1896 / 280 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 25 Nov 1896 18:00:01 GMT) scan diff

sih schuldig bekenne, sondern auch, wenn er auf die Zuziebun s Sen verzichte. f B OUNS

: Nach dem neu eingefügten § 224 a kann auf Grund neu __hervorgetretener Umstände die Staatsanwaltschaft die Auf- ebung des Eröffnungsbeschlusses und eine anderweitige Be- chlußfassung beantragen. :

Abg. von Strombeck beantragt, die Worte „auf Grund neu A etreener Umstände“ zu streichen.

Abg. Beckh (fr. Volksp.) will auch dem Angeklagten das gleiche Recht zugestanden wissen.

Geheimer Ober-Regierungs-Rath von Lenthbe spricht ih gegen beide Anträge aus; die neue Vorschrift bezwecke, falls sich z. B. herausgestellt habe, daß der Angeklagte geistesgestört sei, oder daß ein Anderer der Thäter gewesen, das Verfahren ohne weitcres aufzuheben. Dem Angeklagten dasselbe Net zu geben, sei nicht angängia, denn wenn er für ‘seinen Antrag nicht die Zustimmung der Staats- eatigaft finde, werde das Gericht auf diesen Antrag doch nicht eingehen.

Abg. Beckh hält seinen Antrag aufreckt im Interesse der An- geklagten, für welche neue Umstände eingetreten seien, die der Staats- anwalt nicht der Berücksichtigung werth halte, während das Gericht vtelleiht darauf Werth lege.

S 224a wird nah dem Antrage des Abg. von Strombeck angenommen.

u §8 239 beantragt Abg. von Strombeck, auch den Schöffen und Geschworenen das Recht zu geben, den An-

len direkt zu befragen. eheimer Ober-Regierungs-Rath von Lenthe erklärt sich gegen den Antrag.

Abg. Stadthagen befürwortet denselben.

Abg. Dr. von Buchka hält es für das einzige Mittel, die Leitung des Verfahrens in der Hand zu behalten, daß nur der Vor- sißende den Angeklagten befrage. Redner spriht sih gegen den An- trag aus.

Abg. Schmidt - Warburg will für den Antrag stimmen, obglei er nit ohne Gefahr für den Angeklagten sei.

Abg. Munckel (fr. Volksp.) erklärt sih gegen den Antrag, weil derselbe an der Stellung des Staatsanwalts und Vertheidigers nichts ändere, während er die Lage des Angeklagten dadurch vers{limmere, daß Schöffen und Geshworene in Zukunft Fragen an ihn richten dürften. Der Angeklagte könne zwar die Antwort verweigern, aber eine solhe Verweigerung mache immer einen \{le{ten Eindruck.

Gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und des Zentrums wird der Antrag abgelehnt.

Um 51/4 Uhr wird die weitere Debatte auf Mittwoch 1 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag.

Haus der Abgeordneten. 3. Sißung vom 24. November 1896.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Berathung des Gesetentwurtk, betreffend den Erwerb des Hessishen Ludwigseisenbahn-Unternehmens für den preußi- shen und den hessishen Staat, sowie die Bildung einer Eisenbahn-Betriebs- und -Finanzgemeinschaft zwischen Preußen und Hessen.

ur Begründung der Vorlage nimmt das Wort der Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Jch freue mi, daß es mir vergönnt ist, bei der ersten Vorlage, die der Berathung des hohen Hauses in dieser Session unterzogen wird, im Namen der Staatsregierung als Vertreter des nächst betheiligten Ressorts das Wort zu ergreifen, und zwar in einer Angelegenheit, deren Bedeutung in dem hohen Hause allgemeines Interesse, wie wir annehmen, erwecken wird, und von der wir wünschen und hoffen, daß sie sich Jhrer einmüthigen Zustimmung erfreuen möge.

Meine Herren, die hohe politishe und wirthshaftlihe Bedeutung des Geseßentwurfs, betreffend den Erwerb der Hessischen Ludwigsbahn und die Errichtung einer Eisenbahn-Finanz- und -Betriebsgemeinschaft zwishen Preußen und Hessen, giebt mir Anlaß, Ihrer Berathung einige einleitende Worte vorauszuschiken. Es kann hierbei nicht meine Aufgabe sein, die einzelnen Bestimmungen der im Gesetzentwurf zu- sammengebundenen Verträge zu erläutern. Die eingehenden Ausführungen der Denkschrift und das reihlihe Material, welches der Vorlage bei- gegeben worden ift, entheben mi an dieser Stelle der Pflicht; aber es dürfte vielleiht nicht unerwünscht sein, wenn i kurz einen Rück- blick werfe auf die historishe Entwickelung der Angelegenheit und dabei auf die eigenartigen Verhältnisse hinweise, welhe auch {ließli zu einer eigenartigen, bisher noch nicht angewendeten Lösung der Frage geführt haben, einer Lösung, von der wir annehmen, daß sie das Richtige unter den obwaltenden Umständen getroffen hat, und daß sie in der Geschichte der deutshen Verkehrspolitik ein nicht unwihtiges Momert au für die Zukunft bilden wird. (Sehr richtig!)

Meine Herren, die Verstaatlihung der Hessischen Ludwigsbahn ist in ihren ersten Anfängen und Erwägungen zurückzuführen fast auf die Zeit des Beginns der Verstaatlihungsaktion in Preußen über- haupt. Ja, die alte Rheinishe Bahn, die Privatbahn, hatte ihrer- seits bereits das Bedürfniß empfunden, in irgendeiner Form ihre Linien mit denen der Hessishen Ludwigsbahn zu vereinigen, um damit Anschluß rechts- und linksrheinisch an die großen Verkehrs\traßen des Südens und des Ostens zu gewinnen.

Meine Herren, der Lösung dieser Frage stellten sich indessen nah manchen Richtungen ganz besondere Schwierigkeiten politischer, recht- licher und wirths{aftliher Natur entgegen. Es war durch die Ver, \taatlihung der Köln-Mindener, der Bergisch-Märkishen und ins- besondere der Rheinischen Bahnen die selbständige Fortexistenz der Hessischen Ludwigsbahn allerdings zu einem Anacronismus geworden, zu einem Anachronismus, dessen baldige Beseitigung im allseitigen Interesse und niht ain wenigsten auch im Interesse der Hessischen Ludwigsbahn nothwendig war. Immer wieder is es gaus- gesprohen und durch die Thatsachen begründet worden, daß die Linien der Hessishen Ludwigsbahn zu den Ver- kehrsbeziehungen zwischen dem Nordwesten Deutshlands und dem Süden gewißermaßen den Schlüssel bilden, daß die großen Berkehrs- strôme zwischen Oft und West und zwishen Nord und Süd ih auf den Linien der Ludwigsbahn kreuzen. Meine H-rren, die Hessische Ludwigs- bahn war fast von allen deutshen Bahnen am meisten begünstigt durch ihre Verkehrslage: rechts und links des Rheins hatte sie An- {luß an die großen Linien; sie hatte Anschluß an die großen Um- \{lagspläße des Rheins und des Mains; sie berührte in ihren Linien einige der größeren westlihen Handelspläte.

Die Verhältnisse für eine sahgemäße Lösung der Ludwigsbahn- frage lagen aber derzeit zu {chwierig. Die Lage innerhalb des Ge- bietes zweier Staaten, zum größeren Theile in Hessen, zum kleineren Theile in Preußen, die Unterordnung der einzelnen Strecken unter

ganz verschiedenen Konzessionsbedingungen die insbesondere dem hessishen Staate größere Vorrechte einräumten in Bezug auf den demnächhstigèn Grwexb- der Bahn als Preußém—, die Aussftattküngder Bahn ‘mit werthvollen Garantien seitens “der hessischen Negterung, das große Maß von Aktionsfreiheit, dessen sich die Hessische Ludwigsbahn erfreute, machten die Hessische Ludwigsbahn Jahrzehnte lang zu spröde für eine Verstaatlichung.

Der nächstliegende Weg, die Frage zu lösen, wäre anscheinend der gewesen, daß der Staat die Strecke innerhalb seines Gebiets erworben und dann diese Strecke, so gut es ging, so gut er es ver- stand, betrieben hätte. Meine Herren, darüber waren aber beide be- theiligten Staaten au selbst bei der oberflächlich\ten Betrachtung vollständig einverstanden, daß dieser Weg ungangbar, daß dieser Weg durchaus unvereinbar gewesen wäre mit den Interessen des Ver- kehrs, den Interessen von Handel und Wandel. Da aber wie gesagt, die Verhältnisse noch niht genügend ausgereift waren zu einer Verstaatlichung, so behalf man sich einstweilen damit, daß man im Jahre 1885 einen Theil der dringendsten Uebelstände dadurch be- feitigte, daß man preußischerseits mit der Hessischen Ludwigsbahn ge- wissermaßen einen Rezeß {loß über die Leitung der fkon- kurrenzierten Verkehre. Es war das etwas; aber befriedigen konnte dieser Nothbehelf keinen der Betheiligten. Es gab dem einer, Preußen, zu wenig und nahm dem anderen, der Hessischen Ludwigsbahn, zu viel und hemmte, was das S({limmste wär, die freie Entwickelung des Verkehrs und die wirthschaftlihe Auënutung der Linien. Wollte man dem gerecht werden, fo konnte das nur geschehen durch einen gemeinschaftlihen Erwerb des Ludwigs» bahnnetes durch beide Staaten und dur Vereinigung des Betriebes und der Verwaltung des gesammten Negtes in einer Hand, und zwar in der Hand Preußens. Darüber war wohl hei keinem der Be- theiligten, auch nicht bei der hessishen Regierung, irgenb ein Zweifel; dafür sprachen die gewichtigsten Gründe. Betrieb und Verwaltung selbst zu übernehmen, mußte die hessishe Regierung mit Recht Bedenken tragen, selbs wenn Preußen dem zugestimmt bätte was ja immer- hin zweifelhaft gewesen wäre —, man hätte dem Lande Hessen ein finanzielles Risiko und eine Verwaltungslast aufgebürdet, die zu über- nehmen nur eine unabweislihe Zwangslage gerechtfertigt haben würde. Abgesehen davon, meine Herren, würde man doch auch nur wieder das erreiht haben, was man eben vermeiden wollte: Man hâtte wieder ein konkurrenziertes Neß geschaffen, das si mit seinem preußischen Nachbar, welcher dieses Netz rets und links flankierte, im Wege eines kündbaren Verkehrübereinkommens auseinandersetzen mußte, und die- selben Uebelstände die man eben noch beklagt hâtte, hätte man unter anderem Namen wieder eingeführt.

Auch andere Vorschläge, z. B. daß das gemeinschaftlihe Er- worbene gemeinschaftliG als Sonderunternehmen durch Preußen auf gemeinschaftlihe Rechnung betrieben und verwaltet wurde, oder daß Preußen Betrieb und Verwaltung des gesammten Nees gegen eine feste oder variable Rente an Hessen übernehme, erwies fich bei näßerem Zusehen für beide Theile als unzuträglich.

Inzwischen drängten die Verhältnisse immer mehr zu einer Lösung. Die Ungewißheit, was mit der Hessischen Ludwigsbahn nun werden würde, hemmte und lähmte nicht bloß die Verwaltung ter Ludwigébahn selbst, sondern auch die Entwickelung des Verkehrs in den betreffenden Landestheilen und {ließli auch auf das Un- angenehmfte die Verwaltung, den Verkehr und den Betrieb auf den benahbarten preußishen Bahnen. Meine Herren, da wurde aus der preußischen Eisenbahnverwaltung heraus im Jahre 1893 der Vorschlag gemacht, der in dem heut vorliegenden Gesetzentwurf ver- wirkliht worden ift.

Der Gedanke, daß jeder der beiden Staaten in gemeinsamer Aktion, und zwar dur freiwilligen Ankauf, nicht auf Grund etwaiger Kon- zessionsrehte die Hessishe Ludwigsbahn innerhalb seines Gebietes erworben, daß dann dieses so gemeinsame Erwerben mit dem gesammten übrigen beiderseitigen Besiß von Eisenbahnen auch inklusive des Mitbesizkes der Main - Neckarbahn zusammengeworfen und diese Betriebs- und Finanzgemeinshaft der preußt- hen Verwaltung unterstellt werden solle, war ein glücklicher. Beiderseits war man sofort einig, daß dieser Weg zum Ziele führen, daß dieser Weg alle die Schwierigkeiten vermeiden werde, welche die bisherigen Vorschläge mehr oder minder mit {ih gebraht haben würden.

Auf dieser Grundlage, meine Herren, ist in langer, mühevoller Arbeit unter Beiseitelassung aller kleinlichen Sonderrüdcksihten vom höheren nationalen Gesichtspunkte aus der Vertcag aufgebaut worden, der Ihrer Genehmigung heute unterliegt. Meine Herren, ih glaube in voller Uebereinstimmung mit dem Herrn Finanz-Minister zu handeln, wenn ich denjenigen Männern, welhe mit der größten Gewissenhaftigkeit und Mühewaltung in genialer Weise diese Aufgabe gelöst haben, hier vor der Landesvertretung unseren Dank ausspreche.

Meine Herren, auf die einzelnen Bestimmungen des Vertrages einzugehen, halte i, wie gesagt, in diesem Moment nicht für zwed- mäßig. Es wird sich dazu im Lauf der Diskussion entweder hier im hohen Hause oder in der Kommission, an welche die Borlage über- wiesen werden wird, hinreihend Gelegenheit finden.

Mit dem Staatsvertrag unlösbar verbunden ist das Abkommen, betreffend den Erwerb der Hessishen Ludwigsbahn. Im allgemeinen {ließt sih dieses Abkommen den früheren Vorgängen an, abgesehen von denjenigen Aenderungen, die die ganz eigenthümlichen Verhältnisse der vorliegenden VerstaatliGßung mit \ich bringen. Meine Herren, wer von den Betheiligten das beste Geschäft bei diesen Abmachungen machen wird, ob Preußen, ob Hessen, ob der Akticnär der Hessischen Ludwigsbahn, das kann zweifelhaft erscheinen je nach dem Standpunkt, den der einzelne in dieser Frage einnimmt. Thatfächlih sind ja denn auch diese Abmachungen sehr verschieden be- urtheilt worden. Ein drastishes unb plastishes Bild dieser Ver- schiedenartigkeit der Beurtheilung bieten die Verhandlungen der heffishen Ständekammer und die Verhandlungen der Generalver- fammlung der Hessischen Ludwigsbahn. Wenn man einen Theil der Redner in beiden Versammlungen hörte, sollte man glauben, Preußen habe mit der Ludwigsbahn das goldene Vließ aus Kolchis geholt; dem is niht fo. Wir sind der Ansicht, daß jeder zu seinem Reht und jeder auch zu seinem geschäft- lichen Vortheil kemmen wird, daß dieser geschäftliche Vortheil klarer und unmittelbarer vielleiht bei Hessen und den hessischen Ludwigs- bahn-Aktionären in die Erscheinung tritt, als bei Preußen, daß aber auch bei Preußen der finanzielle Gewinn unzweifelhaft vorhanden ist.

Meine Herren, aber Eins ist ganz außer allem Zweifel: der

nationale Gedanke, der Gedanke der Zusammengehörigkeit und deg gegenseitigen Vertrauens im Deutschen Reich, die Förderung und Pflege unserer Beziehungen zu Süddeutshland können nur bei diesem Vertrage gewinnen. (Sehr rihtig) Wie gegenseitiges Vertrauen die Grundlage dieses Vertrags von Anbeginn der Verhandlungen an gewesen ist, die in loyalster und freund- nabarlichster Gefinnung von beiden Theilen geführt worden sind, fo hege ih auch die feste Ueberzeugung, “daß diefes gegenseitige Vertrauen sih im Laufe der Zeit immer mehr befestigen und auch über den in den Verträgen ursprünglich gezogenen Rahmen hinaus segensreih erweisen wird.

Meine Herren, die preußische Staats-Eisenbahnverwaltung er- kennt es als ihre Pflicht an und wird allezeit ihre Ehre darein setzen, hierzu nah Kräften beizutragen.

Meine Herren, ih empfehle Ihnen den Geseßentwurf zur wohl- wollenden Prüfung und cinstimmigzen Zustimmung. (Bravo !)

Abg. von Pappenheim (kons): Ih erkenne mit dem Minifter die große politishe Bedeutung der Vorlage an; es bestand ein Wider- streit partikularistisher Interessen, und es wird jetzt ein Friedens\{luß errreiht, der nur segensreich wirken fann. Bei dieser wichtigen Streitfrage konnte eine Einigung nur erreicht werden durch ein Ent- gegenkommen von allen Seiten. Die Interessenten mögen ja früher etwas mehr erwartet haben, aber ihre Hoffnungen waren wohl allmählich etwas herabgestimmt. Ueber die Einzelheiten kann fih das Publikum kaum unterhalten; es wird wohl allseitig Einver- ständniß darüber herrschen, daß die Budgetkommission diese Frage prüfen muß. Wir stehen der Vorlage durchaus sympathisch gegenüber.

Abg. Dr. Hammacher (nl.): Da der Vorredner fh als Redner gegen die Vorlage in die Revdnerliste hatte einschreiben lassen, fo be- forgte ih eine Gegnerschaft der Konservativen. Die Rede hat mi aber beruhigt, und ih hoffe, daß der Wuns des Ministers erfüllt werden wird, daß die Vorlage einmüthig angenommen werden möge. Ich bin überzeugt, daß die Arbeit, deren Ergebniß uns vorliegt, nicht allein für Preußen, sondern auch für Hessen und ganz Deutsch- land sehr segensreih sein wird. Meine volitishen Freunde erkennen darin das Kriterium einer planvollen preußishen und deutschen Eisen- bahnpolitik. Namens meiner politischen Freunde sprehe ih der Ne- gierung den Dank für diesen Vertragsabshluß aus. Der Abschluß ist ein finanziell vortheilhafter. Die Hessishe Ludwigsbahn ergab 1894 5 9%, 1895 5,40 9%. Der Uebers{huß wird si erheblich steigern. Die Abfindung der Aktionäre mit 700 4 Konfols für jede Aktie von 600 M ergiebt also troß der einmaligen Zuzahlung ein gutes Ge- chäft; denn statt jeßt 30 A erhalten die Aktionäre nur 21 A Zinsen für jede Aktie. Die wirthsckaftlihen Verhältnisse des Landes ergeben aber für die Hessishe Ludwigsbahn einen gesicherten und steigenden Personen- und Güterverkehr. Ein so sicher vortheil- haftes Geschäft haben wir noch niemals abges{lossen. Allerdings wird eine Erhöhung der Beamtengehälter die Folge der Verstaatlichung sein, aber diefe Mehrausgaben werden das finanzielle Ergebniß ntt er- heblih ungünstiger gestalten. Ob die Abfindung der Aktionäre eine entsprehende war, ist nit unsere Sache; sie sollen aber jedenfalls mehr erhalten, aïs sie erhalten haben würden, wenn sie beim Ankauf der Linien seitens der beiden Staaten Preußen und Hessen eine Ab- findung in Höhe des 20 fahen Betrages des Durc)schnittsertrages erhalten hätten. Der hessishen Regierung bat man den un- gerechten Vorwurf gemacht, daß fe Preußen gegenüber der \chwächere Theil gewesen sei. Allerdings i in die Hände der preußischen Staats- Eisenbahnverwaltung eine große Macht gelegt. Aber die preußische Staatsbahnverwaltung hat keinerlei Interesse daran, zu ihrem eigenen Schaden die Verkehrsentwickelung auf der Hessischen Ludwigsbahn irgendwie zu \tören oder zu {hädigen. Das preußische Staatseisenbahn- wesen hat Ueberschüsse wie kein anderes der Welt, und der Vertrag ergiebt für Hessen eine Besserung seiner Finanzen um 1 Million Mark. Wir hoffen, daß der gegenwärtige Schritt der preußischen Regierung bezüglih der Gemeinsamkeit des Eisenbahnbetriebes und der eFinanzgemeinschaft zu demselben Ziele führen wird, wie seinerzeit Preußens Vorgehen auf dem Gebiete des Zollvereins.

Abg. von Tiedemann-Bomst (fr. kons.): Meine Freunde find ebenfalls mit der Borlage einverstanden, und ih empfehle die Ueber- weisung derselben an die Budgetkommission. Wer das befsere Geschäft macht, läßt sih heute noch nicht beurtheilen. Der Vorredner hat aber seine Nechnung etwas zu optimistisch aufgemaht; er hat nicht beachtet, daß die Hessishe Ludwigsbahn schon auf den Verkauf hin gewirthschaftet hat und daß manche Ausgaben nöthig sein werden, um wieder alles in den ordnungêmäßigen Zustand zu verseßen. Die Aktionäre machen ein gutes Geschäft. Das gute Geschäft, welches die Staatsverwaltung später mahen wird auf Grund der geänderten und gebesserten Verhältnisse, hätten die Aktionäre aber niht machen können. Den größten Werth legen wir auf die Bestimmung des Vertrages, welche allen anderen deutshen Staaten den Beitritt ges stattet. Wenn kein Zwang ausgeübt wird, so ist das ein weiterer friedliher Schritt auf dem Wege, den Fürst Bismarck eingeschlagen hat zur Herbeiführung des Systems der Reichs-Eisenbahnen.

Abg. Kircher (Zentr.): Obgleih das Zentrum ursprünglich Gegner der Verstaatlihung gewesen ist, hat es fich doch den Thats- sachen fügen müssen und kann einen grundsäßlihen Widerspruch nicht mehr erheben, zumal die betheiligten Landestheile vielfah über die Verhältnisse auf der Hessischen Ludwigébahn geklagt haben. Allerdings hat auch die preußische Eisenbahnverwaltung der Hessischen Ludwigs- bahn außerordentlih s\tarke Konkurrenz gemacht; ob das nobel war, lasse ih dahingest-llt. Jch beantrage ebenfalls Verweisung der Vor- lage an die Budgetkommission.

Abg. Graf zu Limburg-Stirum (kons.): Wir wissen alle, mit welhen Schwierigkeiten die Eisenbahnpolitik nur durchgeführt werden konnte, welche Fürst Bismarck inauguriert hat. Es seßten sich niht nur wirthschaftlihe, sondern auch politishe und partikularifstische Bedenken der Durchführung entgegen. Was damals niht mögli

ewesen wäre, daß ein Mittelstaat mit Preußen in eine Betriebs- und Kinanzgemeinschaf! sich eingelassen hätte, ist jeßt verwirkliht worden.

as ist ein großes Resultat und ein großer politischer Erfolg der Eisenbahnpolitik des Fürsten Bismark. Jch nenne gern den Namen dieses Mannes, der durch seine große Energie und Genialität die Sache durchgeführt hat. Jch freue mih darüber. Es zeigt, wie fehlerhaft es war, daß man 1890 von seiner Politik sich abwandte; ih hoffe, daß man bald wieder einlenken wird in die alten Bahnen, auch in Bezug auf die Agrarpolitik. Jch wollte dies ausfprehen, damit das Volk sieht, was es dem Fürsten Bismark zu verdanken hat.

Abg. vom Rath (nl.) empfiehlt als Vertreter des von der Hessischen Ludwigébahn berührten Landestheiles die einmüthige Annahme der Borlage. Durch die Verzögerung der Verhandlungen ist ein Still- stand in der Entwickelung der hessischen Eisenbahn eingetreten; denn die Ludwigsbahn war nicht in der Lage, erhebliche neue Aufwendungen zu machen, wo ihr die Verstaatlihung jeden Tag bevorstand. Es find allerdings in der Bevölkerung Bedenken darüber aufgetaucht, ob beim Wegfall jeder Konkurrenz die Verwaltung den Wünschen des Publikums ebenso entgegenkommen wird, wie früher. Redner erklärt, daß er Vertrauen zur Staatsbahnverwaltung habe und das Beste für die Zukunft erhoffe. y

Abg. Cahensly (Zentr.) spriht sich in demselben Sinne wie sein Fraktionsgenosse aus.

Die Vorlage und der dazu gehörige Entwurf des Nach- trags-Etats werden der Budgetkommission überwiesen.

Es folgt die erste Berathung des Gesehentwurfs, be- treffend die Kündigung und Umwandlung der vier- prozentigen konsolidierten Staats-Anleihe.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Das hohe Haus wolle mir gestatten, diesen Gesetzentwurf mit einigen Worten einzuleiten. Denj-nigen Herren, die damals schon an den Berathungen dieses hohen Hauses theilgenommen haben, werden

die verschiedenen Anregungen in Bezug auf die Frage der Kon- vertierung, die wir in den leßten beiden Jahren hier gehört haben, noh in frisher Erinnerung sein. Damals trug die Staatsregierung Bedenken, den Wünschen, die vielfa geäußert wurden, man möge unmittelbar zur Konversion mindestens der 4 prozentigen Konsols übergehen zu folgen. Wir, meine Herren, in der Staatsregierung, wünschten, daß nit bloß in That und Wahrheit festgestellt werde, daß das Sinken des Zinsfußes kein vorübergehendes, dur besondere ausnahmsweise wirthschaftlihe und gewerbliche Verhältnisse hervorgerufen sei, sondern einen dauernden Charakter angenommen habe, sondern daß auch die öffentliche Meinung ih von diefer Thatsawe überzeuge und dadurch die Hoffnung begründet werde, daß die Staatsgläubiger auch ihrerseits eine mäßige Zinsherabseßung nicht als einen willkürlihen Akt der Fisfalität, sondern als eine nothwendige Folge der allgemeinen wirth- \{haftlicen Entwikelung in der Welt, kann ih sagen, ansehen würden. Meine Herren, ich habe bei verschiedenen Gelegenheiten aus- gesprochen, daß zu frühzeitige Konvertierungen sehr {were Vebelstände nicht bloß für den Staatékredit, sondern au für die ganzen wirth- \haftlihen Verhältnisse herbeiführen. Man muß deshalb für eine folhe Maßregel den richtigen Zeitpunkt wählen, um zu verhüten, daß die Staatsgläubiger darin cinen Aft der Vergewaltigung erblicken, und andererseits Kapitalversbiebungen bedenklicher Art mit {weren Verlusten für die besißenden Klassen vermieden werden. Der Staat darf da nicht vorangehcn, nur folgen; er muß die Konse- quenz aus einer bereits wirthschaftlich vollendeten Thatsache ziehen ; er darf niht eher zu einer Konvertierung übergehen, als bis eine folhe Entwicklung vollendet is. Nun aber glauben wir gegenwärtig, daß diese Vorauétseßungen im vollen Maße vorliegen, Wir sehen ja in der That aus dem Kurs\tand unserer Staatspapiere, daß man in den Kreisen des wirthschaftlihen Lebens die Konvertierung \{on, möchte ih sagen, thatsählich vollzogen hat, und wir glauben heute, daß die Konvertierung auf 3F % unserer vierprozentigen Konsols nicht bloß den Staatsgläubigern gegenüber berechtigt, sondern gegenüber den allgemeinen Staatsinteressen, gegenüber den Steuerzahlern, gegenüber den erwerbenden und wirths{chaftlich arbeitenden Klassen geradezu ge boten ift.

Meine Herren, wir schen vor uns, daß fast alle großen Staaten Europas, jedenfalls die Kulturstaaten, derartige Konvertierungen längst vollzogen haben ; ih brauche sie niht aufzuzählen, sie sind bekannt ; es giebt kaum eine Ausnahme. Zum theil sind diese Konvertierungen vorgenommen bis auf 39%/6 herunter, zum theil bat man ih, wie namentlich auch in Frankreih, mit einer Konvertierung auf 3 % begnügt. Wir sehen weiter, daß in Deutschland \elbft, namentlih in Preußen, und zwar mit Genehmigung der Staats- regierung, mit Allerhöchster Genehmigung, fast alle großen Kommunen, namentlich die großen Städte, ihre vierprozentigen und viereinhalb- prozentigen Obligationen in dreieinhalbprozentige bereits verwandelt haben, oder im Begriff sind, sogar noch weiter zu gehen, und die Frage erwägen, ob sie auch die dreicinhalbprozentige auf 3 0/9 konver- tieren sollen. Wir sehen, daß eine Reihe von Landschaften, und zwar zum theil mit Erfolg, ihre Pfandbriefe auf 3 9/6 konvertiert haben ; wir sehen, daß selbst der Hypothekenzinsfuß im Weichen begriffen ist und daß man erstklassige Hypotheken kaum noch zu 4% unterbringen kann, daß der Hvpothekenzinsfuß au in den Städten sehr vielfa auf 3} und 33% s\ich gestellt hat, während doch nitt geleugnet werden kann, daß die großen Vorzüge eines preußischen Konsfols- gegenüber dem Hypothekenbesitz jedenfalls mindestens eine Gleichstellung des Zinsfußes beider rehtfertigen.

Meine Herren, aus allen diesen Bewegungen, die niht von beute auf morgen datieren, die seit Jahren fortdauern in England und Frankreich allerdings früher {hon in einer durgreifenderen Weise sich gezeigt haben, als in Deutschland —, die allmählih \sich auf den ganzen Weltmarkt ausgedehnt haben —, muß man herleiten, daß wir es hier mit einer Entwickelung zu thun haben, die zwar mal wieder unterbrohen werden kann turch besondere Umstände, die aber im Großen und Ganzen do einen dauernden Charakter hat.

Ist dies aber rihtig, so werden Sie mir zugeben, daß es unzu- lässig geradezu sein würde, auf die Dauer den Staatsgläubigern über den landesüblihen Zinsfuß hinaus 49/6 zu zahlen, während der Staat in der Lage is, mit nahezu 3% seine Bedürfnisse zu befriedigen. Ein sfolher Zustand geht nicht lange, da wird die Aufrecht- erhaltung eines solhen Zustandes geradezu zu einer Ungerechtig- keit; er bekommt den Charakter der Begünstigung einzelner bestimmter Klassen im Gegensaß zu anderen Klassen, und es ift ein Akt gewissermaßen ausgleihender GereHßtigkeit, wenn man aus der allgemeinen Entwickelung auch für den Staat, der sich dieser Ent- widckelung nit entziehen kann, die Konsequenzen zieht.

Meine Herren, diese Erwägungen haben also die Staatsregierung dahin geführt, gegenwärtig Jhnen diese Vorlage zu unterbreiten. Jh glaube, aus dem bisherigen Verhalten der Staatsregierung, aus dem vorsihtigen Zögern, aus der wohlbedahten Wahl des günstigsten Zeitpunktes können Sie ersehen, daß die Staatsregierung gewiß die erheblihen Bedenken, welche einer solchen Konvertierung gegenüber- stehen, in keiner Weise verkennt; daß eine \olche Konvertierung kleine Rentner und kleine Rentnerinnen, Stiftungen, gemeinnüßige An- stalten vielfach s{chädigt und in Verlegenheit bringt, peinliche Folgen hervorruft, darüber kann ja gar kein Zweifel sein. Aber die großen Gesichtspunkte, die ih Ihnen vorbin vorzutragen mir erlaubte, zwingen uns geradezu, hierüber wegzugehen. Man muß doch auch sagen, daß bei verständiger Betrachtung diese Inhaber 40/giger Konfols ih fagen werden: wir können wirklih niht beanspruchen, auf die Dauer in unserer Cigenschast als Jnhaber s\olcher Konfols einen höheren Zinsfay zu beziehen, als wir ihn sonst überall bei Belegungen be- kommen könnten. Stellen Sie sich eine Wittwe vor, oder Waifen- finder, oder kleine Rentner, oder Stiftungen, welche niht in preußi- {hen Konsols ihr Geld angelegt haben, sondern etwa in Hypotheken, ihnen werden die Hypotheken konvertiert, der Zinsfuß wird herab- geseßt, sie können sich nicht beklagen, daß sie der allgemeinen Ent- wickelung ih unterwerfen müssen. Warum und woraus sollten die- jenigen, welche nun gerade ihr Geld in preußischen Konsols angelegt haben, eine andere Behandlung zu beanspruchen berehtigt scin ?

Man kann derartige Dinge beklagen, man kann den einzelnen be- dauern, aber der unaufhaltsame Gang ter Dinge ift f\tärker. Meine Herren, wer heute die Konvertierung ablehnt, und wer heute es durhseßt, daß die beiden Häufer des Landtages einer solchen Ab- lehnung folgen, würde nah meiner Meinung erst recht die größten Uebelstände hervorrufen. Wir würten nur den Kurs der 4 prozentigen Konsols in die Höhe schnellen; wenn die Ueberzeugung allgemein

würde, man wolle grundsäßlich überhaupt nit konvertieren, \o würden die preußishen 4prozentigen Konsols 125 ftehen, und wenn nahher sih zeigte, daß ein solcher Zustand doch nit zu halten sei, daß man do konvertieren müßte, s0 würden wir die größte Schädigung gerade denjenigen Staatsgläubigern zufügen, für welche wir das größte Interesse haben. Nichtsdestoweniger aber, oder vielmehr besser gesagt, gerade deswegen, weil wir diese Nachtheile und Schäden, die viele brave und solide von thren Renten lebende oder dur den Bezug der Rente unterstüßte Personen erleiden, vermindern möchten, glaube ich auf die Zustimmung dieses hohen Hauses renen zu können, wenn ich Ihnen die Annahme der Milderungen, die in diesem Geseß namertlih für den Uebergang enthalten find, empfehle. Wir gehen in dieser Beziehung weiter wie andere Staaten, selbs auch weiter, wie die bisher in Deutschland konvertierenden Staaten, namentlich Bayern gegangen find. Wird sichern den Inhabern dec 4 prozentigen nunmehr zu konvertierenden Konsols eine Schonzeit von 8 Jahren, sodaß sie sicher find, innerhalb 8 Jahren diese ihnen jeßt zufallenden Zinsen von 3# 9/0 unbedingt unter allen Umständen zu behalten. Meine Herren, ih persönli allerdings glaube nit, daß die Verhältnisse lo liegen, daß ohne eine folhe Zusicherung innerhalb der nächsten 8 Jahre es wahrsheinlich wäre, daß der preu- ßishe Staat sobald zu einer weiteren Konvertierung übergeht. Ich perfönlich ih habe ausdrücklich den Ausdruck gebrauht, Herr Dr. Sattler glaube das nit; wissen thue ih es natürlich nit, wer kann die Entwickelung in dieser Beziehung voraus- sehen aber glauben thue ih es nicht. Jm Gegentheil, das rapide Sinken des Zinsfußes in ganz Europa wird nah den bisherigen Erfahrungen wahrscheinlih eher in der nächsten Zeit eine kleine Rück- wärtsbewegung erleiden. Und felbst stellen Sie ih vor, wir könnten nah 5, 6 Jahren, wenn wir wollten, auf 30% konvertieren, was schadet es denn, wenn wir noch etwas länger warten, um zu demselben Resultat, zu dem wir so hier gekommen sind, zu gelangen : zu dem Resultat, daß alle Welt die Konvertierung für eine unbedingt gebotene Maßregel erahtet, daß wir die gesammte öffentlihe Meinung in dieser Beziehung auf unserer Seite haben?

Ich glaube also, dem Staatsinteresse widerspriht eine solche Zusicherung niht, wohl aber dient sie für ängstliche Gemüther in hohem Grade zur Beruhigung, und wir werden boffentlich dadurch auch no ein anderes erreichen. Jh habe {on vorher gesprochen von der Gefahr der Kapitalvershiebung und der Kapitalauswanderung, welhe mehr oder weniger mit jeder Konvertierung verbunden ist. Meine Herren, hier haben wir jedenfalls ein Mittel, um vor leicht- fertigen und leihtsinnigen Beshlußfassungen in dieser Beziehung die Gläubiger zu behüten. Jn Verbindung hiermit steht die andere Zusicherung, daß wir den vierprozentigen Kupon nachzahlen wollen zwei Quartale bis zum Oktober nächsten Jahres. Dadurh kommen die Gläubiger des Staates in die Lage, mit Ruhe erwägen zu können, was fie thun. Sie brauchen niht in überstürzter Weise Kapitalvershiebungen vorzu- zunehmen. Sie können verständige Berather beranziehen und in voller Kenntniß der gesammten Sachlage handeln.

Derselbe Gesichtspunkt hat uns auch hauptsählich bewogen, Ihnen eine Konvertierung auf 3# %/6 vorzuschlagen, nicht auf 3 9%. Ich habe die Ueberzeugung, daß gegenwärtig in Deutschland der dreiprozentige Zinsfuß noch nicht der landesübliche is. Es würde eine Konvertierung auf 3 9/0 fiskalisch ja höchst vortheilhaft, auch finanziell wohl mögli sein unter den nöthigen Vorausseßungen. Das würde aber nah meiner Meinung ein viel zu starker Sprung sein und eine ftarke Umwälzung auf dem ganzen Kapitalmarkt hervorrufen ; es würde die Gefahr der Kapitalvershiebung, der Kapitalauswande- rung in allerhöhstem Grade eminent sein, während wir glauben, bei einer so vorsihtigen Konvertierung auf 3X 0/9 diese Gefahr nit, wenigstens nicht in irgend einem erheblihen Grade, befürhten zu müssen.

Alle diefe Maßnahmen gehen also nach derselben Richtung. Freilih, meine Herren, durch die Zusicherung, die wir namentli in Betreff der Zahlung der vierprozentigen Kupons bis zum Oktober nächsten Jahres gegeben haben, opfert der Staat noch 9 Millionen. Ich sage n och, weil, wenn er hätte rein nach fiskalischen Gesihts- punkten verfahren wollen, wir eigentlih {on in der Lage gewesen wären, seit 3 bis 4 Jahren zu konvertieren, und also auch in dieser Beziehung zu Gunsten der Staatsgläubiger bereits erheblihe Opfer gebracht haben.

Meine Herren, man hat wohl die Opportunität der Maßregel bezweifelt. Namentlich in der Presse habe ih hier und da nach dieser Richtung Aeußerungen gefunden. Jh bin nun gerade der Meinung : in einer Zeit, wo wir daran sind, unsere Beamtengehalte zu erhöhen, wo wir Ihnen eine Vorlage machen können, welche auch die Bezüge der Wittwen und Waisen der Beamten besser regelt, ist jedenfalls für diese Klassen, die vielfach sh im Besitz von kleineren oder größeren Beträgen vierprozentiger Konsols befinden- der Uebergang am allerleihtesten. Au befinden wir uns ja heute, wenigstens was Industrie und Gewerbe betrifft, in einer augenblidcklich glücklihen Lage. Der augenblicklich knappe Geldftand hat für die Frage der Konvertierung nah meiner Ueberzeugung keinerlei Bedeutung. Wie oft wird bei der ja leider in Deutshland noch weit verbreiteten Unwissenheit in wirthschaftlihen und finanziellen Dingen die Frage, was die Zirkulationsmittel augenblicklich kosten, verwehselt mit dem, was man zu zahlen hat für die dauernde Empfangnahme eines dauernd zu gewährenden Kapitals, Kapital und Zirkulationsmittel haben nichts mit einander zu thun. Der landesübliche Zinsfuß wird zwar \{li{lich auch vorübergehend dur einen knappen Geldstand, durch einen hohen Diskont berührt werden können. Es sind das zwei Gebiete, die si gegenseitig mehr oder weniger berühren ; aber an und für si sind sie vollkommen getrennt. Das können Sie am besten daraus ersehen, daß, während wir jeßt einen Bankdiskont von 5 9% haben, unsere dreiprozentigen Konsols noch immer über 98 stehen. Wenn der landesüblihe Zinsfuß abhinge von dem momentanen Geldstand, von der Miethe, die man für ein bhergegebenes Quantum von Zirkulattionsmitteln zahlen muß, so wäre das vollkommen unmöglich. Nun erfordert die Konvertierung aber wahrscheinli keine Zirkulations- mittel. Jh hoffe wenigstens, daß es gehen wird, wie im Jahre 1885, daß alle Welt so verständig seinwird, wenn man statt Hundert 103 und 104 bekommen kann, das letztere zu wählen, und dann wird si die ganze Sache vollziehen ohne Jnanspruhnahme von irgend welchen Zirkulations- mitteln ; es wird eine Abstempelungsfrage sein. Ich glaube fo: dieser augenblicklihe knappe Geldstand, der vielleiht ja auch {on bald wieder weihen wird er ist ja {on etwas im Weichen —, der um

diese Zeit fast immer vorhanden ift, der etwas verftärkt is in diesem Augenblick dur den hohen Aufschwung der Industrie, der mögliher- weise zum Januar {hon wieder ganz verschwinden kann, kann uns nicht bewegen, das Geseß selbst in diesem Augenblick für bedenklich zu erachten; wohl aber giebt es eine Begründung für den Vorschlag, daß Sie die Bestimmung des Zeitpunktes der Ausführung dem „Herrn Finanz-Minister“ überlassen. Man kann nicht wohl durch Gefeß vorher bestimmen, wann der ges eignete Zeitpunkt für die Durchführung der Konvertierung vorhanden sein wird. Das können weder Sie, noh kann es heute die Staats regierung übersehen; das kann nur in dem Augenblick nah Lage des Geldmarktes beurtheilt werden, und ih glaube, Sie werden daber wohl kein Bedenken haben können, wie es im Jahre 1885 bei der damaligen Konvertierung der Fall war, dem Finanz-Minister die Wazhl des Zeitpunktes zu überlassen.

Meine Herren, das Gesetz folgt im übrigen in den Einzelheiten wesentli dem Konvertierungsgeseß vom Jahre 1885, welches sich ja durhaus bewährt hat, namentliÞz auch in Beziehung auf die Fiftion, die es aufstellt, daß diejenigen Staatsgläubiger, welche inner- halb der gegebenen Frist hier find drei Wochen vorgeschlagen, vielleiht wären 14 Tage auch genügend nicht ausdrücklich erklären, daß sie nicht konvertieren wollen, daß sie baares Geld mit 190 A vorziehen preußischen Konsols im Werthe von 104 4, als der Konvertierung beitretend angenommen werden. So haben es au alle übrigen Staaten gemacht, ‘ih nenne Frankrei, Holland, Däne- mark u. st. w.; so hat es neuerdings auch Bayern gemacht; so haben wir es gemacht im Jahre 1842 bei der Konvertierung der preußischen Staats-Schuldscheine von 4 auf 34% und im Jahre 1885 bei der Konvertierung der 42 prozentigen Konsols auf 4 prozentige. Beshwerden sind darüber nicht entstanden, ja, man kann sagen: es ist dies geradezu für die Betheiligten eine Wohlthat; denn sonst können leiht durch Irrthum, Versäumniß des Termins u. \. w., gerade Personen, die in wirths{chaftlichen Dingen niht so besonders bewandert find, in Schaden gerathen, während fie hier nur, möchte ih sagen, zu ihrem Vortheil einem Präjudiz sh gegenübersehen.

Meine Herren, ih empfehle Ihnen nah all diesem die möglihft einmüthige Annahme der Geseßesvorlage. Eine Majorität genügt ja im allgemeinen einem Minifter; er erreiht damit seinen Zweck —; im vorliegenden Falle liegt die Sache aber doch etwas anders. Wenn hier eine starke Opposition vorhanden wäre, wenn nur eine kleine Majorität sich fände, wenn es an irgend einer Einmüthigkeit der Landesvertretung mangelte, würde ih selbs Bedenken getragen haben, unter folchen Bedingungen eine Vorlage dieser Art ein- zubringen. Je einmüthiger und einhelliger Sie Jhr Votum in diefer Frage abgeben, je mehr werden Sie auch die Staatsgläubiger überzeugen: die Sache ging nicht anders, die wirthschaftlihe Entwickelung hat die Maßnahme erzwungen, es handelt \sich hier nicht um einen willkürlihen fiskalischen Akt, sondern, wie ih s{on sagte, um die Befolgung eines wirthschaftlihen Ge- seyes, welhes sich vor jedermanns Auge wirksam erweist.

Ich empfehle Ihnen von diesem Standpunkt aus möglich\ ein- müthige Annahme der Vorlage. (Bravo!)

Abg. Ehlers (fr. Vgg.): Der Vorwurf, daß diese Vorlage niht reiflih genug bedaht fei, würde ein bitteres Unrecht gegenüber der Staatsregierung sein. Eher könnte man fagen, daß die Negie- rung mit ihrer Nachsiht gegenüber den Staatsgläubigern viel zu weit geht, namentlich durch die Festlegung des Staats auf aht Jahre. Von einer rücksihtslosen Konvertierung kann jeßt niht mehr gesprohen werden, weil das Publikum die 4- und 3s prozentigen Konsols gleichmäßig würdigt. Daß Stiftungen und Institute ihre Gelder in 4prozentige Konsols vorzugsweise angelegt haben, glaube ich nicht. Soweit fie anderweitige Papiere getauft oder Hypotheken erworben haben, hat nichts sie gegen eine Herab- seßung des Zinsfußes geshüßt. Cine Unterlassung der Konvert erung würde die unberechtigte Unterlassung eines maßvollen, aber nothwen- digen Schrittes sein. Wenn man noh zwei Kupons mit 49/0 zahlt und nur auf °/o herabgeht, weswegen will man - denn den Staat auch noch auf aht Jahre binden? Diese Bestimmung wird eine herbe Kritik im Lande finden, namentli bei denen, welche jeßt {on 32 prozentige Papiere besißen, für welhe der Zinsfuß nicht auf aht Jahre festgelegt ist. Bei allem Entgegenkommen gegen die leid- tragenden Staatsgläubiger sollte das Haus doch den Staat nit bin- den, damit er weiter konvertieren kann, wenn die Verhältnisse es gestatten.

Abg. Freiherr von Erffa (kons.): Meine politishen Freunde find bis auf wenige Ausnahmen mit der Vorlage einverstanden; die Konvertierung können sie allerdings nicht als eine Wokblthat für die Staatsgläubiger ansehen, aber fie halten fie für nothwendig und zweckmäßig, weil sie ein Sinken des Hypothekenzinsfußes mit ih bringen wird. Denn auf dem Lande werden noch 44 9/6 Hypotheken- zinsen selbst an erster Stelle verlangt. Es wird eine Äufgabe der Landwirthschaftskammern sein, dahin zu wirken, daß die Zinsen der Grundbuchschulden, soweit sie 34 9/4 übersteigen, herabgeseßt werden. Wir find einverstanden mit dem vorsichtigen Vorgehen, namentli auch mit der Garantie, daß erst nach at Lalirbi eine weitere Kon- vertierung möglich sein soll; man könnte den Zeitraum höchstens auf fünf Jahre abkürzen. Die Konvertierung auf 3 9% wird ja {ließ- lih do das Ziel sein; die Maßregel erinnert etwas an das \tück- weise Abschneiden des Schwanzes. Bei anderen Dingen ist man nit fo vorsichtig vorgegangen, z. B. durhch die Handelsverträge ift die Grundrente erheblich ra grie t worden, und den Landwirthen thut eine Kürzung der Rente ebenso wehe wie den Rentiers und den Stiftungen. Nur ausnahmsweise erreihen landwirth\chaftlihe Be- triebe noch eine Verzinsung von 3%. Mit den Einzelheiten der Vorlage sind wir einverstanden.

Abg. Fritzen- Borken (Zentr.): Daß die Handelsverträge den Grund und Boden entwerthet baben, is mir niht bewußt; im Gegentheil: die Geseßgebung der leßten Jahre war bemüht, den Ertrag des Grund“ und Bodens zu ge, Allerdings shneidet die Konvertierung tief ein in die Ver ältnisse der Stiftungen, Krankenhäuser u. st. w. Aber diesen Uebelständen müssen wir muthig ins Gesiht sehen. Ob man den Staatsgläubigern dauernd einen höheren Binefuh als den landesüblihen garantieren soll, diese Frage aufwerfen, heißt {hon sie verneinen. Denn die Konfols be- finden sih auch großentheils in den Händen von Kapitalisten und Aktiengesellschaften, welhe darin ihre Reservefonds u. st. w. angelegt haben. Daß der Zinsfuß dauernd gesunken ist, 6 ta die Kurse der 3 prozentigen Staatspapiere. Die Uebergangsmaßregel, welche der inanz-Minister beantragt, namentlich die achtjährige Frist, ist ur die Staatsgläubiger sehr werthvoll, während sie für den Staat ziemlich bedeutungslos is, Die Konvertierung auf 3% würde heute noch nicht möglich sein. Das Sinken des insfußes hat eine soziale Bedeutung; es „haft einen kleinen usglei zwishen Arm und Reih. Eine Streitfrage ist aufgeworfen, ob die Aktionäre der Köln-Mindener Eisenbahn in dem Genuß ibrer vierprozentigen Nente geschüßt werden müssen; ih finde in der Vor- lage darüber nihts. äre ein rechtlicher oder moralischer Anspru vorhanden, so müßte er anerkannt werden. Er scheint mir allerdings nicht begründet zu sein, die Kommission wird aber diese Frage unterfuhen müssen. Wünschenswerth wäre es, wenn die Vorlage noch vor Weihnachten zum Gesey erhoben werden könnte. i

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