1819 / 101 p. 2 (Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Sat, 18 Dec 1819 18:00:01 GMT) scan diff

I. Zeitungs-Nachrichten.

Paris, vom 8. December. In der Sitzung der Kammer der Abgeordneten vom 6. d. brachte der Be⸗ richt⸗Erstatter die Bedenklichkeit zur Sprache, welche das dritte Büreau in Ansehung der Wahl des Generals Ta⸗ r ayre im Departement Un ter⸗Charente gefunden hatte. Die drei andern Abgeordneten wurden ehne Be⸗ denken zugelaßen. Bei der Wahl des General Tarayre schien dem Büreau ein Mangel in den Förmlichkeiten vorzuwalten. Der 14te Art. des Wahlgesetzes ordnet nämlich an, daß wenn die beiden ersten Stimmen⸗ Sammlungen kein hinreichendes Resultat gegeben ha⸗ ben, vielmehr eine dritte erfoderlich wird, eine Liste derjenigen Personen, welche bei der zweiten Ab stim⸗ mung die meisten Stimmen erhalten haben, und zwar in doppelt so viel Namen bestehend, als noch zu wählen sind, angefertigt werden müße. Die Stim⸗ men können nur auf die in dieser Liste enthaltenen Personen gerichtet werden.

Bei der zweiten Abstimmung, als nur noch Ei— ner zu wählen übrig blieb, hatten der General Ta⸗ rayre und Herr Mercier die meisten, doch nicht hinreichende Stimmen. Es mußte also eine dritte Stimmensammlung erfolgen. Bevor dieses zu Stande kam, erklärte Herr Mercier, die Wahl wenn sie auf ihn gerichtet werden sollte, schlechterdings ablehnen zu müßen; man beschloß also, an seine Stelle den Prä—⸗ sidenten v. Merville, der nach ihm die meisten Stimmen hatte, auf die Liste zu bringen. Es ward zwischen dem Herrn Tarahre und v. Mer ville gewählt und der erste erhielt die Mehrheit. Dieses Verfahren der Wahlversammlung fand das dritte Bü⸗ reau der Kammer votschriftwidrig und meinte, daß nicht Herr von Mer ville, sondern Herr Mercier auf die Liste hätte gebracht werden sollen. In der Kammer entstand hierüber großer Zwiespalt. Bei der Abstimmung standen die linke Seite, ein Theil der Mitte, und von der rechten Seite die Herrn v. Vil⸗ lale und Castelbajac für die Zulaßung des Ge— nerals Tarayre auf. Bei dem namentlichen Aufruf entschieden 117 Stimmen gegen g5 wider die Zu—⸗ laßung. Da der Bericht des Sten Büreau über die Wahlen des Isere-Departements in dieser Sitzung noch nicht erstattet werden konnte, schritt man zur Wahl der Kandidaten für den diesjährigen Vorsitz in der Kammer. Herr Laisné v. Villeveque unter dem Beitritte mehrer Mitglieder der linken Seite er— regte zwar einen Widerspruch gegen das Wahlgeschäft, weil das Reglement über den Geschäftgang in der Kammer vom 25. Jun. 1814 vetordne, daß etst nach vollendeter Verifikation der Vollmachten zur Anferti⸗ gung der Kandidaten-Liste füt die Präsibentenstelle geschritten werden solle; eine sehr überwiegende Mehr⸗ heit verwarf jedoch diesen Einwurf, nachdem zuvor von dem Berichterstatter über die Wahlen des Issre— Departements erklärt worden war, daß sich in Anse⸗ hung der Zulaßung dreier Abgeordneten dieses De⸗

partements, der Herrn Savoie: Rollin, Frangois und Sappey kein Anstand finde, der vielmehr nur wegen des vierten Gewählten (Grafen Gregoire) vorhanden sey, und nachdem die Versammlung sich für die Zulaßung jener drei Mitglieder sofort einmü⸗— thig entschieden hatte. Bei der Wahl der Kandida—⸗ ten für den Präsidentenstuhl vereinte in dieser Sitzung nur Herr Ravez die absolute Stimmenmehrheit. In der Sitzung vom 6. d. ward über die Wahlen des Isère-Departements durch den Staatsrath Be c⸗ quey Bericht erstattet. Versammlung wider den 42sten Artikel der Vers faßungs- Urkunde verstoßen habe, welcher besage „we⸗ nigstens die Hälfte der Abgeordneten muß aus den⸗ jenigen Wahlfähigen genommen werden, vie ihren po— litischen Wohnort im Departement haben.“ Dieser Unterschied zwischen dem wirklichen und politischen Wohnorte ist, wie der Berichterstatter kemerkte, im Jahre 1808 entstanden, indem damals bei Anfertigung der Listen der am höchsten besteuerten Einwohner feste gesetzt wurde, daß man befugt sey, die politischen Rechte in Einem der Departements, in welchem man erwiesenermaßen steuerpflichtig sey, auszuüben. Das Wahlgesetz sagt „der politische Wohnort jedes Fran⸗ zosen ist in dem Departement, wo er seinen wirkli⸗ chen Wohnort hat; doch kann er selbigen, auf jedes andere Departement übertragen, woselbst er direkte Steuern bezahlt, er muß aber solches 6 Monate vor dem Wahl⸗-Termine dem Präfekten seines gegen wõöõv⸗ tigen politischen Wohnortes, so wie dem Präfekten des Depattements, in welches er denselben übertragen will, ausdtücklich erklären.“ Das Isére-Departe— ment sollte 4 Abgeordnete wählen. Es wählte zuerst den Baron Savoie-Rollin, der unbestritten im Departement wohnt. Der zweite Gewählte, Graf Frangois, wohnt unbestritten in einem andern Dee partement. Der dritte, Herr Sappey, bewohnt seit 1818 ein Landgut im Seine- und Marne⸗Departe⸗ ment, er ist Maire und Mitglied eines Kreisrathes in demselben, er bezahlt seine persönliche und Mobi—

liensteuer daselbst, weil diese nur an dem wirklichen 1 . und eine ruhige Diskußion herzustellen. Auf das Ver⸗ Uungen des Herrn Lains und mit vielstimmigem Bei⸗

. falle sah sich der Präsident genöthigt, die Sitzung auf

Wohnorte, wo sich das Haupt Vermögen befindet, er⸗ hoben wird. Er hat aufgehört, diese Steuer an sei—⸗ nem bisherigen Wohnorte im Isere-Departement zu bezahlen, und er ist von der persönlichen und Mobi— liensteuer-Liste dieses früheren Wohnortes gelöscht. Die im Wahlgesetz vorgeschtiebene Erklärung an die beiden Präfekten hat er nicht gemacht, er kann folglich nicht meht als ein wahlfähiger Einwohner des Isere— Departements betrachtet werden, obwol er noch ein klei⸗ nes Grund Eigenthum in demselben besitzt. Die Wahl— Versammlung mußte daher gesetzlich die Wahl des aten Abgeordneten auf einen Wahlfähigen richten, der seinen politischen Wohnort im Departement hat, die Ernen⸗ nung des Herrn Gregoire ist hiernach nichtig. Unter diesen Umständen, fügte der Berichterstatter hinzu—

Er stellte dar, daß die Wahl⸗

WRVir dürfen vertrauen, daß die Wähler Frankreichs, . durch den lauten durchdringenden Schrei der Mei⸗ . nung gewarnt, in ihren Wahlen jederzeit die Würde . der Krone und dieses Nationalgefühl ehren werden, . welches den König so tief erfüllte, als er bei der Er— . öffnung dieser Sitzung die Beweise seiner Gnade zu vervielfältigen verhieß.

. geben wir uns enthalten dürfen, der näheren Erörte⸗ rung der Kammer eine weit erheblichere Frage zu un⸗

terwerfen; eine Frage, die seit dem Augenblicke dieser

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Ernennung alle Gemüther in Bewegung gesetzt hat,

ene Frage der öffentlichen Moral, an welche sich die

ö schmerzhaftesten Erinnerungen knüpfen, weil sie das Andenken der ruchlosen That erneuert, welche die Na⸗

tion am Fuße des Altares in jährlich wiederkehrender Trauer beweinen muß. Die Unregelmäßigkeit der

Wahl gestattet uns, die Erörterungen in Bezug auf die Persönlichkeit des Gewählten zu umgehen, und uns auf den Wunsch zu beschränken, daß die Kam— - mer niemals in den Fall gesetzt werden möge, über die vVersonen urtheilen und die Verhandlungen der Wahl—

Versammlungen einer Kritik unterwerfen zu müßen.

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Sollte es dem Partheigeiste dennoch glücken, die Unwißenheit zu täuschen, die

J Schwäche zu misbtauchen; sollte ihm noch einmal ein frevelhafter Triumph gelingen, so wird er an dieser Stäte unübersteigliche Schranken finden. Diese ge—

treue Kammer wird, wenn es seyn muß, gegen die Anschläge eines gemeinsamen Widersachers die Ehre des

Thrones, die Ehre des Volkes und die ihrige retten.“ Diese Rede ward mit allgemeinem Beifalle vernom— men. Die Mitte und die linke Seite riefen zur Ab⸗ I stimmung. Mehre Glieder der rechten Seite begehr⸗

ten das Wort. Herr Laine aus der Mitte der rech—⸗ ten Seite bestieg die RednerbÜühne. Die linke Seite und der linke Theil der Mitte setzten sich seinem Vor— trage mit Ungestüm entgegen. Von allen Seiten ver— längte man das Wort, und Keinem gelang es, sich Gehör zu verschaffen. Der Präsident bedeckte sich.

eidlich erhielt Herr Ravez das Wert, doch nur um

mu erklären, daß man doch die Diskußion nicht eher schließen könne, als bis sie angefangen. Weder ihm, noch dem Bericht-Erstatter, noch dem Minister Pa s⸗ zuier gelang es, den beispiellosen Tumult zu stillen

eine Stunde zu verschieben. Nach deren Ablauf hob

die Sitzung wieder an, aber mit ihr eine neue Bewe—

gung. Indeß gelangte Herr Lain endlich zum Worte.

. Seine Rede war dahin gerichtet, die Unwürdigkeit des Gewählten ju erweisen. Herr B. Constant erhielt nach ihm das Wort. Er glaubte die Versammlung aaufmerksam machen zu müßen, daß sie sich nut in Be— zug auf die Unförmlichkeit der Wahl entscheiden könne,

weil die Frage über die Unwürdigkeit den König selbst kompromittire, welcher einen anerkannten Königsmör⸗ der (Fouch é) zum Minister gewählt habe. Diese wenig angemeßene Rede schien ihren Zweck ganz zu

verfehlen. Die Herren Bourdonnaye, Manuel, Pasquier, Ca stelbajac u. a. sprachen für und gegen. Man konnte zu keinem Beschluße gelangen. Die Herren Becq uey und besonders Courvoisier suchten auseinanderzusetzen, daß die Frage über die Unwürdigkeit zu früh sey. Die Kammer könne nur ein unter ihr aufgenommenes Mitglied für unwürdig erklären, Herr Gregoire sey aber nicht aufgenom—⸗ men und könne wegen Unregelmäßigkeit der Wahl nicht aufgenommen werden. Herr Ravez trug end⸗ lich wiederholt an, blos über die Nicht- Zulaßung zu stimmen, ohne einen bestimmten Grund anzuführen Die rechte Seite und das Centrum traten bei. Die linke Seite widersprach. In der Versammlung und unter den Zuhörern entstand ein lauter Ruf: es lebe der König! Der Präsident ließ die Zuhörer zur Ord⸗ nung verweisen, nnd sagte: „Die Kammer erklärt, daß Herr Gregoire nicht zugelaßen werde.“ Man verlangte die Gegenprobe. Der Präsident foderte da⸗ her Diejenigen, welche die Zulaßung des Hrn. Gre⸗ goire verlangten auf, sich zu erheben. Die linke Seite rief: „Das ist nicht die Frage.“ Indeß blieb sie, bis auf Hin, Lambrechts, der sich einen Au— genblick erhob, unbeweglich auf ihren Sitzen.

In der Sitzung vom J. wurden die noch fehlen⸗ den A Kandidaten zur Präsidentenstelle gewählt, die Herren Courvoisier, Laine, Bellart und Sa⸗ voie Rollin.

Die Renten stehen 68 Fr. go Et.

Unsre Briese aus London gehn bis zum 5. d. und enthalten nichts Merkwürdiges.

Der Herjog von Richelieu ist seit einigen Ta— gen wieder hier.

Der General Graf Collaud, Pair von Frankreich, bekannt aus den ersten Jahren des Revolutionskrie⸗ ges, ist hieselbst, 6, Jahr alt, verstorben. Als ehe⸗ maliger Senateur gehörte er zu den Widersachern Bonapartes im Erhaltenden Senate.

Der König hat die Fabrikanten Herrn Terna uz und Oberkampf wegen ihrer Verdienste um das Manufakturwesen zu Baronen ernannt, anderen aus⸗ gezeichneten Fabrikanten ist der Orden der Ehrenle⸗ gion ertheilt. Herr Darcet, der seine chemischen Kenntniße mit großem Erfolg auf die Fabrikation an⸗ wendet, hat den Orden des h. Michael erhalten.

Das Ministetium des Inneren hat von der Ver⸗ muthung, daß eine inländische Ziegenart auch mit der Wolle der Thibetschen Ziegen versehen sey, Anlaß ge⸗ nommen, durch den Ackerbautath in den Departe⸗ ments nähere Untersuchungen anstellen zu laßen. Es sind Proben dieser Wolle, die man zur Verfertigung kostbarer Zeuche geeignet gefunden hat, aus einigen Departements bereits eingegangen. Der Moniteur bemerkt, man sey darüber einverstanden, daß die im Stalle gefütterten Ziegen wollreicher seyen, als die von der Weide. Der beigefügte Bericht aus dem Lot—⸗ Departement scheint aber das Gegentheil zu ent halten.