige Tragung der Leistungen für die

Truppen ihre Anhänglichkeit an die erhabene Perfon unseres Aller- gnädigsten Herrn und ihre Liebe zu unserem herrlichen Kriegsheer aufs neue zu bethätigen. /

Indem ih Sie, geehrte Herren, einlade, in Ihre diesmaligen Arbeiten mit bewährtem Eifer einzutreten, erkläre ih im Namen Seiner Majestät des Kaisers und Königs den XXI1. Pommerschen Provinzial-Landtag für eröffnet!

Unter dem “is He - Alters-Präsidenten, Amtsvorstehers und Hauptmanns a. D. Wolff aus Bredow brachte die Ver- sammlung zunächst ein begeistertes Hoh auf Seine Mazestät den Kaiser und König aus und wählte sodann den Wirk- lihen Geheimen Rath von Köller-Kantreck_ zum Vor- sißenden und den Geheimen Regierungs-Rath, Ober-Bürger- meister Haken zu Stettin zum Stellvertreter des Vor- sizenden. Die Gewählten nahmen die Wahl an. Nach der Wahl der Schriftführer und Feststellung der an- wesenden Mitglieder durch Namensaufruf erfolgte die Bildung der Abtheilungen, die Mittheilung des Vorsißenden über die vorliegenden Geschäftssahen und deren Vertheilung in die Abtheilungen. Schließlih wurden Wahlprüfungen vor- genommen.

Bauern.

Seine Königliche Hoheit der Prinz-Regent wird bei den Krönungsfeierlihkeiten in Moskau dur Seine Königliche Hoheit den Prinzen Ludwig vertreten werden. Prinz Ludwig wird, wie die M. „Alg. Ztg.“ mittheilt, von seinem persönlihen Adjutanten, Hauptmann Freiherrn von Laßbera, dem zur Dienstleistung kommandierten Premier- Lieutenant Freiherrn von Leonrod, dem General-Adzutanten, General-Major Grafen Lerchenfeld und dem bei der bayerischen Gesandtschaft in Berlin kommandierten Premier - Lieutenant des d Chevauxlegers-Regiments Freiherrn von Axter begleitet werden.

Sachsen.

Die Zweite Kammer gab gestern zu dem geplanten Neubau eines Ständehauses ihre Zustimmung, erklärte sich mit den Vereinbarungen, die zwishen dem Ministerium des Königlihen Hauses und dem Finanz-Ministerium über die Erwerbung des Brühl’shen Palais und über die Ab- findung an die Königliche Zivilliste getroffen worden sind, ein- verstanden und bewilligte, abweichend von der Vorlage, zur Erfüllung dieser Vereinbarungen und als erste Baurate 3 Millionen Mark. Zugleich beschloß die Kammer, eine aus sechs Mitgliedern bestehende Ständehausbaudeputation, deren Mandat erst mit Beginn des nächsten Landtags erlöschen soll, einzusegzen.

Reuß ä. L.

Die Besserung in dem Befinden Seiner Durchlaucht des Fürsten hält an.

Elsaß-Lothringen.

In der gestrigen tus des Landesausschusses wurde die Frage der Einführung des Reichsgeseßes, betreffend den Unterstügungswohnsißg, in Elsaß- Lothringen eingehend erörtert. Von sämmtlihen Rednern wurde, wie „W. T. B.“ berichtet, erklärt, es müsse der Ein- führung der obligatorishen Armenpflege mit aller Kraft entgegengearbeitet werden. Das bestehende System habe sih allgemein bewährt. Durch die Einführung des Unter- stüßungswohnsißes werde Elsaß - Lothringen gegenüber den anderen Bundesstaaten s{chwer belastet werden. 10 000 Elsaß- Lothringern, die im übrigen Deutschland sih befänden, ständen mehr als 100000 aus Altdeutshland in Elsaß-Lothringen Eingewanderte gegenüber. Sämmtliche Redner erkannten aber auch an, daß etwas geschehen müsse, um der im Jahre 1894. im Reichstage gefaßtzn Resolution und den von den anderen deutschen Staaten geführten Klagen ge- recht zu werden. Die Kommission hatte vorgeschlagen, es solle die Regierung ersuht werden , fir Die Dele behaltung der gegenwärtigen Armengeseßgebung einzutreten. Um aber die Nachtheile der Nichteinführung des Unterftüßungs- wohnsißes auszugleichen, solle ein Kredit verlangt werden, welcher ausreihe, den Staatsangehörigen anderer Bundes- staaten die gebührende Unterstüßung gewähren zu können. Der Staatssekretär von Puttkamer betonte auf das be- stimmteste die Dringlichkeit der Angelegenheit. Eine Reichs- tagsresolution licge vor. Von Preußen und den anderen Bundesstaaten werde auf Erledigung gedrängt. Der Vorschlag der Kommission weise den Weg, auf welchem vielleicht die Einführung des Unterstüßungswohnsißes durch Reichsgeseß erreiht werden könne. Es müsse aber unbedingt auf Er- ledigung der Frage gehalten werden. Die Angelegenheit wurde darauf an die Kommission zurückverwiesen, welche bestimmte, neue Vorschläge machen soll.

Oesterreich-Ungarn.

Die Leiche des Erzherzogs Albrecht Salvator ist, geleitet von den Brüdern des Verstorbenen, den Erzherzogen Leopold Salvator und Franz Salvator, gestern Abend 19 Uhr in Wien auf dem Südbahnhof eingetroffen und mit dem üblichen Zeremoniell nah der Pfarrkirhe der Hofburg über- geführt worden.

Im österreihishen Abgeordnetenhause erklärte gestern bei der Berathung des Etats des Finanz-Ministe- riums der Finanz-Minister Dr. von Bilinsfki in Betreff der Uebershüsse: Der Staat müsse einen Fonds haben, der rouliere. Bei der Vorlage des nächsten Budgets werde die Frage der Gebahrungsübershüsse zur Erledigung gelangen. Die Regierung wünsche die Annahme der Steuerreform und werde dafür sorgen, daß dieselbe zu gelegener Pn vor das Haus komme. Bezüglih der Grundsteuer ehe die Regierung einen Nachlaß von einer Million als aus- reichend an, habe sih aber zu einer Erhöhung auf 11/2 Mil- lionen bereit finden lassen. Die Jnteressen der Landwirth- schaft bedürften einer größeren Regierungsaktion zu ihren Gunsten; allein die Regierung müsse für eine entsprechende Verzinsung des zu verwendenden Kapitals sorgen und dürfe in den laufenden Einnahmen niht beengt werden, wenn sie etwas für die Landwirthschast thun solle. Eine Erhöhung der Branntwein- und Biersteuer müsse die Re- gierung fordern, beabsichtige aber, aus diesem Ertrag namhaft

u Gunsten der Landesfinanzen beizusteuern. Betreffs der erstaatlihung der Nordwestbahn sei die Regierungsvorlage für den Staatsshaß sehr günstig. Jn der Ausgleichsfrage müsse die Rücksicht auf die Gerechtigkeit und auf die Einheit- lichkeit der Monarchie maßgebend ein Drei Gesichtspunkte

seien von entscheidendem Einflusse: 1) Die Mus und das Parlament Oesterreihs müßten die bere es wirthschaftlichen Junteressen dieser Reichehälfte im Auge behalten, und die Regierung hoffe, den Beweis der Er- füllung dieser Pflicht erbringen zu können. 2) Die berehtigten Interessen der anderen Reichshälfte müßten gleihfalls gewahrt werden; beide Jnteressen seien gleihwerthig, und es müsse zwischen ihnen ein Ausgleich gefunden werden. 3) Das unendlich wichtige Gesammtstaatsinteresse, das hohwichtige wirthschaft- lihe Interesse beider Reichshälften an der Aufrechthaltung des Zoll- und Handelsbündnisses spreche mit Ent- \chiedenheit dafür, daß keines der Parlamente, keine der Regierungen auf eine Scheidung der Reichshälften hin- wirken könne. Durhkreuzten sich die Jnteressen bezüglich der beiden ersten Gesichtspunkte, so erfordere dics einen tes Ausgleich derselben und hierzu Ruhe und Geduld. ie Zeit der parlamentarischen Kundgebungen für die Kündi- gung sei noch garnicht so weit vorgeschritten ; das beiderseitige tündigungsreht sei nicht zum Zweck der Drohung auf- genommen ; denn selbst im Kündigungsfall blieben die wichtigen G N und die für die Einheit sprehenden wirth- chaftlichen Interessen bestehen. Da es eine Art Naturnothwendig- keit für die Monarchie sei, daß der Mubgleic auf Grund wirk- licher, ehrlicher Gerechtigkeit zu stande komme, so denke die Regierung nur an ihre Pflicht, die Jnteressen Oesterreichs mit denen Ungarns in ein gerchtes Einvernehmen zu bringen. Der Minister {loß mit dem Appell an das Haus, der Re- gierung zu vertrauen, daß sie die Jnteressen Desterreichs energish vertreten und danah trachten werde, zu einem gerechten Abkommen zu gelangen. Das Haus möge geduldig die Zeit abwarten, wo die Regierung ihre Vorlage seinem Urtheile unterbreiten werde.

Das ungarische Unterhaus hat gestern den Vor - anshlag für das Handels-Ministerium mit großer Mehrheit angenommen. Bei der Abstimmung über den Antrag Kossuth wurde der erste Absay des Antrags (Kündigung des Zoll- und Handelsbündnisses mit Oester- reih) gegen die Stimmen der äußersten Linken und der Nationalpartei, und der zweite Absaß des Antrags (selbst- ständiges Zollgebiet) gegen die Stimmen der äußersten Linken abgelehnt. Hierauf wurden au der Antrag Josef Molnar, sowie der Antrag Apponyi abgelehnt. Für leßteren stimmte die gesammte Opposition, welche unter großem Lärm die Gegenprobe verlangte. Als der Präsident die- selbe vornehmen ließ, entwickelte sih eine stürmische Dis- fussion zur Geschäftsordnung über die Frage, wann und wie die Gegenprobe vorzunehmen sei. Nachdem die Anträge Molnar, betreffend Mehleinfuhr und Mahlverkehr, ebenfalls abgelehnt worden waren, erhob sich abermals eine Diskussion über die Gegenprobe. Der Präsident erklärte, da auseinandergehende Meinungen sich kundgegeben hätten, werde er die betreffenden Paragraphen der Geschäftsordnung in nächster Zeit zur allge- meinen Berathung stellen.

Großbritannien und Frland. In der gestrigen Sißung des Unterhauses ftellte

Samuel Smith einen Antrag, worin er der tiefen Theil-

nahme an den Leiden der christlihen Bevölkerung in der asiatischen Türkei und dem Wunsche Ausdruck gab, daß weitere Schritte gethan würden, um das Loos derselben zu verbessern. Der Antrag wurde von Kennaway unterstüßt, von Sir Ashmead Bartlett enishieden bekämpft. Sir E. Grey bemerkte: das europäische Konzert habe nihts Gutes erreicht und habe auch nichts erreihen können. Wenn unter keinen Umständen Gewalt von einer oder allen betheiligten Mächten angewendet werden solle, und wenn ein selbständiges Vor- ehen Englands ernste europäische Verwickelungen verursacht aben würde, so sei ein solhes selbständiges Vorgehen un- möglih gewesen. Aber man müsse doch der Pforte klar machen, daß England nie ein Verwaltungssystem stüßen werde, unter dem solhe Greuel wie in der Türkei möglih seien. Dcr Parlaments - Sekretär des Aus- wärtigen Curzon erwiderte: die Regierung sei bereit, den Antrag Smith anzunehmen. Allein es dürfe daraus niht der Schluß gezogen werden, daß, wenn der Antrag von weiteren Schritten zur Besserung der Lage der Armenier spreche, die Regierung darunter verstehe : ein solhes Ergebniß könne durch Waffengewalt Ag werden. Man möge die Fassung des Äntrags Smith mit den noch im November und Dezember v. J. gegen die Regierung gerichteten heftigen An- klagen vergleihen. Damals habe man danach gelehzt, daß Lord Salisbury von der Forcierungder Einfahrt in die Dardanellen, von der Abberufung des englischen Botschafters in Konstantinopel und der Entthronung des Sultans reden solle. Solche Ansichten seien hoffentlih jeßt ein für allemal abgethan. Der Botschafter Sir Ph. Currie habe außerordentlihe Geschicklichkeit, Beharr- lihkeit und Muth unter shwierigen Verhältnissen bewiesen. Lord Salisbury habe, als er das Minister-Präsidium über- nommen, gefunden, daß das Zusammengehen mit Rußland und Frankreich, welches aus den besonderen Verhältnissen hervor- gegangen sei, und für welhes gute Gründe vorgelegen hätten, nicht wirksam genug für den Zweck sei; er habe deshalb die Wiederherstellung des exropäishen Konzerts versucht. Dasselbe habe sih aber niht so wirksam erwiesen, als man gehofft habe, da Oesterreich-Ungarn nur darein habe willigen wollen, daß die Aktion dur den Sultan und nicht troß des Sultans erfolge. Rußland habe den Standpunkt vertreten, daß man der Aufregung Zeit lassen solle, si zu legen, und daß man geduldig den Erfolg der Be: mühungen des Sultans zur Durhführung von Reformen ab- warten solle. Ein isoliertes Vorgehen Englands würde unprak- tisch gewesen sein und das Risiko weiterer Gefahren für die christlihe Bevölkerun( fowie die Gefahr eines europäischen Krieges in sih geschlossen haben. Obschon keine Bürgschaft dafür vorhanden sei, dürfe man doch nicht annehmen, daß das Reformprojekt niht werde ausgeführt werden. Die englische Regierung habe ihr Bestes gethan, um die Lage der Armenier zu bessern, und werde auch in Zukunft ihre Bemühungen nicht einstellen. Der Antrag Smith wurde hierauf ohne besondere Abstimmung angenommen.

Jn der „Queen's Hall“ zu London fand gestern Abend eine große Versammlung zu Gunsten eines Schtiedsspru chs in den english-amerikanishen Streitfragen statt. Viele Amerikaner nahmen an der Versammlung theil. Es gelangten Briefe von Gladstone, Balfour, Bryce und Asquith zur Verlesung, in welhen die Genannten ihre Sympathie mit dem Zweck der Versammlung zum lusdruck bringen.

Frankreich. Der Präsident Faure, welcher sih vorgestern in Toulon auf dem Kriegs\hif „Formidable“ eingeschifft hatte, traf gestern

Vormittag um §8/, Uhr in Cannes ein und wurde bei der Landung von den Behörden empfangen. Auf dem Wege nah dem Stadthause fanden vershiedene Kundgebungen ftatt unter den Rufen: „Es lebe Faure!“ „Es lebe Bourgeois!“ und „Es lebe der Senat!“. Nach dem Empfang der Behörden im Stadthause hatte der Präsi- dent eine Unterredung mit Gladstone. Nachdem der Präsident dem Vorüberfahren zahlreiher Yachten bei ewohnt hatte, \chiffte er sich wieder ein, um die Fahrt nach Ville- franche anzutreten, wo die Ankunft am Nachmittag erfolgte. Gleih nah der Ausschiffung begab sih der Präsident Faure nah Nizza, wo er, von der Bevölkerung warm begrüßt, zu- erst auf der Place Massena die Garnison besichtigte und alsdann die Hospitäler besuchte. Bei der Besichtigung ereignete sih ein Zwischenfall, indem zwei junge Leute, welche sih durch fortgeseßtes Pfeifen bemerkbar machten, unter dem Beifall der Menge verhaftet wurden.

Jtalien.

Der König ist gestern Nachmittag von Neapel nah Nom zurückgekehrt und am Bahnhof von allen Ministern und den Spißen der Behörden empfangen worden. Jm Laufe des Nachmittags hatte der König eine Konferenz mit dem Minister-Präsidenten Cris pi und Abends eine lange Unter- redung mit dem Präsidenten des Senats Farini.

Der Prinz von Neapel trifft heute Vormittag in Rom ein. ;

Gestern Mittag trat der Ministerrath zusammen, um über die Lage zu berathen. Dem „Popolo romano“ zufolge hätte das Kabinet beschlossen, nicht zu demissionieren, sondern vor die Kammer zu treten und das Verhalten der Regierung in der afrikanishen Angelegenheit auseinanderzuseßen. Jn Betreff der militärishen Maßnahmen werde das Kabinet die Forderungen des Generals Baldissera, welcher heute in Massowah ankomme, abwarlen. Der Minister - Prä- sident Crispi habe diesen Entshluß dem König vorgetragen und Allerhöchstderselbe ihn gebilligt.

Die hervorragendsten Mitglieder der Opposition traten gestern unter dem Vorsiß di Rudini's ebenfalls zu- sammen. Wie die „Opinione“ berichtet, habe in der Ver- sammlung die Ansicht vorgeherrsht, man müsse Alles be- willigen, aber einem anderen Ministerium. Der „Tribuna“ zufolge habe dagegen die Versammlung beschlossen, aufs neue zusammenzutreten, um mittels einer Adresse an den König, falls nicht das Parlament zusammentreten sollte oder das Kabinet zurückträte, Einspruch zu erheben.

Die aus Afrika eingetroffenen Nachrichten haben in Rom einen {hmerzlihen Eindruck gemacht, doch ist die Lng des Publikums im Ganzen gefaßt. „Tribuna“, „Fanfulla“ un „Esercito“ haben Extrablätter veröffentliht, worin sie einstimmig dem Vertrauen Ausdruck geben, daß das Land sich stark zeigen werde. Jn Nom eingetroffene Privatdepeschen berichten von Kundgebungen, welche l lad Abend und während der leßten Nacht anläßlich der Nachrihten aus Afrika in einigen Städten, namentlich in Mailand, stattgefunden hätten. Das Militär habe die Manifestanten in Mailand zerstreut, wobei mehrere Leute verwundet worden seien; ein Arbeiter sei in der Naht an den Wunden gestorben. Auch in Rom war für gestern Abend eine Kundgebung geplant, sie wurde aber soglei verhindert.

Anläßlih des Jahrestags der Krönung des Papstes fand gestern in der Sixtinischen Kapelle eine feier- lihe, von dem Kardinal Vanutelli zelebrierte Messe statt, welcher der Papst beiwohnte. Der Papst wurde bei seinem Erscheinen in der Kapelle und beim Verlassen derselben von der Menge lebhaft begrüßt. Das Tedeum, welches gestern Nachmittag in der Peterskirhe stattfinden sollte, wurde, wie „W. T. B.“ berichtet, wegen der aus Afrika eingetroffenen Nachrichten auf nächsten Sonntag verschoben.

Belgien.

Dem Brüsseler „Vingtième Siècle“ zufolge soll der außer- ordentliche belgishe Gesandte beim Vatikan de Bounder de Melsbroeck abberufen und durch den Baron Max d'Erps, den früheren Gesandten in Teheran, erseßt werden.

Türkei.

Die Gesandtschaft, welche sich zu den Krönungs- feierlihkeiten nah Moskau begiebt, wird, nah einer Meldung des „W. T. B.“, aus dem früheren Botschafter in Paris Zia Pascha und fünf Würdenträgern bestehen.

Die serbish-türkische Konsularkonvention ist ratifiziert worden.

Griechenland.

Jn der gestrigen Sißung der Deputirtenkammer erklärte, dem „W. T. B.“ zufolge, auf eine Anfrage der Minister des Aeußern S kuzes: die Nachricht von der De- mission Karatheodory MoLOa 8 sei richtig, er wisse aber nicht, ob der Sultan die Demission angenommen habe.

Amerika.

Der Senat hat, wie „W. T. B.“ aus Washington erfährt, die von dem Repräsentantenhause angenommene Resolution, betreffend die cubanische L dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten Überwiejen.

Der „Times“ wird aus New-York gemeldet, dort ein- getroffenen Fre aus Washington zufolge sei die Stimmung des Kabinets und der bo Graalises Kreise dem Vorgehen des Kongresses bezüglich Cubas entschieden abgeneigt. Die Promptheit, mit der der spanische Minister-Präsident Canovas del Castillo sein Bedauern über die Vorgänge in s zum Ausdruck gebracht, habe einen guten Eindruck gemacht.

Der britishe Botschafter in Washington Sir J. Paunce- fote und der venezolanische Gesandte daselbst Andrade sind zur Regelung der Yuruari-Frage in direkte Verhand- lungen eingetreten.

Der Madrider „Jmparcial“ berichtet aus Havanna: die dortige S lege den Beschlüssen des Senats und des Nepräsentantenhauses der Vereinigten Staaten keine Bedeu- tung bei. Der General Weyler habe an die Regierung telegraphiert, die Entsendung der angebotenen Verstärkung von 25 000 Mann sei nicht nöthig.

Eine in New-York eingetroffene Depesche aus Managua meldet, die Regierungstruppen von Nicaragua hâtten die Aufständischen nah sehsstündigem Kampfe bei Matearis und Nargoto geshlagen und ihnen einen Verlust von 500 Todten und Verwundeten beigebraht. Mehrere Krupp'sche Kanonen seien in ihre Hände gefallen. Die Aufständischen seien bis La Pacz zurückgetrieben worden.

Afrika.

Aus Massowah vom Dienstag erfährt die „Agenzia Stefani“, der Major Salsa habe gemeldet, daß sich eine Kolonne unter dem Befehl des Majors Amelio inMaihaini gesammelt habe. Major Amelio habe auch sein Bataillon Eingeborene und Abtheilungen aus Serae und Schire bei sich. Das Regiment Diboccart habe ih von Barachit nah Addi Caie zurückgezogen, wo auch die Obersten Stevani und Brusati mit ihren Truppen angekommen seien. Der General Lambert i suche das Opera- tionskorps in As3mara zu sammeln. Spätere Nachrichten besagten, daß die Generale Bara tieri und Ellena sowie der Oberst Valenzano in Addi Caie angekommen seien. Das Schicfsal der Generale Dabormida, Arimondi und Albertone sei noch unbekannt. General Ellena sei leiht verwundet. Von gestern wird gemeldet, der General Lamberti sei im Einverständniß mit dem Admiral Turi, welcher interimistisch die Verwaltung der Kolonie übernommen habe, von Massowah nah Asmara abgereist. Jn der Kolonie herrshe Ruhe. Jn der Umgebung von Kassala hätten keine feindlichen Bewegungen mehr stattgefunden. Die bei As3mara vereinigten Streitkräfte ständen jeßt unter dem Oberbefehl des Obersten Pittaluga. Heute werde der General Barbieri, welcher gestern Abend auf dem Hochplateau eintreffen sollte, den Befehl übernehmen.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Bericht über die E Sizung des Reichs-

tages und der Schlußbericht über die gestrige Sizung des

Bitter der Abgeordneten befinden sih in der Ersten und weiten Beilage.

—- Jn der heutigen (51.) Sißung des Reichstages, welcher der Staatssekretär des Jnucrn, Staats-Minister Dr. von Boetticher, der Staatssekretär des Reichs-Schaßamts Dr. Graf von Posadowsky und der Minister für Land- wirthschaft 2c. Freiherr von Hammerstein beiwohnten, wurde die erste Berathung des Geseßzentwurfs, betreffend die Zucersteuer, fortgeseßt.

Bei Schluß des Blattes sprach als erster Redner der Abg. Goetz von Olenhusen (Zentr.).

Jn der heutigen (34.) Sißung des Hauses der Abgeordneten, in welcher der Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten D. Dr. Bosse zugegen war, wurde die zweite Berathung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrihts- und Medizinal-Angelegen- heiten bei dem Titel „Gehalt des Unter-Staats- sekretärs“ fortgeseßt.

Abg. Jan sen (Zentr.) befürwortete den Erlaß einheitliher Vor- \hriften über die Fleishshau.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse: Ich er- kenne die Wichtigkeit dieser Frage an, wenn ih auch nicht darauf ge- faßt war, daß dieselbe bei diesem Titel zur Sprache gebracht werden würde. Daß die Beanstandung einer großen Menge von Vieh gerade im Bezirk Neisse wirthschaftlihe Nachtheile mit sih bringt, kann man bedauern, die Veterinärpolizei hat aber das Interesse, alles kranke Vieh zu beseitigen. Eine ftrenge Kontrole muß sowohl für das ein- geführte Fleish wie für das inländische Vieh bestehen.

Abg. von Jazdzewski (Pole): Er habe in seiner Parochie auf das peinlichste dafür gesorgt, daß die deutschen Kinder den Kommunionunterriht in deutsher Sprache er- kalten. Der Bericht des Kreis-Schulinspektors Brandenburger in Schroda über diese Angelegenheit sei nicht zutreffend. Der Minister behaupte nach diesem Bericht, daß er (Redner) sih geweigert habe, den deutschen Kindern deutschen Kommunionunterriht zu ertheilen. Auf seine telegraphishe Anfrage bâtten ihm seine beiden Vikare geantwortet, daß die deutschen Kinder feparat unterrihtet würden; seine Anordnungen seien also befolgt. d A er also vor dem Lande beshuldigt werden, keine Parität zu üben

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse: Ich überlasse es dem Hause, zu beurtheilen, ob ih loyal verfahren bin. Als ih die Sache zum ersten Mal erwähnte, habe ih rücksihtsvoller Weise den Namen des Propstes nicht genannt. Ich habe nach dem mir zugegangenen Bericht gesagt, daß an die Kinder polnische An' fragen gerichtet seien, ob sie den polnishen Unterricht verstehen. Fh bedauere, daß die Sahe auf das persônlihe Gebiet hin- übergetragen ist, ih habe einen Namen nicht genannt. Zugestanden ist die Hauptsache, daß die deutschen Kinder in dem allgemeinen Unterricht polnisch gefragt werden, und das können wir nit zulassen. Ich muß auch für meine nahgeordneten Beamten eintreten ; Herr von JFazdzewski fsteckt sich heute aber hinter seine Vikare. Persönlich an- greifen wollte ich Herrn von Jazdzewski nicht.

Abg. Szmula (Zentr.) meinte, daß die Angaben des in Obe1 shlefien sehr angesehenen Pfarrers und Abgeordneten Wolczyk, der die Ver- hältnisse genau kenne, zuverlässiger seien als die Berichte, auf welhe sh der Minister bezogen habe. Es handle si niht um eine großpolnishe Agitation, sondern um rein religiöse Propaganda. Weil ein paar Oberschlesier einmal zur Ausstellung nah Lemberg gegangen seien, \prehe man gleich von einer großpolnischen Son, Die Oberschlesier seien ebenso gute Preußen wie der Minister. Der Minister beshuldige sogar Oberschlesien hochverrätherisher, revo- lutionärer Tendenzen, Wenn das der Fall sei, müfse der Minister es dem Justiz - Minister zur Bestrafung mittheilen. Nicht ein einziger, auch niht ein Redakteur in Ober- \chlesien sei wegen solher Tendenzen bestraft worden. Durch einen fatholishen Rath im Ministerium würde der Minister ein ganz anderes Bild erhalten als durch die Berichte der Gendarmen. Nicht eine einzige Versammlung sei aufgelöst worden. Warum gebe der Minister niht an, wer ihm die Berichte darüber erstatte, daß die deutschen Kinder der deutshen Sprache entfremdet würden ? Nur dur eine wohlwollende Behandlung der Bevölkerung fönne eine Ver- \öhnung herbeigeführt werden. N

Abg. von Jazdzewski hob nohmals bervor, day er den deutschen Kindern deutschen Unterricht ertheilen laffe, und verwahrte sich gegen den Vorwurf, daß er si binter feine Vikare verstecke.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bofîse theilte mit, daß er soeben einen neuen Bericht erbalten babe, wonach der Verfasser seinen früheren Brief vollständig aufrecht erbalte und wenigstens eine Stunde deutshen Unterrichts wöchentlih für feine Kinder beanspruhe. Der Minister verlas den neuen Brief.

Abg. von Jazdzewski verlas ein ihm zugegangenes Telegramm, in welhem nähere Angaben über die Stundenzahl des deutschen Unterrichts enthalten sind. Er könne einem einzigen Parochianen, auf den sih der Minister beziehe, nicht das Recht geben, in die Unter- rihtsverhältnisse einzugreifen. _ : .

Das Gehalt des Unter-Staatssekretärs wurde bewilligt.

Beim Kapitel „Evangelisher Ober-Kirchenrath“ brachte

Abg. Rickert (fr. Vgg.) die Erlasse des Ober-Kirchenraths an die Geiitlichen über deren außeramtliches Verhalten zur Sprache. In dem ersten Erlaß vom 20. Februar 1879 über die Aufgabe der evangelishen Geistlihen gegenüber den fozialdemokratishen Bestre- bungen fage der Ober-Kirchenrath, daß es nicht Sache der Diener

Gottes sei, sih an der Erörterung fozialpolitisher und wirthschaft- licher Fragen zu betheiligen. Damit sei er prinzipiell einverstanden, aber nicht mit der Veröffentlihung folher Erlasse; er wolle den Geistlihen dieselbe Freiheit wahren wie den Lehrern. Bei den Wablen seien allerdings manche böse Dinge vorgekommen, namentli seitens antisemitischer Geistlicher; ein solher habe gesagt, die ganze Wählerei stinke nah Revolution; also eine verfassungsmäßig gewährleistete Einrichtung! Der zweite Erlaß des Ober-Kirchenraths von 1890 stehe mit dem ersten in einem gewissen Widerspruch, er warne nur vor der Theilnahme an der Agitation für eine bestimmte Partei; welche damit gemeint sei, werde niht gesagt. Der Minister sei aller-

dings für diese Erlasse niht verantwortlich; etwas anders liege es bein.

a Witte. Jeder müsse wünschen, daß diesem s{chwer geprüften anne endlich die verdiente Genugthuung werde. Pastor Witte fei ohne ärztliches Gutachten 189? vom Konsistorium für Branden- burg für geisteskrank erklärt, erst nahträglich habe der Kreisphysikus bestätigt, daß er an Querulantenwahnsinn leide. Infolge seiner Beschwerden sei er erst zwei Jahre später für völlig gesund erklärt worden durch das Provinzial-Medizinal-Kollegium. Erst dann habe der Ober-Kirchenrath das Disciplinarverfahren eingeleitet, das Pastor Witte längst verlangt hatte, aber merkwürdiger Weise habe er nicht das Brandenburgishe Konsistorium „wegen dessen Stellung in der Sache“, fondern das Konsistorium in Breslau damit beauf- tragt. Ein Parteiinterefse habe er, Redner, dabei nicht, denn Pastor Witte sei orthodox, aber ein öffentliches íInteresse, daß verhindert werde, daß jemand ohne autoritatives Gutachten für wahnsinnig er- klärt werden könne. Es sei dem Pastor Witte nicht zu verdenken, wenn er auch einmal scharf im Kampfe mit den Behörden aufgetreten fet. Redner verlas ein Schreiben des Herrn C. Hoppe zum Beweise für das Ansehen, welches Witte in seiner Gemeinde genieße. Es müsse jeder mitwirken, diesen Mann seiner Thätigkeit zurückzugeben.

(Schluß des Blattes.)

Nr. 8 des „Eisenbabhn-Verordnungsblatts3", heraus- gegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 27. Februar 1896, hat folgenden Inhalt : Allerhöchste Konzessionsurkunde, betr. den Bau und Betrieb einer Eisenbahn von Neustadt O.-S. über ül und Krappiß nach Gogolin durch die Eisenbahngesellshaft Neu- stadt O.-S.—Gogolin, vom 19. August 1895. Erlasse des Mi- nisters der öffentlihen Arbeiten: vom 19. Februar 1896, betr. Be- stellung des Kommissars für die Ausübung des staatlichen Auffsichts- rechts fiber die Eisenbahn von Neustadt D.-S. über Zülz und Krappig nach Gogolin; vom 21. Februar 1896, betr. Anrehnung der Militär- dienstzeit auf das Besoldungsdienstalter; vom 22. Februar 1896, betr. Besoldungsdienstalter ; vom 22. Februar 1896, betr. pensions- O Dienstzeit als Landmesser; vom 23. Februar 1896, betr. Ver- fahren bei Ginziehung der Antheile fremder Eisenbahnverwaltungen bei Fabrgelderstattungen. Nachrichten.

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Nach § 217 der Strafprozeßordnung is neben dem Angeklagten zur Hauptverhandlung der gewählte Vertheidiger dann zu laden, wenn die erfolgte Wahl dem Gericht angezeigt worden is. Jn Bezug auf diese Bestimmung hat das NReichsgericht, T1. Strafsenat, durch Urtheil vom 15. November 1895 ausgesprochen, daß die Nicht- ladung des gewählten Vertheidigers nicht ohne weiteres dadurch geheilt wird, daß der nihtgeladene Vertheidiger im Laufe der Hauptverhandlung thatsählich erscheint und bis zum Schluß der Ver- handlung als Vertheidiger fungiert. „Die Thatsache, daß der Vertheidiger im vorliegenden Falle noch während der Hauptverhandlung erschien, ist nicht geeignet, den Verstoß gegen § 217 St.-Pr.-Ordn. unschädlich zu machen; vielmehr würde das Urtheil nur dann auf einer hin- htlih der Vertheidigung dem Geseße entsprehenden Verhandlung beruhen, wenn aus dem Verhalten des Angeklagten ein Verzicht auch auf die Unterlassung der Ladung seines Vertheidigers zu folgern wäre. Leßteres aber würde nur dann statthaft sein, wenn angenommen werden «dürfte, daß der Angeklagte von einem Antrage auf Ausfeßung Abstand nahm, obwohl ihm bekannt war, daß ein solcher Antrag bewilligt werden müßte. Diese Annahme is indeß hier .niht zu- lässig“. (3774/95.)

Als Gewerbebetrieb im Umherziehen ift nach einem Urtbeil des Reich8gerihts, T. Strafsenats, vom 18. November 1895, nicht zu erahten das Feilbieten von Waaren an einem fremden Ort auf die Aufforderung der Kaufreflektanten, diese Waaren zum Kauf zu bringen; wohl aber liegt ein Gewerbebetrieb im Umherziehen vor, wenn auf die Anfrage des Händlers die bloße Erlaubniß zum Besuch mit seinen Waaren ertheilt worden if. „Die Bewilligung eines Besuhs zum Zweck der Anbietung von Waaren i noch fkeine Bestellung dieser Waaren. Wohl fann die Erlaubniß unter Formen und mit Worten ertheilt werden, die eine wirklihe Aufforderung zum persönlichen Ueberbringen und Anbieten von Waaren enthalten, und in dem Falle, in welchem das Ober-Landesgericht München ausgesprochen hat, daß in der Er- tbeilung folher Erlaubniß eine Bestellung erblickt werden könne, ift festgestellt, daß der Verkäufer vom Käufer aufgefordert war, ihm eine passende Kuh zu bringen. Es hängt also von den Umständen ab, ob die Erlaubniß als Bestellung aufgefaßt werden kann oder nit“... (3550/95.)

Bei einem aus Kauf und Schenkung gemischten Ge- \chäft ift, nah einem Urtheil des Reichsgerichts, V. Zivilsenats, vom 93. November 1895, im Gebiet des Preußischen Allgemeinen Landrechts die für die Schenkung erforderlihe Form zu beobachten. „Auch wenn G. (seiner langjährigen Lebensgefährtin) das Grundstück theils verkaufen, theils vershenken wollte, war die für die Schenkung er- forderlihe Form zu beobachten und würde mangels dessen die Auf- a (von den G.’schen Erben) niht begehrt werden können.“ (151/95.)

Verdingungen im Auslande.

Ftalien.

10. März, 3 Uhr. Artillerie-Direktion des Feuerwerks-Labora- toriums in Bologna: Lieferung von 8000 kg Kupferbarren. Vor- anshlag 13 600 Fr. Kaution 1360 Fr. Lieferungszeit 50 Tage.

10. März, 2 Uhr. Artillerie - Direktion der Geschüßgießerei in Neapel: Lieferung von 4000 kg ausgesuhten Stabeisens. Vor- anshlag 1800 Fr. Kaution 180 Fr. Lieferungszeit 30 Tage.

Spanien. i

10. Márz, 2 Uhr. Stadtverwaltung von Ecya, Provinz Sevilla: Konzession zur Errichtung und zum Betrieb der elektrischen Stadtbeleuhtung für 20 Jahre. Kaution 22 500 Peseten. Näheres bei genannter Verwaltung. . i :

14. März. Stadtverwaltung in Plasencia, Provinz Cacóres : Errihtung einer Wasserleitung in Plasencia. Muthma liher Vor- anshlag 113 549,18 Peseten. Kaution 5677,46 eseten. Ausführungs- zeit 6 Monate. Näheres bei genannter Verwaltung.

9%. März. Junta inspectora de las obras del nuevo Ministerio de Fomento: Heizungganlagen in dem zum Unterrichts- Ministerium bestimmten Neubau in Madrid. Pläne des Gebäudes und Ausführungsbedingungen zur Einsicht im Nogociado de con- strucciones civiles del Ministerio de Fomento, Calle Atocha 14 in Madrid. Angebote auf Stempelpapier 12. Klasse. Formulare dazu beim „Reichs-Aozeiger“.

Niederlande.

17. März. Gesellschaft für den Betrieb der Staatseisenbahnen

in Utrecht: Errichtung einer Werkstatt auf dem Bahnhofe von

as idi i Graf u d tit R E T E C R E n Rb po -

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