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U E E S E M I A » Pes ¡ s E — P E O S 1 E E E I S I R e S N N E ‘ ,
Es folgt die erste Berathung der von den elsässischen
Abgeordneten und den Sozialdemokraten beantragten -
eyßentwürfe über die Einführung des Preßgeseßes in Erla -Lothringen. | f s
Abg. Winterer (b. k. f weist darauf hin, daß die Einführung des Prefgeseßes vom Landesaus\huß verlangt worden sei, au von den altdeutshen Mitgliedern desselben. Die bestehenden alten Vorschriften aus der Zeit Ludwig's X1V., aus der Zeit der Republik, des ersten und zweiten Kaiserreichs S378 ein unentwirrbares Gemish von Be- ftimmungen, die den Verbältnissen der jeßigen Zeit nicht entsprächen. Das bestehende deutsche Preß ese [e dem Reichstage Es es erde L QRGD-Zotdrinaen n bt s{ädliher sein als für das übrige
euts{land. G Abg. Bueb (Soz.): Das warme Herz der Parteien für Bas Lothringen zeigt sich gerade niht in der Beseßung des Hauses. Berei 1876 Péltitinete Dr. Paul Kayser in Shmoller's -, Jahrbuch“ die i i Sb a A Vorschriften, welhe im Elsaß gelten, als einen bereits f erwesung übergegangenen Leichnam. ie Drudckercien sind kon- zessionspflichtig, die Blcibrudereibel er werden vereidigt, daß sie niht dem Staat und den Souveränen Nachtheiliges druden wollen; zue müssen den Befähigungsnachweis erbringen, ihre Verfassungstreue be- weilen, Anzeige von jedem Druck machen. Buchhandel und Kolportage, insbesondere der Vertrieb der Zeitungen, \teht unter der Willkür der ard Die Richter bieten dagegen keinen genügenden Schuy. edner schildert eingehend, wie die „Volkszeitung“ in Mülhausen unter- drückt worden sei; die Neuherausgate einer anderen Zeitung sei nicht gestattet worden, troßdem es zur Begründung einer Zeitung eigentli ar keiner Genehmigung bedürfe. Bei solhen Zuständen in der Presse fei es verständlich, daß die Germanisierung keine Fortschritte gemacht habe. Selbst die „Münchener Neuesten Nachrichten" hätten sich gegen diese Preßzustände ian ausgesprochen. Me Kaiserliher Ministerial-Nath Halley: Die Richter haben all- gemeine Anerkennung im Lande gefunden; daran werden au die An- griffe des Vorredners nihts ändern. Die Schilderungen des Vor- redners waren nit {ön, aber sie waren auh nit rihtig. Die Polizeiwillkür b®rrsht nicht absolut; denn über die Presse haben allein die Richter zu befinden und das Verfahren i mit allen Kautelen der Rechtsprechung umgeben. Die Zahl der politischen Blätter hat sich seit 1871 erheblich vermehrt; wenn sich so viele Leute zur Gründung neuer Blätter entschließen, so muß es doch mit der Willkür der Polizei und der Gerichte niht so s{limm stehen. Die Sprache der elsässisGen Presse steht auch an Ungebundenheit der der alt- deutshen Presse niht nah. (Nedner verliest einige Aeußerungen aus der elsässis@en sozialistisGhen Presse, die hari an die Grenzen des Strafgeseßbuches heranreichen.) Wifssentlih Unrecht geschieht im Reichslande Keinem. Die „Elsässishe Volkszeitung“ in Mülhausen wurde unterdrückt, weil sie das Andenken des Stifters des Deutschen Reichs besudelt hat. Die alten bestehenden Gesehe sollen allmählich langsam dur die deutschen Geseße erseßt werden. Einige lande8geseßz-
" liche Bestimmungen können wir unter den bestehenden Verhältnissen nicht
entbehren ; das bezieht fich namentlich auf die Behandlung der aus-
ländischen Presse. Wir haben es hier mit einer von außen kommenden
antideutshen Agitation zu thun; die Regierung muß in der Lage sein,
{nell und wirksam dagegen einschreiten zu können. Das ist auf
Grund des Reichs-Preßgeseßes niht möglih. Deshalb kann die elsaß-
Le Regierung die Einführung des Reichs-Preßgeseßes nicht gen.
Abg. Dr. von Marquardsen (nl.): Wir werden au diesmal unfere Stellung zu diesem Antrag niht ändern; der Grund dafür ift in den leßten Worten des Regierungsvertreters enthalten. Glaubt die Regterung das Preßgeseß auf ihre eigene Verantwortung einführen zu können, so werden wir sehr gern mitarbeiten; denn eine Verschiedenheit der Geseßgebung is nicht angenehm. Aber die elfässishen Verhältnisse erfordern eine besondere Befugniß der Re- gierung. Wir werden den Tag mit Freuden begrüßen, an dem es möò li sein wird, das Preßgeseß dort einzuführen. Das if} auch die Anschauung eines alten Mitgliedes der nationalliberalen Partei, des jeßigen Staatssekretärs in Elsaß-Lothringen von Puttkamer.
Abg. Prinz zu Hohenlohe - Schillingsfürst (b. k. F.): Nachdem zwei Redner zum Wort gekommen sind, welhe mit den Zuständen niht zufrieden sind, möchte ih das Wort nehmen, der ich mit den Zuständen etwas zufriedener bin. Ich halte es auch für wünschenswerth, daß wir in absehbarer Zeit in Elsaß - Lothringen zu normalen Zuständen kommen, daß namentlich die französischen wig A abgeshaf}t werden. Ih muß mich wieder dem Borwurfe des Herrn Bebel auësseßen, aber ih kann nur wiederholen, was ih fchon einmal gesagt habe. Die Bevölkerung Elsaß-Lothringens hat mehr Interesse an dem- Preise des Roggens als an allen \taatsreht- lichen und politischen Fragen. Herr Bebel bedauerte es, daß die Agaler folche Materialisten find, und meinte, die Bevölkerung würde sich für diese Schilderung bedanken. Aber es ist kein Widerspruch seitens der Bevölkerung gegen meine Auslassungen erfolgt. Ih muß es be- zweifeln, daß die Bevölkerung ein großes Interesse an den vor- liegenden Anträgen hat. Die große Mehrheit derselben steht a dem Standpunkt, daß sie -sagt: Die Preßgeseßgebung geniert das zeitunglesende Publikum niht, und das Publikum sagt ferner: eine eitung ist ein Geschäft wie j:des andere; wer das Geschäft unternimmt, hat sich den Vorschriften der Gesezge zu unterwerfen. Die Zeitungen bestehen trotz S Vorschriften, und sie werden bestehen. E wäre in diesem Augenblick bedenklih, ein neues Brendel s einzuführen, ohne irgend welche besondere Kautelen zu hafen, und zwar im Interesse der Bevölkerung selbst; denn diese würde darunter leiden, daß den R aus dem Auslande Thür und Thor geöffnet würde.
ie Fe s{chwärmen auch nicht ernsthaft für ein neues Preßge eß, denn sie stehen sich jet besser, weil - die
onfurrenz keine so große ist. Sobald das Preßgesey eingeführt würde, würde eine Menge von kleinen Blättern Sbtiehen, In Frank- reich sind die Zustände auch nit besser als in U otra, Im Gegentheil, sie find noch s{limmer. Denn dort hat das Ministerium vor wenigen Jahren erft -das Recht erhalten, jede in fremder Sprache erscheinende Zeitung zu unterdrücken. Davon is auch in Nizza einer italienishen Zeitung gegenüber Gebrauch gemacht worden. Allmählicch werden wir in absehbarer Zeit von den fran- zösischen Geseßen zu den deutschen übergehen. Aber im Augenblick kann das Reihs-Preßgesey nicht eingeführt werden. Wir müssen es der Regierung überlassen, wann sie dazu übergehen will.
Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Wir stimmen für den Antrag Colbus gans phrase und zwar um fo mehr, nahdem der legitime Ausdruck der öffentlichen Meinung in Elsaß-Lothringen, das einstimmige Votum des Landesausschusses, dort sich für diesen Antrag ausgesprochen hat.
/ Tui Fuchs (Zentr.): Das Preßgesey ift in Elsaß-Lothringen niht milde, sondern willkürlich ausgelegt worden, und es ist endlich an der Zeit, mit dieser Geseßgebung tabula rasa zu machen. Die C stellt ih ein sehr trauriges Zeugniß aus, wenn sie die Aufhebung so vorsintfluthliher Geseße für unmöglich hält. Die Auf- hebung des Diktaturparagraphen würde mehr zur F man erung yon Elsaß-Lothringen beitragen als das Preßgeseß, welches nur Erbitterung im Lande hervorgerufen hat. Die annektierten Elsässer würden dann wünschen, daß sie nicht Deutsche zweiter Klasse sind.
Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): Auch wir werden für den Antra stimmen. Für die Aufrcehterhaltung der Preßzustände im Elsaß i nicht ein einziger triftiger Grund angeführt worden. Die ange- führten Preßerzeugnisse sind jedenfalls das Schlimmste, was man hat herauskflauben fönnen, und wenn das Alles wahr ist, fo muß ih sagen: man leidet dort an einer Gespensterfurht. Wenn die 25 Jahre noch nit genügen follen, wie lange will man denn noch warten? Die Ausnahmestellung vershlechtert nur die Sache; aber man will s nicht von der Polizeimacht trennen.
_Die bag. Werner (Reform-P.) und Rickert (fr. Vgg.) erklären si ebenfalls im Namen ihrer Parteigenossen für den Antrag
Colbus.
Abg. Graf Limburg - Stirum (d. kons.): Ih möchte doch mit meinem Widerspru gegen die Majorität nicht zurückhalten. Ob
- Verwaltung und
unsere eigene Prefzgeseßgebung auf die Dauer mit einer geordneten e 25 Mlng verträglid ift, wird [bie gei lebren, Einem eroberten Grenzlande aber, in welhem man nah Frankreich blickt und dessen Tendenzen von Frankreih fortgeseßt unterstüyt werden, wird kein verständiger Politiker die Freiheit der Geseßz- gebung geben wollen, wie wir sie haben. Die Amalgamierung annektierter Länder hat oft länger gedauert als 25 Jahre. Sh werde gegen den A Colbus stimmen. Damit schließt die erste Lesung. Der Geseßentwurf, betreffend die A des un- lauteren Wettbewerbs, wird darauf in der Gesammtabstimmung
endgültig angenommen. i Schluß 6 Uhr. Nächste Sizung Montag 1 Uhr. (Zweite Lesung des Zukersteuergeseßes.)
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
66. Sißzung vom 8. Mai 1896.
Das Andenken des verstorbenen Abg. Engler (fr. kons.) ehrt das Haus in der üblihen Weise.
Zum Mitglied der Staatsschuldenkommission an Stelle des A Enen Abg. Dr. Sattler wird der Abg. Meßling (nl.) gewählt.
Zur dritten Berathung steht der Gesegentwurf, be- treffend die Reg as der NRichtergehälter.
Jn der Generaldiskussion bemerkt nach der gestern mitgetheilten Rede des Abg. Grafen Stirum der
Abg, Dr. Por\ch (Zentr.): Wir stimmen gegen den § 8, wir halten ihn nicht für die nothwendige ora bnd der Einfüh- rung der Dienstaltersstufen für die Richter. Die Beschränkung der Anzahl der Anwärter ift nicht eine Vorbedingung für das ganze Gese . Die Juristen werden lieber den Nachtheil des Mangels der Dienstalterszulagen auf sih nehmen, wenn ihnen die Sicherheit bleibt, zum Justtzdienst zugelassen zu werden. Den Charakter der jungen Leute, namentlih der großen Mehrheit der Durhscbnittsmenschen, rihtig zu beurtheilen, ist fehr {wer. Man muß dem Mann doch die Möglichkeit geben, vorwärts zu kommen. Das Kronreht wird durch die Ablehnung des § 8 niht verdunkelt, diese Verdunklung ist Rd von keiner Seite beabsihtigt. Aus triftigen Gründen kann ein Referendar \chon ¡jeßt entlassen werden; auch der Assessor hat legt kein Recht, “ als Richter angestellt zu werden. Wenn die Anstellung aus nicht triftigen Gründen versagt wird, kann die Regierung vom Landtag interpelliert werden. Der Umstand, daß eine cinzige \{chlechte Note genügen kann, um einen Assessor auszuschließen, bringt die jungen Leute zum Streber- thum, und ihre ganze Charafterbildung wird dadurh beeinträchtigt. Die große Zahl kann man garniht genau kennen lernen, für die Ausschließung werden also in der Regel äußere Gründe maßgebend sein. Das Niveau für die Würde des Anwaltsstandes wird durch den § 8 herabgeseßt. Der Minister hat dieses Bedenken in be- shränktem Maße selbs zugegeben. Im Richterstande und im
ublikum wird man diesen Unterschied zwischen Richter und Anwalt ehr viel \härfer accentuieren. Man erweitert den {hon leider vor- handenen Gegensaß zwishen dem NRichter- und Anwaltstand, der letztere wird das Sammelbassin aller als minderwerthig erahteten Elemente sein. Ob dann noch andetke Elemente Neigung haben werden, in dieses Sammelbassin herabzusteigen, if mir sehr zweifelhaft. Auch für die Allgemeinheit ist dies bedenklih, denn die Rechtsprechung wird nicht allein durch * die Richter, sondern auch durch die Rechtsanwalte gesichert. Den Herren, welche gewisse Ele- mente, deren Nennung man sforsfältig vermieden hat, von dem Rechtöstudium überhaupt abshrecken wollen, bemerke ih, daß man diese ungenannten Elemente doch nicht abshrecken wird, Jura zu studieren, weil ihnen der Anwaltstand bleibt. Mit einer Erweiterung der Befugnisse der Anwaltskammern wird man auf diesem Gebiet gar nichts ausrihten, wenn man .die Herabseßung des Anwaltsstands verhüten will. Wie soll es in Zukunft mit der Stellvertretung der Rechts- anwalte gehalten werden? Werden die künftigen Privat-Assessoren auch für diese Stellvertretung Paten werden oder niht? Aus diesen Privat-Assessoren, die ja die Justizverwaltung nach Bedarf au noch als Richter anstellen kann, will man wohl eine Art Lazzaroni machen, die überall herumlungern und auf Anstellung oder eine Stell- vertretung lauern. Das wird eine sehr unglücklihe Klasse von Menschen werden.
Justiz-Minister Schönstedt:
Meine Herren! Die Anfrage des Herrn Abg. Dr. Porsch kann ih gleich dahin beantworten, daß ganz zweifellos diejenigen Herren, die nah § 8 des Entwurfs als „Assefsoren* der Zukunft bezeichnet werden, zur Vertretung von Nehtsanwalten geeignet sind. Sie be- sigen die nöthige Befähigung, und es wird für die Justizverwaltung kein Bedenken vorliegen, die Vertretung eines Nehtsanwalts durch diese Herren zu gestatten. Sie gehören unter allen Umständen zu denjenigen Personen, die einen zweijährigen praktischen Vorbereitungsdienft hinter sich haben. Sie erfüllen sogar noch höhere Qualitäten, da sie die große Prüfung bestanden haben und deshalb nah der Rehtsanwaltsordnung ohne weiteres qualifiziert sind, als Rechtsanwalte zugelassen zu werden. Ich wüßte also niht, weshalb die Justizverwaltung Bedenken tragen follte, einem folhen Herrn die Vertretung eines Anwalts, wenn sie nachgesucht wird, zu gestatten.
Abg. von Tiedemann - Bomst (fr. kons.): Wir stimmen e die Vorlage, weil die Vortheile der Besoldung nah diesem Geseh dem Richterstande niht verloren gehen dürfen. Die Herren, welche das Zustandekommen des Geseßes durch Negation in einzelnen unkten gefährden, sfollten sih darüber klar sein, daß sie diejenigen nd, die diese Vortheile dem Richterstande niht zuwenden würden. Schließlih müßte cs dann dahin kommen, daß nur noch wohlhabende Leute dieses Studium ergreifen können. Der § 8 ist eine Konsequénz dieses Gesetzes und steht mit ihm absolut im Zusammenhang. Ganze Klassen der Bevölkerung auszuschließen, ist nicht unsere Ab: siht, ih verwahre mich gegen die Unterstellung dieses Motivs. Das Streberthum is doch auch in anderen Ressorts niht vorhanden, wo die Auswahl der Beamten besteht. Wir wollen die Verdunklung der Krontechte nicht; wir geben dem Könige, was des Königs ist.
Abg. Hobreccht (nl.): Jh habe namens meiner Freunde zu erklären, daß wir heute ebenso stimmen wie in der zweiten Lesung, d. h. wir werden die Vorlage im übrigen annehmen, den § 8 aber ab- lehnen in jeder Gestalt, auch in der des Antrags der Konservativen. Die Motive, die uns Graf Limburg untershob, haben mich geradezu verblüfft; alle Redner dieser Seite haben das Gegentheil ausgeführt. Die Auswahl der Beamten ist ein Kronreht, das wir nit antasten wollen. Der § 8 geht aber viel weiter. Die Erwägung, daß wir mit der Ablehnung des § 8 dem Richterstande Vortheile vorenthalten, hat uns gerade verpflihtet, doppelt zu prüfen, ob wir einer Be- stimmung zustimmen können, die in dieser Form an uns herantritt. Gerade diese a hat uns am äußersten mißfallen. Wenn die Regie- rung das Gefeß nit unk des § 8 willen kaben will, hätte sie gerade den Verdacht ausschließen müssen, als hätte man hier irgendwie, rechts oder links, Geschäfte mahen wollen. Die Sache ist ganz verfehlt und unmöglich, und in der Verbindung ift sie uns erst recht un- annehmbar.
Abg. Klasing (kons.): Es ist uns nur um die Ausf{ließung der augenscheinlih ungeeigneten Elemente zu thun. Das ift eine noth- Denvage Vorausseßung für die Gewährung der Dienstalterszulagen.
die Regierung obne §8 das Gese niht annehmen kann, fo
zu Limburg-
werden die Vortheile dem Nichterstand entgehen, aber die Regierung wird auf dem Verwaltungswege einführen, was sie einmal für rihtig erkannt hat. Auch nah meiner Ansicht wird das Kronrecht durch die Ablehnung“ des § 8 verdunkelt. Die Bedenken des Abg. Porsch fallen fort, wenn nah dem Antrage der Konservativen die Aus. wahl schon bei den Referendaren stattfindet.
Abg. Rickert (fr. Vg.): Wir wissen, daß der Vorredner gewisse Klassen der Bevölkerung vom Richterstande auss{hließen will, und das wollen wir niht. Um eine Verdunklung der Kronrechte handelt es ih hier gar nit; und liegt sle vor, fo bat si die Regierung bisher daran betheiligt. Wozu also der Spektakel? Wir haben keine Ver- anlassung, von unserem früheren Votum abzugehen.
Abg. Oswalt (nl.) weist darauf hin, daß shon jeßt der Minister das Recht hat, Unwürdige von dem Richterstande auszuschließen ; weitere Befugnisse dürfe er aber niht haden, wie man es beab-
tige. :
i Nbg. Traeger (fr. Volksp.): Mit Recht sieht man in diesem Gese und speziell im § 8 ein Attentat auf die Unabhängigkeit der Richter. Dieser § 8 hat mit dem Geseyß selbst niht das Mindeste zu thun, wir werden gegen denselben stimmen und gegen das ganze Gesetz, falls er wieder hergestellt werden follte. Justitia funda- moentum regnorum: wer die Unabhängigkeit der Richter antastet, tastet auch die Nechte der Krone an; man will die Verwaltungs- willkür unter dem Schuß der Krone ausüben, Die materiellen Vor- theile dieses Gesehes für die Richter mögen noh so groß sein, sie wiegen die Nachtheile des § 8 nicht auf.
Justiz-Minister Schönstedt:
Ich muß doch noch ausdrücklich Verwahrung einlegen namens der Königlichen Staatsregierung gegen den Vorwurf, welchen ihr der Herr Abg. Traeger gemacht hat, daß die Staatsregierung einen An- griff auf die Unabhängigkeit der Nechtspflege in ihrer Vorlage beab- sichtigt habe. J bin dem Vorwurf bereits einmal entgegengetreten und glaubte, es würde das genügt haben; weil er aber heute wieder- holt ist, muß ih auch meinen Proteft dagegen wiederholen.
Jch will nun noch einmal mit wenigen Worten fklarstellen, was die Negierung gewollt hat, obgleich es fast überflüssig ersheinen könnte: sie will mit dem § 8 ein weithin sichtbares Warnungszeichen aufstellen , welches deutlich erkennen läßt, daß niht jeder Ungeeignete und Unberufene nur die Hand außszustrecken brauht, um sich im höheren Justizdienst, im Richterstande ein künftiges Unterkommen zu fichern. Sie will auf diesem Wege erreichen, daß die Wohlthaten des Dienstalteräbesoldungs- Systems au den Beamten des höheren Justizdienstes zugänglich ge- macht werden, und sie glaubt, daß sie es auf diesem Wege erreichen kann. Das ift der von mir oft betonte Zusammenhang zwischen dem Gesetz, soweit es sh auf die Richtergehälter bezieht, und dem § 8. Wenn dieser Zusammenhang niht überall erkannt wird, ja, meirie Herren, ih kann es nicht ändern. Ich habe mein Möglichstes gethan, um das klarzustellen, und wenn jene Seite des Hauses fortwährend meinen Ausführungen sich verschließt, ih glaube niht {Guld daran zu sein.
Meine Herren, ih gebe dem Herrn Abg. Traeger zu, daß eine große Aufregung in weiten Kreisen gegen dieses Gesetz, insbesondere gegen § 8 sich gezeigt hat. Jh habe die Ueberzeugung, daß, wenn das Gesetz in Kraft getreten, sih diese Aufregung sehr bald legen würde. (Sehr richtig! rechts.) Jh will nit behaupten, daß sie irgendwie künstlich gemacht ift, aber daß sie in einer folchen Tiefe vorhanden ist, wie es hier dargestellt wird, das glaube ih nicht. Wenn das richtig ist, was mir von glaubwürdiger Seite mitgetheilt worden is, daß z. B. in der Versammlung der Berliner Anwaltskammer von den 600—700 hiesigen Anwalten nur 28 erschienen seien, die sich an dem Beschlusse betheiligt hätten, der die ganze Agitation bei den übrigen Anwalts- kammern ins Leben gerufen hat, so glaube ih, würde das do au ein Beweis dafür sein, daß die Bewegung niht eine so sehr tief gehende ist.
Wenn ich die Hoffnung hege, daß, wenn einmal das Gesetz in Kraft is und seine wohlthätigen Wirkungen auéübt, es sehr bald niht mehr so heftigen Angriffen ausgeseßt sein wird, wie sie gegen den Gntwurf erhoben werden, dann glaube ih mich darauf berufen zu können, daß ja ein ähnliher Nechtszustand in den meisten anderen deutshen Staaten besteht. Wenn Sie die Ihnen mitgetheilte Uebersiht aufmerksam gelesen haben, dann werden Sie anerkennen müssen, daß allerdings nicht in der Form, aber in ter Sache etwas Aehnliches in fast allen deutshen Staaten Rechtens ift, und ich glaube, Sie werden mir auch zugeben, daß in keinem dieser Staaten, wo ähnliche Einrichtungen z. Zt. bestehen, das Ansehen'des Richterstandes gelitten hat. Sie werden mir auch ferner zugeben, daß das Ansehen des Anwoaltstandes in diesen deutschen Staaten ebenso groß ift, wie in Preußen. Endlich aber werden Sie mir zugeben, daß ein Ergebniß dort erreicht ist von der bloßen Existenz dieser Bestimmungen, daß nämlich nirgend eine solche Ueberfüllung im Justizdienst besteht, wie bei uns. Dieser Ueberfüllung wollen wir uns erwehren, weil wtr nit glauben, sie ertragen zu können," ohne daß der Richterstand darunter leidet.
Der Herr Abg. Porsch hat freilih behauptet, es komme garnicht darauf an, ob der einzelne etwas länger warten müsse auf Grund einer folhen Ueberfüllung, wie wir sie vermeiden wollen. Nun, meine Herren, nicht der einzelne wird dadur getroffen, wenn der Zu- stand so bleibt wie er ist, sondern die Gesammtheit unserer richter- lihen Beamten, und wenn es bleibt bei der unbeschränkten Zulassung zum höheren Justizdienst, dann würden wir das, was wir mit der einen Hand durch diese Vorlage unferen Justizbeamten geben wollen, ihnen mit der anderen entziehen.
Der Herr Abg. Porsh hat auch- darüber gesprochen, ob es wohl recht sei z. B. den Sohn eines Wucherers aus dem Justizdienst zurückzuweisen; er sei do nit selbst unwürdig uxd brauche nicht für die Sünden seincs Vaters zu büßen. Ja, meine Herren, eine solche Beschränkung liegt nah den Ihnen durch den Herrn Abg. Oswalt mitgetheilten geseßlißen Bestimmungen gegenwärtig vor; nur die Unwürdigkeit des Kandidaten felbst \oll eine Zurülweisung begründen, und man fann diese Bestimmung vielleicht dahin auslegen, daß die Unwürdigkeit in der Person des Kandidaten gegeben sein muß. Ich frage Sie aber, meine Herren, ist es denn ein wünshenswerther Zustand, daß die Justizverwaltung ge- nöthigt ist, wie Herr Porsch es angiebt, den Sohn eines notorischen Wucherers in die Reihen der preußishen Beamten aufzunehmen und ihn zum Träger der höchsten staatlichen Befugnisse, des Richteramts, auszubilden? JIch will Herrn Porsh fragen, wie er sih verhalten würde, wenn der Sohn eines solhen übel berühtigten Wucherers den Anspruch erhöôbe, in seine Familie einzutreten, ob er dann au sagen würde: der Vater ist uns ja allerdings sehr wenig genehm ? (Bravo! und Heiterkeit rechts), aber der Sohn kann dafür nicht büßen; er würde es vermuthlih bleiben lassen. Nun gebe ih zu, das Bild paßt ja nicht
vollkommen der Staat kann mehr ertragen als die einzelne Familie, ind ich will die Sache niht auf die Spige treiben; aber etwas Aehnlichkeit ist do vorhanden.
Run ift gesagt worden, man habe mit Pcession8mitteln gearbeitet, um den Entwurf durhzudrüccken; auch den Vorwurf weife ich zurü ; die Regierung is weit entfernt gewesen, einen Druck auf Gie ausüben zu wollen. Dies \oll einmal geschehen sein durch die Darlegung, daß, wenn Sie den § 8 nicht annähmen, Sie sih eine Verleßung der Kronrehte s{chuldig machten. Meine Herren, ih bin sicher, daß ich in allen meinen Aeußerungen niemals eine solhe Behauptung aufgestellt habe. Ebensowenig hat die Re- gierung niht irgendwie eine Pression dahin versucht, daß die Richter der leidende Theil sein würden, wenn Sie den § 8 ablehnten. Der Herr Vorredner hat auf einen Artikel der „National-Zeitung“ hinge- wiesen, in dem es heißt, in einer offiziósen Korrespondenz werde ge- schrieben:
„Bei der Kürze der Zeit bis zum Sessions\{luß wird es wesentlih von dem Ausfall der dritten Lesung des Entwurfs im Abgeordnetenhause abhängen, ob das Geseß in der jeßigen Session zu stande kommt. Beachtet muß dabei werden, daß die Herein- ziehung der Justizbeamten in die allgemeine Gehalts- erhöhung sih ohne vorgängige geseßliche Einführung des Systems des Aufrückens nach dem Dienstalter \{chwerlich wird ermög- lihen lassen.“ /
Meine Herren, der Artikel wird als offiziós bezeichnet. Jch habe von demselben erst dur die „National-Zeitung“ Kenntniß genommen, und ih kann erklären in meinem eigenen Namen und im Namen des Herrn Finanz-Ministers, der mich heute Morgen ausdrücklich dazu ermächtigt hat, daß wir diesem Artikel vollständig fernstehen. Jch bestreite auf das allerbestimmteste, daß der Artikel offiziôsen Ursprungs is und sein kann, und zwar aus einem doppelten Grunde: einmal weil er ungeshickt ift (große Heiterkeit), — ja, meine Herren, Sie werden mir doch zugeben, daß ih von meinem Standpunkt aus für einen offiziösen Artikel in Anspruch nehmen kann, daß er niht ungeshickt sei, — ih sagte also: einmal weil er ungeshickt ist, und zweitens, weil er unwahr und unrichtig ist. Selbstverftändlih kann nicht davon die Rede sein, daß, wenn es bei dem bisherigen Gehalts\ystem bleibt, wenn also dieses Geseg fällt, wie es nach meiner Meinung fallen muß mit der vollständigen Streichung des § 8, daß dann die Richter von einer allgemeinen Gehaltserhöhung ausgeschlossen werden. Davon kann nicht die Rede sein; wohl aber kann eine Schwierigkeit entstehen, und darauf habe ih {hon in der Kommission hingewiesen, nicht um eine Pression auszuüben, sondern gegenüber einer Anregung des Abg. Im Walle, man hätte mit dem Gesetz warten können bis zu einer allge- meinen Gehaltserhöhung; da habe ich darauf hingewiesen, daß es gerade im Hinblick auf eine allgemeine Gehaltserhöhung fehr er- wünscht sein würde, vorher cine gleihmäßige Grundlage für alle Be- amtenkategorien zu schaffen, und daß, wenn diese niht geschaffen sei, für die Bemessung der Richtergehälter allerdings eine praktische Schwierigkeit deshalb \sich ergeben werde, weil mangels gleihmäßiger Unterlagen der sihere Maßstab für eine Vergleihung mit den Be- amten anderer Kategorien fehlen werde.
Meine Herren, mir liegt nichts ferner, als eine Pression auf Sie ausüben zu wollen. Infolge dessen unterlasse ich es au, mi
darüber zu äußern, was die Staatsregierung thun würde, wenn dieses Gesey abgelehnt wird und es demgemäß bei vem bisherigen Zustand bleibt. Jh enthalte mich jeder Aeußerung darüber, Jch habe früher — ih glaube, bei der ersten Lesung — gesagt, daß ich es mir denken könnte, es werde die Zeit kommen, wo jeder preußische Justiz-Minister, gleihgültig wer er sei, von dem ihm nah der Ver- fafung zustehenden Reht der Sichtung einen weitgehenden Gebrauch machen müsse. Weiteres habe ich .niht gesagt, und weiteres sage ih auch heute nicht.
Was also wird, wenn dies Geseß niht zu stande kommt, das entzieht sh augenblicklich meiner Beurtheilung, und ich will irgend eine Aeußerung darüber niht machen. Ih bin überhaupt weit entfernt, jemandem Vorwürfe zu machen, weun er gegen das Geseh stimmt. Jh zweifle garniht daran, daß jeder von Jhnen nah bester Ueber- ¡eugung feine Stimme abgeben wird, ebenso aber nehme ih für die Königliche Staatsregierung in Anspruh, daß sie nah bester Ueberzeugung und ganz fern von den Motiven, die ihr untergelegt worden sind, bei der Vorlegung des Entwurfs gehandelt hat, Also, meine Herren, stimmen Sie, wie Sie glauben,
es am besten verantworten können.
Aber das Eine kann ih Jhnèn doch niht verhehlen: ih habe die Empfindung, daß, wenn Ihnen auch heute hier der Sieg bleibt, Sie doch nicht ganz frohen Herzens und mit gehobener Siegesstimmung das Haus verlassen werden (lebhafter Widerspruch), und ebenso habe ih auch die Empfindung, daß Sie den Dank derjenigen Kreise, deren Interesse Sie zu vertreten glauben, nicht ernten werden. (Bravo!
rets.)
Abg. Dr. Porsch ‘will es nicht tadeln, daß man den Sohn
eines bestraften Mannes von der Rechtscarrière aus\ließt, verlangt
aber, daß man den einmal zugelassenen Kandidaten auch weiter be-
Pee Der Sohn eines Wucherers könne sehr wohl, wenn er
e anständig sei, in den Kreis einer guten Familie aufgenommen erden.
Nachdem noch der Abg. Schettler (tou) sih für die i ngovorlage ausgesprochen, wird die Generaldiskussion geschlossen.
Persönlich wirft Abg. Noeren dem Abg. Schettler vor, er habe wohl nur aus Stzederthun für die Richter die Versicherung ab- gegeben, daß sie dieses Geseg wollten.
Abg. Schettler weist diesen Vorwurf zurück; er habe niemals o uis gehabt, si um eine Stelle beim Ober-Landesgericht zu emühen.
Abg. Noeren (Zentr.): Herr Schettler hatte gewiß seine guten Gründe dazu.
Die Spezialdiskussion wendet sih sofort zu dem in zweiter Lesung abgelehnten §8 (Assessoren-Paragraph), welchen die Abgg. von Arnim (kons.) und Gen. in Folgendes Fassung wiederherzustellen beantragen :
Veber die Dri ung derjenigen Nechtskandidaten, welche die erste juristishe Prüfung bestanden haben, entscheidet die FJustiz- verwaltung nah aae des Bedarfs. Die Zulassung erfolgt in der Regel nah der Reihenfolge der Meldungen. Die Referendare, welche die große Staatsprüfung bestanden haben, erhalten darüber ein Zeugniß und die Befugniß, den Titel Gerichts-Assessor zu führen. Dieselben heiden aus dem Justizdienst aus. Diejenigen, welche in den höheren Justizdienst eintreten wollen, haben ihre Annahme bei dem Justi „Dinister zu beantragen. Das Staats-Ministerium erläßt die Teras erforderlihen Ausführungsbestimmungen.
Es meldet sih niemand zum Wort; die Abstimmung ü den Antrag ist eine nanerttide. Er wird r "198° R 181 Stimmen A C EUDE Ae denselben stimmen geslossen die Konservativen und Freikonservativen. Gegen denselben timmen en das Zentrum, die Freisinnige Volkspartei, ie Freisinnige Vereinigung, die Polen und die National- liberalen mit wenigen Ausnahmen.
Die übrigen Paragraphen werden ohne Debatte ange- nommen; ein von dem Abg. Jm Walle zum § 2 gestellter B Onras bezüglih einer anderweiten, günstigeren Be- messung des Dienstalters der zu Land- und Amiseicktern zu ernennenden Gerichts-Assessoren wird in momentaner Abwesen- heit des Antragstellers verworfen. Der Antragsteller versucht ihn später als selbständigen § 3 a zur Diskussion und Abstim- mung zu bringen, wogegen aber der Präsident und das Haus Widerspruch erheben. er Abg. Jm Walle erklärt darauf, daß es ihm, nachdem sein Verbesserungsantrag abgelehnt sei, unmöglich sei, der das Geseß im Ganzen zu |timmen.
Jn der Gesammtabstimmung wird das Geseg ange- nommen. E
Der Abg. Rintelen hat zu dem Geseg folgende Reso- lution vorgeschlagen :
Die Staatsregierung zu ersuchen, herbeiführen zu wollen, daß im
Wege der Reichsgeseßgebung die §8 2 und 3 des Gerichtsverfassungs-
geseßes vom 27. Januar 1877 in der Richtung abgeändert werden,
daß die Fähigkeit zum Richteramt dur Ablegung dre ie r Prüfungen erlangt wird, event. dahin, daß in den einzelnen Bundesstaaten auch bestimmt werden kann, daß zwischen der ersten und zweiten
Prüfung eine Zwischenprüfung stattfinde und daß von deren Befteben
die Zulassung zur zweiten Prüfung in dem betreffenden Bundesfiaat
abbängig gemacht werde.
, Nah kurzer Begründung der Resolution durch den Abg. Rintelen, welhe wegen der andauernden Unruhe im Hause un- verständlich bleibt, erklären die Abgg. von Tiedemann-Bomst (fr. kons.) und Freiherr von Richthofen (konf.), daß ihre Freunde gegen die Nefolution stimmen.
Abg. von Cuny (nl.) weist darauf hin, daß nah dem Zustande- kommen des Bürgerlichen Geseßbuhs die ganze Eintheilung des Rechtöstudiums werde eine andere werden; das-Studium werde \ich dann mehr dem deutshen Recht als dem römischen zuwenden müssen. Aber der Antrag Rintelen sei jezt noch verfrüht, wo alle diese Fragen noh in der Schwebe seien. Er stimme deshalb dagegen.
Abg. Rintelen zieht mit Rücksicht auf die Erklärung des konservativen Redners, daß die konservative Paxto! gegen die Resolu- tion stimme, weil sie in Verbindung mit diesem Geseß gebracht sei, seine Resolution zurück und stellt in Aussicht, sie in der nächsten Session als selbständigen Antrag wieder einzubringen.
Es folgt die dritte Berathung der Kreditvorlage (Eisenbahnbauten, Kornhäuser).
Jn der Generaldiskussion erklärt auf eine Anregung des Adog. von Schöning der
Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Der Herr Abg. von Schöning hat bereits erklärt, daß es sehr s{wierig sein würde, die von ihm gestellte Frage hier klar und deutlich zu beantworten. In dieser seiner Ansicht kann ih ihm nur beistimmen. Die Staatsregierung hat in früheren Zeiten es vielfach für zweckmäßig erahtet, Nebenbahnen auf die bestehenden Staatss traßen zu legen. Die Erfahrungen, die seit der Zeit hiermit gemacht worden sind, haben die Vorausseßungen, von denen man geleitet wurde, nicht überall bestätigt. Es hat si gezeigt, daß sowohl für den Land- als für den Eisenbahnverkehr die gemeinsame Benußung der Staats- straßen in den meisten Fällen unzweckmäßig ist. Es trifft das natür- lich in viel höherem Grade für normalspurige Bahnen zu wie für Kleinbahnen: bet den Kleinbahnen sind die Gefahren nit so groß und sind auch andererseits die Hemmungen, welhe die Eisenbahn- verwaltung erfährt, die im wesentlihen darin bestehen, daß die Geschwindigkeit der Beförderung nur eine sehr mäßige sein kann, niht so ausfhlaggebend bei den Kleinbahnen wie bei den normalspurigen Nebenbahnen. Die Staats- Eisenbahnverwaltung vermeidet daher in neuerer Zeit, wo niht ganz besondere Verhältnisse das angezeigt ersheinen lassen, die Benußung der Staatsstraßen zu normalspurigen Nebenbahnen.
In dieser Erklärung wird Herr Abg. von Schöning {hon eine gewisse Beruhigung finden.
Wie nun die Gefahren, welhe \sih daraus ergeben, daß die Pferde sich \{chwer an den Konkurrenzbetrieb der Eisen- bahnen gewöhnen, zu beseitigen sind, läßt sich im allgemeinen niht sagen. Indessen sind da, wo ganz besondere Gefahren sich herausgestellt haben, wie z. B. bei scharfen, unübersichtlichen Kurven oder beim Passieren bebauter Straßen, Einrichtungen getroffen, sie zu beseitigen oder sie doch abzumildern. JIch muß dazu bemerken, daß die Pferde in den meisten Fällen noch vernünftiger sind als die Kutscher, daß der größte Theil der Unglücksfälle nicht davon herrührt, daß das Pferd, sondern daß der Kutscher unvernünftig ge- wesen ist, geshlafen hat oder betrunken gewesen is, und dagegen ist eben sehr {wer von Aufsihtswegen etwas zu machen. Im allgemeinen gewöhnen \sich die Pferde an den Konkurrenzbetrieb der Eisenbahnen merkwürdig leiht. Wir haben namentlich in den westlihen Provinzen, in ganzen langgestreckten Thälern, 40, 50 km lang, überwiegend Konkurrenzbetrieb der Bahnen und des Landverkehrs auf den Straßen. Es kommen dort, nahdem die Pferde sih einigermaßen eingewöhnt haben, nur noch selten Unglüdsfälle vor. Nun gebe ich ja zu, daß der kaltblütige Pferdeshlag, mit dem im Westen meist kutschiert wird, etwas Anderes ist als der warmblütige Pferdeshlag, mit dem im Osten auf den Landstraßen gefahren wird. Ich glaube aber doch, daß bei einiger Vorsicht in den meisten Fällen Unglüéfälle sich verhüten lassen. Wo die Ver- hältnisse es angezeigt ersheinen lassen und die Gefahren besonders dringend waren, ist man hier und da dazu übergegangen, einen Zaun zwischen den Eisenbahnen und dem übrigen Theil der Landstraße herzustellen. Indessen, meine Herren, das ist nur an ganz vereinzelten Stellen durchführbar und verurfaht verhältnißmäßig sehr hohe Kosten. Im allgemeinen glaube ih, is die Unfallverhütung
ebenso sehr in der Hand der Pferdebesitzer und Kutscher, als in der .
Hand der Eisenbahnverwaltung.
Abg. Schwarze (Zentr.) bemängelt, daß noch garnicht fest- estellt sei, nah welhem System die Kornhäuser gebaut werden lollen: ob nah dem amerikanishen Silosystem oder nicht, bespricht ie technishe Schwierigkeit einer geeigneten Einrichtung jn et
ung der
im ae Getreide und empfiehlt als Träger der Verwa
Kornhäuser die Raiffeisen!shen Genossenschaften. :
Abg. von Eynern (nl.) beschuldigt die Lokomotivführer der Klein- bahnen, mit Vorliebe aus R ER die Pferde n Fie n zu machen, und bittet den Minister um strenge Maßregeln agegen.
Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Die Anordnungen, die Herr von Eynern erlassen
zu schen wünscht, sind bereits ergangen, und zwar in der strengsten
‘Form. Ich muß auch entschieden bestreiten, daß die Lokomotivführer i
geneigt find, Pferde heu zu maten; sie wissen recht gut, was es für Folgen hat, und wenn ein Unglück sich ereignet, sie auch dafür ver- antwortlich gemacht werden. Es ift namentlich aufs strengste unter- sagt, daß die Lokomotivführer dann, wenn sie ein Gefährt passieren, die Dampfhähne ziehen; denn. die Pferde {euen noch viel mehr das Abblasen des Dampfes aus den Zylinderhähnen als das Pfeifen. Das Pfeifen ist oft niht zu vermeiden, um den betreffenden Kutscher zu avertieren, daß hinter ihm ein Zug kommt.
Wenn dann Herr von Eynern im Eingang seiner Ausführungen gesagt hat, er begriffe nicht recht, was für ein Unterschied wäre in dieser Beziehung zwischen einer Normal- und s{hmalspurigen Bahn, so muß er mich wohl nicht ganz verstanden haben. Der Unterschied besteht darin, daß die Shmalspurbahn viel weniger Plaß beansprucht auf der Landstraße als eine Normalspurbahn, zweitens daß die Schmalspurbahn, weil sie ein verhältnißmäßig geringeres Gewicht repräsentiert, sehr viel rasher gebremst werden kann als ein \chwerer Normalzug, und drittens, daß sie au viel geringere Geshwindigkeiten einzuhalten hat, als der Normalspurbahn gestattet ist.
Alle diese Momente lassen die Benußung der Landstraße dur Normalspurbahnen viel bedenklicher ersheinen als dur schmalspurige Kleinbahnen.
Abg. De. ba empfiehlt den Anschluß der niederelbishen Eisen- bahnen an die Wasserstraße und \pricht seine Befriedigung darüber aus, daß die Eisenbahnverwaltung die Schlickverfrachtun begünftige.
Abg. Graf zu Limburg-Stirum (konf.) bemängelt das Vers fahren der Verwaltung in der Frage der Aufbringung der Grund- erwerbskosten. Für eine Nebenbahn in seinem Kreise sei erst von den Interessenten die Hergabe von 28 ha verlangt worden, und naher hätten fie 40 ha hergeben müssen. Das Recht der Regierung sei allerdings nah den kautschukartigen geseßlichen Bestimmungen zweifel- los. Bei einem Bahnhof liegen jeßt 8 Morgen Land unbenußt. Die Verwaltung beschäftige sch jeßt mit dem Projekt, diese Nebenbahn zur Vollbahn auszubauen. Er habe nun den Minister
efragt, ob er in diesem Falle den Interessenten den Werth des
Jrund und Bodens zurückerstatten wolle, welchen sie über das Be- dürfniß für eine Nebenbahn hinaus hergegeben hätten. Der Minister habe dies verneint, weil es gar keine Barke Unterscheidung zwischen Voll- und Nebenbahnen gebe. Welches fei denn der Unterschied über- haupt? Die Verwaltung jolle niht mehr an Grund und Boden fordern, als dringend erforderlich sei.
Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Ich bin sehr bereit, den Wunsch des Herrn Grafen Limburg dahin zu erfüllen, daß meinerseits eine aufmerksame Kontrole darüber ausgeübt wird, daß nicht mehr von den Kreisen au Grund und Boden beansprucht wird, als nöthig ist. Nun gebe ih zu, daß der Begriff der Nothwendigkeit ja sehr verschieden aus- gelegt wird; aber bei Feststellung der dem Ministerium eingereihten Projekte wird gerade diesem Umstand ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet und darauf gehalten, daß niht mehr gefordert wird, als für den ordnungsmäßigen Betrieb der Bahn in absehbarer Zeit noth- wendig ist. Dabei kann es aber doch vorkommen, daß das Terrain, welches für irgend einen beliebigen Bahnhof gefordert ist, in dem ersten Jahre mit Schienen nicht voll belegt is, weil zunächst - eine gewisse Entwickelung des Verkehrs erst abgewartet wird und es unökonomisch wäre, wenn wir den ganzen Gleiëplan des Bahnhofs sofort bei der ersten Anlage ausführten. Wir haben aber das Terrain beansprucht, weil nah den Angaben, die uns seitens der Landrathsämter, seitens der Verkehrsinteressenten gemacht worden sind, wir erwarten mußten, daß in kürzester Frist die Gleisanlagen niht mehr zureihen und wir dann genöthigt sein werden, den Bahnhof, wie er ursprünglich auf- gestellt worden ist, au bezüglih des Gleisbaues auszuführen.
So wird es auch wahrscheinlich bei der Bahn liegen, von der Herr Graf Limburg spriht. Auch da sind die Gleispläne so auf- gestellt, daß sie einem Anwachsen in der nächslen Zeit gerecht werden; vorläufig ift aber nur ein Theil davon ausgeführt worden. Der Herr Abg. Graf Limburg hat Recht, wenn er vermuthet, daß die Eisenbahn- verwaltung son bei Aufstellung des Projekts si bewußt gewesen ift, daß ein niht unerhebliher Verkehr der Bahn zuwachsen wird. Es ist daher ganz richtig gewesen von der Eisenbahnverwaltung, daß sie hierauf auch bei der Konstruktion von Bahndamm und Oberbau einigermaßen Rücksiht genommen und nicht so eng und {mal gebaut hat, wie man vielleiht in einer Gegend bauen würde, die Verkehrs- zuwachs in absehbarer Zeit nicht zu erwarten hat.
Herr Graf Limburg hat dann gefragt: wodur unterscheidet sich eine Vollbahn von einer Nebenbahn? Diese Frage kann ich nur theoretisch beantworten: eine Vollbahn is eine Bahn, auf die die Betriebsordnung für die Hauptbahnen (Heiterkeit) und cine Neben- bahn if eine Bahn, auf die die Betriebsordnung für die Nebenbahnen Anwendung findet. (Große Heiterkeit.) Eine andere Antwort kann ih unmöglih geben. Bei der Konstruktion der Bahn wird nah dem zu erwartenden Verkehr die Ent- scheidung getroffen, ob sie als eine Hauptbahn oder als eine Neben- bahn anzusehen ift, und daraufhin der ganze Bau und auch der Betricb eingerichtet. Es kann aber recht wohl vorkommen, daß auch bei einer Nebenbahn an einer besonders gefährdeten Stelle eine Bi- wachung der Bahn eintritt, daß ein Wärter dort hingestellt oder eine Barriòère errichtet wird, daß man also, wenn beispielsweise eine Nebenbahn eine belebte Dorfstraße shneidet, von dem sonst bei Nebenbahnen in der Regel angewendeten Grundsatze, daß eine Bewachung niht nöthig ift, keinen Gebrauch macht. Häufig fagt au die Landespolizei: hier liegt Gefahr vor, Du mußt hier, troßdem die Betrieb8ordnung für die Nebenbahnen ‘auf diese Strede Anwendung findet, eine spezielle Bewachung eintreten lassen, eine Barrière ein- rihten u. f. w. Ob es aber nicht Fälle giebt, die fo diht an der Grenze liegen, daß man darüber verschiedener Meinung sein kann, ob der Verkehr dieser Bahn mehr dem Charakter der Hauptbahnen oder mehr dem der Nebenbahnen entspricht, das will ih von vornherein fret- lassen. Jn der Hauptsache aber wird Herr Graf Limburg-Stirum seine Beruhigung aus der Erklärung \{öpfen, daß in der Zentral- instanz mit Sorgfalt darauf geschen wird, daß von den Kreisen oder den sonstigen Interessenten niht mehr an Grund und Boden gefordert wird, als unbedingt nothwendig ist.
Meine Herren, die Mißstände, die Herr Graf Limburg-Stirum geschildert hat, und die vielfa beklagt worden sind, haben zu der Aenderung geführt, daß man jeßt den Interessenten freistellt, ob fie sh von diesem Risiko mit Geld loskaufen wollen, oder ob sie es vorziehen, den Grund und Boden in natura zu bewilligen. Au in dieser Frage müssen wir noch Erfahrungen sammeln. Wix kommen vielleicht zu der Ueberzeugung, nah einigen Jahren, wenn