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und es wird daher nicht unangemessen seyn, von dem In— halte derselben einige naͤhere Mittheilungen zu machen. Nach⸗ dem der Verfasser von der Bestuͤrzung gesprochen, welche das Bekanntwerden der neuen Graͤnz⸗Bestimmung Griechen⸗ lands, durch die eine der wichtigsten Provinzen von dem neuen Reiche getrennt und dieses voͤllig gegen die Tuͤrken offen gelegt wird, in jenem Lande verursacht hat, faͤhrt der⸗ selbe in folgender Weise fort: „Ich spreche aus , denn als die Tuͤrken Missolunghi und Lepanto inne hatten, waren meine Truppen Herren von Vrachori und trieben die Tuͤrken aus Kravari und andern Provinzen heraus. Wir unterhielten unsere Verbindung mit der See mittelst des Berges Zigos und Krio Nero unfern der Muͤndung des
Fidaris. Vrachori war durch die starke Position des Klosters
Vlochos gedeckt, welches, durch den patriotischen Staiko ver— theidigt, allen Versuchen der Tuͤrken, es wieder zu nehmen, Trotz bot. Soll dieser Posten nun eine Citadelle fuͤr die Tuͤrken werden, waͤhrend die fruchtbaren mit Fourage bedeck— ten Ebenen demnach das Hauptquartier ihrer zahlreichen Ka— vallerie werden? Noch eine andere wichtige Stellung an dem linken Ufer des Aspropotamos wird eine zweite Citadelle fuͤr die Tuͤrken bilden, von wo aus ihr Vorrücken bis Ana— toliko kein Hinderniß faͤnde, als durch die eingebildete Schwie— rigkeit, diesen Fluß zu passiren. Ich meine hiermit die Stel— lung von Likovizza, und sogar die kleine Insel in dem See von Lezini, welches jederzeit der Kriegsmacht Reschid Pa— scha's Ei bot, muͤßte jetzt den Tuͤrken weichen. — Wenn die angenommene Graͤnzlinie Griechenland gegeben wird, so
hat es jenseits des Golfs von Lepanto keinen einzigen Hafen,
da Missolunghi keinen Hafen besitzt (es hat nur eine Anker— stelle)R, und die Hafen von Dioni, Dragomestre, Mitika und andere jenseits des Aspropotamos oder Achelous liegen. Kann Jemand behaupten, daß der letztere eine haltbare Graͤnze bilde? — ein Fluß, der acht Monate lang im Jahr fast an allen Stellen durchwatet werden kann? Griechenland, indem es ein unabhaͤngiger Staat wird, soll, wie man annimmt, eine wachsame Polizei auf seinen Graͤnzen halten, um sich und Europa vor der Pest zu bewahren, wenn diese furcht— bare Krankheit wieder in Rumelien ausbrechen sollte. Mit der imaginairen Graͤnze wird das unmoͤglich werden. Ich bestrebe mich, die Nachtheile der Gränze, womit Griechen— land sich begnuͤgen soll, kaltbluͤtig auseinanderzusetzen; — waͤhrend, ich gestehe es, die Aufregung meiner Gefuͤhle, aus der Ueberzeugung von dem Elende hervorgehend, welches dem Lande dadurch vermacht wird, wenn man auf dieser Linie besteht, mir kaum die Feder zu halten erlaubt. Durch das Protokoll vom 22. Maͤrz in ungluͤckliche Sicherheit ge— wiegt, war bei den Griechen nur eine Stimme der Dankbar— keit gegen die verbuͤndeten Maͤchte, und sie hatten in der Voraussetzung die erfreuliche Aussicht vor sich, ein unabhaͤn— giges Land zu werden, daß die Linie von Volo nach Arta, oder (eigentlicher gesprochen) die von der einen Seite durch die Thermopylen und von der anderen durch den Macrin Oros geschuͤtzte Graͤnze ihre Graͤnze werden wuͤrde. Dieses * die einzige Linie, die nicht allein als militairische Graͤnze
icherheit gewaͤhrt (ich spreche aus Erfahrung), sondern auch diejenige, welche den neuen Staat in den Stand setzen wird, alle verbotene Communication zwischen Griechen und Tuͤrken 8 verhindern. Diese Linie und weit hinter derselben die
ezirke von Agrapha und die Provinz Aspropotamos sind in dem friedlichen Besitze der Griechen, und ehe ich das La— ger von Macrin Oros verließ, hatten wir dessen Paͤsse an den Heerstraßen, die von Trikala, Arta, Prevesa und Joan—⸗ nina nach Vonizza, Missolunghi, Salona und Livadien u. s. w. fuͤhren, befestigt. Die linke Seite dieser Linie wird un⸗ fern Koprena von dem Meerbusen von Arta bespuͤlt, und das naͤchste Tuͤrkische Lager von einem vorgeruͤckten Po— sten war Kombati, eine Stunde seitwaͤrts von Arta entfernt. Diese Linie wird durch das Kastell von Karvassara ver— staͤrkt, die naͤchste feste Stellung laͤngs dem Golf ist die— jenige der Festung Vonizza, und auf der Spitze, Namens Punta, Prevesa gerade gegenuͤber (dem Vorgebirge von Ae— tium), werden die Paͤsse durch Redouten vertheidigt, die zu diesem Zwecke von den Griechischen Truppen erbaut wurden. Das ist die Graͤnzlinie, welche Griechenland jetzt inne hat, und ich zweifle, ob die Tuͤrken selbst wuͤnschen, innerhalb dieser Linie zu kommen, denn sie waren in der Wirklichkeit niemals . Akarnaniens. Sie haben ein Sprichwort: „Ganz Rumelien fuͤr die Tuͤrken, aber Karlili — nicht.“ Dies Akarnanien aber . uͤberdies das Land, aus welchem Griechenland sein Bauholy zu , , beziehen muß. — Mit einem Wort, jeder Militair, welcher Griechenland und die letzten Kriegsereignisse kennt, weiß, daß die Haupt— punkte, von welchen aus die Taͤrken stets gegen Grlechen⸗
land operirten, Volo und Zeituni gegen Ost⸗, und Arta und Carvassara gegen Westgriechenland gewesen sind, und daß die
Griechen nie die Thermopylen halten konnten, wenn die Tuͤr—
ken Herren von Macrin-Oros waren, zu welchem Karvas⸗— sara der Schluͤssel ist.“ ,
Die Abhandlung schließt mit folgenden Worten: „Nicht nur jeder Gebirgspaß und jeder uneinnehmbare Posten, son—
dern auch jede Ebene, welche Fourage fuͤr die Kavallerie
hervorbringt, und jeder fuͤr den Krieg oder den Handel passende Seehafen wird dem Feinde Griechenlands in die Haͤnde gegeben, keine Scheidewand ist zwischen diesem Lande und der furchtbaren Kriegsmacht gelassen, welche in wenigen Tagen so leicht von einem Rumeli Valessy, oder sogar von jedem unruhigen und unternehmendeu Pascha, welcher aus Er—
oberungslust oder Raubsucht und durch die Leichtigkeit der
Operationen in Versuchung gefuͤhrt, das Land so leicht bis Colonna uͤberziehen koͤnnte — und das vielleicht ohne Erlaubniß oder sogar nicht einmal mit dem Vorwissen des Sultans. Ungluͤckliches Griechenland, wenn es so in diesem schutzlosen Zustande als ein schoͤnes, zum Opfern bereites Schlachtopfer betrachtet werden muß; nicht kann sein Fuͤrst sicher, ehrenvoll und zu dessen Gluͤcke das Land regieren, wenn er gezwungen ist, dessen schoͤnste Provinzen, dessen tapferste Vertheidiger und seine alleinigen natuͤrlichen und haltbaren Graͤnzen abzu— treten — Provinzen zumal, welche Griechenland das sind, was Kent oder Sussex fuͤr England ist. Schließlich will ich
nur noch beifuͤgen, daß die Erinnerung frisch in meinem Ge⸗
daͤchtniß aufbewahrt ist, daß mir durch die Gnade der Vor— sehung das Loos fiel, mit dem hochherzigen Beistande der Einwohner diesen Gegenden Befreiung von dem Tuͤrkischen
Joche zu verschaffen; Griechenland durch die heroischen An⸗
strengungen derselben Maͤnner sein glorreiches Missolunghi zuruͤckzugeben; Augenzeuge ihrer Freude bei der Erloͤsung aus der Gefangenschaft gewesen zu seyn; dem gluͤcklichen Wieder— sehen von Weibern und Kindern, die ihren Vaͤtern, ihren Maͤnnern, ihren Bruͤdern und ihrer Heimath nach neunjaͤh— rigen Verheerungen wiedergeschenkt wurden, beigewohnt zu haben; die dem Allmaͤchtigen dargebotenen feigrlichen und herzlichen Dankgehete mit angehoͤrt, und mit angesehen zu haben, wie die stolzen Albaneser, als sie das Land verließen,
in welchem sie im redlichen Kampfe uͤberwunden worden,
das Brod ihrer Sieger theilten, sie dankbar fuͤr die empfan⸗ gene gute Behandlung umarmten und erklärten, daß die Griechen ein Recht hätten, das Land zu besitzen, welches sie in so redlichem Kampfe gewonnen. Gebe der Himmel, daß in dem Geschicke der Bewohner dieser jetzt so gluͤcklichen
Provinzen keine unheilschwangre Veraͤnderung eintreten
moͤge, und daß die großmuͤthigen Maͤchte, welchen Griechen⸗ land Hereits so viel Dankbarkeit schuldig ist, dadurch noch groͤßere Verpflichtungen auflegen mogen, daß sie ihm die Gränzen lassen, welche es jetzt inne hat — die einzigen, welche ihm die Aussicht lassen, seine politische Existenz zu er— halten und seine National⸗Unabhaͤngigkeit zu vertheidigen.“
Inland.
Berlin, 9. Juni. Am 1sten d. M. wurde in An— klam das ö5Gjaͤhrige Dienst-Jubilaͤum des dortigen Post— Direktors Tschepius gefeiert, — eines Beamten, der sich in allen Verhaͤltnissen Vertrauen, Liebe und Achtung erworben, und der seine echt patriotischen Gesinnungen auf nachah⸗ mungswuͤrdige Weise dadurch bethaͤtigt hat, daß er zu einer Zeit, wo es galt, keinen Anstand nahm, der Treue und Liebe fuͤr Koͤnig und Vaterland, Amt, Vermoͤgen und per— soͤnliche Freiheit zum Opfer zu bringen, wodurch er die Huld und Gnade Sr. . auf sich gelenkt hat, Allerhoͤchst⸗ welche ihm am Tage seiner Jubelfeier einen Beweis davon durch die Verleihung des Rothen Adler-Ordens Zter Klasse zu ertheilen geruhet. — Seine Amtsgenossen in der Umge⸗ gend, so wie die Bewohner Anklams, beeiferten sich, dem Jubel⸗Greise die herzlichste Theilnahme zu erkennen zu geben. Der Wohlthaͤtigkeits- Sinn des Letzteren machte diesen ihm
so wichtigen Tag zugleich zu einem Feste fuͤr die Armen
Anklams. . — Folgendes ist der gestern vorbehaltene Bericht des
Hallischen Couriers uͤber das am Zten, Aten und 5ten in ö. stattgehabte fuͤnfte Musikfest der Elbstädte: „Seit onaten hatten die Herren Geheimen Justiz⸗ rath Dr. Muͤhlenbruch und Buͤrgermeister Dr. Mellin die noͤthigen Vorkehrungen zu diesem Feste mit 29 und Ein⸗ sicht betrieben, und ihren Bemuͤhungen vorne
wir das Gelingen einer Halle ehrenden Unternehmung und einen ausgezeichneten Kunstgenuß zu verdanken. Das ganze
mitwirkende Kunstlerpersonal betrug an 500 Personen und
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wurde nicht blos aus unsern einheimischen zahlreichen Dilet⸗ tanten und Saͤnger-Chsren, sondern auch durch den Dilet—
tanten⸗Saͤngerverein und eine Anzahl Thomasschuͤler aus
Leipzig, den e, ehe. aus Merseburg, durch die Herzogl. Dessauische Kapelle, viele Mitglieder der Kapelle zu Dresden, und die Orchester von Leipzig, Magdeburg und vielen ande— ren Orten gebildet. Wie bisher, stand auch diesmal der ver—
diente Friedr. Schneider an der Spitze des Ganzen, dem die
persönliche Gegenwart beruͤhmter Meister und die Leistungen gefeierter Virtuosen einen besondern Glanz verliehen. Die Musik-Auffuͤhrungen selbst fanden am ersten und zweiten Tage in der Hauptkirche zu U. L. Fr. statt, wo das große, vom Orgel⸗Chor herabgebaute, sehr zweckmaͤßig eingerichtete und dekorirte, dichtbesetzte Orchester einen schoͤnen Anblick ge— waͤhrte. — Eroͤffnet wurde das Fest am 3. Juni Nachmittags mit Mozarts herrlicher Symphonie aus G moll, deren sicher beherrschte Tonmassen durch das Feuer und die Praͤzision der Ausfuͤhrung einen tiefen Eindruck hervorbrachten. Hierauf folgte ein großes eigens fuͤr das Fest komponirtes Orato— rium, David, vom Hrn. Musikdirektor Bernhard Klein, der sich in dieser Gattung der musikalischen Composition bereits einen großen Namen erworben hat. Auch sein David, ge— dichtet vom Hrn. Geh. Ober⸗-Regierungsrath Koͤrner zu Ber— lin, ist eine großartige, durchaus geniale Schoͤpfung, welche durch ihre meistens ergreifenden Ehoͤre, seelenvollen Reeita— tive und Arien und die Wirkung des Ganzen den Hoͤrern unvergeßlich bleiben wird. Die Solopartieen wurden von den Demoiselles Gehse und Grabau aus Leipzig, Mad. Tuͤrr⸗ schmidt, Herren Mantius und Reichardt aus Berlin und Herrn Nauenburg aus Halle trefflich ausgefuͤhrt. — Am zweiten Tage (Vormittags) wurde eine Ouverture von Gluck und Beethovens beruͤhmte Symphonie aus D dur mit einer Meisterschaft gegeben, wie man sie von einem solchen Orche— ster erwarten konnte. Zwischendurch bewunderte man in ein— zelnen Concertsaͤtzen die Virtuositaͤt des Koͤnigl. Säͤchs. Kam— mermusikus Hrn. Dietze aus Dresden auf der Oboe, der Herren Dotzauer aus Dresden und Drechsler aus Dessau auf dem Violoncell, des Hrn. Queißer aus Leipzig auf der Baß— Posaune, und den schoͤnen Gesang der Dlle. Grabau in einer Sopran, Arie. Von großer Wirkung war ein Psalm von Klopstock, eigens fuͤr das Fest componirt von dem Königl. Saͤchs. Kapellmeister Hrn. Reißiger aus Dresden, der unter des Komponisten eben so feuriger als besonnener Leitung maͤchtig dahinrauschte. Mit dem Schlußchor aus dem Ora— torium: Christus der Meister, von Friedr. Schneider, wurde die Feier dieses Tages beschlossen. — Am dritten Tage fand die Musikauffuͤhrung Nachmittags im großen Versammlungs— Saale der Frankischen Stiftungen statt. Hier wurde zuerst unsers großen Landsmanns Händel Alexanders Fest unter Schneider's Leitung mit aller der Kraft und Waͤrme gegeben, welche das unsterbliche Werk in sich schließt und einfloͤßt. Nachdem hierauf Hr. Concertmeister Lindner aus Dessau ein von ihm komponirtes Violinsolo, Dlle. Gehse eine große Arie von Mercadante, und Hr. Grieshammer aus Leipzig Variationen auf der Pedalharfe vorgetragen, machte eine fuͤr das Fest komponirte, mit Anklaͤngen akademischer Lieder durchwebte, Ouverture von Schneider den wuͤrdigen Beschluß. — Mittags und Abends speiste das gesammte Kuͤnstlerperso— nal, welchem viele Einheimische und Fremde sich anschlossen, in den großen Saͤlen des Lokales der vereinigten Berg-Ge— sellschaft. Hier herrschte jedesmal der reinste Frohsinn, wel⸗ cher durch passende, geistreiche Toasts und muntere Lieder an— genehm belebt wurde. Die allgemeinste Theilnahme wurde gleich am ersten Tage rege bei der mit den sinnigsten Worten egleiteten Aufstellung eines lithographirten, sprechend ähnli⸗ chen Bildnisses Friedr. Schneider 's, und sie sprach sich am folgenden eben so laut und herzlich aus, als man erfuhr, daß die philosophische Fakultaͤt der hiesigen Universitaͤt dem verdienten Meister das Ehrendiplom eines Doktors der Musik uͤbersandt hatte. Auch die Studirenden bezeigten demselben Am dritten Abend des Festes durch eine Nachtmusik und ein Vivat ihre Hochachtung und Dankbarkeit. Uebrigens wurde
das Fest vom schoͤnsten Wetter beguͤnstigt, welches die zahl,
reichen Gaͤste, die sich von nah und fern auch als Hoͤrer ein⸗ gefunden 2 und unsere Gasthaͤuser uͤberfuͤllten, zu ange—⸗ nehmen Excursionen veranlaßte! Die The amn des hie⸗
sigen Publikums war unverkennbar? mit besonberem Danke
muß noch bemerkt werden, daß sehr viele unserer geachteten
Mitbuͤrger fremde Kunstler in nommen und eher del t e, win Haͤusern gastfrei aufge⸗
Wissenschaftliche Nachrichten.
Die Philosophie in Frankreich wahrend des neunzehnten Jahrhunderts. . . 6 ir kommen zur theologischen Schule. Der Graf Jo seph de Maistre (geboren 1753, gestorben 1821) 1 in dem philosophischen Theile seiner Werke die Absicht, die Wege der Vorsehung bei Regierung der Welt zu erklaren
und zu rechtfertigen. Er erforscht den wahren Zustand des
Menschen auf Erden, die Ursachen seiner Lage, die Mittel sie zu veraͤndern und zu verbessern, und die Verhaͤltnisse, welche ihn mit Gott in Verbindung stellen. Die Klage der Menschen uͤber ihre Schicksale ist ungegruͤndet, der Gerechte leidet keinesweges mehr als der Ungerechte, und wenn er nicht ganz gegen Unfaͤlle gesichert ist, so sind diese eine ver— diente Bußung fuͤr die allgemeine Schuld, welche durch die Erbsuͤnde uͤber alle Menschen gekommen ist. Um diese Leiden und Strafen zu mildern und abzukuͤrzen, giebt es zwei Mittel: das Gebet und die loskaufende Befreiung (réversipisité). Vermoͤge der letzten uͤbernimmt der Unschuldige die Stelle des Schuldigen, zahlt fuͤr ihn aus seinem Reichthume, buͤßt seine Vergehen und errettet mit himmlischer Liebe eine ver— brecherische Seele. Eine solche Lehre ist tröstlich fuͤr die Gu— ten, wie fuͤr die Boͤsen; jenen gewaͤhrt sie die Gunst, vor Gott Vertheidiger und Erretter ihrer Bruͤder zu feyn; diese bewahren dadurch bis ans Ende die Hoffnung der Verzeihung und die Sehnsucht nach dem Guten. — Gegen diese Lehre ist in Frankreich eingewandt worden: sie will die Erscheinun— gen durch die Lehre von der Erbsuͤnde erklaren, das heißt: durch ein unerklaͤrliches und unbegreifliches Geheimniß; ein Verfahren, welches auf dem Boden des Glaubens genügen mag, aber gewiß nicht philosophisch oder wissenschaftlich ge— nannt werden kann. Dazu kommt, daß dem Grafen de Maistre die goͤttliche Welt-Regierung nur hart und strenge, nicht als eine Fuͤhrung der Guͤte und Barmherzigkeit, er— scheint, und er auch alle weltliche Herrschaft nur in so fern schaͤtzt, als sie zum Strafen stark und bereit ist. Wir sollen aber die Uebel dieser Welt keinesweges ausschließlich wie Strafen betrachten; sie sind eben so oft Warnungen, Lehren, Begnadigungen. Kaͤmen alle Leiden lediglich von Gott als verdiente Strafen, so fragt sich, ob ein religioͤser Sinn sie nicht demuͤthig annehmen muͤßte, ohne irgend etwas dagegen zu thun, ob die Bitte nicht Aufruhr wird, und die Ueber— nahme oder das Auflegen einer freinden Schuld den hoͤheren Weltrichter als grausam und ungerecht darstellt? Lemaistre vergißt, daß zwischen dem Morgen- und Abenbgebete ein Tag
der Arbeit und Thaͤtigkeit liegen soll, und daß wir unablaͤssig
danach streben muͤssen, ohne Verlaß auf Andere, selbst gerecht zu werden und unsere Schulden abzutragen. Jene Geheim- nisse von der Erbsuͤnde, dem Gebete, dem Loskaufe, können wohl auffallen, imponiren, aber es mangelt ihnen wissenschaft— liche Evidenz; sie fuͤhren unzeitig zu einem ascetischen, aber— glaͤubigen und muͤßigen Leben, unterwerfen einem kirchlichen Joche, verwandeln die Geistlichen in herrschende Priester und stellen den Papst dar als höͤchsten, unfehlbaren, unum—¶ schraͤnkten Herrn der Voͤlker und der Könige—
Lamennais (geb. 1780) kommt auf verschiedenem Wege zu aͤhnlichen Ergebnissen. (Siehe sein Werk: sur Findiffè- rence en matisre de religion.) Ihm ist der Mensch ein vernuͤnftiges Wesen, aber so ungluͤcklich organisirt, daß er, mit Huͤlfe der Sinne, Empfindung und Vernunft, doch nir— gends die Wahrheit erkennen kann, sondern uͤberall nur Zwei— fel, Tauschung und Irrthum findet. Durch sich selbst wird er weder zum Glauben, noch zur Wissenschaft gelangen; es giebt nichts Wahres, Wesenhaftes in ihm oder außer ihm, und er sollte nicht einmal an sein eigenes Daseyn glauben, wenn er dafuͤr keine anderen Zeugnisse hat, als sein eigenes Gefuͤhl und sein eigenes Bewußtseyn. Aus dieser Noth kann nichts erretten, als die Autoritaͤt. Diese ea. Zeugniß von mehr oder weniger Personen, deren Aussage Glauben verdient; es ist das Recht, welches diesen Personen zusteht, daß man ihnen uͤber Thatsachen Glauben beimesse, die sie wahrhaft bezeugen. Die Autorität faßt also in sich eine Thatsache, Zeug ie fuͤr die Thatsache und Glaubwuͤrdigkeit der Zeugen. hne Au⸗ toritaͤt sind alle unsere Urtheile zweifelhaft oder irrig; sie ist die . Regel derselben, und wir haben nichts zu thun, als die Entscheidungen der Wissenden, der Autorität zu ver nehmen und uns ihnen zu unterwerfen. — Wenn nun aber allen Einzelnen, als solchen, die rheit verborgen und un⸗ zugaͤnglich ist, woher kommen denn nun die Wissen den, welche
Siehe Nr. 14 und Nr. 156 der Staatt-Zeitung.