1896 / 282 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 27 Nov 1896 18:00:01 GMT) scan diff

welchèr Richtung hin eine folche Absicht besteht. Heute, glaube ih, wird es auch das hohe Haus durchaus berechtigt finden, wenn ih mi bei der Beantwortung der Interpellation auf ihren Wortlaut be- \{hränke.

Allein eine Bemerkung möchte ich doch noch machen in Bezug auf die Ausführungen des. Herrn Vorredners im Eingang seiner Betrachtungen. Er hat dem hohen Hause und, wie ih annehme, auch den verbündeten Regierungen die Frage vorgelegt: wie wollen Sie des großen Entwicklungsprozesses den er des näheren ge- schildert hat Herr werden? und er ging dabei darauf aus, nah» zuweisen, daß dur diesen Entwickelungsprozeß die menschliche Arbeit und namentli die des Handarbeiters immer mehr in den Hinter- grund gedrängt und entbehrlich gemacht werde. Jch gebe dem Herrn Vorredner die Frage zurück und frage thn: was gedenkt er denn vor- zuschlagen, um diesem großen Entwickeluncsprozeß zu begegnen und ihn aufzuhalten; und wenn er mi darauf hinweisen follte, daß er das demnächst im sozialdemokratishen Staat besorgen werde, so würde ih mir doch die Gelegenheit nicht entgehen lafsen, ihm zu erwidern, daß ih ihn für viel zu intelligent halte, als daß ih von ihm annehmen könnte, er würde die Mittel, die eine Haupt- role in dem Entwickelungsprozeß spielen, die Maschinen, den Dampf, die Elektrizität um deswillen in ihrer Wirksamkeit zu be- \{hränken geneigt sein, um damit das Bedürfniß der menshlichen Handarbeit wieder in größerem Umfange hervortreten gu lassen und zu steigern. (Große Unruhe. Lebhafter Widerspruch bei den Sozial- demokraten.)

Nun, meine Herren, komme ih zur Fnterpellation. Ich habe auf die Frage der Herren Interpellanten, ob dem Herrn Reichskanzler die sächsischen Vorgänge bekannt sind, zu erwidern, daß dem Herrn Reichskanzler amtlih nur auf diplomatishem Wege Kenntniß geworden ist von dem Beschluß der Zweiten sächsischen Ständekammer, daß aber keine Mittheilung hierher gelangt ist über die Maßregeln, die in Anknüpfung an diesen Beschluß von sähsishen Behörden getroffen worden sind. Als ih die Jüterpellation empfing, habe ih fofort an die Königlih sächsishe Regierung geschrieben, und um das Ma- terial und um die Mittheilung derjenigen Gründe gebeten, welche das Verfahren der Königlich sächsishen Behörden rechtfertigen. Mir ift alsdann die Erwiderung geworden, daß Werth darauf gelegt würde, daß in dieser Beziehung das Material dem Reichstage durch einen der Königlich sächsishen Herren Bevollmächtigten zum Vortrag gebraht würde. Jh werde deshalb an den Herrn Präsidenten die Bitte rihten, dem Königlich sächsishen Herrn Bevollmächtigten, Ge- heimen Regierungs-Rath Dr. Fischer nachher das Wort zu ertheilen.

Fh habe aber auch nicht unterlassen können, meinerseits die Frage zu prüfen, ob nun wirklih in dem sächsischen Vorzehen eine Verleßung der Verfassung oder irgend eines Reich8geseßes zu finden sein möchte. Da bin ih denn doch zu einem negativen Resultat ge- kommen, und auh durch die Ausführungen des Herrn- Vorredners nit von der Unrichtigkeit meiner Auffassung überzeugt worden. Es ist ja rihtig, daß nah Art. 2 der Reichsverfassung das Neich8gesetz den Landesgesetzen vorgeht. Wenn also in Sachsen ein Landesgeseß, welches mit irgend einem Reichsgesey in Widerspruch steht, vorhanden ist, so muß unzweifelhaft die Anwendung dieses LandeLgeseßes unter- bleiben, das Neichégeseß behält Recht.

Wenn aber weiter in der Interpellation behauptet wird, der Beschluß des sächsishen Landtages und das Vorgehen der sächsischen Behörden mit § 7 Nr. 6 der Reichs-Gewerbeordnung und mit dem Genossenschaftsgeses in Widerspruh \tehe, so habe ih einen aus- reichenden Beweis dafür denn doch bis zu diesem Augenblick vermißt.

Zunächst das Genossenschaftsgesez. Der Herr Vorredner stellt sh auf den Standpunkt, daß er ausführt, das Genossenscaftsgeseß gebe den Behörden keinen Anhalt, für eine Heranziehung der Konsum- vereine zu Steuern. Das is gewiß richtig, beweist aber nihts für seine Auffassung und man kann mit dieser Argumentation die sächsischen Behörden nicht der Rechtswidrigkeit zeihen. Dazu müßte vielmehr der Nachweis geführt werden, daß das Genossenschaftsgeseß eine solche Besteuerung verbietet, oder wenigstens daß mit den Vorschriften des Genossenschaftsgeseßes eine Heranziehung der Konsumvereine zur Staats- oder Gemeindesteuer unverträglich sei. Jn dieser Beziehung hat der Herr Vorredner nihis beigebraht, was die Auffassung der Herren Interpellanten stüyen könnte.

Nun aber die Gewerbeordnung. Der § 7 Nr. 6 lautet wörtlich:

Vom 1. Januar 1873 ab wird, soweit die Landesgeseßze folches nicht früher verfügen, aufgehoben: Nr. 6 vorbehaltlih der an den Staat und die Gemeinden zu entrihtenden Gewerbefteuern, alle Abgaben, welhe für den Betrieb eines Gewerbes entrichtet werden, sowie die Berechtigung, dergleihen Abgaben aufzulegen.

Es ift also hier in Nr. 6 des § 7 auédrücklih der Vorbehalt ge- macht, daß die an den Staat bezw. an die Gemeinden zu entrihtenden Gewer besteuern auch weiter erhoben werden dürfen, und daß rüd- sichtlich dieser Gewerbesteuern eine Beschränkung der Landes-Geseßgebung nicht eintritt.

Danach fragt sich meines Erachtens ganz einfach: sind die sächsishen Steuern, um die es sich in der Interpellation handelt, unter die Rubrik der Gewerbesteuern zu subsumieren oder nicht ? Feder Jurist im Hause er braucht nicht einmal Jurist zu sein jedes Mitglied wird mir zugeben, daß, wenn diese sähsishen Steuern die Natur der Gewerbesteuer haben, den sächsishen Behörden nicht verwehrt werden kann, ihre Erhebung zuzulassen, und die sächsishen Gemeinden nicht gehindert werden können, ihre Erhebung zu beschließen. Nur dann, wenn diese Steuern nicht den Charakter der Gewerbe- steuer haben, würden sie mit der Reihs-Geseßgebung im Widerspruch stehen, nur dann würde von seiten des Reiches eingeshritten werden müssen, wenn auf ihre Erhebung nicht freiwillig verzichtet wird. Ob nun diese sächsishen Steuern den Charakter der Gewerbesteuern haben oder nicht, darüber wird mein verehrter ächsisher Herr Kollege ih verbreiten; ih bitte deshalb den Herrn Präsidenten, ihm das Wort zu geben.

Königlich sächsisher Geheimer Regierungs-Rath Dr. Fischer: Die Vnterpillation is der sächsishen Regierung weder unerwartet noch unerwünsht gekommen. In der Presse wurde bereits mit mehr oder weniger heftigen Ausfällen gegen die fächsishe Regierung verkündigt, daß man diefe im Reichstag wegen ihres Verhaltens in Sachen der Besteuerung der Konsumvereine anklagen werde, und zwar sollte die Anklage lauten, je nach der verschieden \{harfen Stellung der Blätter, auf Zuwiderhandlung oder auf Vergehen oder gar auf Verbrechen

egen die Reichsgeseßgebung. Davon kann nicht die Nede sein. Ich fonnte geltend machen, daß die Gemeindebesteuerung Sache der Einzel-

staaten i und daher der Neichstag nicht der richtige Ort zu

Jsolhen Beschwerden i}, aber ich will mich hinter diesem

Ausweg niht verftecken. Es is meiner E nur er- wünscht, daß nicht nur die Sea, ondern die weite Oeffentlichkeit über den wahren achverhalt fklar ist. Der Beschluß der Zweiten \ächsishen Kammer, den Herr Bebel richtig zitiert hat, hat seine Vorgeschichte, aus der er allein rihtig verstanden werden kann. Es waren in dieser Sache Petitionen an den \ächsishen Landtag gekommen, die Einen wünschten eine Besteuerung der Konsumvereine, die Andern beklagten sich, daß die fapitalistishen Vereinigungen viel zu wenig zur Staats- und Ge- meindesteuer herangezogen werden. Einige Abgeordnete nahmen sich der Sache an und stellten den Antrag, geseßlih eine dreiprozentige Umsaßsteuer einzuführen, und zwar als Sonderbesteuerung ohne Nück- sicht auf die andern Steuern, die von diesen Vereinigungen zu zahlen seten. Damit sollte ein Ausgleih zwischen dem eminenten Nußen, der dem Großkapital dur diese Veranstaltungen erwahse, und dem großen Schaden der Gewerbetreibenden und Kaufleute geschaffen werden. Nun twoird es \o dargestellt, als ob die sächsische Regierung nichts Eiligeres zu thun gehabt hätte, als sich diefem Antrag freundlich gegenüberzustellen und den Konsumvereinen eins auszuwischen. Wie niedrig in objektizem Sinne denkt man doch von der sächsischen Regierung ! Die sächsishe Regierung hat bei dieser Gelegenheit Licht und Schatten gleihmäßig vertheilt und sowohl den wirthshaftlihen Werth und die Bedeutung der Konsumvereine anerkannt, als auch auf der anderen Seite die Auswüchse bezeichnet, die beseitigt werden müssen. (Redner verliest die diesbezüglihen Erklärungen der Regierung in der sähsishen Kammer.) Die sächsishe Regierung hat also keines- wegs einen Vernichtungsfeldzug gegen die Konsumvereine beabsihtigt, sondern Licht und Schatten sahgemäß vertheilt. Die Regierung hat nachgewiesen, daß es zur Besteuerung der Filialgeshäfte und Konsum- vereine keines Gesetzes bedarf, sondern dieselbe der Autonomie der Gemeinden unterliegt. Nah dem Beschluß der Zweiten Kammer mußte die Regierung eine Verordnung an die Kreishauptmannschaften erlassen, worin diese aufgefordert wurden, sich darüber zu erklären’ ob und in welcher Weise von diesem autonomen Nechte Gebrau) gemacht werde. Nach der Interpellation mußte es den Anschein gewinnen, als wenn die Regierung die Kreishauptmannschaften und Gemeinden zur Ein- führung der Steuer anreizte. Das i} niht der Fall, erfreulicher Weise auch von den Interpellanten niht behauptet worden. Die Ver- ordnung an die Kréishauptmannschaften wurde übrigens vom „Vorwärts“ als ein geheimes Afktenstück bezeihnet, welhes ein günstiger Wind auf den Redaktionstisch geweht habe. In Wirklichkeit war sie längst publiziert und lag im Druck vor. Die Regierung hat Kenntniß davon, daß die Amtshavptmannschaft Zwickau den Erlaß an die Gemeinden mit dem besonderen Hinweis auf die Konsumvereine mitgeteilt hat. Der Amtshauptmann von Chemniy soll einen Gemeinderath direkt zur Besteuerung eines Konfumvereins aufgefordert haben, aber erfolglos. Sie sehen also, was es mit solhen Verfügungen auf sich hat. Die Gemeinden können eben auf keines Fall zu einem solhen Vorgehen gezwungen werden. Daß die eingeführte Sonderbesteuerung mit der Gewerbe- ordnung in Widerspruch steht, davon kann gar keine Rede sein. Was der Abg. Bebel für jene Behauptung angeführt hat, ift für die Frage völlig belanglos. In § 7, Ziffer 6 der Gewerbeordnung is gesagt, daß Staats- und Gemeinde- abgaben, welche gewerbesteuerartiger Natur sind, weiterhin unter das Landesrecht fallen, und nah der Auétlegung des Begriffes „Abgabe“ durh das Reichsgeriht kann die Berechtigung des Vorgehens derx Regierung niht zweiselhaft sein. Die Auferlegung einer Abgabe, welche einem Konsumverein das Leben ausblasen würde, würde zwar niht dem Buchstaben, aber dem Geiste der Gewerbeordnung wider- sprehend scin. Dasselbe wird aber niemand von einer mäßigen Ab- abe behaupten können. Einige Konsumvereine haben sich direkt und freiwillig dazu erboten, eine solhe Abgabe von 29/6 zu tragen. Ein großer Theil der Auésfihßrungen des Abg. Bebel erledigt sich damit. Bon einem brutalen Vorgehen der Regierung darf also niht ge- \sprocen werden. Dem Beschluß des Gemeinderaths zu Burgstädt, 3 v H. Umsaßsteuer aufzuerlegen, hat die Kreishauptmannschaft die Bestätigung versagt; es is Beschwerde an das Ministerium ein- gelegt worden, der Entscheid steht noch aus. Sie dürfen versichert sein, daß er der Reichs-Gesetzgebung geben wird, was ihr gebührt, aber auch der Landes-Gescigebung vorbehaltea wird, was dieser zusteht.

Auf Antrag des Abg. Singer (Soz.) wird die Be- \sprehung der Juterpellation beschlossen.

Abg. Fuchs (Zentr.): Solange es sich nicht um cine Prohibitiv- steuer handelt, kann von einem Ginbruch in die Reichs-Geseggebung nicht die Rede sein. Diesen Standpunkt hat auh der preußische General-Steuerdirektor eingenommen. In Preußen war thatfächlich von den Antragstellern eine solhe Prohbibitivsteuer in Auétsiht ge- nommen worden. Der Frage der Besteuerung der Konsumvereine stehe ih durchaus sympathisch gegenüber. Die Zeit ift vorbei, wo man in diesen Vereinen eine gemeinnüßige Einrichtung hatte. In ihrer jeßigen Entwickelung bedeuten sie eine {were Schädigung des Mittel- standes und in ihrer konscquenten Entwickelung den Nuin desselben. Der Abg. Bebel hat sich selber widersprohen. Einmal will er den Werth der Konsumvereine für die Arbeiter negieren, andererseits weist er uns ausführlich nah, wie s{chwer geschädigt der Arbeiter sei durch die Unterdrückung der Vereine, Jch bin mit Lassalle der Ansicht, daß in der Entwickelung dieses Konsumverein8wesens kein Heil für den Arbeiter zu suchen is. Die Höhe der Löhne hängt wesentli ab von der Höhe der Lebensmittelpreise; gelänge es den Vereinen, diefe Preise herunterzudrück:n, so würde das seinen Einfluß auf die Höhe der Löhne nicht verfehlen. AD das Zentrum die Interessen der Arbeiter wirklich fördern will, brauhe ich wohl nicht zu betheuern. Das Panier der Sozialreform wird von uns nach wie vor hoch- gehalten. Liegt hier bei dem Vorgehen der sächsishen Re- gierung eine Tendenz oder eine sozialpolitishe Maßnahme vor? Wenn sich der Abg. Bebel über die Sache fo aufregt, dann muß das doh einen anderen Zweck haben. Die Konsumvereine haben durch ihre Organisation und ihren finanziellen Ertrag großen Werth für die Parteizwecke der Sozialdemokraten. Sie haben eben die Konsum- vereine zu einem Kampfmittel in ihrem Klassenkampf gemacht. Aber die Frage der Besteuerung liegt auch für mih einigermaßen bedenklih. Wenn man die Konfumvereine besteuert, weshalb dann niht die großkapitalistishen Betriebe, gegen welhe sich die Reiolution in erster Linie wendet? Das läßt mi allerdinas auf Tendenz ließen. Unzweifelhast besteht der von Bebel geschilderte Entwickelungsprozeß, und unzweifel- haft hat der Gang der Entwickelung in den leßten Jahrzehnten einen rapiden Charakter angenommen. In Köln haben wir ein großes Waarenhaus, binter dessen Firma 20 Großkapitalisten stehen. Diese Firma hat in der Mitte der Stadt ein Millionenhaus errihtet und geht jeßt auch mit der Gründung von Filialen vor. Da sieht man ganz deutlih den Weg zum Ruin des Mittelstandes. Das Geschäft hat 72 Filialen außerhalb; das Hamburger Engrosgeschäft 200, eine andere Firma 35 Filialen. Wir stehen vor einer Dezi- mierung des Mittelstandes; das haben die Zahlen des Abg. Bebel aus der Statistik dargethan. Können und sollen wir diese Entwickelung hemmen? Im Interesse der Gesammtheit sollen wir es. Der Mittelstand is keine Kaste, sondern rekrutiert fich aus allen Ständen; alle- Stände haben Interesse an seiner Er- haltung; noch viel mehr Interesse aber der Staat. Der Abg. Bebel meint nun, wir können die Mittel nicht finden; ih meine: ja, und habe \chon dem preußischen Abgeordnetenhause einen dahin gehenden Gesetzentwurf vorgelegt. Um den Staat vor einer Katastrophe und die mensch- lihe Gesellshaft vor tiefem Schaden zu bewahren, müssen wir zu einer Prohibitivbesteuerung dieser“ großkapitalistischen Unternehmungen greifen. Der Staat muß die Erwerbsperhältnisse so regeln, daß das allgemeine Wobl erreiht wird, das Wohl möglichst breiter Schichten des Volkes, Die Großbetriebe müssen niedergehalten werden, dem WMittelstande muß Luft und Licht gelassen werden. Zum Mittelstand gehören nur die selbständigen Erxistenzen, also nicht die Beamten. Freilich wird damit die foziale Frage nicht gel öft. Das Grundübel unserer Zeit ist der materialistishe Geist, das

S{hwinden des Glaubens an Gott und das Jenseits. Wenn der Genuß einziger Daseinszweck ist, wozu Geld, Geld und wieder Geld gehört, fo erklärt fich die unglaublihe Jagd dana, so erklärt es sich, daß die Enterbten vor den Karren gespannt werden, um dem Reichen mehr Geld zu schaffen, daß die Enterbten rasen vor Wuth und Verzweiflung, sodaß das Ende die soziale Revolution sein wird. Die Kirche allein kann die \{webenden Fragen lösen l Ich schließe, wenn auch etwas pathetish, aber doch zutreffend : Caveant consules!

Abg. Stolle (Soz.): Wenn wir von dem sächsischen Ver- treter auf die Entscheidung des Ministeriums vertröfstet werden, so ist dieser Trost. ein sehr prekärer; denn das Ministerium entscheidet hier in eigener Sache als Richter. Wo bleibt die Gleichheit vor dem Geseh, wenn man dem Chemniyer Konsumverein, der {hon 15 000 A Gemeindesteuer und 13 000 4 Einkommensteuer trägt, jeßt noch 90000 46 Umsaßsteuer, also alles in allem, nah dem Einkommen berechnet, eine Steuer von 50 9/9 auferlegen kann? Es ist in der That eine „sehr freie Interpretation“ der Städte- und Gemeindeordnung, wenn man die den Gemeinden belafsene Befugniß, im Wege des Umlagenregulativs Üüberhauvt eine Gemeindesteuer zu erheben, in dieser Weise gegen die Genossen- haften mobil macht! In ausführlicher Weise sucht Redner dann die Kritik zu widerlegen, welhe die sächsische Regierung in ihrem Gutachten an den angeblichen Auswüchsen der Konsumvereine geübt hat.

Königlich sächsisher Geheimer Regierungs-Rath Dr. Fischer: Die Ausführungen des Vorredners bedürfen einiger Korrefkturen. Ich habe {hon vorhin ertlärt, daß die sächsishe Regierung die Frage der Ein- führung einer Umsaßsteuer noch gar nicht entschieden hat. Das ignorie:t Herr Stolle völlig. Die Behauptung der einscitigen Bes fteuerung der Konsumvereine is auf eine Verfügung - der Anitshaupt- mannschaft Zwickau gestützt worden, welche ih niht mit der Autorität der Regierung gedeckt hate. Gegen den Vorrourf, daß die Pegierung nur die Arbeiter unterdrücken wolle, muß ich meine Regießwg ebenjo entschieden verwahren, wie dagegen, daß in Sachsen eine Nebenregterung bestehen foll. ;

Abg. Zimmermann (Neformp.): Die sächsische Regierung ift thatsählih keine grundfäßlihe Gegnerin des Genossenshaftswesens, und auch wir sind es nicht. Aber die Auswüchse des Senotne schaftéwesens sind nirgends so groß geworden, wie in Sachsen. Auf Grund der Gewerbeordnung kann fein Zweifel sein, daß das Vor- gehen der sächsishen Regierung berehtigt ift; auch in Preußen hat man ja ten gleihen Weg mit der Besteuerung des Schankgewerbes, der Wanderlager u. st. w. beschritten. Mit dem geheimen Akten- tüdck hat der „Vorwärts“ nur wieder einmal sein Sensationsbedürf- niß befriedigen wollen. Die Konsumvereine verkaufen vielfah noch theurer als die kleinen Geschäfte, ein Bedürfniß für diese Einrichtung besteht also in Sachsen überhaupt nit. Die Gemcinden brauchen Ersay für den Ausfall, den ihnen die Konsumvereine verursaht haben; denn sie haben eine ganze Menge Steuerzahler in Wegfall gebracht. In Dresden spriht man von einer Verlustliste von fünfzig Firmen, welhe sich aufstellen lasse ais Wirkung der verheerenden und vernihtenden Thätigkeit der Konsumvereine. Durch eine prozentuale Gewerbesteuer diesen Betrieben zu Leibe zu gehen, ift also einfa ein Gebot der auégleihenden Gerechtigkeit. Troß der Versicherung des Abg. Bebel ist die fozialdemokratishe Presse die eifrigste Förderin der Konsumvereine. Nicht Mittel und Kräfte will die Sozialdemokratie hergeben für die Konsumvereine, nein, noch herausholen will fie fie! Der Abg. Wurm hat auch eine be- fondere Srift für die Konsumvereine verfaßt. That\ächlih haben au Mitglieder und bekannte Führer der Partei solhe Organisationen begründet. Sind die Lagerhalter nicht ihre Agitatoren? Die Sozial- demokraten unterd1ücken gerade da, wo sie die Macht haben, die freie Meinung. Die Ausführungen der Sozialdemokraten haben aber nur deshalb Anflang gefunden, weil das Unheil zum großen Theil von anderwärts kommt. Die Waarenhäuser für Offiziere und Beamte find ebenso zu verdamwen, wie die anderen; fie erregen ganz in demselben Maße den Miß- muth weiter Kreise der Bevölkerung. Die Offizier- und Beamten- waarenhäuser sind keine Nothwendigkeit, Offiziere und Beamte bedürfen feiner Erziehung zur Sparsamkeit mehr. Es muß auf dem Wege, der in Sachsen beschritten worden ist, im ganzen Reiche vorgegangen werden, bis wir zur prohibitiven Besteuerun fommen. Die unheimlihe Entwickelung des Großkapitalismus i verlangsamt werden. Eine progre|}sive Umsaßsteuer ist das einzige Heilmittel. Der \ädsishen Regierung und dem Landtage können wir für ihr Vorgehen dankbar sein. Die Stärke Deutschlands liegt in seinem Mitteistande, und darum seßt hier die Sozialdemokratie den Bohrer an. Wer diese Gefahr sieht, muß mit aller Energie die fleinen und mittleren Existenzen leiftungsfähig zu erhalten streben. Es ist der Kampf zwischen zwei Weltanshauungen. Wir halten es für möglih und berechtigt, jener unheilvollen Entwickelung rechtzeitig durch geeignete Maßregeln zu begegnen: das is unser Gegensaß zur Sozialdemokratie. Die deutshe Nation muß ihren Geist und ihren Willen cinseßen, um im Interesse ihrer Selbsterhaltung die Existenz des Mittelstandes zu sichern.

Abg. Dr. Schneider (fr. Volksp.): Die von dem Abg. Fuchs vor- geschlagene Maßregel der Prohibitivsteuer ist doch_nach seiner eigenen Darlegung durchaus ungeeignet, den bcklagten Schäden abzuhelfen. Der angebli bedrobte kleine Mittelstand kann sih ebenso gut durch Bildung von Genossenschaften helfen, wie cs die Arbeiter durch die Konsumvereine gethan haben. Statt dessen rufen Sie nah der Hilfe der Gesetzgebung und nah neuen Steuern, welche die unbequeme Konkurrenz todtmachen sollen. Was dem Eïnen recht is, foll dem Andern billig scin. Es handelt sih für uns zunähst um die Frage, ob die Kompetenz des Reiches oder des Einzelstaates vorliegt ; wir hören heute nur ein non liquet; die sähsishe Regierung erwägt noch, was sie bezüglich der Umsaßsteuer thun wird. Der Begriff der Gewerbesteuer deckt \sih unmöglih mit der hier geplanten Umsatz- steuer. Herr Zimmermann scheint die Steuer nah der Summe der Existenzen bemessen zu wollen, welhe dur die Konkurrenz des Konsum- vercins außer Brot gescßt werden; ernstlich wird der Reichstag sich wohl niht mit diesem Vorschlage beschä\tigen.

Abg. Haußmann (d. Volksp.): Die Rechtsfrage spibt sich zu auf die Auslegung der Worte „vorbehaltlib der in den Gemeinden und Einzelstaaten erhobenen Gemeindesteuern“ in § 7 Ziffer 6 der Gewerbeordnung. Hierauf allein kommt es an. Nach meiner Met- nung war der Wille des Gesetzes nur der, daß alle diejenigen öffent- lihen Lasten, welche den Namen einer Gewerbesteuer verdienen, zugelassen bleiben sollten, andere nit; zunächst also diejenigen, welche sih als Gewerbesteuern bezeihnen. Damit erhebt sich die Frage, ob es niht gegen Wortlaut und Sinn des Gesetzes verst ößt, wenn man einzelne Gewerbe oder gar innerhalb eines etnzelnen Gewerbes einzelne Gewerbetreibende herausnimmt. Gerade „Sonderfteuern“ hat man damals unter allen Umständen ausschließen wollen. Prohibitivsteuc:rn find nah allgemeiner Meinung verboten. Damit ergiebt sih die Frage: Ift das, was in Sachsen eingeführt ift, eine solche Steuer? Nach dem, was der Abg. Bebel ausgeführt hat, scheint es so. Bei dieser Sachlage bedauere ih, daß der Vertreter der Reichs- regierung niht ausgesprochen hat, welche Interessen die überwiegenden seien : die der Konsumvereine oder der anderen großkapitalistishen Ver- einigungen und Unternehmungen. Wenn man stich diefer Entscheidung entzieht, läßt man all dem Neid und all der Mißgunst gegen die leßteren weiter die Zügel schießen. Die Antisemiten dagegen bringen es bei ihrem Sturmlauf gegen das Großfkapital nicht weiter, als daß sie die nüßlihe Form der Selbsthilfe in den Vereinigungen der Kleinen und Kleinsten zerstören. Derselben Uebertreibung machte sih der Zentrumsredner s{huldig und zugleih eines Verstoßes gegen sein eigenes Programm, welches doch auf die Beseitigung, auf die Aus- rottung des Zwischenhandels gerichtet is. Niemand kann wünschen, daß der wirthschaftlihe Entwickelungsgang aufgehalten merde, der die menschliche Arbeitskraft in immer ge: ingerem Maße erforderlih macht; dieser Entwickelungsgang is} ein gesunder und würde ungefund nur sein, wenn Hand in Hand mit dieser Entwickelung ein Rückzang im Wohlstande einträte. Das ist in der That niht der Fall. Man möge doch nicht den Fehler begehen, hier in diesem Punkte, wo ih

erade Anknüpfungspunkte mit dem Arbeiterftande für die übrigen

lassen der Bevölkerung bieten, dieser Entwickelung entgegenzutreten.

__ Abg. Wurm (Soz.) führt aus, daß die Behauptungen des Abg.

immermann bezüglih der Geschäftsführung und der politischen

endenz der Konsumvereine in Sachsen zum größten Theil ohne that- \ächlihen Anhalt seien. Die Heranziehung einzelner Gewerbetreibender zu einer „Sonderbesteuerung“ bleibe eine ungerechte und zudem ungeseßz- liche Maßregel. Wenn man die Konsumvereine zerstörte, würde auch nit ein einziger kleiner Krämer den Vortheil haben, das Großkapital würde sih der Sache bemähtigen.

Damit schließt die Besprehung.

Jn persönlicher Bemerkung kündigt der Abg. Bebel an, daß die Sozialdemokraten die Angelegenheit dur einen beson- deren Antrag wieder aufnehmen würden.

Schluß 61/2 Uhr. Nächste S zung Freitag 1 Uhr (Justiz- geseznovelle).

Prenfszischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

5. Sizung vom 26. November 1896.

Die erste Berathung des Geseßentwurfs, betreffend die Tilgung von Staatsschulden und die Bildung eines Ausgleihsfonds, wird fortgeseßt.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Jch habe gestern bei der vorgerückten Zeit das hohe Haus nicht länger in Anspruch nehmen wollen, sche mi aber doch veranlaßt, zumal da durch die Ausführungen des Herrn Abg. Dr. Sattler die Diskussion eine breitere Grundlage genommen hat, noch auf einige der Herren Redner von gestern zurückzukommen.

Meine Herren, der Herr Abg. Richter sagte: heute sei viel weniger Veranlassung zu ciner obligatorcischen Shuldentilgung über- zugehen, als im Jahre 1869, weil seit der Zeit das Staatsverm ögen sich versehsfacht habe. Jch kann dies niht kontrolieren, weiß au nicht, worauf diese RNehnung des Herrn Abg. Richter beruht. Aber ih nehme an, es sei wahr, so vermeidet doch der Abg. Richter, uns mitzutheilen, daß seit der Zeit die Schulden des Staates sich von 1200 Millionen auf gegen seben Milliarden er- höht haben. Daß heute danach die Frage viel bedeutsamer ist, ob man eine solche obligatorische Schuldentilgung einführen will, als zu einer Zeit, wo wir noch einen sehr kleinen Eisenbahnbesitz hatten gegenüber heute, wo wir 7 Milliarden Anlagekapital in gewerblihen Unternehmungen ftecken haben, tas wird doch nicht bestritten werden können.

Der Herr Abg. Richter hat gestera eine Rede von mir, die übrigens niht über das Konsolidationsgeseß, sondern zum Etat gehalten war, mitgetheilt. Gut, ich werde Ihnen nun zeigen, wie {nell ih mih auch als Abgeordneter von diesen Theorien, die ih damals entwickelte, losfagte, bei Gelegenheit der Berathung des Garantiegeseßes; gerade in einem Augenblicke, wo wir im Begriffe waren, nun dieses große gewerbliche Unternehmen durchzuführen, habe ih {on hervorgehoben :

Nun ftelle ich zuvörderst fest,

sagte ich in der Begründung des Garantiegeseßes

daß der Gedanke, der diesen finanziellen sogenannten Garantien zu Grunde liegt, daß der Staat, nachdem er so bedeutende Mehr- kapitalien in seine Eisenbahnen hineinzustecken im Begriffe steht, nothwendig als folider und vorsihtiger Verwalter zu einer möglichst regelmäßigen Amortisation der Eisenbahnschulden übergehen muß, bis jeyt noh von keiner Seite angefohten worden is, auch nicht von Herrn Nichter.

Ich sagte weiter :

Ich perfönlih wäre nech weiter gegangen und hätte diefe balb- prozentige Amortisation der Schulden obligatorisch vorgeschrieben. Hier ist fie nit obligatorisch allgemein vorgeschrieben, sondern nur für den Fall, daß die Eisenbahnen selbst dazu die erforderlichen Mittel liefern.

Meine Herren, wie ih damals also {on in der bestimmten Weise gegenüber dem großen Risiko, welches der Staat mit der Ver- staatlihung der Bahnen eingeßt, Garantien unter anderem au nah der Seite verlangte, daß eine feste Schuldentilgung eintreten möchte, fo habe ih damals auc, wie ih zu meinem eigenen Erstaunen gesehen habe, in Bezug auf die Quotisierung der Steuern {hon ganz dieselbe Auffassung entwicklt, die ich gestern hier wieder entwickelte, indem ih darauf hinwies, diese Frage wäre gegenüber den großen Betriebsverwaltungen thatsählih bedeutungêlos geworden. Fch will Sie damit nicht behelligen, dies wörtlich vorzulesen, aber was ich heute als Minister in dieser Beziehung sage, habe ih {hon im Jahre 1877 als Abgeordneter gesagt.

Meine Herren, der Abg. Nichter sagt: wir haben gar kein Defizit gebabt in den vier Jahren. Datseibe hat er damals dem Finanz- Minister Camphausen gegenüber gesagt: es existiert ja gar kein Defizit. Nun fagt der Abg. Richter: ih kann das dadur beweisen, daß 100 Millionen aus dem Einkommensteuerf:nds dem Finanz-Minister wäh- rend der Defizitjahre zugeflossen sind. Ja, der Herr Abg. Richter vergißt aber dabei mitzutheilen, daß die Finanzverwaltung diese 100 Millionen nach dem Gesetz verzinsen muß, indem nämlih um den Betrag der Zinsen dieser 100 Millionen bekanntlich die normierte Höhe der Ergänzungssteuer von 25 Millionen heruntergeseßt ist. Das kañn geradezu als Anleihe betrachtet werden.

Wenn wir in diesen Defizitjahren in der Lage gewesen sind, weniger Anleihen zu machen es is falsch, daß wir gar keine gemacht hätten —, so ist das wesentlich dem Umstande zu verdanken, daß uns dies Kapital. von 100 Millionen überwiesen wurde, ferner dem Um- stande, daß in den leßten Jahren allerdings die Eisenbahnüberschüsse und die Ueberweisung vom Reih gewachsen sind. Er spricht davon, es sei in den Defizitjahren mögliÞ gewesen, zur Vermehrung von Betriebsmitteln, Umbau u. #. w. 103 Millionen zu bereilligen. Nun, die Herren werden \ich erinnern, daß das Haus gerade diese Art von Verrehnung gefordert hat, und daß wir hier niht gewissermaßen über das Nöthige hinauêgegangen sind, \ondern wir haben diefe Ausgabe in den Etat aufgenommen, nahdem man sih überzeugt hatte, daß die frühere Wirthschaft, wo man die Ver- mehrung der Beiriebsmittel, die Umbauten an Bahnhöfen, Neu- herstellung am Oberbau auf Anleihe nahm, eine unsolide gewesen ist.

Meine Herren, der Abg. Richter kat erzählt, daß man mir als Abgeordneten früher die Dialektik zugetraut hätte, zu beweisen, daß 2 X 2= 5 sei. Ja, ih wäre sehr stolz darauf, wenn das der Fall war; ich erinnere mich nicht, das jemals von mir gehört zu haben; wohl erinnere ih mich aber, daß die freisinnige Partei dies

immer dem Abg. von Gneift vorroarf vielleiht sind noch einige Herren im Hause, die sh des Gleichen erinnern —, aber ih erinnere mich au, daß, als dies privatim dem Abg. von Gneist mitgetheilt wurde, er ganz einfach erwiderte: ih glaube wohl, daß meinen Gründen gegenüber das freisinnige Einmaleins nicht \tandhält. (Heiterkeit.)

Meine Herren, der Abg. Dr. Bachem hät gesagt: das Reich sei arm und Preußen sei reich, und wir gingen darauf aus, das Reich auszupauvern. Ih freue mich sehr über das große Interesse des Herrn Dr. Bachem für das Wohlergehen des Reiches und werde ihm gewiß in dieser Nihtung nicht entgegentreten, sondern ihn nach Kräften unterstüßen; aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß der niht arm genannt werden kann, der berehtigt ift, seine Ausgaben und seine Schulden durch andere Leute bezahlen zu lassen. (Sehr richtig !) Ob der reicher ist, der die Wechsel eines Dritten zu honorieren ver- pflichtet ist für Zwecke des Dritten, oder derjenige, der sie beliebig ausstellen und den Dritten zur Zahlung zwingen kann, das überlasse ih der Erwägung des Herrn Dr. Bachem. (Sehr gut!)

Meine Herren, wenn Herr Dr. Bachem nun gesagt hat: ja, für so eine Art Ausgleihsfonds sind wir auch, wir haben aber einen anderen Ausgleihsfonds gewollt, so hoffe ih, daß er sih überzeugen wird, daß dieser Ausgleihsfonds kein anderer ist, als die Redner seiner Partei früher gefordert haben; denn ob dieser Ausgleichfonds entsteht durch Ueberweisung des Reiches oder dur Ueberschuß der Eisenbahnen wir haben nur eine General-Staatskasse, die Hauptsache ift, daß er gebildet wird aus Uebershüssen ; woher au die Uebershüsse kommen, das noch zu untersuchen, hat gar keinen Zweck. Wenn Herr Dr. Bachem daher gesagt hat, er warne vor Veberstürzung, man solle sich die Sache überlegen, so bin ih damit ganz einverstanden und hoffe, daß die Budgetkommission die Frage genau untersuchen wird, und daß dann die Herren vom Zentcum sich ihrerseits überzeugen werden, daß das, was hier vorgeshlagen wird, ihren cigenen früheren Anschauungen entspricht.

Meine Herren, der Herr Dr. Sattler von dem ih unmöglich annehmen kann, daß er s{ließlih gegen eine obligatorisGe Schulden- tilgung fein sollte, denn er is es gerade gewesen, der dies als absolut nothwendig bezeichnet hat, der referiert hat über dahin ¿ehende Be- {lüsse der Budgetkommission und das Haus in einer glänzenden Weise von der Nichtigkeit der obligatorishen Schuldentilzung über- zeugt hat. Wenn nun heute die Staatsregierung diesem Beschlusse des Hauses gemäß kommt und sagt: hier. \ch{lage ih Euch eine sehr mäßige obligatorishe Schuldentilgung vor, und das Haus sollte in der Zwischenzeit wider Erwarten anderen Sinnes geworden sein, so werden Sie mir zugeben, daß die Schuld des Scheiterns der Vorlage dann nicht auf seiten der Staatsregierung liegt. Jch habe garnicht verstanden, wie man namentlich in national- liberalen Blättern gegen die obligatorishe Schuldentilgung vor- gegangen ist, während die gesammte Partei, wenn ih nit irre, ein- stimmig damals für die obligatorische Schuldentilgung eingetreten ist.

Auch die Herren vom Zentrum haben immer für eine regelmäßige, feste Schuldentilgung sich erklärt, und ih habe daher immer die Hoffnung noh nit aufgegeben, daß sie thren alten Standpunkt auch bei dieser Gelegenheit f.sthalten werden, selbst wenn ih es bin, der diese Vorlage eingebracht hat. (Heiterkeit).

Meine Herren, Herr Abg. Dr. Sattler hat nun eine Schilderung gegeben von der Zwangélage und der unglücklihen Situation, in der sh die Eisenbahnverwaltung der Finanzverwaltung gegenüber befindet. Er hat die Sache fo dargestellt, als ob die arme Eisenbahnverwaltung in steter Verfolgung und Furcht vor dem Wehrwolf der Finanzver- waltung \sih befände. Nun, meine Herren, er hat ih bezogen auf verschiedene Fälle, wo die Eisenbahnverwaltung in ihren Reform- bestrebungen für Tarife gescheitert sei an dem Widerstande der Finanz- verwaltung. Ich möchte ihn darauf aufmerksam machen in aller Ruhe, daß er sich die verschiedenen Fälle, wo Tarifreformen durchgeführt sind, und die, wo sie nicht durhgeführt sind, mal in ihrer Besonder- heit genau vergegenwärtigt. Sie erinnern s{ch noch des großen Streits um die Staffeltarife für Getreide; es war die Finanzverwal- tung, welche mit der größten Entschiedenheit für die Einführung der «Staffeltarife eintrat, welche auf das lebhafteste ncch heute bedauert, daß diese Staffeltarife aufgehoben sind. Andere Ursachen sind es ge- wesen, die dahin führten und vor allem deéwegen führe ih dieses Beispiel an der Gegensaß der wirthschaftlihen Interessen in Beziehung auf diese Frage. Meine Herren, ih ncune die Staffel- tarife für Vieh; sie sind durhgeführt worden mit Unterstützung der Finanzverwaltung gegen das Votum des Landes-Eisenbahnraths, während die Staffeltarife für Holz gleihfalls die Unterstüßung dec Finanzverwaltung batten, aber leider sheiterten sie an dem Wider- stande derjenigen, die das Holz verkaufen, und derjenigen, die es kaufen wollten, indem sogar die Industriellen aus dem Westen sih gegen die Einführung der Staffeltarife für Holz erklärten; andererseits die Herabseßung der Kokzstarife, die Herabseßung der Kohlertarife zur Bekämpfung ter englishen Konkurrenz nach Stettin, die Einführung der Sstaffeltarife für Dungstoffe, sie alle haben die volle Zustimmung des Finanz-Ministeriums gefunden, und in den ersten Jahren, wo wir wieder finanziell zu Kräften kamen, habe ih sofort zugestimmt, daß mit einem rechnungsmäßigen vor- läufigen Verlust von 17 Millionen der Rohstofftarif, der bekannte Normaltarif für Brennstoffe, eingeführt werden foll.

Also ih glaube, aus diesen Erfahrungen kann man nit her- leiten, daß die Finanzverwaltung in der von dem Abg. Dr. Sattler geschilderten Weise die Eisenbahnverwaltung in ihren Reformbestre- bungen hemmt.

Was den Personentarif betrifft, so fürhte id, wenn wir hier eine erheblihe Herabseßung der Perfonentarife vorschlügen und das Haus darüber abstimmen könnte, so würde wahrscheinlih eine große Mehrheit gegen die Herabseßung stimmen. (Sehr richtig! rets.) Ich erinnere an die Ausführungen des Herrn Abg. Bueck, den ih leider niht im Hause sehe, der uns damals sagte: wir haben nicht nöthig, die Reiselust des deutshen Volkes" noch mehr zu fördern dur allzu niedrige Tarife, und es fand diese Aeußerung die allgemeine Zu- stimmung fast auf allen Seiten des Hauses.

So liegen also die Dinge. Wenn nun aber der Herr Abg. Drs Sattler vielleiht geglaubt hat, daß die Eisenbahnverwaltung in ihren Etats zu sehr eingeschränkt sei, so möchte ih ihn, den Kenner der Finanzen, doch auf die Etats der leßten Jahre hinweisen. Hat jemals eine Zeit existiert, wo die Eisenvahnverwaltung so reihlihe Etats hatte wie in den leßten Jahren? Jh kenne eine solche Periode niht. Außerdem hat die Eisenbahnverwaltung in diesem Jahre 20 Millionen. Mark extraordinär aus dem bekannten Fonds

zur Disposition gehabt und ihn auch längst verwendet, ohne nur den Finanz-Minister zu fragen, was fie ja allerdings au nicht nöthig hatte. Meine Herren, die einzelnen Titel im Etat der Eisen- bahnverwaltung von mehr als 100 Millionen Mark sind gewisser- maßen Dispositionsfonds, auf deren Verwendung der Finanz-Minister niht den geringsten Einfluß üben fann. Von einer allzu knappen Haltung der Eisenbahnverwaltung kann man daher unmögli sprechen. Wir haben im Vorjahre au an neuen Eisenbahnen so außerordentli viel geleistet wie kaum in einem Jahre zuvor.

Aber ist es denn richtig, zu sagen, die Verstaatlihung der Eisen- bahnen hâtte ihren Zweck nicht erreiht? Ich glaube, der Herr Abg. Dr, Sattler ist dabei gewesen, wie der Herr Minister Maybach in Vertheidigung der von ihm so glänzend durchgeführten großen Idee des Fürsten Bismarck, der Verftaatlihung der Eisenbahnen, darauf hinwies, welche große Menge von Sekundärbahnen gebaut sind, die ohne die Verstaatlihung gewiß niht gebaut worden wären, da doch ein großer Theil derselben das Privatfkapital nicht lockte; wie er darauf hinwies, welhe Summe von Tarifen seit der Zeit herabgeseßt worden is , welhe großen Beträge verausgabt find zur Aufbesserung der Beamtengehälter. Sie werden das ja hier in concreto wieder sehen, bei der Hessishen Ludwigs- bahn u. st. w. u. st w. Wie kann man behaupten, daß die Ziele der Staats-Eisenbahnverwaltung nicht in vollem Maße durchgeführt seien ? Kann man nun nah solhen Erfahrungen zu dem doch immerhin sehr gewagten kühnen Schritt kommen, zwei Finanzverwaltungen im Staat zn konstruieren, eine vollständige Trennung zwischen Eisenbahn- verwaltung un» Finanzverwaltung zu machen, während das oberste Prinzip des preußishen Staats immer die Einheitlichkeit der Finänzverwaltung gewesen i? Meine Herren, ih würde gera auf den Gedanken an si eingehen, wie ih das hon mebrfah ausgesprochen habe, namentlich im Interesse der Finanzverwaltung, wie ja Herr Abg. Dr. Sattler rihtig bemerkte. Denn deren Interesse liegt darin, daß es für mich den übrigen Ressorts gegenüber sehr bequem wäre; ih fönnte einfach fagen: Geld ist niht da, ih kann eure Bedürfnisse nit befricdigen, wendet euch an die Eisenbahn. Die Eisenbahn würde sagen: ja, wir haben wohl viele Uebershüsse, aber wir geben sie nicht heraus, wir verwenden diese Ucbershüsse für uns felbst. Also diè Finanzverwaltung wäre, wenn ih einen platten Ausdruck gebrauhen will, bei dieser Gelegenheit \{chön heraus. Während ich jeßt den ganzen Ansturm der Wünsche und Forderungen und Verlangen aus dem ganzen Lande auszuhalten habe, würde ih mich dann mit der größten Kaltblütigkeit auf das Gesetz Dr. Sattler beziehen. (Heiterkeit.) Vielleiht kommt ja noch einer der MNedner, der diese Fragen beantworten kann. Wenn man diese Fragen ins Land wirst, so nehme ich an, daß die Herren ganz klar sind, was sie wollen, und wir werden in der Budgetkommission diese Frage mit meiner vollen Bei- stimmung sehr gründlih prüfen. Da möchte ich nun wissen: soll diese Grenzscheide, die Fixierung dieser Rente zwischen Eisenbahn- verwaltung und der übrigen Staatsfinanzverwaltung, auf Gesetz be- ruhen oder nicht ? Wenn Sie, wenn ih den Herrn Abg. Dr. Sattler recht verstehe, für 5 Jahre dies geseßlih festlegen, so winde also innerhalb dieser 5 Jahre einseitig weder vom Landtage noch von der Regierung etwas an dieser Thatsache geändert werden können. (Zuruf des Abg. Dr. Sattler.) Auch das Staats-Ministerium könnte nichts ändern, wenn es auf Geseß beruht.

Nun, meine Herren, stellen Sie sich einmal vor: bis jeßt hat der Finanz-Minister das Staatsbedürfniß nah bestem Wissen und Ge- wissen zu befriedigen versucht nach Maßgabe der Gesammtheit der Mittel, die zur Disposition standen. Jeßt machen wir eine solche Grenze, wir entbinden die Eisenbahn über eine bestimmte Grenze hinaus von der Verpflihtung, an die Staatskasse die Uebershüsse abs zuliefern. Nun seße ih den ersten Fall: die Eisenbahnverwaltung wirthschaftet weit mehr heraus, sie hat erheblihe Uebershüsse; aber gleichzeitig Tfommt das Reih und man kann den Zeitpunkt fast mit Sicherheit vorher berechnen, wo das kommen wird und verlangt vom Finanz-Minister sehr erheblile Matrikularumlagen. Die müssen natürlich nicht von der Eisenbahn, sondern von der allgemeinen Staatskasse bezahlt werden. Infolgedessen habe ih kein Geld, die dringendsten anderweitigen Bedürfnisse des Landes auf dem Gebiete der Schule, auf dem Gebiete der Universitäten, auf dem Gebiete der Landwirthschaft, auf dem Gebiete der Landesrnelioration, auf dem Gebiete der Fortbildungêëschulen wo Sie wollen zu befriedigen, und ih erwidere den verehrten Herren Kollegen: es thut mir leid, die Eisenbahn hat zwar große Uebershüfse berau8gewirthschaftet, aber für euch find sie niht da, ih \treihe alle eure Forderungen. Oder aber, meine Herren, wenn ih das nicht thäte, so würde ih wieder ein:n Etat mit Defizits vorlegen. Die Eisenbahn, in dem Besitz der Ueberschüffe, hat gar keinen Grund, sih Zwang aufzuerlegen. Wie leiht eine große technishe Verwaltung in der Lage ift, solhe Uebershüsse zu verwirthshaften, darüber kann gar keine Frage scin. Sie wird umgekehrt dafür forgen, daß sie sagt, wenn diese 5 Jahre vorüber sind, alle diese Uebershüsse habe sie auch wirklih verbraucht. Also der allgemeine Staat muß Anleihen machen, muß im Defizit bleiben, um die dringendsten Bedürfnisse zu be- friedigen. Die Eisenbahn hingegen steht bei Seite und verzehrt ihre Reberschüsse.

Nun denken Sie sich aber den entgegengeseßten Fall, meine Herren ! Herr Dr. Sattler hat {hon selbst gesagt: ja, wir müssen jeßt die Grenze ziemlich boch greifen, denn wir haben nun einmal au diese Eisenbahnübershüsse gemaht, und das können wir nicht wieder rückgängig machen ; also wir greifen die Ueber[hüsse sehr hoch, etwa, fo hoh, wie sie nah dem Ausgange der Berathung dieses Etats, des Beamtenbesoldungs-, des Wittwen- und des Lehrergesetzes gegriffen werden müssen. Es kann doH nach den Erfahrungen der Vergangenheit sehr leiht eintreten, daß die Eisenbahnverwaltung eine so hohe Rente niht herauswirth\chaftet. Wovon soll sie dann d1s Manko decken ? Soll sie eigene Eisenbahnshulden machen oder foll der Staat eintreten und für sie Schulden machen ? oder s\oll der Staat Vorschüfse geben in der Hoffnung, daß sie in Zukunft einmal einkommen ?

Meine Herren, den Ausgleihsfonds wollen ja die Herren nit; sie sagen: das ift ein Fonds, den der Finanz-Minister für si vielleicht konsumieren könnte, den lchnen wir ab. Also mit dem Ausgleihs- fonds kann ih mir in diesem Falle auch nit helfen, damit kann ich Schwankungen, die aus der gesammten Staatsverwaltung her. orgehen, die sich vielfa gegenseitig ausgleichen, vielleiht für einige Jahre decken, aber niht die einseitigen Mankos und Unterbilanzen einer

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