1896 / 120 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 20 May 1896 18:00:01 GMT) scan diff

s vielleicht einmal dazu bestimmt if, eine oder die andere dieser großen __ Bakhnen zu entlasten und eine neue Umgehungslinie um Berlin her- zustellen. Nun if zur Zeit der Verkehr auf den auderen Linien noch nicht so weit gediehen, daß man sagen müßte: es ift unbedingt {hon

der Moment gekommen, wo man zur Entlaftung dieser Strecke eine neue

_Linie baut. Dahingegen ift nicht zu verkennen, daß die betreffende Landschaft ein außerordentlih dringendes Verkehrsbedürfniß hat, durch diese Linie

_an die bestehenden großen Radialbahnen angeschlossen zu werden. Ih bin daher neuerdings in die Untersuhung der tehnishen, der wirth- schaftlichen und der finanziellen Verhältnisse einer derartigen Gisenbahn- verbindung eingetreten. Diese Ermittelungen sind noch nicht abge- \ch{lossen, ih bin daher au heute niht in der Lage, eine definitive Antwort auf die Frage des Herrn von Rochow zu ertheilen, um so weniger, als ich ja für mi allein eine Zusage über den zukünftigen Ausbau einer neuen Eisenbahnlinie überhaupt niht geben kann, vitel- mehr da noch eine ganze Reihe anderer Faktoren mitzureden haben.

Jn der Spezialdiskussion werden die auf die Eisenbahn- angelegenheiten bezüglichen Theile der Vorlage und die Reso- lution a ohne Debatte angenommen. L

Darauf wird über die Errichtung von Kornhäusern verhandelt.

Graf Udo zu Stolberg-Wernigerode u. Gen. beantragen dazu folgende Resolution : :

die Regierung zu ersuchen, dieselbe ‘wolle im Bundesrathe dahin wirken, daß 1) dem vom Reichstag lee Verbot des Börsen- Termingeshäfts in Getreide und Mühlenfabrikaten die Zustimmung ertheilt werde, S der Zollkredit für Getreide aufgehoben werde.

Herr von raß: Ih erblicke in den Kornhäufern ein wesentlihes Mittel, wenn auch nur vorbereitender Art, zur Baue der Nothlage der Landwirthschaft, welhe durch das Sinken der Preise des Getreides veranlaßt ist. Die Handelsverträge haben drückend auf die Preise gewirkt, die Börse beeinflußt täglih die Preise, die Land- wirthe folgen willenlos dem Ukas der Börse. Ohne einen Wandel dieses Zustandes ist ein Wandel in der agrarishen Lage nicht denkbar. Die Landwirthe müssen diese Fesseln sprengen, und das können sie nur mit Hilfe der Assoziation thun. Gelingt es nicht, die Land- wirthe zu einer gemeinsamen Aktion zu veranlassen, so ist der Noth- \stand nicht zu beseitigen. Der Bund der Landwirthe hätte manches leisten können, aber ih beklage die Gntiwicklung, die er genommen hat, indem er zuerst nah politisher Macht strebte. Er hätte sich zunächst mit der materiellen Lage der Landwirthe beschäftigen sollen. Die Art der zu errihtenden|Kornhäuser kann man nicht auf Grund von Erwittelungen Über die {hon bestehenden Kornhäuser bestimmen, denn diefe dienen nur dem Handelszweck, nicht der Landwirthschaft. Die Regierung hat {on

egen die Silos Stellung genommen ; aber uur mit dem Syftem der

ilos fôönnen wir ein Getreide erhalten, mit welhem unsere Land- wirthschaft mit dem Auslande konkurrieren kann. Die Kornhäuser werden bedeutenden S auf die Preisbildung ausüben unter Be- seitigung des Zwischenhandels, fie dürfen aber niht aus der Sphäre des Konsums und der Produktion heraustreten, müssen an Verkehrs- zentren ftehen und dürfen niht mehr als 6000 Tonnen fassen. Die Gebühr für die einzulagernde Tonne Getreide darf niht 1 4 über- steigen. Ein System kleiner Kornhäuser ist billiger zu verwalten als große Kornhäuser. Die Aufhebung des Terminhandels in Getreide ift in dem unvermittelten Uebergang vielleiht eine bedenklihe Maßregel, die preisdrückend wirken kann, aber troßdem begrüße ih diese Maß- regel mit großer Freude, denn nur dadurch allein kann die Land- wirthschaft gesunden. Diese Maßregel erfordert aber den s{leunigen Bau von Kornhäusern, auf welhe dann der Getreidehandel ange- wiesen sein wird. E S

Graf Udo zu Stolberg bält eine Assoziation der Landwirthe nicht für ausreichend, da Deutschland kein ifoliertes Land sei, sondern auch von anderen Ländern abhänge. Mit den Kornhäusern müsse ein Versuch gemaht werden. Ueber das Verbot des Terminhandels habe die Regierung im Mas eine halb zustimmende Erklärung ab- gegeren, aber doch nicht so bestimmt, daß ein Votum des Berronbauses

berflüssig sei. Die Aufhebung des Zollkredits für Getreide sei au im Reichstag mit Unterstüßung der Nationalliberalen beantragt worden, und fie solle zwar nicht eine erhebliche Hebung der Getreide- preise, wohl aber eine Gesundung des Getreidemarktes herbeiführen. Er bitte um Annahme der Vorlage und der beiden Resolutionen. f Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- tein:

Meine Herren! Wenn ih den Ausführungen des Herrn von Graß gefolgt bin, so gipfeln sie am Schluß darin, daß er sich nicht gegen die Vorlage der Königlichen Staatsregierung ausspriht. Es läge daher eigentlih kaum ein zwingender Anlaß vor, auf die Darlegungen des Herrn von Graß einzugehen. Jch beschränke mich daher auf einige furze Bemerkungen.

Herr von Graß geht von dem Gedanken aus, daß, wenn zehn Zehntel der gesammte Bedarf an Getreide ist, dessen Deutschland be- darf, etwa neun Zehntel dur die Produktion des Inlandes gedeckt „werden und ein Zehntel vom Auslande zugeführt werden müsse. Nun ift er der Meinung, daß diejenigen, die die neun Zehntel des Bedarfs des deutschen Inlandes beschaffen, in der Lage sind, einen maß- gebenden Einfluß auf die Preisbildung auszuüben. Es ift dies zwar fo scharf in den Darlegungen des Herrn von Graß, die er heute ge- geben hat, niht hervorgetreten, wie ih es eben ausführte. Ich habe aber wiederholt Gelegenheit gehabt, mich mit Herrn von Graß über diese Frage zu unterhalten, und habe aus feinen Darlegungen obige Anschauun g gewonnen. Nach meinem Verständniß seiner Darlegungen ist dies der Grundgedanke seiner Ausführungen.

Nun hat aber Herr Graf zu Stolberg \chon- darauf hingewiesen, daß in diesen Darlegungen unzweifelhaft sich eine Lücke befindet. Wenn Herr von Graß nämlich neun Zehntel inländishe Produktion zurühält, sie niht auf den Markt bringt, um eine markt- hebende Preissteigerung herbeizuführen, so bringt das Ausland das Entsprehende mehr nah Deutschland herein als das eine Zehntel, welches das Ausland unter allen Umständen decken muß. Damit geht die Einwirkung, welche Herr von Graß dur seine Manipulationen auf den Preis ausüben will, verloren. Herr von Graß hat \ich ferner auch, glaube ih, in seinen Ausführungen widersprohen. Er sagte: Angebot und Nachfrage haben keinen Einfluß oder sind nicht die maßgebenden Faktoren für die Preisbildung. Diese Behauptung hat aber Herr von Graß durh seine eigenen Darlegungen widerlegt, indem er sagte: Wenn in Pommern die Landwirthe durch Geldver- legenheit gezwungen sind, ihr Getreide auf den Markt zu bringen und wenn dadurch zeitweise das Angebot die Nachfrage übersteigt, so hat das die Folge einer Preissenkung in Sachsen. Damit ift also das Gegen- theil von dem bewiesen, was Herr von Graß behauptet, nämlich : die über den Bedarf hinaus gesteigerte Anbietung von Getreide in Pommern hat eine \inkende Einwirkung desselben in Sachsen zur Folge. Damit widerlegt Herr von Graß die Richtigkeit der von _ihm aufgestellten Behauptung.

Dann sagt ferner Herr von Graß, er fei einem abshließenden Urtheil darüber gelangt, welhe Art der inneren technishen Einrichtungen der Getreidehäuser

die einzig rihtige sei. Herr | von Graß sagt: Zweifellos sei nur

bereits zu

das Silosystem das richtige, und nur üähch diesem Systent dürfe gebaut werden, auch {hon deshalb, weil dur das Silosystem fich .die Bauten billiger ausgestalten, und weil man über einen be- stimmten Geldbetrag für die Verarbeitung des Getreides nit hinaus- gehen dürfe; das könne man nur mit Silos erreihen. Meine Herren, ih habe die größte Hochachtung vor den theoretishen Studien des Herrn von Graß, der, wie er selbst sagt, sh seit fünf Jahren mit dieser Frage beschäftigt hat. Herr von Graß hat eine Rethe fehr interessanter Broschüren über seine theoretishen Untersuchungen ver- öffentliht. Es sind das aber eben nur theoretische Betrachtungen, Herrn von Graß fehlen aber ebenso die abshließénden praktishen Er- fahrungen darüber, welhe technischen Einrichtungen für die Be- handlung des deutshen Getreides und darauf kommt es an die rihtigen find. Es wird zwar von der einen Seite behauptet, daß die Siloeinrihtungen dafür geeignet seien, Getreide, welhes einen hohen Feuchtigkeitsgrad hat, bis zu dem Grade der Troenheit zu bringen, welcher für eine längere Konservierung erforderli is. Von anderer Seite wird das bestritten.

Praktishe Erfahrungen darüber fehlen jedenfalls noch, und ih glaube, daß wir rihtig und klug handeln, folhe zunächst zu sammeln, und das beabsichtigt die Königliche Staatsregierung, welche zu dieser Frage noch keine Stellung eingenommen hat. Die Behauptung des Herrn von Graß in dieser Richtung ift. unrichtig. Die genossenschaft- lihen Bildungen, welche die Träger dieser ganzen Einrichtungen sein follen und sein wollen, werden ihrerseits zu erwägen haben, in welcher Art sie die Einrichtung ihrer Kornhäuser treffen, wie sie dieselben verwalten wollen.

Persönlich, meine Herren, bin ih der Meinung, daß, selbst wenn die Staatsregierung dem Antrag des Herrn von Graß entsprechend allerlei Versuhe in dieser Richtung anstellen würde, doch immer noch von den Genossenschaften Lehrgeld gezahlt werden muß. Diejenigen Genossenschaften, welche zuerst mit den Anlagen vorgehen, werden gewissermaßen die Pioniere sein und das Lehrgeld zahlen müssen, um feftzustellen, welche Einrichtungen die zweckmäßigeren und die entsprehendsten sind wir mögen uns theoretisch darüber so viel unterhalten, wie wir wollen. Die Ansihten der Betheiligten sind in dieser Richtung einstweilen noch sehr verschieden. Herr von Graß behauptet, das Silosystem sei unanfechtbar ; Andere sagen: das Speichersystem is unzweckmäßig; Herr von Mendel in Halle behauptet, das gemishte System fei wahr- scheinlih das richtige. Festzustellen, wer von diesen Autoritäten Recht hat, ift nur durch die Ausführung praktisher Versuche möglich.

Nun, meine Herren, hat Herr von Graß den Antrag gestellt :

Die Königliche Staatsregierung möge Versuche und Ermitte- lungen über die unferer landwirthschaftlihen Produktions-Eigenart und über die unsern heimischen Verkehrsbedingungen am besten ent- \sprehenden Formen und Einrichtungen der Kornhäuser anordnen.

Ich glaube, ohne daß ich im Einverständniß mit der Königlichen Staatsregierung zu sprehen in der Lage bin, daß, wenn das Hohe Haus einen folchen Antrag annimmt, die Staatsregierung, vor- ausgeseßt, daß Mittel dazu zur Verfügung stehen die Frage ift bestreitbar, ob aus den 3 Millionen Mittel für solchen Zweck zu entnehmen find —, wahrscheinli bereit ist, auf diesen Antrag einzu- gehen und einen folhen Versuh zu machen. Ein f\olher Versuch würde vielleiht in der hiefigen Lehrbrauerei gemaht werden können, ein folher Versuh wird immerhin zu anfehtbaren Ergebnissen führen und vielleicht unnöthige Kosten verursahen und dabei anfechtbar sein.

Durch längere praktishe Erfahrungen wird man erst Klarheit in der Frage erlangen und die Versuche werden, wenn fie in praktischer Hand liegen, - wahrsceinlich ein fichereres Resultat geben, als wenn die Staatsregierung sie mat, da dabei doch immer ein gewisser Bureaukratismus unvermeidlich ist. Da Herr von Graß im wesentlichen in der Sache mit der Königlichen Staatsregierung einverstanden ist und zwar dahin, daß die beantragten 3 Millionen gewährt werden sfollen, fo [iegt keine Veranlassung vor, auf eine Reihe anderer Bemerkungen und Erwägungen des Herrn von Graß näher einzugehen; auh er will und Herr von Graß nickt mir zu —, daß der Antrag Ihrer Kommission angenommen wird.

Nun noch ein paar kurze Bemerkungen zu dem Antrag des Herrn Grafen Udo zu Stolberg. Herr Graf Stolberg will die Königliche Staatsregierung ersuchen, im Bundesrath dahin zu wirken, daß

1) dem vom Reichstag beschlossenen Verbot des Börsen-Termin- geschäfts in Getreide und Mühlenfabrikaten die Zustimmung er- theilt werde.

Die Entscheidung der verbündeten Regierungen wird vor der dritten Lesung der Vorlage erfolgen. Wie sie erfolgt, darüber bin ich nicht befugt, mich heute zu äußern. Ich glaube, daß man vielleicht annehmen darf, diese Erklärung werde zustimmend erfolgen, da der Beschluß des Reichstags mit großer Majorität gefaßt ist. (Lebhaftes Bravo!)

Der zweite Antrag bezieht \sih auf die Aufhebung des Zollkredits für Getreide. Meine Herren, die landwirthshaftlihe Berwaltung hat die Landwirthschaftskammern und die noch beftehenden Zentral- vereine zu einem Gutachten übec diese Frage aufgefordert. Alle Gut- achten liegen noch nicht vor. Die große Mehrzahl der vorliegenden Gutachten empfiehlt im landwirthschaftlihen Interesse die Annahme des Antrags. Ein Beschluß der Staats- bezw. Reichsregierung über den Antrag liegt noch nicht vor, ich bin daher niht in der Lage, etwas Weiteres mitzutheilen. (Bravo!)

Graf von Klinckowstroem glaubt nah dieser Grklärung, daß das Verbot des Terminhandels bald erfolgen werde, und betont die Nothwendigkeit einer Ginschränkung der ausländishen Getreideeinfuhr ; S olt die Annahme der Vorlage und namentlich des Antrags

Herr von Herßberg empfiehlt, besonders in Pommern einen Versuch mit den Kornhäusern zu machen.

Graf von Schlieben nimmt den Bund der Landwirthe gegen die Angriffe des Herrn von Graß in S \spriht sih gegen die

ntr

Ee der Kommission und für den ag des Grafen Stol- era aus.

Die Errichtung der Mar aer, die Resolution þ und die Resolution des Grafen Stolberg werden angenommen; auch die Kreditvorlage im Ganzen wird angenommen.

Hierauf folgt der Kommissionsberiht über den vom Ab- Et verändert Nene Geseßentwurf,

etreffend das Anerbenreht bei Renten- und An- siedelungsgütern.

Berichterstatter Graf von Schlieben beantragt die unver- änderte Annahme der Fassung des. Abgeordnetenhauses.

Graf von Klinckowstroem bedauert lebhaft, das das Abge- ordnetenhaus die prinzipielle Aenderung der Herrenhausbes{lüsse zu

24 vorgenotiiten habe, daß éine getilate Rentenbankrente im avbuds gelöscht werden könne. Da die Regierung aber nicht für die Wiederherstellung des Herrenhausbeshlusses eintrete, verzichte er darauf, einen Antrag zu stellen. Seine Freunde ständen aber nah wie vor auf dem Standpunkt, daß eine Vershuldungêégrenze eingeführt werden wan Die Vorlage wird darauf en bloc angenommen.

Sodann wird die gestern abgebrochene Berathung der Denkschrift über die Ausführung des Kommunal, abgabengeseßes und des Antrags der Gemeindekommission auf schärfere Heranziehung der Getränke zur Gemeindesteuer

fortgeseßt.

Dber-Bürgermeister Struckmann bittet die Regierung, auh in Zukunft dem Landtag folhe Denkschriften vorzulegen, und ist mit dem Verhältniß der Realsteuern zur Einkommensteuer einverstanden, Redner bespricht ferner die Umsaßsteuer, die Gewerbesteuer und be, mängelt befonders die Baupolizeigebühren. Der Erlaß von Normal. ftatuten für die Steuern der Gemeinden sei angemessen, aber die Ge, meinden müßten nicht veranlaßt werden, si sklavish daran zu halten, Redner empfiehlt die Einführung von Biersteuern und die Annahme des Kommissionsantrags. In Bezug auf die Umsaßsteuer bestehe ein unangenehmer Mißstand infofern, als die Umsaßsteuerordnungen vieler Städte von der Aussihtsbehörde beanstandet worden seien und eg erst sehr vieler Schreibereien bedurft habe, ehe die Steuerordnungen hätten in Kraft treten können. Man müsse den Gemeinden auf diesem Gebiet mehr Freiheit lassen. Er bitte den Minister, wenn auch nicht das Normalstatut, so doch die übrigen Verfügungen über die Umsay: fteuer abzuändern.

Finanz-Minister Dr. Miquel :

Meine Herren! Ih muß mich bei der gegenwärtigen Zeitlage auf eine möglich#| kurze Erwiderung beshränken. Sie wissen aus der Theilnahme an der Berathung des Kommunalabgabengeseßes, daß das ein s{chweres Werk war. Sie werden aus der Denkschrift ersehen, daß die Ausführung noch s{chwerer war. Wir hatten es mit einem ganz buntscheckigen, grundsaßlosen Zustand in den Kommunen des Landes zu thun; da war kein Prinzip in der Steuerunterlegung der Kommunen, weder bei den Vertretungen der Kommunen in Stadt und Land, noch waren das muß ih leider hinzufügen wenigstens keine konsequenten Grundsäße bei der Staats- regierung felbst bisher befolgt. Infolgedessen hatte si das Kom- munalabgabewesen so ih kann wohl den Ausdruck gebrauhen anarchish gestaltet bei uns, wie in keinem mir bekannten Kulturlande. Man hatte eigentlich den Gemeinden, je nah ihrem Belieben, nah den Majoritäten, nah den Interessen, die da vorherrshten, fast freie Hand gelassen, ihr System so zu gestalten, wie es ihnen paßte. Nebeneinander lagen Gemeinden ganz gleicher Art, die ein völlig ab- weihendes Steuersyflem hatten. Wenn man în ein fol historish überkommenes Steuerwesen eingreift mit einer Geseßgebung, die bestimmte Grundsäße vertritt, so kann im ersten Jahre Voll- kommenes nicht erreiht werden, darüber fann doch nit der geringste Zweifel sein. (Sehr richtig!)

Herr Ober-Bürgermeister Struckmann hat ja nun au zu meiner Freude im Ganzen anerkannt, daß die Ausführung in dem Geist des Gesetzes stattgefunden hat und daß erreiht worden i}, was man erreichen konnte. Namentlich bin ih erfreut, daß er seine völlige Ueber- einstimmung ausfpriht mit den Grundsäßen, die die Regierung verfolgt hat in Bezug auf die Vertheilung der durch die direkten Steuern aufzubringenden Beträge auf die verschiedenen Arten der direkten Steuern, namentlich in Bezug auf die Belastung der Ein- kommensteuern und der Realsteuern. Meine Herren, wir werden noch viele Jahre gebrauchen, ehe es gelingt, das eigentlihe Ziel, das wir verfolgen müssen, in vollem Maße zu erreihen. Das Ziel kann durchaus nicht die Schablone sein, darin stimme ih mit dem Herrn Ober-Bürgermeister Struckmann vollkommen überein. Hätten wir eine Schablone, wie in England, in dem Lande der Selbstverwaltung, und in Frankreih, einer freien Re- publik, einführen wollen in Preußen, fo hätten wir damit nicht nur gegen unsere Anschauungen, Sitten und Gewohnheiten und Traditionen gehandelt, sondern nah meiner Meinung auch gegenüber der historishen Entwicklung in diesem ganzen Gemeinwesen etwas Unmögliches versuht. Das habe ih bi der Berathung des Kom- munalabgabengeseßes auch ausgesprohen. Jch behaupte, es ift aub danah gehandelt werden, ich glaube, den Vorwurf der Schablone kann uns der niht machen, der die Gestaltung des Steuerwesens, wie es nun jeßt auf Grund des feste Prinzipien vertretenden Kommunal- abgabengeseßes fih geftaltet hat, kennt. Wenn irgend ih weiß es ja aus eigener Erfahrung einem Verwalter einer Gemeinde, einer großen Stadt namentli, die Staatsregierung in irgend einem Punkte ent- gegentritt, so entsteht sehr leiht die Meinung: das i} eine öde Schablone, nach der hier behandelt werde; würde die Regterung die Gemeindeverhältnifse genau kennen, fo würde sie niht zu dem Resultat gekommen sein. In manchen Verhältnifsen trifft das zu, aber der Vorwurf is doch nicht in allen Fällen berehtigt. Denn wenn man auh die bescnderen Verhältnisse der einzelnen Kommunen soviel als mögli zu berücksihtigen hat, so folgt daraus noch niht, daß man ein solhes Geseg wie das Kommunalabgabengesey ohne feste, überall durchzuführende Regeln durchzuführen im stande ist. Das erscheint dann leiht als Schablone, ist aber zur gleichmäßigen Durchführung eines solchen Gesetzes nah festen Grundsäßen unerläßlih. Meine Herren, der Herr Vorredner sagt, die Umgestaltung, die ja bezügli der Realfteuern den Gemeinden freigegeben worden ist, habe eigentlich deéwegen nit durchgeführt werden fönnen, weil daneben ja die {chwierige Veranlagung der bestehen bleibenden \staatlihen Realfteuern nebenher laufe und weil das die Bürgerschaften zu sehr in Anspruch nehme.

Nun, meine Herren, die Gebäudesteuer macht gar keine Arbeit, denn sie wird nur alle 15 Jahre revidiert, die Grundsteuer noh weniger, und mit der Veranlagung der Gewerbesteuer haben die Selbstverwaltungskörper auch riht viel zu thun. Das ift also der

Grund nicht! Der Grund liegt in der natürlichen Schwierigkeit |

der Sache, die ih vollkommen anerkenne, sodaß ih garnicht erwartet habe, daß von - der Möglichkeit der fommmunalen Umgestaltung der s\taatlihen Realsteuern -in fehr kurzer Zeit ein ausgiebiger Gebrau gemacht werden würde. Herr Ober-Bürger- meister Struckmann irrt sih übrigens, wenn er seine Hildesheimer Verhältnisse in dieser Beziehung generalisiert. Denn in vielen Landes- theilen is wirklih davon Gebrau gemacht worden, namentlich be- züglih der chwersten Steuer, der Gewerbesteuer. Herr Ober-Bürgerk- meister Struckmann sollte sich einmal die Maßnahmen ansehen, die in dieser Beziehung kommunale Verbände in der Rheinprovinz und în andern industriellen Provinzen in sehr ausgiebigem Maße bereits ge- troffen haben, bezw. vorbereiten und in Zukunft noch weiter ergreifen werden. (Schluß in der Zweiten Beilage.)

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Wir sind auch in dieser Beziehung mit großer Vorsicht vor- gegangen; wic haben allerdings au hier einen Musterentwurf ge- macht, der aber keineswegs bestimmt war, die staatliche Gewerbesteuer vollständig umzugestalten, fondern sih an die staatliche Realsteuer an- {loß und nur diejenigen Modifikationen den Gemeinden anheimgab, welche sich gerade für die kommunale Besteuerung besonders empfahlen. Meine Herren, der Herr Ober-Bürgermeister sagt: die Musterstatuten allerdings, hätten wir gesagt, seien Muster, die wir den Gemeinden hingeben, um ihnen die Sache zu erleihtern. Aber faktisch sei in vielen Beziehungen aus diesem Muster ein Zwangsvorschlag geworden, weil man ein anderes als dieses Muster nit genehmigte. Jh kann versichern, in vielen Fällen, au in dem Fall der Umsaßsteuer, wenn wir Muster nicht hingegeben hätten, hätten die Kommunen überhaupt im ersten Jahr noch keine Umsaßsteuer bekommen, denn es hat \ich bei einer leider überrashend großen Zahl von Gemeinden heraus- gestellt, daß ohne Hilfe dieser Muster diese juristisch s{chwierigen Fragen, die in dieser Umsaßsteuer stecken, wohl nicht hätten richtig gelöst werden können; und deshalb haben im großen Ganzen die Kommunen si gern an diese Muster angeschlossen. Daß daneben einzelne Modifikationen erwünscht sind, auch sfolhe, die den Gemeinden wenigstens bisher niht eingeräumt sind, das ist vollkommen erklärlich. Aber auf allen Gebieten, wo wir Musterstatuten entworfen haben, ist in den Gemeinden im großen Ganzen sehr gern diefe Hilfe acceptiert worden.

Meine Herren, ich kann wohl behaupten, daß kaum bei einem Geseß sorgfältiger und eifriger von den Staatsbehörten verfahren ift, wie bei diesem Geseh, daß von vornherein das Be- streben in allen Organen der Staatsverwaltung vorhanden gewesen ist, den Kommunen in Beziehung auf die Dur(h- führung des Kommunalabgabengeseßes in jeder Weise zu Hilfe zu kommen. Das hat si, was das Staats-Ministerium betrifft, namentlich auf die durhgehenden Bemühungen erstreckt, die Pro- vinzial-Regierungen und diejenigen Organe, die die Genehmigungen zu ertheilen hatten, mögli klar zu unterrihten über die Gesammt- anshauungen, die dabei zu befolgen waren. Das ift wirklich eine shwere Arbeit gewesen, das kann ih. Herrn Struckmann versichern. Jh leuge nicht, daß er in einzelnen Beziehungen Ausstellungen machen kann; im Großen und Ganzen aber i die Durch- führung des Gesetzes, wie man, glaube ih, nicht wird bestreiten können, und wie die Denkschrift erweist, nach den erreichten Resultaten durchaus gelungen; im wesentlihen sind in einer Weise, wie wir es gar niht erwartet haben, {on im ersten Jahre die Hauptziele der ganzen Reform erreiht worden.

Meine Herren, ich- komme nunmehr auf Einzelheiten. Der Herr Ober - Bürgermeister beklagt \sich namentli, weil die Staats- regierung zu engherzig gewesen sei in Bezug auf die Genehmigung der Umsaßsteuern. Es. ist richtig, meine. Herren, daß die Staats- regierung ursprünglih auf dem Standpunkt stand, das Ziel, welches die Herren mit der Umsaßsteuer erreichen wollen, mehr zu erreihen dur die Bauplaßsteuer, und ih bin auch noch heute der Ansicht, daß ein Hauptziel, welches mit der Bauplahsteuer erreiht werden soll, niht erreiht werden kann, vielmehr eher erschwert wird durch die Umsaßsteuer. Die Bauplaßsteuer follte hauptsählichÞ bewirken, dies übermäßige Spekulieren mit Baupläten vor den Städten seitens besonders reicher Kapitalisten, die die Zinsen eines Kapitals lange entbehren können in der Gewißheit, daß dur den steigenden Werth der Bauplätze die Zinsen im vollen Maß demnähst und sogar mit Gewinn herauskommen, einzushränken. Diese Spekulation, die in der Nähe aller großen, \sich ausdehnenden Gemeinden sich herausgebildet hat, durch welche die Bauplatpreise ins Uebermaß gesteigert, kolossale Gewinne eingeheimst werden ohne Arbeit, die Wohnungen vertheuert werden, sodaß in dem Lande, wo die Verpachtung auf 99 Jahre üblich ist, in England die Wohnungen dur{hschnittlih billiger sind als in Deutschland, führte zu dem Gedanken, dem Risiko, welches der Bauplaßspekulant hat, indem er die Zinsen risfiert, noch das Risiko einer jährlih zu zahlenden Steuer hinzuzu- fügen; das sollte ihn antreiben, schneller als sons den Bauplayß auf den Markt zu werfen, und dadur der ungemessenen Steigerung der Bauplatpreise entgegenwirken.

Wenn“ Sie nun demgegenüber eine Umsaßsteuer seßen, so er- shweren Sie den Umsaß, darüber kann doch gar keine Frage sein, Sie erreichen also das Gegentheil von diesem sozialpolitishem Ziele, wenn nämlich die Belastung des Umsfatzes so groß ift, daß man \ih scheut, einen \olhen Umsaß zu machen mit Rücksicht auf den Verlust an dem Kapital, welches man umseßt.

Nun gebe ih aber zu, daß die Durhführung der Bauplatsteuer sh als sehr s{chwierig erwiesen hat, namentlih nah den Aenderungen, die der Landtag an den ersten Bestimmungen des Entwurfs über die Bauplaysteuer vorgenommen hat. Jch gebe au zu, daß die Bau- plaßsteuer ohne die nöthige Rücktsicht auf Billigkeit und den einzelnen Fall zu ganz erheblihen Härten einzelnen Besitzern gegenüber führen könnte, wenn man beispielsweise jeden Garten, den man möglier- weise beba uen könnte, den der betreffende Eigenthümer aber gar nicht bebauen will, wenn man jedes, ih möchte sagen, fast noch ländliche Grundstück zu einem Bauplay macht bloß, weil Baulinien darüber gelegt sind, und hohe Steuern von diesem Eigenthümer erhebt, ohne daß er in der Lage ist, den Steuerbetrag herauszubringen, dann führt das zu großen Härten. Aber ih glaube nicht, daß bei rihtiger Be- handlung der Bauplahßsteuer solche Bedenken unvermeidlih sind. Jch gebe aber zu: im Großen und Ganzen die Erfahrung hat das an- shéinend hon in der kurzen Zeit dargethan \{heuen {ih die Kommunen, solhe Bauplaßsteuern einzuführen, sie stoßen auf große Schwierigkeiten bei ihrer Durchführung, und da greifen sie natur- gemäß zu einer leihteren Methode, den f\teigenden Bauwerth zu fassen, nämli zur Hebung bestimmter Prozente für den Fall des Verkaufs, Da kommen nun aber auch noch große Schwierigkeiten :

- Zweite Beilage zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

M 120.

Berlin, Mittwoch, den 20. Mai

die Behandlung der Erbfälle, die Behandlung der Schenkungen, die eheliche Gütergemeinschaft und alle derartigen Fragen, denen ohne Muster- statut sehr viele Gemeinden niht gewachsen sind. Der Zweck einer Be- steuerung, welche den steigenden Werth der Grundstücke zur Tragung der Kommunallasten heranziehen will, den \teigenten Werth, der durch die eigene Aktion der* Gemeinde entsteht, wird, allerdings wenn auch nit in so vollklomwener Weise, durch die Umsaßsteuer auch erreicht. Diese Umsaßsteuer ist ja au gar keine neue Erfindung, sie ist eine uralte, deutsche Einrichtung; in den alten deutschen Städten hat sie, möchte ih sagen, seit Jahrhunderten bestanden ; sie hat \sich entwitelt ursprünglih aus dem Prinzip der Auflassung. Die alten deutschen Gemeindeverwaltungen waren auch {on fo klug, daß das eine ein- trägliche, niht ungerehte und leiht zu erhebende Steuer is. Meine Herren, wir hatten bei der Einführung des Kommunalabgabengesetzes auch das Bedenken, daß eine zu hohe Umsaßsteuer wirklich den Ver- kehr unzulässiger Weise beshränkt. Wenn man die Klagen in Frank- reih über die hohe Enregistrements\teuer, die in Frankrei erhoben wird, kennt, wenn man weiß, wieviel Denkschriften darüber von der Regierung und der französishen Kammer bereits herausgegeben sind, wieviel Geseßentwürfe gemacht sind, und wenn man weiß, daß alle diese Geseßentwürfe an der Finanzlage gescheitert sind, während wohl nur eine geringe Zahl in Frankreich sich zum prinzipiellen Vertheidiger folher hohen Enregistrementsgebühren macht, dann muß man si au fragen : kann die Staatsregierung den Kommunen gestatten, neben der Stempelsteuer des Staats solche Umsaßsteuern in beliebiger Höhe einzuführen? (Sehr richtig!) Aber troy alledem, was ih hierüber sage, will ih hinzufügen, daß die dauernde Behandlung dieser Frage in der Staatsregierung näh meiner Auffassung noch keineswegs festgestellt ift. Daß wir im ersten Jahre dabei mit Vorsicht ver- fahren mußten, weil man s{chwierig zurückgehen kann, fehr leiht aber vorwärts, das wird doch als rihtige Verwaltungépolitik angesehen werden können; und ih halte es daher eigentli nit für ritig, daß Herr Ober-Bürgermeister Struckmann in dieser chwierigen Frage mit fo großer Entschiedenheit und Bestimmtheit der Staats- regierung eine verkehrte Art von Operation vorwirft. (Sehr richtig!) Wir werden die Frage im Auge behalten, wir werden erwägen, ob wir die bisherigen Bestimmungen modifizieren können. Ih lehne das durhaus nicht ab. Namentlich ist auch die Frage, ob Fiskus und Korporationen, wenn sie Grundstücke veräußern, au heranzuziehen sind wie die Grund- stücke der Privaten, durhaus diskutabel. Wir haben bei den Dienst- wohnungen ja au den Kommunen, wo wir, wie auf anderen Gebieten, zu Lasten des Staats hon sehr große Opfer gebraht haben, Entgegen- kommen bewiesen. Es ließe sich denken, daß wir auch in dieser Be- ziehung den Kommunen noch weiter entgegenkommen könnten, obwohl dody zu sagen ist, daß die Fälle sehr selten sind, wo der Fiskus des Erwerbs halber Grundstücke verkauft, und daß er, wenn er als Käufer auftritt, das Grundstück in der Regel kauft, um es zu öffentlichen und gemeinnüßigen Zwecken zu verwenden. Aber, wie gesagt, ih lehne es niht ab, daß man dieser Frage näher treten kann und daß die Erfahrungen in dieser Beziehung, das weitere Nachdenken, die Anschauungen aus den Kommunen möglicerweise zu einer anderen Praxis oder zu einer Modifikation der bestehenden Praxis führen können. Soviel ist gewiß, daß der Grundgedanke, der bei diesen beiden Steuern in Frage kommt, durchaus zutreffend ift. Auf den Staat kann man ihn niht anwenden, auf dem Lande wird dieser Grundsay au nicht oft brauchbar sein. Aber es ist rihtig, daß die gesammten Ausgaben der Kommune, das Steigen der Bevölkerung in der Kommune, die stärkere Nachfrage nach Grund- besißy und die höhere Ausbeutung des einzelnen Grund- tüds zu gewerblihen und anderen Zwecken den Werth des gesammten Grundbesiges in der Gemeinde heben. Aber die Steuer ist eigentli die rihtigfte, die gleihmäßig diese Gesammtwertherhebung des Grundbesitzes in einer Kommune trifft. Man hat in einzelnen Städten den Versuch gemacht; wir wissen nit, ob er gelingt. Man kann dieses System durhführen sowohl als Nußungssteuer wie als Werthsteuer. Beispielsweise in den Vororten Berlins find folche Werthsteuern eingeführt, die bei dem rapiden Steigen des Werthes der Grundstücke und der Baupläße wie auch der alten Häuser einen sehr gesunden Grundgedanken enthalten.

In anderen Städten {äßt man den Gefammtnußzungswerth, nur macht man bei Baupläßen Ausnahmen und wendet dort das Werthsteuerprinzip an, weil diese Pläße keinen faßbaren Nußungs- werth haben.

Auch ist die Frage zu erwägen, ob es niht durchaus berechtigt ist, wenn man eine Umsaßsteuer einführt, die bebaute Grundstücke anders behandelt als nicht bebaute und bei nicht bebauten einen höheren Sah als bei bebauten anwendet. Das sind alles Fragen, die niht vollständig geklärt sind, aber Fragen, die tief in die Interessen der Kommunen, der einzelnen Eigenthümer und au des Staats ein- greifen, und daher, glaube ih, wird es mindestens Entschuldigung finden, daß wir in dieser Beziehung im ersten Jahre mit großer Vor- siht vorgegangen sind und uns das Weitere für die Zukunft vor- behalten.

Meine Herren, die Durhführung des Kommunalabgabengeseßzes hat ganz gewiß vershiedenartige Wirkungen gehabt in den einzelnen Bezirken und Provinzen, je nah. dem Zustande, auf welchen das Kommunalabgabengeseß traf, und daher sind auch in dieser Beziehung die Anschauungen über das Kommunalabgabengesey sehr verschieden. Beispielsweise war in der Provinz Hannover auf Grund der alten hannoverschen Bestimmungen der durchgreifende Saß in Geltung, daß alle Staatssteuern in den Kommunen gleichzeitig herangezogen wurden. Wenden Sie diesen Grundsay auf die heutigen Staats- steuern an, die Einkommensteuer, die Gewerbesteuer, die Grund- und Gebäudesteuer, so werden Sie finden, daß man es auf dem Lande wenigstens ziemlich allgemein ruhig beim Alten gelassen hat, weil das doch dem Kommunalabgabengeseß nicht widerspricht, und die betreffenden Besizer haben fo im wesentlichen die vom Staat erlassene Grund- und Gebäudesteuer in die Tasche ge-

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steckt; sie sind auch sehr zufrieden, ich höre aus meiner Heimath darüber die größte Anerkennung.

Nun vergleichen Sie damit, meine Herren, eine Kommune wie Barmen, die bei ihren großen kommunalen Ausgaben wachsender Natur bis zum Kommunalabgabengeseß gar keine Realsteuern erhob, sondern alles auf die Einkommensteuer gepackt hatte und infolgedessen au bis zu: 300, 400 9% Zuschlag zur Einkommensteuer erhob. Ja, wenn in einer solchen Stadt entsprechend den Bestimmungen des § 45 dées Kommunalabgabengeseßes ein neues Steuersystem eingeführt wird, so werden die Hausbesizer sich für übervortheilt halten, werden eine große Beschwerde erheben, mich persönli, obwohl ich doch nur höchstens ein halber Schuldiger bin denn der Herr Minister des Innern hat doch in dieser Beziehung die Führung angreifen - und erklären: die betreffenden Bestimmungen des Kommunalabgaben- geseßes seien geeignet, die Hausbesizer zu Grunde zu richten. Ja, meine Herren, einen solchen Uebergang müssen wir eben durh- machen. Es sind große Veränderungen nothwendig gewesen, um endlih Grundsäße und Regeln in die Sache zu bringen. Das wird sich bald verlieren, dann, wenn unsere Grundsäße gerecht und billig find, und in dieser Beziehung kann ich mi auf das hohe Haus be- rufen. Wir haben ja sowohl im Abgeordneten- wie im Herrenhause die Sache aufs eingehendste und gründlichste berathen, und \{ließlich ift das Abgeordnetenhaus wie das Herrenhaus fast zu einer ein- stimmigen Annahme des Gesetzes gekommen. Der Staatsregierung könnte man also höchstens den Vorwurf machen, daß das Gesetz nicht im Geist und Sinn desfelben durhgeführt wäre. Einen solhen Vorwurf habe ih aber bisher hier im Hause niht gehört, und die in den Sthriften des Hausbefißervereins enthaltenen Vorwürfe sind so unbegründet, daß, glaube id, fih niemand dadur irre machen lassen wird. Jedenfalls kann ih nur wünschen, daß diese organisierte Agitation weder auf die Kommunalbehörden noch auf die Staatsbehörden Einfluß übe, ih hoffe im Gegentheil, daß sie dadur Gelegenheit haben werden, genau zu prüfen und zu erkennen, in welchem Maße diese Behauptungen auf Unkenntniß des Geseßes, des Ziels und des eigentlihen Sinnes dieser Gefeßgebung beruhen und zum theil | aus unberechtigtem Eigennuyßz entspringen. (Bravo!)

Meine Herren, in sehr wenigen Kommunen, wo bisher {on eine angemessene- Heranziehung der“ Realsteuer ftattfand ih glaube, ich kann mi in dieser Beziehung auf die Denkschrift berufen —, zahlt der Hausbesiger hèute nah Einführung des Kommunalabgabengeseßzes mehr als vorher an Staats- und Kommunal-Realsteuern. Jh kann mich faum in diesem Augenblick irgend einer Stadt oder Gemeinde, wo das der Fall wäre, erinnern. Wenn die Staatssteuer abgerechnet wird, wird in den bezeichneten Gemeinden eine Mehrbelastung des Grundbesißzes“ nur in sehr seltenen Fällen vorkommen. Wo sie aber vorkommt, meine Herren, hat der Grundbesißer doch: zuglei eine Entlastung in seiner Eigen- schaft als Einkommensteuerpflihtiger, und in sehr vielen Kommunen find do die Grundbesitzer sehr erheblih bei Zahlung der Einkommen- steuer betheiligt. Da wird also in sehr vielèn Fällen die Verringerung der Zuschläge zur Einkommensteuer durh [{chärfere Heranziehung der Realsteuern den nöthigen Ersaß bieten. Meine Herren, die Ergänzungse steuer entlastet gegenüber der Grund- und Gebäudesteuer die Grundeigens thümer, die es am meisten nöthig haben, nämlich die Höchstvers{huldeten, wie überhaupt die ganze Reform und die Umstellung der Realfteuern aus der Staatssteuer in die Kommune das war eigentlich das Ziel der Sache, die Realsteuern ftanden bisher an der verkehrten Stelle dahin geführt haben, daß der unvershuldete Grund- befißer, der die Grundsteuer zu tragen hatte, ohne die auf seinem Grundbesiß lastenden Schulden auch noch mitversteuern zu müssen, nahdem er heute auf Grund der Defklatation leiht stärker zur Einkommensteuer herangezogen ift; außerdem die Ergänzungssteuer zu zahlen hat, zumal in vielen Kreisen dur den Wegfall der lex Huene eine stärkere Heranziehung der Reälfteuern eingetreten ist, mindestens so viel bejahlen muß, wie vorher. Aber, meine Herren, das ist auch richtig, das soll er au, das war die Absicht. Der unverschuldete Grundbesiger, ‘der in guten Verhältnissen if, wvielleißt noch Kapitalien daneben hat, sollte seiner höheren Leistungsfähigkeit gemäß herangezogen werden, denn nah der Leistungsfähigkeit sollte die Last getragen werden. Jet vergleichen Sie aber mit der Lage eines solchen Mannes die Lage eines hochvershuldeten Grundbesiters, der vielleicht 60 bis 80% Schulden auf seinem Grundbesiß hat. Er mußte die volle Grunde und Gebäudesteuer zahlen, und wenn erx ein Gewerbe betrieb, auch noch Gewerbesteuer, ohne irgend» welhe Rücksicht auf seine Schulden. Er war wirkli: überlastet, und da haben wir gesagt: Das i eine Ungereh- tigkeit im Staate, denn das Prinzip von Leistung und Gegenleistung ist im Staate in der Weise garniht durhzuführen. In Zukunft soll er nur zahlen nach Maßgabe ‘des Reinvermögens und des Rein- einkommens, wir ziehen seine Schulden ab, die er bisher hat voll ver- steuern müssen. Er wird die Zinsen abziehen können in der Eins kommensteuer und das Kapital in der Vermögenssteuer. Da nun der größte Theil des Grundbesißes {wer vers{huldet is uud in den Städten in noch hökeren Prozentsägen als in den Landgemeinden, so ist klar, daß dies System zu einer wahren Entlastung der n oth- leidenden Grundbesißer geworden ist. Und so hat sich auch die Sache in der Praxis gestaltet. Aber, meine Herren, solhe Reformen, - solhe grundsäßlihen Steuerumwälzungen, wie wir sie gemacht haben, lassen sh gewiß nicht durhführen, ohne daß diejenigen, die Vor- - theil davon haben, s{chweigen, und diejenigen, die mit Ret schärfer herangezogen sind, den unglücklihen Minister für einen ges fährlihen und ungerehten Menschen erklärten. Das muß \sich jeder Minister, der so etwas sich unterfängt, gefallen lassen, und er kann dabei doch vielleiht deswegen ruhig s{hlafen.

Nun hat Herr Ober-Bürgermeister Strudmann gewünscht, daß wir im nähsten Jahre wieder eine solhe Denkschrift vorlegen würden, - Meine Herren, ih habe mit meinem verehrten Kollegen des Innern mi darüber noch niht ins Benehmen geseßt, aber ich würde meinex