1916 / 262 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 06 Nov 1916 18:00:01 GMT) scan diff

arbe bon Gamp - Massaunen (deutsche Frariin)e Ich 21M uffassung des Grafen Sdmwerin, daß der Krieg die Land- wirlsckaft vor ganz neue Aufgaben gestellt hat. Schon bei Beginn des Kri mtúßten wir epnh wida ganzen Pferdebestand abgeben, und die Aushebungen, die in den östlichen S erfolgten, sind viel großer gewesen als in den Städten. Es wurde bei uns glei der ‘ganze Landsturnr ausgehoben. Soldte Vorkommnisse lösen nicht gleich das volle Berständnas für die neuen Aufgaben aus. Dazu kamen unverständliche Maßncchmen der Behörden. Es wurde verhindert, daß die vertriebenen Eu nab der Heimat zurückfkehrten und ihre Felder bestellten. Man fann wirkli fagen, daß Städter und Land- leute fidy so schroff gegenüberstehen, wie es der Staatssekretär soeben geschildert Hat. Die Verhandlungen des Ausfctusses haben gezeigt, daß die Auffassungen si genähert haben. Verschiedene Anträge wurden gemeinsam angenommen. Der Herr von den Sozialdemo- raten wird finden, daß seine Ration nit so schr von der meinigen äbweidt. Zweifellos muß die menschlice Ernährung der tierischen voïgehen. Der Umweg der Ernährung über dew Tierkörper ist im Kriege unwirts{aftlih. Wollen Sie die Milchwirtschaft nicht auf- geen, so müssen Sie auc die Viehwirtsckaft aufre{t erbalten. Es ist nickt richtig, den Bedarf für nit normale Verhältnisse zu de- redmen bei dev Nationierung des Hafers im Heere. Man muß die normalen Verhältnisse im Auge behalten. Wir können noch mebr Hafer zur Verfügung haben. Ein Viertel der Magermilch sollte zur Käjebereitung verwendet werden. Der Präsident des Kriegs- érnährungsamts wird sch überzeu en, daß das für die Volks- ernährung eine durhaus ridtige Maßregel ift. Die Nationierung des Brotes, des Sen der Butter, der Kartoffel ist ein Verdienst des Präsidenten des Kriegsernährungsamts. (Zuruf b, d. Soz.) Kommen Sie mir do nit mit solen Albern- beiten. (Präsident Dr. Kaempf: Herr Abgeordneter, der Ausdruck Albernheitew . ..._) Jch nehme den Ausdruck zurück. Auch die Sozialdemokratie sollte anerkennen, mit wel&en Sywierig- keiten die Landwicte zu kämpfen haben. Wir sind mit Ihnen der Ansicht, daß die Kartoffel zu Spiritus nur so weit verarbeitet wird, als es si ‘um die Verarbeitung von Spiritus zu Genußzwecken handelt. Die Kartoffeln dürfen nicht für andere Zwecke verwendet werden, als für Ernährungszwecke, für die Zwecke des Heeres. Ver- fehlt wäre es, wenn die Landräte vorweg über die Kartoffeln dispo- nierten, die die Brennereien haben. Die neuen Herren im Kriegs- ministerium denken vielleiht über diese Fragen anders als ihre Vor- gänger. Auch bezüglih der Verwendung der Gerste zu Bier war ih eigentlich erstaunt über die Acußerungen des Abg. Schmidt, der 30 Prozent den Bierbraucreien freigeben will. Jch gebe eigentli nicht fo weit, aber ich will mi von ihm nit trennen, wenn ih au glaube, daß Bier ein Artikel ist, den man am ebesten entbehren kann. Das Verbot des Apfelweins und des Mostes ist ganz richtig. Was den Zucker betrifft, so wird er vielfa verscmwendet. Auch die Kuchen- bädereien sind in dieser Zeit niht am Plaße, sie entziehen Weizen- mehl, das zur Volksernährung verwendet werden könnte. Hier werden Nahrungsmittel unnüß vergeudet. Es sollte aber gestattet werden, den Soldaten zu Weihnachten ins Feld Kun zu scbicken. Bet einer Na- tionierung kann die freie Ausfuhr der Kartoffeln aus dem Kreise nit gestattet werden, weil der Kreis die Vorräte nicht übersehen kann und er sonst den Aufgaben nit nabkommen kann, die ihm obliegen. Solange die Versorgung des Heeres mit Fleis dem Kreise auferlegt ist, kann aub nit gestattet werden, daß Fleish aus dem Kreise ausgeführt wird. Die Noggen- Preise sind jedenfalls nicht zu hoch, aud die Kartoffelpreise nicht. Möge der Präsident dabei bleiben, daß die Preise sich auf ibrer jeßigen Höhe halten, damit nit wie im vorigen Jahre die loyalen Verkäufer geschädigt und ausgelacht werden. Es ist auf die Teuerung der Fische hingewiesen worden. J glaube, daß ernstlih die Herstellung von Fisbkonserven verboten werden müßte, dann würden mit einem Sc{lage die Fischaufkäufer für die Konservenfabriken vers{chwinden ünd die Fische in den Verkchr kommen. (Zuruf.) Ich konstatiere, daß bier jemand gesaat hat, Fishkonfervenfabriken könnten dabei leiden. Ich: glaube, die Interessen der Berbraucer stehen büber. Die Ein- 'bringunt ‘ber 'Gritte muß anöalifst bésckleuntgt werden dur Freigäbe der“ nöticen Arbeitskräfte. Es könnte dann auch die DruséÉprämie wesentlid eingck{d;ränkt werden, das würde zw einer erheblichen Ver- billigung ber Nahrungsmittel führen. Die Vorräte sind vorkanden, un eine Nationierung der Hafer- und Gerstefabrikate herbeizuführen. Ib mochte aber bitten, nidt ungeduldig zu sein. - J& habe auf dis aroóßere Heranziehung der Kohlrüben als Ersaß für Kartoffeln bin- dewiesen, id würde au empfehlen, für das nächste Jahr die Anbau- fläche der Kartcffel um 20 Prozent herabzuseßen und mit Kohlrüben zu beseßen. Es muß mehr System hineingebracht werden in den Anbau der Kartoffel, in die Abfuhr und in die Preise. Die Abfuhr der Kartoffeln darf nicht \ystemlos erfolgen. Die Frübkartoffel muß einen höheren Preis haben, weil sie weniger ertragreich it. Die Knochen könnten in größeren Anstalten mübelos zur Fettgewinnung verwendet werden. Hausf{lachtunaen sind jeßt zweckentsprechbend ge- regelt. Cine Anrechnung des Geflügels auf die Fleis&farte halte ih nit für zweckmäßig. Die Zuckerrübenmarmelade ist ein gutes Nah- rungsmittel, ich habe felbst einige Töpfe cinkodben lassen und werde den Herren Proben zur Verfügung stellen. Auf dem Lande geschieht das allgemein und ih bedaure, daß das die Frauen in den Städten nit machen. Pflaumenmus kostet jeßt 1,60 Æ, das ist ein unerbörter Preis. Die Herstellung der Marmelade sollte niht den Fabriken überlassen werden, sondern den Jnieressenten selbst, Was den Antrag Hoff über die Nindviebhaltung anbetrifft, so kann id mi dem nit anschließen. Eine solche Regelung von oben ber ist durchaus unmöglich. (s nissen dock die einzelnen Wirtschaften berücksictigt werden. Die Fleischration soll entsprebend erhöht werden. 250 Gramm werden kaum erreicht werden. Unbillig ist, daß bei der Berechnung der Nation die Kinder soviel Fleisch bekommen, wie die Erwachsenen. Immer ift in Ostpreußen mitgeteilt worden, daß die He-resverwaltung beabsichtigt, 29 Prozent der Gefangenen den betreffenden Besißern für den Winter zu nehmen. Jch muß auf das bestimmteste hiergegen Verwahrung einleaen, ich spree damit, alaube ih, im Namen der ganzen oft- preußisGen Landwirtschaft. Bedenken Sie do, daß Tausende von den Nussen aus Ostpreußen weggeschafft worden sind, daß viele Frauen ihr Land selbst bewirtshaften müssen. Lassen Sie uns weiter \o zu- sammenarbeiten, wie es in der leßten Zeit gesehen ist. Wir haben gemeinsame Sorgen und wir sind genötigt, Schulter an Sc@ulter zu Oen, Lassen Sie uns au hier mit vereinten Kräften zusammen- gehen.

Ahg. Wu r m (soz. Arbeitsgem.): Daß der Präsident tes Kriegs- ernährungsamts das bisherige Vertuschungssystem nicht billigt und aufgegeben hat, ein System, das man mit Nücksict auf das Ausland eingeführt hat, müssen wir billigen. Hätte einer von uns das gesagt, sv wáâre er in Schußhaft genommen worden. Wenn man den wahren Sachverhalt nit bekanntgab, so geschah dies aus Rücksicht auf tie agrarischen Jateressen. Wenn die Städte nur ein Pfund Kartoffeln pro Tag bekommen, so sollten sich die Landbewohuer au damit be- nügen; statb dessen erhalten sie 114 Pfund; au sonst werden die Landbewohner, nit bloß die Selbstversorger, bevorzugt, so beim Fleisch. Der Selbstversorger, der 6 Wochen gefüttert hat, soll drei Fünftel für sid behalten, während der Städter 250 Gramm haben soll und sie meist micht bekommt, Ja, die Konservativen wollen das erste Schwein dem Selbstversorger chne Kontrolle überlassen. Die Agrarier wollen au den Unfug des Pensicnssdweins zulassen. Dies widerstrebt aud dem berechtigten Wuns nah einer weiteren Ab- sc{latung des Rindviehs. Die Landwirte halten die Kartoffeln zu- rüd, weil sie immet noch die Hoffnung haben, daß die Preise erhöht iverden. Wenn der Präsident des Kriegsernährungéamts das für seine Amtszeit in. Abrede aestellt hat, so sind vielleidt {on die Minierer an der Arbeit, um ihn von seinem Amt zw entfernen. Die Milt- verordnung hat dazu geführt, daß die Magermilch jeßt zu Phantasie- preisen verkauft wird. Es wird jede Lücke in der Gesebgebung von ‘den Agrariern zum Schaden der Konsumenten verwertet, Die großen (Finnabmen werden jeßt bei den Steuereinshäbßungen von den Agrariern

ür spätere Mindereinnahmen berrechnet. Das nennt man Kriegs- ozialismus. Die Herren wollen ledigl:G dem Vaterlande dienen.

In Sachsen könnte die Militärverwaltung nicht das nötige Heu und Stroh kaufen, weil die Landwirte auf höhere Preise rechneten. Das ist der Patriotismus, der den sädfisden Landwirten von der Heeres- verwaltung selbst besceinigt wird. Das Kriegsernährungsamt hal! an den bisberigen Mißständen der Lebensmittelteuerung so gut. wie ar nichts geändert. Sie muß da viel energischer vorgehen. Der Prä- fident hat den Produktionszwang mit einer Handbewegung zurüdckge- wiesen. Bei gewissen Großbetrieben ist der Produktionszwang dur- aus am Plate; an die kleinsten Bauernböfe denken wir nicht. Es läßt fich bier helfen, wenn ein energisber Wille vorhanden ist. Es ift dazu eine Statistik über den Bestand notwendig, die von unabhäng1- en Leuten, die nicht den Interessenten nahestehen, aufgenommen wird. ie Statistik hat bewiesen, daß Deutschland vor dem Kriege nicht im- stande wax, sih ohne Zufuhr zu ernähren. Der Hinweis auf das Aus- land nüßt uns nit, niemand wird dadur bei uns satt, daß das Aus- land hungert. Man sagt, die Vorräte reichen aus, der uner braucht uns nit niederzuzwingen. Dann müssen aber die Nahrungsmittel besser verteilt werden. Die Preise sind um 100 % gestiegen, der Nährwert der zur Verfügung gestellten Nahrungëmittel um ein Drittel gefallen. Deshalb verdienen nit nur die Munitionsarbeiter eine Teuerungézulage, sondern auh andere Schwerarkeiter, denen es zur Ernährung an den nötigen Fetten fehlt. ‘Man sollte eine Bier- und Schnapskarte einführen. Wer Bier und Schnaps trinkt, müsse dann weniger von seiner Brot- oder Kartoffelkarte verwenden. So nötig ist der Schnaps. doch nicht, wie der Präsident meint. J spreche nicht als Abstinent, ih bin keiner, sondern vom Standpunkte der allge- meinen Ernährung. Die Massenspeisung hat niht den erwarteten Erfolg gehabt, weil diese Nahrung breiartig ist und nit genügend gekaut wird. Würde den Gemeinden eine genaue Ration zur Massen- speisung bewilligt werden, so würde die Massenspeisung verdau- lier und nüßlicher sein. Außerdem kann für 40 „5 keine vollständige ausreidende Nahrung geliefert werden. Es müßten Getreide und Hülsenfrüchte zur Verfügung gestellt werden. Ganz Europa wird von einer Hungersnot bedroht, wenn die Kriegsheßerei so weiter- geht. Die vorhandenen Vorräte müssen gleichmäßig ver- eilt werden für Arm und Reich, für Skadt und Land, Alles Zureden, Herr von Batocki, hilft nihts, wenn der Magen spricht. Wir verlangen, daß das, was vorhanden ist, gleichmäßig vorteilt wird, In Dresden hat am vergangenen Donnerstag das Volk gespuochen. 80000 Menschen sind vor das Ministerium des Innern gezogen und haben gerufen: Wir verlangen Nahrung und Frieden! Der Minister erkannte die Berectigung ter Wünsche an und versprach, alles zu tun. Die 80000 sind rubig nach Hause ge- gangen; binter den 80000. Mernsc@en steben aker Millionen Mene Tekel, Upharsin. Die Geduld des Volkes hat eine Grenze, sorgen Sie dafür, daß das Volk nit weiter durch die Profitwut ausgesaugt wird,

Abg. von Trampezynski (Pole): 350000 polnische Ar- beiter werten bier in Deutschland zurückgehalten, das Vorgehen steht mit dem Völkerreckt in Widerspru. Um Repressalien kann es si hier wit handeln. Dicse Leute türfen nicht gegen ihren Willen zurüdfgehalten werden. Man hat versudt, eine Menge von ihnen zu engagieren. Es wurde ihnen in der Heimat vorgeredet, daß sie als freie Arbeiter hereinkommen sollten, daß sie das Recht hätten, ihre Arbeitéstelle zu we{sln. Der Polizeipräsident in Warschau bat ver- sichert, es sei selbstverstäntlid, daß den Arkeitern von den deutsden Behörden alle möglichew Grleic.terungen verschafft werden würden. Was aus diesen Verspreckngen geworden ist, ersehen Sie daraus, daß die Arbeiter nicht zurückkehten dürfen. Wir haben es \ckwarz auf weiß, daß im Warschauer Bezirk der Arbeitszwang eingeführt ift für die, denen Arbeitömangel droht. Den Städten hat man verboten, ffentlide Arbeiten zu vergeben, weil die Arkeiter für die Militär- und Heeresverwaltung gebraudt werden. Das hat natürli Erregung bervorgerufen und widerspriht aub dem Völkerrecht. Vertreter des Auswärtigen Amts haben diese Maßnahmen verteidigb mit der Be- gründung, daß sie zur Aufrechterhaltung der Nube und Ordnung not- wendig seien. (Vizepräsident Dr. Paasche: Das gehört do nit ur Ernähuungéfrage.) Der Präsident von Batocki hat do selbst ge- ost ‘die ‘Londarbetterfrage ‘fei ‘von der frößten Witbtiakeit flir bie (Frnährungsfrage. Hoffentlich wird Herr Präsident von Batocki dafür sorgen, daß eine Besserung der von mir oerügten Umstände berbei- geführt wird. Die Lage der Saisonarbeiter ist eine schlimme:; fffŒ tonnen mit ibrem Lobn nit auskommen, fie werden \ckamlos aus- geoeutet. und mißbandelt. Svolcbe Klagen sind uns zu Tausenden zu- gekommen. Es wird geklagt über die \{chleckchte Wohnung und Kost über unzulänglide Bezüge. Das einzige, was wir mit unseren Be- {werden erxreidt Haben, ist, daß unter Umständen ein Wechsel der Arbeitsstelle zugestanden würde, aver in Wirklichkeit wurde dod nidts erreicht, weil allerlei Widerstände entgegenstanden, Die Regierung muß sich zu vositivew Maßnahmem aufsckawingen dur Einführung einer ausreticbenden Kontrolle, Gewährung des Kündigungsrechts, Urlaubs- anspruch. Wenn man den Urlaub verweigert, weil die Arbeiter nit zurück- kehren, so ist das ein Beweis dafür, wie \{chlecht die Arbeiter behandelt worden sind. Dies System war ein System der modernen Sklaverei, und es muß geändert werden. Wenn Sie Arbeiter haben wollen wie bisher, dann sorgen Sie, daß die Arbeiter au mensckenwürdig be- handelt und nicht ausgebeutet werden. Geben Sie den bisher einge- wanderten Arbeitern den gehörigen Rechtsschuß, dann werden auch andere kommen.

Direktor im Reichsamt des Jnnern Dr. Lewald: J muß aegen die Uebertreibung des Vorredners Widerspruch erheben, es sind Scauermären, die er vorgetragen bat. Es bestehen keine S{bwierig- foiten für ten Ortswesel. Polnische Arbeiter gehören einem fremden Staat an, und die Abzugsfreiheit darf man ihnen im Kriege nit gewähren. Gewährt man ihnen Urlaub, so ist es Negel, daß sie zu- nächst einmal versckwinden. Von 30 Arbeitern waren in einem Falle 20 nit zurüdgetehrt. Daß diese Arbeiier gut entlohnt und human behandelt werden, ist selbstverständlid. Wir werten dafür sorgen, daß dies au geschieht.

Hierauf wird die Diskussion geschlossen. reiche Bemerkungen zur Geschäftsordnung.

Abg. Schirme r (Zentr.): Durch den Sck{luß der Dis ussion ist es mir unmöglih gemäct, die Ausführungen für die Herabsebung des Gerstenkontingents der Brauereien vom Standpunkte Bayerns und der Schwerarbeiter und die schiefe Darstellung über den Wert des bayerischen Bieres als Nahrungsmitiel zw bekämpfen. (Zurufe.) Ja, Sie haben kein Verständnis für die bayerische Gerste! Hoffent- lich mat der Präsident des Kriegsernährungsamts seine entgeaen- kommenden Zusagen wahr.

Abg. Held (nl): Auch ich bin dur den Schluß der Debatte verhindert, Ausführungen im Interesse von kleinen viehzuhttreibenden Landwirten zu machen. Hoffentlich zeigt die Negierung hier Ent- gegenkommen.

Abg. Mumm: Dur den Abbruch der Aussprache is auch mir die Möglichkeit genommen, den Antrag zu begründen, den ih mit Unterstüßung zahlreiher Heren aus den. verschiedensten Parteien ein- gebracht habe, und ben mißverständlichen Worten des Herrn von Batocki gegen die Mäßigkeitsbestrebungen entgegenzutreten, Mein Trost ist, daß der Antrag für sib selbst spricht.

Abg. Dr. Noesice (dkons.): Der Abg. Wurm soll sehr aus- führlidi gegen die Agrarier Stellung genommen haben. Wir behalten uns vor, ein andermal darauf zu antworten, unser Stillslweigen bedeutet natürlih keine Zustimmung.

Abg. Dr. Cohn - Nordhausen (soz. Arbeitsgem.): Wäre die Grörterung weiter gegangen, so hätte id Gelegenheit genommen, die \chönfärberisde Darstellung über die Nechtslage und Behantlung der polnischen Lantarbeiter richtigzustellen. Wenn Dr. Lewald diese Lage kennen lernen will, mag er nach dem Militärgewahrsam gehen, wo diese Landarbeiter zu Hunderten und Tausenden in Haft siben. (Die weiteren Ausführungen werden vom Vizepräsidenten Dr. Paaf ch e als nihtgeschäftéordnungsmäßig abgeschnitten.)

Die Abstimmung über den Antrag der fortschrittlichen Volkspartei wird ane des nur noch lückenhaft beseßten Hauses ausgeseßt. ie Anträge des Haushaltsc.asshusses

Es folgen zahl-

\

werden angenommen, mit knapper Mehrheit auch der Anz trag Mumm. i

_ Oierauf berihtet Abg. Graf West a r p (dkons.) über die Verhandlungen des Reichshaushaltsaus[us}ses, betreffend die &Familienunterstüßung der Kriegerfami- lien nta gan usw Der Aus- schuß empfiehlt die Annahme von Ref olutionen, wonah der Reichskanzler ersucht wird, eine Aenderung des Geseßes über die Familienunterstüßung dahin herbeizuführen, daß vom H November 1916 die Unterstüßung für die Ehefrau auf 20 , für jedes Kind unter 15 Jahren auf 10 6 monatlich festgeseßt jowte daß die Lieferungsverbände verpflichtet werden sollen, Zuschläge zu diesen Unterstüßungen bis zur Behebung der Bedürftigkeit zu gewähren; ferner den Reichsbeamten und den Nuhegehaltsempsängern und den Hinterbliebenen von Reichsa beamten unter gewissen Vorausseßungen einmalige Kriegs- teuerungszulagen bis zur Höhe eines Monatsgehalts oder Monatslohns ¿u gewähren. Ferner sollen die Familienunter- stäßungen der Kriegsteilnehmer, sowie die Unterstüßungen an Erwerbslose den Bezugsberetigten im Monat Dezember 1916 in doppelter Höhe aus Reichsmitteln gewährt werden. Weiter wird beanlragt, die Anträge auf Ausdehnung des Bezugs- s{heinszwangs auf alle Waren außer denen auf Seide und Kunstseide, auf Einführung einer Bekleidungskarie, auf bessere Organisation des Verkehrs unter Belassung der Bezugs\cheine gefordert, auf Ausdehnung der Beschlagnahme auf alle Häute und Leder, sowie Lederabfälle und auf die Gleichstellung der periodischen nichtpolitischen Presse mit der Tagespresse in der &rage der Papierbeschaffung dem Reichskanzler als Material zu überweisen.

…_ Direktor im Reichsamt des Innern Dr. Lewald: Zu dem erst vorgestern gefaßten Beschluß des Ausschusses baben die ver. bugteten Regierungen noch nit Stellung genommen; aber ich halte mt verpflichtet zu sagen, daß die Resolution, wie sie vorliegt, keines» falls Jhre Zustimmung finden wird. Die #Familienunterstüßung beträgt leßt monatli 130 Millionen Mark. Dis beantragte (Srhöhung“ um 334 % macht rund 45 Millionen, zusammen 175 Millionen. Soll dieser Betrag na der MNesolution am 1. No- vember doppelt gezahlt werden, so würden ftatt 130 Millionen 390 zur Zahlung gelangen müssen, Eine solche Wirkung ist aus- geschlossen, sie ist nit beabsichtigt und nit notwendig. Wir müssen uns fragen, welche Schwierigkeiten für die Liefevungsverbände bestehen, die Mittel im Wege des Kredits zu beschaffen: es wird ernster Prüfung bedürfen bei einer so crbeblihen Steigerung um 3314 2%, ob sie dazu in der Lage sind, zumal ein erbeblider Teil der Verbände zu ven Unterstüßungen schr erhebliche Zuschüsse“ bis zu 100 %, gewährt hat, Ich möchte im Zusammenhange hiermit noch auésdrüdtlih feststellen, daß die Neichsleitung auf dem Standpunkt stebt, daß der Wunsch der Nesolution, betreffend die Verpflichtung der Veferungöverb@ unter Gewährung von Zuschlägen gegenwärtig bereits rechtens ist; der preußische Minister des Innern hat noch heute erklärt, daß ev durchaus in der Lage sei, jederzeit die si weigernden Lieferungs- verbände durck Anweisung zu zwingen, solche Zuschüsse zu gewähren. Der Neichskanzler versließt sich keineswegs der Tatsache, daß die Lebensmittel und Bedarfsgegenslände ganz bedeutend im Preise geo slieaen sind, daß die Länge des Krieges auf die Familien {wer drückt und eine Erhöhung der Unterstüßungen in zahlreiden ¡Fällen ein dringendes Bedürfnis ist. Daß aber in einer nit geringen Zahl ein foles Bedürfnis nicht vorhanden ist, ist von vielen Seiten in der Kommission anerkannt worden, es muß anerkannt werden in allen den Fällen, wo es sich um Familien von Staats- oder Gemeinde- arbeitern handelt, denen ein erheblicher Teil des Lohnes weiter gezahlt wird. Ein sehr hervorragendes Mitglied des Hauses hat mir nochch heute auéführlih dargelegt, daß hier in der Tat die Familien jeßt höhere Einnahmen haben ats zu der Zeit, wo der Ernährer zu Haile war. Gs wäre daher zweifellos erwünscht, möglichst zu individuali- sieren; immerhin wollen die verbündeten Regierungen doch die Mögs lichkeit dazu schaffen; der Fürsorgefonds wird von 20 auf 30 Millionen monatlich erhöht werden, ebenso wird der Reservefonds erhöht werden, und damit wird den leistungsunfähigen Lieferunasverbänden. die Mioga lihteit gegeben, möglichst bald cinen Zuschuß zu gewähren.

Abg. Koß mann (Zentr.): Meine politischen Freunde balten e für dringend notwendig, daß die Unterstützung für die Ghefrauen auf 20 MÆ, für jedes Kind unter 15 Jahren auf 10 4 monatli festgesctt wird. Der Geldwert ist seit dem Kriege gefunken, die Lebensmittel- preise sind erheblich gestiegen. Es muß fo viel wie möglich einge griffen werden, da noch manccke Ausgaben für den Winter zu machen sind. Auch die Gemeinden werden, wo es noch nit geschehen ift, oder nicht genug geschehen ist, zu Zusaßunterstütungen gezwungen werden müssen. Zahlreihe Gemeinden haben ihre Pflicht gegen die Familien der Kriegsteilnehmer bisher nicht getan. Staatssekretär Delbrü bat soinerzeit die neue Bestimmung den Beteiligten als Weihnachtsgeschenk auf den Tisch gelegt. Sie ist aber den Beteiliaten erst sehr spät zu. gekommen. Besonders möchte ih den Teil der Nefolution empfehlen, der die-Familienunterstüßung der Kriegsteilnehmer sowie die Unter- stübung an Erwerbslose im Dezember in doppelter Höbe aus Neichs- mitteln gewähren will. I kann die Bedenken des NRNegierungsver- treters nicht teilen. Die Betreffenden brauen diese doppelte ÜUnter- stüßung für den Winter, für Kleider usw. Auch der einmaligen Kriegg- teuerungézuläge der Reichsbeamten werden wir zustimmen: wir denken dabei namentlich an die Eisenbahn- und Postbeamten und die Alt- pensionäre, endlih werden wir au der Nefolution über die Beschlag- nahine aller Häute und Leder sowie Lederabfälle zustimmen. Es wird mit dem Schuhwerk ein unnüßer Luxus getrieben; es kann da noG sehr aespart werden.

Abg. Hierl (soz. Arbeitsaem.): Die Familienunterstüßung ist mindestens ebenso wichtig wie die Frage der Ernährung. Darum be- dauern wir umsomehr die wenig entgegenkommende Erklärung des Regierungsvertreters. Die 350 Millionen sind allerdings eine bobe Geldsumme, zieht man aber die unaeheure Summe der Unterstüßunags- bedürftigen in Betracht, so ist die Summe fehr winzig, auch gegenüber den Milliarden, die der Krieg kostet. Es handelt sid hier doch auch um eine Kriegsausgabe, ebenso wichtig wie die übrigen Krieasqus- gaben. Die Lieferungsverbände, namentli in der Nähe großer Städte haben es bisber verstanden, die Ünierstüßungsbedürftigen mit \{Gönen Worten abzuspeisen. Die Aufsichtsbehörden tun ibre Pflicht nit. Leider entwidelt die Regierung auf diesem Gebiete cine sebr geringe Initiative und wartet erst die des Neichstages ab. Unsere ganze Zukynft wird gefährdet. wenn ein großer Teil der Bevölkerung unter- ernhrt und entkräftet ist. Mit der geforderten Unterstüßung is noch sange nicht alles getan. Die 350 Millionen reiben nur aus, daß sich die Familien die no!wendiesten Kleider ansckaffen. Was soll man dazu sagen, wenn das Oberkommando in den Marken den arbeitsfähigen

erauen die Unterstüßung entziehen will; der Fleiß wird so mit einer Strafe beleat. |

Abg. Meyer - Herford (nl.): Wenn ih mi im wesentlidben darauf beschränke, die Anträge Ihrem Wohlwollen und dem Wohl- wollen der Regierung zu empfehlen, boffe ih mir den Dank des Hauses zu erwerben. Die Teuerunaszulagen follten nicht kärglih be- messen werden. Es ist eine Staffelung na dem Gehalt und. dem Familsienbestand notwendia; die kinderreihen Familien sind zu bevor- zugen. Auch diesmal handelt es si um ein Weihnachtögeschenk, Bis dat aui cito dat! '

Abg. Lieschin g (forlscrittl. Volksp.): Auch ic bedaure, daß der Vertreter ter Negierung eine so wenig wohlwollende Erklärung abaegeben hat. Wenn die verbündeten Regierungen aud noch nit Stellung zu unseren Anträgen oenommen haben, so hätte do gesagt werden können, daß auf ihre Stellung eingewirkt wird. Es würde die Stimmung an der Front wesentlih herabdrücken, wenn - diese Forderung abgelehnt würde, Eine Stärkung der Kampfesfreudigkeiß habew wir dringend nötig. S (Fortsehung in der Zweiten Beilage) "2

E A,

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preu

M 262.

(Fortseßung aus der Ersten Beilage.)

Hierauf nimmt der Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Jnnern, Staatsminister Dr. Helffert9, das Wort, dessen Rede wegen verspäteten Eingangs des Ste- nogramms erst in der nächsten Nummer d. Bl. im Wortlaute iiedergegeben werden wird.

, Abg. Mumm : Mik der gleichen Wärme, wie die übrigen. Par- teien, treten au wir auf der Rechten für die Anträge ein, die hier vorliegen. Die Regierung hätte si doc vielleickt nicht fo lange be- sinnent sollen; es ist aber dankenswert, daß jekt eingegriffen worden ift. Den Antrag wegen der Gleidstellung der Tagespresse und der Wochen- presse hinsichtlich der Papierbeschaffung empfeble ich auf das lebhafteste: es handelt sich hier um die christlichen Sonntagsblätter, um die Ge- werfschaftsblähter, die so verdienstlih wirken, und denen man diese Vergünstigung nit vorenthalten sollte.

Abg. Nuss sel (soz. Arbeitsgem.): Uns geht der Kommissicns- ntrag, so sympathisch er uns ist, nicht weit genug, das Reich hat

r den Unterhalt der Familien, denen es den Ernährer eritzogen hat, lorgen; was geboten ist und was hier geboten werden soll, ist un-

l p reichend. Die Lieferungsverbände

[reIMer gen leisten keineswegs Die großen uschüsse, von denen der Direktor Lewald sprach; eine große Anzahl von Gemeinden entzieht sich dieser Verpflichtung noch immer gänzlich; vielfach leben die ¿amilien der Cingezogenen in trostlosem Elend. Die Gemeinden müssen verpflichtet werden, und wir beantragen das, ZU- {läge in Höhe von mindestens 90 Prozent zu gewähren. Viele Ge- meinden geben Zuschläge nur an die Frauen oder an die Kinder, oft betragt der Zuschlag für eiw Kind monatlich ganze 60 Pfennig, für die ¿rauew nur monatlich 2 #. Die Dürftigkeit muß stets ange- nommen werden, wenn das Einkommen der Familie 1500 M jährli mcht Ubersteigt. Die Gesuche der Unterstüßungsbedürftigen werden oft von Leuten geprüft, denen ein soziales Verständnis vollständig mangelt.

as System muß beseitigt und auc die Unterstübungssäße müssen erhoht werden. Der heimgekehrte Krieger darf niht rechtlos werden dadur, daß seine Familie der Armenpflege anheimfällt.

Die von dem Ausschuß vorgeschlagenèn Resolutionen werden unter Ablehnung der sozialdemokratischen Abände- rungs- bezw. Zusaßanträge angenommen. i

Schließlich berichtet Abg. Kri x (Z.) über die Auss\ch{uß- beratung des Geseßentwurfs zum Schuß der Be zei - Unn Nat onmalstihtuntg und Marineé- wo S u 17 O 4 t { stiftung®. Der 17. Ausschuß beantragt, die Beratung aus- 2 oh vf » Ma [ t p] [A i : / i zujeßen und eine Resolution zu beschließen, wonach der Reichs- tanzler ersucht wird, der nächsten Tagung einen Gesetzentwurf 11 D o o irho Ì s y ; : T: s ; zur reichsgeseßlichen Regelung des ganzen Gebiets der Reichs- wohlfahrtspflege vorzulegen. Das Haus tritt ohne weitere Besprechung diesem Antrage bei.

N a2 . Ls C t L F

Damit ist die Tagesordnung erschöpft.

__ Präsident Dr. Kae m Þ f: Meine Herren! Wir nähern uns dem Schluß der gegenwärtigen Wagung. Sn ernster Zeit begonnen, beenden wir unsere diesmaligen Arbeiten unter gleich ernsten Verhältnissen. Der Reichstag hat eingehende Kritik an den Maßnahmen der Reichs- leitung geübt; das Hindert mcckcht, daß unsere gemeinsamen, doch nur auf das Gemeinwohl gerichteten Beratungen in uns die feste Üeber- zeugung und das unerschütterlicho Vertrauen von neuem bekräftigt haben, daß Deutschland im Verein mit seinen treuen Verbündeten allen Aufgaben gewachsen 1st, die militärisch, wirtschaftlich und finanziell diejer Krieg sondergleichen uns auferlegt. Die Pläne unserer Feinde lind gescheitert, die Pläne un]erer ¿Feinde werden auch weiter scheitern an dem inneren _ Bewußtsein des deutschen Volkes und an \einer inneren Stärke; sie wérden scheitern in dem Augenblicke, wo uns nach wie vor zum Bewußtsein kommt, wie Großes das deutsche Volk bisher geleistét hat und zu wie großen Leistungen es auch fernerhin befähigt ijt. (Beifall.) _Vem Kaiser, dem Meiche, dem deutshen Volke dem deutschen Volksheere von seiner obersten Leitung an bis zum Land- /turmmann ohne Unterschied gilt in diesem Augenblicke, wo wir unsere Arbeiten schließen, der wärmste und dankbarste Gruß. (Beifall.) Gott \chüße das Vaterland! (Lebhafter Beifall.)

Staatssekretär des Jnnern, Staatsminister Dr. Helfferich:

Jch habe dem Hohen Hause eine Allerhöchste Verordnung mitzu- teilen. (Das Haus erhebt si; die Mitglieder der sozialdemokratischben Arbeitsgemeinschaft haben den Saal verlassen.) Die Verordnung lautet:

Wir Wilhelm von Gottes Gnaden, Deutscher Kaiser usw. ver- ordnen auf Grund der Artikel 12 und 26 der Verfassung mit Zu- stimmung des Reichstages im Namen des Reichs was folgt:

F 1. Der Reichstag wird bis zum 13. Februar 1917 mit der Maßgabe vertagt, daß der Aus\{uß für den Reichshaushalt zur Besprehung auswärtiger und fonstiger mit dem Kriege im Zu- sammenhang stehenden politischen Angelegenheiten während der Zeit der Vertagung zusammenzutreten ermäcbtigt wird.

§ 2. Der Reichskanzler wird mit der Ausführung dieser Ver- ordnung beauftragt.

Gegeben Großes Hauptquartier, den 3. November 1916.

gez. Wilhelm 1. R. g0ez. Dr. Helfferi d.

Ich habe die Chre, den Herrn Präsidenten die Urschrift der

Allerhöchsten Verordnung zu überreichen.

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Präsident: Wir trennen uns unter dem alten Rufe: ' Seine Majestät der Deutsche Kaiser, Volk und Vaterland, sie leben hoc! hoch! bo! (Das Haus stimmk in den dreimaligen Hochruf lebhaft ein.) Die Sitzung i} ge\sch{lossen.

Schluß 914 Uhr.

Nichtamklicßhes, (Fortseßung aus dem Hauptblatt.)

Großbritannien und Jrland.

Jm Unterhaus hat die Regierung mit ihrèm Geseß- entwurfe, betreffend Aufstellung neuer Wählerlisten für die Parlamentswahlen, einer Meldung des Wi Ti B.“ zufolge völlig Fiasko gemacht. Viele Abänderungsanträge waren eingebracht, darunter einer, der den Soldaten an der Front und den Seeleuten auf den Kriegs\chiffen die Aus- übung ihres Wahlrechts sichern wollte, der Sprecher La aber, daß diese Anträge gegen die Ordnung des Hauses seien. Rel getan verlor das Haus alles Jnieresse daran, und die Vill wird als erledigt angesehen.

Zweite Beilage

Berlin, Montag, den 6. Noveniber

gischen Slaaksanzeiger.

96.

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Lord Robert Cecil wandte sih im Unterhause mit er- heblicher Schärfe dagegen, daß das Haus beanspruche, auf die Leitung der auswärtigen Politik Einfluß auszuüben. (Es handelte sich um die Frage der Anerkennung der Regie- rung von Venizelos.) Cecil sagte:

Wir haben nicht nur unsere éigene Regierung zu ber?cksihtigen; fondern au die Regierungen unserer französischen, russishen und italienischen Verbündeten. - Wir können niht alles tun und sagen, ohne die Wtkung auf: unsere Verbündeten , . unsere Feinde und die Neutralen zu bedenken. Wir können nicht zugleiß Verhandlungen führen und das Parlament und die Nation völltg in unser Vertrauen . ziehen. Ih hâlte es nit für wünshenêwert, eine neue Form“ der Leitung der auswärtigen An- gelegenheiten einzuführen, und ih zweifle, ob es wünschenswert ist, die VBerantwortung der Regierung mit irgendeiner Kommiision zu teilen. Wir find uns der vielen Fehler, die wir machten, und der vielen Mängel, die uns anhaften, voll bewußt, aber wir müssen tun, was wir sür richttg halien. Wir müssen die Regterung tortkühren, wenn auh schlecht, aber fo gut, wle wir können. Wir können die Ver- antwortung nicht mit dem Unterhause oder sonst jemand während des Krieges teilen. Wenn das Haus uns für so s{chlecht hält, daß wir entfernt’ und dur andere erseßt werden müssen, so mag das gesehen. Das ist eine vernünftige Politik und wir machen es dem Unterhause gern leit.

Die Regierung hat, obiger Quelle zufolge, die Jn- haber von argentinischen und chilenischen Wertpapieren aufgefordert, diese der Regierung zur Verfügung zu stellen.

Nach einer Meldung des „Neuterschen Bureaus“ hat Dr. Addison vom Munitionsministeruum in Woolwich eine Rede über die Munitionsindustrie gehalten, in der er u. a. sagte, daß noch wenigstens 315000 männliche und 100 000 weibliche Munitionsarbeiter nötig seien, um das große Munitionserzeugungs-Programm durchzuführen.

Die Verlustlisten vom 1., 2. und 3. enthalten die Namen von 105 Offizieren (25 gefallen) und von 4350 Mann, von 135 Offizieren (51 gefallen) und von 2400 Mann und von 52 Offizieren (13 gefallen) und von 3475 Mann.

Frankreich.

Die Senatskommission unter dem Vorsiß Clemenceaus hielt dem „Temps“ zufolge vorgestern eine zweite Sizung zur Be- sprehung der U-Bootfrage ab. Admiral Lacaze berichtete über die Verteidigungsmittel gégen die V-Boote und die Organisation zur Küstenverteidigung.

Niederlande.

Die Wochenschrift „Toekomst“ meldet, daß das hollän- dishe Unterseeboot „K. T“ und ‘das Begleitschiff „Witte Zee“ auf der Reise nah Jndien, obwohl beide Fahrzeuge ‘durch ihre Flaggen deutlich - als- holländische“ er- kennbar waren, an der französishen Wesiküste von einem französishen Patrouillenfahrzeug und bei Gibraltar von englischer Seiie ohne vorherige. Untersuchung beschossen worden sind. Die Granaten fielen in geringer Entfernung von den Schiffen ins Wasser. Nach einiger Zeit sah man offenbar den Fehler ein und hörte mit dem Feuern auf. Die betreffenden französishen und englishen Kom- mandanten haben es aber nicht für nötig gehalten, fih wegen dieses Mißgriffs zu entshuldigen oder sich zu überzeugen, ob die Schiffe durch das Feuer beschädigt worden seien.

- Das Marinedepartement teilt laut Meldung des „W. T. B.“ mit, daß wegen der häufigen Benußung der Route um Nordschottland das Eirland-Leuchtfeuer (?) wieder in Betrieb geseßt worden ist. Es dürfe aber nicht unter allen Umständen darauf gerechnet werden, da in dringenden Fällen das Licht ohne vorherige Warnung von den Militär- behörden gelöscht werden könne.

Schweden,

Einer Mitteilung an die \{wedishen Behörden zufolge ist russischerseits der Befehl zur Anlegung eines neuen Minen- feldes im Alandsmeere an der s{hwedishen Territorial- grenze zwischen 59 Grad 40 Minuten nördlicher Breite und 59 Grad 52 Minuten nördlicher Breite gegeben worden.

Türkei.

Aus Anlaß des zweiten Jahrestages des Eintritts der

Türkei in den Weltkrieg hat der Vizegeneralissimus Enver

Pascha an den Höchstkommandierenden der K. u. K. öster-

reichish-ungarishen Streitkräfte, wie „W. T. B.“ meldet, folgendes Telegramm gerichtet :

Dîie Kaiserlich türkishe Armee sendet thren siegreichen ver- bündeten Waffenkameraden der K. u. K. österreihish-ungarischen Armee ihre berzlihsien Grüße gelegentlich des Tages, an dem die Türkei am Weltkriege sh beteiligte, um \sich ünd die gere{te Sache mit Blut und Leben zu verteidigen. Gottes Hand lenkte sie den rihtigen Wea, und unser hoher Kriegsherc ließ die Fahnen feiner fiegreihen Vorfahren wieder einmal auf dem Felde der Ehre wehen. Zwet Jahre haben die türkischen Streitkräfte für die Gerechtigkeit gesiegt, zwei Jahre haben sie segreih den ver- bündeten Heeren fest und treu betgestanden. Noch einmal war es den Türken beschieden, ihren traditionellen hohen Geist der Opfer- willigkeit für ihre Heiligtümer unh thre Treue zu ihren Bundes- genossen für die gemeinsame Verteidigung der Gerechtigkeit zu be- weisen. Das Gottvertrauen ist im Herzen jedes Türken tief ge- rourzelt, und dieser Faktor allein wird genügen, bald die Lorbeeren des endgültigen Sieges auf die Häupter zu tragen.

Enver, Feldmarschall.

Der Erzherzog Friedrich erwiderte mit nachstehendem Telegramm :

Gurer Exzellenz liebenswürdiges Gedenken zum 29. Oktober erfüllt mich mit inniger Freude. Dankbar erwidert dié österreichisch» ungarische Wehrmacht die Grüße des ruhmreichen türkishen Heeres. Dankbar blickt fie zurück auf die vielen Beweise treuer Waffen- brüderschaft, welche die osmanishe Armee und ihre Führer in zwet Jahren gemetnsamen Kampfes gegeben haben und die in dem boh- berzigen Entshluß Seiner Majestät des Sultans, osmanische Truppen für die gemeinsame Sache auch fern der Helmat fechten zu lassen, den fihtbarsten Ausdruck fanden. Gottes Segen ruhe auch weiterbin auf den von Eurer Exzellenz fo erfolgreich geführten

türkishen Waffen. : Grzherzog Friedri, Feldmarschall und Armeeobzrkommandant.

Griechenland.

Einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“ zufolge ver- langte der Admiral Fournet die Einwilligung der griechischen Regierung dazu, daß ihre leihten Flottenstreitkräfte unter französisher Flagge und mit französischer Besaßung zum Schuße gegen deutsche U-Boote ver- wendet würden. Das Kabinett hielt vorgestern eine Be- ratung unter dem Vorsiß des Königs ab und: beschloß, die Förderung des Admirals als unannehmbar abzu- lehnen, da eine Einwilligung gleihbedeutend mit dem Nuf- geben der Neutralität sein würde.

Wie der „Corriere della Sera“ meldet, dürfe man annehmen, daß die Gefahr einer Verwicklung wegen der Be - segung von Ekaterini durch venizelistishe Truppen beseitigt sei, wenn auch die Lage noh gespannt und die Erregung groß sei. Personen aus der Umgebung des Königs hätten erklärt, daß dieser äußerst empört sei. Er halte sih nah dem révolutionären Druck, der Altgriechenland bedrohe, von allen Verpflichtungen, die èr der Entente gegenüber eingegangen sei, entbunden. Er werde daher die Truppen aus Thessalien nicht zurüziehen, fondern habe bereits Befehl gegeben, nach Ekaterini Ver- stärkungen zu entsenden und es um jeden Preis zurückzuerobern. Am Freitagabend hätten die Gesandten Frankreihs und Eng- lands eine lange Unterredung mit dem König gehabt, wobei dieser seine Absicht bestätigt habe, mit Gewalt gegen die Revo- lutionäre vorzugehen und die Truppenverschiebungen nah dem Peloponnes solange aufzuschieben, bis die Revolutionäre Ékaterini wieder ausgeliefert hätten und die Entente Garantien gegeben habe, daß die Revolutionäre nur gegen die Bulgaren in Ost- mazedonièn operieren würden. Der „Morning Post“ zufolge wird in venizelistishen Kreisen als Grund für die it eus von Elaterini die Torpedierung -griechisher Schiffe mit Frei- willigen an Bord angegeben, wodurch ihr Transport zu Lande über Efkaterini notwendig geworden sei.

Laut „Eleutheros Tipos“ haben die Ententegesandten die Frage der Besezung Ekaterinis erörtert und beschlossen, eine neutrale Zone zu schaffen, um Zusammenstöße zwischen Nevolutionären und Königstreuen zu vermeiden. Da diese jedoch schon begonnen haben, haben Truppen der Verbündeten, wie Reuter meldet, Ekaterini beseßt.

—- Einer Meldung - des „Petit Journal“ aus Saloniki zufolge erörterte die provisorische Regierung die Möglich- keit einer Bewaffnung ‘der griehishen Dampfer im Inselverkehr. Ferner sei bes{chlofsen worden, in Saloniki und Kanea einen Gerichtshof einzuseßen.

Ainerika,

Die Arbeiterorganisationen haben dem „Daily Telegraph“ zufolge in verschiedenen Teilen Kanadas gegen den Vorschlag der Kommission für nationale Dienste auf

ine industrielle Régistrierung als Mittel zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht Einspruh erhoben, weil diese NRegistrierung sih auf die Arbeiterklasse beschränke.

Afrika.

Ein Telegramm des „Secolo“ aus Kairo besagt, dort be- stätige sich das Gerücht von der Gefangennahme Ras Mikaels, während Lidj Jeassu nah Pankali Kale ges flüchtet sei.

Statiftik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Die Besiger der Kohlenzechen von Südwales haben, wte „W. T. B.“ erfährt, dèm Arbetterverband angezciat, daß fie eine Herabseßung der Löhne um 10 9% vornehmen wollen. Die Bergleute ihrerseits haben elae Aufbesserung um 15% verlangt.

Nah einer von .W.'T. B." wiedergegebenen Meldung des „Petit Joucnal" aus Melbourne stellten in elf Koblenminen- bezirken von Mattland die Bergleute die Arbeit ein, da thnen der Ahtstundentag nicht bewilligt wurde.

Kunft und Wissenschaft.

Die phy sikalisch-mathematische Klasse der König- lihen Afademte der Wissenschaften hielt am 26. Oktober unter dem Vorfiß thres Sekretars Herrn Planck eine Sißung, in der Herr Struve über Neue Untersuchungen über die Be- wegungen im Saturnfvystem, 1. Enceladus-Dione, las. Eine während des vergangenen Frühjahrs auägeführte Beoba(htungsreihe der Saturnmonde am neuen großen Nefcaltor der Babelsberger Sternwarte hat die Verarlassung dazu gegeben, frühere Unter- suchungen über das Saturnfystem wiederaufzunehmen und tn einzelnen Teilen zu vervollständicen. In der Mitteilung des Herrn Planck wurden die periodishen Störungen der Monde Enceladus-Dione aus ibren Längen abgeleitet und daraus Folgerungen über die Bahnelemente und Säkularbewegungen dieser Monde gezogen, die eine Verbesserung der aus den Babnbestimmungen früher erlangten Resultate ermög- lichen. Herr C instein legte eine Abhandlung vor: Hamtlton- \ches Prinzip und allgemetne Relativitätstheorie. Die Grundgeseße der allgemeinen Relativitätstheorie werden nah dem Vorgange von H: A. Loreny und D. - Hilbert in einem Varitations\agz vereinigt, und es wird dargetan, inwtlefern das Relativitätspostulat den Impulsenergiesayz bedingt.

In der an demselben Tage unter dem Vorsiß ihres Sekretars verrn Noethe abgehaltenen Sißung der vhilosopbis@-histort- hen Klasse sprach Herr Stumpf über Empfindung und Vorstellung beim Gesichtssinne. Der wesentlichste Unter- (A liegt, wie beim Gehör, in der Intensität der Er- scheinung. Die Stärke der Cette pinaanaes (zu unter- scheiden von threr Helligkeit) muß zunächst für die Ürfarben definiert werden, in die eine bestimmte Farbenersheinung, sei es ans{haulid, sei es nur gedankenmäßig, zerlegt werden kann. Der Ankfeil einer Urfarbe ist ihre Teilstärke. Die Stärke des Ganzen kann ‘infolge der endogenen Erregung niemals unter die des Augengrau herabsinken. Die unterhalb dieses Wertes liegenden Ne kennzeihnen die bloßen Vorstellungen. Im Vorstellungsgebiete wiederholen ih analoge Stärkeverbältnisse zwischen den Teilen. einer Farbenersheinung. Herr Diels überreichte eine Abhandlung Philodemos „Ueber die Götter". Drittes Bu. Erster Teil. Griechisher Text. Es