1847 / 167 p. 2 (Allgemeine Preußische Zeitung) scan diff

Marschall: Da weiter Niemand der Bemerkung beitritt, so hat sie nicht die Thor ig⸗ Unterstützung gefunden, und da etwas Wei⸗ keres gegen den Entwurf nicht erinnert wird, so ist er mit Vorbehalt 3 welche die Form betrifft, als angenommen zu be⸗ rachten.

Der Herr Abgeordnete Wächter wünscht über eine allgemeine . das Wort. ;

Abgeordn. Wächter: In dem stenographischen Zeitungsberichte über die Mahl- und Schlachtsteuer ist statt meines Namens, nämlich „Wächter“, gesetzt: Becker.“ Ich bitte, daß dies abgeändert wird.

Marschall: Es wird dies in den heutigen stenographischen Bericht aufzunehmen sein. .

Wir kommen nunmehr zur Tagesordnung, nämlich zur Berathung des Gutachtens über die Allerhöchste Proposttion, die Verhältnisse der Juden betreffend. Ich erfuche den Herrn Abgeordneten Sperling als Referenten, diesen Vortrag zu halten.

Referent Sperling trägt dieses Gutachten vor:

Gutachten

der ersten Abtheilung der Kurie der drei Stände des Vereinigten Landtages über den Entwurf einer Verordnung, die Verhältnisse der Juden betreffend. *)

Durch das Edikt vom 11. März 1812 wurden alle im preußi— schen Staate mit General-Privilegien, Vaturalisations-Patenten, Schutzbriefen und, Konzessionen versehene Juden für Inländer und preußische Staatsbürger erklärt. Es wurden ihnen mit wenigen Modificatio⸗ nen alle Rechte eingeräumt, deren die christlichen Staatsbürger theil— haftig waren. Zur Zeit des Erscheinens gedachten Edikts hatte je⸗ doch der preußische Staat noch nicht seine jetzige Ausdehnung. Erst in Folge des Krieges von 1813 15 und nach demselben wurde ihm solche zu Theil, indem nicht nur die früheren Besitzungen wieder unter seine Herrschaft gelangten, sondern auch bedeutende neue Länder⸗ Gebiete demselben zuflelen. In jedem Gebiete befanden sich Juden unter anderen Gesetzen. Da die letzteren im Allgemeinen bestehen blieben und die acquirirten Landestheile nach ihrer geographischen Lage den alten Provinzen zugetheilt oder zu neuen Provinzen ver⸗ einigt wurden, so kam es, daß in der preußischen Monarchie überhaupt achtzehn verschiedene Juden-Verfassungen existent wurden und in einer und derselben Provinz drei, vier, sogar sieben verschiedene Gesetzgebungen Gül⸗ tigkeit erlangten, nach welchen die Rechtsverhältnisse der Juden bis auf den heutigen Tag beurtheilt werden. Nach der einen Verfassung hat der Jude das Recht, Grundbesitz zu erwerben, darf aber ohne Ge— nehmigung der Regierung seinen Wohnsitz nicht verändern. Nach der anderen kann er zwar seinen Wohnsitz beliebig nehmen, aber keinen Grundbesitz oder solchen nur unter erschwerenden Umständen an sich bringen. Setzt er seinen Fuß aus dem Bereiche heraus, der ihm ein— mal angewiesen ist, so kann er sich nicht mehr auf die Rechte berufen, welche in demselben er genoß. Wendet er sich namentlich aus einer der alten Provinzen, in welcher er die Rechte eines Staatsbürgers hat, nach einem neu hinzugetretenen Theile des preußischen Staats, so wird er daselbst als ein fremder Jude behandelt, und es giebt so— Zar ein Gebiet, die ehemalige Grafschaft Wittgenstein, wo er sich de jure gar nicht betreten lassen darf. ;

Daß ein solcher Zustand der Dinge dem allgemeinen Staats⸗ Interesse nicht zusagt, ist augenscheinlich. Es müßte sich bald das Bedürfniß geltend machen, demselben im Wege der Gesetzgebung ab— zuhelfen. Zu dem Ende erging unterm 29. April 1824 eine König⸗ liche Kabinets-Ordre, welche bestimmte, daß die Propinzial⸗Stände zu hören seien, ob und welche Vorschläge sie hinsichtlich der bestehen⸗ den Gesetzgebung über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden vor— zubringen hätten. Die Erklärungen der Stände fielen in den Jah— ren 1824 27 mehr oder weniger dahin aus, daß zum Besten der christlichen Bevölkerung in den Rechten der Inden Beschränkun⸗ gen eintreten müßten. Sie waren dabei so mannigfach und zum Theil so tief eingreifend in die bestehenden bürgerlichen Verhältnisse der Juden, daß die Gesetzgebung Bedenken tragen mußte, ihnen in ihrem ganzen Umfange Folge zu geben. Dieselbe beschränkte sich darauf, die Verhältnisse der Juden in der Provinz Posen durch die Verordnung vom 1. Juni 1833 zu regeln und in Betreff der Rechte der Juden in den anderen Provinzen einzelne abändernde Be— stimmungen zu treffen. Inzwischen blieb das Bedürfniß eines allge—⸗ meinen, für die ganze Monarchie geltenden Gesetzes bestehen. Das— selbe wurde je länger desto lebhafter empfunden und besonders im Jahre 1845 von verschiedenen Seiten angeregt. Es war mittler—⸗ weile seit jenen Erklärungen der Provinzial⸗Stände ein Zeitraum von zwanzig Jahren verflossen und in solchem manche neue Erfahrung gemacht. Die Ansichten über den sittlichen Standpunkt der Juden hatten sich geändert, denn es bestand die Generation nicht mehr, welche die Pro— vinzial⸗-Stände zu ihren Anträgen auf deren Beschränkung in den Jahren 1824 27 veranlaßt hatte. Von den acht Provinzial⸗-Land— tagen des Jahres 1845 erklärten sich fünf für wesentliche Erweiterung der Rechte der Juden, unter ihnen zwei für gänzliche, respektive be—= dingte Gleichstellung derselben mit den Christen. Mit diesen pro— vinzialständischen Anträgen übereinstimmend, sind die Petitionen, welche jetzt dem Vereinigten Landtage zugegangen, nämlich: die Petition des Abgeordneten von Gottberg um vollständige Ausführung des Edikts vom 11. Marz 1812 und des Abgeordneten Ritter um Eman⸗ cipation der Juden, ferner die Petitionen der Abgeordneten Möwes, gar en dlc, Wächter, Schumann und Werner, um völlige in . in Betreff ihrer bürgerlichen und politischen

Die Gründe, welche die Petenten für ihre Anträge angeführt haben, und die letzteren selbst einer besonderen Prüfung zu unter— werfen, schien der Abtheilung nicht angemessen, well eine Allerhöchste denselben .. betreffende Propösition vorliegt, bei deren spe— ; , spe⸗ ziellen Berathung jene Gründe, und Anträge in Betracht gezogen werden können. Diese Allerhöchste Proposttion, bestehend n dem Entwurfe einer Verordnung, die Verhältniffe der Juden betreffend ist eben bestimmt, dem geschilderten Bedürsuiß der Gesetzgebun ab . helfen. Nachdem also die einzelnen Petitionen , . * die Abtheilung zur Berathung der Proposition über, und id dr aus dem Folgenden ergeben, inwieweit dieselbe den Anträgen *. fünf Provinzial⸗Landtage von 1845 und den Wünschen der in, entspricht, inwiefern sie diesen Anträgen und Wünschen gemäß zu amendiren ist. J ;

Was zunächst das System, die Ordnung der Materien in dem proponirten Entwurfe anbetrifft, so sind die Bestimmungen, welche die

) Der betreffende Gesetz⸗ Entwurf und die dazu gehörige Denk— schrift sind in unserem vorgestrigen Blatte (Nr. 165) r,, mitge⸗ a

theilt worden. Auch haben wir dort aus den umfangreichen Beilagen zu der letzteren einige Auszüge in Anmerkungen beigefügt. Obgleich wir nun diese Beilagen nicht in ihrer ganzen Ausdehnung in ünser Blatt aufnehmen können, haben wir es doch für angemessen gehalten, die in der Denbkschrift befindlichen Verweisungen auf dieselben mit abdrucken zu lassen, damit Jeder, welcher die betreffende nähere Auskunft wünscht, leicht davon Einsicht nehmen könne, wozu die Gelegenheit nicht fehlen wird. Die Red, der Allg. Pr. Ztg.

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bürgerlichen, kirchlichen (dieser Ausdruck wird nur der Deutlichkeit wegen gebraucht) und privatrechtlichen Verhältnisse der Juden be⸗ Eee, durch einander gemischt. Derselbe enthält sogar Festsetzun⸗ gen, durch welche die bürgerlichen und kirchlichen n if zugleich geregelt werden sollen. Diese Wahrnehmung veranlaßte die Frage, ob solches zweckmäßig sei, ob nicht vielmehr die bürgerlichen und kirchlichen Verhältnisse, wenn schon in demselben Gesetze, wenigstens in besonderen Abschnitten zu behandeln wären?

Die Abtheilung entschied sich einstimmig für das Letztere, weil

1) ein gleiches Verfahren in Beziehung auf alle andere Staats⸗ Angehörigen in der Regel stattfinde, dasselbe also Prinzip der Gesetzgebung sei, .

2) die bürgerlichen Verhältnisse der Juden bereits mehr geordnet seien als die kirchlichen, in Beziehung auf beiderlei Ver⸗ hältnisse die Gesetzgebung sich auf einem zu verschiedenen Standpunkte befinde, und die Vermischung beiderlei Verhältnisse, die Regulirung derselben durch eine und die nämliche Bestimmung zu leicht den Nachtheil mit sich führe, daß, indem auf der einen Seite, der kirchlichen, den Juden mehr Rechte, als sie bisher genossen haben, einge—⸗ räumt, auf der anderen Seite, der bürgerlichen, ihnen wesent⸗ liche Rechte entzogen werden, welche ihnen nach der bisherigen Gesetzgebung bereits zugestanden haben.

Zum Belage dieser ihrer Ansicht glaubt die Abtheilung nur auf eine an, nnn des Gesetzes, die Anordnung von Juden« schaften mit Corporationsrechten, hinweisen zu dürfen; indem diese An ordnung in kirchlicher Beziehung einem wesentlichen Bedürfniß abhilft, den Wünschen der Juden entspricht, führt sie in bürgerlicher Bezie⸗ hung dahin, daß der einzelne Jude seine bisherigen Rechte einbüßt, das Individuum in der Corporation aufgeht und nur letztere an der bürgerli ben Verfassung der christlichen Staatsbürger noch Theil nimmt. cf. 15 des Gesetzes.

Den materiellen Inhalt des Gesetz-Entwurfs selbst anlangend, so war vor allen Dingen der Gesichtspunkt festzustellen, von welchem aus er zu beurtheilen ist.

In unserem Staate gilt das Prinzip des Nechts und des Fortschritts. Diesem Prinzipe gemäß muß sich seine Gesetzgebung fortbewegen, wenn er nicht von dem Standpunkte herabsinken soll, welchen er unter den übrigen Staaten Europa's einnimmt.

Die Juden befinden sich zur Zeit im Genusse gewisser bürger⸗ licher Rechte, welche ihnen nicht mehr entzogen werden können; dies um so weniger, als sämmtliche zum deutschen Bunde gehörenden Re— gierungen sich dazu ausdrücklich verpflichtet haben, sie ihnen zu erhal⸗ ten, indem der Artikel 16 der Bundes-Akte lautet:

„Die Bundes-Versammlung wird in Berathung ziehen, wie auf

eine möglichst übereinstimmeude Weise die bürgerliche Verbesserung

der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland zu bewirken sei und wie insonderheit denselben der Genuß der bürgerlichen

Rechte gegen die Uebernahme aller Bürgerpflichten in den Bun—

des- Staaten verschafft und gesichert werden könne. Jedoch wer⸗

den den Bekennern dleses Glaubens bis dahin die denselben von den einzelnen Bundes-Staaten bereits eingeräumten Rechte er— halten.“

Wenn also die Verhältnisse der Juden einer Regulirung unterworfen werden sollen, so darf solches nur unter strenger Beachtung ihrer bisherigen Rechte geschehen. In dem größ⸗ ten Thelle der Monarchle, den alten Provinzen, gilt das Edikt vom 11. März 1812. In. denjenigen neueren Landesthei⸗ len, in welchen die Juden früher ausgedehntere politische Rechte genossen, haben sich deren Verhältnisse im Laufe der Zeit denen in den alten Provinzen gleichgestellt. Deshalb erschien es der Abtheilung, mit Ausnahme eines einzigen Mitgliedes, an⸗ gemessen,

das gedachte Edikt der Prüfung des vorliegenden Gesetz-Entwurfs

zum Grunde zu legen. ;

Bei dem, was dies Edikt zu Gunsten der Juden bestimmt, darf aber nicht stehen geblieben werden.

Der Vorwurf der Absonderung, welcher den Juden gewöhnlich gemacht wird, trifft auch die Christen. Er trifft vorzugsweise die Gesetzgebung, welche durch ihre ungleiche Behandlung die Juden nie— derdrlckt, in den Ehristen das Gefühl der Superiorität hervorbringt.

Die Religion der Juden dürfte nichts enthalten, was dem Staate und der unter seinem Schutze stehenden christlichen Kirche nachtheilig werden könnte, da mehrere auswärtige Staaten denselben lange schon alle Rechte ihrer christlichen Unterthanen eingeräumt und zu deren Wieder-Einschränkung keine Veranlassung gefunden haben.

Von einem Bedenken, welches in den Religionsgebräuchen seinen Grund haben könnte, darf noch weniger die Rede sein, weil unsere eigene Staatsregierung demselben nicht mehr Raum giebt und die Juden zum Militair-Dienste und zu Aemtern fähig erachtet. .

Was aber den allgemeinen sittlichen Zustand derselben anbetrifft, so ist solcher jedenfalls von der Art, daß ihnen eine würdigere Stel⸗ lung im Staatsverbande angewiesen werden muß. Letzteres fordert laut die öffentliche Stimme. Es sprechen dafür die Anträge der fünf Landtage von 1845 und die eingegangenen Petitionen.

Es wird also bei der Prüfung des Gesetz-Entwurfs nicht blos darauf zu achten sein, daß keine Bestimmung desselben hinter dem Edikte vom 11. März i812 zurückbleibt, sondern auch darauf Bedacht zu nehmen sein, ob und inwieweit die den Juden vortheilhaften Bestimmungen eine Ausdehnung und Erweiterung erfahren können.

Wir haben aus dem eben verlesenen Theile des Gutachtens er⸗ sehen, daß dem Vereinigten Landtage Petitionen zugegangen sind, welche auf Emancipation oder vollständige Gleichstellung der Juden mit ihren christlichen Mitbürgern gerichtet sind. Es könnte die Frage entstehen, weshalb die Abtheilung sich nicht zunächst mit diesen Pe⸗ titions Anträgen beschäftigt hat, da sie so allgemein sind, daß sie Alles umfassen, was hier nur zu Gunsten der Juden beschlossen werden kann. Aber gerade wegen dieser Allgemeinheit hat die Abtheilung geglaubt, sich der Erörterung enthalten zu müssen. Der Begriff der Emanci⸗ pation ist zu umfassend, als daß dieselbe im Stande gewesen wäre, sich sogleich ein klares Bild von derselben zu entwerfen. Es liegt ihr außerdem eine Proposition vor, welche alle bürgerlichen Rechts⸗ Verhälinisse der Juden berührt und zum Gegenstande ihrer Erörte⸗ rung gemacht werden mußte. Wenn wir nun zunächst diese Propo— sition in Berathung ziehen, werden wir durch Zugeständniß der ein⸗ zelnen Rechte an die Juden gewissermaßen sonthetisch zu demselben Resul⸗ tate kommen, zu welchem wir gelangen würden, wenn wir eine Berathung eines allgemeinen Antrages auf Gleichstellung der Juden mit den Chri⸗ sten vorweg vornehmen wollten. Daher wird es der Beschlußnahme der hohen Versammlung und der Bestimmung des verehrten Herrn Marschalls unterworfen, inwieweit wir uns überhaupt auf die allge⸗ meine Diskussion einzulassen haben. Gewiß würde es zur Abkürzung der Debatte beitragen, wenn wir uns darauf beschränken wollten, die Ansichten, welche wir überhaupt zu entwickeln in Begriff sind, bei den einzelnen Paragraphen vorzutragen, wozu dieselben vielfache Gelegenheit darbieten. Was den Standpunkt anbetrifft, von dem die Abtheilung bei der Berathung ausgegangen ist, so ist es derselbe, den die hohe Versammlung gleich bei 8 inn ihrer Berathung ein⸗ genommen und bisher festgehalten hat. * ist derselbe, den das

Gouvernement als den seinigen anerkennt. Inwieweit solcher von dem letzteren bei der . des vorliegenden Gesetzes beibehal⸗ ten ist, wird das Resultat der Berathung zeigen.

Landtags-Kommissar: Der Gesetz⸗Entwurf, welcher heute zur Berathung vorliegt, ist mit so ausführlichen Denkschriften beglei⸗ tet, daß alle diejenigen geehrten Mitglieder, welche sich, der Durch= sicht dieser Erläuterungen unterzogen haben, so vollständig informirt sein werden, daß ich mich auf eine kurze Einleitung beschränken und die kostbare Zeit nicht zu sehr in Anspruch nehmen darf.

Der Zweck des Entwurfs, so weit er sich auf die bürgerlichen Verhältnisse der Juden bezieht, geht vorzugsweise dahin, die Gesetz⸗ gebung über diesen Gegenstand zu generalisiren, die bestehenden acht⸗ zehn derschiedenen Juden⸗Verfassungen der preußischen Monarchie mit einer einzigen, noch problematischen Ausnahme des Großherzogthums Posen in Eine zu verschmelzen und nicht nur dadurch der Admini⸗ stration eine große Erleichterung zu verschaffen, sondern auch der Ju⸗ denschaft selbst wesentliche Vortheile zu gewähren, namentlich in der Bezichung, daß sie volle Freizügigkeit erlangen und nicht mehr, wie seither, in eben so viele Bezirke, als es Juden-Verfassungen giebt, eingezwängt sein wird. Außerdem geht die Absicht dahin, in denjenigen kleineren Landestheilen, in welchen der Druck der mittelalterlichen Juden-Verfassung noch besteht, den Juden diejenigen Vortheile zuzu⸗ wenden, welche sie bereits in dem größten Theile der Monarchie seit länger als dreißig Jahren genießen. In Beziehung aufdie Kultus- Verhältnisse geht der Zweck des Gesetzes dahin, diese Verhältnisse, welche theils gar nicht, theils nicht auf rechtlichen Grundlagen ge⸗ ordnet sind, zu ordnen und auf rechtlichen Grundlagen zu basiren.

Was nun die bürgerlichen Verhältnisse der Juden betrifft, so hat das Edikt vom 11. März 1812 dem vorliegenden Entwurf als Anhast gedient. Ich glaube nicht auf den Zustand auf⸗ merksam machen zu müssen, in welchem sich die Juden zu der Zeit, als dies Edikt erlassen wurde, in der preußischen Mo⸗ narchie befanden; ich glaube nicht hervorheben zu dürfen, welche sehr wesentliche Verbesserungen durch dieses Edikt für sie herbeigeführt wurden; es genügt, anzuführen, daß das Edikt die Juden in ihren bürgerlichen Verhältüissen, bis auf wenige Vorbehalte, den christlichen Einwohnern völlig gleichgestellt hat. Als nicht lange nach Erlaß des⸗ selben durch die ruhmwürdigen Ereignisse der Jahre 1813 und 18141 von den früher verloren gegangenen Provinzen mehrere wieder mit der Monarchie vereinigt und neue hinzugefügt waren, lag es natür⸗ lich nahe, die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in der ganzen Mo⸗ narchie gleichmäßig zu ordnen. Bekanntlich legte aber die deutsche Bundesakte insofern ein Hinderniß in den Weg, als solche die rd⸗ nung dieser Verhältnisse für sämmtliche Bundesstaaten in Aussicht ge⸗ stellt hatte. Es mußte also der Erfolg dieser Zusage abgewartet werden. Welche Hindernisse es gewesen sind, die der Ausführung dieser Absicht entgegengetreten sind, glaube ich hier nicht untersuchen zu dürfen; es würde außerhalb des Bereiches der gegenwärtigen Ver⸗ handlung liegen. Nur als wahrscheinlich, kann ich bezeichnen, daß in mehreren kleineren Staaten sich so abweichende Verhältnisse der Ju⸗ denverfassungen gefunden haben, daß man darin eine unüherwindliche Schwierigkeit der Einführung gleichmäßiger Bestimmungen für sämmt⸗ ssche Bundesstaaten erkannt hat. Als der Bund schwieg, mußte sich die legislatorische Thätigkeit auf den preußischen Staat zurückwenden und es geschah dies sehr bald nach Kreirung der Provinzial Stände. Es wirden' in den Jahren 1826 27 denselben Propositionen in Beziehung auf die Gestaltung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden vorgelegt; die Gutachten, welche erfolgten, waren sehr abweichend vond einander; darin stimmten sie aber überein, daß sie neue . kungen der Juden zum Schutz der Verkehrs und Erwerbs⸗Verhält⸗ nisse der christlichen Einwohner forderten. Derselbe, Paragraph der deutschen Bundes-Akte aber, welcher eine Gleichstellung der Juden⸗ Gesetzgebung für sämmtliche Bundesstaaten in Aussicht stellte, hatte vorgeschen, daß die den Juden von einzelnen Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte zu ihrem Nachtheil nicht geändert werden sollten. Ohne Verletzung dieser Bundesbestimmung konnte also die preußische Gesetzgebung nicht auf den einstimmend geäußerten Wunsch der Pro⸗ vinzial- Stände eingehen, und es blieb daher, wenn man sich nicht in vollständige Opposition mit den Ständen setzen wollte, nichts Anderes übrig, als die Sache auf sich beruhen, als die Zeit walten zu lassen. Die Zeit hat gewaltet, meine Herren! Es sind mehr als 20 Jahre dahin geschwunden, und es hat sich die Ansicht über diesen Gegen⸗ stand schr wesentlich verändert, eine Veränderung, die wenigstens theil⸗ weise auf einer Umgestaltung des Zustandes der Juden beruht, was besonders in denjenigen Bundestheilen, in welchen die Gesetzgebung ihrer Entwickelung in intellektueller und kommerzieller Hinsicht kein Hinderniß in den Weg gelegt hat, sehr deutlich hervorgetreten ist.

In Folge dieser Umgestaltung haben mehrere Provinzial⸗Land⸗ tage sehr weitgehende Anträge in Beziehung auf anderweitige Ord⸗ nung der jüdischen Verhältnisse im entgegengesetzten Sinne als vor 20 Jahren gestellt; es liegen der hohen Versammlung eine Reihe von Anträgen auf gänzliche Emanzipirung der Juden vor, und auch die Abtheilung hat sich in ihrer Majorität einem dahin zielenden Prin⸗ zipe geneigt erklärt. Die Verwaltung dürfte sich daher gegenwärtig in der entgegengesetzten Lage befinden, als vor 26 Jahren, wo sie die Verhältnisse der Juden verbessern wollte und die Stände das Ge⸗ gentheil verlangten, während jetzt die Propositionen der Verwaltung hinter den Wünschen der Stände zurücubleiben scheinen. Doch wird in dieser Beziehung die Differenz und Divergenz keine bedeutende sein.

Ich habe schon hervorgehoben, daß das Gesetz vom 11. Mãärz 1812 als Grundlage für die jetzige Proposition gedient habe; es sind aber über die Bestimmungen desselben hinaus den Juden neue Rechte zu⸗ gedacht, namentlich in Beziehung auf den für sie sehr wichtigen Punkt der Glaubwürdigkeit bei Eiden, in Beziehung auf die Beschränkungen, welchen sie beim Gewerbeverkehr seither noch unterlagen, und in Ber ziehung auf die Anstellungsfähigkeit im Staatsdienste, verglichen mit dem Zustande, welcher seit dem Jahre 1812 faktisch bestanden hat. Die einzigen Beschränkungen, welche nach den vorliegenden Proposi⸗ tionen bestehen bleiben sollen, gründen sich auf das Prinzip, daß der preußische Staat ein christlicher sein und bleiben wolle, und daß es demnach bedenklich scheint, nicht christlichen Bewohnern die politischen Rechte zu geben und ihnen obrigkeitliche Functionen anzuvertrauen.

In Beziehung auf das Corporationswesen ist von der Abthei⸗ lung das Bedenken hervorgehoben, daß sich solche mit Unrecht auch auf die bürgerlichen Verhältnisse bezögen. Hierauf muß ich bemer⸗ ken, daß die Basis dieser im Gesetze proponirten Corporationen le⸗ diglich der Kultus ist, daß sich der Entwurf in dieser Beziehung den in ganz Deutschland bestehenden Verhältnissen anschließt, daß, eine Legalistrung dieses Zustandes, wie ich glaube, überall als Bedürfniß anerkannt wird, und daß, wenn auch wenige einzelne Bestimmungen auf eine bürgerliche Wirkung dieser Corporationen hinweisen, diese theils fakultativ, theils unbedeutend sind, theils auf die nothwendigen Verbindungen zwischen den bürgerlichen und Kultus Verhältnissen be⸗ ruhen.

; In Beziehung auf das Großherzogthum Posen hat es nicht un⸗ bedenklich erschienen, die völlige Ie inn der Juden mit denen der übrigen Probinzen schon jetzt auszusprechen, einestheils, weil das nu⸗ J, Verhältniß der dortigen jüdischen Bevölkerung gegen die übri⸗

en ie, , . so sehr abweicht, dann aber auch, weil ein Theil die⸗ 6 evölkerung in Beziehung der Bildungsstufe ihren Glaubensge⸗

nossen in den anderen Provinzen sehr nachsteht, während das daselbst bestehende Spezial Gesetz, so weit es sich hier beurtheilen läßt, bereits günstig auf die dortigen Verhältnisse, namentlich dahin gewirkt hat, daß der ärmere Theil der jüdischen Be⸗ völkerung in seiner Bildung und in seinem sittlichen Zustand vorgeschritten ist. Ob aber schon jetzt der Zeitpunkt eingetreten sei, das Großherzogthum Posen in dieser Beziehung mit den anderen Provinzen gleichzustellen, ob es namentlich zulässig sei, die damit un⸗ zertrennlich verbundene Freizügigkeit auf die jüdische Bevölkerung, des Großherzogthums auszudehnen, das erschien besonders in Beziehung auf die angränzenden Provinzen nicht unbedenklich. Es wird aber gerade in dieser Rüchsicht dem Gouvernement von Wichtigkeit sein, das Votum der Stände⸗-Versammlung zu vernehmen, um danach zu bemessen, ob jene Bedenken hinlänglich begründet seien oder nicht. Was denjenigen Theil des Gesetzes betrifft, welcher die Kultus⸗Ver⸗ hältnisse behandelt, so behalte ich mir vor, bei Berathung der einzel⸗ nen Paragraphen diejenige Auskunft zu geben oder durch den Kom— missarius der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten geben zu lassen, welche von dieser Versammlung gewünscht werden möchten,

Marschall: Die Abtheilung hat in ihrem Gutachten zuerst eine formelle Frage aufgestellt, nämlich die: ob es nicht zweckmäßig sei, die bürgerlichen und kirchlichen Verhältnisse der Juden in beson⸗ deren Abschnitten zu verhandeln. Diese Frage wird sich nicht eher beantworten lassen, als bis wir auf die materiellen Bestimmungen eingegangen sein werden. Es ist von dem Herrn Referenten der Vor— schlag gemacht worden, von der allgemeinen Besprechung abzusehen und gleich auf die einzelnen Paragraphen einzugehen. Ich habe allerdings nicht die Absicht, über das Allgemeine und die Grundsätze irgend eine Frage zu stellen; ein Jeder wird sich aber, wenn wir zur Beantwortung der einzelnen Iragen kommen, über die Grundsätze eine Meinung gebildet haben müssen, und dadurch wird eine allgemeine Besprechung um so mehr nöthig sein. Da mehrere Redner sich zu einer solchen bereits gemeldet haben und ich ihnen nicht das Wort zu entziehen wünsche, so werde ich sie nach der Reihe auffordern. Zuerst gebe ich dem Herrn Abgeordneten von Byla als Korreferenten das Wort.

Aorreferent von Byla:; Schon in dem Edikte vom 11. Mãärz 1812 ist klar und deutlich die Tendenz ausgesprochen, durch einen näheren Anschluß der Juden an die Christen die Juden zu veredeln, ihre separatistischen Gesinnungen zu vertilgen und sie dem Staat im— mer nützlicher zu machen. Diese Tendenz hat das Gouvernement auch späterhin verfolgt; im Jahre 1824 erschien eine Allerhöchste Kabinets— Ordre, datirt vom 29. April, worin angeordnet ist, daß sämmtliche Provinzial -Landtage darüber gehört werden sollen, ob und welche Vorschläge sie hinsichtlich der bestehenden Gesetzgebung über die bür⸗ gerlichen Verhältnisse der Juden vorzubringen. Leider erfolgten hier— auf in den Jahren 1824 1827 keine günstigen Erklärungen von Seiten der Provinzialstände, vielmehr sprachen sich dieselben mehr oder minder dahin aus, daß allerdings im Interesse der christlichen Bevölkerung Einschräntungen in den Rechten der Juden stattfinden müßten. Die Gesetzgebung ging auf diese Vorschläge nicht vollstän⸗ dig ein, sondern ordnete nur in Posen die dortigen Verhältnisse der Juden durch die Verordnung vom 1. Juni 1833, wogegen in den librigen Provinzen nur einzelne einschränkende Bestimmungen erfolg- ten. Unverkennbar aber hat sich von jener Zeit ab der Zustand der Juden bedeutend verändert und gewiß verbessert. Hierüber hat sich die Stimme des Volks wiederholt laut ausgesprochen; aber auch im Jahre 1845 erklärten sich schon von 8 Provinzial-Landtagen 5 für wesentliche Erweiterung der Rechte der Juden, 2 darunter sogar für gänzliche Gleichstellung derselben mit den Christen. Demzufolge scheint der in Rede stehende Gesetz-Entwurf uns gegenwärtig zur Berathung vorgelegt zu sein. Gewiß mit Freuden begrüßen wir ihn, um bei dieser Gelegenheit nicht nur einen Akt der Billigkeit, sondern auch der Gerechtigkeit gegen unsere jüdischen Mitbürger erfüllen zu können. Ich glaube aber auch, daß wir gleichzeitig dadurch die Wohlfahrt unseres Staats fördern werden. Bei Beurtheilung des vorliegen den Gegenstandes stellen sich zusörderst im Allgemeinen zwei Haupt— fragen heraus, einmal, ob die Versammlung geneigt ist, sofort eine gänzliche Gleichstellöng der Juden mit den Christen in unserem Staate zu befürworten, oder ob es rathsamer erscheint, durch einen allmäligen Uebergang den Weg dazu anzubahnen, um späterhin eine vollständige Ausgleichung stattfinden lassen zu können. Ich kann mich nur für die letztere Ansicht erklären, und zwar aus dem Grunde, weil ich glaube, daß dadurch auf, einem sichereren und ruhigeren Wege die wäünschenswerthe Gleichstellung erreicht werden wird. Meine Herren! Wir können bei Berathung und Beurtheilung dieser Fragen nicht allein von unserem Standpunkte ausgehen, nein, wir müssen hierbei auch die Stimme des großen Volkshaufens berücksichtigen, die Stimme derjenigen, die weniger ge⸗ bildet, weniger aufgeklaͤrt sind, wie wir; Sie werden gewiß nicht verkennen, daß noch in manchen Theilen unserer, Monarchie große Vorurtheile gegen die Juden existiren. Aber keinesweges wünsche ich, daß durch einen solchen allmäligen Fortschritt den Juden Rechte, welche ihnen füglich gegenwärtig schon zugestanden werden können, vorenthalten werden sollen, und ich glaube, daß ich Ihnen bei der speziellen Berathung des Gesetzes beweisen werde, daß ich dieses bei meinem Vorschlage keinesweges beabsichtige. Gewiß aher ist es rath⸗ sam, daß man bei einem so besonders wichtigen Schritte mit Vorsicht vorgeht. Ich habe auch mit mehreren sehr gediegenen Juden erst neuerdings hierüber Rücksprache genommen, und sie theilen in dieser Beziehung meine Ansicht. Was die Fassung des vorliegenden Gesetz⸗ Entwurfes betrifft, so hat sich die Abtheilung einstimmig damit ein- verstanden erklärt, daß die kirchlichen Verhältnisse von den bürgerlichen darin getrennt behandelt werden. Die Gründe dazu sind im Gut⸗ achten ausführlich angegeben, und ich bin weit entfernt, mich darüber noch besonders auszusprechen; ich hoͤffe vielmehr, daß auch die Ver⸗ sammlung sich damit einverstanden erklären wird, indem die Zweck⸗ mäßigkeit dieses Verfahrens wohl nicht zu verkennen ist. Wenn aber in dem Gutachten Seite 5 angegeben ist, daß die Abtheilung, mit Ausnahme einer einzigen Stimme, sich dafür erklärt, bei Bera— thung dieses Gesetz⸗ Entwurfes das Edikt vom 11. März 1812 zu Grunde zu legen, so bekenne ich, daß ich diese einzige Stimme bin, und ich glaube es schuldig zu sein, Ihnen die Gründe für meine Ansicht, die in dem Gutachten nicht bemerkt sind, hier mitzutheilen.

Erstens gilt das Edikt vom Jahre 1812 nur für die älteren Provinzen der Monarchie, wogegen für die übrigen Theile derselben ganz verschiedenartige gesetzliche Bestimmungen eristiren; für diese würde also offenbar das Edikt nicht die richtige Grundlage sein. Zweitens hat auch das Edikt in dem Rechtszustande der Juden eine nicht unbedeutende Lücke gelassen, indem es gleich im Eingange an—⸗ ordnet, daß durch dieses Gesetz alle früheren Vorschriften in Betreff der Juden aufgehoben sein sollen, insofern sie nicht in dem Edikte ausdrücklich aufgenommen worden. Nun sind aber in diesem Edikte nur die bürgerlichen Verhältnisse der Juden regulirt, dagegen das Kultuswesen unberückichtigt gelassen, und eine Folge davon ist, daß seit dem Jahre 1812 eine große Regellosigkeit in den Kultus Ver hältnissen der Juden eingetreten. Drittens endlich halte ich es über⸗ haupt nicht für erforderlich, ein bestehendes spezielles Gesetz bei der Berathung zum Grunde zu legen; denn der 8. 1 des Gesetz-Entwurfes sagt ganz allgemein: Neben gleichen Pflichten sollen die jüdischen

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Unterthanen auch gleiche Rechte mit den christlichen Unterthanen ge= nießen, und nur diejenigen Ausnahmen hiervon sollen in dem vorlie⸗ genden Gesetze aufgenommen werden, welche gegenwärtig noch im allgemeinen Staats Interesse erforderlich erscheinen. Diese Ausnah⸗ men können sich aber nur entweder auf unsere gegenwärtigen Zeitver⸗ hältnisse beziehen oder auf die ganze bestehende Gesetzgebung des Staates in Betreff der Juden, und wir werden gewiß bei richtiger Würdi⸗ gung dieser Verhältnisse, dieser Gesetze finden, welche Ausnahmen auch gegenwärtig noch aufrecht zu erhalten. Wenn wir aber eine nachhaitige Gleichstellung der Juden mit den Christen erreichen wol⸗ len, dann halte ich für durchaus nothwendig, zuvörderst die Haupt⸗ Schranlen, welche jetzt noch zwischen den Juden und Christen in un— serem Staate bestehen, niederzureißen, damit wir ein freies Terrain erhalten, um hierauf das neue Gebäude errichten und für die Juden eine neue Verfassung gründen zu können. Für solche Schranken er⸗ kenne ich namentlich folgende: erstens die bestehenden besonderen Corporations-Verhältniffe der Juden in bürgerlicher Beziehung; zweitens die besonderen öffentlichen Schulen für die Juden und drittens das Verbot der Ehe zwischen Christen und Juden. Bevor wir diese Hauptschranken nicht niedergerissen haben, glaube ich, wird eine jede Gleichstellung der Juden mit den Christen hinsichtlich ihrer bürgerlichen Verhältnisse nur scheinbar und dem allgemeinen Staats⸗ Interesse mehr nachtheilig als vortheilhaft sein. -Ich behalte mir dor, über diese drei Punkte bei der speziellen Berathung des Ge⸗ setzes meine Ansicht näher auszusprechen, indem gegenwärtig nur der allgemeine Theil zur Berathung gestellt ist.

Marschall: Zuerst hat jetzt Herr von Landsberg das Wort wegen einer persönlichen Bemerkung..

Abgeordn. von Land sberg⸗-Steinfurt: Von dem Redner, der so eben die Tribüne verlassen ist, ist gesagt worden, daß derselbe die einzige Stimme in der Abtheilung gewesen sei, die sich dagegen ausgesprochen habe, daß das Edikt vom 116. März 1812 zu Grunde zu legen sei. Ich glaube bemerken zu dürfen, daß ich diese einzige Stimme war.

(Gelächter. ) Wenigstens habe ich die Ueberzeugung, daß ich es war, und ich weiß nicht, ob mein Name im Protokoll aufgeführt worden ist. Ich will die Gründe, die mich veranlaßt haben, dagegen zu stimmen, motivi⸗ ren; ich glaube aber nicht, daß der jetzige Augenblick dazu geeignet ist; um eine Berichtigung aber werde ich bitten müssen.

Abgeordn. von Bola: Ich berufe mich auf den Herrn Refe— renten, darüber, daß ich mich gegen denselben an dem ersten Tage, wo wir die Berathung des Entwurfs in der, Abtheilung vorgenom— men, ausführlich darüber ausgesprochen, daß ich mich nicht damit ein⸗ verstanden erklären könnte, daß das Edikt vom 11. März 1812 bei der Prüfung des vorliegenden Gesetzes zu Grunde zu legen. Wenn nun der Heir Reduer diese Ansicht getheilt, so freut es mich, daß wir in dieser Hinsicht übereingestimmt haben!

Referent Sperling: Der Referent kommt dadurch in die übelste Lage. Es könnte scheinen, als sei sein Referat ungenau und doch ist dem nicht so. Ich glaube, der Streit, der sich zwischen beiden Her— ren um die eine Stsmme erhoben hat, wird sich hier ohne die Ver⸗ handlungen der Abtheilung schwer entscheiden lassen, und ich schlage vor, wir überlassen ihn denselben allein.

Marschall: Da dieser Gegenstand für die Berathung uner— heblich ist, so werden wir darüber hinweggehen. .

Abgeordn. Plagem aun: Meine Herren! In der Stadt, die ich zu vertreten habe, sind schon seit langen Jahren die Juden zu Stadtverordneten und ähnlichen städtischen Aemtern gewählt worden, und sie haben stets ihre Pflichten treu und gewissenhaft erfüllt, und bei einem Aufrufe zur Wohlthätigkeit waren sie nie die Letzten. Ich habe noch vor wenigen Tagen Briefe aus meiner Heimat erhalten, aus denen ich erfuhr, daß ein jüdischer Kaufmann Getraide zu einem sehr billigen Preise an seine armen Mitbürger verkauft hat. Meine Herren! Wo' die Juden so ihre Pflichten erfüllen, kann man ihnen feine Rechte vorenthalten, und ich muß also für das Gutachten der Abtheilung stimmen.

Abgebrdn. Schumann (wird von der Versammlung am Vor⸗ lesen gehindert.)

Marschall: Zur Erklärung dieser Sache muß ich daran er⸗ innern, daß die Bitte n Se. Majestät gestellt worden ist, das Re glement möge die Bestimmung erhalten, daß diejenigen, welche der deutschen Sprache nicht recht mächtig sind, ablesen dürfen. Wenn der Herr Abgeordnete selbst erklärt, daß er der deutschen Sprache nicht mächtig sei, so wird die Versammlung diese Bestimmung wohl ein⸗ stimmig gelten lassen.

Abgeordn. Schumann diest die Rede):

Meine Herren!

Ich gehöre zu denjenigen, welche auf unserem Provinzial⸗Land⸗ tage die Emancipation unserer Juden derfochten, welche hier die völ— lige Gleichstellung aller Juden mit den Christen beantragt haben. Darum sei es mir vergönnt, hier einige Worte einmal in Betreff der posener Juden insbesondere sodann in Betreff der im Gesetz⸗ Entwurfe ausgesprochenen Ansschließung aller von beinahe allen Aem⸗ tern einer hohen Versammlung vorzutragen. .

In ersterer Hinsicht, nämlich was die Bestimmungen des Ent— wurfes im §. 14 und den folgenden über die posener Juden anbe— trifft, so will und kann mir ein zureichender Grund für den dort aus- gesprochenen Unterschied nicht einleuchten. Man wird mich ob dieser meiner Ansicht zum wenigsten keiner Befangenheit zeihen. Ich war in meinen jüngeren Jahren ein Gegner der Juden und gestehe es an dieser feierlichen Stelle ganz offen, daß ich mich damals getauscht, von meinem Vorurtheil gegen sie zurückgekommen bin. Ich weiß es wohl, daß unser Großherzogthum beinahe die Hälfte aller Juden der ganzen Monarchie zu ihren Bewohnern zählt; auch will ich es nicht in Abrede stellen, daß ein großer Theil unserer Juden in Rücksicht auf Bildung denen der übrigen Landestheile nachsteht. Nichtsdesto—⸗ weniger spreche ich so meine innigste Ueberzeugung aus, daß sie die durch den Gesetz⸗Entwurf bezweckte Zurücksetzung nicht verdienen.

Das Gutachten des Ausschusses Seite 35 spricht sich hierüber

sattsam aus. Wenn nun das Gouvernement selbst einräumt, daß die Verordnung vom 1. Juni 1837 die Juden im Großherzogthum ge— hoben, so darf ich einen Widerspruch damit darin finden, daß man sie dessenungeachtet zurücksetzen will. Hat jene Verordnung so wohlthätige Folgen gehabt, so möchte daraus weiter folgen, daß der der Verordnung vorangehende Zustand ein Zustand war, den unsere Juden nicht verschuldet haben, sondern daß derselbe durch ihre bis dahin gedrückte Stellung bedingt war.

Weg also mit fernerer Beschränkung! Man stelle sie den übri⸗ gen Juden gleich, und sie werden sich dieser nun nicht mehr zu ver⸗ fagenden Gleichstellung werth und würdig erweisen.

In meiner langsährigen Erfahrung habe ich, der ich inmitten von kleinen Städten mit zahlreicher jüdischer Bevölkerung wohne, Ge⸗ legenheit gehabt, sie in meinem Vaterlande näher kennen zu lernen. Ich habe gefunden, daß sie, was Sittlichkeit und Bildung anbetrifft, im Allgemeinen unserer christlichen Bevölkerung nicht nachstehen. Sie sind, so wendet man ein, verschmitzt, sie sind dem Schacher, dem Wucher ergeben, sie richten hiermit den christlichen Bewohner zu Grunde. Dies befürchte ich nicht, denn giebt es auch allerdings schlechte Juden, so giebt es dergleichen Subjekte auch unter anderen

Religions und Stammgenossen. Daran hat aber weder Religion e Leih unf schuld. Der bisherige a Zustand der 6 klärt Alles. Erlangen die Juden dasjenige, was ihnen von Gottes und Rechts wegen gebührt Gleichstellung mit den übrigen Bewoh⸗ nern des Staates so werden schlechte Juden eben so gebrandmarkt unter ihnen selbst dastehen, wie es bei den Nicht Juden der Fall ist. Beiläufig gesagt, darf nicht unerwähnt gelassen werden, wie die Juden viele gute Eigenschaften haben, welche ihnen die Christen ablernen mögen; deren Nüchternheit, Sparsamkeit, Mitleiden für ihre Arme und Kranke sind nachahmungswerth. Werden sie ben Christen gleichgestellt, so werden sie sich als deren Mitbürger an⸗ sehen und wahre Nächstenliebe auch gegen diese üben. Ich meine, daß wir die beiden Haupt⸗Gebote: . „Liebe Gott und deinen Nächsten !

diese beiden Grundpfeiler des Christenthums, aus dem Judenthum herhaben, und wir handeln nicht christlich, wenn wir die Juden darum zurücksetzen, weil sie Juden sind. Sie waren und sind unsere nächste Nächsten. .

Möge mancher Christ in Folge der Gleichstellung und weil er, wie man sagt, nicht so verschmitzt, so gescheidt sei, wie der Jude bei dem Uebergange des Letzteren in ein gleiches Verhältniß mit den Christen in Nachtheil kommen. Es kann dies der Fall allerdings sein. Aber hat die bisherige untergeordnete Stellung dergleichen Uebelstände zur Folge gehabt, so darf ich dreist behaupten, daß gerade die Gleich⸗ stellung dergleichen Uebelstände beseitigen wird. Denn der Mensch, welcher seinen sittlichen Werth um so mehr fühlt, als er äußerlich und vom Gesetze anerkannt wird, wird gerade darum eine höhere sittliche Würdigung zu erstreben bemüht sein im Herzen und in Thaten.

Die Geschichte hat es aufbewahrt, wie ich dies in meiner Petition näher ausgeführt, daß die Juden in den ersten Jahrhunder⸗ fen der christlichen Zeitrechnung mit den Christen gleiche Rechte und Ehren genossen. Sie waren also dessen werth und werth befunden zu einer Zeit, als eine andere Religion Kultus möchte ich sagen an die Stelle der ihrigen trat. Es lebten also Christenthum und Judenthum friedlich neben einander. Diese Thatsache steht, wie ge⸗ dacht, geschichtlich fest, und es würde mir nicht schwer fallen, den Be⸗ weis zu führen, daß erst dann als es eine herrschende Kirche gab es auch beherrschte, unterdrückte Kirchen gab, woraus sich auch in Bezug auf den vorliegenden Gegenstand gar Vieles, wo nicht Alles, erklären läßt. - .

Ich bin Christ und gehöre der Kirche an, deren Haupt in der letzten Zeit auch in Rücksicht der Nichtchristen, der Juden insbesondere, in seinen Verordnungen und Handlungen Grundsätze ausspricht, welche ich hier mit meinen schwachen Kräften zu vertheidigen suche, und ich würde glauben, die Pflicht eines Christen nicht zu erfüllen, wie es recht ist, wenn ich hier meine Stimme zu Gunsten derjenigen de⸗ ren Väter unsere Vorgänger im Glauben an den einzigen Gott wa⸗ ren zu erheben Bedenken tragen sollte. Dies in Bezug auf meine posener Juden. . J

Abgeordn. von Gottberg:, Als ich meine den vorliegenden Gegenstand betreffende Petition einbrachte, ging mein Antrag dahin, das Ebikt vom Jahre 1812 auf die ganze preußische Monarchie an⸗ gewendet und die darin unerfüllt gelassenen Bestimmungen aus geführt zu sehen. Nachdem seit diesem freisinnigen Gesetze ein Zeitraum von 35 Jahren verflossen war, konnte ich nicht annehmen, daß die Re⸗ gierung eines Staates, welcher der Staat der Intelligenz und des Fortschrittes genannt wird, beabsichtigen würde, ein Gesetz zu erlas⸗ sen, in welchem noch schärfere Absonderungen herbeigeführt werden

sollten. Ein solches Gesetz hätte mir zu sehr mit den Forderungen und dem Geiste der Zeit im Widerspruche erschienen, und ich habe es für Haupt- Aufgabe der Gesetzgebung gehalten, mit dem Geiste der Zeit in Einklang zu bleiben. Der vorlie⸗ gende Gesetz - Entwurf hat mich vom. Gegentheile überzeugt; er hat mir die Ueberzeugung verschafft, daß allerdings eine schärfere Absonderung der Juden beabsichtigt worden ist. Ich kann nicht glauben, meine Herren, daß unter Ihnen eine Sympathie für diefe Bestimmungen, welche einen offenbaren Rückschritt enthalten wür⸗ den, Fuß fassen könnte. Ich kann dies um so weniger glauben, als ich vollständig die Motive zu einem derartigen Rückschritt vermißt babe. Es hätte in der That eines bündigen Nachweises bedurft, daß Juden in ihrer intellektuellen und moralischen Ausbildung in diesen I5 Jahren zurückgegangen sind. Ein solcher Nachweis ist nicht ver⸗ sucht, viel weniger geführt worden. Denn daß es unter den Juden schlechte Leute giebt, kann für mich kein Grund sein. Ich habe nicht geglaubt, daß die Gesetzgebung ihre Grundsätze von dem schlechteren Theile des Volkes abnehmen und auf den besseren anwenden müßte. Mit dem Gutachten der Abtheilung nehme ich daher an, daß das Mini⸗ mum, was den Juden gewährt werden muß, in dem Edikt von 1812 zu⸗ gesichert ist, daß aber die darin enthaltenen Hoffnungen und Verheißungen erfüllt werden müssen. Das Edikt, vom Jahre 1812 enthält eine Beschränkung auf politische Rechte insofern, als die Juden nicht zu Staats-Aemtern gelassen werden sollen. Dies ist später abusive aus⸗ gedehnt worden auf die Kommunal-Aemter und Lehr⸗Aemter. Es enthält in 8§. 39 insofern eine Hoffnung, als gesagt ist, es sollten die Kultus- und Unterrichts-Verhältnisse späterhin unter Zuziehung von Sachverständigen, d. h. von kenntnißreichen Juden, regulirt wer⸗ den. Wenn die ersteren Beschränkungen aufgehoben und diese letzte⸗ ren Verheißungen erfüllt werden, dann, glaube ich, wird der Jude nichts weiter von der Gesetzgebung zu wünschen haben. Was den ersteren Theil anlangt, nämlich die politischen Rechte, so hört man davon sprechen, daß die Juden noch auf einer zu niedrigen Stufe der sittlichen Ausbildung stehen. Meine Herren! Ich weiß nicht, was ich von einem so allgemein gestellten Urtheile halten soll. So weit ich die Juden kenne, sind sie mäßig in ihren Genüssen, nicht ausschweifend, tugendhaft in Heilighaltung der Familienbande. Ich wüßte keinen Fehler, den ich unter meinen christlichen Mitbürgern nicht eben so sehr fände. Der einzige Vorwurf, den man ihnen macht und der zum Theil einen gewissen Schein von Wahrheit für sich hat, ist der, daß sie in ihren Geschäften mit christlichen Mitbür⸗ gern zum Betrug und zum Eigennutz geneigt sind. Aber, meine Herren, ich frage: Ist dies ein Fehler, der mit der jüdischen Natio- nalität und dem jüdischen Glauben nothwendig verbunden ist⸗ Ist es nicht, vielmehr eine Folge der Behandlung, welche ihnen bisher zu Theil geworden ist? Man kann sich nicht wundern, daß eine Nation, welcher die edlen Berufsarten abgeschnitten Haren, sich vorzugsweise auf den Handel warf. Wenn es aber überhäunpt schwer ist, im Han⸗ del zwischen erlaubten und unerlaubten Vortheil eine Granze zu zie⸗ hen, so ist es natürlich, daß das gegen die Juden herrschende Vor⸗ urtheil ihnen vorzugsweise den Vorwurf des unerlaubten Gewinns machte. Wenn also der Vorwurf, durch welchen hier eine Beschrän⸗ kung der Juden motivirt wird, mehn eine Folge der bisherigen Behand⸗ lung O dur icht mit der jüdischen Nationalität und dem

g und durchaus i t den n .

jüdischen Glauben verbunden ist, so glaube ich, bleibt der Gesetzge⸗ bung nichts übrig, als das bisherige Dstem zu andern, nämlich das Sostem der bisherigen Abschließung. Tenn wie können sie sich einer edleren GeistesAustrengun hingeben, wenn die edleren Berufsarten bnen verschlossen sind? Man gebe ihnen Staats- Aemter, dann wird sich zeigen, daß sie mit hohen Geistesgaben ausgerüstet und vollstän⸗ dig befäbigt sind. Ich halte es aber auch für eine Forderung der

Gerechtigkeit gegen die christlichen Staatebewohner, daß diese Kapa⸗