1896 / 283 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 28 Nov 1896 18:00:01 GMT) scan diff

Das Nähere enthalten die Amtsblätter der Königlichen Regierungen zu Potsdam und Frankfurt a. O. Berlin, den 24. November 1896. Königliches Provinzial-Schulkollegium. Pilger.

Angekommen:

Seine Excellenz der kommandierende Admiral, Admiral von Knorr.

Nichtamtliches.

Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 28. November.

Seine Majestät der Kaiser und König trafen, von Kiel kommend, gestern Mittag um 1238/4 Uhr in Altona ein und wurden auf dem Bahnhofe daselbst von dem General- Obersten Grafen von Waldersee sowie den Spißen der Be- hörden empfangen. Alsdann fuhren Seine Majestät unter dem Jubel der Bevölkerung nah dem Gebäude des General- Kommandos, wo das F:ühstück eingenommen wurde. Um 3 Uhr erfolgte die Weiterreise Seiner Majestät des Kaisers und Abends um 8 Uhr die Ankunft auf der Wildparkstation bezw. im Neuen Palais. /

Heute früh, turz nach 7 Uhr, begaben Sich Allerhöchst- dieselben mittels Sonderzuges nah Barby zur Jagd und ge- denken heute gegen Mitternaht von dort nach dem Neuen Palais zurückzukehren.

Die vereinigten Aus\hüsse des Bundesraths für Zoll- und Steuerwesen und für Rehnungswesen, sowie die vereinigten Ausschüsse für Zoll- und Steuerwesen und für Handel und Verkehr hielten heute Sizungen.

Der Kaiserlich türkishe Botschafter Galib Bey wird, wie aus der im amilihen Theile der heutigen Nummer d. Bl. veröffentlichten Ansage hervorgeht, nunmehr die zum Aller- höchsten Hofe gehörigen oder daselbst vorgestellten Herren empfangen. Dieser Empfang wird am Dienstag, den 1. De- ember 1896, Abends von 9 bis 11 Uhr, stattfinden. Der

nzug ist: für die Herren vom Militär in kleiner Uniform,

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für die Herren vom Zivil in Frack mit Ordensband über der W-ste.

Seine Durchlaucht der Fürst Karl Egon zu Fürsten - berg, erblihes Mitglied des preußishen Herrenhauses, der württembergischen Kammer der Standesherren und der badischen Ersten Kammer, Mitglied des Reichstages, Major à la suite der Armee, ist gestern Abend in Nizza gestorben.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Großherzoglich sächsishe Staats-Minister Dr. Freiherr von Groß ist von hier abgereist.

Nach telegraphisher Meldung an das Ober-Kommando der Marine ist der Reichs-Postdampfer des Norddeutschen Lloyd „Prinz-Regent Luitpold“ mit dem heimkehrenden Ablösungstransport S. M. S. „Möwe“, Führer : Lieutenant z. S. Heinemann, gestern in Antwerpen ein- getroffen.

Lippe.

Jhre Durchlaucht die verwittwete Fürstin Elisabeth zur Lippe, Höchstwelche, wie gemeldet, an einer Lungenentzündung erkrankt war, ist in der vergangenen Nacht gestorben. Die ver- ewigte Fürstin, geboren am 1. Oktober 1833, war die Tochter des am 26. November 1869 verstorbenen Fürsten Albert von Schwarzburg-Rudolstadt und dessen Gemahlin, der am 8. Of- tober 1865 verstorbenen Fürstin Auguste, geborenen Prinzessin zu Solms-Braunfels, und vermählte sich am 17. April 1852 mit dem am 8. Dezember 1875 verstorbenen Fürsten Leopold

zur Lippe.

Oefterreich-Ungarn.

Jn der gestrigen Sihung des österreihishen Ab- geordnetenhauses führte der Justiz-Minister Graf Gleis- ah bei der Verhandlung über den dringlichen Antrag der Abga. Kronawetter und Pernerstorfer auf Erlaß ficats

erihtlicher Bestimmungen zum Schuße des Vereins-, Ver- sammlung und Petitionsrechts aus, daß zur Beurthei-

ung der Nothwendigkeit eines Geseßes eingehende Erhebungen angestellt werden müßten. Die wichtigsten von den Antragstellern ausgeführten Punkte ständen schon eute unter dem Schuß des Strafgeseßes, besonders des Z 98 über öffentlihe Gewaltthätigkeit, und seien als Verbrechen mit s{hwerem Kerker bedroht, weshalb der Antrag überflüssig sei, Die Antragsteller seien sich über die Tragweite threr eigenen Anträge niht klar: so mache man fkeine Geseze. Die Regierung habe keinen Anlaß, zu dem Antrag Stellung zu nehmen. Er (der Minister) persönlich sei ein großer Gegner fruchtloser Arbeit. Nach längerer Debatte wurde die Dringlichkeit abgelehnt und der Antrag der geschäfts- ordnungsmäßigen Behandlung überwiesen. Jm weiteren Ver- lauf der Sizung nau das Haus den Gesehentwurf, betreffend die Regelung der Bezüge der Lehrer an staatlichen Mittelschulen, mit dem von der Regierung beantragten Termin des Jnkrafttretens des Gesches, welches mit der Kund- machung desselben erfolgen soll, an.

Im ungarishen Oberhause, in welhem der Alters- Präsident L Franz Zichy den Vorsiß führte, überreichte estern der Minister-Präsident Baron Bänffy einen König- ihen Erlaß, durch welchen Ln Toth zum Präsi- denten, Baron Bela Vay und Graf Tibor Karolyi zu Vize-Präs identen des Oberhauses ernannt werden.

Großbritannien und Frland.

Die „London Gazette“ veröffentlicht die Ecnennung des Sekretärs der großbritannishen Botschaft in Washington Viscount Göugh zum Sekretär bei der Botschaft in Berlin.

Das Parlament ist auf den 19. Januar einberufen worden.

Frankreich.

Der Präsident Faure empfing gestern Nachmittag den Besuch des Grafen von Turin. :

Der dänische Gesandte in Paris Graf Mol tke-Hvitfeld ist in der vergangenen Nacht gestorben.

Die Deputirtenkammer nahm gestern den Geseß- entwurf an, durch welchen die Einfuhr und der Umlauf fremder Scheidemünze in Frankreich verboten wird, und seßte darauf die Berathung des Budgets fort.

Der Zoll-Aus\chuß der Deputirtenkammer begann

estern Vormittag die Berathung des Entwurfs dcs Abg.

Maus betreffend die Zuckersteuer. Der Ausschuß ge- nehmigte Ausfuhrprämien im Betrage von 3 Frcs. 50 Cts. bis 4 Fres. 50 Cts., sowie Steuernachlässe für französischen Kolonialzucker und für französischen Rohzucker, der nah den Raffinerien der Hafenstädte geschickt wird, im Betrage von 2 Fres. bis 2 Frcs. 50 Cts.

Ftalien.

Gestern Vormittag fand in Rom vor dem König von Jtalien und dem König von Serbien eine Parade der Truppen der dortigen Garnison statt, welche durh Abthei- lungen der benachbarten Garnisonen verstärkt war. Die Truppen führten zuerst ein taktishes Manöver aus und defi- lierten davn vor den Majestäten. Nach der Parade, welcher eine aroße Menschenmenge beiwohnte, kehrten die Majestäten nah dem Quirinal zurü. owohl auf dem Exerzierfelde, wie auf dem Wege von und nach demselben wurden König Humbert und König Alexander von der Bevölkerung ehrfurchtsvoll be- grüßt. Mittags verabschiedete sih der König von Serbien von der Königin von Jtalien und reiste um 11/5 Uhr Nach- mittags, von dem König Humbert zum Bahnhofe geleitet, nach Neapel ab. Am Bahnhof hatten sih die Spißen der Be- hörden zum Abschied eingefunden. König Humbert und König Alexander umarmten und küßten sih herzlih beim Abschied. Die Ankunft des Königs von Serbien in Neapel erfolgte gestern Abend.

Spanien.

Jn den spanishen Garnisonen in Europa stehen zur Zeit 128 865 Mann bei den Fahnen und zwar: Jnfanterie 64 890, Kavallerie 14 346, Artillerie 11774, Genie 5294, Verwaltungstruppen 1500, Krankenwärter 900, Königliche Eskorte, Hellebardiere, Topographen-Brigade des General- stabs 2c. 1296 Mann. Die Gendarmerie (Guardia civil) zählt 14676, die Zollwache (Carabineros) 14186 Köpfe. Auf Cuba befinden sich jezt nah Eintreffen der elften Expedition ore eingeborene Freiwillige rund 200 000 ann fspanischer Truppen aller Waffen. Auf den Philippinen stehen insgesammt 30 881 Mann, darunter 10 234 aus dem Mutierlande, auf der Jnsel Puerto Rico befinden sich 600 Mann. Jm Ganzen stehen 365746 Mann unter Waffen, während sonst in Friedenszeiten die Gesammt- stärke der Truppen einschließlich Guardia civil, Carabineros, Freiwilligen in den Kolonien 2c. die Zahl von 140 000 Mann niemals überstiegen hat. Die Aussicht, nach Cuba oder den Philippinen geshickt zu werden, hat, dem „Correo militar“ zufolge, viele Militärpflichtige ver- anlaßt, ohne Erlaubniß auszuwandern. Die Regierung hat nunmehr ernstlihe Maßregeln getroffen, um dieser Fahnenflucht vorzubeugen. So dürfen junge Leute zwischen 15 und 20 Jahren, die niht den Nachweis erbringen, 2000 Pesetas für den Loskauf vom Militärdienst an die Staatskasse ent- richtet zu haben, die Landesgrenzen überhaupt nicht mehr über- schreiten. Das Gleiche gilt für Leute im Alter von 20 bis 32 Jahren, welche keinen Militärpaß oder sonstige Papiere be- sißen, aus denen hervorgeht, daß ste ihrer Dienstpflicht voll- ständig genügt haben.

Schweiz.

Der Bundesrath hat, wie „W. T. B.“ berichtet, ein- stimmig beschlossen, bei der Bundesversammlung eine Revision der Bundesverfassung zu beantragen zum Zweck der Einführung der Einheitlichkeit auf dem Gebiete des gesammten bürgerlihen und Strafrechts, mit Ausschluß der Gerichtsverfassung, der Zivil- und Strafprozeß-

ordnung. Die Volksabstimmung über die Vereinheitlichung.

des bürgerlichen Rechts und des Strafrehts soll getrennt erfolgen.

Niederlande.

Die Zweite Kammer hat, wie „W. T. B.“ meldet, in Erwartung der Berathung des definitiven Geseyes, mit 48 gegen 35 Stimmen eine vorläufige Zuckersteuervor- lage angenommen, in welcher der Mindestertrag der Steuer für 1897 auf 91/16 Millionen Gulden festgeseßt wird. Die Rüben- zucerprämie wird sih um ungefähr eine Million vermindern.

Belgien.

Die Nepräsentantenkammer beendete gestern die Be- sprehung der JFnterpellation Lorand, betreffend den Rücktritt des Kriegs-Ministers Brassine, und nahm die von der , Regierung E einfache Tages- ordnung mit 73 gegen 38 Stimmen bei 10 Stimment- haltungen an.

Türkei.

Dem Wiener „Telegraphen-Korrespondenz-Bureau“ wird aus Konstantinopel berichtet: die Botschafter hätten gelegentlich eines vorgestern bei der Pforte unternommenen Schrittes die Zurückberufung des nah Kreta entsandten Saad-Eddin Pascha, die Abberufung des Militär- Kommandanten von Kreta und die Eg desselben durch einen anderen General gefordert und außerdem verlangt, daß die Präsidenten des Obersten Gerichtshofes und der Ober- Prokurator auf Kreta Christen sein müßten. Die Pforte habe den Botschaftern die von Karatheodori Pascha aus- garen Denkschrift über die bisher ausgeführten

eformen übergeben. i

Der bulgarische Exarch hat der Pforte einen Ein- \pruch gegen die Sperrung der Kirche in Langovani bei Salonichi eingereiht: die Bewohner dieser Ortschaft seien Bulgaren, deren Mehrzahl das Exarchat anerkenne.

Rumänien.

Die Session des Parlaments ist gestern in Bukarest von dem König mit einer Thronrede eröffnet worden.

In derselben wird, dem ,W. T. B.* zufolge, zunächst konstatiert, daß die Beziehungen Numäniens zu allen Staaten ausgezeichnete seien und die wachsencke Bèdeutung Numänfens in diesem Jahre zu besonderer Geltung gelangt sei. Die Thronrede hebt den herzlichen Empfang hervor, welher dem Thronfolger und seiner Gemahlin während der Krönungsfeierlihkeiten in Moskau bereitet worden sei, was beweise, wie werthvoll die nahen verwanttschaft- lien Beziehungen des rumänishen Königshauses zum russischen Kaiserhofe für die Erhaltung und Entwickelung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten seien. Es heißt sodann weiter : „Jch habe mit lebhafier Befriediguna der Eröffnung des Kanals am Eisernen Thore beigewohnt, dessen Negulierung durch den Berliner Vertrag der österreichis{- ungarischen Monarchie übertragen wurde und welcher bestimmt ift, uns bedeutende Vortheile zu sichern, indem dadur unsere Produkte auf der großen Verkehrs\traße der Donau in das Innere Europas eindringen können. Seine Majestät der Kaiser von Oester- rei, König von Ungarn, dessen aufrichtige und werthvolle Freund- chaft uns seit einer langen Reihe von Jahren erfreut, hat Rumänien mit seinem Besuh beehrt. Durch den warmen und herzlichen Empfang, welcher Seiner Majestät durh das ganze Land bereitet wurde, hat dasselbe dem Monarchen des Nachbarlandes die Dankbar- keit Aller für dieses warme Zeichen von Freundschaft und Wohlwollen zu erkennen gegeben. Es ist uns eine feierlie Gelegenheit gegeben worden, Europa zu beroeisen, daß das runänishe Volk mit vollklommenem Erfolg an dem großen Werke setner Wiedergeburt und seiner Kräftigung gearbeitet hat.“ Die Thronrede erwähnt weiter den Besuch des Königs von Serbien, durch den die alten und ungetrübten freundschaftlihen Veziehungen der beiden Staaten erneuert und befestigt worden seien, und gedenkt endlich der Wiederherstellnng der normalen Beziehungen zu Griechen- land. Bezüglich der Armee heißt es: „Mit gerehtem Stolze habe ih sowohl bei dem Eisernen Thore als. auf den Feldern von Schimnik, Controceni und Plojesti die kriegerische Haltung meiner geliebten Armee gesehen, welche die Ehre gehabt hat, Seiner Majestät dem Kaiser und Köntg Franz Josef sch vorzustellen und vor Allerhöchstdcmselben zu defilieren. Die Armee hat bei dieser Gelegen- heit gezeigt, daß das Land sich auf sie unter allen Verhältnissen stüßen kann, und daß dieselbe Jhrer Fürsorge würdig ist. Jch zweifle nicht daran, daß Sie auch in Zukunft keine Opfer \heuen werden, um die Armee auf der Höhe ihres Berufes zu erhalten.“ Die Thronrcde ver- \spriht die Nevision des Rekrutierungsgeseßes und des Militär- fanitätsgeseßes. Bezüglich der Finanzen wird gefagt: „Die wenig zufriedenst:llende Lage, welhe durch die Staatshaus- halte der beiden leßten Jahre geschaffen rourde, if beseitigt worden. Nicht nur, daß das Gleibgewicht des laufenten Staatshaushalts voll- ständig sichergestellt ist, hoffen wir, daß fogar ein fühlbarer Ueberschuß sich ergeben wird. Wir sind üb-rzeugt, daß diese normale und er- freulihe Lage auch im nächsten Staatshaushalt erhalten bleiben roird, indem Sie die Auszaben mit den reellen Cinnahmequellen in Ein- klang bringen werden.“ Die Thronrede stellt {ließlich eine Neu- ordnung des Geschäftsganges der Ministerien des Aeußern und der Finanzen, eine Abänderung des Stempel- und Patentgesetes, die Neform des Kommunikotionsgeseßes und des Gesetzes über die Staatseisenbahnen, die Gründung einer Qandwirthschaftökaße, durch roelhe der Verkauf größeren Grundbesitzes in kleinen Loosen erleihtert werden foll, eine Abänderung des Minenges:ßes, eine Reform der Kommunal- und Distriktsverwaltung, sowie des Sekundär- unterrihts und die Erweiterung der Unabseßbarkeit der Richter auf die Tribunalrihter in Aussicht. : G

Das Parlament nahm die Thronrede mit begeisterten Zu- rufen auf.

Amerika.

Nach einer der „Times“ aus Montevideo zugegangenen Nachricht, ist in den nördlihen und östlichen Departements von Uruguay eine Revolution der Partei der „Blancos“ ausgebrochen. Aus Brasilien seien bewaffnete Banden über- getreten; ein Zusammenstoß habe bis jeßt nicht stattgefunden.

Afrika.

Das von dem Volksraad der Südafrikanischen Republik angenommene Geseh über die Einwanderung soll am 1. Januar 1897 in Kraft treten.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Berichte über die gestrigen Sißungen des Reichstages und des Hauses der Abgeordneten be- finden sih in der Ersten Beilage.

Jn der heutigen (135.) Sißung des Reichstages, welcher der Staatssekretär des Reichs-Justizamts Dr. Nieber- ding beiwohnte, wurde die zweite Berathung des Geseß- entwurfs, betreffend Abänderung und E des Gerichtsverfassungsgescßes und der Straf- prozeßordnung, fortgeseßt, und zwar bei den Bestimmungen über die Entshädigung für unschuldig verbüßte Strafen, welche in den §8 413 b bis § 413 f enthalten sind.

Die Sozialdemokraten beantragen, auch für unschuldig erlittene Untersuhungshaft eine Entschädigung zu gewähren.

Abg. Froh me (So0z.) bedauert, daß der Reichôtag selbst die von ihm früher beschlossene Entshädigung für unschuldig erlittene Unter- suhungshaft habe fallen lassen, weil er sich dur die Erklärungen der Regierungen, daß eine solhe Bestimmung unannehmbar sei, habe einshüchtern lassen. Seine Freunde hätten den Antrag gestellt, damit im Volke nicht die Meinung aufkommen könnte, daß niemand mehr im ganzen Reichstage an diesem früheren Beschlusse festhalte. Auch die ungerecht erlitiene Untecsubungshaft sei eine schwere Kränkung und Schädigung. Redner zählt eine Reibe von Fällen auf, in denen die Kriminaljustiz Mißgriffe begangen haben soll, ohne daß der in Untersuchungshaft Genommene irgendwie daran Schuld gewesen wäre, daß er verhaftet wurde. Besonders die Armen würden davon ge- troffen, weil ihnen nicht die gleihen Scbußmittel zur Seite ständen, wie den Reichen. Sie wären nicht in der Lage, sich einen Vertheidiger zu bestellen.

Wirklicher Geheimer Ober-Regierungs-Rath bon Lenthe wendet ih dagegen, daß allen im Wiederausnahme-Verfahren Freigesprochenen eine Entschädigung gewährt werden sokle, während die Regierungen nur denjenigen eine Entschädigung gewähren wollien, deren Unschuld si herausgestellt habe. Da diese Vorschrift bei § 399 nicht aufgenommen sei, so entsprähen die Bestimmungen jeyt niht mehr den Intentionen der verbündeten Regierungen. Diese seien gegen die allgemeine Entschädizung aller Freigesprochenen niht nur aus

vanziellen Gründen, sondern auch weil dadurch die Strafjustiz

in Verwirrung gebraht würde. Der Antrag der Sozialdemokraten [Wle sh an die früheren Beschlüsse der Kommission des Reichstages an; aber auh diese Kommission hätte {ließli nur eine fakultative Entschädigung für Untersuchungshaft beschlossen. Eine Inkonsequenz liege niht darin, daß für Untersuchungbhaft keine Entschädigung gewährt werde, während diese Entschädigung für Strafhaft erfolgen solle; denn es bandele sich {ließlich nur um Billigkeits-, aber nicht um Rechtégründe, Der Redner weift zum Sluß auf die Entwickeiung in Frankrei hin, wo man ebenfalls davon abgekommen sei, für unschuldig erlittene Strafen eine Gnt- schädigung zu gewähren.

Abg. Stadthagen (Soz.): Ob ein oder nur ein Billigkeitsgrund, ist gleichgültig ; daß das Gerechtigkeitsgefühl dahin drängt, \huldig erlittene Unterfuhuagshaft eine gewähren, zumal die Hastbarkeit der amten im Deutschen Neihe eine sehr minimale is. Die Entschädigung für unschuldig erlittene Strafen oder Unter- suhungshaft i in der Schweiz durchgeführt worden ohne irgend welhe Schädigung der Justiz und ohne Belastung der Finanzen. MNedner empfiehlt dann einen weiteren f\ozialdemokratischen Antrag, wonach die Bestimmung, daß die Entschädigung unterbleiben solle, wenn die Verurtheilung durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt sei, gestrihen werden soll.

Wirklicher Geheimer Ober-Regierungs-Rath v on Lenthe wendet sih auch gegen den zuleßt vom Redner vertheidigten Antrag.

Die Anträge der Sozialdemokraten werden gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Freisinnigen abgelehnt, und die 88 413b bis 413f werden unverändert angenommen.

Zu § 443, welcher von der Eröffnung der Peivaiflage handelt, will

Abg. Hofmann- Dillenburg (nl.) folgenden Zusaß machen: „Wird von dem Beschuldigten ein wesentliches thatsächlihes Vorbringen der Klage bestritten, oder bringt er selbst Thatsachen vor, die seine Straf- barkeit ausschließen, fo ist vor Eröffnung des Hauptverfahrens von dem Gerichte der Sachverhalt in Gemäßtheit der §§ 158 und 159 der Strafprozeßordnung zu erforschen. Vas Verfahren is jedoch nicht weiter auszudehnen, als erforderlich ift, um eine Entscheidung darüber zu begründen, ob der Beschuldigte der ihm in der Klage zur Lasl ge- legten strafbaren Handlungen hinreichend verdächtig ist.“

Geheimer Obec- Justiz-Rath Vierhaus erklärt sich gegen den A ntrag, weil derselbe eine Anomalie in die Strasprozeßordnuag bringen würde.

Nachdem noch Abg. Brockmann (Zentr.) den Antrag als überflüssig bezeichnet hat, wird derselbe gegen die Stimmen der Nationalliberalen abgelehnt.

Zu 8 430 der Strafprozeßordnung beantragt Abg. Stadthagen A die Bestimmung zu streihen, wonach Revisionsanträge und Anträge auf Wiederaufnahme des Ver- fahrens vom Privatkläger nur durch einen Rechtsanwalt an- zubringen sind.

Geheimer Ober-Justiz-Rath Vier haus erklärt, daß der Reichstag bereits bei § 390 eine dem Antrage widersprchende Entscheidung getroffen habe. /

(Schluß des Blattes.)

Dem Hause der Abgeordneten ist der nahstehende Ent - ines Geseßes wegen Aenderung des Geseßes vom i 1876, betreffend die Besteuerung des Gewerbe- bes im Umherziehen, zugegangen.

Artikel 1.

Der § 2 des Gesetzes, betreffend die Besteuerung des Gewerbe- betriebs im Umherziehen vom 3. Juli 1876 (Gesez-Samzml. S. 247) erhält am Schluß der Nr. 1 folgenden Zusaß:

Die vorstehenden Bestimmungen finden auf diejenigen keine An- wendung, welche nah den reisgeseßlihen Vorschriften zum Auf- suchen von Bestellungen oder zum Ankauf von Waaren eines Wandergewerbesheins bedürfen. Artikel 2. - Dieses Gesetz triit mit dem 1. Januar 1897 in Kraft.

Dem Hause der Abgeordneten ift ferner die Uebersicht der von der Königlichen Staatsregierung gefaßten Ent- \chließungen auf Anträge und Resolutionen des Hauses der Abgeordneten aus der Session vom 15. Januar bis 20. Juni 1896 zugegangen.

Die Kommission des Hauses der Abgeordneten zur Vo1berathung des Gesetzentwurfs, betreffend Tilaung von Staatsschulden und Bildung eines Ausgleichsfonds, hat sih konstituiert und den Abg. Dr. Irmer zum Vorsitzenden, den Abg. Dr. Bachem zum Stellvertreter des Vorsitzenden und die Abgg. Graw und Dr. von Woyna zu Schriftführern gewählt.

Die Kommission des Hauses der Abgeordneten zur Vorberathung tes Gesetzentwurfs, betreffend das Diensteinkommen der Lehrer und Lehrerinnen an den öffentlichen Volks- s{ulen, ist zusammençetreten und hat den Abg. Dr. Porsch zum Vorsitzenden, den Abg. Bartels zum Stellvertreter des Borsitzenden und die Abgg. von Eichel, Winckler, von Tzschoppe, Noelle und Latacz zu Schriftführern gewählt.

Rechtsgrund vorliegt, die Hauptsache ift, auch für die un- Entschädigung zu richterlichen MVBe-

wurf e 0: Ful betrie

Nr. 59 des „Centralblatts für das Deutsche Reich“, berausgegeben im Reichsamt des Innern, vom 27. November, hat folgenden Inhalt: 1) Marine und Schiffahrt: Bestimmungen über die gegenseitige Anerkennung der Scbiffsmeßbriefe in Deutschland und Norwegen; Erscheinen des 111. Nachtrags zur Amtlichen Liste der Schiffe der deutschen Kriegs- und Handels-Marine für 1896. Militärwefen : Nalhtrag zum Gesammtverzeichniß der zur Ausstellung von Zeugnissen über die Befähigung für den einjährig- freiwilligen Militärdienst berechtigten Lehranstalten. 83) Zoll- und Steuer- wesen : Veränderungen in dem Stande oder den Befugnissen der Zoll- und Steuerstellen. 4) Konfulatwesen: Bestellung eines Konsulac- Agenten. 5) Polizeiwesen: Ausweisung von Auéländern aus dem Reichsgebiet.

Nr. 48 des „Centralblatts der Bauverwaltung*", heraus- gegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 28. November, hat folgenden Jnhalt: Amtliches: Dienst-Nachrichten. Nicht- amtliches: Das neue Kurhaus in Westerland auf Sylt. Die Hoch- wasserverhältnisse der norddeutshen Ströme, besonders des Oder- stroms. (Schluß.) Der ivynere Ausbau des Reichstagshauses in seiner technishen Ausführung. (Fortsezung.) von Morstein's Multiplex-Gasfernzünder. Vermischtes: Wettbewerb um Entwürfe für Bahnhofsanlagen in Christiania. Wettbewerb um ein Dienst- wohngebäude für den Landrath des Kreises Pr. Holland i. Ostpreußen. Die Arundel-Society in London. Neue Entwürfe für Unter- grundbahnen in London. Bücherschau.

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Aus Hamburg bringt das „Wolff’she Bureau" folgende wei- teren Mittheilungen zum Ausstande der Schauerleute und anderen Hafenarbeiter: Die Rhedereien undHafenarbeiter- Baasfe haben beschlossen, dem Hamburgischen Arbeitgeber-Verbande bei- zutreten, um einmüthig den Ausstand zu bekämpfen. Die Speicherarbeiter hielten eine besondere Versammlung ab und erklärten sich mit dem neuen Lohntarif einverstanden. Bis zum Sonnabend soll weitergearbeitet werden, dann giebt die Leitung weitere Anordnungen. In einer von etwa 1000 Perfonen besuhten Versammlung der Arbeiter der Staats- quais \fpraden sich fast alle Redner gegen den Ausstand aus, obwohl der Quaidirektor ihre Forderungen abgelehnt hatte. Man hofft, daß bei einer etwaigen Erklärung des allgemeinen Ausstandes die staatlichen Quaiarbeiter von demselben entbunden werden und wöchentlih 3 4 an die Ausstandskasse zahlen. Ein L hierüber wurde nicht gefaßt. Die Leichterarbeiter und die chiffsreiniger der Hamburg-Amerikanischen Paketfahrt-Aktiengesell schaft haben si dem Ausftand angeschlossen. Die Gesammtzahl der Ausständigen wird jeßt auf 11000 geshäßt. Am Hamburger Hafen entwickelte ih gestern infolge des Ausstandes der Gwerführer ein ganz bedeutender

Rollfuhrverkehr. Die 150 Kutscher der Transport-Aktiengesell- schaft Heveke legten der Direktion einen neuen Lobntarif vor und wollen, wenn dieser niht bewilligt wird, die Arbeit niederlegen. Vom Binnenlande treffen jeßt unausgeseßt Arbeiter ein, sodaß auf den Schiffen der Betrieb bedeutend lebhafter ge- worden ist. In einer von etwa 3000 Personen, in der Mehrheit Hafenarkeitern, besuchten Volksversammlung wurde nah einer Berichterstattung des fozialdemokratishen Reichétags- Abgeordneten von Elm ein Antrag angenommen, in welchem die Forderungen der Ausständigen für gerecht erklärt werden, ibnen Sympathie ausgedrückt, Geldunterstüßung zugesagt wird, und die Ausftändigen aufgefordert werden, im Ausstande zu yecharren. Wie die „Voss. Ztg.“ mittheilt, verkündete der Vorsißende dieser Versammlung, daß drei Rheder dem Aus\tands- aus\chuß vorgeschlagen haben, die Schauerleute sollten als Selbst- unternehmer ohne die Stauer die Arbeit aufnehmen. Der Aus\{uß habe abgelehnt, fo lange die Forderungen aller anderen Hafen- arbeiter nicht bewilligt seien. Eine in Altona abgehaltene Ver- sammlung aller Gewerkschaften der Hafenarbeiter, in welcher auch der NReichstags-Abgeordnete von Elm als Redner auftrat, be- {loß wie ,W. T. B.* meldet, dem Senat eine gegen die Aus- weisuna des Agitators Tom Man gerichtete Resolution überreichen zu lassen. Vom heutigen Tage wird ferner aus Hamburg gemeldet Die hundert Arbeiter der Schiffahrtsgesellshaft „Kette“ f\tellten an die Direktion neue Lohnforderungen und wollen bei Nichtbewilligung in den Ausstand treten. 60 Speicherarbeiter der Firma Nathan Philipp u. Co. wurden entlassen, weil fie sich weigerten, Schauermannsdienste zu ver- richten. Auch die Arbeiter der städtischen Wasserleitung und diejenigen der Gas werke haben, wie das „Echo“ meldet, ibren Direktionen Forderungen unterbreitet. Man hat kleine Zu- geständnisse gemacht; die Arbeiter verlangen aber einheitliche Lohn- erböhung, widrigenfalls fie sämmtlih noch heute die Arbeit niederlegen würden. In den drei Gasanstalten befinden sch zur Zeit 65 000, 70 000 und 90 000 cbm Gas, mithin im Ganzen 225 000 cbm, welches Quantum die Stadt nur 3 Tage mit Licht versehen kann.

Aus Bremen wird dem „Wolff’s{hen Bureau“ zum Aus- stande der dortigen Hafenarbeiter berihtet: Die Bremer Lagerhaus-Gesellshaft hat heute den ausftändigen Arbeitern erflärt, daß sie unter der Bedingung einer 14 tägigen Kündi- gungsfrist zur Festseßung neuer Lohnsäße für die ständigen Ar- beiter und Oberarbeiter bereit fei. Wenn die Betheiligten bis morgen Mittag wieder anträten, so solle der Kontrakt- bruch als nicht bestehend betrahtet werden. Den niht \tändigen Arbeitern billigt die Gesellshaft eine gleihmäßige Arbeitszeit, im Winter von 7 Uhr früh bis 7 Uhr Abends, zu. Der Lohnsaß soll für die gewöhnlihen Schuppenarbeiter 3,30 M betragen. Ueber die Lohntarifsäßz-, welche die Lohnkommission entgegengenommen hat, wollten sich die Arbeiter gestern Abend in einer Versammlung \ch{chlüssig machen.

Aus London meldet „W. T. B.*: Außer den Dock- arbeitern, die sich in dieser Woche aus Grimsby bereits nah Hamburg begeben haben, sind noch weitere Arbeiter dazu bereit, sofern sich dies als nothwendig herausstellt Das Mitglied des Parlaments Havelock Wilson if in Grimsby ein- getroffen, um die näheren Umstände zu untersuchen, dur welche die Entlassung der Mannschaft des der Sheffield-Eisenbahn gehörigen Dampfers „Lincoln®" herbeigeführt wurde. Die Entlassung war er- folgt, weil die Arbeiter sich geweigert batten, die Ladung des „Lincoln“ in Hamburg zu löschen. Mehrere Massenversamm- lungen von Dodkarbeitern, die gestern in London abgehalten wurden, nahmen Anträge an, in welhen der Sympathie für die deutschen Berufsgenossen Ausdruck gegeben wird. Eine Anzahl nicht-unionistischer Dotarbeiter, welche sich nach dem Festlande begeben wollten, wurde gestern in den Albert -Docks von unionistishen Dock- ‘tboint aufgehalten und begab sich deshalb nah Tilbury, um auf

iesem Umwege nah dem Festland zu reisen.

Aus Paris wird dem ,„W. T. B.* gemeldet: Die Blätter er- heben Einspruch gegen die Zettelungen der englischen Rheder, welche zu Gunsten der englishen Häfen auf den großen Plägen des Festlandes einen Auéstand hervorriefen. Der sozialistische Abge- o:dnete Jauròs begiebt \sich morgen in Begleitung 20 anderer fozialiftisher Abgeordneter fowie der Glasarbeiter von Albi nach Carmaux, um eine Kundgebung gegen den Besitzer der dortigen Glasfabriken, Resseguier, zu veranstalten. Da große Ruhe- A befürchtet werden, hat die Regierung Vorsihtésmaßregeln getroffen.

Aus Weißenfels berihtet der , Vorwärts", daß die Zwicker der Schuhfabrik von Gebr. Schie, in welcher ers kürzlich cin Arbeiterausstand stattgefunden hat eg Nr. 272 d. Bl.), die Arbeit niedergelegt haben, um eine Lohnerhöhung durchzusetzen.

Verkehrs-Anstalten.

_ Der Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen - hat, der „Schles. Ztg.“ zufolge, unter dem 21. d. M. an die Eisenbahn- Direktionen der Provinz Schlesien folgenden Erlaß gerichtet :

„Seine Majestät der Kaiser und König haben mit lebhafter

Befriedigung davon Kenntniß genommen, daß die preußishen Staats-

bahnen auch in diesem Jahre den großen Anforderungen, die aus

Anlaß der Manöver und besonders der Kaisermanöver in der Provinz

Schlesien an ihre Leistungsfähigkeit gestellt werden mußten, in fo her-

vorragender Weise entsprochen haben. Seine Majestät haben mich

Ullergnädigst beauftragt, allen betheiligten Beamten und Arbeitern

für die geleisteten ausgezeihneten Dienste Allerhöhhstihren Dank zu

erkennen zu geben. Es gereiht mir zur besonderen Genugthuung, diese Allerhöchste Anerkennung der Königlichen Eiseubahn-Direktion mit dem Auftrage mitzutheilen, allen becheiligten Beamten und

Arbeitern hiervon Kenntniß zu geben.“

Theater und Musik.

/ j Königliches Opernhaus.

__ Die gestrige Aufführung von Richard Wagner's „Meister- singern von Nürnberg* ging mit zwei Gästen von statten, die beide demnächst dem Mitgliederverbande des Königlichen Opernhauses an- gehören werden. Der eine war der schon oft gewürdigte Herr Kraus, vom Hof- und National-Theater in Mannheim, als Walther von Stolzing, der zweite Herr Friy Friedrihs als Beckmesser. Herr enr steht hier von seiner Thätigkeit an der ehemaligen Kroll- chen Oper her noch in bestem Andenken; seine weiche, umfang- reihe und ausgiebige Baßstimme und sein vortreffliches Spiel, hauptsächlih in humoristishen Partien, erregten hon damals berehtigtes Aufsehen. Seit jener ge ist sein Ruf in weitere Kreise gedrungen ; namentli g der Sänger der alljährlih zu den Fest- spielen nah Bayreuth berufenen Künstlershaar an und wird sih auch bei den im Dezember hier stattfindenden Aufführungen der Nibelungen- Trilogie mit anderen Bayreuther Gästen betheiligen. Des Künstlers Gestaltung des Beck messer wurde hon in Bayreuth als Vèusterleistung gepriefen; man durfte daher geftern mit Recht darauf gespannt sein, und es darf wohl behauptet werden, daß er die Erwartungen im Ganzen nit erttäushte. Freilih etwas abweichend von dem Bilde, das man sih von dem verbissenen Stadtschreiber macht, war dieser Beckmesser ; seine kleine rundliche Gestalt gab ihm hon äußerlih ein ungewohntes Gepräge ; dementsprehend trat auch in der Auffassung des Herrn Ee chs weniger das Giftige und Gallige des Beckmesser-Charakters ervor, als vielmehr eine Art frömmlerishen Dünkels. Wohlthuend wirkte vor allem, daß der Künstler es vermied, aus der Gestalt ein Zerrbild zu machen. Besonders auffallend war, daß der Gaft, obgleich jonft musikalish fattelfest, bei dem Ständchen im zweiten Akt merk- lich detonierte, und faft schien es so, als habe er damit absihtlih eine Wirkung erzielen wollen; jedenfalls ist dieses Detonieren, auch wenn es bewußt eschab, zu tadeln, da Wagner selbst hier die Harmonien \chon so absonderlih zusammengeseßt

hat, daß sie den Eindruck des Faischsingens hervorrufen

follen. Ueber der übrigen Aufführung waltete gestern ein besonders glücklicher Stern: Herr Bey sang den ev Sachs bei vorzüglicher Disposition, au Fräulein Hiedler war als Evchen in Gesang und Spiel einwandfret; Frau Göße als Magdalena, Herr Stammer als Pogner, Herr Sommer als David trugen das Jhrige zum Gelingen des Ganzen bei. Das gleiche gilt vom Chor und dem vom Kapellmeister Wein- gartner geleiteten Orchester. Die beiden Gäste wurden wiederholt vor den Borhang gerufen. E : Konzerte.

Fräulcin Otti Hey, welhe {on im verflossenen Winter sih hier öffentli hören ließ, gab am Dienstag im Saal Bechsteîn einen Lieder-Abend. Ihre Stimme is} umfangreich und biegsam und unter der Leitung des Professors Hey, ihres Vaters, sorgfältig aus- gebildet. Die ersten Gesänge litten unter unruhigem Flackern und einer Schärfe der Kopstöne, die sih aber im Laufe des Abends verlor. In Eduard Behm's „An die Nachtivall* war der Ton gefestigt und der Vor- trag feelenvoll. Alle Lieder, dencn dramatische Kraft innewohnt, entsprechen mehr der Begabung der Sängerin als die einfachen, \{lichten ; so ge- langen weniger gut Mozart’s „,Veilchen“ und die an sih anspredenden Kinderlieder von Hey, von denen das muntere Tanzlied lebhaften Beifall fand. Herr Cd uard Behm führte jede Klavierbegleitung, besonders aber die s{wungvolle der eigenen Kompositionen an- erkennenéwerth aus. In der Sing-Akademie gab an demselben Tage Fräulein Anna Stephan, die bekannte Oratoriensängerin, einen Lieder-Abend, in welchem sie von Marcello bis zu den Zeitgenossen Kublenkampff, Berger und Weingartner ges{chmackooll gewählte Kompositionen mit ihrer s{ôönen Stimme wirksam zum Vortrag brachte. Die Klavierbegleitung führte Fräulein Marie Stephan aus.

Die wohlbekannte Konzertsängerin Clara Schulz-Lilie aus Genf, die vor kurzem im Koßolt’shen Verein als Solistin mitwirkte, ließ sich am Mittwoh im Konzertsaal, Potsdamerstraße 9, vor cinem zahlrei ershienenen Publifum hören. Ihre gut gesulte, in der Mittellage besonders wohlflingende Mezzofopranstimme kam in Liedern von Brahms, Thuille, Sommer, von Pirani und Anderen treflich zur Geltung. Der Vortrag des Wiegenliedes von Brahms, des stimmungévollen Liedes von Cugenio von Pirant „Leise, Leise" und des Schumann’schen Liedes „Mondnacht* gelang am besten. Der Königliche Kammermusiker Herr Adalbert Gülzow unter- stüßte das Konzert durch die treffliche Ausführung einiger Piòcen von Bach, Spohr und Brahms-Joahim. Beide Vortragende ernteten reihen Beifall.

Vor einem geladenen Zuhörerkreise fand am Donnerttag im

Saal Bechstein ein Konzert der Familie Kufferath aus Brüssel statt, bestehend aus Frau Kufferath (Klavier), Fräulein Jeanne (Harfe) und ihrer Schwester Eliza (Violoncello). Die Harfenistin, welche Piècen von Godefroid, Hasselmans und Oberthür vortrug, ließ gewandte Technik und feine Schattierungs- weise erkennen: Vorzüge, die auch die Violoncellistin in Piòècen ven Foltermann, Haydn und Bach vortrefflih zur Geltung brate. Die Klavierbegleitung ihrer Mutter war gleihfalls zu loben. Reicher Beifall des kleinen und gewählten Publikums folgte auf alle Vorträge, - die sämmtlih eine erfreulihe musikalishe Begabung er- kennen ließen. An demselben Tage ließen fich die Sop:anisten Martha Wollenburg und der Pianist Ludwig Hirschberg im Saale der Sing-Akademie bôren. Die Sängerin, die ihre Studien in Stettin gemacht hat, besißt eine umfangreiche, aber nicht eben starke Stimme. Die Reinheit der Intonation und der Vortrag lassen noch so manches zu wünschen, wie die Wiedergabe einer Arie aus den „Jahreszeiten“ von Haydn und mehrerer Lieder von Schu- mann, Mendelsfohn, W. Taubert u. A. erkenner ließ. Der Pianist, der als Lebrer der Königlichen Hohshule {hon in weiteren Kreisen vortheilhaft bekannt ist, erntete durh die vortrefflihe Ausführung der Sonate in Es-dur, op. 81, von Beethoven und einiger Piòcen von Mendelssohn, Schumann, Moszkowski, Kjerulf und Chopin lebhaften und wohlverdienten Beifall. Ebenfalls am Donnerstag gab im Konzertsaal, Potédamerstraße 9, die Pariser Violinistin Fräulein Sophie Jaffé ihr zweites Konzert, in welhem sie im wesentlihen den günstigen Eindruck befestigte, den sie im erften hervorgerufen hatte. Besonders ift an dieser Geigerin eine fast männ- lihe Kraft des Tones bemerkbar. Die Konzertsängerin Fräulein Eleonore Lorenzen forgte durch einige Liedervorträge für Ab- wehselung im Programm. Herr Max Dettmann führte die Be- gleitung am Klavier angemefsen aus. __ Am gestrigen Freitag gab im Saal Bechstein der als ehemaliger Konzertmeister der Bilse’shen Kapelle noch wohlbekannte Violin- virtuose César Thomson ein Konzert mit historishem Programm. Er begann mit Tartini’s Sonate „Trillo del diavolo“, die er, ab- aesehen von einer etwas steifen Art der Bogenführung, die mitunter einenzu scharfen Ton mit sich führte, klar und verständnißvoll spielte. Diese Piècen, sowie das Adagio von M. Bre und eine Passacaglia über ein Thema von Händel etgener Komposition erregten lebhaften Beifall, der auch einem Konzert-Allegro von Ernst zu theil wurde. Weniger gefiel der Gesang der Frau Lydia Hollm, die zwar über eine fkräitige Sopranstimme verfügt, jedoch in der Vortragsweise der ver- schiedenen Lieder von Brahms, Strauß und Anderen manches zu wünschen ließ. Am besten glückte der Sängerin Mendels- sohn's Frühlingslied „Der Frühling naht mit Brausen*. An dem gleichen Tage gab die jugendliche Pianistin Jessie Shay aus New-York im Saal der Sing-Akademie ein Konzert mit dem von Professor Mannfstaedt geleiteten Philharmonischen Orchester. Mit unfehlbar scheinender Sicherheit in Ueberwindung der größten Schwierigkeiten spielte sie das Konzert in F-moll von A. Henselt, kleinere Piòcen von Raff, Schumann, Schlözer und eine Phantasie-Polonaise von Paderewski. Mit der großen technischen Fertigkeit hielt aber ihre Ausdrucksfäbigkeit und Auffassung leider nicht gleihen Schritt. da die Künstlerin \hroffe, unvermittelte Gegensäße im forts und piano bevorzugt und von einer gewissen Härte des Anschlags nicht freizusprehen is. Das Publikum licß sih durch die große tehnishe Leistung der Pianistin zu lebhaftem Beifall bewegen, der auh dem Philharmonischen Orchester galt, welches mit der Ouvertüre zum „Sommernachtstraum*“ von Mendels- sohn das Konzert eröffnet hatte.

__ Im Königlichen Opernhause findet morgen die 4. Auf- führung von Hector Berlioz? ,Benvenuto Cellini* unter Kapellmeister Weingartner’s Leitung statt. Den Bellini singt Herr Ernst Kraus als Gast, den Fieramoëca Herr Bulß, die Teresa Frau Herzog, den Ascanio Frau Goeye. Am Montag wird Richard Wagner?s „Tannhäuser“ (Pariser Einrichtung) unter Kapellmeister Dr. Mudck's Leitung gegeben.

Im Neuen Königlichen Opern- Theater gelangt morgen zu ermäßigten Preisen Karl Niemann's Lustspiel „Wie die Alten sungen* zur Aufführung.

Im Königlihen Schauspielhause gehen morgen „Der Graf von Castañar“ und das Lustspiel „Ein Königéidyll“ in Scene. cyes Montag wird Gustav Freytag's Lustspiel „Die Journalisten“ gegeben.

Im Deutschen Theater kommen morgen Abend Suder- mann’s „Morituri“ zur Aufführung; am Montag wird „Freiwild“ gegeben, am Dienstag „Hannele's Himmelfahrt* und „Ohne Liebe“, am Donnerstag „Der Kaufmann von Venedig“, am Sonnabend wieder Morituri“. Am Mittwoch findet die Erstaufführung von Gerhart Hauptmann's neuem Märchendrama „Die versunkene Glocke" statt, welches am Gras sowie am nächstfolgenden Sonntag Abend reiederholt wird, - Morgex Nachmittag erscheint Wilbrandt's „Meister von Palmyra“ zum ersten Male in einer Vorstellung zu ermäßigten Preisen, und am nächsten Sonntag Nachmittag wird „Julius Caesar" egen,

eKönig Heinrih* geht am Montag im Berliner Theater zum 150. Male in Scene. Die Premiòre von „Kaiser Heinrich“ findet am Dienstag, die ersten Wiederholungen am Freita hres Abonnements. Vorstellung) und nächstfolgenden Sonntag Aber tatt. An allen übrigen Abenden der nächsten Woche wird „Renaissance“

egeben. Am Sonntag, den 6. Dezember, Nachmittags, findet eine ufführung von Olden's Schauspiel „Die offizielle Frau“ Gat :