1896 / 287 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 03 Dec 1896 18:00:01 GMT) scan diff

_Rickert (fr. Vgg.): Herr von Rardor at sein Mißtra en ang ofen tete er wünscht O Männer mo Lee aa:

er Aeg /: d E wird immer auf die Kronrehte verwiesen. die Wendung über den E el längst rit Schon 1861 trat Schulze-Delißsch für “deutschen Flotte ein. Was Herr von Kardorff über die Handelsbilanz vorbrachte, ist längst widerlegt. Aber Herr von Kardorff erkennt feine Irrthümer nicht; er bringt sie bei der nächsten Gele enheit wieder vor. Die passive Handelsbilanz findet si in allen Fultuellaien, _Die Konservativen klagen über die Handelsverträge, und ein großer Theil __ derselben hat für den österreichischen Handelsvertrag gestimmt. (Zuruf des Abg. von Kardorff: Jch nicht!) Eine Schwalbe mat noch keinen Sommer! Der russishe Vertrag war ledigli cine Folge des öster- _reichishen, und wir können der Regierung nur dankbar sein, daß die Verträge abgeschlossen sind. enn Herr von Kardorff einen __ Desterreiher und einen Rufsen gesprohen hat, die die Handels- „verträge los sein möchten, so bedeutet das garnichts. Herr von Kardorff meint, der Reichskanzler hätte nicht pelproeen, daß das Verbot der Verbindung von politishen Vereinen im Reiche aufgehoben werden solle. Das ift richtig; er hat auch nit versprochen, daß ßen ein reaktionäres Vereinsgeseß nit gemacht werden folle. ihskanzler gab die Zusicherung, daß die Sache bis 1900 ge- regelt sein foll, und ih habe ausdrüdlih gegen Herrn von Stumm und sein Verlangen Widerspruh erhoben, ohne daß die Negierung oder das Haus mir entgegengetreten wäre. Man hört ja allerdings, a im Vereinsreht die polnische Agitation getroffen werden soll. Das wäre wirklich unnüß; ein folches Cel würde höchstens mit wenigen Stimmen angenommen werden. Das öffentliche Interesse erfordert ein möglichst freies Vereinsreht, Ueber das Zuersteuergeseß sind die Interessenten gerade unzufrieden. Der Abg. Paasche wollte das Gesetz anders haben. Er hat aber dafür as alfo trägt er au die Ver- antwortung dafür. Unsere Voraus eBungen sind eingetroffen. Herr von Kardorff will die Viehzuht verstärken, damit die Einfuhr fremden ste reit aufhört. Die Viehzucht ist in hohem Grade vorgeschritten, aber L

n das von anderer Dlle Zet des wird dulze-Delish gestellt.

e reiht niht aus, unsern Bedarf zu decken; wir müssen das Aus- and zu Hilfe nehmen. Ih hoffe, daß die verbündeten Regierungen bei den Verhandlungen mit Rußland zu einem guten Ergebniß kommen. Was hat der Abg. Paasche gestexn mit der Hereinziehung des Ham- burger Ausstandes bezweckt? Es handelt sih um ein trauriges Er- eigniß. Wie kommt Herr Paasche, der sih felbst als niht genügend orientiert bezeihnet hat, dazu, so wenig zurückhaltend zu Bakr und nah einer Seite hin mit Behauptungen aufzutreten, die un- begründet sind? Man kann garniht wissen, wie leiht ein Wort eine {limme Wüi:kung hat. Wie kommt Herr Paasche dazu, die englishen Kapitalisten anzuklagen? Nachhec kommen die Sozial- demokraten und verwenden das gegen die deutshe Bourgeoisie und das deutsche Kapital. Der „Hamburger Korrespondent* erklärt ih dagegen, daß der Ausstand von englischer Seite betrieben sei. (Zuruf des Abg. Dr. Paasche: Sie haben ja meine Rede garniht ver- ftanden! ) Wenn sich nachher herauéstellt, daß Sie etwas Un- richtiges gesagt haben, dann haben wir es nicht verstanden! B Paasche hatte wohl nur das Bedürfniß, von der neulichen ebatte her den egoistishen Engländer etwas anzushwärzen. Herr oasMe hat davon gesprochen, daß durch das Verbot des erminhandels den Spekulanten das Handwerk gelegt sei. Bisher wurden folhe Rederwendungen nur von den Agitatoren des Bundes der Landwirthe angewendet. Er scheint über die thatsächlihen Ver- hältnisse noch nicht klug geworden zu sein, In der „Kreuzzeitung“ hat Graf Kaniß ausgeführt, das Verbot des Terminhandels habe son seine Wirkungen gehabt; der Bund der Landwirthe will aber ein internationales Verbot desselben. Die fremden Staaten würden es eigenthümlih aufnehmen, wenn die Reichsregierung mit einer solchen Anforderung käme. Landwirthe selbst erkennen die Nothwendigkeit des Terminhandels an, weil er die Schwankungen der Preise ab- schwächte, während sie jeßt größer werden als bisher. Von feiner Seite is ein Zweifel darüber gelassen, daß der Marine-Etat zu hoh ift. Auf eine so exorbitante Steigerung des Etats waren wir nicht gefaßt. Wir hoffen, daß die Etatsberathung einen Verlauf nehmen wird, daß Herr E mit seinen Forderungen niht durhdringt. Es herrsht ein Ünbehagen darüber, daß wir nicht wissen, wohin es mit der Marine gehen soll. Früher wußte man für eine Reihe von Jahren voraus, was man wollte. Jetzt ift von einem Plan gar keine Rede mehr, das hat der , Staatssekretär Hollmann selbs anerkannt in der vorigen Etats- berathung. Wie sollen wir uns in diesem Wirrwarr zuret- finden? Die Begründung der neuen Forderungen ist durchaus un- zureihend. Im Bundesrath werden an dem Etat keine Abstriche gemacht. Der Staatssekretär ist aber dem Reichskanzler und dieser dem Reichstage verantwortlih. Er muß also, wenn Dinge verlangt werden, die dem Interesse des Landes widersprehen, Widerspruch erheben. Wir wollen eine dauernde und gleihmäßige Beschäftigung unserer Werften, wir freuen uns über die großen Leistungen der deutshen Flotte. Uns bewegen dieselben Gefühle bezüglih der auf dem „Iltis“ untergegangenen braven Leute. Aber die Entscheidung in einem Kriege liegt immer bei der Landarmee. Wenn wir Hunderte von Millionen für die Marine ausgeben, glaubt der Kriegs-Minister, daß die Steuerkraft ausreiht für die militärischen Zwecke? Nach beiden Seiten die Ausgaben zu vermehren, das geht niht. Herrn von Kardorff möchte ich in Erinnerung bringen, daß aus seiner Fraktion in den 70er Jahren gegen die zu große Ausdehnung der Flotte esprochen wurde, weil die Entscheidung bei der Landarmee liege. ir mußten erwarten, daß nah -den großen Worten der Grafen Kaniß und Mirbach hier eine neue große Aktion entfaltet würde; aber der Antrag Kanitz is zur Zeit zurückgestellt. Jch glaube,. die Hochfluth is überwunden hier und noch mehr im Lande. Das ift aber kein Verdienst der Behörden. Die Beamten verfahren mit einer großartigen Konnivenz gegenüber dem Bunde der Landwirthe. Wenn eine liberale Agitation derartig arbeiten würde, die betreffenden Per- onen würden gesfellschaftlih geähtet werden. Aber die Regierung ommt diesen frondierenden Beamten entgegen und sucht sie zu be- sänftigen. Das muß die Autorität der Regierung vermindern. Die anze. Polizei und alle Machtmittel des Staats werden den gitatoren zur Verfügung gestellt. Die Kreisblätter kritisieren die Handelsvertragspolitik sehr abfällig, Ein Verdienst der Gegner des Bundes der Landwirthe ist es, daß eine Besserung eingetreten ist, End- lih im August hat der Landwirthschafts-Minister eine Denkschrift über die Fürsorge für die Landwirthschaft veröffentlicht, aber auf Herrn von Kardorff hat das keinen Eindruck gemacht ; er spricht E E für die Landwirthschaft! Der Minister hätte nur die vorzügliche Denkschrift etwas mehr verbreiten sollen; sons werden vielleiht die Herren Sozialdemokraten das besorgen. Als der Landwirthschafts-Minister nah Ostpreußen gehen wollte, da schrieb das Organ des Bundes der Landwirthe, daß man dem Minister zeigen müßte, daß die Land- wirthe zu hungern anfangen. Durch die Agitation des Bundes der Landwirthe haben die Konservativen 10 Size im Reichstage verloren. Hat der Minister den Artikel gegen die Regierung gelesen, daß sie dem n Willen entgegen das Verbot des Terminhandels {lecht ausgeführt hat durch die Zusammenseßung des Börsenaus-

uses? ie würde ein sozialdemokratishes Blatt wezen solcher inge angegriffen werden! Glauben Sie, daß man mit dem Antrage Kani, dem Margarinegeseß, der Umsaßsteuer, der Beschränkung der Freizügigkeit und ähnlichen Maßregeln eine gute Politik treiben kann ? Nur durch eine volkethümliche Politik kann eine solche Agitation unterbunden werden; dann wird au der Reichstag eine andere Ge- ftaltung erhalten.

Staatssekretär des Reichs - Schazamts Dr. Graf von Posadowsky-Wehner: |

Ich bedauere, nah den weitgehenden politishen Erörterungen des Herrn Vorredners eine sehr nühterne Mittheilung machen zu müssen. Ich halte mich aber dazu verpflichtet gegenüber einer Anfrage, die gestern der Herr Abg. Dr. Paasche an die verbündeten Regierungen

“gerichtet hat.

ie Nothwendigkeit einer |

Der Herr Abg. Dr. Paasche hat in der gestrigen Reichstags- figung behauptet, im Königreih Sachsen wäre den Besitzern von Kar- toffelbrennereien unter Berufung auf einen Bundesrathsbes{luß zu- gesichert, daß sie durch Zumaischung von Getreide eine Kon- tingentsminderung nicht erleiden würden. Hieran hat der Herr Abg. Dr. Paasche die Anfrage geknüpft, ob ein der- artiger Bundesrathsbeshluß in der That erlassen sei. Hierauf ist zu bemerken, daß ein solher Bundesrathsbeshluß nicht besteht. Es if aber rihtig, daß die sächsischen Steuer- behörden, offenbar in mißverständliher Auffassung des Branntwein- steuergeseßes, derartige Verfügungen erlassen haben, wie sie seitens des Herrn Abg. Dr. Paasche bezeihnet sind. Es sind hieraufhin sofort von mir Schritte gethan worden, um diese Verfügungen rück- gängig zu machen, weil sie in den Bestimmungen des Branntwein- steuergeseßes keine Unterlage finden (sehr rihtig! rechts) und außerdem der Tendenz desselben widersprehen würden, welche dahin geht, die Produktion von Branntwein im Interesse der Hebung der Preise möglichst zu beshränken. ODaraufhin sind jene Verfügungen am 28. November d. J. zurückgenommen worden. (Bravo! rets.)

Staatssekretär des Innern, Staats - Minister Dr. von Boetticher:

Der Herr Vorredner hat im Laufe seiner langen Auseinander- seßung, auf deren Einzelheiten ih nit überall eingehen kann, einen Artikel zur Sprache gebracht, der in einem Organ des Bundes der Landwirthe (Zuruf links) gestanden haben foll, wenn ih nicht irre, und der betitelt ist „Krone und Regierung“ (Zuruf), wenn ich ihn ret verstanden habe. Jh kenne diesen Artikel niht; wenn aber in dem Artikel das enthalten is, was der Herr Abgeordnete vorgebracht hat, so halte ich mich doch verpflihtet und berufen, einige berihtigende Bemerkungen zu diesem Fnhalt zu machen. Es soll in jenem Artikel, wenn ich dem Herrn Vorredner recht gefolgt bin, u. a. gesagt sein, daß die Königlich preußische Regierung die von ihr selb dem Bundeé- rath gemahte Vorlage ih nehme an, daß es sich hier um die Handwerkervorlage handelt (Zuruf links) zu hintertreiben bemüht sei, oder wenigstens, daß, wenn der Vorwurf nicht der Regierung im allgemeinen gemaht wird, daß er einzelnen preußishen Ministern ge- macht wird. Jh habe auch solhe ähnliche Andeutungen in der Presse gelesen und zwar Andeutungen , die sogar sich nicht gescheut haben, meine Person ausdrücklich zu nennen (sehr richtig! links) als diejenige, welche eine Vorlage der Regterung, der anzugehören ih die Ehre habe, zu hintertreiben versucht hätte. Wer mich kennt, weiß, daß ih einer solhen Jlioyalität unfähig sein würde und daß, nahdem mir die Verpflichtung obliegt, eine Vorlage meiner Negierung zu ver- theidigen, ih dieser Verpflihtung au nach meinen Kräften gerecht werde. Ich bin aber auch übrigens bisher mit der Berathung dieser Vorlage in den Ausfhüssen des Bundesraths garnicht befaßt gewesen. (Hört, hört! links.) Der Aus\Mhuß hat nur eine Sitzung gehalten und in [dieser einen Sißung konnte ih niht zugegen sein, weil ih an dem Tage eine Dienstreise zu unternehmen hatte. Schon hieraus ergiebt sich, daß der Vorwurf, den man si erkühnt hat, mir zu machen, ein thatsähli durhaus unberechtigter ist. Weiter, meine Herren, habe ich aus dem Artikel entnommen, daß der Bund der Landwirthe nicht zufrieden ist mit denjenigen Maßregeln, welche die Königlich preußische Regierung und die Neichsverwaltung zu Nuß und Frommen und zur Hebung der landwirthschaftlichen Interessen verfügt haben. Das if mir bekannt gewesen, daß der Bund der Landwirthe in seinen Bestrebungen im Interesse der Landwirthschaft sehr viel weiter geht, als das Maß dessen gezogen ist, was die Re- gierung an Konzessionen geglaubt hat, machen zu können. Aber auch die Bemerkungen, die hämishen Bemerkungen, die an diese nicht volle Berücksichtigung der Wünsche des Bundes der Landwirthe von seiten der Regierung geknüpft sind, muß ih aufs ernsteste zurück- weisen. Der deut|hen Landwirthschaft kann ih aber wenigstens die Beruhigung geben, daß die Regierungen dur solche Bemerkungen sih niht abhalten lassen werden, au ferner auf dem Wege der Förderung der landwirthscaftlihen Interessen fortzuschreiten. (Bravo!)

Staatssekretär des Reichs-Marineamts, Admiral Holl- mann:

Meine Herren! Jh will Sie nit lange belästigen. Der Herr Abg. Rickert hat Befürchtungen hinsichtlih meiner Beziehungen zum Marinekabinet ; er ist besorgt, daß ich durch das Marinekabinet vergewaltigt werde und die Verantwortlichkeit meiner Stellung dem Herrn Reichskanzler gegenüber vergesse. Herr Abz. Nickert! Sie können unbekümmert sein, von all dem ist niht die Rede. Wenn Sie eine Stelle aus einer früheren Nede von mir vorgelesen haben des Inhalts, daß ih den Allerhöchsten Intentionen folge, so fett das voraus, daß das übermittelnde Marinekabinet in seinem Verkehr mit mir niemals über Angelegenheiten sprehen kann und sprechen wird, die den Reichstag beziehungsweise den Etat betreffen. Also wenn ih da von Intentionen gesprochen habe, so haben die mit dem Reichstage gar nichts zu thun.

Abg Dr. Lieber (Zentr.): Ih bedauere, von dem Abg. Schippel über die Stellung des Zentrums bezüglih der Neichs - Finanzreform keine Belehrung entgegennehmen zu können. Herr von Kardorff meinte, daß der Reichstag tief herabgekommen sein müßte, wenn Abstimmungen abhängig gemaht würden von der Rücksicht auf die Echaltung der Mandate. Herr von Kardorff ist mit dieser vorsihtigen Wendung an einem Ordnungsrufe eben noch vorbeigekommen; aber - ich muß diese hypothetische V als ungebührlich zurückweisen. Das

entrum is niht im stande, gegen feine Ueberzeugung zu timmen, lediglih aus Rücksicht auf die Wähler, weil es sich mit feinen Wählern in vollständiger Uebereinstimmung weiß. Der Abg. Rickert hat bezüglih des Vereinsgeseßes vollkommen Recht, daß das Zentrum niemals dergleichen reaktionären Maßregeln zustimmen würde. Wir find für eine reihsgeseßliche Regelung des Vereinsrechts ; und wenn das nit bald zu erreichen ift, werden wir uns begnügen mit dem, was in Preußen geboten wird, ohne auf die reihsgeseßlihe Regelung zu verzihten. Herr Paasche hat von den Aeußerungen meines Freundes Fritzen über Weltpolitik nicht klar gesprochen; hat er sie mißbilligt, so hat er sie fals ver- standen; Frißen hat nur von einer falschen Weltpolitik gesproch-n. Dem Staatssekretär der Marine gebe ih zu, daß seine Worte über die Mannschaft des „Iltis“ durh seine Erklärung vor Mißdeutungen bewahrt sind; sie waren mißverständlih, denn wir können nicht zu- eben, t die von Gott eingeseßte Obrigkeit ebenso heilig ist wie Gott felbst. Aber in Bezug auf die Beurtheilung des Vorfalls selbst gehen wir durhaus nicht einen Millimeter mit den Sozialdemokraten zusammen. Der neue Herr Kolonial-Direktor hat sih zuerst an den Abg. Richter und dann an immer weitere Kreise und zuleßt an den ganzen Reichstag gewendet. Herr Richter bedarf meiner Unterstüßung niht; wenn aber der neue Herr Kolonial-Direktor weiter gewünscht hat, 20 wir des Ausscheidens des Majors von Wissmann anerkennender hätten gedenken müssen, als dies ges{hehen sei, so sage ih, es hieße Wasser in den Rhein tragen, ‘eine Versiche-

F

rung abzugeben, in wie hohem Grade meine politishen Freunde den Herrn Major von Wissmann und seine Verdienste a und zu pes Zeit pa haben, und wie s{merzlich sie es bedauern, daß ie Gesundheit diesem Herrn es unmöglih macht, daß er dem Vater- lande auh ferner seine Dienste in Ost- Afrika widmet; es heißt ebenfo alle parlamentarishen Vorgänge bis in die jüngste Vergangenheit austilgen wollen, wenn man es für nöthig hielte, unsererseits eine An- erkennung für die Fähigkeiten und Leistungen des Herrn Dr. Kayser hier auszusprehen. Bisher war es niht Sitte, derartige An- erkennungen und allgemeine Erörterungen an die erste Lesung des Etats zu knüpfen. Geradezu verwundert hat es mich, daß der neue u Kolonial- Direktor auch {on die Gelegenheit für günstig gehalten at, an den Reichstag den Wunsch zu richten, die Kolonialabtheilung als ein neutrales Terrain zu behandeln. Meint er damit, daß der Reichstag die gesammte innere Politik ledigli vom Parteistand- punkte, niht vom Standpunkte des Wohles des Vaterlandes behandelt, fo weise ih das für meine politishen Freunde mit dem größtmöglichen Nachdruck zurück. Alle inneren und äußeren Angelegenheiten des Vaterlandes werden von jedem Mitgliede des Reichstages glei be- handelt. Mit diesem Vertrauen allein ift eine gedeihlihe Verhandlung unter uns und mit den verbündeten Regierungen mözalih. Jedes Mitglied des Reichstages vertritt die Interessen des Vaterlandes so, wie er und seine Parteifreunde es verstehen. Es ist ein leidi es Schicksal, daß wir in Parteien gespalten sind. Wenn es aber heißen sollte: Die übrigen Dinge mögen nach Parteirüsihten behandelt werden, aber diefes Gebiet allein ist der Mühe werth, nah vater- ländishen Rücksichten behandelt zu werden, so erwidere ich dem Kolonial-Direktor : Die Kolonien sind uns bis heute ih stehe nicht für die Zukunft ein lieb und werth, aber die Angelegenheiten L S und seine inneren Angelegenheiten find uns noch werther.

Abg. Galler (d. Volksp.): JIch meine, daß dem Sitasfo ter Zuckersteuervorlage ein Fiasko der Gewerbeordnungs-Novelle bezüglich des Detailreisens folgen werde. Die Aufbesserung der Finanzverhält- nisse hat bewiesen, daß wir keine neuen Steuern brauchen; aber so gut sind die Finanzen niht, daß wir den hohfliegenden Plänen der Marineverwaltung folgen könnten. Die Aufbesserungen der Bes amtenbefoldungen sind zu billigen, aber für die Offiziere können sie nur dann zugestanden werden, wenn die Mißstände in der Armee beseitigt und eine Aenderung in dem Pensionierungssystem der Offiztere herbeigeführt ist. Dem neuen Kolonial-Direktor wünsche i, daß er sein Amt so verwalten möge, daß es aufhöre die Quelle Tolonialer Skandale zu sein. Redner wendet sich {ließlich gegen die neue Handwerkcrvorlage mit ihrer Zwangsorganisation.

Abg. Zimmermann (Reform P.): Jh glaube, daß das Volk bei der Wahl zwischen einer Wirthschaftsp-litik des Abg. Rickert und des Fürsten Bismarck niht s{chwanken wird. Die Flotte findet nicht überall die Zuneigung, die sie verdient, wohl deshalb, weil sie das judenreine Herzblatt der deutshen Wehrkraft is. Fn Bezug auf die braven Leute, die mit dem „Iltis“ zu Grunde gegangen sind, erinnere ih an das Wort des Fürsten Bismarck, daß alle deutshen Stämme todte Brüder unter den Opfern hatten; das sei ein neues Band für den Zusammenhalt der Stämme. Aber wir können die hohen Forde- rungen für die Marine nicht billigen. Die zweiten Raten müssen be- willigt werden, aber bei Neubewilligungen müssen wir eine eingehende Prüfung eintreten lassen. Für die Marine- Ausgabe treten die Arbeiter im Auslande ein, bei uns nicht, aus ôder Prinzipienreiterei. Eine Weltmachtépolitik wollen wir nur insoweit unterstüßen, als der deutsche Adler s{hirmend seine Fittige . ausbreiten müsse über die Deutschen, wo sie auch wohnen mögen. Die Bauern und der Mittelstand finden“ für ihre Forderungen kein Gehör. Nur die Militärverwaltung hat sch dem Verlangen gefügt, daß sie von den Produzenten direkt kauft. Aber sie wollte keine höheren Preise zahlen, als an die Händler. Ich erinnere an den Straßburger Militär - Lieferantenprozeß, welchen die Presse todt- geschwiegen hat. Wenn für die Handwerkerorganisation wieder ein neuer Entwurf ausgearbeitet wird, wozu dann die Enquêten und Konferenzen? Die Sache wird ad calendas Graecas hinausgeschoben. Die Besserung der Finanzen zeigt allerdings, daß der Reichstag be- rechtigt war, die neuen Steuern zu verwerfen. Aber die große Mehr- belastung dur die Militärvorlage hat sih auch nicht herausgestellt ; die Börfensteuer hat die Ausgaben ziemlich gedeckt. Gegen Anleihen müssen auch wir uns aussprechen. Wenn die Ausgaben durch eine NReichs-Ginkommensteuer niht gedeckt werden können, dann mag man die Einzelstaaten auf andere Weise dazu drängen, die Einkommen- steuer heranzuziehen. Die Erhöhung der Beamtenbesolduazen bedarf einer Prüfung. Wir sind nicht bloß für das Streichen, wir wollen gern mehr Geld bewilligen, z. B. Prämien füc die Herstellung einer allgemein verwendbaren Spiritusleuhtflamme, damit wir uns von dem amerikanishen Petroleum losmachen können. Wie steben denn die Erwägungen über das Petroleummonopol, welhes uns droht ? Die Befürchtungen wegen des neuen Börsengeseßes kann ih nicht theilen; wenn die Börsensteuer eine Verminderung erfahren sollte, müssen wir es verbessern. Die Herren in Berlin berathen schon, wie sle dem Börsengeseß ein Schnipphen schlagen. Jch verlange die Fort- seßung der Konkursstatistik namentli au bezüglih der Religion der Konkursmacher und der Art ihrer Konkursmacherei. Es mag ja einflußreihe Kreise geben, welhe solhe Aufstelungen bintertreiben wollen. In bäuerlichen Kreisen verlangt man eine energische, durch- greifende Politik zu Gunsten der arbeitenden und shafenden Stände in Stadt und Land. Wenn nichts geschieht, dann mögen si die Minister in Acht nehmen. Denn die Hochfluth der Bewegung ist noch nicht vorüber, wenn auch die lauten Kundgebungen zurückgetreten sind. Die+Bewegung is intensiver geworden, und wenn sie keinen Erfolg haben sollte, so wird es an den Mitteln fehlen, um die Aufgaben des Reiches zu erfüllen.

Staaissekretär des Reihs-Shaßamts Dr Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat die Frage angeregt, ob niht im Reichshaushalts. Etat eine Summe ausgesezt werden sollte, um das Problem der Herstellung einer geeigneten Spirituëglühlampe finanziell zu unterstüßen. Es ist ein solher Gedanke seitens der Neichs- Finanzverwaltung bereits seit längerer Zeit erwogen. Wir haben uns zu diesem Zweck mit dem deutshen Spiritusverein in Verbindung geseht, und es ist demselben aus dem Fonds des Herrn Reichskanzlers eine erhebliche Summe zur Verfügung gestellt worden, um den tehnischen Fortschritt in der Verwendung des Spiritus zu gewerblihen Zwedcken zu fördern und namentlich Studien und praktishe Versuche auf diesem Gebiet zu unterstüßen. (Bravo! rets.) Meine Herren, der Spiritusverein hat diese Summe zu einem allgemeinen, im Interesse der Branntwein- industrie ebenfalls sehr wihtigen Zweck bestimmt, aber, soviel ih weiß, niht in Ausficht genommen, aus jener Beihilfe eine Prämie aus- zuseßen, um die Erfindung einer geeigneten Spiritusglühlampe zu fördern. (Hört, hört! links.) Soweit mir bekannt, sind die Gründe dafür die, daß die Fabriken, welche \si{h gewerbsmäßig mit der Her- stellung von Lampen beschäftigen, so -potent sind und selbst ein so großes eigenes Interesse haben, eine praktishe Spiritusglühlampe zu erfinden, daß keine Veranlassung vorliegt, diese Fabriken noch durch Prämien aus Reichsmitteln zu unterstüßen. Der Gedanké also, den der Herr Vorredner angeregt hat, is auch von seiten der Reichs- Finanzverwaltung verfolgt worden; aber es \cheint daß er einem praktishen Bedürfniß niht entspriht, weil die Interessenten selbst ein ausreihendes Interesse daran haben, das gleiche Ziel zu verfolgen und auch felbs genügende Mittel und genügende technishe Kräfte zur Verfügung haben.

Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. von Boetticher:

Im Anschluß an das, was mein Herr Kollege Ihnen vorgetragen hat, kann ih weiter berihten, daß die Erwägungen darüber, wie einer Monopolisierung des Petroleumhandels zu begegnen sein möchte, einen gewissen Abschluß gefunden haben, und daß die Vorbereitungen zu dèn Maßregeln, welche zu ergreifen sein möchten, wenn wiederum plößlich eine künstliche Preissteigerung herbeigeführt wird, getroffen sind. Zur Zeit werden diese Maßregeln niht in Wirksamkeit gesezt werden, weil einmal die gegenwärtige Lage der Preise niht dazu auffordert, sodann aber, weil inländishe Industriezweige dur diese Maßregeln in einer Weise berührt werden, die zu einer gewissen Schonung auf- fordert.

Im übrigen möchte ih mir erlauben, noch einmal auf die Handwerkerfrage zurückzukommen, und zwar um so mehr, als ich aus den Ausführungen des Herrn Vorredners entnommen habe, daß in der That die Besor; niß eine sehr verbreitete ist, es könne eine Vorlage über die Organisation des Handwerks in absehbarer Zeit den Reichs- tag nicht beshäftigen. Jch werde zur Zerstreuung dieser Besorgniß einfa auf den Hergang hinweisen dürfen, wie er sich beim Bundes- rath bis jeyt abge}pielt hat.

Die preußische Regierung hat dem Bundesrath eine Organisations- vorlage gemaht. In den betheiligten Ausschüssen ist diese Vorlage berathen worden, sie ist daselbst rückfichtlich des Prinzips der Zwangs- innungen auf Widerspruch gestoßen, und bei der Abstimmung hat {ih ergeben, daß in den Aushüssen die Mehrheit sh gegen das Zwangs- prinzip der Vorlage erklärt hat. (Hört, hört! und Zuruf links.) Natürlich ohne Preußen! Preußen kann doch nit gegen seine eigene Vorlage stimmen! (Heiterkeit.)“ Ih habe bereits vorhin bemerkt, daß ih an diesem Ergebniß durchaus unbetheiligt bin. Ich habe bisher an der Aus\schußberathung nit theilgenommen und auch nit an der Be- rathung, die sich an die Aus\chußberathung geknüpft hat. Man hat nämlich, nachdem die Abstimmung über das Zwangéprinzip das von mir soeben berichtete Resultat ergeben hatte, weiter beschlossen, an der Hand eines Antrags der württembergishen Regierung, den Theil der Vor- lage, der von den Zwangsinnungen handelt, einer Umarbeitung zu unterziehen. Diese Umarbeitung ist keine solche, daß an den Beschluß die Befürchtung geknüpft werden könnte, daß nun in absehbarer Zeit überhaupt aus der Vorlage nihts wird; im Gegentheil, i glaube in Aussicht stellen zu können, daß das Plenum des Bundesraths sich vielleiht noch vor Weihnahhten, eventuell aber bald nah Weihnachten mit den Vorschlägen, die aus dem Schoß der Ausschüsse hervorgehen werden, zu beschäftigen haben wird. Welches der Ausgang der Plenarberathung sein wird, weiß ih nicht, ich mache jedoch darauf aufmerksam, daß das Stimmen- verhältniß hier ein anderes ist, als in den Ausschüssen, in denen viritim gestimmt wird, während im Plenum des Bundesraths Preußen mit 17 Stimmen betheiligt ift.

Ich kann mir übrigens nicht versagen, am Schluß meiner that- sächlihen Ausfükrungen hinzuzufügen, daß ih die Ueberzeugung habe, wir wären in der Organisationsfrage heute sehr viel weiter, wenn der Reichstag die Güte gehabt hätte, die in der vorigen Session gemachte Vorlage einer gründlichen Durchberathung zu unterziehen und sie an- zunehmen. (Hört! hört! links.) Wenn nun aber der Herr Vorredner die Güte gehabt hat, nah meinen ersten Auseinandersezungen anzu- erkennen, daß ih die Schuld für die Entwickelung dieser Frage nicht trage, fo erkenne ich das dankbar an, und wenn er weiter die Güte haben will, mich auc in seinen Kreisen, wo ih in dieser Beziehung, wie ih glaube, erheblih angeschwärzt werde, gegen einen solchen Vorwurf in Schuß zu nehmen, so werde ih ihm noch dankbarer sein. (Sehr gut! links.)

Abg. Graf zu Limburg-Stirum (d.kons.) : Die Landwirthschafts- kammern haben geseßlich das Recht, an der Feststellung der Preise mitzuwirken. Sie waren deshalb auh berehtigt, ebenso wie die Börse, die von dem Abg. Richter so scharf getadelte Anfrage bei der Militär» verwaltung zu thun. Die Beziehungen der konservativen Partei zu dem Bund der Landwirthe sind nah wie vor dieselben, die meisten Mitglieder der Partei gehören dem Bunde an, weil dessen Zwele und Zrele den Prinzipien unserer Partei nicht widersprehen. Auch den Antrag Kaniß halten wir nah wie vor für den rihtigen Weg, aber von der Negierung is uns gesagt, daß er mit den Handelsverträgen im Widerspruch stehe. Wir sind zwar nicht dieser Ansicht, aber es ist danach überflüssig, im Reichétag wieder mit dem Antrag zu kommen. Die Denkschrift des preußischen Landwirthschafts - Ministers thut in kleinen Maßregeln sehr viel, \teht aber in wesentlichen Divygen auf dem alten Standpunkt, daß die Interessen der Industrie denen der Landwirthschaft vorgeben. Bei der Erneuerung der Handelsverträge dürfen die Getreidezölle keinesfalls vermindert werden. Daß der Abg. Lieber zu ‘einer Finanzreform bereit ift, freut mich schr. Allerdings können manche Parteien dann ihre Macht im Parlament niht mehr so üben wie bisber; aber nur bei richtigen festen Regeln für die finanzielle U zwischen dem Reich und den Einzelstaaten ist eine verständige Sparsamkeit möglich, welche die Parlamente troy allen Abstrichen allein niht üben können. Die Bemerkungen des Kolonial- Direktors von Richthofen habe _ih niht so verstanden, als ob er eine Kritik am Reichstage hätte üben wollen; er hat nur die Beamten der Kolonien und die Schutz- truppe ehren wollen. Jh bemerke dies, um den unangenehmen Eindruck, welchen die Worte des Abg. Lieber machen könnten, abzu- \chwähen. Wir müssen im Interesse der Sache dem neuen Kolonial- Direktor mit dem Wohlwollen entgegenkommen, das ein so tüchtiger, eifriger Beamter verdient.

Abg. Dr. Paasche (nl.): Bezüglih des Hamburger Auéstandes habe ih niht ¿um Unfrieden gehegt, sondern nur mein Bedauecn ausgesprochen darüber, day englishe Agitatoren den Ausstand ge fördert haben. Herrn Rickert beneide ih um die Naivität, daß er meint, englische Kapitalisten \tecken nicht dahinter, weil in den Zeitungen das Gegentheil gestanden hätte. Bezüglih der Börse habe ih nur davon gesprochen, val den Börsenspielern das Handwerk ver- leidet sei. Ein Großmüller hat mir mitgetheilt, daß das, was man seit sech8s Jahren niht mehr erlebt hat, wieder vorkommt, daß die Berliner Getreidehändler mit ihren Anerbietungen in die Provinz kommen; fie wenden sih also von dem Differenzspiel ab. Jn Bezug auf die Weltmachtpolitik habe ih die Auslassungen des Abg, Fritzen in keiner Weise berührt. i é

Nach einer Reihe persönliher Bemerkungen wird um 51/4 Uhr die weitere Debatte bis Dóönnerstag 1 Uhr vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft,

In dem 4. Aae Dest zur Statistik des Deutschen Reichs (Jahrgang 1896) veröffentliht das Kaiserlihe Statistishe Amt die endgültigen Nachweisungen übec die Bergwerke, Sa- linen und Hütten im Deutschen Neich und in Luxemburg für das Jahr 1895. Bei den Haupterzeugnissen der Montan- ulte stellten fich im Vergleich zum Vorjahr Menge und Werth, wie folgt :

Sm T R S R D D A RE R LTEER,

Es betrug

bei den folgenden die Menge der Werth Erzeugnissen : 1895 1894 1895 1894

Tonnen | Tonnen | 1000 4 | 1000 4

I. Bergwerks- erzeugnisse: ' ; Steinkohlen . , . 179 169 276| 76 741 1271 538 895| 509 100 Braunkohlen 24 788 363| 22 064 575 58 011 50 152 Steinsalz 686 940| 734937 3 108 3140 Kainit . E e ae 680174| 726 524 9 609 10 313 Andere Kalisalze . . 841 748| 917 049 11 106 11 969 Eisenerze 12 349 600| 12 392 065 41 076 42 178 Zinkerze E 706 423| 728616 10 577 10 278 Bleierze Ps s 161 614| 162675 12 940 12 104 Kupfererze 633 354| 588 195 15 380 16 240 Silber- und Golderze . 10 845 19 080 1 708 2 519 Schwefelkies 127 036| 134787 976 979 IT. Salze aus wässeriger Lösung. Kochsalz (Chlornatrium) Chlorkalium Glaubersalz Schwefelsaures Kali , Schwefelsaure Thonerde IIT. Hütten- Erzeugnisse. Noheisen aller Art . . darunter: Masseln zur Gießerei Masseln zur Flußeisen- bereitung s Masseln zur Shweiß- eifenbereitung Zink (Blolfzin)) Blei (Blockblei) Kupfer (Blokkupfer) 23276 21870 Kilogramm Kilogramm

Silber (Reinmetall) 391 979 442 822 34 403 38 504 Gold (Neinmetall) . 3 547 3199 9 878 8916

Tonnen | Tonnen Schwefelsäure aller Art 537 928/ 557 903 14 855 16 119 RUPervittto 4 638 4 809 1 366 1 452 IV. Verarbeitetes Roheisen. Gußrwroaaren zweiter Schmelzung . Schweißeisen u.Schweiß- stahl Flußeisen und Flußstahl

922 990 14 253 14 299 149 775 19 685 18 888 71 929 1 627 1 693 23 281 3 220 3 839 26 804 2156 1921

929 396 154 427 71 411 19 452 30 836

236 952 40 565 143 238 49 514

41 637 22 278

231 570 40 147 132 898 94 415

41 813 19 050

5 464 501| 5 380 039 899 797| 840 095 3 373 223| 3160 848 1193 992| 1334560 150286| 143577

111058| 100751 29 777 29 722

176 367

129 415 386 501

185 026

120 901 412 694

1154835| 1121 190

1076 720| 1138 815 3 961 925| 3 641 224

Der Perfonalkredit des ländlihen Grundbesißes im Königreich Sachsen und den Thüringischen Staaten.

Von den vom Verein für Sozialpolitik veranlaßten und ge- sammelten Berichten und Gutachten über den Personalkredit des ländlichen Kleingrundbesißes in Deutschland ist jeßt der zweite Band, „Mittel- und Norddeutschland“ erschienen. (Bezüglich Süddeutsch- lands vergl. Nr. 209 d. Bl.) Nachstehend sollen zunächst einige Mittheilungen über die Verhältnisse im Königreih Sachsen und den Thüringishen Staaten gemaht werden, wobei von vornherein das unmittelbare Studium der Berichte selbst dringend empfohlen fei, da von dem vielseitigen Inhalt hier auch nicht annähernd ein er- \höpfendes Bild gegeben werden kann.

Der Personalkredit des ländlihen Grundbesitzes im Königreich Sachsen ist von dem Oekonomie-NRath von Langsdorff in Dresden bearbeitet worden. Anstalten und Ver- eine, welhe in erster Linie oder doch nebenher dem Bedürfniß der Landwirthschaft nah Personalkredit dienen, sind danah im Königreich Sahsen in folgender Anzahl vorhanden: Batlehnölafsendereinée m U. H 68 O TMUBDETE E M 00 Marleb eaen e m 1 CD88 Genossenschaften mit unbeshr. Nahschufpfliht. . 2 UIEDGCI Ua L a8 Sparkassen . R E E T0

Die Sparkassen kommen für den landwirthshaftlißen Personal- kredit nur wenig in Betraht. Ueberhaupt gegen Pfand und Bürg- schaft hatten die sähsishen Sparkassen 1875 ausgeliehen 7,42 9% der Gesammtaktiven, 1894 nur 1,09%, Die Sorge für den Personal- kredit ist also ganz erbeblih zurückgegangen.

Der Berichterstatter ist der Ansicht, daß troy der in den leßten Jahren eingetretenen erfreulichen Entwickelung der genossenschaftlichen Fürsorge durch die Darlehnskassenvereine die vorhandenen Ein- rihtungen doch niht genügen, um den Personalkredit tes Land- wirths als autreihend organisiert ersheinen zu lassen. Vielfach werde zwar noch in Abrede gestellt, daß ein lebhaftes Be- dürfniß hieraach vorhanden sci, und thatsäckblih habe sich auch an manchen Orten ergeben, daß von getroffenen Einrichtungen ein zu geringer Gebrauh gemaht werde, als daß dieselben lebensfähig sein könnten. Dafür sei aber vielfach der Grund lediglich darin zu suhen, daß es dem Landwirth in ganz besonderem Grade ermöglicht sei, seine Bedarfsgegenstände für den Wirthschaftsbetrieb ohne Bezahlung zu beziehen. So sei es gekommen, O er sich an eUnpünktlichkeit in der Zahlung der Rechnungen“ gewöhnt habe und die „Uebersicht über die laufenden Verpflihtungen* verliere. Mehr und mehr würden bereits Klagen aus der Mitte der Geschäftslcute laut, daß die Ausstände bei den Landwirthen eine bedrohlihe Höhe erreihten, wie z. B. 1895 die unbeglichenen Forderungen der Mit- glieder des Vereins \ächsischer Düngerfirmen an die sächsischen Land- wirthe allein 26 000 009 Æ betragen bâätten.

Diesen zweifellos ungesunden Zuständen treten die Darlehns- kassenvereine, wie sie jeßt Play greifen, schtlich erfolgreih entgegen. Namentlich in der Amtshauptmannschaft Zittau, wo das Ney dieser Vereine am dichtesten sei, habe man bereits gute Erfahrungen be- L genossenschaftliher Aufgaben gemaht und sei „eine feste Organisation des Getreideverkaufs dur Zusammenshluß aller derartigen Darlehnskassenvereine“ in der Ausführung begriffen.

Der Berichterstatter hält diesen Erfolg für ermuthigend genug, um die Bewilligung eines \taatlihen Fonds zur Unterstügung der Sie sasten mit Freuden zu begrüßen, zumal da dies die erste amtlihe Kundgebung im Königreich sei, durh welche die genossen- schaftlihe Organisation des Perfonalkredits als ein wirksames Mittel zur Linderung der landwirthshaftlihen Nothlage anerkannt werde.

Ueber den Personalkredit im Gebiete der Thüringischen Staaten berihtet Oekonomie-Rath Dr. Franz in Weimar. Auch ihm erscheinen die Darlehnskassenvereine als die bei weitem raktisch wirksamsten für die Befriedigung des landwirthschaftlichen Personalkredits, Vorhanden sind

ca. 200 Darlehnskassen Raiffeisen’sher Organisation, 92 Sparkassen, 89 Spar- und Vorschußvereine 2c., System Schulze-

Delibsch.

Au Dr. Franz fans über die Gewöhnung der Landwirthe an übermäßiges Beanspruchen von Kredit bei den Geshäftsleuten. Wenn nah Jahr und Tag ein Händler für noch weitere Stundung Zinsen verlange, oder energisch auf Zahlung dringe, so werde ihm das leicht als große Nüksichtslosigkeit „gegenüber langjährigen Kunden“ auf das Kerbholz geschnitten, und er habe dann den Kunden verloren. Die Landwirthb| aft sei geneigt, „vom Handel zu verlangen, was er nit leisten könne, nämlich reelle Waare zu den billigsten Preisen ohne Rüdsicht auf die nöthige Umsaßgeshwindigkeit des Geldes*, und fie

f LrOLE dränge thn damit „gerade vielfa auf unreelle Bahnen“. Bei dem esunden Sinn der thüringer Bevölkerung übrigens und ihrer neigun gegen Schulden im allgemeinen könne man annehmen, daß der Baarkredit folider Anstalten thatsächlich au nur einem soliden Bedürfniß bei der A entsprehe. Es sei daher sehr zu wünschen, daß die dem ländlihen Bedürfniß angepaßten länd- lichen Darlehnskassen sich weiter einführen da, wo sie noch fehlen: - denn damit werde nit allein ein hon zur Zeit bewußtes Bedürfn befriedigt, sondern dasselbe zum theil erst zum Bewußtsein ebra „Die Kassen erfüllen ihren Zweck*“ so fügt er wörtlich hinzu —, „wenn fie dem Landwirth die laufenden Betriebsmittel gegen niedrigen insfuß auf passende Fristen vorschießen, ihm in besonderen öthen und Unfällen beispringen, den genofssenschaftlichen Bezug an Betriebsmitteln und endlich auch einfacher übersehbare Produktivy- geno entdallen fördern. Wenn man aber in einzelnen Fällen darüber inaus, ja sogar soweit gehen wollte, den Leuten Geld beschaffen zu wollen, um sich mit Aktien an großen Fabrikunternehmungen zu be- theiligen, so ift damit ein gefahrvoller Abweg betreten, vor dem jeder, der es wohl meint, die warnende Stimme erheben muß,“

Literatur.

Das Geseg, _ betreffend das Anerbenrecht bei Renten- und nsiedelungsgütern, vom 8. Juni 1896, unter Benußung der Geseßesmaterialien für das Gebtet des Allgemeinen Landrechts erläutert von J. Pel er, Regierungs-Rath. Berlin, Verlag von Franz Vahlen. E M Das Gese vom 8. Juni d. J. über das Anerbenrecht hat nur Geltung für den immerhin be- \hränkten Kreis der Renten- und Ansiedelungégüter ; gleihwohl kommt thm eine weit darüber hinausgehende Bedeutung zu. Es ift kaum zu bezweifeln, daß es bei der beabsichtigten anderweiten Regelung des gesammten ländlichen Erbrechts vorbildlih sein wird. Dieses Gesetz, dessen Bestimmungen von dem übrigen allgemeinen Intestaterbreht in manchen Punkten erheblih abweichen, genauer kennen zu lernen, wird daher nit nur für die unmittelbar durch das h) betroffenen Gigenthümer sowie die mit seiner Handhabung befaßten Behörden und Beamten eine Nothwendigkeit, sondern au für weite Kreise von Interesse sein. In dem vorliegenden Kommentar i| das gesammte umfangreiße Geseßesmaterial Gesezesbegründung, Kommissionêberihte und Kammerverhandlungen verarbeitet und durh eigene Ausführungen des Verfassers ergänzt; auh die bei der Geseßesberathung hervorgetretenen ver- schiedenen Auffassungen sind erkennbar gemacht, um % ein Bild des vom Geseygeber Gewollten und des von ihm Erreichten zu geben. Wo si bei der Ausführung des Geseßes etwa Zweifel ergeben follten, da wird dieses Buch, das in seinem ersten Theile auch eine er- \chöpfende Darstellung der Satte bun gese und der Grundzüge des Qo enthält, als ein Hilfsmittel zu ihrer Beseitigung will- ommen lein.

Die Verfügung in Strafsachen. (Strafverfolgung und Strafvollstrekung.) Ein praktishes Handbuh für Neferendare und deren Berather, unter Berücksichtigung der gegebenen Literatur und Judikatur sowie unter Anführung zahlreicher eispiele bearbeitet von Krobißsch, Erstem Staatsanwalt beim Landgericht in Saarbrüen. Berlin, Verlag von Franz Vahlen. Preis 7 4 Die Schwierig- keiten einer durchgreifenden Ausbildung der den Justizbehörden zugewiesenen Neferendare sind bekanntli feine geringen. Der Dienst bei der Staatsanwaltschaft ermögliht zwar eine außsgiebigere Heran- ziehung des Referendars zu praktischer Bethätigung ; niht leicht ist es aber, ihm hier in kurzer Zeit einen ausreihenden Ueberblick über das ganze weite Feld staatsanwaltschaftliher Thätigkeit und die Mög- lihkeit der Beschäftigung in allen Zweigen derselben zu ver- schaffen. G ift deshalb sehr verdienstlich, daß ein er- fahrener Praktiker mit dem vorliegenden Werk ein Hanbas iVafen hat, welhes das gesammte geseßlihe und reglementäre Diaterial für den staatsanwaltshaftlihen Dienst systematish zusammen- stellt und unter weitgehender Berücksichtigung von Literatur und Necht- sprehung an Beispielen in seiner praktischen Anwendung vor Augen führt. Die Durchführung ist eine. so vortrefflihe, eingehende und übersihtliche, daß auch der vielbeshäftigte Praktiker sih daraus wird berathen können.

Die Versfstaatlichung des Medizinalwesens in Preußen. Von Professor Dr. med. Labs in Marburg. Verlag der Elwert’shen Buchhandlung daselbst. Preis 2,50 4 Die Ver- staatlihung des gesammten Medizinalwesens ift die weitgehendste Forderung, welhe von Aerzten, die eine Besserung ihrer Lage erstreben, aufgestellt worden ist. Professor Lahs theilt die Ansicht, daß diese Frage nit von den Aerzten, sondern nur von Staat und Volk ent- schieden werden könne. Aussfiht auf Verwirklihung werde die Ver- staatlihung des Medizinalwesens nur dann haben, wenn nachgewiesen werde, daß im Gefolge der beutigen Zustände in der praktischen Medizin das Volk unnöthig zahlreiche Opfer an Leben, Gefundheit und Glück bringen müsse, von denen es dur staatliche Organisation, und dur diese allein, sicher befreit würde. Mit Rücksiht auf die zahlreichen Gegner einer Verstaatlihung in den ärztlichen Kreisen selbst hat der Ver- fasser zunächst geprüft, ob niht von der Thätigkeit der Aerztevereine, der Aerztekammern und des Aerztekammer-Auss{usses Organisationen, denen die staatliche Behörde eine wohlwollende Unterstüßung zu theil werden [äßt eine Besserung zu erhoffen wäre. Das Resultat dieser Untersuchungen hat er imersten Theil der vorlicgendenSchrift veröffentlicht. Er gelangt darin zur Verneinung jener Frage; er vermag eine nennens- werthe Leistung der Aerztevereine und der Aerztekammern zur Beseitigung der Mängel in der Medizin und zur Hebung der Lage des ärztlichen Standes nicht zu erkennen und glaubt auch nicht, daß die Zukunft hierin eine Aenderung bringen werde, solange nicht mit der Aus- scheidung der Aerzte aus dem „Gewerbestand“ der Interessenkampf des freien ärztlihen Gewerbes aufhôöre. Im zweiten Theil legt er fodann einen umfassenden, nah seiner Ansicht brauchbaren Plan einer staatlihen Organisation des Medizinalwesens vor.

Der Arbeiterfreund. Zeitschrift für die Arbeiterfrage, Organ des Zentralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, herausgegeben von Professor Dr. Viktor Böhmert in Dresden. 34. Jahrgang, drittes Vierteljahrsheft. Verlag von Leonhard Simion, Berlin. An der Spigze dieses Vierteljahrshefts ist die Festrede zum Abdruck gelangt, welche bei der Einweihung der deutschen Lehrer- bildungsanstalt für Knabenhandarbeit zu reiptig am 28. September d. J. der Direktor Dr. Göge über die „innere Berechtigung der Jdee von der Erziehung der Jugend zur Arbeit“ gehalten hat. Aus dem übrigen Inhalte verdient eine Abhandlung von dem Herausgeber der Zeit- schrift über die Beziehungen der Arbeiterfrage zur Handwerker- frage und vor allem Leevorgebóbden zu werden ein Aufsaß von Dr. Paul Scheven über das „Stuttgarter Ostheim“, be« kanntlich eine Schöpfung, die auf dem Gebiete der gemein-- nüßzigen Bauthätigkeit auch vom Auslande als menergln er Typus anerkannt worden ist. An Materialien für praktishe Versu ur Lösung der Arbeiterfrage, die cine ständige Rubrik der Zeitschrift bilden, enthält das vorliegende Heft eingeöende Mittheilungen über die Entstehung, Organisation und Entwickelung der bisher in deutschen Städten errichteten sozialen Auskunftsstellen und Volksbureaux von K Schmidt , sezner die Saßungen der Auskunftsstelle der

eutshen Gesell|haft für ethishe Kultur, Statut und Ge- s{häftêordnung der Auskunftsstele für Arbeiterangelegenheiten zu Mae a, M., das Reglement für den Rechtsshut des Gewerk- vereins (Hirsh-Duncker) der deutschen Maschinenbau- und Metall- arbeiter, die Saßungen des Rehtss{ußzvereins für Frauen in Dresden, den Vertrag über die Anwartschaft auf ein Haus des Stuttgarter Ostheims, den Kaufvertrag über ein Anwesen und den Mieth für eine Wohnung im Stuttgarter Ostheim. Daran s{ließen ih noch ein interessanter Auffay von Johannes Corvey: , den Pa R Beobachtungsstationen*", in welhem die Lebens- altung der landwirths{haftlihen und der Jndustrie-Arbeiter einiger sähsishen Ortschaften in ihren wesentlißen Beziehungen erörtert wird, und eine wirth\{haftlich. soziale Umschau, sowie über Versammlungen wirthshaftliher und gemeinnüßiger Vereine an.