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Vereidigung mehrerer Deputirten, die wegen Unzulaͤnglichkeit der von ihnen beigebrachten Certifikate vorlaufig noch zuruͤckgewie⸗ en worden waren. Sodann wurden die Berathungen uͤber den 3. des Hrn. Bavoux wieder aufgenommen Herr Le⸗ vSéque de Pouilly verlangte, daß man das Porto fuͤr die Zeitungen ganz eingehen lasse, wogegen Herr Odier eine bloße Ermäßigung desselben fuͤr um so unzulaͤssiger hielt, als sich in den Einkuͤnften der Post fuͤr das laufende Jahr ohnehin ein Aus fall von , 200, 000 Fr. ergebe, der durch die neue Organisirung des Postwesens herbeigefuͤhrt worden sey. Der Graf v. d aborde gab seine Verwunderung zu erkennen, daß keiner der Minister im Laufe der Diskussion das Wort ergreife. Auf die Frage des Grafen von Noailles, wie stark der Aus fall seyn wuͤrde, wenn man das Postporto auf 2 Cent. verminderte, erwie— derte der Berichterstatter, Herr André, daß die Summe sich etwa auf 660,000 Fr. belaufen moͤchte. Herr Viennet bemerkte, daß, so wie die Sachen jetzt staͤnden, ein Zeitungs⸗ schreiber immer von einem heiligen Schrecken befallen würde, wenn sich ein neuer Abonnent bei ihm meldete. Die Ver⸗ sammlung schien dieser Versicherung keinen besonderen Glau⸗ ben zu schenken, obgleich Herr Viennet sie darauf stuͤtzte, daß das bisherige Haupt-Einkommen der Journale, naͤmlich die Insertions-Gebuͤhren fuͤr Prioat⸗Annoncen, durch die Oeffentlichkeit der Debatten der Pairs-Kammer bedeutend ge— schmaͤlert wuͤrde. Der obige Antrag des Herrn Bavoux wurde daher auch, als jetzt daruͤber abgestimmt wurde, mit großer Stimmen-Mehrheit verworfen. Nicht besser erging es einer Proposition des Herrn Viennet, das Porto von 5 auf 3 Centimen zu reduziren. Derselbe Deputiete trat hier⸗ auf mit dem Antrage auf eine Ermaͤßigung von 5 auf 4 Cent. hervor. Dieser wurde endlich angenommen. Herr Madier de Montjau entwickelte hierauf einen Zusatz— lrtikel sol⸗ genden Inhalts: „Die Stempel, und Post⸗Gebuͤhren fuͤr die in den Departements, mit Ausnahme derer der Seine und der Seine und Oise, erscheinenden Zeitungen und pe— riodischen Schriften sollen in Staͤdten von mehr als 50, 00 Einwohnern um die Haͤlfte, und in Staͤdten von weniger als 50,000 Etnwohnern um drei Viertel ermaͤ—
ßigt werden.“ Der Finanz-Minister fand sich dadurch „Die Kammer wird
zu folgenden Bemerkungen veranlaßt: 9 wi leicht einsehen, wie schwer es haͤlt, ein solches Finanz⸗Gesetz
seichsam zu improvisiren. Ich habe mich bereits gestern d,. hens der Regierung ausgesprochen. Gewiß wird Niemand uns in dem Verdacht haben, daß wir keine Freunde der Preßfreiheit waͤren. Es handelt sich hier aber von einer finanziellen Frage. Ohne Zweifel wird man bei Gelegenheit des Budgets zwei Dinge von uns verlangen, die groͤßmoͤglichste Ersparniß in den Aus gaben, und die Angabe ber Mittel, um diefe Ausgaben zu bestrteiten. In Lieser Be— ziehung wiederhole ich aber, daß die Lage des Schatzes mir, in dem Interesse der Preßfreiheit selbst, keine sofortige Ver⸗ minderung der Einnahmen zu gestatten scheint. Das Bud— get wird Ihnen unverzuͤglich vorgelegt werden; alsdann köͤn⸗ nen Sie mit voller Sachkenntniß entscheiden.! Hr. Madier de Montjau nahm hierauf sein Amendement zuruck. Herr v. Tracy verlangte, daß die uͤberseeischen Zeitungen nicht wie Briefe, sondern nach dem fuͤr die inlaͤndischen Zeitungen bestehenden hoͤchsten Satze taxirt wuͤrden, indem bei der jekzi⸗ gen Einrichtung das Porto oftmals so hoch sey, daß die Em— pfaͤnger es vorzoͤgen, ihre Pakete gar nicht von der Post ab— holen zu lassen. Herr von Salvvandy schloß sich die⸗ fem Antrage an und schlug zugleich vor, eine solche Ver⸗ uͤnstigung auch den in fremden Sprachen erscheinenden — zu Theil werden zu lassen. Beide Vorschlaͤge wurden angenommen. Jetzt kam die Reihe an das (bereits gestern erwähnte) Amendement des Herrn Isambert. Dasselbe lau⸗ tet also: „Jedem Geschaͤftsfuͤhrer einer Zeitung oder politi⸗ schen Schrift, so wie allen Andern, ist, unter Androhung der im Artikel 290 des Strafgesetzbuchs enthaltenen Strafen, so wie uͤberdies . einer g . 6 ö , e Strafen gleichzeitig oder einzeln auferlegt werden können — , ,. nee, die Erlaubniß der polizeilichen Behoͤrde An— kuͤndigungen auf oͤffentlicher Straße anzuschlagen oder an— schlagen zu lassen, . oder ausrufen zu lassen.“ Nach⸗ dem Herr Jfambert diesen Antrag naher entwickelt hatte, 4außerte der Minister des Innern sich daruͤber in folgender Weise: „Da ich unter meiner Verantwortlichkeit mit der Polizei des Landes beauftragt bin, so ist meine er ste Sorge gewesen, mich mit der Frage zu beschäͤftigen, die so eben hier zur Sprache gebracht wird. Ich habe mehrere General⸗Pro⸗
kuratoren zu Rathe gezogen, um mich von den zur Aufr ech t⸗
haltung der Gesetze mir zu Gebote stehenden Mitteln gehörig zu unterrichten, und diese Mittel gedachte ich demnächst zum
Besten der Preßfreiheit anzuwenden, um sie von Allem zu
saͤubern, wodurch sie in den Augen des Publikums besudelt werden koͤnnte. Aus den desfallsigen Konferenzen hat sich indeß ergeben, daß hinsichtlich unsrer Gesetzgebung uͤber die Anschlag— zettel und die oͤffentlichen Ausrufer in der That große Mei⸗ nungs⸗Verschiedenheiten herrschen. Die Regierung fuͤhlt daher auch vollkommen die Nothwendigkeit, eine gesetzliche Maaßregel in dieser Beziehung zu ergreifen; doch glaubt sie, daß eine solche mit dem vorliegenden Gegenstande durchaus nichts ge⸗ mein habe. Sie ersucht also den vorigen Redner, eine be— sonders Proposition dieserhalb zu machen; wo nicht, so wird sie selbst damit hervortreten.“ Nachdem hierauf Herr Isam— bert seinen obigen Antrag zuruͤckgenommen hatte, trat Herr Benjamin Eonstant mit dem Vorschlage hervor, den ueuen Zeitungen zur Cautions-Leistung eine zweimonatliche Frist zu gestatten. „Ich trete“, aͤußerte er unter Anderm, „zur Vertheidigung einer Sache auf, die sich, wie mir scheint, eben keiner besonderen Gunst zu erfreuen hat. Ein gewandter Redner (Hr. Guizot) hat gestern einen Unterschied zwischen den alten und neuen Zeitungen gemacht und von den einen wenig Gutes, von den andern aber viel Schlechtes gesagt. Daß die letzteren zuweilen uͤbertreiben, mag ich nicht in Abrede stellen, doch bin ich der Meinung, daß sich unter gewissen Umstaͤnden auch wohl eine Entschuldigung dafuͤr auffinden läßt. Die neuen Journale sind aus dem Schooße der Re⸗ volution des Monats Juli hervorgegangen; sie sprachen sofort unverholen ihre Freude und Hoffnung aus, und wenn auch jene auf unanwendbaren Theorieen beruhte, diese aber die Graͤnzen der Moͤglichkeit uͤberschritt, so waren beide doch unschuldig. Nichts⸗ destoweniger zeigte sich sofort ein unerklaͤrliches Mißtrauen ge⸗ gen jene Blaͤtter, nicht bloß gegen die Grundsaͤtze derselben, son⸗ dern auch gegen die Manner, deren Organe sie waren. Ue⸗ berall hoͤrte man die seltsamen Worte: Die Zeiten der Scho⸗ nung sind voruͤber. Gleichsam als ob es sich darum handelte, unfolgsame Kinder zum Gehorsam zuruͤckzubringen. Andrer⸗ seits sahen jene Zeitungen eine Menge von Feinden unsrer Revolution im Amte bleiben; mit einem Worte, sie befanden sich gleichsam in der Lage eines Armee-Corps, das, in einer Festüng eingeschlossen, einen muthigen Ausfall wagt, nach errungenem Siege aber die Thore derselben Stadt, die es gerettet, hinter sich verschließen sieht. Man hat es den mehrerwaähnten Blaͤttern auch zum Vorwurfe gemacht, daß sie die Volks-Klubs vertheidigt haben. Ich meinerseins halte bergleichen Klubs fuͤr uͤberfluͤssig und nachtheilig, sobald die Presse frei ist; die neuen Zeitungen haben indeß leicht durch die Betrachtung irre gefuͤhrt werden koͤnnen, daß einer der vorigen Minister (Herr Guizoöt) bei den vorletzten Wahlen selbst Praͤsident der Gesellschaft; „Hilf dir, so wird der Himmel dir helfen!“ war. Ihr Irrthum ist daher wohl verzeihlich; daß sie aber auf den Umsturz der bestehenden Orönung' nicht hinarbeiten, geht schon daraus hervor, daß sie seit dem Antritt der neuen Minister auch neues Ver⸗ trauen fassen und neue Hoffnung schoͤpfen. Ich verlange, daß man ihnen zur Cautions⸗ Leistung eine angemessene Frist bewillige, damit sie wo moͤglich ihre Existenz noch ferner fri— sten koͤnen. Zwar glaube ich im Voraus versichern zu koͤnnen, daß
wenige von ihnen mit dem Leben davon kommen werden; indeß wer⸗
den wir doch wenigstens dem Lande beweisen, daß es nicht soͤrmlich auf ihren Tod abgesehen ist.' Nach Herrn Benj. Coustant bestieg Herr Guizot unter Zeichen des lebhaftesten Interesses von Seiten der Versammlung die Rednerbuͤhne
und äußerte sich folgendermaßen:
„Ich bedaure, m. H., daß ich die Kammer auf die gestrige Diskusst n zuruckflihren muß; ich habe keinesweges die Absicht auf unnuͤtze Strenge gegen die Journale zu dringen oder mi dem von dem vorigen Redner in Antrag gebrachten Amendement zu widersetzen. Wenn die Kammer es fuͤr angemessen erachtet, den neuen Blaͤttern eine Frist von zwei bis drei Mongten zu ge⸗
waͤhꝑren, um ihre Caution zu leisten, so widersetze ich mich dem
in keinerlei Weise. Nicht gegen die neuen Journale insbesondere habe ich das Wort ergriffen, sondern um auf eine wichtige That⸗ fache, auf eine große gi fin aufmerksam zu machen, die ich in dem jetzigen Zustande der Presse zu entdecken glaube, und um auf diefe Thatfache, auf diese Gefahr die Nothwen digkeit der Beibe⸗ haltung der Caution im Allgemeinen zu begruͤnden. Auch komme ich, um einige allgemeine Behauptungen zu widerlegen, die sich nicht 1 die Frage, die uns ,,. sondern auf unsere ganze Lage und auf das Benchmen ö. en, welches zu beobachten ich keüͤrfen war, so lange ich die Ehre hatte, im Rathe des Königs zu fitzen. (Die gespannteste Neugierde gab sich bei diesen Wor⸗ len in der Verfammlung kund.“ Nicht der Uebertreibung habe ich gestern die neuen Journale beschuldigt, und was ich sagte, galt auch nicht allen, sondern nur einigen unter ihnen. Eines Hauptirrthums, einer schlechten Leitung uͤnd eines schlechten Ein⸗ ffuffes klage ich sie an. Uebertreiben kann man auch das Gute, Undezuch auf ber Bahn der Wahrheit, kann man zu weit gehen, Eine solche Uebertreibung aber werfe ich keinesweges den neuen Jour
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nalen vor, sondern ich finde sie, ich wiederhole es, ihrem Wesen nach und von Grund aus schlecht. Wenn auch ihr Ton geniK— Figter waͤre, ihr Irrthum würde mir darum nicht minder groß und gefährlich, ihke Lehren würden mir nicht minder schlecht, und die . die sie naͤhren, nicht minder verderblich schei⸗ nen. Es breht sich hier um eine Grundfrage, die noch nicht in
ihrem ganzen Umfange betrachtet worden ist. Die letzte Revolu⸗
tion wird namlich unter zwei ganz verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet Mehr als einmal hat man uns vorgeworfen, wir be⸗ griffen die Revolution des Juli nicht, (Hoͤrt, hort!) wir gingen nicht auf die von ihr angegebene Richtung ein und verfolg⸗ ten dieselbe nicht bis ans Ende in dem Sinne, wie sie be⸗ onnen worden sey. Darauf, meine Herren, beruht die
rage. Wer aber begreift wahrhaft die Revolution des Juli, wer geht auf ihre Richtung ein und setzt sie so fort, wie sie be⸗ onnen worden ist? Ich selbst stelle diese Frage in ihrer . ar denne, zwischen mir und meinen Gegnern auf und behaupte nun, daß sle es sind, die die Revolution von 15830 nicht begrei⸗ fen, daß sie es sind, die, statt dieselbe fortzusetzen, sie nur ent⸗ stellen und ihr eine verkehrte Richtung gehen... Verzeihen Sie, m. H, aber ich halte es fuͤr Pflicht, mit der groͤßten Frei⸗ muͤthigkeit zu sprechen. ... (Beifall). Ich behaupte, daß wir es sind, die uns innerhalb der Richtung der neuesten Revolution be⸗ finden und die dahin gestreht haben, ihr ihren wahren Charakter zu geben, waͤhrend unsere Gegner sie zu entstellen und, um mei⸗ nen Gedanken ganz herauszusagen, sie zu verkehren trachten. Weit entfernt bin ich, hierbei die Absichten irgend einer Person ankla⸗ gen zu wollen. Eine große Thatsache bei der Revolution von 1830 war die einmüͤthige Zustimmung, die ihr in ganz Frankreich zu Theil wurde. Glauben Sie aber, daß dieser einstimmige Bei⸗ fall alle Verschiedenheit der Meinungen und Interessen qusschließt; glauben Sie, daß die Revolution, so wie sie vollbracht worden, alle Hoffnungen und Wuͤnsche erfullt hat? Niemand hat ver⸗ gessen, was sich zugetragen. Welches war der Charakter unserer Revolution? Sie hat die Dynastie gewechselt; statt ihrer hat sie die naͤchstfolgende Linie auf den Thron gesetzt Bewegung auf der aͤußersten Linken). Das ist nicht ohne Absicht geschehen; es war ein Werk des offentlichen Instinkts, des National⸗Interesses. Dieser Instinkt, dieses Interesse, haben dem Lande die Nothwen⸗
digkeit einer gruͤndlichen Veraͤnderung fuͤhlbar gemacht; aber dasselbe Gefuͤhl hat das Land bewogen, diese , ., in . . theilt, ein hartes Urtheil. Wir beduͤrfen gegenseitig großer Nach⸗
moͤglichst enge Graͤnzen einzuschließen, sowohl in Bezug auf die Dynastie als auf die Institutionen. vergessen haben, was in jenen wichtigen Tagen und in dem Augen— blicke vorging, wo das gewaltige Erelgniß vollbracht wurde. Ge⸗ wisse Maͤnner verlangten eine ganz nene Verfassung und wollten gar nichts mehr von der Charte wissen, fuͤr welche man gesoch— ten hatte; sie betrachteten dieselbe als gar nicht vorhanden. Ihre Ansicht hat nicht die Oberhand behalten, die Erxeignisse haben
egen sie entschieden, und daß es so gekommen ist, kann nicht der Weisheit irgend einer Person zugeschrieben werden; Exeignisse dieser Art stehen uͤber allen persoͤnlichen Berechnungen. Was ge⸗ schehen ist, war das Resultat jener allgemeinen Vernunft, welche nicht einem einzelnen Individuum angchoͤrt, sondern die Atmo⸗ sphaͤre gleichsam anfuͤllt und die Schritte derer, die von der all⸗ gemeinen Bewegung fortgerissen werden, ohne ihr Wissen leitet. Die ser universellen Vernunft und dem allgemeinen Interesse Frankreichs war es angemessen, daß die Revolutzon so geschgh, wie sie geschehen ist, däs heißt, daß sie die der Charte 6 liegenden Institutionen annahm, daß sie sich nicht blind ing in eine unbekannte Laufbahn warf, daß sie alle vollbrachten That⸗ sachen achtete, daß sie mit allen Interessen unterhandelte, daß sie der Welt bercits vollendete Unternehmungen aufzeigte und in dem Augenblicke, wo sie geschah, sich selbst maͤßigte nd inne hielt. Dies war ihr Chargkter und ihr ursprung; das war sie an und fuͤr sich, das hat sie thun wollen, und sie hat es auf den Fingerzeig der Nothwendigkeit und der allgemeinen Vernunft gethan. ach Verlauf einiger Zeit machte sich diese Nothwen⸗
igkeit, welche anfangs Jedermann eingeleuchtet hatte, nicht mehr mlt derselben Macht fuͤhlbar. Die natuͤrlichen Gegensaͤtze traten wieder hervor; Jeder kehrte zu seiner Meinung zurü k, und die früͤheren Meinungs⸗Verschiedenheiten haben sich noch entschiede⸗ ner als sonst wieder eingefunden. Die Schwierigkeiten wuchsen mit dem Drange der Ereignisse, und nun handelte es sich um die Frage, wer die Revolution wirklich verstehe, und wer sich in der von ihr angegebenen Richtung befinde. Die Einen, ich stehe nicht an, es zu sägen, wollten sie von ihrem wahren urspruͤngli⸗ chen Charakter ablenken und sie anders fortsetzen, als sie begon⸗ nen hatte. Als Folgen der Revolution stellten sie dieselben Gründ⸗ . denen zufolge man anfangs etwas ganz Anderes beab⸗ sichtigte, als was wirklich e n, . Im Namen der selben Grund⸗ saͤtze und Gesinnungen, die, erlauben Sie mir den Ausdräck, im Schooße der letzten Revolution gewiegt worden sind, verlangte man von uns, die Revolution fortzusetzen. Nun wohl, m. H., meine Freunde und ich wir haben uns geweigert, es in diesem Sinne zu thun. Lebhafte Bewegung.) Wir haben die Revolu⸗ tion ihrem urspruͤnglichen Geiste nach fortsetzen, haben diesem Geiste der Mäßigung und Versoͤhnung, der Schonung aller In⸗ teressen, der Ausgleichung aller Meinungen freu bleiben wollen. Wir glauben darin nicht blos dem urspruͤnglichen Charakter und der wahren Natur der Revolution, sondern auch der wirklichen und aufrichtigen Meinung, so wie den Interessen Frankreichs, treu ge⸗ blieben zu seyn. Es sey mir vergönnt, bei diesem Punkte nöch einen Augenblick zu verweilen. Ich bitte die Kammer und na⸗
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Niemand unter uns kann
mentlich die Mitglieder, welche anders denken als i ĩ
Bezug auf meinc Ausdruͤcke ihre ganze Nachsicht , Es könnte seyn, daß meine Worte uͤber meine Gedanken hinaus gingen, und daß ich Meinungen, Lehren und Handlungen, die von den meinigen abweichen, und die ich getadelt habe und noch tadele, strenger anklagte, als es meine Absicht ist, Hinter der von der unsrigen verschiedenen Meinung befinden sich drei Ansichten, die ich folgendermaßen unterscheide: 1 Die republilanischen Ideen; 2) die heißen Leidenschaften und 3) die ausschließenden Forde⸗ rungen. Frankreich hat weder republikanische Ideen, noch heiße Leidenschaften, noch macht es ausschließende Forderungen, und wer dergleichen hegt, ist nicht national (Lebhafter Beifall5. Ich achte die Anhaͤnger der Republik; ihre Grundsaͤtze sind ehrenwerth, ihre Gefuͤhle edel, ihre Gesinnungen großmuthig, und wenn es uͤbexhaupt thunlich waͤre, so wuͤrde ich die Vorn des alten Galba zu ihnen sagen: „Wenn die Republik wiederhergestellt werden koͤnnte, sę waͤret Ihr wuͤrdig, sie zu beginnen.““ Die Burger unter sich mogen mit mehr oder weniger Interesse von der Republik sprechen, aber Frankreich ist nicht reyublikanisch, und wenn man es diesem Ziele entgegentreibt, so thut man dies gegen den Willen des Landes. Eben so wenig ist Frankreich leiden⸗ schaftlich; nicht leidenschaftlicher Hang nach Veraͤnderungen, sondern Maͤßigung und richtiger Sinn sind der herrschende Geist und der allgemeine Chgrakter der Franzosen. Man hat an unser Verfahren gegen die Volks⸗Vereine erinnert. Was wir gethan haben, das hatte das Land bereits vor uns gethan. Eine freiwil⸗ lige nationale Bewegung hat jene Vereine aufgehoben, und ich koͤnnte einen von liberalen Waͤhlern ernannten Deputirten nen⸗ nen, der sich moralisch verpflichtete, aus allen Kraͤften dem beklagenswerthen Einflusse der Volks ⸗Vereine zu steuern. Der uns leitende Geist ist die Maͤßigung, und wer heut⸗ zutage durch die Leidenschaften wirken, will, wird auf eine Menge von Hindernissen stoßen, weil diese Leidenschaften dem Geiste Frankreichs zuwider sind. Nach einer Revo⸗ lution, wie die unsrige, ist ein Volk leicht zum Irrthum geneigt; wenn es aber die Erfahrung der Vernunft und des Un⸗ gluͤcks besitzt, so laͤßt es sich von diesem Irrthum nicht weit fortreißen. Es ist daher nicht zu verwundern, daß Frankxeich jetzt gemaͤßigt ist. Eben so wenig aber entsprechen die ausschlie⸗ ßenden Forderungen dem Geiste Frankreichs. Keiner von uns fallt uͤber seinen Nachbar, uͤber den, der unsere Ansichten nicht
sicht und muͤssen einander Gerechtigkeit widerfahren lassen. Man kann nicht sagen, daß diejenigen, deren Ansichten ganz entgegen⸗ gesetzt sind, sich darum wirklsch feindselig waͤren. . und Unparteilichkeit herrschen in Frankreich; man urtheilt uber das Verdienst eines Beamten nicht nach seiner politischen An⸗ sicht, im Gegentheil betrachtet Jeder mit Besorgniß Reactionen und Absetzungen; mit einem Worte, die ,, Forde⸗ rungen liegen nicht im Geiste Frankreichs. Was die Theorieen betrifft, so ehre ich sie; ich weiß, daß sie der Triumph der mensch⸗ lichen Vernunft und das Resultgt der edelsten Anstrengungen sind, um zur Erkenntniß der Wahrheit zu gelangen. Aber die menschliche Vernunft irrt oft, und wenn es sich um die prakti⸗ sche Anwendung handelt, so erkennt man bald die Maͤngel der Theorieen, Wenn sie wahr waͤren, so wuͤrden sie auch gut seyn; aber nur hoͤchst selten sind sie wahr, sie sind fast immer unvoll⸗ staͤndig und darum unwahr. So lange ez bei der Theorie bleibt, ist die Gefahr nicht groß; man irrt, und damit ist es abgemacht; wendet man sie aber praktisch an, so wird die Falschheit und die Gefahr, sich ihr zu uͤberlassen, offenbar. Nicht mit Theorieen, sondern mit dem Verstande, der die Wirklichkeit zu Rathe zieht, der sich mit dem, was ist, begnuͤgt, begruͤndet man Staaten. Dasselbe gilt von den Leidenschaften; ich ehre sig, wenn sie edler Natur sind, aber es ist nicht in ihrer Art, sich den Be⸗ duͤrfnissen der Voͤlker zu fuͤgen, die verschiedenen In⸗ teressen auszugleichen, alle Rechte und alles Bestehende zu ehren. Dadurch begruͤndet man Staaten, aber nicht durch unbestimmte Theorieen und stuͤrmische Leidenschaften. Eben so ist es mit dem Parteigeiste, der eine große Rolle in der Welt spielt; er paßt nicht in die Sphaͤre, in der wir uns befin⸗ den und wo es sich darum handelt, das Beispiel der Stabilitaͤt zu geben und alle Interessen, auf denen die Gesellschaft beruht, zu ehren. Schon im Privatleben kann man die Erfahrung ma⸗ chen, daß der, welcher sich seinen großherzigen Ansichten, n Leidenschaften blind hingiebt, in ein? Menge von Irrthuͤmer verfaͤllt; im oͤffentlichen Leben ist es nicht anders; in der Leitung der offentlichen Angelegenheiten wie in Privat⸗Verhaͤltnissen mu
man klug und gemessen seyn. Hierin beruht der ganze Unter⸗ schied zwischen uns und unsern Gegnern. Aus dem Gesagten erhellt, wie meine ehrenwerthen Freunde und ich die Revolution verstanden haben, warum wir von dieser Bahn uns auch nicht einen Schritt weit entfernen wollten, und warum wir aus dem Ministerium austreten mußten, als wir unsere Ansichten und Wuͤnsche nicht geltend machen konnten. Keinesweges glaube ich, daß unsere Nachfolger einen andern Weg einschlagen werden
als wir; sie zoͤnnen es nicht, denn die Gewalt der Dinge leitet sie, wie uns. Sie sind einsichts volle, rechtschaffene Maͤnner und gute Buͤrger. Die Verschiedenheit, die zwischen uns vorhanden war, als wir zusammen im Kabinette des ., saßen, ist jetzt, ich sage es frei, weit geringer. Die Minister schen sich gendthigt, die Revolutson zu begreifen, wie wir sie begriffen haben, sie fort⸗ zusetzen, wie wir sie fortzusetzen gedachten. Sie sind denselben Gesetzen der Nothwendigkeit unterworfen, wie wir, und das