1847 / 168 p. 3 (Allgemeine Preußische Zeitung) scan diff

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Graf von Arnim: Ich wollte mir erlauben, zu bemerken, daß der Vorschlag ein Ganzes ist; er erklärt den Beitritt zum Vo⸗ zum der Drel⸗Stände - Kurie und schließt die Bitte um Interpretation daran, daher ich bitte, ihn vorzulesen. ̃ Referent Graf zu Stolberg (verliest diesm Vorschlag, welcher autet): ; .

„Beschließt die Herren-Kurie, der Bitte der Kurie der drei Stände beizutreten und zugleich von Sr. Majestät die Interpretation deß §. 11 der Verordnung vom 3. Februar . dahin zu erbitten, ob dieser Gegenstand unter die im §. 14 des Grsehes gedachten, zum Ressort der Vereinigten Kurien gehörigen zu rechnen oder in den beiden Kurien getrennt zu behandeln sei? .

Frhr. von Massenbache— Dem geehrten Redner aus Preu⸗ ßen, der mir auf das, was ich hier sagte, Mehreres erwiederte, er⸗ laube ich mir zu antworten, daß die Aeußerungen, welche wir bei der Debatte über die zu bewilligende Garantie oder nen aufzunehmende Staats Anleihe in' den Vereinigten Kurien gehört haben, uns hin⸗ länglich überzeugen können, wie geeicht später, wenn die Abtheilung

mil dem Finanz-Etat sich nicht einverstanden erklären sollte, an der⸗ gleichen Garantieen wieder Bedingungen geknüpft werden könnten, und daß gerade dadurch das Recht der Krone, was als unbeschränkt feststehen soll, doch beschränkt werden könnte, Wenn ein späterer Red⸗ ner mir vorgeworfen hat, ich hätte von Absichten, die in der Petition lägen, gesprochen, so ist mir das nicht erinnerlich, sondern ich habe von den Folgen gesprochen, die aus der Erfüllung dieser Petition entstehen könnten, und ich glaube wohl, daß wir bei jeder Handlung, die wir vornehmen, die Folgen, die daraus entstehen, sehr wohl zu beachten haben. .

Marschall: Die Frage würde doch zu trennen sein. Die erste Frage wäre, ob die Kurie dem Antrage der Kurie der drei Stände beiträte. Erst wenn diese bejaht ist, würde erfolgen können, daß der Antrag gestellt werde, diese Interpretation von Sr. Majestãt sich zu erbitten.

Graf Loönar: Ich befürworte, daß Ew. Durchlaucht die Frage nicht trennen, sondern sie so zur Abstimmung bringen, wie mein geehrter Kollege aus der Provinz Brandenburg vorgeschlagen hat. Trennen Ew. Durchlaucht die Frage, so würde ich mich in der Lage befinden, die erste Frage verneinen zu müssen; bleibt sie aber, wie sie vorgeschlagen worden ist, so würde unbedingt ich ein Ja aussprechen.

Graf Solms-Baruth: Jedenfalls wird es förderlicher sein, wenn die Frage vereinigt bleibt; denn ich würde ebenfalls in Verle— genheit sein, wie ich stimmen sollte; der ersten Frage würde ich nicht beistimmen, wohl aber der vereinigt gestellten, in der Art, wie das Amendement des Herrn Grafen von Arnim vorschlägt.

von Quast: Ich würde Ew. Durchlaucht bitten, die Frage so zu stellen, wie Sie sie eben angekündigt haben, weil ich im All— gemeinen aus den neulich erwähnten Ursachen, die heute Herr von Massenbach wiederholt hat, dem Antrage mich entschieden widersetzen würde, indem ich die Folgen daraus ziehe, die Herr von Massenbach angeführt hat. Wenn aber die hohe Kurie dennoch den Antrag an— nimmt, so würde ich mich dem von Arnimschen Amendement, als einer Verbesserung, nachträglich anschließen können.

Graf von Arnim: Ich kann nicht einsehen, warum das ge— ehrte Mitglied sich nicht eben so entschieden der ganzen Frage wider⸗ setzen könnte, wie sie von mir gestellt ist. Es sind aber mehrere Mitglieder der Ansicht, daß die Frage vereinigt zu stellen sei. Die Abtheilung bat einen Vorschlag gemacht, welcher diese Frage bereits vereinigt brachte. Jetzt ist die Frage modifizirt, aber sie bleibt ver⸗

einigt, und meine Bitte ist, daß sie auch bei der Abstimmung verei⸗ nigt bleibe.

Graf von Aork: Ich möchte doch der Meinung sein, daß wir erst über das Gutachten der Abtheilung abstimmen müssen, d. h. daß wir darüber abstimmen, ob wir überhaupt dem Antrage der Kurie der drei Stände betreten.

Marschall: Darauf trägt die Abtheilung nicht an. Die Ab⸗ theilung trägt nicht auf Beitritt zum Beschlusse der Kurie der drei Stände an; sie hat vielmehr einen anderen Antrag gestellt, von wel— chem aber jetzt der Referent und ein Theil der Abtheilung abge— gangen ist.

Graf von Aork: Es bandelt sich nur darum, ob in jeder Kurie eine besondere Abtheilung gebildet werden soll. Dem Antrage, daß überhaupt eine Abtheilung ernannt werde, welcher die Einsicht des Staatsbausbaltes obliegt, ist die Majorität der Abtheilung beigetre— ten, und dieser Ansicht ist wohl auch unzweifelhaft die hohe Kurie.

Marschall: Man kann nicht sagen, daß die Abtheilung dieser Versammlang dem Antrage der Kurse der drei Stände beigetreten sei, weil wenigstens so viel ganz ausgemacht ist, daß in dem Antrage der anderen Kurie, wie er Seite 1 des Gutachtens abgedruckt ist, nichts darüber enthalten ist, wie die Kurie das Wort Plenum ver— standen wissen wolle, eb sie sich das Plenum der Vereinigten Kurien oder das Plenum der Kurie der drei Stände gedacht hat. Insofern kann man nicht sagen, daß eine Gleichförmigkeit zwischen dem Antrage der anderen Kurie und dem der Abtheilung stattfindet.

Graf von Arnim: Gerade aus den Gründen, die Ew. Durch— laucht anführten, halte ich es nicht zulässig, den Antrag, wie er ge— genwärtig von mir fermulirt worden ist, zu trennen und die Frage oder den Antrag: dem Votum der Drei-Stände⸗Kurie pure ohne irgend einen Zusatz beizutreten, für sich allein zu stellen. Ein solcher Antrag ist von Niemanden, weder von der Abtheilung, noch von einem Mitgliede in dieser Kurie gestellt worden. Wenigstens hat er bis jetzt keine Unterstüͤtzung gefunden, sondern die Abtheilung hat

einen modifizirten Beitritt vorzeschlagen. Heute ist diese Declaration in anderer Weise von mir vorgeschlagen worden, aber ein Antrag, wie ihn Se. Durchlaucht getrennt an die Sxitze gestellt haben, ist nicht gestellt worden. :

Marschall: Es würde doch so anzunehmen sein, daß dieser Antrag von dem geehrten Mitgliede ausgegangen sei, wenn die Vor— aussetzung richtig ist, die ich festgehalten Habe, daß die Ansicht der Kurie der drei Stände die sei es sollũe die Information seitens einer Abtheilung des Plenums beider Kurien erfolgen. Mir scheint, ob— eich es nicht bestimmt ausgedrückt worden ist, daß dies iu dem Sinne des Antrages, der von der Drei- Stände Kurie herüberge⸗ kemmen ist, liege, und wenn diese Voraussetzung richtig ist, so würde in dem Vorschlage, den wir heute gehört haben, die Abänderung lie— gen, daß dem Antrage beizutreten, aber von Sr. Majestät dent Kö— nige nachträglich die Interpretation zu erbitten sei. Ich sehe aber auch keinen wesentlichen Unterschied, ob die Hauptfrage getrennt oder in eine gefaßt wird, und die Ansicht der Versammlung würde eben so deutlich zu entnehmen sein, wenn sie ungetrennt bliebe; wenn sie alse, um den Vorschlag in die Fassung einer Frage zu bringen, so bieße: Beschlicßt die Versammlung, der Bitte der Kurie der drei Stände beizutreten und von Sr. Fan far dem Könige zugleich die Interpretation des §. 11 des Gesetzes dahin zu erbitten, ob dieser Gegenstand unter die §8. 14 des Gesetzes zum Ressort der Vereinig⸗ ten Kurien m zu rechnen oder in beiden Kurien getrennt zu berathen sei

Färst Lichnowaky: Aach ich lege keinen Werth darauf, ob Cre. Tarchlaucht dies getrennt oter in einer Frage zur Abstimmung brwgen. Ich habe allerding geglaubt, daß dies eben so gut ge⸗ trenat geschehen könne, indem der Jusatz, den wir gemacht haben,

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nichts an der Petition verändert, aber die lebte Fragestellung finde ich auch gut und stimme ihr gern bei. ;

Run chall: Späterhin eventuell, d. h. wenn diese zuerst zu⸗ tellende Frage verneint wird, wird die nächste Frage auf den Vor⸗ een zu richten sein, der von dem Referenten ausgegangen und von ber Bersammiung unterstützt worden ist. Die erste Frage heißt also: Beschließt die Herren-Kurie der Bitte der Kurie der drei Stände bei⸗ zutreten, zugleich von Sr. Majestät dem Könige die Interpretation des S. il des Gesetzes dahin zu erbitten, ob dieser Gegenstand un⸗ ter die §. 14 des Gesetzes gedachten zu dem Ressort der Vereinigten Kurien gehörenden zu rechnen oder in den beiden Kurien getrennt zu behandein sei? Es werden diejenigen, die diese Frage bejahen, die also dem Antrage beitreten, dies durch das Zeichen des Aufstehens zu erkennen geben. .

Er ist mit der erforderlichen Majorität von zwei Drittel ange⸗ nommen worden.

Wir kommen nun zur Berichterstattung über die Königliche Pro⸗ position, die Feststellung der Verhältnisse der Juden betreffend. Ich bitte den Referenten, Graf Itzenplitz, den Bericht zu erstatten.

Referent Graf Itzenplitz: Wenn die hohe Versammlung es so genehmigen möchte, so glaube ich, würde die Berathung einfach den Gang nehmen können, daß ich immer erst den Tert des Gesetz⸗ Entwurfes, zunächst den Eingang des Gesetz Entwurfes, also den Theil, der vor dem Abschnitt l. steht, vorlese und darauf dann das Gutachten der Abtheilung über diesen Abschnitt folgen ließe. Das Gutachten der Abtheilung über den Eingang wird daun diejenige Information über die allgemeine Lage der Sache enthalten, welche die Abtheilung für Pflicht gehalten, der hohen Kurie zu vergegen— wärtigen, und wird schließlich auf Beantwortung der Frage führen:

olchen Gesetzes Bedürfniß oder

„Ob überhaupt der Erlaß eines s Nothwendigkelt sei.“ . (Liest: )

Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen ꝛc. ꝛc. ö. Nachdem Wir zur Herstellung einer allgemeinen und n, . gen Gesetzgebung über die Verhältnisse der Juden die bestehenden Vorschriften sowohl über die jüdischen Kultus- und Unterrichts Ange⸗ legenheiten, als auch hinsichtlich des bürgerlichen und Rechtszustandes, insbesondere die für das Großherzogthum Posen ergangene Verord— nung vom 1. Juni 1833, einer Revision haben unterwerfen lassen und in Betracht, daß die eigenthümlichen Verhältnisse der jüdischen Bevölkerung in der Provinz Posen eine gänzliche Aufhebung der dort gesetzlich bestehenden Verfassung des Judenwesens zur Zeit noch nicht gestatten, verordnen Wir auf den Antrag Unseres Staats- Ministe: riums und nach Anbörung Unserer getreuen Stände des Vereinigten Landtages, wie folgt:

; ab schni . ueber die Verhältnisse der Juden in allen Landest hei⸗ len Unserer Monarchie, mit Ausschluß des Großher⸗ zogthums Posen.

Es wird nun das Gutachten der Abtheilung zur Allerhöchsten

Proposition folgen. ö (Liest:)

In Folge Allerhöchster Königlicher Proposition ist die Herren⸗ Kurie aufgefordert worden, einen von den Räthen der Krone vorge legten Gefetz- Entwurf über die Verhältnisse der Juden zu begutach— ten und hat die unterzeichnete Abtheilung mit der Vorberathung be⸗ auftragt. . ;

FTiese ist bemüht gewesen, den Gesetz-Entwurf unter Beachtung der in der Venkschrift mitgetheilten Motive und nach Einsicht des in zwei Heften vollständig mitgetheilten Materials unter Zuziehung Kö⸗ niglicher Räthe vollständig zu prüfen und beehrt sich, ihre Ansicht in dem hier nachfolgenden Gutachten vorzutragen.

Die erste Frage, welche sich die Abtheilung vorlegen mußte, war: ob überhaupt ein Be dürfniß zum Een eines Gesetzes über die Verhältnisse der Juden in preußischen Staaten vorhanden sei? . .

Um diese beantworten zu können, war es nöthig die jetzigen Verhältnisse, unter welchen die Juden in preußischen Staaten leben, ins Auge zu fassen. .

Es liegt in der Pflicht der Abtheilung, der hohen Kurie hier⸗ über die wesentlichsten Momente zu vergegenwärtigen.

Es wohnen in preußischen Staaten 206,060 Juden und von diesen fast die Hälfte mit ungefähr 80, 000 im Großberzögthum Po⸗ sen. Außerdem wohnen nahe an 26,000 Juden in den Regierungs— Bezirken Breslau und Oppeln. .

; In der Stadt Berlin wohnen circa 8000 Juden, d Breslau .. 6000 * Danzig.... 4000 * Kempen. .... 3528 *

Die Stadt Kempen ist, wie den verehrten Mitgliedern bekannt sein wird, ein Städtchen im Großherzogthum Posen und enthält 6113 Einwohner, unter welchen 3528 Juden.

In der Stadt Königsberg wohnen circa 1660) Juden,

w—ö * Köln 700 *

in den übrigen großen Städten. 500 und weniger.

Wenn hiernach in preußischen Staaten unter 74 Einwohnern ein Jude ist (im Großherzogthum Posen unter 16 Einwohnern ein Jude), so stellt sich dies Verhältniß vergleichungsweise mit anderen Staaten so: .

In preußischen Staaten .... 1 Jude auf 4 Einwohner,

österreichischen Staaten y 57

Bayern . 71 den Niederlanden . 61 Württemberg, wo die Juden

sehr ausgedehnte Freiheiten

genießen 1 149 Frankreich : 487 „Broßbritanien und Irland 1 2075 .

Was daher für Frankreich und England angemessen erscheint, därfte es deshalb noch nicht unbedingt für Preußen (resp. Posen) sein.

Neben diesen Bevölkerungs⸗Verhältnissen darf die Gesetzgebung nicht die Stellung außer Acht lassen, welche die Juden in preu— ßischen Staaten bisher gewonnen haben. Es ist bekannt, wie die Ausgezeichnetesten dieses Stammes an Intelligenz, Bildung und Ver⸗ mögen den Ersten des Landes kaum nachstehen, und wie der Mittel⸗ stant in Verhältnissen lebt, welche denen der hristlichen bürgerlichen Bevölkerung ziemlich gleichkommen; während die geringe, ungebildete und ärmere Klasse der Juden sehr selten den Acker bebaut, selten Gewerbe treibt und sich in der Regel mit dem Klein⸗ Handel be⸗ Hůliißt welchem sie mit eben so viel Gewandtheit als Ausdauer obliegt.

Dabei mußte die frühere rücksichtlich der Juden ziemlich in gan; Europa gültige Gefetzgebung, welche auch in einem bedeutenden Theil des preußischen Slaats noch jetzt besteht, alle Juden als eine 133 ab⸗ sondern, zusammenhalten und dahin führen, daß die sonst in sehr ver⸗

schiedenen Verhältnissen lebenden Mitglieder dieser Religionspartei sich doch stets in vieler Beziehung als Genossen anerkannten, überall wie= derfanden und einander ann eren Nach den dem Laudtage vorgelegten Bericht und Nachweisungen des Justiz⸗Ministeriums ssie sinden sich im ersten Heft der Beilagen, im Heftchen B. Seite 29 u. ff.)

Ich werde, wenn es von der einen oder anderen Seite verlangt wird, die Stelle vorlesen, sonst habe ich das Nöthige im Gutachten schon gesagt.

(Fährt fort:) hat eine Vergleichung der Angeschuldigten jüdischen Glaubens mit denen christlicher Konfessionen ein für erstere ungünstiges Resultat er⸗ geben.

Nach der Tabelle (S. 37) war 1839 im Ganzen der 133ste Einwohner ein Angeschuldigter und von diesen der 135ste ein Christ, der 84ste ein Jude. Und im Jahre 1834 im Ganzen der 1066te Einwohner ein Angeschuldigter und von diesen der 162ste ein Christ und der 82ste ein Jude. Die Aeußerungen der einzelnen Gerichts⸗ höfe sind abgedruckt, nach einigen dieser und nach dem Bericht des Justiz—Ministeriums sollen die meisten Verbrechen der Juden gegen das Eigenthum gerichtet sein und aus Eigennutz und Gewinn ucht herrühren; auch will man hier und da bemerkt haben, daß diese Ver⸗ brechen häusiger gegen Christen als gegen Glaubensgenossen gerich= tet sind. 2

Es ist mehrseitig geltend gemacht worden, daß diese Zahlen⸗ und Tabellen-RKesultate wenig gegen die Juden beweisen könnten, nament= lich deshalb, weil die jüdische Bevölkerung, welche fast nur in Städ— ten wohnt, mit der ganzen, auch ländlichen übrigen. Bevölkerung ver⸗ glichen worden sei, während sie nur mit der städtischen Bevölkerung hätte verglichen werden können und sollen. -

Die Wahrheit dieses Einwurss kann nicht. in Abrede gestellt wer= den, denn es ist nur zu bekannt, daß die Bevölkerung der Städte un⸗ endlich viel mehr Verbrechen begeht, als die des .

Im Allgemeinen ist zweifelsohne anzuerkennen, daß die jüdische Bevölkerung, namentlich in den Landestheilen, in welchen sie in ge⸗ rbneten und freieren Verhältnissen lebt, in Bildung und Gesittung bedeutende Fortschritte gemacht und an den Tag gelegt hat.

Roch wichtiger für die hohe Kurie und die hier zuerst zur Be⸗ antwortung vorliegende Frage ist der jetzige Justand der rücksichtlich der Juden in preußischen Staaten gültigen Gesetzgebung.

In den Landestheilen, welche i812 zum preußischen Staate ge⸗ hörten, gilt das Edikt vom 11. März 1812, welches die Juden im Allgemeinen den Christen ziemlich gleich stellt, sie nicht in besondere Corporationen vereinigt, ihnen Freiheit des Erwerbes und Grund⸗ besitzes zugesteht, sie auch zu akademischen Lehr und Schulämtern, desgleichen zu Gemeinde- Aemtern für befähigt erklärt, sie aber von Staats? Aenitern noch ausschließt. Diese Gesetzgebung hat durch die deutsche Bundes-Akte eine Bestätigung erhalten, welche im Artikel 16 sagt: . . .

„Die Bundes-Versammlung wird in Berathung ziehen. wie auf eine möglichst übereinsätimmende Weise die bürgerliche Verbesserung der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland zu bewirken sei und wie insonderheit derselben der Genuß . Rechte gegen die Uebernahme aller Bürgenrpflichten in den Bun. desstaaten verschafft und gesichert werden könne. Jedoch werden den! Bekennern dieses Glaubens bis dahin die denselben von den einzelnen Bundesstagten bereits eingeräumten Nechte erhalten.

Eine allgemeine Bundes-Gesetzgebung für die Juden ist bisher nicht eingetreten. Die weitere Entwickelung der politischen Verhält⸗ nisse hat aber Modificationen, des Edikts von 1812 herbeigeführt.

Durch ein Gesetz vom 30. August 1816 ergingen die nöthigen Anordnungen, wie es zu halten sei, wenn Juden Grundstücke erwer⸗ ben, mit welchen das Patronatsrecht über christliche Kirchen verbun— den ist; durch ein auf Allerhöchste Anordnung beruhendes Publikan⸗ dum des Königlichen Staats- Ministeriums vom 4. Dezember 1822 (Gesetz⸗ Sammlung S. 224) wurde die Bestimmung: daß Juden zu akademischen Lehr- und Schulämtern zugelassen werden können, aus⸗ gehoben und endlich durch ein Gesetz vom 8. August 1830 festgestellt, daß das Edikt über die Verhältnisse der Juden vom 11. März 1812 mit der übrigen preußischen Gesetzgebung in den neu oder wieder erworbenen Landestheilen nicht eingeführt worden sei.

Für das Großherzogthum Posen erging am 1. Juni 1833 eine vorläufige Verordnung über die Verhältnisse der Juden, welche diese Bevölkerung in zwei Rategorieen theilt, deren erste (die „naturalisir⸗ ten“ ziemlich gleiche Rechte mit den Christen erhielt, während die zweite (die nicht naturalisirten) noch mancherlei Beschränkungen unter⸗ worfen blieb. .

Außerdem wurden die Juden dieser Provinz in Corporationen vereinigt, denen eine Thätigkeit und Verpflichtung in Beziehung

auf Kultus und Schulwesen,

Armen⸗ und Krankenpflege und Verzinsung und Tilgung der Schulden der früheren Juden schaften beigelegt und zugewiesen wurde, ö. ö

Diese Geseßgebung hat sich schon in der kurzen Zeit, seit 1833, durch segensreiche Erfolge bewährt. J

Neben den größeren Landestheilen, in welchen die beiden vor erwähnten Gesetzgebungen gelten, waltet nun in der übrigen Mo— narchie große Verschiedenheit ob. . 6

Abgesehen selbst von den besonderen Bestimmungen, welche für die Juden

im kottbusser Kreise und

dem Gebiet der Stadt Danzig . gelten, ist eine größere Gegend an der Netze, etwa 4 bis 5. land⸗ räthliche Kreise betragend, zu beachten, welche im Jahre, 1812 zum Großherzogthum Warschau gehörte, jetzt aber den Prodinzen West⸗ preußen und theilweis Brandenburg zugeschlagen ist. In dieser gilt ein altes preußisches Juden-Reglement von 1750, modisizirt durch einige warschauische Verordnungen, Hiernach sind die Juden nn Gegend in anderer und meist beschränkterer Lage, als in den Pro⸗ vinzen der Monarchie von 1812 und in dem Großherzogthum Posen.

In den ehenialig sächsischen Landestheilen, im Kurkreis und Thüringen und in der Ober- und Niederlausitz, desgleichen im Henne⸗ bergischen, leben die Juden im Allgemeinen unter sehr, beschränkenden Bestimmungen; sie sind hier Schuß Unterthanen, bedürfen der Kon—⸗ zession zur Ansiedelung, dürfen Grundstücke entweder gar nicht oder nur unter erschwerenden Bedingungen erwerben, zahlen Schutzgeld und waren auch im Gewerbebetriebe sehr beschränkt.

Diese Bestimmungen modifiziren sich aber noch mehrfach in den verschiedenen vorgenannten ehemals sächsischen Gebieten.

Ich habe nicht zu ausführlich sein wollen, um nicht die Geduld der hohen Kurie zu sehr in Auspruch zu nehmen, und weil ich glaubte, daß es nur darauf ankäme, ein 6 Bild zu entwerfen.

Eiest:)

In Neu⸗Vorpommern und Rügen gilt wieder eine be sondere

Verfassung für die Juden, der a gemeinen deutschen nach dem

Grundsatze: 2 der Schutz⸗Unterthänigteit, Erste Beilage

. Erste Beilage zur Allgemeinen Preußischen

ziemlich entsprechend, aber durch schwedische Verorbnungen mehrfach nodifizirt und gemildert. 1 e

Im Herzogthume Westfalen früher kölnisch, dann hessisch) leben die Juden unter sehr beschränkten Bestimmungen. Sie bedür⸗ sen zum Aufenthalte im Lande eines Geleitbriefes oder Toleranz— Scheines, dürfen Heirathen nur mit Konsens der Regierung schlie— ßen, und auch nur mit diesem und unter manchen Beschränkungen Grundstücke eiwerben; auch ihr Gewerbebetrieb war beschränkt.

Im Fürstenthum Siegen und den sonstigen früher Nassauischen Landéotheslen (welche theils zum arnsberger, theils zu koblenzer Jiegierungsbezirk gehören) sind die Juden im Allgemeinen auch Schutz- Ünterthanen, doch nach mancherlei Modificationen in den verschiedenen Gebieten etwas freier als im Herzogthum Westfalen gestellt. ö ; I den preußischen Gebieten dagegen, welche dem französischen gaiserreich angehörten, genießen die Juden auf Grund des Code Dapoleon im Allgemeinen mit den Christen gleiche Rechte. Ein Kaiserliches Dekret vom 17. März 1808 beschränkte aber, um den Wucher der Juden zu steuern, deren Gewerbebetrieb und Darlehns— Verkehr auf sehr belästigende und erceptionelle Weise. Dieses Dekret (es besindet sich unter den Beilagen Heft J. pag. 42) war ursprüng— lich nur als eine vorübergehende Maßregel auf 10 Jahre erlassen ist aber durch Allerhöchste Kabinets- Ordre vom 3. März 1818 vor— läuüfig beibehalten worden. Es gilt dasselbe jedoch nur auf dem linken Rheinufer. Die neuere Zeit hat außerdem die Praris herbei⸗ geführt, daß die Juden in diesen Landestheilen zu Staats-, aka⸗ demischen, Lehr und Schulämtern, desgleichen in den Regierungs— Bezirken Trier, Koblenz und Köln als Geschworne und nach der Gemeinde Ordnung als Gemeinde-Vorsteher nicht zugelassen wor⸗ den sind. . . .

In denjenigen preußischen Gebieten, welche früher zum ehe— maligen Großherzogthum Berg und dem ehemaligen Königreich West— falen gehört haben, stehen die Juden im Allgemeinen den Christen gleich, nur sind sie ;

nach der neuen Königl. preußischen Landgemeinde-Ordnung für die Provinz Westfalen und nach der revidirten Städte-Ordnung von den Aemtern der Gemeinde- Verordneten und Vorsteher, ;

(also wieder von der rheinischen Landgemeinde Ordnung ver— schieden) . j desgleichen der Bürgermeister und Ober-Bürgermeister ausgeschlossen und haben auch faktisch so viel bekannt Staats-= akademische,

Lehr- und Schulämter nicht erhalten.

. Hiernach ergeben sich für die Verhältnisse der Juden in dem— selben Staate ungefähr 15 wesentlich verschiedene Gesetzgebungen, und, wenn man die geringeren Modificationen in den kleineren Lan= destheilen mitrechnet, ergiebt sich eine noch viel größere Zahl.

Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß eine Compilation über die gesetzlichen Verhältnisse der Juden in preußischen Staaten einen ansehnlichen Oktavband von 516 Seiten füllt. Während eirca 126,000 Juden den Christen ziemlich gleich behandelt werden, leben etwa 80,000 in demselben Staate unter sehr drückenden, Gewerbe und Eigenthum schwer beschränkenden Bestimmungen.

Erst in allerneuester Jeit hat die Weisheit Sr. Majestät des Königs wenigstens in drei Punkten eine Gleichförmigkeit anbefohlen. Durch ein Geseßz vom 31. Oktober 1845 sind nun alle Juden in allen preußischen Lan- destheilen verpflichtet, feste Jamilien⸗Namen anzunehmen, was in mehreren Landestheilen bisher noch nicht feststtnd. Durch ein Gesetz vom 31. De— zember 1815 sind alle preußischen Juden der Militairpflicht unter⸗ worfen worden, und die Gewerbe- Ordnung vom 17. Januar 1845 hat den Juden überall den Betrieb stehender Gewerbe gestattet.

Nach den vorstehend entwickelten Verhältnissen dürfte es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die schon mehrfach verheißene Ge— setzgebung für die Juden im preußischen Staate nicht nur nützlich, sondern ein dringendes Bedürfniß ist, sowohl um die Verhältnisse einer so intelligenten, beweglichen und in sich zusammenhängenden Bevölkerung im Interesse des Staates unter feste Normen zu brin— gen, als auch, um die großen Ungleichheiten wegzuschaffen, denen die Unterthanen desselben Landesherrn, bei gleichen Verpflichtungen gegen den Staat, unterliegen.

Die Abtheilung hat dies Bedürfniß einstimmig anerkannt und trägt darauf an, daß die hohe Kurie ein Gleiches thun möge, Wenn hierin zugleich die anerkennende Aeußerung der Abtheilung über den Eingang des vorgelegten Gesetz-Entwurfes enthalten ist, so war die⸗ selbe ebenmäßig auch der Ansicht, daß die nicht naturalisirten Juden im Großherzogthum Posen für jetzt ihren übrigen Glaubensgenossen noch nicht gleich zu stellen sein werden.

Diesen letzten Punkt wegen der nicht naturalisirten Juden in Posen habe ich mir erlaubt, deshalb nur vorläufig hier zu berühren, weil der Eingang des Gesetzes, welchen vorzulesen ich die Ehre hatte, selbst sagt, daß für Posen noch einige besondere Bestimmungen noth—⸗ wendig sein würden und dadurch gleich eine Trennung des Gesetzes in zwei Abschnitte gegeben wird, wovon der erste die Juden im All gemeinen behandelt und der zweite diejenigen Bestimmungen enthält, welche vorläufig noch für die Juden in Posen besonders nothwen— dig sind.

Staats Minister Dr. Eichhorn: Ehe eine hohe Versammlung zur Prüfung der einzelnen Paragraphen des Gesetzes übergeht, möge es mir erlaubt sein, mich über die Idee des Gesetzes, seinen Zweck, sein Verhättniß zur bestehenden Gesetzgebung zu äußern. Ich wünsche

eine hohe Versammlung in die Mitte der Betrachtungen hineinzufüh⸗

ren, in welcher die Königliche Regierung ihren Standpunkt genommen hat, als sie diesen Entwurf ausarbeiten ließ. Ich glaube, wenn diese Darstellung in einer kurzen konzentrirten Zusammenfassung geschieht, daß dadurch einer hohen Versammlung das Geschäft der Beurthei lung des Gesetzes sehr wird erleichtert werden. Ehe ich nun zur Darstellung der Idee und des Zweckes des Ge setzes übergehe, erlaube ich mir, einige geschichtliche Notizen über den Gang unserer Gesetzgebung in Beziehung auf die Judenfrage vor⸗ auszuschicken. Die preußische Regierung hat schon seit einer langen Reihe von Jahren eine ganz besondere Aufmerksamkeit der bürger⸗ lichen Verbesserung der Juden gewidmet. Die umfassendste Anord⸗ nung für diesen Zweck erfolgte durch das Edikt vom Jahre 1812. Vor diesem Edifte waren die Juden im Lande nur Fremde, konzes— sionirt zu einem mehr oder minder bedingten dauernden Aufenthalte an einem bestimmten Orte oder in einer bestimmten Provinz mit be⸗

stimmten Befugnissen in Beziehung auf Besitz, Erwerb und gewisse Arten von Gewerben. Ihr Verhältniß, wie sich hieraus ergiebt, war

wesentlich ein kontraktliches, ein prekäres, ein höchst abhängiges. Die⸗

ses Verhältniß wurde völlig umgewandelt durch das Edikt vom Jahre 1812. Das Edikt erklärke die Fremdlinge zu Inländern, die aus dem Staatsverbande Ausgeschlossenen zu Staatsbürgern. Das ist der Sinn des Ausdrucks Staatsbürger, der wesentlich als ein abstrakter, der Schule entnommener bis dahin im preußischen Staatsrechte eigentlich keine bestimmte Geltung hatte; es sollte aber damit allerdings aus⸗

gedrückt werden der praktische Gedanke, daß die Juden aufhören soll⸗

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Zeitung.

Sonnabend den 1911 Juni.

ten, von dem Staatsverbande ausgeschlossen zu sein, und daß sie Glieder des staatlichen Verbandes würden. Dieses war die wichtige Veränderung, die vorging. Der Schutzbrief war nicht mehr der aus⸗ schließende, besondere Titel für die Rechte der Juden, das Gesetz hatte sie im Ganzen den übrigen Einwohnern, bis auf die von ihm gemachten Ausnahmen, gleichgestellt. Bald nachher traten die großen Ereignisse ein, die einen völligen Umschwung in unseren vaterländi⸗ schen Angelegenheiten hervorbrachten. In den Jahren 1811 und 1815 vereinigten sich die getrennt gewesenen Glieder des deutschen Gesammtvaterlandes wieder zu einer politischen Gemeinschaft in dem von ihnen geschlossenen Bunde.

Bei dieser Gelegenheit vereinigten sie sich zugleich, über mehrere große Fragen, die den inneren Zustand und die Verhältnisse Deutsch⸗ lands berührten, gemeinsam in Berathung zu treten; unter diese Fra⸗ gen wurde nun von ihnen auch die Judenfrage gestellt. Die nächste Folge dieser Verabredung war, daß die einzelnen deutschen Staaten der Thätigkeit und Entwickelung ihrer besonderen Gesetzgebung Anstand gaben. ö Der Artikel 15 der Bundes⸗Akte, welcher diese Verabredung aus⸗ spricht, setzt fest, es solle vor der Hand an den Rechten der Juden, die von den Bundesstaaten ihnen bereits zugestanden seien, nichts geändert werden. Neben dieser negativen Bestimmung zum Vortheil der Juden wurde aber auch noch in der Tendenz zu einer positiven weiteren Verbesserung ihres Zustandes eine gemeinsame Berathung vereinbart, wie auf möglichst übereinstimmende Weise der Genuß der bürgerlichen Rechte gegen die Uebernahme aller Bürgerpflichten in den Bundesstaaten den Juden verschafft und gesichert werden kann. Die Weiterung dieser positiven Bestimmung war freilich in die Zu⸗ lunft gestellt. Die Berathung begann; dabei zeigten sich bald die größten Schwierigkeiten, zu einer übereinstimmenden Gesetz— gebung zu gelangen. Mehrere der kleineren Staaten, namentlich eine und die andere der freien Städte, hatten bisher keine Juden in ih— rem städtischen Bereich, und sie waren auch nicht geneigt, die Juden künftig bei sich zuzulassen. Sodann gab es wieder andere kleine Staaten, die zwar Juden hatten, aber auf einer so niederen sozialen Stufe, daß sie Bedenken trugen, die Grundsätze der größeren Staa⸗ ten, die Juden von allen Bildungsstufen in sich enthielten, ihrerseits anzunehmen. In Folge dieser Verschiedenheit überzeugte man sich nach längerer Berathung, daß zu einer übereinstimmenden Bundes Gesetzgebung nicht zu gelangen sei. Wiewohl nicht ausgesprochen ist beim Bunde, daß dahin nicht zu gelangen sei, wiewohl insofern die Sache noch als schwebend zu betrachten ist, so hegt man doch darüber kaum einen Zweifel, daß dieses Ziel nicht zu erreichen sei; darum haben auch schon seit längerer Zeit die einzelnen Staaten ihre sistirt gewe⸗ sene besondere Gesetzgebung in dieser Angelegenheit wieder aufgenom⸗ men. Von Preußen geschah dies schon im Laufe der 20ger Jahre. Die preußische Regierung that dies, indem sie zunächst die Ansichten der von ihr neu gegründeten Provinzialstände darüber einholte. Die ersten ständischen Gutachten fielen höchst ungünstig für die Juden aus, ja so ungünstig, daß, wenn die Regierung sich hätte darauf einlassen wollen, die Bestimmungen des Edikts vom Jahre 1812 dem Wesen

nach wieder hätten zurückgenommen werden müssen. Die Regierung wollte sich jedoch nicht dazu verstehen, einen Schritt rückwärts zu thun. Man hielt fest an dem Grundsatze, der Zustand der Juden müsse verbessert werden; also jede Veränderung, die erfolgen könnte, müsse auf eine Besserung hinauslaufen. Es wurde im Ferneren von den betreffenden Behörden, sorgfältig erwogen, was bei der ungünstigen Stimmung der Provinzialstände zu thun sei. Die höchsten Organe der staatlichen Verwaltung traten in Berathung, es gelangte die Sache bis in den Staatsrath. Hier überzeugte man sich, es werde nöthig sein, noch mehr faltische Aufklärung über die Juden in den Provinzen einzuziehen. Die e Verbereitung, welche zunächst gerichtet war auf die sozialen Zustände der Juden, dehnte man nun‘ mit zugleich auf die Lösung einer Aufgabe aus, die das Edikt von 1812 sich vorbehalten hatte, nämlich die Regulirung des Kultus- und Unterrichtswesens der Juden. Während dieser Vorberei⸗ tung wurden ohne Anregung der Regierung neue Stimmen der Pro— vinzialstände laut, die viel günstiger, wie früher, für die Juden waren. Als diese günstigen Stimmen sich hatten vernehmen lassen und in der Zwischenzeit alle Materialien von der Regierung gesammelt worden waren, um mit einem entscheidenden Schritte vorwärts zu gehen, glaubte sie nun auch nicht länger damit zögern zu dürfen. Was sie zu thun für angemessen hielt, hat sie nun zusammengefaßt in dem Gesetz-Entwurf, der an den Vereinigten Landtag gelaugt ist. Dies ist das allgemein Geschichtliche über den Gang der Gesetzgebung wegen der Juden. .

Ich wende mich nun zur Idee des vorgeschlagenen Gesetzes selbst, zu seinem Zwecke und seinem Verhältniß zur bestehenden Gesetzgebung. Der Zweck des Gesetzes ist einmal darauf gerichtet, die Bestim⸗ mungen des Ediks von 1812 auszudehnen auf diejenigen Provinzen, die nach dem Jahre 1812 mit der Monarchie wieder oder neu vereinigt worden sind, insofern dort der Zustand der Juden ungünstiger an⸗ gefunden ward, als das Edikt ihn bestimmt.

Neben dieser Ausdehnung ist ein anderer Zweck, die frühe⸗ nen Rechte, welche die Juden gegenwärtig nach dem Edikt von 1812 und den nach diesem späͤter ergaügenen Verordnungen besitzen, durch neue zu erweitern, endlich auch die Kultusverhältnisse und das Unter— richtswesen der Juden zu ordnen, was das Gesetz vom Jahre 1812 sich vor⸗ behalten hatte. Es ist also die Tendenz des Gesetzes in Beziehung auf die Verbesserung des Justandes der Juden überall ein Forischrei— ten. Hier und da scheint die Ansicht vorzuwalten, als seien durch das neue Gesetz bestebende Rechte der Juden, insbesondere auch solche, die sich aus dem Edikt vem Jahre 1812 herleiten ließen, be—⸗ schränkt worden. Eine solche Beschränlung liegt durchaus nicht in der Intention des Gouvernements, sie hat auch nicht stattgefunden. Es kommt nur auf die richtige Auffassung der Verhältnisse an.

In Beziehung auf diejenigen Provinzen, die nach Erlassung des Edikts vom Jahre 1812 mit Preußen wieder vereinigt werden oder zur Monarchie neu hinzugekemmen sind, bemerke ich, daß mit Ausnahme derjenigen Landestheile, die zu Frankreich, dem Großherzogthume Berg und zum Königreich Westfalen gehört haben, der Zustand der Juden wesentlich derselbe war, wie er vor 1812 in der preußischen Monar⸗ chie bestand, gegründet namlich auf das sogenannte Schutzverhältniß; da leuchtet denn gleich ein, daß für diese Provinzen das gegen wärtige Gesetz die größte Wohlthat ist. In Beziehung auf die Lande, die früher zu Frankreich, zu Berg und zu Westfalen gehört haben, ist zwar anzuerkennen, daß die Juden unter der Fremdherr⸗ schast, in Beziehung auf bürgerliche Rechte, den Christen gleichge⸗ stellt waren. Sie hatten dem Prinzip nach alle Rechte mit den Christen gemein. Dessenungeachtet hat im Jahre 1808 der Kaiser Napoleon ein Dekret gegeben, wodurch gesetz lich die Präsumtion der Unreblichkeit gegen die Juden ausgesprochen wurde, Dies ist das Härteste und das Schmachvollste, was gegen Einwohner und Bürger eines Staates verhängt werden konnte. In Folge dessen wurden sie auch nicht für würdig befunden, als Zeugen bei den Assisen aufzu⸗

treten. Wenn ein solches Dekret in den Rheinlanden f. ben wird, so geschieht schon allein dadurch den Da der e . Wohlthat. Im Großherzogthum Berg und im Königreich Westfalen haben die fremdherrlichen Regierungen die ven ihnen verliehenen Rechte nicht durch spätere Dekrete zurückgenommen oder beschränkt Man könnte daher vielleicht fragen, wenn in denjenigen Tandestheilen, welche zu Berg und Westfalen gehört haben, den Juden gleiche bürgerliche Rechte zustanden, ob nicht durch die Einführung des vorgeschlagenen Gesetzes, namentlich durch die Ausdehnung des Edikts von 1812, die Juden in Nachtheil gesetzt wurden. Denn nach dem Gesetze vom Jahre 1812 und auch nach dem

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jetzigen Gesetz Entwurf, soll immer noch in Beziehung auf poli= tische Rechte ein Unterschied zwischen Juden und Christen stattfinden. Es fragt sich daher: ist es recht, daß auch auf die gedachten Lan⸗ destheile, welche früher günstigere Gesetze für die Juden hatten, den⸗ noch der gegenwärtige Gesetzesvorschlag ausgedehnt werde?

Hierlber bemerke ich Folgendes: Trennt man die sogenannten politischen Rechte, welche das Edikt von 1812 den Juden nicht zu⸗ theilt, in solche, die sich in der Mitwirkung an ständischem Beirath oder in der Theilnahme an der Staats⸗-Verwaltung kundgeben, so ist, was die erste Klasse politischer Gerechtsame anlangt, bereits durch die Einführung der kreis- und provinzialständischen Einrichtun- gen die Sache auch für die gedachten Landestheile längst entschie⸗ den. In Beziehung auf die zweite Abtheilung politischer Rechte oder auf die Frage, ob die Juden Staatsämter bekleiden können, so wird es einleuchten, daß die Juden in den ehemaligen Großher⸗ zoglich bergischen und westfälischen Landestheilen für sich allein und befonders keinen Anspruch machen können, zu Staatsämtern zugelas⸗ sen zu werden. Die Fähigkeit zu Staatsämtern ist ein Gegenstand des inneren preußischen Staatsrechts, sie kann nicht provinziell ver= schieden sein, das Prinzip des inneren Staatsrechts über die Fähigkeit zu Staatsbeamten ist nothwendig ein allgemeines. Wie alle Landestheile, welche früherhin anderen Stäaten angehört haben, mit dem Uebertritt in den neuen Staats-Verband im Allgemeinen nur diejenigen Rechte in Anspruch nehmen können, welche dieses innere Staats- recht zuläßt, so gilt dieser Grundsatz besonders auch von dem Rechte auf Staats-Aemter? Das innere preußische Staatsrecht läßt in Bezie⸗ hung auf die Fähigkeit zu solchen Aemtern nur Christen zu. Es kann also nicht gesagt werden, daß in Beziehung auf die ehemals zum Königreich Westfalen und zum Großherzogthum Berg gehörig ge⸗ wesenen Landestheile, mit der Ausdehnung der Bestimmung des Edikts von 1812 in der Art und mit der Ausdehnung, wie solches durch den neuen Gesetz-Vorschlag geschehen wird, irgend eine Verletzung statt⸗ sindet. Ich füge noch hinzu, es ist auch seit der Besitznahme dieser Landestheile nie ein Anspruch auf eine Anstellung gemacht worden, und nie hat auch eine Anstellung von Juden stattgefunden.

Das wollte ich nur bemerken zur Widerlegung jeder irrigen Vor- stellung, als ob durch das Edikt, indem es auf einer Seite die Rechté der Juden ausdehnt, auf der anderen Seite eine Be⸗ schränkung schon erworbener Rechte herbeigeführt würde.

Was die neuen Bestimmungen des Gesetz⸗ Entwurfs in Bezie⸗ hung auf Kultusverhältnisse und Unterrichtswesen anlangt, so bemerke ich darüber Folgendes: Der Staat will sich auf keine Weise einmi⸗ schen, er will den Juden die höchste Freiheit lassen, ihre Kultusver— hältnisse selbst zu ordnen, er will ihnen dabei nur zur Hülfe kommen. Während sie bisher in Beziehung auf Kultusverhältnisse bloße Privat⸗ Gesellschaften bildeten, sollen sie künftig Corporationen einrichten kön⸗ nen. In anderen deutschen Staaten glaubte man, nach dem Vorgange Frankreichs unter Napoleon, den Juden dadurch eine große Wohlthat zu erzeigen, daß man ihr Kultuswesen in einer gewissen hierarchischen Weise organisirte, daß man Synagogen-Behörden oder, wie man sie auch nennt, Konsistorien errichtete, oder daß man Landrabbiner be⸗ stellte und ihnen besondere Rechte, Attribute in Beziehung auf Kul⸗ tusverhältnisse beilegte. Auf dieses System wollte die Königliche Re⸗ gierung nicht eingehen, sie fand darin eine zu große Einmischung von Seiten des Staats in die religiöse Gemeinschaft der Juden. Sie glaubte um so weniger, sich dazu entschließen zu dürfen, als gerade in der jetzigen Zeit eine große religiöse Bewegung unter den Juden sich kundgiebt. Ties schließt jedoch nicht aus, wenn Synagogen⸗ Vereine gebildet sind, wenn sie einen korporativen Bestand gewonnen haben und die Juden sonstige Wünsche wegen anderweiter Organisation ihrer Kultus-Verhältnisse an die Regierung bringen, daß man mit Rück⸗ sicht auf diese Wünsche ihre weiteren Einrichtungen oder Anordnungen zuläßt, jedoch darf diese Zulassung nicht zu einer positiven Einmischung übergehen. Nur in Beziehung auf eine Frage glaubte die Regie⸗ rung auf die Bildung eines Organs hinwirken zu müssen. Es treten nämlich unter den Juden mancherlei religiöse Bewegungen und Spal- tungen hervor. Wollen sich bisher zu einem Gottesdienst vereinte Juden trennen, so entstehen hierbei Fragen, welche nothwendig auch äußere Verhältnisse berühren, und die daher auch nur unter Mitwir- kung des Staats geordnet werden können. Blos in Beziehung darauf glaubte die Nönigliche 66 die Bildung eines Organs hervor⸗ rufen zu müssen, was wesentlich auch nur aus der freien Wahl der Synagogen-Gemeinde hervorgehen soll. Dies Organ soll nicht herr⸗ schen, sondern begutachten; die Gutachten sollen von der Gemeinde nur freiwillig beachtet werden, dem Staate aber sollen sie eventuell zum Anhalte dienen, um in Beziehung auf äußere Verhältnisse das zu thun, was dem Rechte gemäß ist.

In Absicht des Unterrichtswesens ist die Grund-⸗Idee des Gesetzes folgende: Die Juden sollen wie andere geduldete religidse Gemein⸗ schaften, wenn sie es zweckmäßig finden, auch besondere Schulen bil⸗ ben können, vorausgesetzt freilich, daß die Schulen das in der That leisten, was nach den Staatsgesetzen überhaupt von Schulen gefor— dert wird; die Juden sollen jedoch zur Anlegung solcher besonderen Schulen auf keine Weise gedrängt werden, es soll ihnen nur in Ab⸗ sicht des Schulwesens dieselbe Freiheit gegeben werden, welche nach den bestehenden Gesetzen für die christlichen Religions Gesellschaften verschiedenen Bekenntnisses zulässig ist. Dabei sollen die Juden nach wie vor freien Zutritt haben zu allen christlichen Bildungs Anstalten ohne Unterschied von der Elementar- Schule! bis zur höchsten Unterrichts Austalt; sirich in Be ziehung auf die Frage, ob bei öffentlichen Anstalten, welche disher einen christlichen Charakter gehabt haben, auch judische Lehrer anzustellen seien, in Beziehung hierauf ist eine Ausnadme emacht. s. r 8 a3 viel über die Idee, den Zweck des Gesetzes und sein Ver. hältniß zu der bestehenden Gesetzgebung im Allgemeinen. ö

Ich glaube noch zwei Hauptpunkte besenders berührten zu müssen. welche tief in die ganze Defonomie des Gesetzes eingreifen und prin= zipiell mehr oder minder die abweichenden Bemerkungen veranlaßt daben. welche von Seiten der Abtbeilung gegen das Geseßz gemacht worden sind. Der eine Punkt 3 die jüdische Corporatien oder die Judenschaften. Es ist das Gesetz so aufgefaßt worden, aks Tendenz desselben, eigene n. che Gemeinden der Juden den, und dies hat man nicht zweckmäßig gefunden, so wenig zn