1896 / 114 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 12 May 1896 18:00:01 GMT) scan diff

Zudcker aus Rüben hei uns produziert worden ist. 1 10 zugestehen, ih würde den Weg, den die verbündeten “Regierungen vorgeschlagen haben, für den bedeutend besseren halten: eine höhere Prämie, aber ein niedrigeres Kontingent. Nachdem aber die Kommission die Prämie von 4 & auf 2,50 erniedrigt hat, liegt allerdings - die Frage des Kontingents wesentlich anders. Denn es wird sich bei der Zuckerindustrie ganz derselbe Vorgang wiederholen wie bei der Branntweinbrennerei. Man berechnet sich nah dem Preise: ist es vortheilhaft, unter Zu- hbilfenahme der Ausfuhrprämie ein Superkontingent herzustellen oder niht ? und verrechnet ih die gewährten Ausfuhrprämien auf die gesammte Produktion seiner Fabrikationsstätte. Ganz ebenso wird es ih vollziehen bei der Zuckerindustrie, und ist es deshalb vom Standpunkte der Kommission meines Erachtens allerdings folge- richtig, daß, wenn die Prämie ermäßigt wird, das Kontingent erhöht wird, um für ein größeres Quantum der Produktion den Vortheil der Prämie zu erhalten, und es event. zu ermöglihen, daß auch noh ein Superkontingent unter gewinnbringenden Vorausfezungen her- gestellt werden kann.

Meine Herren, es ist \chließlich auch heute gesagt worden, besser noch als dieses Geseß wäre es, das bestehende Gesey in infinitum zu verlängern. Jch bin nicht befugt, “in dieser Beziehung namens der verbündeten Regierungen zu \sprehen; aber das kann ih den Herren versichern, daß im Schoße der verbündeten Regierungen an maß- gebendsten Stellen die allerschwersten Bedenken bestehen, das be- stehende Gesey einfach zu verlängern. Das bestehende Geseß ging von der Vorausseßung aus, die Prämien allmählich ganz fallen zu lassen. Das war ein Standpunkt, wenn man überhaupt Gegner der Prämie is, der in sich logisch und abgeschlossen ist. Aber eine Prämie fortbestehen zu lassen, ganz unbeschränkt, wie weit dadurch die Finanzen des Neichs berührt werden, und ob fie dazu beiträgt, eine krankhafte Ueberproduktion herbeizuführen, eine solche Prämie im Interesse der Industrie fortbestehen zu lassen, kann ein Danaergeschenk für dieselbe sein. Hätten wir bereits die Kontingentierung gehabt vor der Krisis von 1894/95, dann wäre die Krisis erheblich geringer gewesen; denn daß Deutschland dur seine Ueberproduktion zur Krisis wesentli beigetragen hat, ih glaube, das ist eine Thatsache, die von allen Seiten anerkannt ist. Wer also das Geseß will, wer event. die gänzlihe Abschaffung der Prämien will, muß eine erhöhte Konkurrenzprämie haben wollen. Wer erhöhte Prämien will, muß sich aber auch mit der Kontingen- tierung einverstanden erklären, und wer die Kontingentierung will und die vorgeshlagenen Prämien wesentlich ermäßigen will, wird sich au mit dem Gedanken befreunden, daß als Kompensation eine gewisse Erhöhung des Gesammtkontingents eintritt. JIch kann nur sagen: ih würde auch jeßt noch für das beste halten ein Kontingent von 14 Millionen Doppel-Zentnern und eine Prämie von 4 A Es scheint aber, daß die Mehrheit des hohen Hauses anderer Ansicht ist.

Abg. Graf von Bernstorff - Uelzen: Die Entrüstung des Herrn Richter kann ih nit verstehen. Wo es sich um Zahlen handelt, hat immer ein Handel oder ein Kompromiß stattgefunden. In Ca

rinzipien würde ich mi niemals in einen Pu einlassen. Vom

tandpunkte des Kampfzolles aus würde eine Prämie von 4 M R sein; allein es kommt mehr darauf an, daß eine ruhige Produktion wieder eintritt. Dazu eignet \sih eine mäßige Prämie besser.

Abg. Dr. Paasche (nl.): Wenn durch ein uiedriges Kontingent die großen Fabriken des Ostens, für welhe der Abg. Richter so lebhaft eintritt, zur Einschränkung ihres Betriebes gezwungen würden, so wäre das ein einshneidender Eingriff. Dur ein hohes Kontingent können die Rübenbauer nicht geshädigt werden. Aber ohne eine gewisse Beschränkung ist die Prämie gefährlich für die Kasse des Reichs. Die Kontingentierung is auch ein Schuß für die alten Heimstätten der Zuckerrübenkultur gegen die sprungweise Vermehrung des Nüben- baues namentlich im Osten. Wollen wir einen Schuß der be- stehenden Industrie, dann müssen wir einen Riegel vorschieben gegen die allzu {nelle Vermehrung der Produktion. In der ersten Lesung hat man mehr von den Konsumenten und niht von dem S gesprochen; jeßt \priht man gegen das hohe Kon- tingent, welches doch gerade den Interessen der Konsumenten ent- gegenkommt.

Abg. von Staudy bestreitet, daß Deutshland allein an der Ueberproduktion des Jahres 1894 {huld gewesen sei; diese Ueber- produktion sei überall hervorgetreten. Redner \priht sich dann für die Materialsteuer aus, die sich bewährt habe, als sie galt, die also auch jeßt noch durchführbar sein würde. Wenn einige unhaltbare über- Tebte Einrichtungen dadur beseitigt würden, so müsse das ertragen werden. Fänden si diese überlebten Einrichtungen im Osten, so würde man sicherlich darauf keine Rücksiht nehmen. Die Kon- tingentierung sei gefährlih, denn sie rufe den Krieg Aller gegen Alle hervor.

Staatssekretär des Reichs - Shaßamts Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Ich will dem Herrn Abg. von Staudy zunächst entgegnen, daß es mir selbstverständlih fern ‘gelegen hat, ihm eine flühtige Be- handlung der so wichtigen Materie vorzuwerfen. Im Gegentheil, alle Herren, welhe Mitglieder der Kommission waren, werden wissen, mit welcher Gründlichkeit sich der Herr Abz. von Staudy an den Debatten betheiligt hat. Aber wenn man unsere ganze Zuckersteuer- geseßgebung vollkommen verändern, wenn man an Stelle des Prinzips der Verbrauchssteuer die Materialsteuer seen will, wenn man zu einem Prinzip zurückehren will, welhes von der großen Mehrheit des hohen Hauses seiner Zeit verlassen worden ift, so werden Sie mir zugestehen, daß die damals bei der ersten Lesung über die Materialsteuer gepflogenen Verhandlungen im Ganzen nur flüchtige waren und nur solche sein konnten. Jch habe den Ausdruck „flüchtig“ nicht gebraucht in Bezug auf die Ausführungen eines Redners des Hauses, sondern in Bezug auf die Einwendungen, die vom Regierungstisch aus bei Lage der Sache nur gemacht werden konnten. Wenn es \sich um den Nachweis handelte, daß die Material- steuer vollflommen unmögli sei unter den gegenwärtigen Verhältnissen, dann müßte diese Frage Gegenstand einer ganz besonderen Tagesordnung sein. Jch glaube, in diesem hohen Hause würde keine Mehrheit für die Materialsteuer \sih finden, und deshalb brauche ih darauf auch jeßt niht näher einzugehen.

Ich habe mi auch keineswegs gegen die konservative Partei ge- wendet, sondern angeknüpft an eine Aeußerung des Herrn Abg. von Puttkamer-Plauth, welcher sagte: im Osten is das Gese weniger sympathisch. Jch habe den Versuh gemaht, Herrn von Puttkamer- Plauth besonders den Nachweis zu führen, daß die verbündeten Negie- rungen nit anders handeln konnten, wenn sie verlangten, daß man mit Erhöhung der Prämien auh die Kontingentierung mit in den Kauf nehme. Herr von Staudy hat gesagt, er habe einen anderen Gegenvorschlag gemacht : er habe beantragt und werde den Antrag wiederholen, einfah das bestehende Gesey mit oder ohne Frist zu ver-

längern. Das ist do nit eine Reform! Von dem hohen Hause wurde eine Reform der Zuckersteuer verlangt, und ih habe nur gesagt, das sind keine Reformvorshläge. Wenn man s{ließlich nur darauf abkommt, zu erklären, das bestehende Geseß ift einfa zu verlängern, so ist das keine Reform der Zuckerfteuer.

Wenn hier immer darauf hingewiesen wird, daß in gewissen Theilen des Ostens dieses Geseß wenig sympathisch sei, so kann ih darauf hinweisen, daß dem hohen Hause bereits eine Petition aus der Provinz Posen vorliegt, unter der die Namen angesehener Land- wirthe si finden, und zwar solcher, die in großem Umfange Rüben bauen. Dieselben bitten dringend, entgegen dem Beschluß der Land- wirthschaftskammer, das Gesez anzunehmen, auch ih habe heute offenbar if die Eingabe irrthümlih an mich statt an das hohe Haus gelangt eine gleihe Adresse bekommen, die mit einer großen Reihe Unterschriften von Landwirthen der Provinz Posen bedeckt ist, unter Anderen des Vorstehers der großen Fabrik in Gnesen, eines Mannes, an dessen landwirthschaftliher Kapazität auch Herr von Staudy wohl nit zweifeln wird. Auch in dieser Petition wird das dringende Er- suchen ausgesprochen , dieses Gesey im Interesse der Zuckerindustrie der Provinz Posen anzunehmen.

Herr von Staudy hat ferner gesagt, ih hätte mih berufen auf den bekannten Antrag Paasche, der die Grundlagen des gegenwär- tigen Gesezes enthielte. Wenn aber die verbündeten Regierungen ein neues Geseß machten, so könnten fie es doch nicht nur auf einen Antrag aus dem hohen Hause fundieren. Ich muß sagen, ih stehe Anträgen aus dem hohen Hause eigentlich mit mehr Respekt gegen- über (sehr gut! aus der Mitte), und wenn uns der Vorwurf ge- macht wird, wir hätten keine Rundfrage gehalten, so entgegne ih, wir haben die ausgezeihnetsten und hervorragendsten Sachverständigen aus ganz Deutschland gehört (Zuruf rechts), niht nur Fabrikanten, sondern auch Groß-Rübenbauer wir haben Tage lang mit ihnen konferiert ; wir haben ferner das Landes-Oekonomie-Kollegium und den Landwirthschaftsrath gehört, die beide sih für das Gese) ausgesprochen haben und die jedenfalls die berufensten Vertreter der Landwirthschaft sind, das Landes-Oekonomie-Kollegium für Preußen und der Land- wirthschaftsrath für Deutschland, die wir überhaupt hören konnten. Allerdings die Chefs der einzelnen preußischen Provinzen sind meines Wissens nicht gehört, weil selbstverständlich über die Wirkung eines folhen indirekten Steuergeseßes nur Sachverständige zu hören sind und es nicht gesagt ist, daß der oberste politishe Beamte einer Provinz immer ein Sachverständiger für die Rübenindustrie ist. Er kann es sein, er ‘_ist es thatsählih bisweilen auch, ist es aber nicht immer. 43 E

Abg. von Puttkamer -Plauth: Wenn der Staat einer Industrie mit seinen Mitteln helfen soll, dann is eine Beschränkung niht zu vermeiden; ohne Kontingentierung würde das Prämiensystem zur Ueberproduktion führen. Redner tritt für den Antrag der Kom- mission ein.

Abg. Richter bemerkt dem Grafen Bernstorff, daß es \ich bei der Betriebssteuer um einen Grundsaß handle und niht um eine Bier, und weist darauf hin , daß der Anbau von Rüben in diesem

ahre beinahe den Umfang des Anbaues von 1894 erreiht habe. Es handele sich nur um den Schuß landschaftlihec Interessen. Der Abg. Paasche habe ausdrücklich als den Zweck der Vorlage hin- gestellt: die alten Rübenkulturstätten zu hüten. Das sei nit volks- wirthshaftlih, sondern führe zum mittelalterlihen Standpunkt der Realberehtigungen; volkswirthschaftlih sei: freie Bahn für die Kon- kurrenz. Die bayerische Regierung stimme gegen das Gese, die süd- deutschen Landtage seien gegen das E die Bevölkerung auch, und troßdem stelle der Abg. Pichler Anträge, welche die Brüdcke \chlagen, um eine Mehrheit für das Gesetz zu finden.

Damit schließt die Debatte.

Jn namentlicher Abstimmung wird das Kontingent von 17 Millionen Doppel-Zentnern mit 133 gegen 107 Stimmen angenommen.

Darauf wird um 51/5 Uhr die weitere Berathung auf Dienstag 2 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

68. Sißung vom 11. Mai 1896, 11 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des Geseßentwurfs, betreffend das Anerbenrecht bei Renten- und Ansiedelungsgütern. ;

Ueber den Beginn der Debatte ist gestern berichtet worden.

Abg. Freiherr von Heereman (Zentr.) hält die Ausdehnung des Gesetzes auf die ganze Landwirthschaft für absolut unmöglich, steht aber font dem Gesetze freundlih gegenüber, soweit es sich niht auf polnishe Ansiedler bezieht. Das zur Schädigung einer Nationalität erlassene Ane sei ungerecht, und er könne die Befestigung desselben, welche diese Vorlage mit si bringe, nit billigen. Dagegen stimme er jedem Mittel zu, welches den mittleren Grundbesitz erhalten könne, und das bezwecke au diese Vorlage. Aber kein vernünftiger Mensch könne die Ausdehnung dieses e auf den ganzen Grund- besiß wollen, das sei eben ganz unmögli. Der mittlere Grundbesitz müsse au in derselben Familie erhalten werden; in Westfalen dürsten keine römisch - rechtlihen Verhältnisse herrshen. Ohne ein Vorreht für den Anerben lasse sich der Grundbesiß niht dur mehrere Generationen erhalten. Der Staat müsse dafür sorgen, daß die kleinen Rentengüter niht sofort wieder leistungsunfähig werden, und deshalb stimme er der Vorlage zu.

Unter Ablehnung des Antrags der Polen wird der S1 angenommen.

Nach § 2 erfolgt die Eintragung der Anerbengutseigen- schaft im rundbuch auf Ersuchen der zuständigen Behörde

General-Kommission bezw. Anfiedelungs-Kommission). Diese at nach Anhörung des Eigenthümers die Eintragung von mtswegen nachzusuchen.

Die Abgg. von Sczaniecki (Pole) u. Gen. beantragen, statt „nach Anhörung“ zu seßen: „nur auf Verlangen.“

Nach kurzer Begründung des Antrags durh den Abg. von Zoltowski und nahdem sich Abg. Bröse (kons.) da- gegen erklärt hat, wird § 2 unverändert angenommen.

Die §8 3—23 werden ohne Debatte angenommen.

8 24 bestimmt: Eine nah Maßgabe der 9 22 und 23 begründete Rentenbankrente wird auch nah ihrer völligen oder theilweisen Tilgung im Grundbuch nur gelöscht, wenn das Gut die Anerbengutseigenschaft verloren hat. Die Löschung erfo L mein en der Generalkommission.

bg. Gorke (Zentr. An ene dafür folgende Fassung: Eine nach Maßgabe der F8§ 22 und 23 begründete Rentenbankrente wird soweit sie getilgt ‘ist, auf Antrag des Eigenthümers im Grundbu gelös{cht. Der Antragsteller begründet seinen Antra , indem er si gegen die Bevormundung des Eigenthümers, wie sie die Vorlage enthalte, wendet; es müsse jeder selbst wissen, was er zu ‘thun habe. t po E N E le hte ne Se e im Grund- u) frei werden, damit der Eigenthümer Hypothekarkredit aufnehmen kônne. Ein jeder Landwirth komme einmal in die Lage, Geld E

- Ueberdies empfehle es s e

zu müssen, die Vorlage erschwere es ihm aber, billigen Kredit ü er

n.

Geheimer Ober - Regierungs - Rath Hermes führt aus erster Linie die Vorlage die Schaffung eines selbständigen Klein n besißes in der Hand einer Game bezwecke; selbst wenn einmal Anerbe durch die gedachte Beschränkung ge digt werde, mü}e die Beschränkung im allgemeinen Interesse aufrecht erhalten bleiben

{hon im Interesse des Zuftandekommeng und mit Rücksicht auf die Stellung, die das Herrenhaus ein enommen habe, den Antrag Gorke abzulehnen. Eine völlige Strei ung des Tate aus dem Antrag würde das Zuftandekommen sehr er,

weren.

Abg. Herold (Zentr.) hält es für die in Betracht komm Güter für zweckmäßig, daß die Löschung nicht zugelassen werde, us die Rentenbankrente jederzeit wiederhergestellt werden könne. dringenden Ausnahmesällen könne ja die Generdlkommission die Auf, nahme von Hypothekarkredit an der freien Stelle gestatten.

Abg. Krause (nl.): Das Bedenken, daß das Herrenhaus nicht zustimmen würde, kann uns niht veranlafsen, unsere Ansicht in dieser wichtigen Frage zu ändern. Diese Beschränkung des jedem Staat eger zustehenden Rechts, über eine frei gewordene Stelle nah Belieben zu verfügen, geht uns zu weit, das ist eine Ueber: spannung des Prinzips. Der Mann wird unter die Vormundschaft der Generalkommission gestellt ; nit er selbst , sondern die General, kommission hat darüber zu befinden, ob er den Personal- oder den Nealkredit benußen soll. Wir stimmen dem Antrag Gorke zu.

Abg. Brö]e (kons.) erklärt, daß seine Partei der Kommissions, fassung zustimme. Diese Bestimmung werde erzieherisch auf die Rentengutsbesißer wirken, sie müßten das Gut möglichst \{uldenfrei ihren Kindern überlassen. : : :

Ueber den Antrag Gorke wird, da die Abstimmung auch bei der Gegenprobe zweifelhaft bleibt, durch Auszählung ab- gestimmt; dabei stimmen 81 für ind 81 gegen den Antrag, S ist also nicht beschlußfähig, da 217 Mitglieder dazu gehören. E

Präsident von Köller beraumt um 13/, Uhr die nächste

Sizßung auf 1/53 Uhr an.

69. Sißung vom 11. Mai 1896, 21/, Uhr.

Die zweite Berathung des Geseßentwurfs über das An- erbenrecht wird fortgeseßt.

Auf Vorschlag des Präsidenten von Köller wird die Abstimmung über Z 24 vorläufig ausgeseßt, weil die Doppel: mandatare durh eine zu gleiher Zeit im Reichstag statt- findende namentliche Abstimmung verhindert sind und infolge- dessen wiederum nicht die beshlußfähige Anzahl Mitglieder im Hause anwesend ist.

Die übrigen Theile des Geseßes werden ohne erhebliche Debatte in der Kommissionsfassung angenommen.

Darauf wird über die Resolution der Abgg. von Arnim u. Gen. und den Abänderungsantrag Herold-Willebrand verhandelt.

Die Abgg. Dr. Arendt (fr. E u. Gen. beantragen, diese Anträge der Regierung mit dem Ersuchen zu überweisen, in der nächsien Session in einer Denkschrift die Stellung der Regierung zu den in H Anträgen behandelten Fragen dar- zulegen und zur Kenntniß des Hauses zu bringen.

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lafa (kons.): Wir wollen mit unserer Resolution kein obligatorishes neues Erbrecht einführen, sondern nur ein fubsidiär geltendes für den Fall, daß der Erblasser nihts Anderes bestimmt hat. Ein solhes Rechtsinstitut können wir nur da einführen, wo Sitte und Gewohnheit eine geeignete Basis dafür abgeben. Und mit dieser agrarischen Gesetzgebung kann erft dann vorgegangen werden, wenn die landwirthschaftlihe Lage wieder

auernd eine fo gesunde geworden ift, daß man ein Experiment wagen

kann. Mit dieser Einschränkung unserer Resolution fallen viele Be- denken dagegen. Die Ausführungen des Abg. Klose \{hossen weit über das Ziel hinaus. In der Bestimmung des Anerben muß dem Erb- laffer eine gewisse Freiheit gewährt werden, damit er den geeignetsten auswählen kann. Wesentlich für uns ift die Erhaltung des Grund- besißes in einer Familie und die Geshlossenbeit des Grundbesites; wir wollen damit kein Sonderreht für Wenige, sondern ein Recht für den ganzen Grundbesiß. In Landestheilen, wo infolge des Klimas sich auch ganz kleine Güter halten können, wird allerdings das Anerben- recht nit passend fein; eine gewisse Größe des Gutes ist erforderlich, um die Leistungsfähigkeit des Gutes mit dem Anerbenrecht zu erhalten und den Besißer an die Scholle zu binden. Mit dem Anerbenrecht auf dieser Basis kann man wohl die Beschränkungen der perfönlichen Freiheit billigen, welche damit verbunden sind. Die Festseßung einer Verschuldungsgrenze ist so s{chwierig, daß wir keine bestimmten Vor- {läge dafür im einzelnen machen können, da dazu erst genaue thatsählihe Feststelungen zu machen sind. Aber wir müssen der kolossalen Vershuldung des Grundbesißes Einhalt thun, sie nimmt immer mehr zu, je mehr der Kaufwerth steigt. Wenn wir da nicht eingreifen, werden wir noch mit einer großen Kalamität zu renen haben und vielleiht den Nußen des Anerbenrehts wieder illusorish machen, Die Fideikommisse halten wir niht allein für einen Segen für die Familie, sondern auch für den Staat, aber wir bedürfen einer gründlichen Revision unserer Fideikommißgeseßgebung, die nit mehr zeitgemäß ist. Die Latifundienbildung wollen wir au nicht be- günstigen, den Antrag Herold ad 3 fönnen wir eventuell auch acceptieren, wenn wir au prinzipiell auf unserer Fassung beharren, aber den Antrag Arendt können wir niht acceptieren. Nehmen Sie unseren Antrag an, die Erhaltung des Grundbesißzes wird dem Staat zum Segen gereichen.

Abg. Herold (Zentr.) stimmt der Resolution im Prinzip zu. Das Anerbenrecht müsse auf Grund der Gesetzgebung eingeführt werden können; wo es sih bisher durch Sitte und Gewohnheit ein- gebürgert habe, sei es gegen die bestehenden Geseße geschehen. Das [6 ein ungesunder Zustand. Da, wo das Anerbenreht hon bestehe,

edeute die geseßlihe Einführung desselben keine Beschränkung, sondern eine Vermehrung der Freiheit. Mit der Festseßung der Verschuldungsgrenzs könne er nicht einverstanden fein, denn es sei äußerst shwierig, dafür die rihtige Form zu finden. In dem Punkt c der Resolution könne er die besondere Bevorzugung der Fideikommiß- bildung nicht billigen, stimme aber dem Prinzip zu und empfehle die von ihm beantragte Fassung. Die Ausgestaltung der Agrargeseßz- A N nit übereilt werden, aber auch nicht zu langsam vor

ehen.

bg. Knebel (nl.): Meine Freunde stimmen einmüthig gegen die Refolution, welche den Eindruck hervorruft, daß das Gese, zu dem sie eingebracht ist, bahnbrehend werden soll. ir können nur für dieses Geseß selbst stimmen, aber nicht für eine Erweiterung. Die Resolution foll eine künftige Ausdehnung dieser Geseygebung an- bahnen , deren Ziele wir noch niht kennen. Wir bedauern sogar die Einbringung der Resolution, weil sie uns die p zu der Vorlage wesentlich erschwert. Wir werden auch gegen die Anträge Herold und Arendt stimmen.

Abg. von Tz\choppe (fr. konf): Auch wir hätten gewünscht, daß die Resolution niht in Verbindung mit diesem Gesetz, sondern als selbständiger Antrag eingebraht wäre, und zwar in einem früheren Stadium der Session, wo wir eine Kommissionsberathung vor- nehmen fonnten. em Ziel der on, namentlich der Erhal- tung des Besitzes in der Familie, stimmen wir mit (anein Herzen zu. Das Anerbenrecht hat sich in Hannover sehr gut bewährt, aber es darf nur da eingeführt werden, wo es provinziell den Anschauungen des Volkes entspricht. Die Verschuldungsstatistik hat ershreckende Ergebnisse gezeigt. Die hypothekarishe Vershuldung hat O um 2 illionen zugenommen; auf diesem Wege kommen wir in zwölf Jahren zu einem Zustand, wo der nominelle Besißer nur noch ein

ausnahmslos zu

, der wirkliße Besiger aber

Stei besien dagegen Maßregeln ergreifen. Der Pun

f lution ist uns ebenfalls sehr sympathisch, die allgemeinere Fassung

des Antrags E scheint uns aber cndeimesener: Jedoh wollen ä t mit unserem Antrage die MEEEruuns veranlassen, uns das

lihe Material zur Beurtheilung dieser Fragen vorzulegen.

Gegen ea Uhr vertagt das Haus die weitere Berathung

auf Dienstag 12 Uhr. Außerdem ftehen der Nachtrags - Etat

und die T von Tzschoppe wegen der Alterszulagen

für die olksschullehrer auf der Tagesordnung.

p.

Parlamentarische Nachrichten.

Dem Hause der Abgeordneten ist der nahstehende Entwurf eines Geseßes, betreffend die Feststellung eines Nachtrags zum Staatshaushalts-Etat für das Jahr vom 1. April 1896/97,

egangen : zug 8

1.

Der diesem Geseg als Anlage beigefügte Nachtrag zum Staats- aushalts, Etat für das Jahr vom 1. April 1896/97 wird in Ausgabe Ab- und Zugang) auf 200 000 6 fesigeltelt und tritt dem Staats- aushalts-Etat für das Jahr s É pril 1896/97 hinzu.

Der Finanz-Minister ist mit der Ausführung dieses Gesetzes be- auftragt.

Dazu wird bemerkt: Bei der Staatsregierung bestand die Absicht, dem Landtage der Monarchie noch in dieser Session eine umfassende Vorlage über den Um- und Neubau des Königlichen Charité-Kranken- hauses in Berlin und die Verlegung des Königlichen Botanischen Gartens daselbst nah der Domäne Dahlem bei Stegliß zu machen. Die Ausführung dieser Absicht ist aber auf unerwartete Schwierig- keiten gestoßen und hat daher einstweilen vertagt werden müssen.

Um fo nothwendiger erscheint es, in dem Charité - Krankenhause einem bedrohlihen Mißstand abzuhelfen, der sich L eug von der Feststellung jenes Gesammtplanes beheben läßt. Es handelt sich dabei um die Unterbringung der pathologish-anatomishen Sammlung.

Für diese ares und einzigartige Sammlung fehlt es an Auf- ftellungsräumen. Infolge defsen is sie in dem für die Zwecke des pathologishen Instituts bestimmten Gebäude, wie es gerade gehen wollte, untergebracht. Die Sammlungsgegenstände haben dort nur zum geringsten Theil ordnungsmäßig aufgestellt werden können ; die meisten sind noch in Kisten verpzckt, lagern in dunklen Keller- und Bodenräumen, stehen in drei- bis vierfahen Reihen aufgeschichtet und werden kurzum so aufbewahrt, daß ihre Benußung für Unter- riht8zwecke ebenso wie ihre wissenschaftlihe Ordnung, Bestimmung und Verwerthung nahezu Rie ift. Zugleich is dadur das Institutsgebäude) in solhem Maß in Anspruch genommen, daß die näâhsten Aufgaben desselben wesentlih beeinträchtigt werden.

Veberdies aber und vor allem kommt in Betraht, daß das In- stitut8gebäude weder nach seiner Tragfähigkeit, noch nach seiner sonstigen Beschaffenheit zur Aufnahme einer so großen und wegen der vielen Spirituspräparate feuergefährlißen Sammlung geeignet ist. Schon vor einigen Jahren hat das Institutsgebäude, weil es dem Einsturz drohte, dur starke höôlzere Pfosten im Innern gestüßt werden müssen, und eine neuerdings vorgenommene tehnische Untersuchnng hat ergeben, daß die Belastung des Instituts die äußerste zulässige Grenze erreiht hat und weitere Sicherheitêémaßnahmen unerläßlich find. Zugleich hat ns dabei herausgestellt, daß dasselbe wegen seiner engen hölzernen

endeltreppen und Holzbalkendecken sowie mit Rücksicht darauf, daß je darin au ein chemisch-pathologisches Laboratorium befindet, eine eständige und große Feuersgefahr bildet.

Zur Beseitigung dieser Mißstände ist die s{hleunige Herstellung eines besonderen Sammlungsgebäudes geboten. Es wird beabsichtigt, dasfelbe am Alexander-Ufer in der Nähe des pathologischen Instituts zwishen der Neuen Charité und dem Kinderhospital zu ‘errichten. Das Gebäude soll 5 Magazingeschosse haben und feuersicher ausgebaut werden. Es wird ausgiebige Räume für die Sammlung auch noch bei ansehnlicher Vermehrung derselben bieten und außerdem den großen

örsaal enthalten, der für die Benußung der Sammlung unentbehr- ih ist. Nah den im Ministerium der öffentlihen Arbeiten aus- earbeiteten ausführlihen Entwürfen und Kostenanschiägen werden la die Baukosten auf 492 000 4 belaufen. Für das erste Baujahr nd 200 000 M erforderlich.

Die Deckungsmittel können dem Fonds Kapitel 121 Tit. 32 ent-

nommen werden.

Statistik und Volkswirthschaft.

Einiges über die Arbeits- und Wohnfstätten im österreihishen Gewerbe.

(Nach den Berichten der K. K. Gewerbe-Inspektoren für 1895.)

Neben dem gewerblichen Lehrlingsroesen (vergl. Nr. 111 des „Reichs- und Staats-Anzeigers“) ift in den Berichten dêr österreichischen Gewerbe-Inspektoren für das Jahr 1895 auch den Arbeits - und Wohnstätten im Gewerbe eine besondere Aufmerksamkeit zu- gewendet worden, und es erf{eint wohl am Play, einige Wahr- nehmungen und Urtheile aus dem in den Berichten reihlich gebotenen Material, welche auch in Deutschland interessieren dürften, namentlich au aus dem von der s\taatlihen Beaufsichtigung noch weniger berührten Gebiet des Kleingewerbes, hier mitzutheilen.

Vorausgeschickt sei eine allgemeine Bemerkung des Bericht- erstatters für Wien, welhe dahin lautet: „Die im Se vorgenommenen Inspizierungen haben die Wahrnehmung bestätigt, daß die Beschaffenheit und Einrichtung der Betriebe in siherheit- licher Beziehung viel besser als in gewerbe-hygienischer Hinsicht den Anforderungen entsprechen und daß diefer Unterschied namentlich im Kleingewerbe besonders [hal hervortritt. Die Erklärung hierfür liegt wohl ‘darin, daß die bei Maschinen, Apparaten und sonstigen Betriebseinrihtungen bestehenden Unfalls- eaen in der Regel leiht erkennbar und mit geringen Kosten zu eheben sind, während die hygienishen Mängel sich nit in fo auf- fallender Weise bemerkbar maten und die Beseitigung derselben aen größere Auslagen bedingt.“ Es stimmt damit überein, was er Berichterstatter für Linz schreibt: „So erfreulich es ist, berichten zu können, daß sich die Wohnungsverhältnisse der Arbeiter bei den meisten größeren Unternehmungen alljährlih besser gestalten, fo bedauerlih ist es, bezüglih der Arbeits- und Wohnräume im Kleingewerbe nicht ebenso günstige Wahrnehmungen zur Mitthei- lung Pilanen zu können. Es liegt wohl in der Natur der Verhält- nisse, daß die leider häufig vorkommenden Mißstände nur {wer zu beseitigen sind, wenn dies mit einem relativ größeren Geldopfer ver- bunden ist. Man muß sich oft nur darauf beschränken, das durchzu- ühren, was wenig oder nichts kostet, nämlih Ordnung, Rein- ihkeit, Verbesserung der Luft u. dergl. Glücklicherweise feplt es auch in diesen Kreisen nicht an lobenswerthen Ausnahmen.“

So geneigt die österreihishen Gewerbe - Inspektoren fast sein scheinen, eine derartige billige Nachsicht bei der Durchführung gewerbe - hygienisher Verbesserungen im Klein- ferde gelten zu lassen, so beweisen die Berichte, wenn man auf ie Einzelheiten eingeht, doch hinreichend, daß im „österreichischen Kleingewerbe in beträhtliher Ausdehnung bisher Zustände bestanden haben, deren Abstellung ohne Nachsiht gefordert werden mußte und wohl in sehr vielen Fällen auch ohne den Aufwand nennenswerther Kosten zu erreichen war. Ein Bild hiervon möge nachstehende Schilderung, welche. der Berichterstatter für Graz, einer Stadt mit immerhin

hlungsfa iger und a uriiSoouer Kundschaft, unter anderen von t,

einer Anzahl dortiger Bäckereibetriebe giebt, wobei zu bemerken ist, daß er mit diesen Sgilderungen keineswegs allein steht. Er fand in einer Bäckerei z. B., daß der vertikale Abortshlauch durch

der : t ; s i Be er

den Backofen hindur geleitet war. Die Abortkammer war nur dur eine knapp neben der Einschußstelle in der Backküche ange- brachte H zu betreten, deren untere Seite von Ündétieter voll beseßt war. n einem anderen Betriebe stand das eiwa 1 m unter dem Hofniveau liegende „Burschenzimmer* in direkter Verbindung mit dem Abort und war von zwei Seiten von einem ungedeckten Kanal eingefaßt, in welchem die Jauche aus dem nahen Pferdestall sich ergoß. Die Lüftung dieses „Zimmers* erfolgte yor- nehmlih durch den Abort. In einem dritten Betrieb find die beiden

ackfküchen dur. einen engen Paras von einander getrennt, in welchen ein sehr primitiver Abor eingebaut is; knapp vor diesem ist eine hölzerne „Rutsche“, auf der die im oberen Stockwerk geformte Teigmasse hinabgleitet und, wenn nicht geshickt aufgefangen, in den Shmuyß kollert; die Abortfässer wurden dur die Brotkammer ins Freie gerollt. In einem vierten Betrieb lagerte das frische Gebäck auf Stellagen im Hofraum; darüber dehnte d ein offener Gang, an dessen eisernem Geländer das Abklopfen der Kleider und Teppiche bewirkt wurde. In einem fünften Be- triebe befand \ich L ¿wei als Schlafräume pvicuenden Verschlägen ein Lokal, welches, durch eine Bretterwand in zwet Wheile E einestheils als Lagerraum für Salz und Fettstoffe, anderer- eits als Abort diente, u. \. w. Daß Arbeiter und Lehrlinge, ja auch Waarenausträgerinnen in beträchtlicher Anzahl in den Bakküchen thre Schlaffstelle haben, diefe sogar beibehalten, wenn sie erkranken, wird außerdem vielfach und niht nur in Graz wahrgenommen. Man wird der ape neue gewiß Necht geben, wenn sie in solhen und ähnlichen Fällen keine Nachsicht übte, selbs wenn die Abänderung mit einigen Kosten verbunden s{chien. Nach den Berichten is der Erfolg, wo in solhen Fällen eingegriffen wurde, fast immer ein durchaus befriedigender gewesen. Auch in anderen Gewerbszweigen ist die Einrichtung der Slafstellen für die Gesellen und Lehr- linge in den s\tädtishen Kleinbetrieben eine derartige, daß das Schlafen der Gesellen und Lehrlinge in ländlihen Handwerks- betrieben, deren Inhaber nebenher etwas Landwirthschaft treiben, während der guten Jahreszeit auf dem luftigen Heuboden, während des Winters im warmen Stalle „dem gegenüber niht einmal als \{chlecht bezeichnet werden kann.“ Die Unlust der Meister, den zur Behebung solcher Uebelstände getroffenen Anordnungen zu entsprechen, findet, wie der Berichterstatter für Pilsen u. a. hervorhebt, oft in den „heftigsten Entgegnungen“ Ausdruck. „Viele glauben, daß folhe An- ordnungen den unberechtigten, durch die soziale Strömung bedingten Anforderungen der Arbeiter entspringen, und vermeinen, zur Bornahme geeigneter Anordnungen um so weniger verhalten werden zu können, als die jeßigen Schlafstellen im Verhältniß zu den zur Zeit ihrer eigenen Lehrzeit als Schlafraum dienenden Stallungen und Heuböden als nennenswerthe Verbesserung zu betrachten sind.“

Was die Wohnungsverhältnisse der großindustriellen Arbeiter anbelangt, so wird in dem Vorlagebericht des Zentral- Gewerbe-:Jnspektors die Forderung, dem Unternehmer für den Fall, daß öffentlihe Interessen dafür sprechen, eine „Verpflichtung, für die Unterkunft seiner Arbeiterschaft Sorge zu tragen“, aufzuerlegen, mit Rücksicht auf die gemachten Erfahrungen als eine „nur allzubegründete* bezeihnet. Diese frage habe heute éine um fo (S Bedeutung, als sehr viele Industrieunternehmungen ihre Be- triebs\tätten in kleine Ortschaften verlegen und in diesen nur zu häufig der fanitätspolizeiliche Dienst viel zu wünschen übrig lasse. In einem kleinen Gebirgsstädthen, in welchem seit Jahren kein einziges neues Haus gebaut worden war, sei infolge der Errichtung mehrererGroßbetriebe, die 500 zugewanderte Arbeiter beschäftigen, ein solher Wohnungsmangel ein- getreten, daß felbst Wohnungen, weilte kaum für einige Personen ausreihten, mit 65 Arbeitern belegt wurden. Der Aufforderung des Bürgermeisteramts, dieser Kalamität durch Errichtung von Arbeiter- häusern zu teuern, leisteten die Unternehmer keine Folge, weil eine geseßlihe Verpflihtung dazu für sie niht bestehe. Die Behörde mußte nun aus gesundheitspolizeilihen Gründen zu einer zwangs- weisen Delogierung der in überfüllten Wohnungen untergebrahten Arbeiter shreiten und leßtere zum Verlassen des Arbeitsorts zwingen.

Demgegenüber wird erfreuliher Weise in vielen Berichten fest: gestellt, daß der Errichtung guter Arbeiterwohnungen von den Inhabern der Großbetriebe in zunehmendem Maße eine sehr anerkennen8werthe Fürsorge zugewendet wird. Auch von anderer Seite wird in dieser Richtung thatkräftig vorgegangen. So hat unter anderem die „allgemeine Sparkasse und Pfandlethanstalt in Linz* neuerdings ut qieem Erfolg eine Kolonie von Arbeiter- häusern errihtel. Bei den vielfah von Großbetrieben eingerihteten Arbeiterschlafsälen is dis für die Beurtheilung der nur zu oft übertriebenen Forderungen aus agitatorishen Kreisen lehrreihe Wahrnehmung gemaht worden, daß sie vielfah von den [ledigen Arbeitern, für die sie hauptsählich bestimmt sind, nicht in dem Maße benußt werden, als es erwünscht wäre und als der Größe der Näumlichkeiten entsprehen würde. Der Grund dafür ift lediglich darin zu suchen, daß hon das geringe Maß von Zucht und Ordnung, welches in solhen Massenquartieren unerläßlih ift, den Burschen zu viel ist, und sie deshalb die \{lechteste Unterkunft vor- zichen. Der eine Berichterstatier sagt: „Die ledigen Arbeiter ver- zihten auf die guten Gratisschlafstellen aus Gründen, die besser unerörtert bleiben.“ : y

Zum Schluß sei noch eine Bemerkung des Berichterstatters für Troppau über die Verwendung von Kleinmotoren im Hand- werk, welhe von den österreihisen Gewerbehörden in besonders anerkennens8werther Weise gefördert wird, als beahtenswerth mitgetheilt : „Die in manchen mit Motoren ausgestatteten Kleinbetriebea gemachten Wahrnehmungen können in Uebereinstimmung mit denen mehrerer Amtékollegen in anderen Bezirken dahin zusammepgefaßt werden, daß durch die Einführung des motorishen Betriebes in kleingewerblichen Anlagen der Zustand der Arbeitsstätten, vom Standpunkt des Arbeiter- \{chußes beurtheilt, nit selten eine thatsähliche Vershle&terung er- fährt, welhe fich in einer geradezu gefährlihen Raumausnußung, \{lechter Luft, mangelhafter Reinlichkeit u. dgl. bemerkbar macht. Motoren und motorisch betriebene Arbeitsmaschinen bedürfen eben einer fahkundigen Aufstellung und sorgsamen Pflege, an denen es im Kleingewerbe nur allzu häufig mangelt.“ h n

Es liegt auf der Hand, daß das hier berührte Moment für die weitere Ausgestaltung des Arbeitershuyes im Kleingewerbe von ganz erhebliher Bedeutung werden kann. Jedenfalls lassen die Berichte der österreihishen Gewerbe-Aufsichtsbeamten darüber keinen Zweifel, daß au das Kleingewerbe hinsihtlih der Arbeits- und Wohnstätten einer unausgeseßten sharfen Aufsicht nit entrathen kann, wenn auch die Gewerbe-Inspektoren allein mea Aufgabe nicht zu genügen ver- mögen. Die Gewerbe- und Gesundheitspolizei in den Ortsgemeinden wird dabei, wie es nach dem Bericht scheint, auch in Oesterreich in erster Linie mit weit mehr Ernst als bisher Hilfe leisten müssen, wenn durchgreifende Erfolge erzielt werden sollen.

Kunft und Wissenschaft.

Jnternationale Kunst-Ausstellung Berlin 1896. I. Historishe Abtheilung. (1696—1896.)

L. K. Die Königlihe Akademie der Künste hat ur würdigen Teer gros rwe hum ert rigen Es er diesjährigen Kunst - Ausstellung eine historishe Abtheilung eingefügt, die Werke von Lehrern und Mitgliedern der Kunst-

Hochshule aus den beiden leßten Jahrhunderten enthält und damit ein Bild von der Entwickelung der Berliner Malerei und Skulptur in diesem Zeitraum geben soll,

Die Waffenthaten des Großen Kurfürsten hatten den Grundstein zum Aufbau eines preußischen Königthums gelegt. Dem nach außen geschüßten Leben den Shmuck des Friedens gu leihen, war eine der ersten, aber auch s{wersten Aufgaben

es ersten preußishen Königs. Ohne Ueberlieferung, ens einheimische Rees Kraft galt es, aus dem Schutthaufen, ! den der dreißigjährige Krieg auch den Siegern als einziges

Erbe hinterlassen, Reues, Glanzvolles aufzuf seiner Krönung zum König von Preußen faßte 1696 den Plan, auch der bildenden : Pflegestätte in seinem Staat zu errichten. i diente Staatsmann und Premier-Minister Eberha Dandckelmann stand ihm bei der Ausführung dieser Absicht mit Eifer zur Seite. Der holländische Maler Augustin Terwesten, dessen Lehrer Wiclin als Hofmaler des Großen Kurfürsten nah Berlin berufen war, hatte bereits im Anfang der achtziger Jahre im Haag nah dem damals mustergültigen Vorbild der Pariser Akademie eine Hochschule eingerichtet. Jahre 1690 wurde er von Friedrih l. nach Berlin berufen ; er wußte dem Kurfüsten, wie Houbraken sagt, die Errichtung einer Kunstakademie „z00 smakelik“ vorzustellen, daß ihm der Bau und die Aufsicht Übertragen wurden. Sein Bruder Elias, der sich in Rom aufhielt, besorgte dort e von Antiken und erwarb das s{ône Kunstkabinet des Bildhauers Pietro Bellori für Berlin. „Sngwishen wurden sechs Säle für die Akademie bestimmt, zu ihren verschiedenen Zwecken eingerichtet und in jedem ein Aufseher oder Lehrer angestellt. Jm ersten Saale wurde die Jugend in den Anfangsgründen der Kunst unterrichtet; im zweiten wurde nah Gipsabgüssen gezeichnet ; der dritte diente als Versammlun as der Direktoren; der vierte für den Unterricht in der Perspektive, Meßkunde, Bau- kunde und Befestigungslehre; der fünfte war für den Unter- riht in der Anatomie, sowie im Falten der Gewänder be- stimmt; der sechste oder die ale Schule war ein großer ovaler Saal, in welchem die erwähnten Statuen (Bellori's Antiken) in der Runde standen und so aufgestellt waren, daß jede auf ihrem Piedestale gedreht oder dne Mühe verrückt werden konnte. Als im Jahre 1697 alles vollendet war, ersuchte Terwesten den Fürsten und den Hofstaat, den Bau zu be- ihtigen, der ihren Beifall fand.“ Dies waren die be- cheidenen Anfänge der Berliner Akademie nah der Schilderung Houbraken's, die durch Urkunden dahin erweitert wird, daß im Jahre 1695 der Berner Miniaturmaler Josep 9 Werner zum Direktor der neu zu gründenden Anstalt berufen wurde und 1696 der Unterricht im Obergeschoß des von Nehring erbauten Marstalls in der Dorotheenstraße be- gann. Die Stiftungsurkunde wurde erst im Jahre 1699 voll- aaen. Aus den ersten, durch Streitigkeiten der künstlerischen ivalen wildbewegten Zeiten der Akademie sind in der Ausstellung einige Werke Joseph Werncr's, Michael Probener's und Andreas Schlüter's vertreten. Außer Schlüter's nicht einmal ganz authentisher Büste Friedrich's I. lassen uns Vi Werke kaum bedauern, daß sie nur in kleiner Zahl auf uns gekommen sind. Die damalige Malerei gefiel ns in mattem Eklekticismus und gelehrter Allegorie ; die Bedeutung Werner's liegt mehr auf dem Gebiet der Klein- kunst, als der großen Malerei. Jn ein besseres Licht wird die künstlerishe Thätigkeit der Berliner Akademiker schon gerückt durch die reichhaltige, für die Ausstellung zusammengebrachte Sammlung von Werken Antoine Pes ne's, des Hofmalers riedrih's des Großen, unter denen namentlih das jugend- ihe Bildniß des großen Königs, das Familienporträt des Künstlers, die Barbarina und das Porträt des errn von Erlach hervorgehoben zu werden verdienen. Freilich ist auch Pesne, ein geborner Pariser, in seiner Malerei nur ein Nachahmer der größeren Kunst seiner fran- zösischen Zeitgenossen, aber der liebenswürdige Geschmack, die Grazie des Rococo leiht seinen Werken eine auch heute noch fesselnde Sprahe. Von dem 1751 in die Berliner Akademie eingetretenen Blaise Nicolas Lesueur haben lo leider für die A keine Werke Berns lassen. Auch der e

folgende Direktor der Akademie Bernhard Rode ist nur mit einem der Siadt Berlin gehörigen Porträt Fricdrich's des Großen repräsentiert. Jn eine weitere und bedeutende Epoche des Berliner Kunstlebens führen uns die Werke der Kupfer- steher GeorgFriedrihSchmidt undDanielChodowiecki. Schmidt, der zu den genialsten Virtuosen des Grabstichels im achtzehnten Jahrhundert zu zählen is}, war allerdings als Maler nicht thätig; eine Röthelstudie von ihm G be- weist eine große N Begabung. E R d i, der als Leiter der Berliner Akademie 1801 starb, läßt sich als Zeichner und Maler vortrefflich auf der Ausstellung studieren. Ins- besondere werden auch seine zahlreihen Email- und Miniatur- malereien sowie die meisterhaften Skizzen zum Tagebuch seiner Danziger Reise lebhaftes Jnteresse der Berliner Kunstfreunde erregen. Chodowiecki legte dem bewußten Realismus in- mitten einer sentimentalen und von der Verlogenheit fran- ösisher Schäferpoesie Hypnotisierten Umgebung eine Bresche. Seine Schilderungen des deutschen Kleinbürgerlebens beanspruchen daher niht nur als Urkunden zur Sittengeschichte in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, sondern auhch als echte Kunstwerke gerehte Bewunderung. Von Anton Graff, dem deutshen van Dyck des achtzehnten Jahrhunderts, der nur als Ehrenmitglied der Berliner Akademie an- gehörte, find zahlreihe, mit liebevoller Durchführung treffende Charakterschilderung verbindende Bildnisse, darunter wei Gotthold Ephraim Lessings, und ein sehr libendiges des Stechers Chodowiecki in der Ausstellung. Sehr dankenswerth ist au die Ueberlassung einer Neihe von Kartons und Zeichnungen aus dem Besiß des Großherzog- lichen Museums zu Weimar, die den ersten großen Verkünder des antiken Kanons Jacob Asmus Carstens zum Schöpfer haben. Die Werke J. Cunningham's (3400), des Bildhauers J. O Schadow (Büste Gilly's 3612) und des Rektors der Akademie Friedrih Georg Weitsch (3684 bis 87) leiten hinüber in die Regierungszeit Friedrih Wilhelms II., aus der besonders der Bildhauer Wichmann (3700: „Wasser- {öpferin“) und der 1811 in die Akademie eingetretene Schöpfer des Friedrich - Denkmals Christian Rauch hervorragen. Rauch's Büsten Friedrih Wilhelm's 1V., Goethe's, Zelter's und Jmmanuel Kant's geben allerdings von seiner Be- deutung nur ein einseitiges Bild. Jahre 1811 wurde auh Karl Friedrich Schinkel an die Akademie berufen, dessen Wirken für das Kunstleben Berlins eine so entscheidende Wendung zum Klassizismus bedeutete. Seine Zeichnungen und Bilder, jowie seine Theaterdekorationen und ein Bronzebrunnen, die aus dem Beuth-Schinkel-Museum und dem Kultus-Ministerium für die Ausstellung dargeliehen wurden, ragte von der idealen Einseitigkeit des großen Archi- tekten, die er auf so verschiedenen Gebieten bethätigte. Der Bildhauer Christian Friedrich Tieck (3662) und der Maler

Wach (3677 bis 79) sind unter den Berliner Künstlern im

Gefolge Schinkel’'s und Rauh's noch zu nennen, während

Peter von Cornelius, der 1820 in die Berliner Akademie

eintrat, wiederum eine Erscheinung von selbständiger E

eshihtliher Bedeutung ist, die freilich zwei kleinere

(: und 3398) nur unzulänglich vergegenwärtigen. Seine