1896 / 278 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 23 Nov 1896 18:00:01 GMT) scan diff

des Bildhauers Benvenuto Cellini (dessen Lebensgeshihte Goethe Überseßte), des Schöpfers der in Florenz aufgestelten Perseus- Statue, teren Entstehungsgeschichte den eigentlihen Kern der Handlun

[ldet. Cellini soll im Auftrage des Papites Clemens VII. den Gu s »Perseus“ vollenden. Allein seine Liebe zu Teresa, der Braut es päpstliden Bildhauers Fieramosca, läßt ihn nicht ruhen, und eine Entführung der Geliebten während des Karnevals, wobei fogar Blut vergossen wird, nimmt seine Zeit so in Anspruch, daß er die Frist zur Anfertigung des Standbildes verstreihen läßt und die Ungnade des Papstes auf \ich zieht. Binnen einer Stunde foll er vun den Guß des Standbildes vollenden oder wegen seines Vergehens slerben. Der Guß gelingt \{ließlich, und während die blanke Perseus\tatue aus ihrer Form ans Licht geiogen wird, darf ihr nunmehr begnadigter Schöpfer Teresa als glückliher Bräutigam in seine Arme s{ließen. Dramatish am wirksamsten und spannendsten ist entschieden dieser legte, in Cellini?s provisorish im Kolosseum unter- gebrahter Werkstatt spielende Akt, dessen Oertlichkeit zudem dur den eforationsmaler Bukacz meisterhaft veranshaulicht wird. Die Entführungsgeshichte, welche in den vorhergehenden Akten etwas breit und niht immer ganz verständlich behandelt wird, ist weniger dramatisch. Unter den Sängern zeichneten sih vor allen Herr Kraus als Cellini, Herr Bulß als Fieramoëca und Frau Herzog als Teresa aus. Namentlih wuchs der erstgenannte junge Künstler, der demnächst vom Mannheimer Hoftheater als ständiges Mitgl‘ed des Königlichen Opernhauses nach Berlin übersiedelt, mit jedem Akt in seine ungemein s{chwierige Aufgabe hinein. Herrn Bulß gelang der erste Akt, in dem er dur geckenhaftes Gebahren auffallen soll, darstellerish am wenigsten; hingegen bot ihm eine meisterhaft geformte , Bramarbas“- Arie im zweiten Gelegenheit zur vollen Entfaltung seiner großen Mittel. Auch Frau Gcctze konnte in der kleinen, aber dankbaren Partie des Lehrlings Cellini’'s ihrer {önen Stimme Geltung verschaffen. Die anderen Rollen die übrigens alle ibre nit zu untershäßenden Schwierigkeiten haben treten niht sonderlich beivor. Sie wurden durch die Herren Mödlinger, Krolop, Alma, Krasa, Stammer und Lieban angemessen Cen, Meifterhaft war die Inscenierung, namentlih des zweiten Aufzugs, der äußerst lebendig das Karnevalstreiben auf der „Piazza Colonna* veranschau- lite. Dem Orchester unter Kapellmeister Weingartner's Leitung, dem wohl die schwierigste Aufgabe tes Abends zufiel, gebührt ganz be- sondere Anerker nung, namentlich für die vollendete Wiedergabe der Ouvertüre „Le carnaval romain“ (ebenfalls von Berlioz), welche als Zwischenspiel das Fastnachtéleben des zweiten Aktes stimmungs- voll einleitete. Der Brifall am Schluß war ein sehr großer und einmüthiger; der Gast des Abends und Daisteller d r Titelrolle, Herr Kraus, wurde mehrmals vor den Vorhang gerufen.

Lessing-Theater.

Die erste Ausführung des vieraktigen Schauspiels Der Abend‘ von Paul Lindau erzielte am Sonnabend einen ziemlih lauten Erfolg, der seinen Höhepunkt nah einer tak theatralischen Scene des dritten Aufzugs erreihte. „Der Abend" \telt sich dar als ein modernes Theaterstück mit einer angehängten Moral. Wer, wie der lebensfrohe Maler Erwin Deuben, das ganze Leben für einen lustigen Tag gehalten hat, kann sich nicht wundern, wenn der Lebensabend trübe und elend verläuft ; leider kommt dem jovialen Maler diese Er- kenntniß und die Einsiht von dem Ernst des Lebens, das doch mehc als ein Kinderspiel bedeutet, ers durch das Unglück seiner einzigen, geliebten Tochter, welche troß ihrer {wermüthigen und_nüchternen Lebensanshauung den Verführungskünsten eines reichen jungen Mannes erliegt. Zum Schluß hüllen sich ter Maler, troß seines aufshäumenden Rachedur stes, und seine Tochter, irc ihrer heißen Liebe, in übermenschlihen Edelmuth und entsagen der Sühne des Vergehens, weil sie darin nur ein Werk der Pflichterfüllung des Verführers sehen und nicht eia freies Opfer wahrer Liebe. Fn der scenishen Behandlung dieses Stoffes hat Paul Lindau aufs neue bewiesen, daß die bedeutendste Seite seines Talents in der Beberrschung eines leicht flüssigen Dialogs und des witzigen und launigen Plaudertons liegt. Der Verfasser is immer anziehend und unterhaltend, so lange er mit leichten Shwingen die Oberfläche des Lebens streift; ia die Tiefen einer starken Menschenseele hinab- zutauchen, ist ihm auch in diesem Stücke versagt. Der wilde Kampf, der die Bruft dieses Malers zerreißt, als er in seinem Künstler- bewsftiein und sciner Vaterliebe glei tief belcidigt wird, wurde von 1heatralisher zu dramatisher Wirkung erst durch das in diesem

Moment vortreffliGe Spiel Georg Engels! erhoben. Eine ete theilnehmende Stimmung wollte, troß des schwermüthigen Gegenstandes der Dichtung, niht Play greifen, otgleich das zweimal in vom Abendroth verklärter Dämmerung liegende Atelier einen malerischen, poetishe Empfindung weckenden Hintergrund darbot für das Bild des Fiat des im erften Akt hoffaungöfrohen Malers und seiner liebe- eligen Tochter, die im leßten Akt tief gebeugt und \chmerzbewegt in die sinkende Sonne schauen. Die unsichere und niht immer natürliche Entwickelung der Handlung und der Charaktere, die nicht in rechter Harmonie zusammenklingen, lassen eine volle Befriedigung und eine reine Stimmung nicht aufkommen. Die Darstellung stügte sih in erster Linie auf das große Talent von Georg Engels, der in sein Spiel viele feine, lebenswahre Schattierungen einfügte, aber doch auch einen lebendigen Menschen aus der Gestalt des alten Malers nicht zu schaffen vermochte. H Schönfeld spielte eine jüngere, lustige Variation des alten Meisters mit großer Frische. Herr Stahl ver- körperte carakteriftish den felbstzufriedenen, reihen und leihtherzigen fungen Mann. Fräulein Wirth legte Empfindung und Schwerwmuth n die Rolle des liebenden und getäus{ten Mädchens. Der Dichter konnte unter dem Beifall der Zuschauer nah jedem Aufzuge auf der Bühne erscheinen.

Im Königlichen Opernhause gelangt morgen C. M. von Webex’s Oper „Oberon“ mit den Rezitativen von Franz Wüllner unter Kapellmeister Dr. Muck's Leitung zur Aufführung. Die Beseßung ist nachstehende: Hüon : Herr Sylva; Rezia: Fräulein Hiedler ; Fatime: Fräulein Rothaufer; Scherasmin: Herr Lieban; Oberon: Fräulein Weit; Puck: Fräulein Deppe; Roschana: Frau Göge; Kaiser Karl: Herr Stammer; Almansor: Herr Fränkel.

Im Königlichen Schauspielhause wird morgen Lessing?s „Minna von Barnhelm“ (zum - 125. Mal) in folgender Be- seßung gegeben: Tellheim: Herr Ludwig; Minna: Fräulein Poppe; Franziska: Fräulein Hausner; Just: Herr Kahle; Dame in Trauer: Frau von Hochenburger; Niccaut: Herr Grube. Wirth : Herr Vollmer ; Werner : Herr Molenar.

Eine Wohlthätigkeits-Vorstellun g zum Besten der Hinter- bliebenen der mit dem Kanonenboot „Iltis“ untergegangenen Seeleute findet am nächsten Mittwoh, den 25. November, im Friedrih-Wilhelmstädtishen Theater statt. Eröffnet wird dieselbe mit einem eigens zu diesem Zweck von Victor Laverrenz gedihteten Prolog: „Die Helden des Iltis", der von Fräulcin Schmidt gesprohen werden wird. Es folgt die Erstaufführung von „König Ring“, Drama in drei Akten von Victor Laverrenz. Die Regie des Abends hat der Regisseur des Theaters, Herr L. Otto- meyer, übernommen, der au persönlich die ergreifende Dichtung „Der Rabe“ von Edgar Allan Poe zur Darstellung bringen wird. Schrift- liche Biklletbestellungen sind das Bureau des riedrih-Wilhelm- städtischen Theaters, NW., Chausseestraße 25/26, zu adressieren.

Der vierte Symphonie - Abend der Königlichen Kapelle unter Kapellmeister Felix _Weingartner’s Leitung findet am 17. Dezember statt. Zur Aufführung gelangen nur Werke von Beethoven.

Das Programm des am Montag, den 30. November, statifindenden IV. Philharmonishen Konzerts unter Arthur Nikisch?s Leitung und folistisher Mitwirkung von Frau Sofie Menter lautet definitiv, wie folgt: Symphonie in D-dur von Haydn Mir. 2 der Breitkopf u. Härtel’shen Ausgabe, welhe in Berlin seit langer Zeit nicht mehr zur Aufführung gelangte); Klavier-Konzert in Es-dur ven Beethoven, gespielt von Frau Menter; „Also sprach Zarathustra", Tondichtung für aroßes Orchester (zum ersten Mal) von Richard Strauß. Den Schluß bildet Wagner?’s- „Tannhäuser“-Ouvertüre.

Bei dem Orgelvortrag in der Marienkirche, am nähsten Mittwo, Mittags 12 Uhr, haben Herr Organist Friedrich Finke aus Spandau den Orgelpart und die Damen Fräulein Helene Linsener und Fräulein Emilie Jeshke die Gesänge übernommen. Zur Auf- führung gelangen auf die Todtenfeier und die bevorstehende Advents- zeit bezüglihe Kompositionen. Der Eintritt ist frei.

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Die Recitative von Franz Wüllner. Ballet von Emil Graeb. Jn Scene gescßt vom Ober-Regisseur Teylaff. Dekorative Einrichtung vom Ober-Jnspektor Brandt. Dirigent: Kapellmeister Dr. Muck. Anfang

vom 23. November, Morgens

Wetterberi

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74 Uhr. Stationen.

nora dalle Cameliíie.

Vorverkauf hat begonnen.

Schauspielhaus. 263. Vorstellung. Minna von s U E R

Donnerstag: Erster Duse-Abend. La Sig- i [L (Die Dame mit den Cameliten.) Schauspiel von Alexandre Dumas. Der

Fagd.

Morgeti Dienstag, fitidet Königliche Parforce- Jg statt. Stelldichein : 12/, Uhr Jagdshloß Grunewald, u} uh am Saugarten. : :

Mannigfaltiges.

Das Denkmal zur Erinnerung an die im November 1861 er- trunkenen Mannschaften der „Amazone“ im Invalidenpark ift au in diesem Jahre wieder mit Guirlanden und Kränzen ges{chmüdckt worden, welhe von dem hiesigen Verein ehemaliger Matrosen der deutshen Marine und den Hinterbliebenen gewidmet sind.

Die N-ue Berliner Omnibus-Gesellschaft hat ihre Linie Rosenthaler Thor—Anhalter Bahnhof über den leßteren hinaus durch die Möternstraße bis zur Yorkstraße ver - E Der Fahrpreis beträgt nah wie vor für die ganze Toux

Veber die Witterung im Monat Oktober 1896 berichtet das Königlihe Meteorologishe Institut auf Grund der angeftellten Beobachtungen Folgendes: Die Witterungéverhältniffe gestalteten sih während tes Oktobers im größten Theil Norddeutschlands günstiger als in den vorangegangenen Monaten. Dies gilt namentlih von der Temperatur, deren Monatsmittel meist über dem Normalwerth lag, im Nordosten bis zu 3 Grad; westlich dér Weser war es jedoch zu kühl, im Südwesten fogar bis zu 14 Grad. In der ersten Hälfte des Oktobers wechselten warme, heitere Tage mit kühlen, trüben, während in der zweiten Hälfte die leßteren vorwogen. Im Gegensatz zu anderen Jahren is diesmal die Lufttemperatur nur an wenigen Oi1ten unter den Gefrierpunkt gesunken; dagegen trat aller- dings Neifbildung häufig ein. Die Niederschläge waren meistens zu

ering, besonders im Nordosten, wo nur ein Drittel der Normal- fifinne gemessen wurde, während es das Gebiet der mittleren und unteren Dder fowie die Rheinprovinz etwas zu naß hatte. Schnee fiel nur in den Gebirgen, ohne aber hier längere Zeit liegen zu bleiben. Die Sonnenscheindauer betrug vielfa mehr als im voraufgegangenen September; doch wurde auch im Oktober nirgends die Hâlfte der möglihen Dauer erreiht; ja, in Hessen- Nassau ging sie sogar wieder unter ein Fünftel derselben herab. Das Hochdruck- (e welches zu Ende September über Zentral - Europa ag, zog zu Anfang Oktober nah Osten ab, während mehrere De- presfionen im Nordwesten vorüberwanderten. Hierdurch wurden leb- hafte, zum theil stürmische südwestlihe Winde veranlaßt, welche die ziemlih milde Temperatur noch ein wcnig erhöhten. Später ver- lagerte sfi ein neues Hochdruckgebiet voz Spanien nah Nußland, wo- durch am 6. ein Temperatursturz eintrat, dem sogleih wieder starke Er- wärmung bei vielfah heiterem Wetter folgte. Vom 10. ab bis zum 24. wurde die Witterung in Deutshland dur Depression beeinflußt, welche Zentral - Europa südnördlich durcquerten, während si im Often, meist auch im Westen Anticyclonen befanden. Infolge dessen sank die Temperatur bis zum 13. überall sehr stark; während sie fodann im Nordosten unter geringen Schwankungen auch weiterhin abnahm, hob sie sih in den anderen Landeétheilen am 15. wieder zu der vorigen Höhe, um dann ebenfalls stetig abzunehmen. Vom 24. bis 28. machte sih eine im Nordwesten vorüberziehende Depcession geltend, der im Südosten hoher Luftdruck gegenüberstand; daher wehten meist Winde aus dem südlihen Quadranten, die eine weitere Abkühlung verhinderten. Jn den leßten Tagen des Monats erstreckte fih eine Furche niedrigen Luftdrucks südnördlih über Deutschland und brachte für den Often Erwärmung, für den Westen aber neues Sinken der Temperatur. R

In der alten „Urania " (Jnvalidenstraße) wird Herr Astronom G. Witt morgen seinen ersten Experimental. Vortrag „Ueber den Bau des Weltsystems* halten.

(Fortseßung des Nichtamtlichen in der Ersten und Zweiten Beilage.)

Mittwoh und die folgenden Tage: Eine wilde Sache.

Konzerte.

Wind. | Wetter. |

in ® Celfius

99C. =49N.

Temperatur

Belmullet , Aberdeen Christiansund Kopenhagen . Stockholm . aparanda . t. Petersbg. Moskau . …. Cork, Queens- T C Cherbourg TÉC elder . .. 780 L E 778 mburg 780 winemünde | 779 Neufahrwasser| 779 Memel 778

Münster . 780 Karlêruhe . | 776 Wiezébaden 777 München . . | 775 Chemnig . 779 Berlin 779 et e 775 Breslau . | 778

E u T0 Uebersicht

782 |S

3 bedeckt 2|bedeckt

Regen 3|Nebel Nebel bedeckt bedeckt bedeckt

_—— ONPARONSO

3\wolkig beiter Nebel woolft

Nebe

heiter Dunst heiter heiter bedeckt bedeckt wolkig bedeckt / 3/bedeckt NNW bedeckt NNO 2bbedeckt

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V|OaAS

OND 3lhalb bed. der Witterung.

Eine Zone hohen Luftdrucks überdeckt Mittel- Europa, über Norddeutschland Barometerstände nahezu 780, über Inrerrußland von 782 mm aufweisend. Flache Depressionen liegen über dem Mittelmeer

und im hohen Norden.

Vei s{chwacher, vorwiegend

nörtlicher bis öftlicher Luftströmung und nahezu nor- malen Wärmeverbältnissen ist das Wetter in Deutsch- land neblig, an ter Küste heiter, im Binnenlande trübe; meßbare Niederschläge werden niht gemeldet.

Meistens haben Nachtfröfte stattgefunden.

Die west-

liche Frostgrenze verläuft von Riga über Danzig nah

Hermannstadt.

Deutsche Seewarte.

Theater. Königliche Schauspiele. Dienstag: Opern-

haus. 234. Verstellung. in 3 Aufzügen. Musik

Oberon. Romantische Oper von Carl Maria von Weber.

Barnhelm, oder: Das Soldateuglück. Lustspiel in 9 Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing. Negie: Herr Plaschke. Anfang 7+ Uhr.

tittwod: Opernhaus. 235. Vorstellung. Ben- venuto Cellini. Oper in 3 Aufzügen von de Wailly und Barbier. Deutsche Bearbeitung von Peter Cornelius. Musik von Hector Berlioz. (Benvenuto Cellini: Herr Ernst Kraus, vom Hof- und National-Theater in Mannheim, als Gast.)

Anfang 7# Uhr. Schauspielhaus. 264. Vorstellung. Was ihr wollt. Lustspiel in 5 Aufzügen von William

Shakespeare. Anfang 74 Uhr.

Deutsches Theater. Dienslag: Freiwild. Anfang Uhr.

Mittwoch: Morituri. (Teja. Frißchen. Das Ewig-Mäunuliche.)

Donnerstag: Haunele’'s Himmelfahrt. Bo: her: Ohne Liebe.

Berliner Theater. Dienstag: Renaissance. Anfang 7F Uhr.

Mittwoch. Renaissance.

Donnerstag: Einmaliges Gastspiel von Ludwig Barnay. Zum Besten der Bühnen-Genossenschaft : König Lear.

Lessing-Theater. Dienêtag: Der Abeud. (Georg Engels als Gast.) Anfang 74 Uhr.

Mittwoch: Der Abend. (Georg Engels als Goft.)

Donxerstag: Der Abend. (Georg Engels als Gast.)

Residenz-Theater. Direktion: Sigmund Lauten- burg. Dienstag: Zum ersten Male: Vershwunden. (Disparu.) Schwank in 3 Akten von Alexandre Bisson und Andró Sylvain. Deutsch von Franz Hofer. Anfana 74 Uhr.

Mittwoch: Vershwunden. (PDisparu.)

Neues Theater. Siffbauerdamm 4a. /5. Direktion: Sigmund Lautenburg. Dienstag: Boe- [NFANSE, Shwank in 3 Akten von Paul Hircsh- erger und C. Kraaß. Vorher: Die fittliche orten d; Komödie in 1 Att von Otto Erich

artleben. Anfang 74 Uhr.

Mittwoh: Bocksprünge. Vorher: Die fitt- liche Forderung.

Schiller-Theater. Dienstag, Abends 8 Uhr: Der Pfarrer von Kirchfeld.

Mittwoch, Abends 8 Uhr: Der Pfarrer von Kirchfeld.

Theater des Westens. Kantstraße 12. (Bahn- hof Zoologischer Garten.) Dienstag: Schiedsmann Hempel. Volks\tück mit Gesang in 4 Akten von Julius Keller und Louis Herrmann, Musik von Gustav Steffens. Anfang 74 Uhr.

Mittwoch: Schiedsmaunu Hempel.

Donnerstag: Treue.

Theater Unter den Linden. Behrenstr. 55/57. Direktion: Julius Fritsche. Dienstag: Der Ehe- manu vor der Thür. Komische Operette in 1 Akt von Carl Treumann. Musik von Jacques Offenbach. Dirigent : Herr Kapellmeister Korolanyi. Hierauf: Mit neuer Ausf\tattung an Kostümen, Dekorationen und Nequisiten : Unter den Lindeu. Balletphantasie in 3 Akten von Benno Jacobson. Musik von Paul Linke. Dirigent: Herr Kapellmeister Dahms. Der horeographishe Theil arrangiert und einstudiert vom Balletmeister Greco Poggiolesi. In Scene geseßt von Julius Frißshe. Anfang 74 Ühr.

Mittwoch: Der Ehemaun vor der Thür. Hierauf: Unter deu Linden.

Thalia-Theater (vorm. Adolph Ernst-Theater). Dresdenerstraße 72/73. Direktion: W. Hasemann, Dienstaa: Das Wetterhäuschen. (Woather or no,.) Musikalisches Genrebild von Adrian Roß. Deutsch von Hermann Hirschel. Musik von Bertram Luard Selby. Darauf: Zwei Schwieger- söhne! Schwank in 4 Akten von M. Boucheron, Deuts von Max Schoenau. Anfang 7&4 Uhr. „Mittwoch und folgende Tage: Das Wetter- häuschen. Darauf: Zwei Schwiegersöhne !

Bentral - Theater. Alte Jakobstraße 30. Direktion: Richard Schultz. Dienstag: Emil Thomas a. G. Eine wilde Sache. Große Ausstattungs- posse mit Gesang und Tanz in 6 Bildern von

« Mannstädt und Julius Freund. Musik von Julius Einödshofer. Anfang 74 Uhr.

Sing-Akademie. Dienstag, Anfang 8 Uhr: Lieder-Abeud von Anua Stephan.

Konzerthaus. Karl Meyder - Konzert.

Dienstag: Ouverturen „Rienzi*, Wagner, „Das Geheimniß“, Smetana. Phantasie aus „Don Juan“ von Mozart. Walzer „Der Frauen Liebe und Leben“ von Blon. Potpourri „Ein Strauß von Strauß“ von Mohr. Fantaisie militaire für Violine von Leonard (Herr Schmidt - Reinecke). „Blumengruß* für Piston von Hahn (Herr Werner).

Saal Bechstein. Dienstag, Anfang 74 Uhr: Lieder-Abend von Otti Hey.

S E R A C R R E O S R s E DRN R E I IE S S t E Familien -Nachrichteu.

Verlobt: Frl. Morgarete Ehrlich mit Hrn. Fabrik- besißer Hugo Sternberg (Breslau). Fr]. Elise Schneider mit Hrn. Ingenieur und Lieut. d. R. Johannes Trelenberg (Breêlau).

Geboren: Ein Sohn: Hrn. Konsul Paul Scheller (Dresden). Eine Tochter: Hrn. Berg-Affessor von’ Skal (Antonienhbütte, E :

Gestorben: Kadett Bernhard von Alt-Stutterheim (Köslin). Fr. Hof-Jägermeister Lidèy von Wolffersdorfff, geb. Rath (Sondershausen). Fel. Emma von Tresckow (Blankenfelde). Hr. General-Lieut. z. D. Wilhelm von Henning (Char- lottenburg). Verw. Fr. Oberst Wilhelmine von Krieger, geb. Fretin von Haustein (Trier). e Hr. Pastor Joh. Friedrich Werner (Wüstebriese b, Ohlau). Hr. Geheimer Admiralitäts-Rath a. D., außerord. Mitglied des Kaiserlichen Patent: amtes Adolph Brix (ea es Pr. Professor Dr. Karl Hellmuth Dondorff (Görlitz).

Verantwortlicher Redakteur: Siemenroth in Berlin.

Verlag der Expedition (Scholz) in Berlin.

Druck der Norddeutshen Buchdruckerei und Verlags- Anstalt Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32.

Acht Beilagen

(einshließli4 Börsen-Beilage). (19334)

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

M 288,

Deutscher Reichstag. 129. Sißung vom 21. November 1896, 1 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht die Fortsegung der zweiten Berathung des Geseß entwurfs, betreffend Abänderung und Ergänzung des Gerichtsverfassungsgeseßzes und der Strafprozeßordnung, und zwar bei der am Freitag unterbrohenen Erörterung über § 56a der Straf- e, betreffend Unterlassung der Beeidigung von Zeugen.

bg. Günther (nl.) ift mit dem Beschlusse der Kommission einverstanden und erklärt sih gegen die Anträge, während

Abg. Muntdckel (fr. Volksp.) bittet, den Richter in seinem freien Ermessen nicht zu sehr zu beshränken; deun gegenüber einem ein- stimmigen Beschlusse des Gerichtes werde au der Vertheidiger die Beeidigung nicht beantragen.

Geheimer Ober-Justiz-Rath Dr. Lu cas empfiehlt die Annahme des § 96a, welcher bestimmt sei, die Zahl der Eide und damit auch der Meineide zu vermindern.

Abg. Haußmann (d. Volksp.): Die Frage is praktis von roßer Bedeutung, denn die jegt bestehende Eidesyfliht wird durch- rochen ; die Vereidigung foll unterbleiben können, und aus dem Voreid foll ein Nacheid werden; ferner soll der Eid aus der Landung zum theil in das Vorvexfahren verlegt werden.

a die Becidigung unterbleibt, sollte eine Strafe für Lügen vor Gericht eingeführt werden. |

Abg. Freiherr von Gültlingen (Rp.) tritt für den Beschluß der Kommission ein, will aber die Entscheidung der Frage ganz in die Hände des Gerichts legen und eine Vereidigung auf Antrag des Angeklagten bezw. seines Vertheidigers nicht zulassen.

Abg. Beh (fr. Volksp.) glaubt, daß man nicht alles in die Hände der Richter allein legen dürfe; auf Antrag müsse eine Be- eidigung der Zeugen erfolgen können, weil der Werth der Zeugen- aus]agen sich nit gleich von vornherein klar erkennen lasse.

Abg. Nembold (Zentr.) bezweifelt, daß durch die Berechtigung des Angeklagten, die Vereidigung zu verlangen, etwas gebessert werde; denn wenn das Gericht einstimmig zur Ueberzeugung ge- kommen sei, daß die Ausfage eines Zeugen unglaubwürdig sei, so werde es der beeidigten Ausfuge auch keinen Glauben schenken. Redner fordert ebenfalls die Bestrafung unwahrer Aussagen vor Gericht. ;

Geheimer Ober-Justiz-Rath Dr. Lucas erklärt, daß über diese Frage Erwägungen s{hweben ; wann diefelben zum Ziele führen würden, h den noch nicht erledigten umfangreichen Arbeiten niht zu über- leben.

Nachdem noch die Abgg. M unckel und Schmidt- Warburg (Zentr.) sih geäußert haben, schließt die Debatte.

Der Vorschlag der Kommission wird unverändert an- genommen.

Abg. Freiherr von Gültlingen beantragt, im § 57 der Straf- prozeßordnung wonach die Becidigung der Personen, welche - auf Grund des § 51 (wegen Verwandtschaft) das Zeugniß verweigern können, vor dem rihterlihen Ermessen abhängt einzufügen, daß diese Bestimmung auch Anwendung finden solle auf die Personen, welhe nah § 54 das Zeugniß verweigern könnten, weil sie sh bezw. thren Verwandten eine strafgerihtlihe Verfolgung zuziehen würden.

Gekbeimer Regierungs-Rath Dr. von Tischendor f glaubt, daß die verbündeten Regierungen der Annahme dieses Antrages einen grund- säßlihen Widerspruch nicht entgegenseßzen würden.

Der Antrag wird abgelehnt. : j _ Nah § 60 soll die Beeidigung des Zeugen nach Abschluß seiner Vernehmung erfolgen; der Richter darf eine Mehrzahl von Zeugen gleichzeitig beeidigen.

_ Abg. Freiherr von Gültlingen beantragt, den § 60 fo zu fassen: „Jeder Zeuge ist einzeln, je nah Abschluß feiner Verneh- mung, zu beeidigen.*

_Abg. Lerno (Zentr.) will den ersten Saß des § 60 folgender- maßen gefaßt wissen: „Die Beeidigung des Zeugen erfolgt in der Regel nah dem Abschlusse seiner Vernehmung; sie kann \{on vor der Vernehmung erfolgen, wenn zu befürchten ift, daß der Zeuge ohne vorherige Beeidigung nicht wahrheitsgemäß oder zurückhaltend aussagen wird.“

_ Abg. Freiherr von Gültlingen zieht seinen Antrag zurück, während

Abg. Lerno seinen Vorschlag damit vertheidigt, daß ohne die ernste Mahnung des Voreides in manchen Fällen wahrheitswidrige Aussagen nicht verhindert werden könnten.

Ant Geheimer Ober-Justiz-Rath Dr. Lucas erklärt ic gegen den ntrag.

S 60 wird unverändert angenommen.

__ Nach § 65 der Strafprozeßordnung erfolgt die Beeidigung in der Regel in der Hauptverhandlung; fie kann aber auch in der Voruntersuchung erfolgen. i

Die Vorlage, welcher sich die Kommission angeschlossen hat, bestimmt Folgendes :

„Die Beeidigung erfolgt bei der ersten gerichtlichen Vernehmung des Zeugen. Jm Vorverfahren kann die Beeidigung unterbleiben, wenn Bedenken gegen deren Zulässigkeit obwalten, sowie wenn der Richter die Becidigung für ten Zweck des Vorverfahrens nicht als erforderli erachtet.“

Ges Abg. Mun ckel beantragt die Aufrechterhaltung des beftehenden eseßes.

asfelbe beantragt Abg. Nembold (Zentr.), welcher aber die

Bezugnahme auf § 222 (kommissarishe Vernehmung von Zeugen) geftrihen wissen will.

Abg. Haußmann: Ich bitte Sie, den Antrag Munckel anzu- nehmen, es also beim Alten zu lassen. Die Beschwerden, welche man gegen die Vereidigung in der Hauptverhandlung vorgebracht hat, tegen niht im bisherigen Geseß, sondern in dessen Anwendung. Es wäre ein Rückschritt \{chlimmster Art, wenn ein wihtiger Theil des Verfahrens der Hauptverhandlung entzogen würde. Erfahrungsmäßig ents{ließt si der Zeuge sehr chwer, in der Hauptverhandlung eine Aus- sage zurückzunehmen oder zu modifizieren, die er in- der Vorunter- suchung gemacht hat. Das hat auc die Regierung in der Begründung zugegeben, und nun kommt sie wit diesem neuen Vorschlag. Dieser Vorschlag verstößt gegen die wichtigen Prinzipien der Oeffentlichkeit und der Mündlichkeit, da die Vereidigung nicht öffentlich ist und das Vereidigungsprotokoll zur Grundlage gemacht wird. Außerdem wider- spriht derselbe dem eben gefaßten Beschluß, durch welhen wir den Nacheid E haben.

Abg. Rembold: Wenn der Vorschlag der Regierung an- genommen wird, dann wird die Zahl der Eide noch vermehrt; denn jeder Zeuge würde im Vorverfahren und wiederum in der aupt- verhandlung beeidigt werden müssen. Die Gelegenheit zu Meineiden würde also nur vermehrt werden.

Abg. Stadthagen (Soz.) erklärt ih für die Aufrechterhaltung des bestehenden Gesetzes, weil die Vorlage einen Rückschritt bedeute zu dem Militär-Strafverfahrea, wobei der Angeklagte der Ver- nehmung und Vereidigung der Zeugen niht beiwohne. Die be- absihtigten Aenderungen würden lediglih eine ergiebige Quelle neuer Meineide werden. Schon heute schenke die Staatsanwaltschaft

Berlin, Montag, den 23. November

der Vorbereitung der Anklage nur geringe Aufmerksamkeit; dieser Umstand müsse zu erhöhter Vorsicht mahnen. Habe man do erleben müssen, daß in jüngster Zeit in Berlin“ ein aht- und ein zwölf- Peer Knabe voc Gericht unter Anklage des Diebstahls gestanden ätten.

Geheimer Dber-Justiz-Rath Dr. Lucas: Theoretish ift es ein zutreffender Gedanke, die Vereidigung in der Hauptverhandlung stattfinden zu lassen, wo alle Betheiligten anwesend ind. Aber es haben ih große Mißstände ergeben, zunächst der, daß die Schuldigen \sich oft der Unterfuchung entziehen. Ste feßen fich mit dem Geschädigten in Verbindung und finden ihn durch ein Geldgeschenk ab, fodaß der Staatsanwalt die Anklage nicht mehr erheben fann. Wir haben in Preußen früher den Nacheid gehabt, und es ist nicht bekannt geworden, daß er eine Quelle von Meineiden geworden wäre. Gewichtig ist allerdings der Einwand, daß bei der Vernehmung des Zeugen der Angeschuldigte nicht zugegen ist. Der Fall, daß ein aht- und ein zwölfjähriges Kind vor Gericht hätten erscheinen müssen, ift mir niht bekannt. Es wäre zu wünschen, daß der Abg. Stadthagen solhe Dinge der Regierung anzeigen möchte, damit sie sih informieren könnte. Es braucht kein Irrthum des Staatsanwalts vorzuliegen , es kann ein Schreibfehler und eine unrichtige Angabe untergelaufen sein. :

__ Der Antrag Mun ckel auf Beibehaltung der Bestimmung des bestehenden Geseßes wird gegen die Stimmen der Konservativen angenommen; § 65 der Kommissionsbeschlüsse wird abgelehnt.

Zum S 68 beantragt Abg. Shmidt-Warburg (Zentr.) folgenden Zusaß:

„Die Vernehmung eines Geistlichen erstreckt {ih niht auf dasjenige, was ihm unter der Verpflihtung des Beichtgeheimnisses anvertraut ist. Das Gericht soll dem Geistlichen vor seiner Ver- nehmung von vorstehender Bestimmung Kenntniß geben.“

Abg. Schmidt - Warburg weist darauf hin, daß der Geistliche nicht erst in die Versuchung gebraht werden dürfe, sein Zeugniß unter Hinweis auf das Beichtgeheimniß zu verweigern; aus dieser Verweigerung dürfte leiht ein Schluß zu Ungunsten des An- geklagten gezogen werden können, weil man annehmen müsse, daß der Geistliche in der Beichte etwas Ungünstiges erfahren habe; denn er dürfe auch Günstiges nicht ausfagen. Deshalb dürfe die Vernehmung des Geistlihen nur soweit ausgedehnt werden, daß er \sich auf das Beichtgeheimniß nicht erft zu berufen brauche. y

Geheimer Ober-Regierungs-Rath von Lenthe: Die Reichs- regierung würdigt vollkommen die Gründe, welhe für die Heilig- haltung des Beichtgeheimnisses sprehen, und sie ist niht gewillt, ihr entgegenzutreten. Diese Gründe sprehen nit nur für die katho- lische Kirche, sondern auch für andere Konfessionen, z. B. die [lutherishe. Wenn ih troßdem Sie bitte, den Antrag abzulehnen, so beruht dies auf der U?-berzeugung, daß die Heiligkeit des Beicht- geheimnisses durch die Strafprozeßordnung vollständig gewährleistet ist. § 052 bestimmt ausdrüdlih, daß der Geistliche sein Zeugniß ver- weigern kann für alles, was ihm bei Ausübung der Seelsorge an- vertraut ist. Denselben Zweck verfolgt § 55. Wie unter diesen Um- ständen eine Verleßung des Beichtgebeimnisses denkbar sein soll, wenn der Geistlihe von dieser Befugniß Gebrau} macht, weiß ih mir niht zu erklären. Man hat zwar gesagt, daß der Geistliche selbft nicht angeben dürfe, daß eine bestimmte Person bei ihm gebeitet habe; dem widerspriht aber die Thatsache, daß neben dem zuständigen Geistlihen au andere Geistlihe zur Abhörung der Beichte er- mächtigt werden, und daß diese Personen bei den zuständigen Geist- lihen das Abendmahl nehmen unter Vorzeigung des Beichtzettels. Auf diese Weije würde doch eine andere Person erfahren, daß eine bestimmte Person bei einem bestimmten Geistlichen gebeiGtet hat. R g ih darüber nit streiten. Jh glaube, daß der Antrag über-

üssig ist. ;

Abg. Dr. Pichler (Zentr.) weist darauf hin, daß die Fälle so ge- artet fein könnten, daß selbst der Hinweis auf das Beichtgeheimniß {hon den Verdacht erregen könnte, daß der Geistlihe etwas von der Sache wisse. Dadurh werde das Beichtgeheimniß gefährdet. Daß der Antrag Schmidt den Interessen der gewissenhaften Geistlichen widersprechen solle, könne er niht zugeben. Die Beurtheilung dar- über sollte man der katholishen Kirhe und deren berufenen Vertretern überlassen.

Abg. Stadthagen: Daß aus der Verweigerung des Zeug? nisses ein Schluß zu Ungunsten des Angeklagten gezogen werden kann, trifft au bezüglih der Aerzte und Rechtsanwalte zu; man sollte sie daher den Geistlichen gleihstellen, wozu die dritte Lesung Gelegen- heit bieten wird. /

Geheimer Ober-Regierungsrath von Lenthe: Es ift mir nicht bekannt geworden, daß seit dem Gelten der Strafprozeßordnung aus der Verweigerung des Zeugnisses unter Berufung auf das Beicht- geheimniß ein Indizienbeweis hergelcitet worden und daß irgend welche Mißstände daraus entstanden wären.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Ein taktvoller Richter kann dem Geistlichen jede Gewissensbeshränkung ersparen, wenn er nah dem fragt, was der Geistlihe mittheilen kann, aber nit, was er von der Sache weiß; denn die Verweigerung des Zeugnisses in diesem Falle beweist, daß der Geistlihe etwas weiß über die Sache, und dadur wird der fakramentale Charakter der Beichte gestört. Durch die Annahme des Antrages Schmidt wird dem Staat kein Schaden zugefügt, die Beschwerden der Katholiken werden aber beseitigt.

g. Haußmann: Durh die Ausnahmebestimmung für die Geistlihen, Aerzte und Anwalte ist die Anerkennung eines sitt- lichen Vertrauensverhältnisses ausgesprohen; aber darüber kann man nicht hinausgehen. Das Bedürfniß zu einer Abänderung besteht nit. Die drei Klassen von Personen sollen nur nicht zum Sprechen gezwungen werden, damit ist ihr Gewissen geshüßt; aus dieser Zeugniß- verweigerung kann kein Jndizium entnommen werden.

Abg. Himburzg (d. kons.) erklärt sich ebenfalls gegen den Antrag Schmidt; der Geistlihe dürfe sein Zeugniß verweigern und könne dadur nicht in eine Zwangélage kommen, Die Annahme des An- trages würde niht dahin führen, daß der Richter die Frage fo formuliere, wie der Abg. Bachem es ausgeführt habe.

Der Antrag Schmidt wird angenommen.

Schluß nah 51/, Uhr. Nächste Sißung: Montag, 1 Uhr. (Fortseßung der zweiten Berathung der Novelle zu den Zustiz- geseßen; Jnterpellationen der Sozialdemokraten, betreffend die Zollbehandlung feiner Lederwaaren in Rußland und be-

treffend die Besteuerung der Konsumvereine.)

Preußischer Laudtag. Haus der Abgeordneten.

2, Sizung vom 21. November 1896.

Das Andenken der seit dem Schluß der E Sesfion verstorbenen Abgeordneten Hogrefe, von Busse und von Gliszczynsfki ehrt das Haus in der üblihen Weise. Als „Schwerinstag“ zur Berathung von Petitionen und Jnitiativanträgen wird wie bisher der Mittwoch bestimmt. Auf der Tagesordnung steht die Wahl des Präsidiums und der Schriftführer.

1896.

Abg. Stengel (fr. konf.) s{lägt vor, die Leitung der Geschäfte wiederum denjenigen erfahrenen und werthen Händen anzuvertrauen, die sie sett Jahren geführt haben, und zum Präsidenten den Abg. von Köller dur Zuruf wiederzuwählen.

Dagegen erhebt sih kein Widerspru, der Abg. von Köller ist somit gewählt und erklärt:

Meine Herren! Da Sie willens sind, mir das erste Amt dieses auses noch einmal anzuvertrauen, so füge ih mich bereitwillig hrem Wunsche und nehme die Wahl an, indem ich Ihnen für

das mir nech immer erhaltene Vertrauen bestens danke. Jch hoffe, Sie werden mich mit demselben Wohlwollen und mit demselben freundlichen Entgegenkommen unterstüßen, dessen ih mich nun hon 17 Jahre lang seitens dieses Hauses erfreue. j

Ebenfalls auf Vorschlag des Abg. Stengel werden die Abgg. Freiherr von Heereman (Zentr.) und Dr. Krause- Königsberg (nl.) zum Ersten bezw. Zweiten Vize-Präsidenten wiedergewählt, Dieselben nehmen die Wahl dankend an.

Zu Schriftführern werden, gleihfalls auf Vorschlag des Abg. Stengel, gewählt die Abgg. Bode, von Detten, Jm Walle, Dr. Jrmer, Jürgensen, Meister, Weyerbusch, Worzewski.

ZU Quästoren ernennt der Präsident die Abgg. Dr. Sattler und Busch.

Damit ist das Haus konstituiert, und der Präsident wird Seiner Majestät dem König die vorgeschriebene Meldung hiervon machen.

Schluß nah 21/2 Uhr. Nächste Sizung: Dienstag 11 Uhr: (Vorlage wegen Ankaufs der Hessishen Ludwigsbahn in Ver- bindung mit dem Nachtrags-Etat; Konversionsvorlage.)

Parlamentarische Nachrichten.

Dem Reichstage ist eineGrgänzung zu dem Entwurf des Reichshaushalts-Etats für das Etatsjahr 1897/98 zugegangen, worin zu Besoldungsverbesserungen 10 150 000 gefordert werden, welche durch Matrikularbeiträge zu decken sind.

Der Vorlage ist folgende Denkschrift beigefügt:

Die Gehälteraufbesserung durh die Nahtrags-Etats für 1890/91 und 1891/92 hat ih auf die Unterbeamten, Kanzleibeamten und auf die niedriger besoldeten Klassen des mittleren Dienstes beschränkt, dagegen infolge des bei den Reichstagsberathungen für 1890/91 ge- machten Abftrihs alle übrigen mittleren, sowie die sämmtlichen böberen Dienststellungen außer Betracht gelassen. Das hierdurch, namentli innerhalb des mittleren Dienstes, geshaffene Mißverhältniß hat seitdem fortgeseßt Anträge auf Gehaltserhöhungen, insbesondere für Beamte der Heeresverwaltung, Postverwaltung und Marineverwaltung, hervorgerufen. Eine Stütze gewannen dieselben noch durch die Un- gleihheiten, welhe als unvermeidlihe Folge der Einführung des Dienstalters\tufensystems an einzelnen Stellen eintraten. Au dem Neichstage haben diese Verhältnisse wiederholt Anlaß zu Besprehungen und Wünschen geboten, welche bei Berathung des Etats für 1896/97 zu der Refolution führten :

„den Herrn Reichskanzler zu ersuhcn, in Anbetracht der auf Einführung des Dienstaltersstufensystems bei einzelnen Be- amtenflassen eingetretenen Ungleichheiten mit Gebaltserhöhungen für diese Beamtenklassen vorzugehen, infoweit sie von den all- gemeinen Gehalteerhöhungen des Jahres 1890 ausgeschloffen waren“.

Die amtlihen Erörterungen über die Anträge ergaben, daß auf den bisher nicht zum Gegenstand besonderer Abänderungswünsche gemachten Gebieten z. B. innerhalb der mittleren Beamten, nament- lih bei den in Vorsteherstellungen befindlichen, dann aber auch in großen Klafsen des höheren Dienstes eben \solhe Mißverhältnifse bestehen, wie sie in den gedachten Anträgen lediglih für einzelne Kategorien hervorgehoben waren. Die Abhilfe kann sich indeß nicht auf den Beamtenstand beshränken, vielmehr werden in gleicher Weise die Verhältnisse der Offiziere zu berücksichtigen sein, bei denen (namentlich für eirzelne Stellungen) anerkannte Mißstände obwalten.

Derartige Erwägungen legten den Gedanken an die feit längerer Zeit vershobene, aber fortgesetzt in Aussicht gestellte allgemeine Weiters- führung der Befoldungsaufbesterung mit größerer Dringlichkeit nahe.

Die Besserung in den Einnahmeverhältnissen des Reichs wie Preußens läßt es gerechtfertigt ersheinen, diese Absicht in gewissen Grenzen dur den nähstjährigen Etat zu verwirklichen.

Im Zufammenhauge mit den für die preußische Staatsverwaltung in derselben Richtung sich bewegenden Bestrebungen und in wesel- seitiger Anpassung der für das Reih wie für Preußen in Betracht kommenden Verhältnisse ist ein Bild darüber gewonnen, in welchem Rahmen sich unter den gegenwärtigen Finanzverhältnissen die Auf- besserung würde durchführen lafsèn.

Als Grundzug ist dabei innegehalten, daß es sich um cine Fort- führung der 1890/91 erreihten Einkommensverbesserung handelt welche damals bei der Eingangs erwähnten, namentlich im Hinblick auf preußische Verhältnisse innerhalb des mittleren Beamtendienstes, vom Reichstage gezogenen Grenze stehen blieb. Die damalige Auf- besserung hat ebenfo wie die früheren in Preußen beziehungsweise für den Bundeëdienst in den Jahren 1858 und 1867 unternommenen Ge- hältererhöhungen von unten auf, also bei den niedrigst Besoldeten, begonnen und für diese zu einem Abs{luß geführt werden follen. Eine abermalige Berücksichtigung, insbesondere der Unterbeamten, bei jeßiger Gelegenheit eintreten zu lassen, würde sehr weitgehende Auf- wendungen bedingt baben. Selbft die Herausgreifung einzelner Klassen hâtte schwer zu übersehende Folgerungen im Reiche, und nameatlih in Preußen, mit sih gebracht und den ganzen gegenwärtigen Plan der Weiterführung gefährdet. Ebenso hat der etwaigen Kon- ¡equenzen wegen die an fih erwünshte Mitberüksichtigung einzelner militärischer Unterklassen sih als unmöglih erwiesen. Auch die Kategorien des mittleren Beamtendienstes und des Kanzleidienstes, die im Jahre 1899/91 oder durch den ersten Nachtrags-Etat für 1891/92 und später bereits bedabt sind, haben grundsäßlih bei der gegen- wärtigen Aufbesserung niht von neuem betheiligt werden können. Nur find zur vollen Gleichhaltung mit den preußishen Eisenbahn- beamten bei den Reichs-Eisenbahnen die Werkstätten-Vorsteher, Stations- Vorsteher zweiter Klasse, Stationskassen-Rendanten und Güter- Expedienten zweiter Klasse, Werkmeister, Babhnmeister erster Klafse, Betriebs-Sekretäre, Telegraphen-Kontroleure, Stations-Aufseher und Stations-Afsistenten, Materialien-Verwalter zweiter Klasse und Loko- motivsührer wieder mit berücksihtigt, da die Dea 1890/91 bei diesen Eisenbahnbeamten im Vergleich zu anderen Ressorts auétnahms- weise gering war. Ebenso haben bei der Militärverwaltung ins- besondere die Zahlmeister noch cine kleine Erhöhung erfahren, und sind die Minifterialkanzlisten in Sachsen und Württem s entsprechend her- au8gehoben; bei der Post- und Telegraphenverwaltung aber sind die Mechaniker und Maschinisten in ihrem Einkommen verbessert behufs Gleichstellung mit den gleichartigen Eisenbahnbeamten, sowie beim Reichstage und beim Reichsgericht die Bibliothekbeamten, troy in- zwischen schon erfahrener höherer Dotierung, abermals, und zwar in- folge preußishen Vorgangs, bedacht.