1896 / 289 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 05 Dec 1896 18:00:01 GMT) scan diff

von Stempeln zulässig. Die Herren werden mir aber zugestehen, daß es eine ganz andere Frage ift, zu entscheiden, ob eine bestimmte Waare ‘Unter eine bestimmte Position eines bestimmten Titels des Zoll- tarifs fällt, oder ob für ein bestimmtes Rehtsgeschäft ein Stempel zu entrichten ist. Die leßtere Frage iff überwiegend juristischer Natur, die erstere Frage ist auch in sehr erheblihem Umfange j praktischer und technisher Natur. Würde man über die Frage, ob ein Zoll zu entrichten is, den Rechtsweg zulassen , so würde bei den entscheidenden Gerichten die Schwerkraft der Entscheidung in das Gutachten der Sachverständigen fallen, da den richterlichen Beamten die praktischen Kenntnisse in diesen Fragen felbstverständlich abgehen. Der Richter müßte \sich überwiegend auf das Gutachten der Sachverständigen verlassen. Dieser Weg scheint nit ganz un- bedenklich; außerdem, glaube ih, ist die Hoffnung trügerish, daß auf diesem Wege eine Entscheidung schneller herbeigeführt, oder au die Entscheidung korrekter ausfallen würde, wie unter den jeßigen Ver- __hâltnissen, wo die Landesdirektivbehörden und \chließlich endgültig der sachverständige Bundesrath entscheidet. Bedenken liegen in gleihem Maße vor gegen die Einrichtung eines Verwaltungs8gerichtshofes. Ferner ist der Antrag eingebraht: zur Entscheidung von Zoll- ftreitigkeiten ein Reichs-Tarifsamt einzurichten, welhes endgültig oder unter Vorbehalt der Nevision im Bundesrath entscheiden soll. Meine Herren, ih kann mir perfönlich und praktis zwar die Einrichtung eines folchen Reichs - Tarifsamts wohl vorstellen. Ich kann mir denken, daß man ein solches Reichs. Tarifsamt aus berufsmäßigen Reichsbeamten bildet unter Theilnahme von Vertretern der Bundesregierungen, etwa wie im Reichs-Versicherungsamt, und unter Zuziehung von Sachverständigen, etwa wie im Reichs- Patentamt, und daß in diesem Reichs-Tarifsamt über Zollstreitig- Feiten zwar endgültig entshieden würde, daß man aber vielleicht eine Art Reichéfiskal zur Wahrung der NReichsinteressen bestellte oder den Bundesregierungen das Recht einräumte, gegen derartige Ent- scheidungen, soweit sie prinzipteller Natur sind, die Entscheidung des Bundesraths anzurufen. Aber allen diesen Wünschen steht eben die positive Bestimmung der Reichsverfassung gegenüber, daß den Einzelstaaten die Verwaltung und Erhebung der Zölle verfassungsrechtlich garantiert ist; wenn Sie aber über Zollstreitigkeiten im Rehhtswege entscheiden lassen oder einen Verwaltungsgerihtshof oder ein Reichs- Tarifsamt errichten wollen, fo tritt immer die eine Konsequenz ein, daß die obersten Landes-Finanzbehörden mit ihren Entscheidungen aus- geschaltet werden und an ihre Stelle diese oberste Reichsbehörde tritt.

Der Herr Abg. Hammacher hat gleichzeitig zwei Forderungen erhoben: erstens die Einrichtung einer obersten Neihsbehörde, welche im Rechtsweg über streitige Zollsahhen entscheiden soll, und zweitens die Einrichtung einer obersten Auskunftsbehörde, welche autoritativ, sozusagen prophylaktisch, erklären \oll, unter welche Zollposition die einzelne Waare zu subsumieren wäre. Beides, meine Herren, nebeneinander ift unter keinen Umständen möglich; denn wenn die oberste Auskunftsbehörde autoritativ zu entsheiden hat, kann man nit einer obersten Reihsbehörde noch einmal eine Recht sentsheidung Übertragen, und wenn von Rechts wegen endgültig entschieden wird, kann man nicht noch um Entscheidung sich an eine oberste Auskunfts- behörde wenden.

Ob eine soldhe Auskunftsstelle praktisch wäre, ersheint do au sehr zweifelhaft. Eine identishe Entscheidung kann nur da ergehen, wo der Gegenstand, der importiert werden soll, auch unzweifelhaft in seinen Eigenschaften identisch ist. Daraus entstehen aber die meisten Zollstreitigkeiten, daß derjenige, der die Auskunft ertheilt, eine andere Waare präsumiert, als sie thatsählih eingeführt wird, ganz so wie hier bei den Iron Bricks. Da war die Sache so: es handelte sih bei der Anfrage, wie der Zollbeamte annahm, um gewöhnlihe Klinker zum Straßenpflaster ; thatsählich wurden aber Fliesen, Trottoirplatten, die gefrittet waren und nit zollfrei find, eingeführt. Wenn also die oberste Zollbehörde, z. B. hier in Berlin, auf Anfrage eine Entscheidung ertheilt, ist es nicht ausgeschlossen, daß die lokale Behörde, welche den Zoll feftseßt, eine andere Entscheidung trifft, weil die Waare thatsächlich eine andere ist, als die hier in Berlin beschriebene oder vorgelegte.

Jh glaube aber auch, die Hoffnungen, die man an die Ein- rihtung einer solchen obersten Instanz knüpft, werden sich nit alle erfüllen. Erstens bemüht fich der Bundesrath, seine Entscheidungen möglichst {nell zu treffen; wenn diese Entscheidung fch bisweilen längere Zeit hinzieht, liegt es in der Regel daran, daß, uni den Wünschen der Petenten zu genügen, einzelne Regulative der Ab- änderung bedürfen. Ferner glaube ich auch, daß der Gesichtspunkt, der so häufig bei dieser Frage hervortritt, es würde bei dem jeßigen Verfahren zu fiskalisch entschieden, sich keineswegs dur eine oberste Reichsbehörde beseitigen läßt; im Gegentheil, eine rihterlihe Zeritralbehörde darf nur nach dem Buchstaben des Gesetzes ents- heiden, während der Bundesrath ich bin Vorsitzender des Zoll- ausschusses und kann das aus eigener Erfahrung bekunden ganz außerordentlich weit gehende Billigkeitsrücksihten in zahlreihen Fällen walten läßt.

Ih bin nicht autorisiert, irgend welche bindende Erklärungen zu den Wünschen, die hier laut geworden sind, für die verbündeten Regie- rungen abzugeben. Jch kann nur sagen, daß bis jeßt keine Hoffnung vorliegt, daß die verbündeten Regierungen von ihrem verfassungs- mäßigen Recht der Erhebung und Verwaltung der Zölle irgend etwas ‘preiszugeben geneigt wären, und eine solhe Einschränkung ihrer Rechte würde darin liegen, wenn die Entscheidungen der obersten Landes- Finanzbehörden dur die Entscheidung irgend einer Reichsbehörde erseßt würden.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Das Unerträg!iche ist, daß die gol behörde zunächst etne Auskunft giebt und nah längerer Zeit ihre Ent- scheidung widerruft und Zollbeträge nahfordert, auf die der Importeur einer Waare garnicht mehr gerehnet hat. Es muß eine Auskunftstelle und eine entscheidende Behörde eingerihtet werden, ob im Reiche oder in den Einzelstaaten, ift gleihgültig. Dem Kaufmann wird es immer unbegreiflich ‘fein, daß er den Schaden tragen soll, den die, Zoll- behörde angerichtet hat.

Staatssekretär des Reichs-Schaßamts Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! In der ganzen Welt gilt der Grundsay: gnorantia juris nocet, Wer alfo auf Grund des Zolltarifs eine Waare einführt, hat sich zunächst den Zolltarif anzusehen, und ih selbst zu informieren. Es kommen indeß sehr viele Fälle vor, daß Kaufleute, statt selbs den Zolltarif sich anzusehen, ftatt sh dur das Studium des Zolltarifs eine selbständige Kenntniß der Sache zu verschaffen, sich an einen untergeordneten Zollbeamten wenden,

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der eine falshe Auskunft giebt; wenn dann nachher im Wege des

Rechnungswesens die Zollregister revidiert werden und festgestellt wird, daß ein zu niedriger Zoll erhoben is, dann mu ß der Fehlbetrag nacherhoben werden. Darin kann ih dem H:rrn Abg. Bachem voll- ständig Recht geben, daß es für einen solhen Kaufmann, der, ohne den Zoll in dem Preis seiner Waare zu kalkulieren, dieselbe verkauft hat, einen nicht unzrhebliGßen Schaden bedeuten kann, den zu wenig oder gar nicht erhobenen Zoll nachzuzahlen, und ih kann dem Herrn Abgeordneten ferner versichern, daß der Bundesrath in zahlreihen solchen Fällen, id möchte sagen, in jeder Sizung des Plenums in denjenigen Fällen, wo er sih wirklich überzeugt, daß ‘ein entschuldbarer Irrthum des Betheiligten vorliegt, Biklligkeitsgründe walten läßt uud den Zoll niederschlägt. Aber ich glaube auch der Herr Abg. Hammacher hat das {on ganz zutreffend ausgeführt auf den prinzipiellen Standpunkt können sih die verbündeten Regierungen nie ftellen, daß deshalb, weil eine falsche Auskunft von einem fals informierten untergeordneten Zoll- beamten gegeben worden ist, deshalb in jedem Fall das Reich den Schaden hiervon zu tragen hätte. Meine Herren, es wird noch auf den Uebelstand hingewiesen , daß die Entscheidungen der verschiedenen Instanzen variieren. Es kommt auch der Fall vor, daß die Zollbehörde im ganz legitimen Verfahren annimmt, eine Waare hat einen niedrigeren Zoll oder gar keinen Zoll zu entrihten, und daß dann in einer höheren Fnstanz bei der Negisterrevision entschieden wird: es ist ein höherer Zoll oder überhaupt ein Zoll zu entrihten. Auch das hat für den ein- zelnen Kaufmann, der den Zoll auf die Waare nicht kalkuliert hat, ganz denselben Nachtheil, als wenn ein {lecht informierter Zoll- beamter persönlich eine falsche Auskunft ertheilt hat. Aber ih bitte doch gütigst zu denken an das Zivilprozeßverfahren. Kommt es nicht alle Tage vor, daß eine Instanz Entscheidungen trifft, die zweite ändert sie ab, und in der Revisionsinstanz wird die Sache wieder anders entscieden? Da haben die Parteien {ließlich aus der Verschiedenheit der Entscheidungen denselben Nachtheil wie in der Zollverwaltung. Ich glaube, es ist einmal von cinem preußischen Justiz-Minister der scherzhafte Ausspruch gethan : die Entscheidungen erster Instanz wären nur dazu da, um in den weiteren Instanzen abgeändert zu werden. Aehnlich liegen die Verhältnisse in manhen Fällen bei der Zollver- waltung. So einfa, wie die Herren denken, liegen die Fragen nicht immer. Und wenn wir nicht ungeheuere Verluste unter Umständen er- leiden wollen, müssen wir da, wo irrthümlih ein Zoll gar nicht oder zu niedrig erhoben ist, nahträzlih den Zoll einziehen.

Nun möchte ih dem Herrn Dr. Bahem noch eins erwtdern. Er fagte, es ist ganz egal, ob im Reich eine solche Auskunftsstelle ist oder eine Auskunfts\telle in jedem Einzelstaate: Meine Herren, wenn es nur Auskunsftsstellen in den Einzelstaaten wären, dann wäre die Forderung, die die Herren stellen, fachlich niht berehtigt; denn da ist \ch{lielich die oberste Auskunftsstele die Landes- direktivbehörde. Aber darin liegen vielfah die Beshwerden der kaufmännischen Kreise, und wie ih zugestehen muß, nicht immer ganz unberehtigt, daß z. B. in Hamburg die Waare fo, in Preußen anders verzollt wird, daß in den verschiedenen Bundesstaaten darüber verschiedene Ansichten bestehen, ob dieselbe Waare überhaupt zu ver- zollen ist und wie hoh, und daß in der leßten Instanz der Bundes- rath nur dann entscheiden kann, wenn entweder die Interessenten {ih bei dem Bundesrath beschweren, die {sich geschädigt glauben, oder wenn der Reichsbevollmächtigte darauf hinweist, daß in einem BunßZesftaat nicht entsprehend den Vorschriften verfahren wird, und beantragt, daß der Bundesrath eine Entscheidung trifft. Dann ist der Bundesrath zwar pro futuro in der Lage, zu entscheiden und eine Einheitlichkeit in der Behandlung der streitigen Frage herbeizuführen, er kann aber nicht bereits ergangene Entscheidungen aufheben. Aber, wie gesagt, selbft wenn man annehmen wollte, daß bis zu einem gewissen Grade aus dieser Vielgestzltigkeit der entsheidenden Zollbehörden Uebelstände hervorgehen, fo bin ih doch nit in der Lage, eine entgegenkommende Erklärung abzugeben, weil nah den Verhandlungen, die früher be- reits in dieser Frage geschwebt haben, ih mich niht der Hoffnung hingeben kann, daß die Einzelftaaten geneigt wären, von ihren ver- fafsungsmäßigen Rechten irgend etwas preiszugeben.

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Jch glaube nicht, daß dur die Einrichtung, die verlangt wird, eine erhebliche Schädigung des Reichs herbeigeführt werden würde. Etne Zentralinstanz kann aber nicht gut

eshaffen werden. Zu den Finanz-Ministerien der Einzelstaaten habe

i das Vertrauen, daß sie LOSE Entscheidungen treffen. Handel und Gewerbe verlangen nur eine Sicherung dagegen, daß niht nac- träglih ein Zoll erhoben wird.

Abg. Dr. Bachem: Ueber die Verschiedenartigkeit der Ent- scheidungen in den Einzelstaaten is niemals Beschwerde erhoben worden, sondern nur über die nahträglihen Forderungen eines Zolls ; wenn die Entscheidung in Preußen dem Ober-Verwaltungsgeriht über- wiesen würde, brauhte man doch nur einige Beamte der Zoll- verwaltung in daéselbe zu übernehmen. Jedenfalls muß au für die Zollverwaltung der ide nlaß Play greifen, daß sie niht felbst in eigener Sache entscheidet, sondern einem höheren Urtheil unter-

stellt wird. Abg. Dr. Hammacher: Wir wollen nur an die Stelle des

Bundesraths eine andere Zentralinstanz seßen, die unabhängig ist und mehr Vertrauen genießt, als der Bundesrath, der zugleih der Ver- treter der Reichs-Finanzverwaltung ist.

Staatssekretär des Reichs - Schaßamts Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Ich möchte zunähst dem Herrn Abg. Bachem bemerken, daß gerade die Fälle recht zahlreich find, daß in einzelnen Bundesstaaten dieselben Tarifvorschriften und Zollpositionen verschieden gehandhabt werden; ja wir haben festgestellt, daß eine Zeit lang Waaren vor- zugsweise an der Zollstell? eines bestimmten Bundesstaats eingegangen sind, weil man sie dort niedriger tarifierte und glaubte gesetlih tarifieren zu müssen, wie dies in anderen Bundes- staaten der Fall war. Würde man den Ausführungen des Herrn Abg. Bachem folgen, daß die Auskunft eines einzelnen Zollbeamten zunähst maßgebend sein \oll, dann dürfte in keinem Fall eine Nückforderung von Zöllen auf Grund von Negister- revisionen stattfinden. Jch bitte aber, sich einmal zu vergegenwärtigen, wohin das führen würde. Jch bitte, vergessen Sie nicht, daß bei den Zollerhebungen es manchmal sich um sehr bedeutende Summen handelt und daß unmöglich die Einzelstaaten und das Reich deshalb solhe Vermögensforderungen preisgeben können, weil ein einzelner Zollbeamter eine falsche, irrthümlihe, auf mangelhafter Information beruhende Auskunft ertheilt hat.

Herr Dr. Hammacher is zurüdckgekommen auf die staatsrechtlihe Frage. Herr Abg. Dr. Hammacher, wenn die \taatsrehtliße Frage fo einfa läze, so, glaube ih, wäre nah der Auffassung des Neichs-

. anderen,

Schayamts vielleiht bereits eine einheitliße Behörde da, die mit

gewisser Autorität endgültig Zollentsheidungen träfe. Aber darüber kann kein Zweifel sein, daß der Wortlaut der Verfassung dem ent- schieden widerspriht; denn die Verwaltung und Erhebung der Zölle steht unzweifelhaft nach der Reichsverfassung den einzelnen Bundesstaaten zu. (Sehr richtig !) Remedur kann nur getroffen werden gegen falsche Anwendung der Zollgesete auf Grund des Art. 7 der Reichsverfassung, welcher heißt:

j Der Bundesrath beschließt über Mängel, welche bei der Aus: führung der Reichsgeseße oder der vorstehend erwähnten Vorschriften oder Einrichtungen hervortreten.

Der Bundesrath kowmt mithin in die Lage, über die Entscheidung

der einzelnen oberen Landes-Finanzbehörden zu beschließen entweder,

wenn der Reichebevollmächtigte Entscheidungen der obersten Neichs

Finanzbehörden beanstandet und auf eine Entscheidung des Bundes-

raths provoziert, oder, wenn seitens der Interessenten gegen die

Entscheidung der obersten Finanzbehörden Beschwerde erhoben

wird. Es kann aber der Bundesrath nicht pro praoeterito

eine bereits seitens einer obersten Landes. Finanzbehörde ergangene

Entscheidung aufheben, sondern nur Grundsätze feststellen, nah denen

in Zukunft der Zolltarif zu handhaben ist. Würde aber, wie der

Herr Abg. Dr. Hammacher wünscht, eine oberste Neichsbehörde

über die Organifation dieser Behörde will ich im einzelnen nicht

sprechen thatsählich errichtet, die endgültig, sei es im RNechtswege, sei es im Verwaltungsrehtswege über Zollstreitigkeiten entscheidet, dann würde also an Stelle des Bundesraths, der über Mängel in der Ausführung der Zollgeseze in der Gesammtheit sämmt- liher im Bundesrath vertretenen Regierungen zu ent- scheiden hat, eine bureaukratisch zusam mengeseßte oberste Reihsbehörde entscheiden, die die bisherigen Funktionen des Bundesraths in diesen Fragen auêss{ließt, wenn auh vielleicht einzelne Bundesstaaten, ähnlich wie beim Neichs- Versiche- rung8amt, bei gewissen Entscheidungen dieser obersten Spruchbehörde durch ihre Bevollmähtigten mit vertreten wären. Das wäre ganz unzweifelhaft eine Abänderung der Bestimmungen der Reichs- verfassung, und die Bundetstaaten haben sich bisher nit bereit finden lassen, einem solchen Wunsche des hohen Hauses Rechnung zu tragen, weil sie niht geneigt sind, etwas von den Rechten, die ihnen die

Reichsverfassung verliehen hat, aufzugeben.

In einzelnen Fällen erkenne ih ganz offen an, daß Uebelstände vorliegen; es ist z. B. ein Uebelstand, wenn zeitweise in einem Bundesftaate Waaren anders verzollt werden wie in einem obgleich das auch bei verschiedenen Zollstellen des- selben Landes vorkommt; es is ein Uebelsiand, wenn die Zoll- entsheidungen variieren und infolge dessen einzelne Per- fonen verpflihtet sind, nachträzlich erhebliche Nachzahlungen zu leisten Wenn solche Uebelstände s\ich beseitigen lassen, kann ih den Herren versichern, daß seitens der Reichs- Finanzverwaltung, soweit sie überhaupt Einfluß auf die Zollgebahrung der Einzelstaaten hat, alles Mögliche bereits gesehen ist. Ich bitte aber die Herren, do) eins niht zu vergessen: unsere Zolleinnahmen betragen 400 Millionen; bei dieser ungeheuren Masse der Verzollung ist diese kleine Anzahl von Zollbeshwerden hier zur Kenntniß des Reichêtages gekommen, und diese kleine Anzahl stammt do nicht aus diesem Jahre, sondern es sind Sachen, die Jahre alt sind. Wenn Sie dem gegenüber vergleihen, welche Nachtheile in der Rechtspflege dur verschiedene Erkenntnisse der Instanzen auf dem Gebiete des Kriminal-, des Zivilrehts entstehen, so muß ih sagen, daß diese paar Zollbeshwerdên gegenüber der ungeheuren Masse von Zollfällen und Zolleinnahmen, überhaupt doch federleiht wiegen.

Abg. Dr. von Cuny (nl.) hält es für nothwendig, eine Art Ver- waltungsgerihtshof für diese Frage zu shaffen, und widerspriht der Meinung, als ob es si hierbei nicht um einen Rechts-, sondern um einen Billigkeitsanspruch handele. LVerschiedenartige Entscheidungen der Behörden desselben Bundeëstaats und der Behörden verschiedener Bundesstaaten hätten mehrfah zu Beschwerden geführt, und wenn es nicht anders gehe, müsse {ließlich die Verfassung geändert werden.

Abg. Freiherr von Stumm hält es für bedenklich, bei diefer prafktishen Frage sich auf \taatsretliche Spißfindigkeiten einzulassen. Der Bundesrath habe das Recht, das Zolltarifgesez aus- zulegen. Die Einsetzung einer obersten Verwaltung sei das Gegen- theil von dem, was Handel und Gewerbe verlangten. Die Zoll- behörden müßten fo instruiert werden, daß sie den richtigen Zoll er- höben; aber wenn das geschehen fei, sollte keine Nachforderung von Zoll stattfinden.

Damit \chließt die Diskussion. mission wird einstimmig angenommen.

Im Anschluß hieran werden noch einige andere Peti- tionen, welhe die Nückerstattung von Zollbeträgen betreffen, erledigt, und zroar die Petitionen der Gebrüder Uhde in Harburg wegen Rückerstattung von Zoll auf Seesalz, des Holzhändlers Fischer zu Posen wegen Rückerstattung von o für eingeführtes Holz, des Kaufmanns Bischof zu Husum wegen Nachzahlung von Zoll für Wandbekleidungsplatten, durh Uebergang zur Tagesordnung; die Petitionen von Kauf- leuten in Papenburg wegen Rückerstattung von Zoll ‘auf Pófkelfleish, der Firma Oppenheimer u. Co. in Hamburg wegen Nückerstattung von Getreidezoll, und des Essigfabrikanten Cohn in Berent um Nüerstattung der Verbrauchsabgabe für Branntwein werden dem Reichskanzler zur Berücksichtigung überwi-sen.

Die Petition des Vereins der Freundinnen junger Mädchen in Heidelberg, wegen Regelung des Kellnerinnen- Me wird dem Reichskanzler zur Berücksichtigung über- wiesen.

Die Petition des Verbandes der Thiershußvereine wegen Revision des Vogelschußgeseßes wird dem Reichskanzler als Material überwiesen ; dass:lbe geschieht mit den Petitionen des Rheinischen Bauernvereins wegen Einführung eines Zolls auf Milch und auf Torfstreu.

Bezüglich der Petitionen verschiedener Vereine 1) wegen Unterdrückung der unsittlihen Jnserate, 2) wegen Unterdrückung des Zuhälterwesens und der öffent- lihen Häuser, 3) wegen Beseitigung der gewerbs- mäßigen Prostitution, beantragt die Kommission zu 1 die Ueberweisung an den RNeichskazler zur Berücksichtigung, im übrigen die Ueberweisung als Material.

Abg. Dr. Höffel (Ry ) wendet si gegen das Bestehen öffentlicher Häuser in einzelnen Bundesstaaten. In der Kommission sei erklärt worden, daß noch kein Beschluß darüber gefaßt worden sei, ob die vom

NReichstage seiner Zeit enn gelassene lox Heinze wieder einzu- bringen oder fallen zu lassen sei.

Abg. Spahn (Zentr.) spriht sein Bedauern darüber aus, daß bet dieser überaus wichtigen Petition die Regierung nit vertreten sei, um die in der Kommission nicht mitgetheilte Auskunft zu geben.

Abg. Schall (d.kons.) wünscht ebenfalls dringend die Wieder-

Der Antrag der Kom-

orlegung der lex Heinze, wonach die Vereine zur Hebung der Sitt hfeit ebenfalls dringend verlangten. s

Abg. Dr. Bachem bittet, die Petition von der Tagesordnung ab- zuseßen und für die demnächst vorzunehmende Verhandlung ausdrück- lih einen Vertreter des Reichs-Justizamts einzuladen.

Lp U eDe (n[.) bedauert, dak die so oft vertagten Petitionen noch wieder zurückgestellt werden sollten; mindestens sollte man die erste Petition wegen der unzüchhtigen Inserate und Schriften er- ledigen. Denn es werde auf diesem Gebiet mit einer großen Schamlosigkeit vorgegangen, fo daß si zu der Heidelberger Petition Männer aller Parteien zusammengefunden hätten.

Die Berathung wird hier abgebrochen, um später fort- geseht zu werden.

Die Petition des Deutschen Vereins für inter- nationale Friedenspropaga nda wird dem Reichskanzler zur Kenntnißnahme, die des bayerishen Brauerbundes, be- treffend die Uebergang8abgabe für Bier nach Elsaß- Lothringen, zur Berücksichtigung überwiesen.

Die Petitionen verschiedener landwirthschaftlichen Genossen- schaften und des Geschäftsausshusses des Berliner Aerztever- bandes, betreffend den Erlaß cines Gesetzes über die Be-. kämpfung gemeingefährliher Krankheiten, sollen dem Reichskanzler als Material überwiesen werden.

Der Antrag wird angenommen.

Das Haus kehrt darauf zu der Berathung der Petitionen zur Bekämpfung der Unsittlichkeit zurü.

Abg. Freiberr von G ültlingen (Np.) weist darauf hin, daß die Prostitution von Polizeiwegen gewissermaßen erlaubt sei, daß es troßdem aber ftrafbar fei, an Proftituierte Wohnungen zu vermiethen. Diesem Zwiespalt müsse durch die Geseßgebung entgegengetreten werden.

Staatssekretär des Neichs-Justizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! JIch bedaure sehr, durch andere dringende Ge- schäfte vorhin verhindert gewesen zu sein, zu der Zeit, als diese Petitionen zur Berathung standen, alsbald dem Hause die gewünschte Auskunft über die Lage der Sache geben zu können; ich bin aber jeßt gerne bereit, dasjenige, was ih aus dem Bereiche der Verwaltung des Reichs-Justizwesens zur Aufklärung sagen kann, Ihnen mitzutheilen.

Meine Herren, Sie erinnern sich wohl alle, daß der bekannte Gesetzentwurf hervorgegangen ift aus Erwägungen und Erfahrungen, die die preußische Negterung hier in Berlin gesammelt hatte aus Anlaß eines {weren Mordprozesses, der tiefe und erschreckende Ein- blie eröffnete in die Verwilderung, die durch das sogenannte Zu- hälterthum in weiten Kreisen Plaß gegriffen hatte. Der Gesetzentwurf ist somit hervorgegangen aus praktishen Erfahrungen und Beobachtungen, welche der Reichs-Justizverwaltung an und für sich fern liegen, welche wesentlißh dem Gebiete der inneren Verwaltung angehören. Die weitere Verfolgung der Sache hier in den Neichsinstanzen vor Bundes- rath und Neichstag fiel dem Reichs-Justizamt deshalb anheim, weil es sih großentheils handelte um Abänderung und Ergänzung der ein- s{lagenden Strafgeseßbestimmungen. Nun hat der dem Reichstage seiner Zeit vorgelegte Entwurf in der von diesem zur Vorberathung bestimmten Kommission manche Beanstandung und Abänderung er- fahren, ist auch im Reichstage zur definitiven Erledigung nicht gelangt. Denn bevor der Bericht Ihrer Kommission zur Be- rchung im Hause gelangen konnte, endete die Legislaturperiode. Die Reichsverwaltung hat sich alébald, no&dem die Sache diesen Ausgang genommen hatte, in Verbindung geseßt mit der preußischen Regierung, deren Jnitiative der Gesetzentwurf seinen Ursprung ver- dankte. Sie wurde von der preußischen Regierung dahin verständigt, daß auf seiten Preußens nicht die Absicht bestehe, die gesetzgeberische Verfolgung der Materie aufzugeben, daß man \sich im Gegentheil vor- behalte, auf die Sache zurückzukommen ; aber einmal erst dann, wenn die ganze Lage der Geschäfte im Bundesrath und Reichstag eine aber- malige Diékussion thunlich erscheinen lassen werde, zweitens auch erft dann, nachdem die preußische Negierung die anderweiten Vorschläge, die in der Kommission des Reichstages eine Mehrheit gefunden hatten, auf ihre praktishe Brauchbarkeit geprüft haben werde.

Die legten Sessionen, die jeßt hinter uns liegen, sind, das werden Sie alle zugeben, so mit anderen großen, dringenden Geschäften be- lastet gewesen, daß es wohl nicht angezeigt erscheinen konnte, diese Sessionen noch mit neuen s{wierigen Aufgaben zu bepacken. Ih nehme an, daß, wenn die preußische Regierung bis jeßt mit neuen Vorschlägen gezögert hat, ein Theil ihrer Erwägungen darauf zurückzuführen ist, wie die Geschäftslage hier im Hause bisher ge- legen hat und zur Zeit noch liegt. Ih glaube aber au annehmen zu dürfen, daß die Erörterungen im Schoße der preußishen Ver- walt«zng darüber, was man aus den damaligen Kommissionsbeshlüssen acceptieren wolle und wie weit man etwa auf die früheren Vorschläge der verbündeten Regierungen zurückkommen wolle, noch nit abge- {lossen sind.

Einen erweiterten Rahmen haben diese Erörterungen dadur gewonnen, daß inzwischen aus weiteren Kreisen Petitionen an den Neihs- tag sowohl wie namentlich an den Bundesrath und an die preußische Regierung gelangt sind, deren Darlegungen niht außer Betracht ge- lassen werden konnten.

Ich bin unter diesen Umständen nicht in der Lage, Ihnen etwas Anderes mitzutheilen, als daß die Sache im Schoße der preußischen Regierung noch der Prüfung unterliegt. Wie bald auf Grund eines neuen Jnitiativantrages Preußens der Bundesrath abermals in der Lage sein wird, sich mit der Sache zu befassen, darüber vermag ih mich noh nihcht auszusprehen. Darüber kann ih Sie aber durhaus berubigen, daß es nicht in der Absicht liegt, die Sache sich todt liegen zu lassen, daß vielmehr der ernstlihe Wille besteht, zu gelegener Zeit die Materie, die nah unveränderter Ansicht der hohen Regierungen der geseßlihen Regelung bedarf, wieder hier zur Berathung zu bringen.

Abg. Spahn kündigt an, daß seine Partci in den nächsten Tagen einen selbständigen Antrag auf Grund der seinerzeit in der

Kommission angenommenen Beschlüsse über das Umsturzgeseß ein-

at 1 Dr. Li (Zentr.) spricht si aleihfalls für die dringend s. Dr. Li ngens8 (Zentr.) spr aleichfalls für die dringende

Nothwendigkeit aus, auf diesem Gebiete Wandel zu schaffen.

Abg. Scha ll (dkonf.) erklärt dies gleihfalls für eine der aller- dringendsten Aufgaben, namentlich angesichts der sittlichen Zustände in den großen Städten ; man t\irfe tamit niht so lange warten, bis wieder ein so empörender Fall vorkäme, wie der Fall Heinze.

Abg. Bebel (Soz.): Dem Antrage der Kommission werden wir zustimmen ; auf den agegen Antrag des Zentrums einzu- eben, habe ih jcht feine Veranlassung. Wir haben dem damaligen ntrag in der Umsturzkommission niht zustimmen können. Wir werden bei der späteren Berathung nicht bloß die Unsittlichkeit der Städte, sondern au die auf dem platten Lande beleuhten, wofür uns die Kollegén des Herrn Schall reihes Material geliefert haben.

Der Antra Schluß na (Petitionen.)

der Kommission wird angenommen. 5 Uhr. Nächste Sißung Sonnabend 1 Uhr.

Statistik und Volkswirthschaft.

Die endgültigen Ergebnisse der leßten Volkszählung s in Bayern.

Nach der Volkszählung vom 2. Dezember 1895, deren Ergebnisse nunmehr endgültig festgestellt sind, hatte das Königreih Bayern an dem genannten Tage 5 818 544 Einwohner, wovon 2 846 687 dem männlichen, 2971 857 dem weiblihen Geschlecht angehören. Gegen- über der Zählung vom 1. Dezember 1890, bei der 5 594 982 Ein- wohner ermiftelt wurden, bedeutet die neue Gesammtzahl eine Zu- nahme um 223 562 Seelen oder rund 40% (genau 3,998). Die Berufszählung vom 14. Juni 1895 hatte 5 779 176 Einwohner ergeben, um 39368 weniger als die Dezember- zählung. Auf die einzelnen Regierungsbezirke vertheilt sich die ortsanwesende Bevölkerung mit folgenden Zahlen (die in Klammern beigeseßten Ziffern bezeichnen die Einwohnerzahl vom Jahre 1890): 1) Oberbayern 1 186 950 (1 103 160), 2) Niederbayern 673 523 (664 798), 3) Pfalz 765 991 (728 339), 4) Oberpfalz 546 834 (537 954), 5) Oberfranken 586 061 (573 320), 6) Mittelfranken 737 181 (700 606), 7) Unterfranken 632 588 (618 489), 8) Schwaben 689 416 (668 316). Weitaus am bedeutendsten ift die Zunahme in Oberbayern und nächstdem in Mittelfranken und der Pfalz, erheblich kleiner in den übrigen Regierungsbezirken und am geringsten (1,3 9/6) in Nieder- bayern. Immerhin weist dieser Kreis (entgegen der Annahme eines Rückgangs nah den summarischen Ergebnissen ter vorläufigen Zählung) eine Mehrung der Bevölkerung auf, die fogar etwas stärker ist, als der von 1885 bis 1890 beobachtete, auf 0,6 vom Hundert berechnete Zuwachs Niederbayerns. Auf die größeren Städte entfallen für 1895 (1890) folgende Einwohnerzahlen: München 407 307 (350 594), Nürnberg 162 386 (142 590), Augsburg 81 896 (75 629), Würzburg 68747 (61 039), Fürth 46 726 (5 206), MNegensburg 41 471 (37934), Kaiserslautern 40 828 (37 047), Ludwigshafen a. Rh. 39799 (33 216), Bamberg 38 940 (35 815), Bayreuth 27693 (24 556), Hof 27556 (24455), Pirmasens 24548 (21 041), Erlangen 20892 (17 559), Ingol- stadt 20656 (17646), Landshut 20553 (18 862), Amberg 20 200 (19 126), Speyer 19 044 (17 587), Passau 17 516 (16 633), Kewpten 17 353 (15 760), Neustadt a. H. 15 994 (15 016), Ansbach 15 883 (14 258), Aschaffenburg 15 831 (13 630), Straubing 15 595 (13 856), Frankenth.„[ 14 445 (13 008), Landau i. Pf. 13 617 (11136), Schweinfurt 13 514 (12 472), St. Ingbert 12 278 (10 847), Rosen- heim 12196 (10090. Ihnen reiht fich mit zufällig genau 12 000 (11 204) Seelen als 30. Stadt dieser Reihenfolge Zweibrücken und sodann als näcstgrößte Gemeinde Lechhausen mit 11 093 (10 365) Einwohnern an. Dann folgen 25 Gemeinden mit 5- bis 10000 Seelen und 18 Gemeinden mit 4- bis 5000 Seelen.

Literatur.

ff, Von einem deutschen Fürstenhofe. Geschihtliche Erinnerungen aus Alt-Mecklenburg von L. von Hirschfeld. Herausgegeben von feiner Wittwe. Wismar, Hinstorfff, 1896. Zwei Bände. In diesen beiden Bänden sind fünf gediegene, lehrreihe Studien zur Geschichte Mecklenburgs vereinigt. Sie betreffen sämmt- lich die Regierungêzeit des Herzogs Friedri Franz? I. (1785 bis 1836) und behandeln mehrere Epijoden aus den Beziehungen Melenburg- Schwerins zu Schweden, Rußland, Frankreich und den deutschen Großstaaten. Die erste s{ildert die Verlobung der mecklen- burgischen Prinzessin Luise Charlotte mit dem jugendlihen König Gustav IV. von Schweden. Die Verlobung währte nur kurze Zeit; auf Betreiben der Zarin Katharina hob sie der unruhige, excentrische König wieder auf, um sih um eine russishe Prinzessin zu bewerben: ein Projekt, das ebenfalls niht zum Ziele führte. Der Verfasser legt nun dar, welche Aufregung der Bruch des Eheversprechens an beiden Höfen verursahte und wie der Herzog Genugthuung für die Beleidigung seiner Tochter zu erlangen suchte. Der zweite Aufsatz schildert die Brautwerbung des Erbprinzen Friedrich Ludwig am Hofe des Kaisers Paul von Rußland, die mit der Verlobung und Vermählung mit der zweiten Tochter des Zaren, Helene, endigte. Die Erzählung ist sehr detailliert und bringt wie der dritte Aufsaß, Auszüge aus dem Tage- buche einer Hofdame der Erbgroßherzogin, mancherlei kulturhistorisch wichtige Mittheilungen und werthvolle Beiträge zur Charakteristik der handelnden Personen, namentlich des Zarenpaars und des Erbprinzen. Wenn diese Arbeiten vorwiegend Interna der mecklenburgischen

amiliengeshihte enthielten, fo führt uns die folgende, betitelt „Ein

taatsmann aus der alten Schule“ mitten in die diplomatischen Ver- widcklungen der Napoleonischen Zeit. Wir erhalten hier eine Biographie des Fretherrn von Plessen, der vor 1806 als Gesandter Mecklenburgs am Negensburger Reichstage weilte, dort den Todeskampf des alten Reiches miterlebte und dann nach Schwerin in das Ministerium berufen wurde. In dieser Stellung blieb er bis zum Ende der Napoleonishen Herrschaft; mit dem Anbruch der Befreiungskriege ging er in den diplomatischen Dienst zurück und vertrat utiädit seine Heimath im Hauptquartiere der Verbüudeten, wo er die kriege- rishen Leistungen Mecklenburgs im Verein mit dem Freiherrn vom Stein festzustellen hatte. An dem Wiener Kongresse, der Mecklen- burg zum Großherzogthum erhob, nahm Plessen ebenfalls theil, inébesondere an den Berathungen über die deutsche Bundes- verfassung, und zwar unterstüßte er da die unitarischen Be- sirebungen Preußens, freilih häufig ohne Erfolg. Charakteristish für eine Thâtigkeit is der Umstand, daß Heinri von Treitschke, der die Éleinstaatiihen Diplomaten im allgemeinen recht bart beurtheilt, für Plessen Worte der Anerkennung hat. Dieselben Gesinnungen bethä- tigte er auh später als Gesandter am Bundestage in Frankfurt und bemühte sich hier wieder im Verein mit Preußen um die Herstellung einer brauchbaren E, Im Jahre 1832 als Minister an den Hof nah Schwerin berufen, trat er noch einmal diplomatish hervor, als \sich König Ludwig Philipp von Frankreich unter preußischer Vermittelung um die A einer mecklenburgischen Prinzessin für seinen Sohn bewarb. er Großherzog und Plessen waren ursprünglih einer Verbindung mit dem durch die Revolution emporgekommenen „Bürgerkönig“ abhold, Pre mußten fie jedoch dem Wunsche des Königs von Preußen, Schwieger- vaters des damaligen Großherzogs, nachgeben, und Plefsen, s]seit langen Jahren der Vertraute der großherzoglichen Familie, hatte den Ehevertrag zu entwerfen, Er starb indessen, bevor diese Angelegenheit abgeschlossen war (1838), Die leßte Studie berichtet über eine Reise des Erbgroßherzogs Friedrich Ludwig nah Paris im Jahre 1807, um von Napoleon verschiedene Erleichterungen Fur Mecklenburg in Bezug auf Lieferungen und Unterhalt der dort tebenden französishen Truppen zu erhalten. Die Briefe des Erb-

prinzen aus Paris enthalten einige lesenöwerthe Unterhaltungen mit Napoleon, bringen aber für die allgemeine Geschichte jener Tage

nichts Neues von Belang. i

ff. Aus Deutscblands großen Tagen. Erlebnisse eines 24 ers im deutsch - französishen Kriege. ine Subelgabe von Dr. Hermann Jahn. 2. Band. Braunschweig, Limbach, 1896. In diesen Blättern erzählt ein Vize-Feldwebel der Reserve und späterer Second-Lieutenant seine Erlebnisse während der zweiten Hälfte des Krieges. Nachrichten und Urtheile über die großen Operationen darf man bei ihm natürlih nicht suchen; er {hildert aber anschaulich seine eigene Betheiligung an mehreren Gefechten, die Leiden und Freuden des Subaltern-Oifiziers und der Mannschaften, die Härten des Winter- feldzugs, die Aufnahme in den Quartieren, die je nah Vermögen und Gesi nung der Einwohner recht verschieden ausfiel. Von den Schlachten, an denen er theilnabm, sind besonders Beaune la Nolande, sowie die Kämpfe um Orléans und Le Mans zu nennen, Der Verfasser hat ein offenes Auge für seine Uno und theilt manche interessante Beobachtung über Land und Leute mit.

BarbaraBlomberg. HistorisherRoman vonGeorgEbers. Zwei Bände. Stuttgart, ae Verlags-Anstalt. Pr. geh. 10 4—Ein interessantes Stück deutsher Vergangenheit führt Georg Ebers mit diesem seinem neuen Roman herauf. In einer Weise, welche die geschihtlihen Persönlichkeiten und die historisch verbürgten Ereignisse mit den Gestalten einer frei \{chafenden Phantasie ungemein wirkungs- voll vereinigt, behandelt der Dichter jene Wirren und Kämpfe, die bald nach dem Tode Martin Lather?s die deutschen Lande in zwei Parteien s\palteten. Die Handlung entwickelt sh zunächst in der freien Reichs\tadt Regensburg, die Kaiser Karl V, zu seiner Residenz ausersehen hatte, als er in {weren Sorgen erwog, wie der Zwiespalt zu schlichten sei. Sein Geist ist umdüstert, auch wird der mächtige Her1sher, der sih rühmen konnte, daß in seinem Reiche die Sonne nit untergehe, ar von der Gicht LOELE Indessen erblüht dem Vielgeplagten no ein sonniges Glück in der Liebe eines jungen, {önen und ret begabten Mädchens, der Tochter cines verarmten, doc ritterbürtigen Hauses. Nur zu kurze Zeit währt das Jdyll, denn der aru nie Verrscher beginnt an der Aufrichtigkeit des Mädchens zu zweifeln, und, von Ehrgeiz und Eifersucht getrieben, giebt Barbara felbst ihm Grund zum gerechten Zürnen. Wohl erkennt der Kaiser den Knaben, dem sie das Leben schenkt, als feinen Sohn an, aber unter der Bedingung, daß die Mutter \sich von dem Kinde trennt und e Existenz vor der Welt vorläufig geheim gehalten wird. Damit ist das Leben8glück Barbara's zerstöct. Wohl reiht sie später, gerührt durch das treue Werben und dem Wunsche des alten Vaters entsprehend, einem anderen Manne die Hand und schenkt ihm Kinder, aber ihr Herz weilt bei dem ersten, ihr so grausam entrissenen Sohne. Dieser reift inzwischen zu hohen Dingen heran. In seinem Testament hat Kaiser Karl V., der, ein müder, gebrochener Mann, im Kloster San Juste gestorben ist, den kleinen Johannes als feinen Sohn anerkannt, und König Philipp 11. von Spanien erweist sich zunä dem Halbbruder, der nun Don Juan d’Austria genannt wird, gnädig. Juan steigt zu bohen Ehren und wird {hon in jungen Jahren ein ruhmgekrönter Feldherr ; aber in Philipp erwacht die Cifersuht wider den tüch- tigeren Bruder, dessen Ehrgeiz er verwundet, und den er namentlih dadur kränkt, daß er ihn niht als Mitglied der Königsfamilie gelten läßt. So findet Barbara, als fie eadlih nah vielen Jahren den Sohn wiedersehen darf, nicht einen Glüdcklihen, der sih heiter im Glanze des Ruhms fonnt, sondern einen verbitterten Mann, und sie erkennt, daß das Opfer vergebens war, das sie brate, indem sie um eines glänzenden Looses für den Sohn willen auf das Mutterglück verzihtete. So [klingt der handlungsreiße Roman in der Lehre aus : Nicht in Nuhm und Ehre, in äußerer Pracht, sondern im Besiß innerer Güter ruht das wahre Glück. Wie der Dichter das Liebesidyll des Kaisers und der s{chôönen NRegensburgerin mit großer Zartheit behandelt, \o sucht er auch gegenüber dem politishen und religiösen Zwiespalt der geschilderten Epochen beiden Parteien gerecht zu werden, indem er die Handelnden in ihrem Streben und Irren als Kinder ihrer Zeit darstellt, die aus deren Anschauung beraus beurtheilt werden wollen. Einen befonderen Reiz erhält der Roman durch die große Reihe historisher Persönlichkeiten, die mit sicheren Strichen lebens8wahr gezeihnet sind, und ein hoher Vorzug ist ferner die fesselnde Darstellung des höfishen und bürgerlichen Lebens. Nach alledem stellt sich das Werk den früheren Kultur- gemälden des Dichters ebenbürtig an die Seite.

Von Spamer?’s Großem Hand- Atlas liegen nunmehr Lieferung 22 bis 32 und damit der Schluß des Werkes vor. Unter den in diesen Lieferungen enthaltenen vortrefflichen Karten fällt zumal die Karte der deutshen Kolonien auf, die auf Grund der neuesten amtlichen Quellen bearbeit-t ift, sowie die in zwölf Farben aus- geführte Darstellung der Pflanzendecke der Erde. Besondere Hervor- hebung verdient wieder der von Professor Hettner in Leipzig verfaßte Text mit seinen zahlreichen Detailkarten (im Ganzen find es über 600), der mit dieser Jlluftration ein ganz neuartiges und prak- tisches Hilfsmittel geographisch?zr Belehrung darbietet. Der Ver- fasser versteht es, in wenigen Worten ein klares Bild von Land und Leuten zu entwerfen; anshauliher als alle Beschreibungen aber sprehen zu dem Leser die kleinen Karten, die in den Text auf-

enommen find: Riesengebirge und Sudeten, Berner Oberland und S ketengabin, Gotthard und Simplonpaß, der Kilimandscharo, der Bosporus und die Dardanellen, die sächsischen und oberschlesischen Kohlenlager, die Pflanzendecke Nord-Amerikas, die Erzeugnisse Indiens, die deutshen Kolonien in Brasilien und Chile 2c. werden in aus- gezeihneten klaren Stihen vor Augen geführt; dazu kommen dann noch zahlreihe Darstellungen der Religions- und Sprachgebiete, der Volksdichtigkeit, der Territorialentwickelung einzelner Staaten, sowie eine große Anzahl von Städteplänen: von Konstantinopel, Jerusalem Damaskus ebensowohl wie von Breslau und Danzig. Den Beschluß des Werkes bildet ein vollständiges Generalregister, das für den Ge- brau von ganz besonderem Nutzen sein wird. Außer den \chon er- wähnten ift als nicht minder anerkennenswerther Vorzug des Werkes der billige Preis (16 4) zu bezeichnen, der die Anschaffung auch. dem minder Bemittelten ermöglicht.

Goethe?’s Leben und Werke von G. H. Lewes. Auto- rifierte Ueberseßzung von Dr. Julius Frese. 17. Auflage, Var aeA von Ludwig Geiger. 8°, 44 Bogen. Verlag von Carl Krabbe in Stuttgart. Pr. geh. 5 #, geb. 6 46 Diese altberühmte, aus englisher Feder hervorgegangene Goethe-Biographie wird auch jeßt noch, nachdem Manches darin dur neuere Forshungen Berichtigung erfahren mußte, als Beweis der liebevollen Bewunderung des Aus- landes für unseren größten Dichter ihren Werth behalten und verdient in jeder deutshen Hausbibliothek einen Play neben Goethe's Werken selbst zur Einführung in die Lektüre derselben. Abgesehen von dem inneren Gehalt, macht auch die ae Ausf\tattung das Buch zu einem vortrefflichen Geschenkwerk für Jung uad Alt.

ODramaturgie des Schauspiels. I. Band: Lefsing, Goethe, Schiller, Kleist. Sechste, durhgeschene und erweiterte Auflage. Von Heinrich Bulthaupt. Oldenburg, Schulze'sche Hofbuchhandlung (A. Schwary). Preis geh. 5 4 Das große, drei Bände umfassende dramaturgishe Werk Bulthaupt’s, dessen erster Theil nunmehr bereits in sechster Auflage vorliegt, hat sowohl in engeren Fachkreisen wie bei alen Theaterfreunden niht ohne Grund eine fo be:ifällige Aufnahme gefunden. Dér Verfasser entwickelt im vorliegenden Bande an den Dramen Lessing'’a, Goethe's, Schiller's und Kleist’'s in klarer, interessanter Darlegung, worin neben dem poetishen der dramatishe Werth dieser Unver s Dichtungen besteht, und regt den Leser zu wvertiefstem Nachdenken über die oft gelchauen und altvertrauten Meisterwerke unseres klassishen Theaters besonders dadurh an, daß er manche ver- alteten Theatertraditionen frisch aus dem ege räumt und neue Gesichtspunkte angiebt. Er hat daher mit diesem Buche allen Freunden und Verehrern der Bühnenkunst unsere deutschen Klassiker zuerst in sorgfältiger Beleuhtung der rein dramatishen Eigenschaften ihrer Merke gezeigt, die sie bisher fast nur in Monographien und rasch vergessenen Journalartikeln gefunden hatten. Der zweite Band des Werkes ift allein dem größten Dramatiker aller Völker und Zeiten, Shakespeare, gewidmet, während der dritte die Schauspiele Grill- parzer's, Hebbel’s, Ludwigs, Gußkow's und Laube's umfaßt.

Im Verlage der Schulze’schen Hof-Buchhandlung (A. Schwarß)

i s Buch des bekannten rift\stellers in Oldenburg erschien ein neue betittlt : Spa

istorifers Ludwig Salomon, u E N -StaTien. Der Verfasser entrollt auf diesen

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Blättern ein reizvolles, farbenprähtiges Gemälde des füdl Blätter unserer Zeit, Aus dem „ewigen Rom“, welchem der erste Abschnitt des Buches gewidmet ift, führt er uns an die Gestade des herrlihen Golfs von Hajä und weiter dur das blühende Land, über dem ein ewig blauer Himmel wölbt, nah Neapel. Wir erklimmen den Vesuv und steigen sodann hinab in die märchenhafte Todtenstadt Pompeji, halten Rast auf dem meerumfkränzten Felseneiland Capri und beschließen nahdem wic noch das lieblihe Amalfi und Sorrent genossen, auf Sicilien, in dem alten Palermo unsere Wanderung. Die beredten, von warmer Begeisterung durhglühten Schilderungen der u ediide lihen Naturschönheiten Italiens gewinnen dur geistvolle geschichtliche