1896 / 66 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 16 Mar 1896 18:00:01 GMT) scan diff

T Daa Unm - diner» Bol» dis rie a s Bait (ibun ¡ea 0M Lid: U Ee ri i

Sache noch etwas flar zu stellen. Der Herr Abg. Graf von Arnim bat in etwas scharfer Weise die Darstellung des von ermittelten Thatbestandes, wie ih fe gestern ge- geben habe, angefohten. - Er hat insbesondere in Abrede geftellt, daß das Mädchen, welches zum Tode verurtheilt worden ift, in irgend welchen Beziehungen zu Dr. Peters gestanden habe. Meine en, Sie können sich wohl denken, daß, wenn ih am gestrigen age als Vertreter der Kolonialverwaltung eine Angelegenheit hier habe erörtern Es die für unseren ganzen Ruf im In- und Aus- lande von so großer Bedeutung ift, daß ih bei der Darstellung der Thatsachen mit der größten Sorgfalt und größten Vorsicht verfahren bin, und daß ih au nicht ein Wort gesagt habe, was ih nit akten- mäßig und beweiskräftig vertreten kann. Ich sehe mich deswegen ge- nöthigt, weil gerade dieser Punkt meiner Ausführungen hier von dem Herrn Abg. Grafen von Arnim in so scharfer Weise angegriffen ift, eine Stelle aus dem Protokoll zu verlesen, welches ein Beamter des Auswärtigen Amts, und zwar der Syndikus der Kolonialabtheilung, am 9. April 1895 mit Dr. Peters aufgenommen hat. In diesem Protokoll, welches von Dr. Peters gezeichnet ift, findet sich folgender Paffflus, den ich vorzulesen verpflichtet bin, wenngleih ich sonst in der Oeffent- lichkeit solhe Dinge lieber nit zu verlesen geneigt wäre. Es sagt Dr. Peters: "Mit den beiden Mädhen wohnte zusammen ein von- Mareale entlaufenes Weib; dies if die Ende Januar zum Tode verurtheilte Negerin, leßtere hatte ih sofort zu Mareale zurück- \chicken wollen. Dieser lehnte aber ihre Zurücknahme ab, mit dem Bemerken, sie tauge nihts. Sie hat sih als eine Art von Freuden- mädchen auf der Station aufgehalten, und ih gebe zu, daß ih sie auch in der allerersten Zeit ihrer Anwesenheit ein oder zweimal benutzt habe.“ Damit, glaube i, ift dasjenige, was der Herr Abg. Graf von Arnim gegen meine Wahrhasftigkeit hier vorzubringen geglaubt hat, vollständig widerlegt. Meine Herren, ähnlich verhält es i mit dem zweiten Punkt, wonach der Herr Abg. Graf von Arnim bemerkt, daß Herr Dr. Peters bereits zum Landeshauptmann am Tanganjika ernannt worden sei, später aber diese Ernennung spontan rückgängig gemacht, d. h. sie abgelehnt habe. Auch das ift niht zu- treffend ; dean ein Beamter, welcher ein nah Maßgabe des Reichsbeamten- eve ihm angetragenes Amt ablehnen wollte, würde dana als cmissionär zu betrachten sein, und die faiserlihe Regierung wäre garniht in der Lage gewesen, Herrn Dr. Peters zur Ver- fügung zu stellen. Nun waren aber über diese Ernennung für Tanganjika mehrmonatlihe Verhandlungen geführt; in der ersten Zeit und da hatten wir ja von verschiedenen Vorgängen, wie sie später durh Vernehmung von Zeugen ermittelt worden sind, noch keine Kenntniß gehabt —, in diejer Anfangszeit der Verhandlungen war Herr Dr. Peters geneigt, diese Landes- bauptmannschaft anzunehmen, und wir haben auch daraufhin ibm er hatte ers um Urlaub gebeten unter der Voraussetzung, daß er nah Ablauf des Urlaubs in seiner Gesundheit wieder hergeftellt sei, zugejagt, daß er dann zum Landeshauptmann am Tanganjika er- nannt werden sollte. Als aber dieser Urlaub verflossen war, hatte Dr. O allerlei Bedenklichkeiten und Zweifel angeregt über seinen Wirkungékreis und hat insbesondere auch eine Reihe von Vollmachten verlangt, die wir ihm nicht haben ertheilen können, weil wir Herrn Dr. Peters nicht unbedingt zu einem selbständigen Landeschef machen wollten, sondern die Absicht hatten und daran feft- hielten, ihn der Oberaufsicht des Gouverneurs von Wissmann zu unter- stellen. Erst als diese Verhandlungen begonnen hatten, kamen au aus Afrika Berihte an uns, die es ganz außer weifel ließen, daß Herr Dr. Peters bei den dortigen Beamten und Offizieren auf keinen besonders guten Empfang werde renen fönnen. Diese Umstände zusammen, einmal die Art der Bedingungen, die Herr Dr. Peters glaubte für seine Aufgabe stellen zu müfsen, wie andererseits der Umstand, daß sein Eintritr in Afrika nit besonders freudig empfunden werden würde, hat die Kaiserliche Regierung veranlaßt, bei Seiner Majestät in Artrag zu nehmen, Herrn Dr. Peters zur Disposition zu stellen. So ist der Sachver- halt gewesen. Auf die weiteren Dinge gehe ich nit ein. Fch laube, daß nach meinem Verhalten gestern, wo ih mit libineczlidem Bedauern alle diese einzelnen Thatsachen, wie sie sich aus den Aften ergeben, entwidelt habe und dabei zu dem Schluffe fam, daß eine juristishe Schuld niht nahweisbar sei, man mir beute den Vorwurf bätte ersparen follen, daß ich mi nit wahr- haftig und wohlwollend genug für Dr. Peters ausgesprochen babe. Meine Herren, ih habe von Anfang an die Auffaffung vertreten, die mir häufig als Richter passiert is, wir haben manch- mal verurtheilen müssen und dabei gesagt: wie hade, daß wir dazu genöthigt waren, aber dura lex sed lex. Nicht minder ift es uns auh passiert, daß wir haben freisprehen müssen und dabei das tieffte Bedauern in uns gefühlt haben, daß diese Freisprehung auf Grund des Gesetzes erfolgen mußte. Abg. Dr. Hammacher (nl.): Was den Reichstag in dieser Frage interessiert, ist niht die Person des Herrn Peters, niht die Sym- vathie oder Antipathie, sondern der einzelne aftuelle Fall. Daß die Regierung nicht sofort \sich bereit erklärte, eine erneute Unterfuhung eintreten zu laffen, hat mich auf das Unangenehmste berührt. Um so mehr hat es mich gefreut, daß der Direktor Kayser heute eine ents- sprechende Erklärung abgegeben hat. Wenn er Einzelheiten mittheilte, so möchte ih fragen : besteht über das Urtheil eine \hriftlihe Urkunde ? Ift der Beweis für die - verrätherische Absicht des verurtheilten Mädchens erbraht worden? Welches find die Beisißer des Kriegs- gerichts gewesen? Herr Bebel nannte einen Lieutenant von Bronsart ; ift dieser vernommen worden? Wäre darüber Mittheilung gemacht worden, so wäre der Eindruck der Rede Bebel’s entweder verschärft oder abgeschwäht worden, je nah der Art der Auskunft. Man mag eine Stellung zu Peters einnehmen, wie man will, der Mann ist dur diese That geächtet. Auf die Besprehung des Charakters des Herrn Peters gehe ih absichtlih nicht ein. Wir haben es nur mit dem aftuellen Fall zu thun. Ich kann dem Auswärtigen Amt den Vorwurf nit eríparen, daß die Verurtheilung eines Negers wegen eines Dieb- ftabls und einer Negerin, weil fie entlief, zum Tode, nicht für die Regierung allein ein Grund war, auf Herrn Peters als Reichsbeamten Berzicht zu leisten. Ih gehöre zu den Kolonialfreunden und ih fühle, daß unseren Bestrebungen der Boden entzogen wird durh solche Dinge. Wern Herr Peters des gemeinen Verbrechens überführt wird, dees er angeflagt ist, so ift das auch ein Nerlust für die koloniale Be- wegung. Bietet unser Strafgeses in Wirklichkeit keine Möglichkeit, egen Bénnite einzuschreiten wegen solher Vergehen, um welche es ih fr handelt? Ich verstehe die doktrinäre Seite der Sache vom formalen juristishen Standpunkt aus; aber es widerspricht dem Rechts- gefühl eines jeden Menschen, wenn man diese Formalien praktis durhführen will. Es giebt au ein gewifses Naturreht, welches die Verfolgung solcher Scheußlichkeiten, wie Wehlan sie begangen, fordert. Besteht auch nur ein Zweifel über die Frage, so ist der preußische Justiz-Minister verpflichtet, die Staatsanwaltsczaft zur Verfolgung zu veranlassen. Jch [prehe die Hoffnung aus, n auf die Dauer durch folhe Vorkommnisse die folonialen Bestrebungen niht auf- ebalten werden und daß unsere Beamten \sich auch in Zukunft dur Pflichttreue und Kulturarbeit hervorthun werden. L Direktor im Auswärtigen Amt Dr. Kayser: Ich stimme in Bezug auf die Auffaffung des Strafgeseßbuhes mit dem Vorredner überein bis in die lezten Tage. Wir waren der Meinung, daß ein Beamter ih strafbar machen würde, wenn er in dieser Weise seine Befug- niffe übershreitet. Deshalb haben wir die Akten Wehlan dem preußi- fen Justiz-Ministerium überschickt, aber ein Gutachten der Staats- anwaltschaft lehnte die Verfolgung ab, weil dazu das Vorhandensein eines gewissen Verfahrens gegen die Eingeborenen gehörte. Wir fügten uns dieser Entscheidung nicht sofort, aber wir waren nit in der Lage, die Staatsanwaltschaft zur Klageerhebung anzuweisen. Wir machten uns daran, die vorhandene Lücke auszufüllen. Aber die Regelung des Gerichtsverfahrens ift sehr s{chwierig, weil bei den Eingeborenen der Eid als Beweismittel niht zur Verfügung steht und weil wir die abergläubisczen heidnischen Fetishgebräuche nicht geseßlich sanftionieren wollten, weil das dem Missionswerk \{chädlich ewesen wäre. Es if der Kolonialrath befragt worden, der viel aterial zusammengetragen hat, und ih glaube, daß wir im Laufe

des Sommers die Frage regeln werden. Inzwischen haben wir eine faiserlihe Verordnung vom 25. Februar extrahiert, durch welche die Regelung der Gerichtsbarkeit dem Reichskanzler überlafsen ift. Außerdem sind Verdahts\trafen und die Anwendung anderer als die fenlgetens zulässigen Mittel zur Erforshung der Wahrheit verboten. er Anregung des Herrn Hammacher is also«.voll- ständig Folge gegeben. Bevor ih eine Zusage im Reichstag machen konnte über die Eröffnung der Untersuhung in Sachen Peters, mußte ich dazu die Ermächtigung des Reichskanzlers nahsuhen. Das ift geshehen. Der Bericht des Gouverneurs von Soden stüßte sich auf den Bericht eines englischen Missionars, der sich auf die Ausfagen von Eingeborenen berief. E Missionar ftand in cinem kon}pi- ratorishen Verhältniß zu den feindlihen Häuptlingen. Die Beisißer des Kriegsgerihts haben wir vernommen und es hat fich herauëgestellt, daß ein geshlechtlicher Verkehr zwishen den beiden Hingerichteten nicht bestand, sondern ein Diebftabl und Spionage bildeten die Ur- sache der Verurtheilung. Die Akten haben wir eingefordert, sie waren aber niht mehr vollständig vorhanden, weil am Kilimandscharo ein Aufstand ausgebrohen war; die Station hat geräumt werden müssen; aber die Abschrift des Urtheils gegen das Negermädchen ist aus Dar-es-Salam noch beschafft worden. Wir haben auch die Personen vernommen, von denen wir wußten, daß fie zur Zeit auf der Station anwesend waren. Das ist niht immer genau nachträglich festzustellen und die Personen waren auch zum theil in alle Winde zerstreut. Die Vernehmungen haben ergeben, daß die Station damals geda war, daß daher die außerordentlihe Strenge des Urtheils ommt. Der Brief des Herrn Peters an den Bischof Tucker ist zum ersten Mal gestern zur Kenntniß der Regierung gekommen. Jch gebe zu, daß dieser Brief den Reichskanzler bestimmt hat die Untersuchung zu befehlen.

Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): Der Reichstag hat gestern, nah- dem die ordentlichen Gerichte versagt hatten, zu Gericht gesessen über einen Verbrecher ; er ift gestern in contumaciam verurtheilt worden. Heute im Wiederaufnahmeverfahren ist das Urtheil bestätigt worden. Der Angeklagte hat sich als niht wahrheitsliebend erwiesen; er hat den geshlechtlihen Verkehr mit dem verurtheilten Mädchen abgeleugnet. Das Urtheil ist ein vernihtendes. Herr Direktor Kayser hat zugeben müssen, daß die Todesstrafe erfolgt sei auf Grund eines Verfahrens, das ein gerihtlihes nicht genannt werden kann. Herr Peters allein hat das Urtheil gefällt, bei dem Diener wegen Diebstahls, bei dem Mädchen wegen der Desertion. Auf Grund welches Gesehes find die Urtheile gesprohen? Wer autorisierte Heren eres, den Dieb- ftabl an Zigarren mit dem Tode zu bestrafen ? ir sind doch die- jenigen, die die Eingeborenen in ihrem Frieden ören, wenn wir unsere Beamten ermächtigen, zu Verbrechern zu werden. Die Ein- geborenen haben uns do gar nit gerufen; sie sind mit ihrer Kultur vielleiht mehr zufrieden, als mit der sogenannten christlichen Kultur. Um solche Dinge zu verurtheilen, dazu gehört niht ein christlihes oder katholisch -chriftlihes Gefühl, sondern ein einfahes Menschen- gefühl. Man hat sfi mit dem Gutachten eines Staat8anwalts begnügt und den Prozeß nicht angestrengt. Sonst hat man manchmal Prozesse erboben, auch wo die Staatsanwaltschaft die Anklage abgelehnt hatte, so z. B. bei dem jüdishen Ritualmord Buol! und in dem Scienenflickerprozeß. Die Anklage gegen Wehlan, Leist und Peters würde sehr wohl zu einem Ziel geführt haben, und ih spreche die Hoffnung aus, daß die Verhandlungen dazu führen, daß die Prozesse noch angestrengt werden. Die Entlassung des Leist aus seinem Amt ift eine Genugthuung für den Staat, aber nicht eine Sühne für die öffentlihe Meinung. Herr Leist hat sih entweder gegen ge- fangene Weiber vergangen, oder gegen Personen, die feiner zivilreht- lihen Obhut anvertraut waren, oder er hat die Weiber ihrer A beraubt; in jedem Falle hat er G9 strafbar gemacht.

err Wehlan hat entweder als Beamter seine Befugnisse überschritten oder wenn er folhe nit überschritten batte, dann hat er als Mensch gefehlt. Wünschenswerth würde die Anklage gegen die beiden {hon deéhalb, damit die Sache vor die Oeffentlichkeit gebracht würde und nicht in den geheimen Aften des Disziplinargerichts stecken bliebe. Ih verlange, daß die Staatsanwaltschaft jeßt noch Anklage gegen die drei Herren erhebt: gegen Leist wegen unbere{htigter Freiheitsberaubung, gegen Wehlan wegen Mißhandlung, gegen Peters wegen Mordes. Wir wollen dann sehen, ob die Gerichte auch fo zimperlich find in der Behandlung dieser Frage.

Justiz-Minister Schön st edt :

Meine Herren! Ich bitte, mir einige Worte über die rehtliche Beurtheilung der in Frage stehenden Handlungen unserer Kolonial- beamten zu gestatten. Ich darf dabei voraus\hicken, daß mir die bis- herigen Verhandlungen dieses hohen Hauses niht bekannt find, daß es mir insbesondere noch niht möglich gewesen ift, von den gestrigen Verhandlungen Kenntniß zu nehmen, und daß ih deshalb im wesentlihen auf die Vorgänge, die fih heute hier abgespielt haben, angewiesen bin, insbesondere auf das, was ih soeben aus dem Munde des Herrn Vorredners gehört habe. Ih muß also vornherein um Entschuldigung bitten, wenn ih vielleiht Dinge wiederhole, die hon vorgebraht sind, weil ih nicht weiß, was zur Vertretung meines Standpunkts zu sagen noch nöthig ist. Meine Herren, ih lafse die sittliche Seite der in Frage stehenden Angelegenheit völlig außer Betracht; ih glaube, daß in dieser Beziehung eine Meinungsverschiedenheit nirgendwo besteht. Ich habe mich lediglih zu beschäftigen mit der rechtlihen Seite der Sate, insbesondere mit der Frage, ob gegen die Herren, die genannt sind: also Leist, Wehlan und Peters, eine strafrehtlihe Verfolgung nah Maßgabe unserer Gesezgebung möglich ist oder nicht.

Was zunächft den Fall Leist angeht, so brauche ih hier auf die Ginzelheiten niht eingehen. In der Leist'shen Sache ift im Dis- ciplinarverfahren rechtsfräftig auf die Dienstentlaffung des betreffenden Beamten erkannt. Es wurde gleihzeitig erwogen, ob eine strafreht- liche Verfolgung gegen Leist möglich sei oder niht. Es bedurfte dazu vor allem thatsähliher Aufklärungen, insbesondere über die rechtliche Stellung der sogenannten Pfandweiber in Kamerun in der Richtung, ob sie in der That der Obhut irgend eines Beamten, inébesondere der Obhut des Kanzlers Leist unterstelt waren oder nit. Die hierüber seitens des Justiz - Ministeriums von dem Auswärtigen Amt erbetene Auskunft is erst sehr spät eingegangen, und zwar in einer niht vollkommen fklarstelenden Weise. Gs mußte noch einmal zurückgeshrieben werden nah Kamerun, und als endlich die Auékunft erschien, die übrigens die Regierung auch noch in Zweifel ließ über die Natur der vorliegenden Verhältnifse, da war der Kanzler Leist inzwischen niht mehr in Deutschland (Heiterkeit links); er hatte sich na Nord-Amerika begeben, wo er in Chicago als Advokat fungieren soll. Dadurch war die Sache für unsere Strafrechtspflege gegenstandsios ge- worden, mindestens so lange, bis es Herrn Leist etwa einfallen möchte, nah Deutschland zurückzukommen. (Heiterkeit.) Ob diese Eventualität in Auésicht steht, weiß ih nicht.

Auf den Fall Peters, der mir gänzlih unbekannt if, der die Justizverwaltung noch niemals beschäftigt hat, kann ih überhaupt nicht eingehen. Dem Justiz-Ministerium i} bisher in keiner Weise von diesem Fall irgendwelhe Kenntniß gegeben; es wird erft dann, wenn die einschlagenden Thatsachen eingehend geprüft sein werden, in der Lage sein, ein Urtheil darüber zu fällen, ob gerihtlich eingeschritten werden kann und eingeschritten werden muß.

Was den Fall Wehlan angeht, {o hat über dessen Behandlung von Anfang an zwishen dem Auswärtigen Amt und „dem Justizs

Minifterium ein vollständiges Einyerständniß bestanden. Jh d hier zunächst einer Legende entgegentreten, der man auch in der P a begegnet ift, und aus der unliebsame Folgerungen über die Geschäfts, behandlung in der preußishen Buceaukratie gezogen wurden. Es ift in einer angesehenen Zeitung gesagt worden, ein Jahr [ay hätten die Verhandlungen gedauert zwishen dem Auswärtigen Amt und dem Justiz - Ministerium darüber, wo. Wehlay diéciplinarisch zu behandeln fei: ob vor dem Reichs. Disciplinargeriht oder vor der preußishen Disciplinarbehörde Meine Herren, diese Behauptung is vollkommen aus der Luft t griffen und widerspriht den Thatsachen in ganz eklatanter Weise. Ih brauche Ihnen nur die Data anzuführen, die ih darauf beziehen Am 27. Oktober 1894 hat das Auswärtige Amt dem Justiz-Ministe, rium die Mittheilung gemacht, daß der Herr Wehlan \ih allerlei Ausschreitungen habe zu Schulden kommen lassen, die ein disciplingri: {hes Vorgehen gegen ihn geböten. Es sei vom Standpunkt der Reichsverwaltung nur wünschenswerth, daß dieses Verfahren von der Reichsbehörde durchgeführt werde, weil er im Reis: dienst diese Ausschreitungen \sch habe zu Schulden kommen lassen, und das Auswärtige Amt ersuchte das Justiz-Ministerium um eine Erklärung, ob leßteres diese Auffassung theile. Die zustimmende Antwort des Justiz-Ministeriums datiert vom 31. Oktober, ift also vier Tage später ergangen. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen nahdem diese inzwishen zum Abschluß gekommen waren, bat noh einmal das Auswärtige Amt am 28. Mai 1895 die Frage an daz preußishe Justiz-Ministerium gerichtet, ob es etwa von seiner früheren Ansicht abgeße und es nunmehr für opportun halte, daß die Sache von der preußischen Disciplinarbehörde übernommen werde, weil eventuell in Preußen ein Disciplinarverfahren, falls es #ch un Entlassung aus dem preußishen Staatsdienst handele, folgen müsse, Darauf is am 8. Juni geantwortet worden, daß das preußishe KFustiz-Ministerium noch auf feinem früheren Standpunkt ftebe und es für angebraht und wünschenswerth erahte, daß dieses Verfahren beim Reiche zu Ende geführt werde.

Ich habe vorhin gesagt, daß zunächst darüber, daß es \ih nur um ein Disciplinarverfahren handeln könne, ein vollständiges Ein verständniß zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Justiz-Ministerium geherrs{cht hätte. JIch will Ihnen tas därlegen, indem ich Jhnen einige Säge aus einem Schreiben des Auswärtigen Amts vom 15. Januar 1895 vorlese. In diesem heißt es:

„In Kamerun is im Gegensaß zu anderen Schußtzgebieten eine Verordnung über die gegen Eingeborene zu verhängenden Strafen und das dabei anzuwendende Verfahren noch niht erlassen worden. Troß mehrfaher Anregungen wurde es bei dem Charakter der dortigen Bevölkerung seitens des Gouvernements bisher nit für zweckmäßig erachtet, die über die Eingeborenen ausgeübte Ver- waltungsgerihtsbarkeit an beftimmte Regeln zu binden.

Afffessor Wehlan, welchem die Ausübung diefer Gerichtsbarkeit übertragen war, war daher weder in der Art der Strafen, noch mit Bezug auf das anzuwendende Verfahren irgendwie dur geseßliche Bestimmungen beschränkt. Die Herbeiführung von Gefständnissen dur körperliche Züchtigung, die Anwendung der Prügelstrafe gegen böswillige Schuldner war mithin geseßlih nicht ausges{lofsen.

Die Anwendbarkeit der Bestimmungen der §§ 340, 341 und 8 343 R.-St.-G.-B. dürfte daher fraglih fein, da fie eine wider- rechtliche Ueberschreitung der Amtsbefugnisse bedingen.

Andererseits kann die Ausübung einer solchen arbiträren Gerichts- barkeit nur Beamten übertragen werden, von welchen ihrer Vorbildung nah erwartet werden kann, daß sie von den in der Heimath geltenden Rechtsgrundsäten niht ohne hinreihenden Grund abweichen werden,

Inwieweit Assessor Wehlan in dieser Hinsicht das in ihn ge seßte Vertrauen verletzt hat, wird seitens der zuständigen Disziplinar- kammer zu entscheiden sein. Es kommt dabei in Betracht, daß die Frage der Behandlung und Erziehung des Negers eine äußerst s{chwierige ist, daß gerade die Küstenbevölkerung Kameruns zu Aus- \hreitungen aller Art besonders neigt, daß sie an {were und grausame Strafen seitens ihrer Häuptlinge seit langer Zeit gewöhnt war und daß der afrikanishe Eingeborene im allgemeinen eine äußerst zähe, widerftandsfähige Natur besißt, die ihn selbft nah unseren Begriffen, harte Strafen weniger sw empfinden läßt.

Auch für fkriegerishe Expeditionen gegen Eingeborene bestthen bisher allgemein gültige Bestimmungen nicht. Daß die bei Kriegen unter zivilisierten Völkern geltenden Grundsäße niht ohne weiter Anwendung finden können, is in dem Bericht des untersuhung® führenden Beamten dargelegt.

Da jedoch und hier wird der erste Zweifel des Auswärtigen Amts angeregt die Frage insbesondere bezüglih der Anwendbar- keit des § 343 R.-St.-G.-B.

dieser Paragraph bezieht sich auf die Grzwingung von Ge-

ftändnifsen : als zweifelhaft ersheint, würde ih für eine gefällige Aeußerung in der Angelegenheit zu Dank verpflichtet sein.“

Meine Herren, dieses Schreiben habe ih mit den Akten dem Ober - Staatsanwalt beim Kammergeriht zur gutachtlichen Aeußerung vorgelegt. Es entspricht das, wie ih nicht näher au? zuführen brauche, einer in fi gerechtfertigten Vebung; es ift selbst- verständlich, daß der Justiz-Minister in solchen Sachen ein Gutachten nit abgiebt, bevor er nit die zuständige Behörde, die eventuell die Verantwortung der Sache zu übernehmen hätte, gehört hat. Der Herr Ober-Staatsanwalt des Kammergerichts hat in einem sehr ein- gehenden Gutachten sih dahin ausgesprohen, daß auf den hier vor- liegenden Fall die Anwendung der Bestimmungen des Deutschen Strafgeseßbuchs und deshalb ein ordentliches kriminelles Verfahren autê- geschlossen und aus\sichtslos sei. Ih habe im Justiz-Ministerium dieses Gutachten eingehend prüfen lassen und selb geprüft, bin zu demselben Ergebniß gekommen und habe in diesem Sinn an das Auswärtige Amt berihtet. JIch habe dabei vielleiht wird Sie das interessieren pes einen Saß eingefügt, der nah Abrathung von einer strafrechtlihen Verfolgung dahin lautet:

„Es fommt hinzu, daß ein erfolgloses öffentliches Gerichtêver- fahren die Erregung der öffentlihen Meinung nicht beshwichtigen würde und, da die aus der Mangelhaftigkeit der bestehenden Geseß- gebung sh ergebende Nothwendigkeit cines freisprechenden Urtheils dem großen Publikum nicht ohne weiteres verständlih sein würde, dem Ansehen der Justiz Eintrag thun könnte." e

Jch habe also gesagt: ih könne aus diesem Grunde niht wünschen; daß ein solhes Verfahren stattfinde, weil, wie bekannt, wenn geriht-

siche Uriheile erlassen werden, die in der öffentlichen Meinung nicht Widerhall finden, und insbesondere folche, die von der öffentlichen Meinung nit verstanden werden, sich daran eine unabsehbare Kette von Angriffen gegen die preußische Justiz knüpft und an diesen Fall h zweifellos geknüpft haben würde. Ich habe also vorausgesehen, daß die Sache so von der öffentlihen Meinung beurtheilt werden wúrde, wie sie thatsächlich beurtheilt wird und au in diesem Hause roh heute von ¡ahlreien Herren beurtheilt wird. Troßdem kann nich das nicht ershüttern in meiner rechtlihen und festen Ueberzeugung, dah eine strafrehtlihe Verfolgung unmöglich war. Die Sache siegt 0, daß sämmtliche Handlungen , die Wehlan zur Last celegt werden, von ihm in Ausübung des ihm übertragenen Amtes ezw. in feiner Eigenschaft als Kriegsherr begangen sind. Nun fagt allerdings § 4 des Strafgeseßbuhs, daß Handlungen eines deutschen geamten, die im Inland als Verbrechen oder Vergehen im Amt mit Strafe bedroht sind, nah den Strafgesezen des Deutschen Reichs auch dann zu verfolgen find, wenn fie von einem Deutschen im Ausland hegangen werden. Damit ift aber absolut nicht geholfen, denn ih zlaube, es wird niemandem in diesem Hause einfallen, zu sagen, daß dasjenige, was ein Kolonialbeamter in den Kolonien in seiner amt- lichen Eigenschaft thut, beurtheilt werden könnte in Bezug auf seine Zulässigkeit oder Unzulässigkeit nah unserem preußishen Beamtenrecht. Gine solche Auffassung ist doch vollflommen ausgeschlossen. Sie haben aus dem eben verlefenen Saß in dem Schreiben des Kolonial- amts gehört, daß nach der bis dahin ganz unangefohtenen Anschauung aller Behörden die Kolonialbeamten den Eingeborenen in Kamerun gegenüber nah vollständig freiem gewissenhaften Grmefsen zu handeln haben, und daß auf sie niht das preußishe Beamtenrecht Anwendung andel, wenn sie sich zu fragen haben: wo is die Grenze dessen, was du thun darfst von dem, was du nicht thun darfst! Die

Handlungen, die sich Wehlan hat zu s{hulden kommen lassen, hat er theilweise als Gerichtsherr begangen; er hat Verdachts\trafen aus- gesprochen ; gegen Leute, die nah seiner Meinung mit der Wahrheit zurüdgehalten, hat er grausame Prügelstrafen verhängt. Die sittliche Beurtheilung der Sache lasse ih auch hier wieder auf fih beruhen. her, meine Herren, wollen Sie denn annehmen, daß die Kolonial- amten in folhen Fällen nah den Bestimmungen der Deutschen Strafprozeßordnung hätten handeln müssen? Glauben Sie, daß über- haupt nah den bisher bestehenden Anschauungen ein amtliches Vor- ehen innerhalb dieser Schranken möglich gewesen wäre? Ja, meine Herren, wir werden uns doch immer fragen : mit welcher Bevölkerung haben wir es da zu thun ? Kann bei diesen unzivilisierten, wilden, jeder Erziehung, sittlichen und geistigen Erziehung entbehrenden Völkerschaften seitens der Beamten mit den Mitteln operiert werden, wie wir sie in unserem zivilisierten Lande für ausreichend halten? Eine Bejahung dieser Frage dürfte denn doch wohl einigermaßen s{chwierig sein. Jch hrauhe nit zu weit zurückzugreifen, wenn ih daran erinnere, was bei uns selbs bis vor nit langer, theilweise von uns selbst erlebter Zeit geltendes Recht gewesen ist. Bis zum Jahre 1849 haben wir in Jreußen auch noch die sogenannten außerordentlihen Verdachtsftrafen gehabt, die ausgesprochen wurden, wenn ein überzeugender Beweis der Sdhuld nicht geführt war. Die Folter, die der Herr Vorredner ja auh berührte, bestand bis zum Jahre 1822 im Königreih Hannover zu Recht und is bis zum Jahre 1806, also noch in diesem Jahr- hundert thatsählich zur Anwendung gekommen. Nun, ich glaube, daß ¡u Anfang dieses Jahrhunderts die Hannoveraner-doch auf einer etwas höheren Kulturstufe ftanden als jeßt die Kameruner! (Heiterkeit)

Ich sage: es ist nicht möglich, meine Herren, die Frage, ob ein Beamter szine Befugniß überschritten hat, nah unserem Beamtenrecht zu beur- theilen. Es war dem Assessor Wehlan nach seiner Instruktion volles freies Ermessen ertheilt in Bezug auf das Verfahren, wie in Bezug auf die zu verhängenden Strafen. Darüber hat kein Zweifel be- standen. Allerdings «war die gerechtfertigte Erwartung die, daß er von diesen weitgehenden Befugnifsen in angemessener Weise Gebrauch maden würde und fie niht mißbrauchen würde. Wenn er sich eines

\olhen Mißbrauchs \chuldig gemacht hat, ist dies gewiß ein s{chwerer

Verstoß gegen das Sittengeseß; aber der Strafrichter hat nicht zu

fragen, ob etwas gegen das Sittengeseß verstößt, sondern nur, ob ein widerrechtlicher, strafgeseßlih strafbarer Thatbestand vorliegt, und ein \olher lag hier nit vor.

Etenso lag es rechtlich mit den Dingen, wo Gefangene auf An- cdnung des Assefsors Wehlan getödtet worden sind. In diesem Falle war er als Kriegéherr thätig, es waren Kriegsgefangene, bezüglih derer, soweit ih mich der Thatsachen erinnere genau übersehe ich sie niht angeordnet war, sie sollten Us einem Schiff oder son wo angebunden und überwacht werden; Ie hatten si losgerifsen, und die eigenen Mannschaften erklärten, sie [elen ¡u ermattet, sie könnten keine Verantwortung übernehmen, die teute müßten getödtet werden, anders ginge es niht. Darauf ift der Befehl ertheilt worden. Die Ausführung ift angeblich in einer Weise erfolgt, die über das von Wehlan Gewollte weit hinausging. Darauf fommt es nach der strafrechtlichen Seite der Frage niht an. Unser ivilisiertes Kriegsrecht giebt es in den Kriegen, die dort mit den ein- geborenen Völkerschaften geführt werden, niht. Und ih glaube: dar- über ist in keinem anderen Lande, wo man bisher Kolonien gehabt bat, irgend ein Zweifel gewesen. Wenn Sie Stanley fragen wollten, mit welhen Mitteln die englishe Regierung in diesen Ländern sich Autorität zu verschaffen gesucht hat und hat vershaffea müssen, ih glaube, Sie würden noch andere Dinge zu hören bekommen als die- nigen, die hier mitgetheilt worden sind.

Kurz, meine Herren, es war nach der übereinstimmenden Auffassung ter Ober - Staatsanwaltschaft, sämmtliher Mitglieder des Justiz- Ninisteriums und meiner eigenen absolut unmöglich, strafrechtlich vor- jugehen. Deshalb, meine Herren, habe ich dem Auswärtigen Amt #erathen, von einem solchen Verfahren abzuschen. Ih habe noch ‘inen eventuellen Vorschlag hinzugefügt und gesagt: für den Fall, ah das Auswärtige Amt anderer Meinung sei, und ein strafrehtliches Vorgehen für gerehtfertigt halte, dann könne ih meinestheils nur “mpfehlen, daß die Sache im forum delicti commissi in Kamerun ’or dem dortigen Konsulatsgeriht abgeurtheilt werde, das den Ver- diltnissen näher steht und besser zu beurtheilen vermag, wie weit man a Eingeborenen gegenüber gehen kann; dann würde der Ausgang, á ih bei cinem preußischen Gericht für unvermeidlih hielt, nämli les Freisprechung, wenigstens niht der preußischen Rechtspflege in

ekannten, nit immer wohlwollenden Weise zur Laft gelegt werden. L Nun ist es mir von hohem Interesse gewesen, daß ich in jüngster “ire Bestätigung meiner Auffassung gefunden habe von einer

, die zweifellos auf jener Seite des Hauses (links) si einer

größeren Autorität erfreuen wird, als die eines preußishen Ober- Staatsanwalts, es is der Herr Professor von Bar in Göttingen, der bekanntlich sih mit internationalem Recht ganz sveziell beschäftigt hat und auf diesem Gebiet Autorität ift. Von dem ift mir in die Hände gefallen ein Aufsay aus einer der lezten Nummern der „Nation“, welher vollständig zu demselben Resultat kommt. Ih will Ihnen nicht den ganzen Aufsatz vorlesen. Er hat die Veberschrift : „Strafrehtliße Verantwortlihkeit der Beamten bei Mißhandlungen von Eingeborenen in den deutshen Schußgebieten.“ Ich will Ihnen nur die maßgebenden Säge vorlesen. Er sagt, im allgemeinen ftehe der deutshe Beamte in den Schußzgebieten au unter den deutshen Strafgeseßen; dann aber fährt er fort :

„Aber anders sieht es, wenn der Beamte in Ausübung seines Anits gehandelt hat: die Ausübung der Amtsbefugnisse kann fo wenig in den Schußtzgebieten wie in Europa eine rehtswidrige, strafbare Handlung sein, und hier kommt in Betracht, daß es ein gesetlich festgestelltes Strafreht und Strafverfahren und ebenso ein dergleichen Zivilverfahren gegen Eingeborene in deutshen Schußz- gebieten zur Zeit niht giebt. Gleihwohl kann nun alles dies gegen- über den Eingeborenen, welche in den deutshen Schußzgebieten mit den Europäern und den Beamten verkehren, niht völlig entbehrt werden. Man wendet also dem Herkommen nach willkürlihen Zwang und willkürlihe Strafen gegen Eingeborene an, wohl im allgemeinen in etwas milderer Weise, als Europäer es gethan haben, die auch ohne besondere ftaatlihe Organisation gegen ftehlende, raubende und andere \{ädlihe Handlungen begehende Angehörige nicht zivilifierter Stämme fich zu {hüten suchen. Da ohne dies Alles die obrigkeitlihe Gewalt den Eingeborenen gegen- über thatsählich nit gehandhabt werden kann, muß es eben als von der Gesetzgebung ftillschweigend anerkannt gelten, soweit es nicht besonders verboten ift, und da in dieser ganzen Materie nur ein unbestimmtes Herkommen gilt, so ist es auch in Er- mangelung einer bestimmten geseßlichen Vorschrift für den öffent- lihen Strafrichter unmögli, auszusprechen, an welWem Punkte die Amtsbefugnisse bei Anwendung von Zwangsmitteln aufhören und wo daher die ftrafbare Handlung des Beamten beginnt. Der Strafrichter, der das öffentlihe, in der Anwendung an genau be- stimmte Thatbeftände gebundene Strafrecht handhabt, fteht bier durchaus anders als der Disciplinar-Gerichtshof, der den Be- amten disciplinarish strafen kann nah einem mehr oder weniger freien Ermessen —, wenn (jo lautet der Ausdruk tes Reichs- Beamtengesetzes) dieser die ihm obliegende Pflicht verleßt, „durch sein Verhalten in und außer dem Amt der Achtung, die sein Beruf erfordert, fich würdig zu zeigen.“

So erklärt es ih denn, daß man seitens der Reichsregierung auch gegen den Assessor Wehlan auf die Disciplinarverfolgung \ich beschränken mußte. Ein anderer Weg existiert zur Zeit rechtlich nicht, und um die Richtigkeit dieser Ansicht zu prüfen, braucht man si nur die Frage aufzuwerfen : soll etwa der deutsche Beamte gegen Eingeborene nur nach den Vorschriften über die Konsulargerihtsbarkeit, also lediglich wie gegen Europäer verfahren dürfen ?“

Weiter erklärt Professor von Bar es für unmögli, bei Kriegs8- zügen gegen aufftändishe oder räuberishe Dörfer der Eingeborenen lediglih die Grundsäße des europäischen Kriegsrehts anzuwenden und die Gefangenen so zu behandeln, wie Kriegsgefangene in Europa.

Meine Herren, ih glaube mich auf diese Säße beschränken zu fönnen und darf die Hoffnung aussprechen, daß das, wenn Sie dem Königlich preußischen Ober-Staatsanwalt nit glauben wollen, daß Sie das unter der Autorität des Herrn Professors von Bar als nicht so anfehtbar erahten werden, wie dies seitens des Herrn Vorredners geschehen ift. (Bravo rets.)

Abg. Dr. Barth (fr. Vgg.): Das Rechtsgefühl der Mitglieder dieses Hauses wird durch die Auslafsungen des Fustiz-Minifters wohl nicht ganz befriedigt sein. Aber wenn die Sache so liegt, wie der VFustiz-Minister es darftellt, welher Vorwurf trifft dann die Kolontal- verwaltung, daß es soweit kommen fonnte! Sie hat die Amtsgewalt der betreffenden Beamten niht genau umschrieben. Die Amtsgewalt war die nackte Willkür, deshalb konnte wegen Mißbrauchs derselben nicht kriminell eingeschritten werden. Zu einem folchen Vorgehen, wie es dem Reichskanzler jeßt beliebt hat, hätte man s{chon längft fommen follen, mindestens seitderi der Fall Leist bekannt geworden war. Jedenfalls ift vom sittlihen Standpunkt aus nichts für Wehlan zu sagen. Darin liegt eine blutige Kritik des Disziplinarurtheils, welches sih mit einer Strafe von 500 4 begnügte. Herr Wehlan ist sogar noch für geeignet gehalten, eine andere Stellung ¿u bekleiden. Die Fälle baben cine verzweifelte Aehnlichkeit mit einander, sodaß man auf den Verdacht kommt, es liege die Ursache hier an dem ganzen System. Wie ist es möglich, daß Leute, von deren Brauchbarkeit man sich hier über- zeugt hatte, das in sie ge]eßte Vertrauen o sehr getäuscht haben ? Die meisten der jungen Männer, welhe nach den Kolonien gehen, haben meist keine Gelegenheit gehabt , po in überseeishen Ländern Gr- fahrungen zu sammeln. Sie gehen hinaus, erfüllt von allerlei romantischen Ideen. Wenn diese s{winden, dann halten fih die Es an ihre Herrschaft, an ihre MachtstePung, und wenn fle zur Brutalität etwas neigen, so tritt diese hervor. Sie verfallen dann einem kfolonialen Größenwahn, dem Tropenkoller. Ebe Stanley seine blutigen Züge antrat, gab es Forscher, die unbefleckt aus dem lang- jährigen Afrikaaufenthalt zurückgekehrt find; ih erinnere an Livingstone und Nachtigal. Der Tropenkoller wird meist ausden klimatischen Verhbält- nissen erklärt, aber ih glaube, die Herrschastsgelüste steigen den Herren zu Kopfe. Die Kolonialverwaltung muß mit Na druck fürOrdnung innerhalb der Beamtenschaft sorgen; sie sollte nicht unerfahrene Assessoren und Offiziere hinausschicken, sondern Männer, die mehr Erfahrung haben im übersecishen Leben. Wir haben uns der Kolonialpolitik gegen- über sehr sfeptisch verhalten und immer vorausgefagt, daß wirth- schaftlich sehr wenig dabei herauskommen wird. Aber an der L gung derartiger, den deutshen Namen aufs tiefste schädigenden Bor- fälle wollen wir positiv mit allen anderen Parteien mitarbeiten.

Direktor im Auswärtigen Amt Dr. Kayser: Eine Vernehmun des Lieutenants Bronsart von Schellendorff hat stattgefunden; i will fie niht mittheilen, es müßten dann auch alle anderen Ver- nehmungen vorgelesen werden, ehe das Haus sih als formeller Gerichtshof fonfstituieren könnte. Herr Bronfart von Schellendorff hat die Hinrichtung des Burschen gemißbilligt und darüber au Herrn Peters Mittheilung gemacht. Ob er sich geweigert hat, das Urtheil zu vollstrecken, ift nit festzustellen; er glaubt es abgelehnt zu haben, während Peters dies bestreitet. Die Frage der Auswahl der Beamten ist besonders wihtig. Wir müssen eine tropendienstfähige Gesundheit für die Beamten verlangen; dadurh beschränkt sih die Zahl der Kandidaten. Wir entsenden jept die Beamten erst, wenn se hier in der Kolonialabtheilung gearbeitet haben. An Vorsicht hat es niemals gefehlt, aber ins Herz der Leute können wir nicht sehen ; ihre Zeugnisse waren stets die günstigsten, die man fich denken kann.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Die Kolonialfreunde wie Graf Arnim haben alle Ursache, raths Peters zu entschuldigen ; denn sage mir, mit wem Du umgehst, und ich will Dir sagen, wer Du bist. Wenn Herr Peters sih nicht rechtfertigen kann, dann fällt das zurüdck auf den Kolonialverein, zu dessen Vorsißenden Peters erst kür,lih

gewählt ift. Man muß ihn wieder entfernen. Herr Hammacher hat das bessere Theil erwählt und hat das Tischtuh zwischen fich und Herrn Peters durhshnitten. Graf Arnim hätte die gestrigen Ausfüh- rungen Bebel's nit so leiht als grobe Lüge erflärt, wenn er gewußt bâtte, wie es mit der Wahrheitsliebe des Herrn Peters steht. Aus der Erklärung Peters’ mußte man entnehmen, daß zwischen den hin- gerihteten Negermädhen und ihm feine Beziehung bestanden hat, während das Gegentheil festgestelt wurde. Ebenso scheint es mit dem Brief an den Bishhof zu liegen. Herr Peters hat garnicht abge- leugnet, einen Brief geschrieben zu haben. Er hat nur ge- leugnet, daß er cinen derartigen Brief geschrieben hade. Warum i der positive Inhalt des Briefes nicht mitgetheilt worden? Die Auslafsungen des Herrn Peters erwecken den Ver- dacht, daß es auf Wortklauberei und Verschleierung der Wahrheit abgesehen ist. Graf Arnim fragt: warum fallen Sie jeßt über den armen Peters so her? Er verweist auf Stanley. Was geht uns Stanley an? Er bezieht kein Gehalt aus der Reichskafte. Graf Arnim meinte, man wolle Peters verdächtigen, weil er für die Flottenvermehrung eingetreten sei. Diese Agitation beweist nur die völlige Unkenntniß des Herrn Peters auf dem Gebiet des Marine- wesens. Er hat seine Flottenbegeisterung erst entdeckt, als er M adas sich dadur Liebesfind nah oben hin zu machen. Kann es fremden, daß wir uns mit Herrn Peters beschäftigen, nachdem er an die Spige des Kolonialvereins getreten ist, nahdem die Nationalliberalen und die Behörden alles gethan haben, um ihm ein Reichstagsmandat zu verschaffen? Graf Arnim hat an die Verdienste Peters’ in Oft-Afrika erinnert. Peters war ein Mann, der in Deutschland nichts zu verlieren hatte. Er if ins Hinterland der ostafrifkanishen Küste gegangen, hat den Häuptlingen einen Schußtz- brief unterbreitet und hat sie ersuht, darunter drei Kreuze zu machen. Gr hâtte diese drei Kreuze nicht erlangt, wenn er sich nicht im Besiß von bunten, ins Auge stehenden Husarenjacken befunden hâtte. Von diesen Häuptlingen hat man niemals später etwas gehört; unter den rebellishen Häuptlingen befinden sich auh wohl folhe, die durh bunte Jacken bestohen sind. Die Kreuze der Häuptlinge würden bedeutungslos geblieben sein, wenn nicht ein deutshes Geschwader den Sultan von Sanfibar gezwungen hätte, deutsches Hoheitsreht auf dem ostafrikanishen Festlande anzuerkennen. Dadurh und durch die Verständigung mit anderen europäischen Mächten ift die Herrlichkeit in Deutsch - Ostafrika aufgebaut worden, welche uns bis jeßt die Kleinigkeit von 31 Millionen gekostet hat. Je mebr man Peters in feiner wahren Natur erkennt, umsomehr fommt man zu mildernden Umständen für Leist und Weblan. Nach- dem Peters, namentlich von den Nationalliberalen, als ein Heros ge- feiert worden war, mußte er folchen Leuten als ein nahahmenswerthes Ideal erscheinen, für den eine andere Moral gilt, als für gewöhnliche Menschen. Solche Grausamkeiten und Zügellosigkeiten sind durch den mythishen Begriff des Tropenkollers nit zu erklären. Die Thâtig- feit Peters’ hat demoralisierend gewirkt und es wäre nicht wunderbar, wenn wir noch ähnliche Fälle erlebten. Demoralisierend hat namentli die Emin-Pascha-Expedition gewirkt, wo er gewaltsam und grausam, in jeder Weise wie ein Räuber aufgetreten ist. Er brüstet #ch mit seiner Rohbeit und Grausamkeit. Ein solches Bramarbasieren zeugt von einem Mangel an jedem menshlichen Gefühl. Die Emin-Pascha- Expedition ist vor ih gegangen gegen den direkten Willen der Reichsregierung. Metten konnte er Emin Pascha niht; er wollte nur neue Schubbriefe erzielen. Fürst Bismarck hat damals diefen Zug für durchaus ungerechtfertigt erflärt, im Gegensaß zur national- liberalen Partei. Er hat damals erklärt: wenn die Gngländer ihn fangen würden, hätte er nihts dagegen auszuseßen. Peters hat fich durh englisches Gebiet durchzushlagen versuht. Er war kein Erx- peditionsführer in amtlicher Eigenschaft, sondern ein Räuberhaupt- mann, ein Flibustier, er hat dort dasselbe versucht, was Jameson in Transvaal versuchte. Jameson ift vor ein Gericht gestellt, die deutsche Regierung hat Peters nicht zur Rechenschaft gezogen. War das \traf- rechtlich oder völkerrechtlich rihtig? War es richtig, ihn nunmehr gerade zum Kolonialbeamten zu mahen? Graf Arnim hat sich \pôttish geäußert über die Thätigkeit vom grünen Tisch, welche Uganda preisgegeben. Das war die staatsmännische Voraus\ficht des Fürsten Bismark, der keine Mißhelligkeiten mit England wollte. Muß es nit demoralisierend auf die Kolontalbeamten wirken, daß Peters niht bestraft, sondern mit einem Amte bedacht wurde? Wenn Herr Peters 0 Lein DAITEDT, C es Graf Arnim darzustellen versuhte, dann hâtte er im vorigen Jahre mit Erklärungen hervortreten follen, als die Behauptung zum ersten Mal aufgestellt wurde. Die Untersuhung {webt, und mitten in dieser Untersuchung erahtet man Herrn Peters für geeignet als Landeshauptmann am Tanganika-See, für die zweithöchste Stellung in Afrika! Was is} das für eine Kolonialver- waltung! Was hätte die Aufsicht des Herrn von Wissmann genutzt ? Man brauhht für die Reise vom Tanganika-See bis Dar-es-Salam mindestens vier Wochen. Der Größenwahn des Herrn Peters, nicht die Weisheit der Kolonialverwaltung hat uns vor dieser Landes- hauptmannschaft Peters" bewahrt. Verseßzen Sie sih nun in den Geift solher jungen Assessoren, wie Leist und Wehlan, dann werden Sie fich niht wundern, daß diese dem Beispiel Peters’ nacheifern. Herr Direktor Kayser meinte, das fei ein altersessenes Recht der Kolonialpolitik seit Ferdinand Cortez her. Da muß sich jeder Beamte sagen : Mach es ebenso wie Leist, Wehlan und Peters; führe nur keine Tagebücher darüber! Allerdings müssen die Beamten schnelle Ent- {lü}se fassen. Aber ift das nicht im Kriege ebenso? Hat man jemals gehört, daß ein deutsher Offizier im Kriege sih etwas Aehnliches hat zu Schulden kommen lassen? Die Franzosen würden es sicher an die große Glocke gehängt haben. Graf Arnim meinte, man hätte in der Kommission verhandeln sollen. Die Kommissionen sind doch auch ôffentlih; aber hier im Plenum kommt die Sache korrekt in die Oeffentlichkeit. Es handelt sich niht bloß um die Perfon, sondern um die ganzen sahlihen Verhältnisse. Im Volk besteht der Wahn, daß Herr Peters sich alles erlauben könne, weil er in höheren Regionen, als beim Direktor Kayser, eines starken Schußes ih er- freue. Freude über das, was Deutschland zur Unehre und zur Schädigung gereiht, können wir nicht empfinden. Aber folche ee sind geeignet, die farbigen Gläser zu zerstören, dur welche die Kolonialfreunde die Dinge ansehen, und eine nüchterne Betrachtungs- weise herbeizuführen. Das Kultur- und Missionsinteresse steht fir das Zentrum im Vordergrund. Aber man follte doch erwägen, ob nicht alles das, was auf diesem Gebiet geleistet wird, geeignet ist, auch nur den zehnten Theil des Schadens gut zu machen, welher durch solhe Vorgänge angerihtet wird. Die Kolontialgebiete, mit Auênahme von Togo, befinden sich in wirthshaftlihem Rück- gang, und da soll uns nah Ostern zugemuthet werden, eine Garantie zu übernehmen für eine zentralafrikanische Eisenbahn. Das gehört au zu jener Phantasiepolitik! Da liegt die Frage nahe, ob es nit angezeigt ift, der Kolonialpolitik eine Grenze zu ziehen, die uns nur Mißerfolge bringt und unser Ansehen im Auslande schädigt. Direktor im Auswärtigen Amt Dr. Kayser: Ih möchte nur um die Erlaubniß bitten, einige wenige Worte auf die Bemerkung des Herrn Abg. Richter aussprehen zu dürfen. Der Herr Abgeordnete hat bemerkt, daß meine gestrigen Ausführungen ledigli den Anlaß bieten würden, daß unsere Kolonialbeamten das Beispiel der Herren Wehlan und Leist nahahmen möchten. Gegen diese Bemerkung mus ich Verwahrung einlegen und den Herrn Abg. Nichler auf den Erla des Herrn Reichskanzlers verweisen, den Len Herr Dr. Lieber als einen Lichtblick bezeichnet hat, einen Erlaß, von dem ih angesichts der Bemerkung des Herrn Richter hier anführen will, weil id dazu genöthigt werde, daß er auf meinen Vortrag von dem Herrn Reichs- kanzler erlayen und von mir selbs wörtlich verfaßt ift. Abg. Bebel (Soz.): Herr Direktor Kayser hat nach meinem

Interesse an dem Fall Töppen gefragt; Herr Töppen soll unser Partei- genosse gewesen sein. Jch weiß nichts davon, ih kenne ihn nicht ; jedenfalls gehörte er {hon 1887 zu den vom Färsten Hohenlohe- Langenburg protegierten Schüylingen. Die Beschwerde des Herrn Lieutenants von Carnap, die ohne Antwort geblieben ist, gab mir die Veranlassung dazu; sie geht dahin, daß LTöôppen der indirekte

Urheber der Ermordung des Küntzel durch den Sultan von Witw

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