1819 / 86 p. 1 (Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Tue, 26 Oct 1819 18:00:01 GMT) scan diff

Frankreich wurden sie anfangs nach dem Gesetzbuche von 1791 durch den Generäl-Prokureur des Depar⸗ tements gewählt, späterhin durch die Friedensrichter, jetzt tar die Präfekten, in Gemäsheit des Codè d instruction criminelle. Der neuste Schriftsteller über diesen Gegenstaud, Herr le Graverend, Mai- tre des requétes, untersucht sämmtliche Arten, die Geschwornen zu wählen, und sagt in Bezug auf die⸗ jenige, die nach der gegenwärtigen Gesetzgebung statt— findet folgendes: „Gehören die Präfekten nicht we— sentlich der Macht an? oder vielmehr, müßen sie ihr nicht angehören? Ganz abgesehen von dem Einfluße, welchen die Anhänglichkeit an die Verfaßungs-Grund⸗ sätze oder die Abhängigkeit von Vorurtheilen, die Liebe zur Gerechtigkeit oder das Wohlgefallen an Ansehn, Ehrgeiz und Hoffnung höherer Gunst, oder Pflichtge— fühl und das Bedürfnis der öffentlichen Achtung mehr oder weniger auf ihre Verwaliung äusern wird: wür— den sie nicht an ihrer Stelle einen politischen Ver— rath begehen, würden sie sich nicht von der natürli— chen Linie, die ihnen gezogen ist entfernen, wenn sie nicht, mit mehr ober weniger eigenem Urtheil oder mit mehr oder weniger Unterwürfigkeit, den Eindrücken sich hingeben wollten, die sie von der Regierung em— pfangen? Und ist eine solche Stimmung, die man ohne Ungerechtigkeit nicht tadeln darf, nicht ein überall hinreichender Grund, den Gebrauch einer solchen Gewalt mit einigem Mißtrauen zu betrachten? nicht ein sehr erheblicher Grund, sie ihnen ganz zu entzie— hen? Man ist allgemein einverstanden, daß die schon gemachte Erfahrung keinesweges geeignet ist, sich noch auf eine neue einzulaßen; und wenn die Versuche in einer solchen Sache gefährlich sind, so darf man wol wünschen, daß man sie nicht fortsetze, daß man die— jenigen nicht erneuere, die schon unglücklich für uns gewesen sind und sehr bittere Gefühle nachgelaßen haben. Ich weiß wohl, daß die Veriheidiger der jetzt beste— henden Art die Geschwornen zu wählen, mit Recht für ihre Meinung anführen, in einer wohlgeordneten Staatsverwaltung müße jedes Rad der politischen Ma— schine das andre wechselseitig unterstützen; es sey un— gerecht, von der Vergangenheit auf das Zukünftige zu schließen; in dem Verhällniße, in welchem unsre In— stitutionen sich fester in ihr Fundament senken, und die öffentlichen Sitten sieh ausbilden, werden auch die gerügten Mißbräuche verschwinden; Preßfreiheit haben wir schon, man werde nun noch an die Stelle der jetzigen Departementsräthe solche seJzen, die von den Wahlversammlungen ernannt oder aus der Zahl der von ihnen bezeichneten Kandidaten berufen worden sind; man werde gleichzeitig ein neues Municipal⸗Systeem, statt des alten, einrichten und den Gemeinden die ihnen entzogenen Freiheiten zurückgeben; eine sehr leb— haft betriebene Reform werde den Mängeln abhelfen, an denen die jetzige Organisation der National-Garde kranke, und unter solchen Umständen könne ein Prä— fekt, wie er auch sonst gesinnt seyn möge, niemals wagen, bei der Anfertigung der Geschwornenlisten Par— theilichkeit oder auch nur sorglose Gleichgiltigkeit blicken zu laßen, weil er, wenn er hierin der ihm ob— liegenden . vergäße, seine moralische Verantwort⸗ lichkeit gefährden würde. Das glaube ich alles; ich glaube, daß die Preßfreiheit täglich viel Mißbräuche verhindere und ferner verhindern werke und daß die be⸗ merkten Reformen unsrer Einrichtungen auf den Geist der öffentlichen Verwaltung sehr wohlthätig einwirken werden. Aber ich muß bekennen, daß ich sehr wenig auf die moralische Verantwortlichkeit zähle. Ein edles, freies, rechtliches Gemüth, selbst ein ehrsüchtiges, wenn die Ehrsucht ein würdiges Ziel hat, kann eine Schranke darin finden; aber wir haben nur zu viel geschichtliche Beweise, daß diese Verantwortlichkeit in der Wirklich keit nichts oder soviel als nichts ist. Viele Leute ha— ben sich seit 30 Jahren dadurch täuschen laßen und traurige Erfahrungen gemacht. Auch in der Zukunft fürchte ich das Beispiel solcher schlimmen Erfolge; und wenn man doch das schöne Gebäude der Jury auf einem

sicherern Grunde zu errichten willens ist, so läßt sich

nicht einsehen, weshalb man auf die Dazwischenkunft der Präfekten bestehen sollte, um sich noch fernerhin dem Eigenwillen der Macht oder den Schwachheiten hinzuge⸗ ben, die von der menschlichen Natur unzertrennlich sind. Auf keinen Fall will ich die Anfertigung der Geschwor⸗ nenliste dem Zufalle überlaßen; ich will auf keinen Fall alle Franzosen, die im Genuße ihrer bürgerlichen Rechte sind, ohne Unterschied und nach dem Lese zu⸗ laßen, denn ich will eine Bürgschaft sowol für die Ge⸗ sellschaft, als für die Angeklagten, und zugleich eine! Bürgschaft für die Masse der Bürger, denen man eine so lästige Verpflichtung, als der Dienst der Ge— schwornen ist, nicht aufbürden kann, wenn sie sich nicht in einer unabhängigen Lage befinden und eine anstän— dige Wohlhabenheit gesetzlich nachweisen. Diese Bürg⸗ schaft finde ich vereint in den Wählern der Abgeordneten zur Kammer oder in den Steurpflichtigen, die unmit— tetbar auf diese folgen; und nur da find ich sie. Ich bin daher der Meinung, daß die Wähler die Ge— schwornen seyn sollen, daß alle Wähler, welche lesen und schreiben können und nicht unter Zo, nicht über 70 Jahr alt sind, den Dienst der Geschwornen ver⸗ richten müßen, und zwar ausschließlich wenn die Zahl der im Departement wohnhaften Wähler hinreicht, andernfalls gemeinschaftlich mit denjenigen Bewohnern, die nach ihnen den höchsten Steuersatz bezahlen.“ Der Versaßer antwortet hienächst den Geg— nern der Jury, welche sehr bedenklich finden, daß der Erste Beste, der ene Steuer von zoo Fr. bezahle und 30 Jahre zähle, über die Ehre, das Glück und das Leben seiner Mitbürger urtheilen solle. Er sagt: wenn die Geschwornen über verwickelte Rechtsfragen, welche die Kenntnis der posiriven Gesetze und eine voliständige Rechtswißenschaft voraussetzen, zu urthei— len hätten, würde es unstreitig lächerlich seyn, ein solches Geschäft allen Staatsbürgern ohne Unterschied anzuvertrauen. Aber darauf konimt es gar nicht an. Die Geschwornen sollen nur über die That selbst, nach ihrem Gewißen und ihrer Ueberzeugung sprechen. Die Mittel, sich diese gewißenhafte Uedeteugung zu ver— schaffen, gewährt ihnen die mündliche Ersrterung, eine Art von Drama, das unter ihren Augen roörgeht. Es läßt sich gar nicht leugnen, daß ein Mann, der mit gesunden Sinnen und gesundem Urtheile die Kennt— nis der Welt und des menschlichen Herzens verbin— det, ein vortrefflicher Geschworner seyn werde. Und nach der Erfahrung, vielleicht mehr bestrirren, ist es nicht minder wahr, daß im Allgemeinen die Geschäfts— leute, die Leute, denen es zur Gewohnheit geworden ist, das Für und Wider nach der Reihe zu eroͤrtern, die schlechtesten Geschwornen sind. Ich will aber diese letzte Behauptung, ohne alle Folgerungen, auf sich be— ruhen laßen; das Erste ist schon völlig gnügend.“ Herr le Graverend sucht nun zu beweisen, daß ein Mann über zo Jahren, der dem Staate zoo Fr. Steu⸗ ern bezahle, er möge sein Vermögen ererbt oder selbst erworben haben, soviel Erziehung erhalten und soviel Kenntnis der Welt und des menschlichen Herzens sich verschafft haben werde, um die Wahrheit von der Lüge unterscheiden, und mitten im Gange der Erörterung, das Geschichtliche des Prozeßes, die Aussagen der Zeu⸗ gen, das Leugnen der Angeklagten, und was bewie— sen, was nicht gehörig ausgemittelt worden, vollstän—⸗ dig einsehen zu kännen. Wenn ein solcher Mann noch zu lesen und zu schreiben verstehe, um die Protokolle, Zeugenverhöre u. dergl. nöthigenfalls selbst zu lesen, so sey ihm auch die Tüchtigkeit zum Amte eines Ge— schwornen nicht wohl abzusprechen, und es sey unge— reimt, wenn man sage, daß eine aus solchen Elemen— ten zusammengesetzte Jury ohne Wahl gebildet wor— den sey. Herr le Graverend scheint zwar etwas zu viel zu beweisen, da sich unter seinen Wählern gnug Subjekte finden werden, denen die Natur das Urtheil versagt hat, indeß glauben wir dennoch, daß dergleichen Ausnahmen die von ihm aufgestellte Regel nicht entkräften können. (Fortsetzung folgt.)

rr

konnt gemachte Verordnung vom 18. d. haben Se. Maj. der König das von der teutschen Bundesver— sammlung in ihrer Sitzung vom 20. Sept. d. J. auf S Jahre einstimmig verabredete Preßgesetz nicht allein pu-

Allgemeine

Prenußische Staats-Zeitung.

götes Stuck. Berlin, den 26sten Oktober 1819.

J. Amtliche Nachrichten.

Kronik des Tages.

Berlin, vom 2s. Oktober. Der Königl. Hof hat den 25. d. die Trauer auf 14 Tage angelegt, für J. K. H. die verwitwete Herzogin von Braun⸗

schweig, geborne Prinzeßin von Oranien. v. Buch, Schloßhauptmann.

Des Königs Majestät haben den bisherigen Regierungs-Kalkulator Weigelt zum Rechnungs—⸗ Rath der Regierung zu Koblenz zu ernennen und das Patent für denselben allerhöchstselbst zu vollzie⸗

hen geruhet.

Se. Königl. Majestät haben den bisherigen Regierungs- Asseßoe Täuber zu Frankfurt an der Oder zum Regierungs-Rath in Posen allergnädigst ernannt.

Se. Königl. Maje stät haben den bisherigen Oberlandesgerichts-Asseßor Schultz zu Köslin, zum Rathe bei dem Oberlandesgerichte zu Magdeburg zu ernennen geruhet.

Der Justizkommißarius Man tell bei dem Ober— landesgerichte zu Paderborn ist auch zum Notarius publicus in dem Departement dieses Kollegiums be— stellt worden.

Se. Majestät der König haben dem Schulleh⸗ ter Bokkard zu Roßow das allgemeine Ehrenzeichen zweiter Klaße zu verleihen geruhet⸗=

Dnrch eine besondre, in der Gesetzsammlung be—

bliciren, sondern auch, unter der Festsetzung daß die Cen⸗ sur nach gleichen Grundsätzen in der gesammten Mon⸗ archie behandelt werden solle, damit ein besondres Cen⸗ sur Edikt für die Dauer der im Bundesgesetze erwähn⸗

sammte Monarchie, und mit Aufhebung des älteren Censur-Ediktes vom 19. Decbr. 1788, so wie aller sich darauf beziehenden oder dasselbe erklärenden Edikte und Reskripte, auch der in den neuen oder wiedererworbe⸗ nen Provinzen das Censur-Wesen betreffenden frü⸗ heren Verordnungen, verbinden zu laßen geruhet. Durch eine zweite in derselben Art bekannt ge— machte Verordnung vom 18. d. haben Se. Maj. die übrigen zur Aufrechthaltung der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung im Bunde gefaßten Beschlüße der Bundesversammlung:

1) wegen einer provisorischen Exekutions⸗ Ordnung in Bezug auf den aten Artikel der Bundes-AUkte;

2) über die in Ansehung der Universitäten zu er— greifenden Maasregeln;

3) wegen Bestellung einer Central-Behörde zur nä—⸗ heren Untersuchung der in mehren Bundesstaaten entdeckten revolutionairen Umtriebe,

zur Befolgung in allen zum teutschen Bunde gehö— renden Provinzen publiciren zu laßen geruhet.

p.

Heute wird das 29ste Stuͤck der Allgemeinen Gesetze sammlung ausgegeben, welches enthält:

No. 561. Die allerhoͤchste Kabinetsordre vom 22. Sep— tember 1819, daß die Beguͤnstigung der unentgeltlichen Verleihung des Buͤrgerrechtes auch Nicht-Kombattan? ten und denen, welche bei alliirten Armeen die Kriege von 1863 mitgemacht haben, zu Theil werden soll;

No. 5 2. Die Erklaͤrung, wegen der zwischen der Koͤnigl. Preußischen und der Fuͤrstl. Hohenzollern-Hechingenschen Regierung verabredeten Freizugigkeit, in Betreff der zum teutschen Bunde nicht gehdrigen Preußischen Pro⸗ vinzen; vom 23. September d. J.

No. 563. Die Koͤnigl. Bekanntmachung vom 13. Oktober 1319, die Bundestags-Beschluͤße vom 20. September d. J. betreffend; und

No 564 Die Verordnung, wie die Censur der Oruck⸗ schriften nach dem Beschluße des teutschen Bundes vom 20. September d. J. auf fuͤnf Jahre einzurichten ist; vom 18. Oktober d. J.

Berlin, den 26. Oktober 1819.

ten 5 Jahre als künftig einzige Norm durch die ge—

Koͤnigl. Pr. Debit-Komtoir f. d. Allgem. Gesetzsammlung.

, r a