1896 / 76 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 27 Mar 1896 18:00:01 GMT) scan diff

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haben loyal mit England verhandelt, und Graf Mirbach hat selbft verschiedene Male anerkannt, daß ohne Zustimmung, ohne Mitwirkung von England auf eine Hebung des Silberwerthes und auf eine inter- nationale Regelung der Währungsfrage nit zu rechnen ift. Die englishe Antwort ist nun eingetroffen. Sie ift nicht so ausgefallen, daß wir daraufhin weitere Schritte thun könnten, und daß wir auf eine erfolgreihe internationale Münzkonferenz rechnen könnten.

Mas den zweiten Punkt in den Bemerkungen des Herrn Grafen Mirbach betrifft, die Klagen über die üble Lage der Landwirthschaft, so theilt die Regierung natürlich das Bedauern über diese Zustände in jeder Weise. Wir haben ih glaube, diese Gerechtigkeit wird max uns widerfahren lassen alle Maßregeln, die uns möglich er- schienen, ergriffen ; au ist eine ganze Reihe von Maßregeln bereits in Wirksamkeit, die Erfolge versprechen. Wenn der Herr Graf Mirbach gesagt hat, daß der Ministertish sich über jede vernichtete Existenz freut (Graf Mirbach: Im Lande !), so ist das eine so un- erbörte Behauptung, daß ih darauf nicht antworten mag. (Sehr gut! Sehr richtig!)

Ober - Bürgermeister Becker-Köln: Ic kann es nur einem Gefühl der Erbitterung zuschreiben, wenn Graf Mirbah den Grafen Caprivi, der sich schon, ehe er Keichskanzler wurde, große Verdienste um das Vaterland erworben hatte und auf Befebl seines Landesherrn das Reichskanzleramt übernahm, in dieser Weise angriff. Ich verstehe es nit, wie man der Regierung vorwerfen kann, daß sie keine Thaten für die Landwirthschaft gethan habe. Was haben wir anderes gethan in der legten Zeit, als für die Landwirthschaft gearbeitet : die Beseitigung der staatlichen Realsteuern, die Branntweinsteuer, die Zuckersteuer, die Zentralgenossenschaft, die General-Kommission für Dstpreufen, alles ist für die Landwirthschaft gemacht worden. Die Aufhebung des Identitätsnahweises haben Sie selbst gewünscht. (Zuruf rechts: Aber es blieb ohne Nußen für die Landwirtbschaft !) Wir baben gern und willig mitgewirkt, aber Sie müssen nicht thun, als wenn wir gar kein Verständniß für die Noth der Landwirtbschaft bätten. Solche Ausführungen sind meiner Auffassung nah maßlos übertrieben. Es ift na Ihrer Meinung nichts geschehen, weil die Währungsfrage und der Antrag Kaniß nicht nah Ihrem Willen geregelt find. Wir fönnen doch nihts dafür, daß weite Volkskreise davon nichts wifsen wollen! Alle maßgebenden Faktoren haben sich gegen den Antrag Kanitz ausgesprohen. Mit der Goldwährung sind wir allseitig zufrieden. Wozu sollen wir unsere Ueberzeugung ändern? Ich sollte meinen, Sie müßten. es der Staatsregierung und uns hier im Hause, die es mit Ihnen gut meinen, nicht allzu s{chwer machen, íöIhnen zu helfen. Das geschieht aber dur folde maßlosen Uebertreibungen. Lassen Sie uns in maßvoller Weise untersuchen, was der Landwirth- {aft frommt, und lassen wir uns nicht unnöthigerweise graulih machen. Das wird mehr nugen als alle Reden, die zum Fenster binausgehalten find.

Graf von Mirbach: Wenn der Minister-Präsident das Ver- balten der Regierung in der Währungéfrage als loyal bezeichnet hat, so fann ih nit widersprechen, aber der einges{lagene Weg war doch nit der richtige. Man griff von meinen Vorschlägen nur den beraus, betreffend dîe Wiedereröffnung der indischen Münzstätten. Meine Hauptvorschläge gingen aber hinaus auf eine Vorkonferenz mit Frankreih und Amerika; erst nach einer Vereinbarung mit diefen follte man sich an England wenden. Man hat einen vollkommen falschen Weg beschritten, der nicht dem Wunsch der Betheiligten ent- spricht. Ih habe nit der Regierung direkt vorgeworfen, daß sie fi über vernibtete Existenzen freue, fondern ih habe nur bemerkt, daß man dies im Lande anzunehmen anfängt. Die General-Kommisfion für Ostpréußen ist von allen Konservativen des Ostens bekämpft worden: aus dieser Gesetzgebung heraus fann also Herr Bekker für die Landwirthschaft nichts folgern. Es handelt ite béim Antrag - Kaniß nicht mehr . um. deffen _ur- fprünglicen Inhalt, sondern um eine Sicherung mittlerer Getreidepreise. Ih habe mich “nur gegen die Art der Abweisüng des Antrages: gewendet. Wenn am 17. Januar in der s{arfen Weise von dem Minifter gesprohen wurde, dann können Sie es uns nickt verdenken, wenn wir den Festen des nähfiea Tages kühl gegenüber- ftanden. Durch die Handelsverträge war die Landwirthscbäft ge- \{ädigt worden; sie ist mit gebundenen Händen der ausländischen Konkurrenz webrlos ausgeliefert worden. Ich sehe zu meiner Freude den früheren landwirthshaftlihen Minister Lucius; er hat 1892 190 A als mittlere Produktionskoften hingestellt. Nachdem ein Staatämann, über den ich ja niht sprechen darf, ans Ruder ge- kommen, ging man darüber hinweg und band die Zölle nah oben in einem Moment, wo die Preise eine sinkende Tendenz annehmen mußten. Seit- Jahren stehen wir also 70 Æ unter den Produktions- fosten. Man kann also doch niht von Uebertreibungen fprechen! Sind diese - Handelsverträge eine Geseßgebung zu Gunsten der Landwirthschaft? Nein! tan ift über die Intereffen der Landwirth- ichaft einfa zur Tagesordaung übergegangen.

Ober-Bürgermeister Struckmamwn - Hildesheim: Es wird seitens der Landwirtbschaft mit Uebertreibungen gearbeitet, aber das sotlte Alles feine Grenzen haben, und diese: Grenzen sind heute vom Grafen »Mirbach wesentlih überschritten worden. Sollte man das im Herren- bause noch immer stillschweigend binnehmen, so würde das eine still- \hweiaecnde Billigung der Uebertreibungen sein. Graf Mirbach hat den Bund der Landwirthe in Shuß genommen in Bezug auf einzelne Ueberschreitungen; aker naher hat er selbft etwas von der Hege vor- gebracht, “die im Bunde getrieben wird. Wo sind dean die Bauern, die von Haus und Hof vertrieben sind? Im Hildesheimschen ist davon nichts befannt geworden. Alfo das ift eine vollständige, pure Ueber- treibung. Die Verschuldungösstatistik bedeutet garnihts, denn die Schulden können fehr vroduktiv angelegt sein, indem zu billigen Zinfen landschaftlihe Pfandbriefe œufgenommen werden, um Me- liorationen- durhzuführen oder sih an anderen befscren Kapitalanlagen : Aukfauf von Werthpavieren, Anlagen von Zudckerfabriken ‘u, #. w. zu betheiligen. Die Untersu{ungen des MNRegierungs-Assessors S&rnidt - Scharf übec die Verhältnisse der Landwirtbschaft im Lantkreise Harburg vor und nah der neuen Gesezgebung haben ergeben, daß dieser Kreis früher Steuern an den Staat abführte; jeßt zahlt dec Stat an Shullasten u. s. o. mehr an den Kreis, als dieser an Staatsstencrn ‘aufbringt. ‘Der Affessor schließt, daß das platte Land des Oiîtens noch viel mehr als der Landkreis Harburg von der Kommunak-Steuerreform Vortheil gehabt habe. Und da ipriht man davon, ‘daß von Thaten keine Rede fei! Die Zusammenstellung in einem offiziöfen Blatt zeigt, daß alle von der Agrarkonferenz aufac- stelltez Wünsche hon bzerütsiwtigt seien oder demnächst berüdcksihtigt würden. Da ‘gehört wirkiich ‘eix großer Muth dazu, der Regierung vorzuw-rfen, daß sie keine Thaten geleiftet habe. Das soll nicht azitatorish sein?! Sind Sie fh Ihrec Verantwortlichkeit vollkommen bervußt ? Sie treiven-es schtießlid dabin, daß diejenigen, wclche ein warines/ Hzrz für die Landmæirthshafst haben, abgeschreckt werden dur ole U-bertreibungen! Sie sehen, welche Wirkungen das Auftreten des Bandes der Landwirthe gehabt hgt. E3 entsteht fchließlih eine

der cinzesnen- Bevölferungéflassen gegeneinander.

_Freißerr:-Lucius “von Ballbaufen:' Meiner angeführten Aeußerunz erinnere ih mi noch volständig. Es hanvelte fich 1887 die Crhôbung der Zölle auf Weizen und Roggen von 3 -auf

#4 O habe diz damalige Zollerßöbung für sehr nüßlid gehdlten. Die Swhrwankung, weiche zu einer H rabseßung rec Zölle fübrte, babe h im Amte nicht mebr mitgemaht. Ich lasse es dahingestellt, ov der österreihische Handelsvertrag aus héheren politishen Rü- en nôthig war oder nicht. Jh lasse es dabingestellt, ob unsere wirfsam:rer Weise hätten vertreten werden

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ben ist. Aber’ ‘der rusfishe Handelévertrag ift ndige Folge tes österreichischen gewesen. Deshalb wie die Herren, welhe für den österreihischen der Regierung aus dem russishen Vertrag

zorwurf machen fönnen. Das geht über alles

Verständniß für politishe Verhältnisse hinaus. Nicht der gegenwärtige Minister-Präsident und nicht der gegenwärtige Landwirth schafts-Minister haben - tie Verträge ges{lossez; sie haben eine gegebene Situation vorgefunden und haben si bestrebt, das Beste zu leisten. Es ist do eine Unmöglichkeit, einer zivilisierten Nation zuzumuthen, einen vor wenigen Jahren ges{chlofjenen Handelsvertrag brechen zu sollen. Warum matt man dem gegenwärtigen Minister immer dieselben Vor- würfe über die Folgen der Handelsverträge! Ich glaube es der Objek- tivität \{uldig zu sein, das hier ofen zu erklären. Die Frage der Aufhebung des Identitätsaahweises ist eine der shwierigsten. Die Regierung ist aber in dieser Frage entgegengekommen. Die Frage der Staffeltarife is eine sehr kontroverse, weil die Interessen der ôst- lichen, westlihen und mittleren Provinzen hier sehr versciedenartig sind. Die Staffeltarife haben die Müßbleninduftrie Mittel- und Westdeutshlands vollständig ruiniert. Vor der zu starken Accen- tuierung östlicher Interessen möchte ih warnen, damit die Solidarität der Interessen der Landwirthschaft nicht gestört wird. Denn sonst würden bei der Uneinigkeit der Interessen selbst die Gegner des Ganzen an Oberwasser gewinnen. An diesen Gegnern fehlt es nicht, aber sie sigen niht am Regierungstish. | .

Herr von Bemberg-Flamersheim: Die Staatsregierung ist bemüht, mit Ausnahme des Antrags Kaniß und der Währungs- frage, der Landwirthschaft zu helfen ; ste hat auf diesem Gebiet Großes geleistet. Das heftige Bekämpsen der Regierung wird den Gegnern zu gute kommen. Es wird ein rasher Gegensaß von hier ins ôfent- liche Leben getragen, der si dort vervielfahen wird. Wenn hier behaupt:t wird, daß die Regierung nicht genügend hilft, dann wird der kleine Mann im Lande sagen: wir müssen der Staatsregierung und den andern Ständen \{ärfer eufgedtntreten. Also lassen Sie uns rubig miteinander arbeiten. Wir hier haben alle sicherlih den guten Willen, für die Landwirthschaft zu arbeiten.

Graf von Klinckowström: I habe alles anerkannt, was seitens der Regierung geschehen ift ; aber ich bin dabei stehen ge- blieben, daß die Heilung nur von der Hebung der Getreidepret]e abhängt. Die Extravaganzen des Bundes der Landwirthe habe ih nicht zu vertheidigen. Herr Struckmann hätte sih ja mit den Extravaganzen des Vereins zur Abwehr agrarischer Uebergriffe be- schäftigen können, der mehr geleistet hat, als der ganze Bund der Landwirthe. Gegenüber den gegen ihn gerichteten Angriffen ist der Bund der Landwirthe fehr maßvoll gewesen. Herr Struckmann hat gefragt, wo die vernihteten Existenzen sind. Herr Struckmann liest wobl feine Amtsblätter über die Subhastationen. Wenn Sie diese Debatten nicht haben wollen, erfüllen Sie unsere Wünsche, die wir vertreten im Interesse der kleinen Grundbesißer, welche sich_ nit selbst vertreten können. Diese Vertretung halten wir für unsere Ghrenpflicht.

Ober-Bürgermeister Schmieding-Dortmund: Als dié In- dustrie Noth litt, da reiste ein Industrieller nach Berlin und erklärte dann: Die Minister haben kein Herz für die Industrie. Er wurde damals wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurtheilt. Die Regierung ist jeyt nicht mehr frei in ihrer Bewegung, die Handelêverträge bestehen und können nicht auf diplomatishem Wege abgeändert werden. Unter dem Schuge der Zölle i die Industrie so entwidelt, daß fie der englischen überlegen ist. Ich wünsche, daß die Landwirthschaft si ebenfo entwickeln möge. : S

Graf von Mirbach: Herr Struckmann kennt die Verhältnifsie des Ostens nicht. Wenn die Subhastationen nicht so gewachsen sind, wie sie eigentlich wachsen müßten, so liegt dcs daran, daß die Glâu- biger sich hüten, in einem solchen Augenblicke die Hyportbeken zu kündigen. Ich habe von vornherein gegen den österreihishen Handels8- vertrag mi erklärt wegen der bedenklihen Folgen. Aver wenn vor vier Jahren das Todesurtheil der Landwirthschaft unterschrieben wurde, \o können die Landwirtbe doch nun niht 8 Jahre stillhalten. Sie müssen sich dagegen wehren. N

Ober - Bürgermeister Westerburg - Caffel: Solche Ueber- treibungen von agrarisher Seite habe ih noch niht vernommen. Die Lage der Landwirthschaft wird übertrieben und, zu Unrecht generalisiert, \{leht dargestelt. Wären alle Beshwerden ]o gere(t- fertigt, wie sie ungerechtfertigt sind, so kann doh die Regierung dafür nicht verantwortlih gemacht werden. Denn die Regierung kann doch die Konkurrenz übersecis{er Länder niht vernichten. Die Regierung hat viel zu weitgehende Maßnahmen für die Landwirtbschaft ergriffen. Sie hat dafür freilih keinen Dank geerntet. Bon den fogenannten großen Mitteln, den Paradepferden des Buntes der Landwirthe, sollte doch hier nicht ernsthaft geredet werden. In welche dicke Tinte würden die Vertheidiger des Antrags Kani kommen, wenn sie ihn einmal durchzuführen hätten. Und nun gar die Silberwährung oder Doppelwährung! Ohne England ist sie nicht mögli, das erfennt Graf Mirbach selbst an und die Stimmen aus England erklären die Doppelwährung für unmöglich.

Damit schließt die Gencraldiskussion. Jn der Spezial- disfkfussion bemerkt bei der Berathung des Domänen-Etats der __ Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- nte1n:

Meine Herren! Wir \ind bei der Berathung des Domänen- Etats. Wie dabei die Frage der Rentengüter zur Sprache gebraŸht werden fann, ist mir nit ganz verständlih. Vielleicht handelt es #ich aber um die Auftheilunz einer Parzelle, die zu irgenv einem Domänengrundftück gehört. (Widerspruch.)

Wenn nit, so glauke ih, daß es richtiger ift, diese Frage später beim landwirtbschaftlid;en Etat zu behandeln. Im übrigen ist mir der Spezialfall niht bekannt. Wenn der Herr Graf die Güte hat, ibn mir anzugebén, werde ich mich näher tanah erfundigen und fo weit möglich bei der Berathung des Landwirthschasts-Etats die nötbige Auskunft geben.

Bezüglich der Fischereibeamten is mir bekannt, daß es nicht fest- angestellte Beamten oktne Anspruch auf Persion sind. I werde die Frage weiter prüfen. Die Entscheidung liegt beim Herrn Finanz- Minister, der ein entsheidendes Wort dabei bat.

eiter erklärt auf eine Anfrage zu demselben Etat der i Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- tein: -

Ich erkenne an, daß es prinzipiell ni@t ricktig ist, daß der Land- stallmeister gleichzeitig auch Stallmeister oder Verwalter des Haupt- geftüts in Gradiß ist. Aber, meine Herren, das Haupigestüt in Gradit ift ein Vollblutszuchtgesiüt, und zur Zeit darüber ist bei alen Hippologen kein Zweifel besißen wir keinen Lantstallmeifster, der mit folher Geschickli%keit, mit folher Erfahrung und mit folhem Erfolg das Vollblutgestüt; Gradig zu verwalten im stande ist. Daß die preußische Vollbluizuht rwoieder ten boben Standpunkt erreicht bat, auf welchem sie zur Zeit steht, ist lediglich tas Verdienst des Ober- Landstallmeisters Grafen Lehudorf. (Sehr richtig!) Jh kann aber erflären, daß in Uebereinstimmung mit dem gegen- wärtigen Ober - Landsiallmeister in Auétsiht genommen ift, einen für die Veaiwaltung des Graditer Vollblutgesiüts geeigneten Landstallmeister beranzubilden, welcher, mit cen nöthigen bippologischen Kenntnissen und Erfahrungen ausgestattet, die nöthige Garantie ge- währt, daß, wenn demselben die Verwaltung tes Graditzer Gestüts übertragen wird, daéselbe auf der gegenæärtigen Höhe erbalten bleibt. Wenn wir dahin gelangt sind, wird die Verwaltung des Graditer Hauptgeftüts von der Verwaltung dcs Amts des Ober - Landstall- meisters zu trennen sein.

_Herr von Herb erg-Lottin wendet sih gegen den Ober-Bürger- meister Beer ; die Aufhebung der Grund- und Gebäudesteuer gleiche no nicht einmal die Lasten der fozialpolitishen Gesetzgebung aus, die do

eigentli von der Gesammtheit der Bevölkerung nah Makßgabe der 6;

fommensteuer getragen werden müßte. Redner tritt dann für ein,

Beseitigung der gemifchten Transitläger und für eine ftrengere Ab

sperrung gegen Viehseuchen ein. t:

stei Minister für Landwirtbschaft 2c. Frciherr von Hammer- ein:

Der geehrte Herr Vorredner hat zunächst die Transitlager berührt Die Frage is durch die einzelnen Bundesregierungen eingehend d prüft. Die Schlußentscheidung über die Aufhebung der größeren Zah der gemischten Transitlager liegt augenblicklich beim Bundesrath Wenn nicht die Entscheidung {on getroffen ist, so wird sie iweifelloz in nächster Zeit erfolgen.

Wegen der Zollkredite find, \oviel ih weiß, Erwägungen im Gange, die noch nicht abgeschlofsen sind.

Meine Herren, auf die Handhabung der Veterinärpolizei hier näber einzugehen, dazu ift die Zeit doch s{chon zu weit vorgeschritten, Ich bitte, daß diejenigen Herren, welche ih für die Frage interessieren vie Verhandlungen einsehen, welhe wegen der Interpellation Ring und bei der Generaldiéfussion über den landwirthschaftlihen Etat im Abgeordnetenhause in cingehendster Weise gepflogen find, Daraus werden Sie die Ueberzeugung gewinnen, daß die landwirth, schaftlihe Verwaltung innerhalb des Rahmens der Vertragspflichten und auf Grund der bestehenden Gesetzgebung in Uebereinstimmung mit der Reichêregierung und in Uebereinstimmung mit meinen übrigen Kollegen im Ministerium auf das strengste gehandhabt wird. Wenn der Herr Vorredner die Forderung aufstellt, es sollen dur veterinäre Maßregela die deutschen NVichbestärde überall immun erkalten werden, so ist das eine Forderung, die kein Landwirth \{hafts -Minister erfüllen kann. Es treten, wie bei den Menschen, so au bei den Thieren ftets erneut Seuchen auf, deren Ursprung überall nicht festzustellen ist. Ich habe bereits im Ab- geordnetenhause hervorgehoben, daß, wenn wir uns nit mit einer chineäshen Mauer gegen die Nachbarstaaten abs{ließen und das können wir doch bci den vorgeschrittenen Verkehrsverhältnifsen nicht —, so ist es unvermeidlich, daß hin und wieder eine Anfteckung vom Aus, land übertragen wird.

Im übrigen sind diejenigen Maßnahmen wir sind ja gegen das Ausland schon fast rund herum gegen Eingang lebenden Viebs gesperrt —, die erforderli find, um der Anfteckungsgefahr vom Aus lande dur geschlacchtetes Fleis vorzubeugen, in Vorbereitung begriffen, Sie sind erst ausführbar auch das babe ih bereits im Abgeord netenbhaufe dargelegt —, wenn auch bei uns im Inlande \sämmtlid zum Verbrauch bezw. in den Verkehr übergehende Fleisch allgemein einer vollständigen veterirärpolizeilihen, sanitären Untersuchung unter: worfen wird. Erst dann sind wir nah den bestehenden Vertrag verbältnissen befugt, auch tas auswärtige Fleish einer solen ftren geren Kontrole zu unterwerfen. Die Verhandlungen darüber, ob im Snlande solche Einrichtungen zu treffen find, \chweben. Wenn sie

zum Ziel führen, werden für auéländishes Fleish aus veterinär- und fanitätspolizeiliGen Rücksichten die nothwendigen Sperrmaßregeln ergriffen werden,

Auf weitere Bemerkungen des Herrn von Herzberg: Lottin erklärt der __ Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer: stein:

Herr von Hertberg stellte die Forderung, es solle die Veterinär- polizei wegen des Auslands so gehandhabt werden, daß vom Auslard Viebkrankbeiten niht mehr eingeshleppt werden können. Darauf habe id erwidert, das sei nur mögli, wenn man eine inesisde Mauer um Deuts&land ziehe. Den Verkehr mit dem Ausland können wir nicht unterbinden, und folange fol@er Verkehr bestehe, sei immer mögli, daß Viehkrankheiten vom Auéland eingesclepr! würden. Zweifellos kann dur Menschen, Viehtreiber u. \. w. von Ausland der Ansteckungsstoff der meisten Viehkrankheiten einges{leppt werden.

Freiherr von Durant tritt ebenfalls für die Beseitigung der Transitläger cin,

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Ih kann über die Sa(lage vielleitzt noch etwas Genaueres sagen. Son bor längerer Zeit hat die preußische Staatéregierung bein Bundesrath den Antrag gestellt : denjenigen Transitlägern, von dent man annahm, daf sie thatsählich in großer Anzahl vorhanden wärt welche garnicht ins Ausland exportieren, sondern ihr Getreide iz Snlande abscten, die Bifugniß der unverzollten Niederlage zu ent ziehen. Der Antrag hat zur Feststellung der thatsäc&lichen Verhält nisse geführt und auf Grund derselben if noch ein zweit Antrag gestellt worden, die Konsequenz aus dem ersteren : df jenigen Transitläger zu beseitigen, die thatsächlich die Natur einé gemishten Trarsitlagers nit haben. Dieser Antrag, unter Namkaft machung allcr derjenigen Städte, wo dies zutrifft, liegt gegenwärti im Bundesrath und wird in allerkürzester Zeit entschieden werter. Daneben läuft nun die zweite Frage, ob man noch einen Sárit weiter gehen soll und die Transitläger, nahdem der VFdentitäténa® weis aufgehoben ist, für Getreide und die sogenannten Muübhlenkonte aufhebt. Diese Frage hat sehr riel Schwierigkeiten, und namentliä bezügli der Mühlen wird von vielen Seiten fehr stark bezweiftl daß dies im Interesse der heimischen Lantwirthscaft licge- Darutl finden noch Erwägungen statt.

Nun fommt aber eine dritte Frage, die neuerdines dur (itl Antraa, der im Bundesrath eingebracht ist, angeregt worden ; dei Zu kredit für die Einfuhr von Getreide überhaupt aufzußeben; befanntis bestekt wie überhaupt bei jedem Import auvch anderer aaren {c seit dem Jahre 1818 ein sol&er 3-Monatékredit. Diese Frage y nun in der Vorberathung, urxd ih weiß nicht, welche Entscheld® \hließlich der Bundeérath in dieser Beziehung treffen wird. += Tendenz des Antragstellers geht tahin, den Import von Getre nit zu exlcihtern durch einen Kredit, den die Reichékafie gert” Ein großer Theil der gemi!chten Transitläger wird wcbl unter 0 g Umstänten aufgehoben, weil da die verbündeten Regierunces wesentlichen einig waren; tie audere Frage, ob überhaupt die Tran läger und auch selb die Müblenkonten aufzuheben und ob mai Kredit von 3 Monaten für den Import von Getreide beseitigen Wi ist jedoch noch durhaus unentschieden. E

Herr von Bemberg-Flamersheim tritt für die A Unterstützung des Wanderlebre1wesens ein, wokur namenilid fieinen Landwirthen geholfen werten fönne.

_ Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Ha TETIL : Ltás : Meine Herren! Ih erkenne an, daß das niedere Unterri“ wesen und die Einrichtung der Wanderlehrer eine hervorragt? E

mer

peatung für die Hebung der Landwirthschaft besizt. Das hat die Ziaatsregierung stets dadurch anerkaznt, daß fie seit langen Jahren, weit ihr Mittel für diesen Zweck zur Verfügung standen, in crheb- schem Umfang sowohl das untere Unterricßt8wesen wie au das ganderlehrerthum unterstüßt hat. Das ist au in der Rheinprovinz eschehen. Die Rheinprovinz bat, wenn ih nicht irre, alijährlih und auch ir dieses Jahr 15 000 bekommen, verlangt aber eine Erbôöhung der Zumme uin, wenn ih nicht irre, 25 000 Æ (von Bemberg: Um 10 000!) x4 war leider nit in der Lage, biefe Erhöhung zar Verfügung zu zeslen, mußte daher den Antrag aktlehnen. Da ter Herr Vorredner die Landwirthschaftskammern erwähnt hat, will ich darauf hinweisen, daß diejenigen Landestbeile, in denen Landwirthschaftekammern ins geben getreten sind, beinahe bis an die höchíte zuläffige Grenze des Grundsteuer-Reinertrags Zwangsbeiträge zu erheben beshlofsen haben, um für landwirthschaftlihe Zwecke in größerem Umfange Mittel zur Verfügung zu stellen. Selbst die nicht reihe Provinz Pommern hat ánen solchen Beschluß gefaßt. Nun möchte ih doch glauben, daß die Rheinprovinz, da sie die Landwirthschaftékammer abgelehnt hat, ihrerseits wie die vorerwähnten Landestheile vecpflihtet ift, aus eigenen Mitteln daëjenige aufzubringen, was für folhe Zwecke nöthig is. Jch bin nach den Grundsäßen, die diéher bei der Vertheilung von landwirthschaftlichen Beihilfen ir landwirthshaftlihe Zwecke befolgt sind, gezwungen, bei Ver- theilung von Staatszushüssen die eigenen Leistungen der Be- theiligten besonders in Betracht zu ziehen. Ich werde daher fünftig die östlichen Provinzen, welche die Landwircthschaftékammern ange- nommen haben und daturch in der Lage sfiad, erhebliche Mittel ir landwirthschaftliche Zwecke aufzubringen, besonders berüdcksihtigen. Dadurch müssen si aber naturgemäß diejenigen Zuschüsse vermindern, welche denjenigen Landestbeilen zu theil werden, wo feine Landwirth- shaftskammern bestehen, und die bestehenden Zentralvereine entweder nicht gewillt oder niht in der Lage sind, größere Mittel für ihre Zwecke zur Verfügung zu stellen. Infolge dessen liegt die Gefahr nahe, daß diejenigen Landestheile, welche bisher die Ercichtung einer Landwirth- ihaftskammer abgelehnt haben, nicht durch mein Verschulden, sondern deshalb, weil sie niht in der Lage sind oder nicht gewillt sind, größere Mittel für ihre Zwecke aufzubringen, bei der Vertheilung der öffent- lihen Mittel künftig \{lechter gestellt werden.

Im übrigen hat der Herr Finanz-Minister ih bisher stets bereit fnden lassen, im Fall des nachgewiesenen Bedürfnisses Mittel zur Hebung der Landwirthschaft zur Verfügung zu tellen, so weit es die allgemeine Finanzlage gestattet. AuH der vorliegende Etat ist wesentlich erhöht. Wenn alfo die Pro- vinzen, die Landwirthschaftékammern selbst, ihre Mittel für solche Zwecke verftärken, fo gebe ih mich der Hoffnung hin, daß mit Rück- iht darauf auch eine Verstärkung der Mittel des Staats für land- wirtbshaftlihe Zwedcke erfolgen wird. Der Herr Finanz-Minister Hat in dieser Richtung stets sih willfährig erwiesen, das auch wiederholt im Landtag au8gesproŸen.?

Herr von Bemberg-Flamersheim betont, daß die Pro- vinzen nur dann genügend für folche Angelegenheiten eintreten könnten, venn auch der Staat sie unterstüße.

__ Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- stein:

Meine Herren! Ih erkenne an, daß die rbeinishe Provinzial- verwaltung für die Landwirthschaft stets eine offene Hand gehabt hat ; aber ih kann nit anerkennen, daß dies allein in der Rheinprovinz der Fall if. Fast alle übrigen Provinzialverwaltungen thun dasselbe. Beispielsweise sind die Wintershulen der Provinz Hannover anfäuglich ohne irgendwelchen Staatszus{uß, allein aus Mitteln der Provinzialverwaltung, ins Leben gerufen. Für die Pensionierung der Lehrer und deren Verforgung u. \. w. hat die Provinz erbeblihe Mittel aufgebracht.

Herr von Klißing empfiehlt eine bessere Besoldung der Departe- mentê-Thierärzte, deren Thätigkeit für die Seuchenverhinderung noth- wendig sci, und eine strengere Sperre gegen Seucheneins{chleppung aus dem Auélande.

_ Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- stein:

Meine Herren! Mit dem Wunsche des Herrn Vorredners, die Thicrärzte, während sie dienstlich thätig find und im Fall der Emeritierung besser zu stellen, kann i mich nur cinverfianden er- klären. Hervorragendes ist auf diefem Gebiete bereits geleistet; daß der thierärztliche Stand sozial und wissenshaftlih in den leßten Jahren wesentlih gehoben ist, daß die Gehälter bereits wesentlih gebessert find, ist eine unbestreitbare Thatsache. Vergleichen Sie vor 20 Jahren mit jezt! Auch in dem gegenwärtigen Etat ist eine Verstärkung der Mittel fr Alteréversorgung der Thierärzte eingestellt, sind neue Stellen begründet u. f. w. Jch werte das Ziel, das ih für ein durchaus rihtiges halte: die Thierärzte unabhängiger zu stellen, sie in ihrer fozialen Stellung ¡u verbessern, für ihr Alter zu sorgen, im Auge bedalten. In der Verfol- gung dieses Ziels hänge ih von dem Herrn Finanz-Minister ab. Auf die übrigen, vom Herrn Vorredner angeregten Fragen wird mein Kommissar, Herr Geheimer Rath Beyer, antworten.

__ Virklicher Geheimer Ober-Regierungs-Rath Beyer führt aus, daß gegen Seuchen, namentli gegen Maul- und Klauenseuhe, dur Quarantäne-Makregeln genügend Vorsorge getroffen sei und day au

im Inlande dagegen streng eingeshritten werden müsse.

Beim Etat der Gestütsverwaltung erklärt auf eine Anfrage des Herrn von Klißing der

_ Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- stein: ;

Jh erwidere, daß die Regierung beabsichtigt, das Gestüt in Neu- stadt wieder zum Hauptgestüt zu erheben. Es werden alljährlih von Gradiy nah dort Hengste und Stuten abgegeben. Es wird Ihrem Wunsch demnächst entsprechen werden.

_ Darauf wird die weitere Berathung um 51/2 Uhr bis Itellag 11 Uhr vertagt.

G t. L: „Veröffentlihungendes KaiserlihenSesund- guts, vom 25. März bat folgenden Inhalt: Gesundheits- Chol und Gang der Volkskrankheiten. Zeitweilige Maßregeln- gegen (F era 2c, Desgl. gegen Gelbfieber. Gesctzgebung u. 1. w. tg dsen). Geheimmittel. (Mecklenburg-Schwerin). _Maul- und Sg enseuche. (Jtalien). See- Sanirätsreglement. (Schluß). Mid Kanton Freiburg). Arzneimittel. E (Belgien). Kaffee. in ge nisterium für Handel und Gewerbe. Gang der Thierseuchen Bul umänien, 4. Vierteljahr. Desgl. in Serbien. Desol. in garien, Zeitweilige Maßregeln gegen Thierseuchen. (Deutsches

Rei, Preußen, Finland). Verhandlungen von geseßgebenden Körper- aften, Vereinen, Kongressen u. \. w. (Deutsches Reich.) Impfgesep- Nahrungêmittelkontrole. (Großbritannien.) Nahrungéêmittel 2c. Z Vermischtes. (Arabien.) Quarantäne-Anstalt El. Tor, 1895. (Vereinigte Staaten von Amerika.) Feuerbestattung. Unterleibs- typhus. Jmpfwesen. Wochentabelle über die Sterbefälle in deutschen Orten mit 409090 und mehr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Deegl. in deutschen Stadt- und Landbezirken. Witterung. Grundwasserstand und Bodenwärme in Berlin und Münwen, Januar.

Statistik und Volkswirthschaft.

DieEntwickelung der niederlausizerSchafwollindustrie. (S. Nr. 75 d. BL.) TL*)

Das innere Leben in der niederlausißzer Industrie war an vielen Orten bis in die 40er Jahre unseres Jahrhunderts hinein noch fast ganz von den ua beberrscht. Im Jakre 1844 waren z. B. in Sorau die 85 Tuchmachermeister noch sämmtli zünftig, und in Forst arbeiteten 1847 erst 4 nit zünftige Meister. Alles, was mit der Innung zusammenhing, stand noch unter der strengsten Zucht der damaligen vier Beamten der Innung: Sprech- meifter, Wollshauer, Dickschauer (dieser kontrolierte das gewebte Tuch) und Meßmeister (kontrolierte das gewalkte Tuch). Freilich machte ih doch auch daneben die nah Freiheit verlangende Tagesstrôömung geltend. Die Einführung der Grünberger Statuten im Jahre 1830, welhe alle biéherigen Reglements und Schauordnungen auflôsten, aus den Innungen freie Privatvereine machten, welhe alle verwandten Gewerbe aufnehmen konnten (Tuch- macher, Spinner, Färber, Bereiter), die bisberigen Ehrenämter des Aeltesten 2c. in besoldete Aemter des Vorstandes 2c. ver- wandelten, der ükerall stillschweigend geduldete Brauch, gleichzeitig

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mehrere Lehrlinge zu halten, einen Theil der Lehrzeit zu erlassen, Lehrbriefe nur noch auf ausdrücklihen Wunsch auszustellen, die Ber- \{melzung der beiden Meisterklassen in eine (Meister erster Klasse waren nur die Söhne von Meistern) u. \. w.: alles das waren Kon- zessionen an den Zug der Zeit. Dieser fand au seine Sanktioa ia der Gewerbegesezgebung vom 17. Januar 1845, die ganz auf dem Boden der Gewerbefreiheit stand, alle in einzelnen Landestheilen noch bestehenden Beschränkungen des freien Betriebes beseitigte, aber, um „in den Innungen eine sittliche und dem Gewerbewroesen förderlihe forporative Organisation herbeizuführen“ , insbesondere die Ausbildung der Lehrlinge zu heben fuchte. Wohl waren die Be- stimmungen alle gründlih erwogen ; allein es folgten keine rubigen Zeiten, in denen man sie auf ihren Werth ervprobea fonnte: 1845 und 1847 die Krisen, 1848 die revolutionäre Bewegung. In zahlreichen Petitionen an die preußische Nationalversammlung klagten die Gewerbetreibenden darüber, daß die Gewerbefreiheit die Schuld aller Mißstände sei. Dieser Unzufriedenheit machten endlih die beiden Verordnungen vom 9. Februar 1849 ein Ende. Sie enthielten eine weitgeh:nde Beschränkung der biéherigen Gewerbefreiheit im Sinne der Entfaltung und Kräftigung des Handwerkerstandes. Wie bei vielen anderen Gewerben wurde auch für Tuchmacher und Tuchbereiter der selbständige Gewerbebetrieb abhängig gemaht von der Mitgliedschaft bei einer Innung (nah vorhergegangenem Befähigungsnachweis) oder dem Befähigungsnahweis, der vor einer Prüfungékommission geleistet war. Zur Meisterprüfung follte nur zugelassen werden, wer mindestens 24 Jahre alt war, sein Gewerbe bei einem felbständigen Meister gelernt und die Gefellenprüfung seit mindestens drei Jahren bestanden batte. Als Regel wurde die dreijährige Lehrzeit angenommen. Gesellen und Gehilfen durften zunächst nur bei Meistern ihres Hand- werks in Arbeit treten. Fabrikinhaber durften Handwerksgesellen nur zur unmittelbaren Erzeugung und Fertigstellung ihrer Fabrikate, so- wie zur Anfertigung und Instandhaltung ihrer Werkzeuge benugen u... 2.7. Sun ved ver Ueberwahung der Befolgung diefer Vorschriften, sowie überhaupt zur Förderung der allgemeinen Interessen des Handwerks- und Fabrikbetriebs wurden Ge- werberäthe eingeseßt, die, zu gleihen Theilen aus dem Handwerker-, Fabrik- und Handelsstande gewählt, mit weit- gehenden obrigkeitlihen Befugnissen ausgestattet waren. Nach dem Erscheinen dieser Novelle entstand zunächst wieder ein lebhafteres Interesse an den Innungen. Andererseits stieß das neue Geseß mit seiner weitgehenden Beschränkung doch auch auf Widerstand. Vor allem wunden auch seitens der Innungen die Bestimmungen über Gesellen- und Meisterprüfungen sehr hart und unpraktisch befunden und durch alle Instanzen von den Innungen bekämpft. Fortgeseßte Angriffe richteten sid auch gegen die Vorschrift, nur einen Lehrling halten zu dürfen. Wenn der Kamvf nie ein sehr heißer geworden ift, fo war dies der liberalen Praxis der Behörden zu verdanken. Die Bestimmungen des Geseßes wurden nicht streng durhgeführt, ja, gar manche Vorschrift blieb nur auf dem Papier stehen, weil es viel zu wenig Gewerberäthe gab, deren Befugnisse noch dazu recht unbestimmt s\tipuliert waren. Man umging die strengen Paragraphen bezüglich der Zahl der zu haltenden Gesellen und Dele linge, indem man sih, um die zahlreihen Bestellungen erledigen zu fönnen, mehr und mehr freie Arbeiter für die einzelnen Handgriffe in der Fabrikation anlernte. So gehandhabt, blieb denn auch das Gese mit einigen fleinen Abänderungen in liberalem Sinne bestehen, bis die Gründung des Norddeutshen Bundes ein anderes nothwendig mate, welches die Tuhmacherinnungen der Niederlausitz jedo so wenig wieder auf den Standpunft älterer Zeiten zurückführen konnte, wie es Entstehung und erstes Wachëthum der Großindustrie auf diesem Gebiet gehindert hat. : |

Bei den s\tetigen Fortschritten der Wollproduktion und der maschinellen Technik war man \{hon um die Mitte dieses Jahrhunderts vielfa von der Herstellung der groben, glatten Dikttuche abgekommen und mebr und mehr zur Fabrifation einer feineren, leihteren Waare, tuchartig und gemustert, übergegangen; und bei aller Gediegenheit und Schönheit mußte zugleih möglichst billig produziert werden. Auf zweierlei Weise suchte der Fabrikant das zu erreichen : durh fkauf- männische Berehnung und durch Konzentration ber einzelnen Arbeits- prozesse in einer Hand. Die neue Produktion erforderte aber auch Aenderungen im tehnishen Betrieb. Schon das bisherige Produkt des fleinen Handwerkers, das glalte Tuch, ey ol an Breite und Reinheit zu wünschen übrig. Dec Großbetrieb mit seiner regelmäßiger gearbeiteten Waare hatte \sich von Anfang an leistungsfähiger gezeigt und, wo es zum Kampfe fam, gesiegt. Wer aber gar Modestoffe produzieren wollte, mußte sich breite Webstühle, Nähmhäuler, Rauhmaschinen, Scher- maschinen u. #. w. anschaffen. Das aber konnte oft son aus râum- lien Gründen der fleine Fabrikant nicht tbun, Vor allem aber fehlten ihm auch die Mittel, diese Veränderung, die viel kostspieliger als die vorangegangenen war, durchzuführen. Es gilt das gerade von dem Theilprozesse, der als Zweig der Hausindustrie bislang dem

- feinen Meister geblieben war, der Weberei. Waren hon die ein-

maligen Anschaffungékosten für die Stühle zu Musterstoffen sehr er- bebliche, so stellten sih gar die Betriebskosten, besonders zuerst, ganz unverbältnißmäßig höher als bisher. Die für tuchartige Wollstoffe, wie sie nunmehr in der Nieder-Lausiß gefertigt werden, besonders iofe edrehten Garne zerreißen leiht und wachen geshickte Hände, peinlichfte Aufmerksamkeit undtroß alledem noch öfteres Anhalten des Stuhls nötbig. Die im Jahre mindestens zweimal erforderliche Neueinrihtung des Stuhls (einmal för Sommersachen, das andere Mal für Wintersachen), die nur ein tüchtig ges{ulter Werkmeister oder Direktor ausführen fann, bedeutet eine weitere Erhöhung der Kosten. Kurz: der kleine Hand- werker kann niht mit; er muß dieses Arbeitsfeld dem fapitalkräftigeren

*) Staats- und sozialwissenshaftliche Forschungen, herausgegeben pon Gustav Schmoller. Band XI1T11, Hest 3. 298 S. Verlag von Dundcker u. Humblot in Leipzig.

Fabrikanten überlafsen, der, um an Betriebskosten möglichst zu sparen, von vornherein für den Absaß im Großen arbeitet. Dem kleinen Meister bleibt nur noch die Fabrikation glatter Tücher für einen minimalen Export und -s{chwachen Mefßabsaß ; aber Geshmadck der Zeit und die allseitige Ueberlegenheit der Grofindustrie auch auf diesem Gebiete lassen dieselbe von Jahr zu Jahr kleiner werden. In dem Maße aber, in dem die Fabrikation von glatten Tuchen abstirbt, ver- ringert sich auch zusehends die Zabl der selbständigen Meister mit kleinem Betriebe. Die Zahl der Fabriken, in denen die Wolle alle einzelnen Stadien des Umwandlungsvrozesses durchmaht, und noch mehr die Zahl der Lohnarbeiter wächst. Der Periode der Dezentrali- sation ift eine Periode der Zentralifation gefolgt. So zählte z. B. Sommerfeld : (E. Getifen U. as g S Ania U. z Meister ehrlinge e Cu Meister ebrlinge i. Jahre (Fabrikbe- (Arbeit.u.Ar- | " Jahre (Fahrikbe- (Arbeit. u.Ar- fißer) beiterinnen) figer) beiterinnen) 1827 104 mit 109 1853 110 mit 700 1828 109 z 104 (bereits 1840 120 f 180 13 Fabriken) (darunter be- 1854 120 Z 500 reits 1Fabrif) 1855 115 2 550 1841 112 170 1856 ca. 600 1842 118 195 1857 L 600 1843 160 240 1858 s 600 (2 Fabriken) 1859 7 600 1844 140 275 1860 z 600 1845 145 269 1861 y 500 1846 199 280 1862 L 550 1847 140 386 1863 s 550 1848 145 340 1864 Ï 700 1849 150 350 1865 ; 750 1850 150 400 1866 ¿FUDO 1851 150 „00 1867 s 350 1852 148 637 1869 1000. (9 Fabriken)

Darnahh hat in den ersten 25 Jahren der Zentralisation (Ende der vierziger bis zur Krisis Anfang der siebziger Fahre) die Zahl der selbständigen Meister um ca. 690%/9 abgenommen, die Zahl der Lobnarbeiter dagegen um ca. 250 9/9 zugenommen. Fn Guben, wo 1843 die erste Fabrik gebaut worden war, zählte man

im Jahre selbständige Meister Gesellen Arbeiter

1849 64 352 157

1852 58 505 194

1861 52 (8 Fabriken) 239 214.

Mit Vorliebe gründen Aktiengesellschaften die gewaltigen Unter- nehmungen, weil sie neben der Möglichkeit des ausgedchntesten Be- triebs noch den Vortheil des beshränkten Risikos haben. Der leßtere Umstand ist auch maßgebend gewesen beim Bau von Fabrikräumen zu Pacht und Miethe, die von nun an in einzelnen Städten, wie Kottbus und Guben, besonders aber in Forst, entstehen. Hier werden von Branchekundigen oder auch bloßen Kapitalisten neue Fabriken nur daraufhin gebaut, daß man zwei Drittel von Raum und Kraft an unternehmungslustige Anfänger verpachtet, die oft fkleine, anz unbemittelte Gewerbetreibende, niht nur Tuhmacher von Beruf, sondern auch Professionisten jeden Standes die Buskin-Fabrika- tion und Erzeugung anderer, durchweg billiger Wollwaaren in kleinerem oder größerem Umfang für eigene Rechnung übernehmen. Besonders fleinere Betriebe mit zwei bie? sechs meist mechanischen Stühlen ent- stehen auf diese Weise in jedem Jahre. Das Garn beziehen sie von den Lohnspinnereien im Ort, und die Lohnappreteure vollenden das Gewebe. Neben diesem Bastard von Klein- und Groß- industrie existieren also auch noch Lohnbetriebe für Spin- nerei, in Sorau sogar eine Genofsenshafts\spinnerei, Walke und Appretur als weitere Repräsentanten kleinerer Betriebsformen für die einzelnen Theilprozesse. Einen bemerkbaren Einfluß auf die heutige Arbeitstheilung in der Industrie und auf den Umfang der Produktion haben sie indeß nur in Kottbus und Forst. Nur hier, in diesen rastlos fortshreitenden Städten, die fast immer Arbeit haben und immer Arbeit brauchen, finden fie noch neben dem Großbetrieb eine lohnende Existenz. Ja, durch Fleiß und Sparsamkeit bringen sie es zuweilen noch heute dahin, ibren Betrieb zur vollständigen Fabrik zu erweitern. In Forft z. B. wurden beschäftigt

kfomplett. Pacht- Lohnspinnerei., A Jah Tuch- Arbeiter | Etablisse- Arbeiter | Walken, kter SAHre | fabriken ments | Appretur E 1884 47 4092 102 TOOO 24 287 1886 96 4704 106 1855 | 32 350 1887 60 4940 107 1904 34 387 1888 66 5188 123 1947 64 552 in Summa an Arbeitgebern Arbeitern 1884 173 6962 1886 194 6909 1887 201 (291 1888 253 7687. Für Weberei besteht in der Nieder-Lausiß seit den ahtziger Jahren nur noch ein Lohnbetrieb: die Lohnweberei zu Spremberg, die zum theil für dortige, zum theil für Berliner Firmen arbeitet. Alle die E kleineren Unternehmungen bleiben indeß für das Gesammt- ild ohne Belang. Dieses erhält feine Physiognomie dur die große, alle Arbeitsprozesse bis auf die Karbonisation in sih vereinende Fabrik, durch die Fabrik, die unter dem Druck der immer stärker werdenden Konkurrenz in ihrer kaufmännischen Leitung und technischen Ausstattung sich jeden möglichen Vortheil zu Nutzen macht.

Einer der Faktoren, welhe auf die Entwickelung der hier be- handelten Industrie von großem Einfluß gewesen sind, is im BVor- stebenden nur beiläufig erwähnt worden, nämlih die Erzeugung des Rohmaterials, aus welchem die altehrwürdige Industrie ihre Fabrikate ursprünglich allein und noch heute zum großen Theil herstellt, Umfang und Werth der Schafwollproduktion und des Wollverbrauhs in Preußen, Deutschland und den überseeishen Ländern; davon wird ein weiterer Artikel handeln.

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Handel und Gewerbe.

St. Petersburg, 27. März. (W. T. B.) Der „Russischen Telegraphen- Agentur“ zufolge verlautet aus zuverlässiger Quelle über die beabsi(tigte Münzreform: Es solle eine neue Goldmünze von einem Metallwerth, der dem jeßigen Werthe des Papiergeldes gleich- fommt, eingeführt werden. Die neue Zehnrubel-Goldmünze solle unbe- \chränkten Kurs haben, Silbermünze nur bis zum Betrage von 50 Rbl. als Zahlungsmittel angenommen zu twerden brauchen. Die gegen- wärtige Goldmünze (Imperials und Halbimperials) solle nah dem Rerhältniß in Zahlung genommen werden, daß Nubel der neuen Münze auf einen alten Rubel kommt. Kreditbillets sollen nur zu kommerziellen Operationen der Reichsbank ausgegeben werden. Von der neuen Goldmünze sind 750 Millionen Rubel geprägt und gestern von der Münze nah der Reichsbank geschafft worden.

Amsterdam, 26. März. (W. T. B.) Fava-Kaffee good ordinary 51. Bancazinn 36}.

New-York, 26. März. (W. T. B.) Waarenbericht. Baumwolle - Preis in New - York 78/16, do. do. in New- Orleans 78, Petroleum Stand white in Neto - Vork 7,20, do. do. in Philadelphia 7,15, do. rohes (in Cases) 8,10, do. Pipe line Certif. pr. April 130, Schmalz Western steam 5,37, do Nobe & Brothecs 5,65, Mais pr. März 37}, do. pr. Mai 358, do. pr. Juli 368, Rother Winterweizen 81s, Weizen pr. März 708, do. pr. April 708, do. pr. Mai 704, do. pr. Juli 69}, Getreide- fraht nah Liverpool 14, Kaffee fair Rio Nr. 7 13}, do. Rio Nr. 7 pr. April 12,75, do. do. pr. Juni 11,95, Mehl, Spring - Wheat clears 2,60, Zucker 33, Zinn 13,35, Kuvfer 10,75.

Chicago, 26. März. (W. T. B.) Weizen pr. März 62, do. pr. Mai 634, Mais pr. März 284, Schmalz pr. März 5,07, do. pr Mai 5,15, Speck short clear 4,75, Pork pr. März 8,70,