1847 / 169 p. 2 (Allgemeine Preußische Zeitung) scan diff

Ich sehe nicht ein, warum ein so wichtiger Beschluß, der für das Publikum das höchste Interesse hat, von der Oeffentlichkeit ausgeschlos⸗ fen sein soll, während andere Beschlüsse von minderer Importanz in bie Allg. Pr. Jtg. aufgenemmen worden sind. Ich weiß nicht, warum wendgstens diejenigen Bemerkungen nicht abgedruckt wurden, die sich nur auf die allgemeine Motivirung und nicht auf die einzel= nen Worte beziehen. * früheren Zeitungen ergeben, daß auch, wenn die Erklärungen selbst einmal nicht aufgenommen wurden, doch die darüber gemachten Bemerkungen stets vollständig aufgenommen worden sind. Ich glaube darum, daß die Herren Secretaire in die⸗ ser Beziehung Ihre Aufgabe nicht recht aufgefaßt habenz, e scheint mir, daß ein gleichmäßiger Grundsatz in Beziehung auf die Behand⸗ lung der Sache nicht befolgt worden ist. Ich hätte sehr gewünscht, daß bei der großen Unparteilichkeit, womit das Mitglied der altmär⸗ kischen gare e . sich dem Referate unterzogen hat, und bei der Anerkennung der Vortrefflichkeit der Zassung, das, Gutachten und das von der entgegengesetzten Fraction gezollte Auerkenntniß der Deffentlichkeit nicht entzogen worden wäre, um namentlich darzulegen, daß ungeachtet der verschie densten politischen Ansichten, die hier ihre Vertretung gefunden haben der Geist der parlamentarischen Schick⸗ lichkeit, der Eintracht und drr gegenseitigen Anerkennung der Gesin⸗ nungen diese Versammlung beseelt. Ich will daher anheimgeben, ob der Herr Marschall nicht vielleicht Veranlassung nehmen will, eine Bestimmung zu treffen, daß nach gleichen Prinzipien in einem ähnlichen Falle verfahren werde.

Rarschall: Meinerseits hatte ich nicht das mindeste Beden⸗ ken gegen den Abdruck. Er ist blos darum nicht erfolgt, weil die hohe Versammlung beschlossen hat, daß dies nicht geschehen soll. Die Regel ist, daß Alles, was hier verhandelt wird, gedruckt wird; nur wo die Versammlung einen anderen Beschluß faßt, unterbleibt es. Das ist das Prinzip, nach welchem hier verfahren werden muß.

Abgeorbn. von Auerswald: Ich muß bemerken, daß der Abdruck nur unterblieben ist, weil der Antragsteller sein Amendement auf den Wunsch vieler Mitglieder zurückgezogen hat ...

Marschall: Und die hohe Versammlung damit einverstanden war. Hierin lag der Beschluß. Uebrigens glaube ich, daß die Be⸗ merkung des Herrn Abgeordneten von Vincke dadurch ihre Erledigung finden wird, daß seine heutige Aeußerung in den stenographischen Bericht der heutigen Sitzung aufgenommen wird.

Abgeordn. Zimmermann: Ich muß mich der Ansicht des Redners, der vorhin gesprochen hat, insofern anschließen, daß in dem Fall, wo der Redner selbst eine Berichtigung im Protokoll vorgenom— men hat und der Secretair eine Aenderung damit vornehmen will, eine vorherige Rücksprache mit dem betreffenden Redner nothwendig werden dürfte, wozu um so mehr Gelegenheit geboten ist, als wir ja in unseren Sitzungen täglich zusammen kommen.

Abgeordn. Dittrich vom Platz: Das Reglement bestimmt allerdings hierüber im §. 24:

Eiest vor.) §. 24.

Zur vollständigen Aufzeichnung der Plenar-Verhandlungen wer den vereidigte Stenographen angestellt. Die von denselben abgefaß⸗ ten Berichte über die Verhandlungen jeder Sitzung sind durch den Secretair, welcher in derselben das Protokoll geführt hat, unter Zu⸗ ziehung eines zweiten Secretairs zu prüfen und nach Befinden zi berichtigen, wobei dieselben jede etwa vorgekommene verletzende Aeu— ßerung daraus zu entfernen haben. Die Berichte gelangen sodann an den Marschall zur Genehmigung, worauf sie, wenn der Vereinigte Landtag die Veröffentlichung seiner Verhandlungen wünscht, ohne weitere Censur, mit Nennung der Namen, durch vollständigen Ab⸗ druck in der Allgemeinen Preußischen Zeitung zur öffent— lichen Kenntniß gebracht werden. Es steht jedoch dem Vereinigten Landtage jederzeit frei, diejenigen Verhandlungen, bei welchen ei es für angemessen erachtet, von der Veröffentlichung auszuschließen. Eben so ist Unser Kommissarius befugt, die Veröffentlichung einzelner Verhandlungen zu untersagen. ö

Abgeordn. Siegfried: Ich halte hiernach die Sache für er— ledigt und das zu befolgende Verfahren angedeutet. Wenn der Se⸗ cretair findet, daß das Protokoll durch den Redner eine Berichtigung erhalten hat, so prüft er selbige. Ist er im Zweifel darüber, so wird er mit seinem Mitsecretair zu konferiren haben. Und sind Beide einig, daß die Verbesserung nicht gesprochen worden, so ist er mit dem betreffenden Redner nicht weiter zu verhandeln verpflichtet; an—⸗ ders ist es, wenn die beiden betreffenden Secretaire nicht einig sind. Wenn es jedesmal geschehen müßte, so könnte sich das Geschäft eines Secretairs in solcher Weise ertendiren, daß es zu Zeiten unerfüll⸗ bar würde.

Differenzen, die bei angedeutetem Verfahren zwischen Redner und Secretair entstehen, können nur von der Versammlung entschie⸗ den werden.

Abgeordn. Hansemann: gesordnung vor.

; (Vielseitige Unterstützung erfolgt.)

Marschall: Ich muß den Gegenstand für erledigt halten.

Es ist der hohen Versammlung anzuzeigen, daß auf Höchsten Befehl Sr. Majestät des Königs der Herr Geheinie Regierungs⸗ Rath Schröner in der vorliegenden Berathung das Ministerium des Innern vertreten wird.

Bevor wir zur Berathung übergehen, habe ich zu bemerken, daß sich bereits mehrere Nedner gemeldet haben. Es kommt dies hei sol= chen Gelegenheiten oft vor; die hohe Versammlung hat aber bestimmt, daß die Anmeldung ber Redner nicht eher angenommen werden soll, bis die Berathung selbst eröffnet ist. Also von dieser Zeit an kön— nen die Anmeldungen erst erfolgen. Die von gestern bleiben gültig.

. Abgeordn. Mohr; Meine Herren! Wenn, wie wir annehmen dürfen, diese hohe ständische Versammlung der Ausdruck ist des Gei⸗ stes, der im Volke lebt, daß, wie wir ebenfalls annehmen dürfen, die— selbe seine Bedürfnisse kennt und seine Wünsche, wie seine Erwartun⸗ gen, in seinem Schoße egg ale ann meine Herren, muß dasjenige, was wir gestern von den Bänken, vor denen ich zu stehen die Ehre habe, gehört haben, uns den Beweis aufdringen, daß bas Gouver— nement sich außer der Richtung besinde, die jenem Polksgeiste ent= spricht. Fern sei es von mir, den Räthen der Krone einen Vorwurf machen zu wollen. Ich erkenne vielmehr an und die hohe Versamm— lung sicherlich ebenfalls, daß dieselben einer innigen Ueberzeugung folgen, und daß sie den eingeschlagenen Weg verfolgen, weil sie glau= ben, daß dadurch Fürst und Polk beglückt; werde. M Es kann um so, weniger ein Vorwurf in dem, was ich' sage liegen, als in der hohen Versammlung stets ein Theil af, Herren Minister, unterstützt und ihnen nicht selten Beifall ollt. Aber, meine Herren, es ist gut, von dieser Stelle aus jene hatsache zu konstatiren, zumal sich auch dadurch manche frühere Er= , . erklären läßt. Dies vorausgeschickt, versichere ich, mich er langen Reihe der Gegner des Gesetz⸗Entwurfs anzuschließen.

Ich schlage den Uebergang zur Ta—

ch 14. dies um so mehr, als, von meinem Standpunkte aus,

chon seit geraumer Zeit über den Gesetz⸗Entwurf das Loos gefallen ist, so daß derselbe fi mich nicht mehr vorhanden ist. S. in der Sitzung vom 12. Mai hat der Königl. Heir Kommissar erklärt, daß Wohlthaten durch das Gouvernement nicht aufgedrungen werden sollen. Damals besaß ich schon seit drei Wochen ein Schreiben des

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israelitischen Konsistoriums in Trier, wodurch ich aufgefordert werde, alle meine Kräfte aufzubieten, daß diese Verordnung nicht ins Leben trete. In diesem Schreiben kommt unter Anderem die Stelle vor: „Die höchste Schmach und Zurücksetzung für die Juden sei darin ent⸗ halten, und nimmer werde die Judenschast derselben freiwillig sich un= terwerfen.“ Seitdem sind noch eine Menge Eingaben an die Mit- .. hohen Versammlung eingegangen, unter anderen eine von 6 jüdischen Gemeinden aus Schlesien, von sämmtlichen jüdischen Ge⸗ meinden der Rhein- Provinz und außerdem von 187 der achtbarsten Männer aus allen Fächern. Alle protestiren gegen das Geschenk, welches ihnen durch die neue Verordnung werden soll. Wie gesagt, ich sehe daher von meinem Standpunkte seit dem 12. Mai die Verordnung als nicht mehr vorhanden an, Heiterkeit.) und es handelt sich in meinem Sinne heute eigentlich von einer Re—= surrection derselben, einer Resurrection, wogegen ich mit allen Kräften ankämpfe. Dasseibe wird Jeder in der hohen Versammlung thun, welcher die volle Emancipation der Juden wünscht und dasselbe an den früheren Landtagen ausgesprochen hal. Ich hoffe und es täuscht mich gewiß nicht mein Vorgefühl, daß auch noch viele, viele andere Mitglieder die⸗ ser Versammlung in dem nämlichen Sinne stimmen werden. Denn in der That, meine Herren, wovon handelt es sich anders, als von einer fortgesetzten, nur in eine neue Form gegossenen religiösen, bürgerlichen und politischen Unterdrückung eines Ächtzigtheils der Staats- Angehö⸗ rigen durch die übrigen neunundsiebzig Achtzigstel, von der Ausübung des Rechtes des Stärkeren, und eine solche Schuld wird sicherlich der erste Vereinigte Landtag nicht auf sich laden. Meine Herren! Ich verwerfe also den Gesetz Entwurf und hoffe, daß über nicht lange Zeit alle Staatsbürger ohne Unterschied des Glaubens, so wie verhältnißmäßig gleich verpflichtet, auch gleich berechtigt sein werden; und daß Alle, wie sie auch durch Geburt, durch Zufall, durch eigene Kraft gestellt sein mögen, sich um den Heerd des Vaterlandes schaaren werden und nach Vermögen dazu mitwirken werden, daß die in demselben ruhenden Elemente der Wohlfahrt und der Größe ihrer höchsten Entwickelung entgegengeführt werden. (Bravo, Bravo!)

Landtags-Kommissar: Der geehrte Redner hat geäußert, daß er den vorliegenden Gesetz-Entwurf seit dem 12. Mai nicht mehr als existirend betrachte. Ich kann, was seine Individualität betrifft, nichts dagegen einwenden. Aber das hätte ich erwarten dürfen und glaube auch, daß die hohe Versammlung es erwarten werde, daß er dieselbe mit seiner Ansicht über einen Gesetz - Entwurf, den er als nicht existirend betrachtet, verschonen wird. Uebrigens existirt der Ge⸗ setz Entwurf allerdings, und zwar so lange, bis Se. Majestät Sich etwa entschließen sollken, denselben zurückzunehmen. Ich erwarte, daß die hohe Versammlung dies anerkenne.

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Zur Begründung seiner individuellen Ansicht hat sich der geehrte Redner darauf berufen, daß ich erklärt hätte, Wohlthaten pflegten nicht obtrudirt zu werden. Es kann sein, daß ich das gesagt habe, wiewohl Niemand unter uns sich befinden wird, der nicht Aehnliches irgend einmal geäußert hätte; aber gegen die daraus gezogene Kon⸗ seguenz muß ich mich schon deshalb verwahren, weil ich weder die Judenschaft von Trier, noch die übrigen jüdischen Korrespondenten des geehrten Deputirten als kompetent zu der Erklärung anerkenne, ob das Gesetz elne Wohlthat sei oder nicht. Uebrigens erkläre ich zum Ueberfluß, daß der vorliegende Gesetzes Vorschlag nicht blos eine Wohlthat für die Juden sein foll, sondern daß derselbe im Interesse der gesammten Nation proponirt ist.

(Mehrere Stimmen: Bravo!)

Abgeordn. Mohr: Meine Herren!

(Mehrere Stimmen: Ruhe! Ruhe! Getrommel.) Der Königliche Herr Fommissar hat gesagt,

. (Einige Stimmen: Lauter! Lauter!) daß die hohe Versammlung nicht zugeben werde, daß ich ihr meine individuelle Ansicht mittheile. Meine Herren! Dazu sind wir hier. Ich kann nur meine Meinung aussprechen, nicht die Meinung eines Anderen; aber meine Meinung auszusprechen, habe ich eben so sehr das Recht und die Pflicht, wie jeder Andere in dieser hohen Ver— sammlung.

(Bravo!) Was nun das betrifft, ob es eine Wohlthat sei oder keine, so scheint mir doch, daß derjenige, der sie zu empfangen hat, am besten wissen muß, ob es für ihn wirklich eine Wohlthat sei oder nicht.

Landtags-Kommissar: Berichtigend habe ich zu bemerken, daß ich nicht gesagt habe, die hohe Versammlung möge nicht die in— dividuelle Meinung des geehrten Deputirten hören; ich habe ledig ich gesagt, daß meiner Ansicht nach die hohe Versammlung erwarten dürft, daß er sie nicht mit seiner Ansicht über einen seiner Meinung nach nicht existirenden Gesetzes⸗Vorschlag unterhalten werde.

Abgeordn. Freiherr von Metternich: Ich befinde mich nicht in dem Falle, für den Gesetz Entwurf, wie er vorliegt, mich ausspre⸗ chen zu können, und zwar aus dem einzigen Grunde nicht, weil er die disparitätische Behandlung der Juden in Absicht wesentlicher po— litischer Rechte zu verewigen droht. Nun ist aber nach meiner Ueber⸗ zeugung die Aufgabe der kommenden Zeit, der Gleichberechtigung der Juden in Bezug auf politische Rechte den Weg anzubahnen. Es ist dies meines Erächtens nicht allein eine Anforderung der Gerechtig⸗ keit, sondern in weit höherem Maße noch der politischen Nothwen⸗ digkeit, weil, wie ich glaube, dies der einzige Weg ist, sie zu nützlichen Staatsbürgern zu machen. Die Juden haben sich auch nach meiner Ueberzeugung um eine Berücksichtigung dieser Art im vollsten Maße verdient gemacht, nicht blos durch ihren bewährten Sinn für Gesetz⸗ lichkeit so wie durch die Hingebung und Duldung, womit sie bei⸗ nahe tausend Jahre hindurch religiösen Druck und Verfolgung ertra⸗ gen haben, als endlich durch die treue Anhänglichkeit an ein Bekennt⸗ niß, was viele Jahrhunderte überdauert, und von dem Jedermann weiß, was davon zu halten. Der einzige Einwand, den man gegen die Maßregel der Gleichberechtigung der Juden machen könnte, läßt sich aus dem Standpunkte des christlichen Staates herleiten; allein nach meiner Ueberzeugung verliert dieser Einwand seine praltische Be⸗ deutung in dem Hinblick auf die geringe Zahl der Juden, den übrigen Einwohnern im Staate gegenüber, und durch die daraus sich ergebende Ueberzeugung, daß auch selbst bei der ausgedehntesten Theilnahme an der Verwaltung des Landes die Elementar⸗Grundlagen des christ⸗ lichen Staates dadurch nicht alterirt werden würden. Ich muß mich daher der abweichenden Ansicht derer anschließen, die zu 8. 2 des Gesetz⸗Entwurfs ein Amendement angekündigt haben.

Regierungs-Kommissar Geh. Reg. Rath Brüggemann: Ich würde das Wort selbst nicht für einige Minuten in diesem Stadium der Berathung ergriffen haben, wenn nicht einzelne Bestimmungen des Gesetz⸗ Entwurfs, welche ich nöthigenfalls zu erläutern und zu vertreten verpflichtet bin, gerade auf einer Grund ⸗Ansicht beruhten, die in den verschiedenen Vorträgen der verehrten Redner vielsach be⸗ rührt und angegriffen worden ist. Ich bitte daher, in dieser Bezie⸗ hung auch meinerseits einige allgemeine Bemerkungen jetzt aussprechen zu dürfen, um auf d en bei der weiteren Berathung und Dis⸗ kussion des Gesetzes zurückverweisen zu können. Die Differenz des

dem Gesetz-Entwurfe zu Grunde liegenden Prinzips zu den von den

meisten Rednern vertretenen Ansichten betrifft, wie wir auch aus dem

Munde des verehrten Redners gehört haben, der so eben die Red⸗ ner⸗ Tribüne verlassen hat, das Verhältniß des christlichen Prinzips zum Staate, wie es in dem Ausdrucke „christlicher Staat“ seine Be⸗ zeichnung sindet und gestern bereits eine eben so beredte als klare Vertretung gefunden hat, von den späteren Rednern aber dennoch in dieser seiner Bedeutung nicht anerkannt, vielmehr von neuem in Frage gestellt worden ist.

Wenn von einem christlichen Staate gesprochen wird, so hat das Wort nicht die Bedeutung, als sollte dem Staate eine andere Auf⸗ gabe gestellt werden, als ihm nach seinem Wesen und seiner innersten , ,, , Diese seine Aufgabe bleibt darin bestehen, die rechtliche Ordnung festzustellen und in allen Beziehungen unter seinen Mitgliedern durchzuführen. Dem Staate steht bei der Erfüllung die⸗ ser seiner Aufgabe ein anderes Prinzip, das christliche, gegenüber, wel⸗ ches darauf Anspruch macht, ein absolut wahres und allgemeines zu sein, alle Verhältnisse zu durchdringen und sie auf einem höheren Standpunkte erhebend zu verklären. Von ihm soll auch die rechtliche Ordnung des Staates durchdrungen werden, woraus sich, da auch die rechtliche Ordnung göttlichen Ursprunges ist, kein Widersprnch, noch weniger eine Aufhebung des Rechts ergeben wird, sondern beide Prin⸗ zipe in inniger Gemeinschaft sich in allen Verhältnissen auch des staat⸗ lichen Lebens einflußreich zeigen werden. Das Recht steht starr und unbeugsam in seiner Schärfe da; aber seine Starrheit wird das christ- liche Prinzip der Liebe brechen, und wenn auch der Gesetzgeber im Staate, gemäß seiner Aufgabe, seine Gesetze nicht aus dem christli- chen Prinzipe selbst, sondern aus dem Begriffe des Rechtes ableitet, so sollen eben die lebendigen Organe, welche die rechtliche Ordnung handhaben, von dem christlichen Geiste durchdrungen sein, um auch in ber verwaltenden, richtenden und anziehenden Thätigkeit des Staates diesen Geist durchblicken zu lassen und in alle Lebens verhältnisse seine wohlthuenden Wirkungen einzuführen. Eine frühere Form des Staa⸗ tes ist trotz einer ins Ungeheure wachsenden Sitten verderbtheit, welche alle Früchte der lang gepflegten Humanität vernichtete, noch lange er halten worden, damit der Keim des Christenthums nicht ersterbe und seine das geistige Leben erfrischende Kraft entwickeln und für die Er— zeugung neuer Lebensformen tüchtig machen könne. . .

Als dann auch jene Staatsform zerschlagen, das christliche Prinzip aber erstarkt war, da hat die Kirche, den neuen Staat an. ihrer Hand erzogen, und Keiner, der die Geschichte kennt, wird diese Thatsache leugnen oder in Zweifel stellen können. Unter ihrem Schutze hat die neue Srdnung des Staates sich gebildet, von schwachem Anfange aus mehr und mehr Boden gewonnen und dann, an der Hand der erziehenden Kirche mündig und großsährig, geworden, mit Recht der pflegenden Mutter gegenüber ihr Recht der Großßjährigkeit und Selbstständigkeit in Anspruch genommen. Es liegt in der Energie menschlicher Kraft und ihrer Entwickelung, daß die Ausscheidung eines bisher untergeordnet wirkenden Prinzips und, die Feststellung seiner Selbstständigkeit nicht ohne Kämpfe durchgeführt werden lann, und die Geschichte giebt Zeugniß von den Kämpfen, in welchen der Staat um seine Selbstständigkeit gekämpft und gerungen hat. Ich will nicht erwähnen, daß Dankbarkeit nie zurückgewiesen werden, der Staat auch die Dankbarkeit gegen die Kirche nie vergessen soll; aber auch bleibende Rechtsverhältnisse sind aus dem früheren, engeren Verbande des Staates und der Kirche für den Staat hervorgegangen, und diese Rechtsverhältnisse zu schützen, wird ebenfalls als eine Aufgabe des Staates, der die rechtliche Ordnung zu verwirklichen hat, aner⸗ kannt werden müssen. Diese Rechtsverhältnisse sind es, die wösent= lich in die Gegenwart herübergreifen und dem Staate zur Pflicht machen, bei der Lösung seiner Aufgabe den Blick hinzurichten auf jenen Ürquell, aus dem der wahre Begriff des Rechts hervor⸗ gegangen, und der noch heute nicht versiegen dürfte, um den Staak' in' der Durchführung und Sicherung der rechtlichen Ord= nung zu stärken und ihm die rechte Weihe zu geben. Es hat sich aus? jenem früheren Verhältnisse des Staates zur Kirche ein neues Verhältniß der gegenseitigen Unterstützung gebildet, inden die Kirche den Geist des Gehorsams gegen göttliche und obrigkeitliche Gebote den Staatsbürgern mittheilt, der Staat aber die Rirche in ihrem äußeren rechtlichen Dasein nach allen Seiten schützt und ver⸗— theidigt. Es ist denen, welche, den Gesetzentwurf berathen haben, nicht in den Sinn gekommen, die Ansprüche der Juden, die als strenge Rechtsansprüche nicht so erheblich sein möchten, vom Standpunkte des Christenthums aus nicht anzuerkennen; aber eben so wenig ist es ihnen in den Sinn gekommen, den Rechtsansprüchen der Juden ge— genüber die Rechtsansprüche der Christen zu vergessen, vielmehr ha— ben sie beide neben einander so abgewogen, daß der steigende sittlich— bessere Zustand der Juden, von dessen Anerkennung der Gesetzent⸗ wurf und seine Motive Zeugniß ablegen, weitere Förderung und Pflege finde, jedoch das christliche Prinzip selbst, unter dessen nicht abzuwehrendem Einflusse die Sittlichkeit auch in denselben sich hat entwickeln können, nicht aufgegeben oder in einzelnen Kreisen unwirk— sam gemacht werde. Ich habe aus den Aeußerungen vieler der ge⸗ ehrten Redner entnommen, daß sie gerade vom Standpunkte des Ehristenthums aus eine Erweiterung, eine vollkommenere Anerkennung der Rechte der Juden beantragt haben: darin zeigt sich eben die Kraft des Christenthums, die sich auch in ihnen zu erkennen giebt, während sie nun auf dem Gebiete des staatlichen Lebens dieselbe Kraft theilweise aufheben möchten. Das Christenthum spricht allerdings den Grundsatz der Liebe aus; aber es fordert diese Liebe nicht bis zu dem Grade, daß es selbst seinem eigenen Grundsatze, die Wirksarä⸗ keit im Leben schmälern und selbst nicht mehr im Stande sein sollte, diese Liebe in allen Kreisen des Lebens walten zu lassen. Ich habe bereits ausgesprochen, daß das christliche Prinzip die Berechtigung in sich schließe, alle Verhältnisse des Lebens zu durchdringen; diese Be⸗ rechtigung wird aber aufgehoben, wenn man das Richter, Verwal⸗ tungs, Lehr- und Erziehungs- Amt denen überträgt, welche dem christlichen Prinzip nicht blos fremd, sondern in mehreren Beziehun⸗ gen sogar feind sind und sein müssen. Dies Verhältniß des Juden— thums zu dem Christenthum läßt sich nicht verkennen und ist bis vor nicht langer Zeit auch nicht verkannt worden; es ist erst kurze Zeit, seitdem eine andere Ansicht hier und da laut geworden ist, daß man nämlich von den verschiedenartigsten Bäumen des Christenthums und Judenthums auf dem Gebiete der rechtlichen Ordnung des Staates gleiche Früchte erwarten dürfe. Einer der verehrten Redner hat angeführt, die Juden und Christen hätten in den ersten christlichen Jahrhunderten friedlich neben einander gelebt; ich habe diese Ansicht aus der Geschichte nicht gewonnen. , .

Es ist natürlich, 3 besonders bei der ersten Entwickelung des Christenthums das Bestreben thätig blieb, das Judenthum hinüberzu⸗ führen in das Christenthum und die Juden theilhaftig zu machen der Segnungen desselben. Als aber nach und nach dieses Bestreben ge⸗ ringeren Erfolg hatte und das Judenthum sich mehr und, mehr starr gegen das Christenthum abschloß, trat ein anderes Verhältniß ein, and wenn Konstantin die Ehe zwischen einem Juden und einer Chri— stin, und der Kodex Justinianus' überhaupt die Ehen zwischen Chri⸗ sten und Juden verbot, so war das nicht ein Versuch, erst diesen Zwiespalt in das Leben einzuführen, sondern es sprach sich in der Gesetzgebung nur das aus, was im Leben sich schon feindlich einander

. . hatte. Es ist in den Vorträgen, die wir gehört . en, viel von jüdischer Nationalität die Rede gewesen, und aus

allen Aeußerungen ist gewiß nicht hervorgegangen, daß es keine jüdi⸗ sche Nationalität gebe. Ich will in dieser Beziehung nur auf Eins aufmerksam machen: Sollen Juden in einem christlichen Staate ver⸗ walten und regieren, so müssen sie, das verlangen selbst die wärmsten Fürsprecher der Juden, diese ihre besondere Nationalität aufgeben. Dies ist aber bei dem Verhältniß der jüdischen Religion zu ihrer Nationalität, welche in ihrem Ausschließungs- Prinzip mit ihrer Re⸗ ligion identisch ist, nur insofern möglich, als sie den größten Theil ihrer religiösen Ansichten aufgeben. Wenn der Jude aber dadurch, daß er seine Religion ganz oder theilweise aufgiebt, ohne sich zu ei⸗ ner anderen Religion zu bekennen, würdig werden soll, in einem christ⸗ lichen Staate an den Staatsämtern Theil zu nehmen, dann führt man dem Staate Beamte zu, welche durch Verletzung oder Aufgebung ihrer Religion in das Amt eintreten, und ob der 3. mit solchen Be⸗ amten gut verwaltet werde, das muß ich der Erwägung einer hohen Versammlung anheimgeben. Es ist hervorgehoben worden, man solle die Religion nicht zur Parteisache im Staate macheu; die Kirche solle über dem Staate stehen. Sollen diese letzten Worte einen Sinn haben, so können sie nur bedeuten: Der Staat solle, seine rechtliche Ordnung festhaltend, sich in der Verwirklichung derselben vom christ⸗ lichen Geiste leiten lassen; aber mit diesem Grundsatze ist es nicht vereinbar, zur Ausübung der Staatsgewalt Organe zu wählen, welche diesem christlichen Geiste nicht zugethan sind, und ich kann nur wie⸗ derholen, das Prinzip des Christenthums müßte in seinem Verhältnisse zu dem Rechtsbegriffe des Staates ein todtes und nichts vermögendes sein, oder es muß auch im Staate in der gesetzlichen und rechtlichen Ordnung durchgeführt und lebendig erhalten werden. Wenn wir auch keine Steine vom Monde holen, um auf der Erde zu bauen, so wollen wir doch gern christliche Wahrheit und Segen vom Himmel empfangen und nicht der christlichen Wahrheit und dem christlichen Geiste den Weg dadurch versperren, daß Organen die Erziehung und Ver raltung im Staate anvertraut werde, die nicht in christlichem Geiste wirken können. Hoch steht der Himmel über der Erde, und wie der Himmel die Erde deckt, so möge das Christenthum des Staa⸗ tes schirmendes Dach sein und bleiben. Wie aber die Sonne nicht wirkungslos am Himmel steht, sondern Strahlen des Lichts und der Wärme aussendet, daß die Erde Frucht trage, so möge auch die Sonne des Christenthums den Staat mit ihrer Kraft durchdringen, deren Frucht die rechtliche Ordnung und der Gehorsam um Gottes und des Gewissens willen ist.

(Von einigen Seiten: Bravo!)

Abgeordn. von Manteuffel II.. Hohe Versammlung! Nach dem, was wir am gestrigen Tage, und nach dem, was wir so eben von der Minister Bank gehört haben, würde ich gern auf das Wort verzichten, wenn ich nichk für meine Pflicht hielte, hier öffentlich an⸗ zuerkennen und auszusprechen, daß ich den von der Minister⸗Bank aus vorgetragenen Gründen meinerseits durchweg beitrete. Es ist mir der Begriss des christlichen Staates vollkommen klar, und weil mir dieser Begriff klar ist, ist es mir unmöglich, zu glauben, daß das Judenthum in dem vollen Rechte mit dem Ehristenthume in einem christlichen Staate sich entfalten dürfe. Es ist mir eben so unzwei⸗ felhaft, daß das Judenthum für die Bekenner desselhen gleichzeitig eine Nationalität ist, und so lange das Judenthum von dieser Ten⸗ denz nicht abgeht, ist es nicht berechtigt, die Ansprüche der christlichen Mitglieder eines christlichen Staates in vollem Maße geltend zu ma chen. Ich verweise drittens auf die immer noch bestehende Abson— derung der Bekenner des Judenthums von den christlichen Gebräuchen des Staates, und ich sehe nicht ein, warum der christliche Staat den ersten Schritt den Juden gegenüber machen soll, während diese sich absondern. Ich würde diese Ansichten weiter ausführen, wenn ich nicht für meine Pflicht hielte, die Zeit der hohen Versammlung zu schoͤnen. Nur noch mit wenigen Worten möchte ich auf die Aeuße⸗ rungen hinweisen, die gestern gemacht worden sind. Ein geehrter Redner aus der Rheinprovinz hat für dieses Thema mit Beispielen gekämpft. Ich verkenne nicht, daß Beispiele bestechen; ich muß aber gerade um deshalb wünschen, daß das vorliegende Thenia fern von Beispielen gehalten werde. Wenn andere geehrte Redner sich hier⸗ her stellten und Beispiele von der Vortrefflichkeit einzelner Juden aufführten, so will ich nicht entgegengesetzte Beispiele anführen; es möchten aber allerdings auch Beispiele hier genannt werden können, die ich meinerseits im Gefühle der Gerechtigkeit unterdrücke.

Ich wende mich 2) an ein geehrtes Mitglied aus Westfalen. Dassclbe hat unter Anderem auch hingewiesen auf den Zusammen⸗ hang des Glaubens im Judenthum mit dem Glauben im Christen⸗ thum. Diesen Zusammenhang erkenne ich an, allein nichts destoweni⸗ ger halte ich mich für verpflichtet, noch auf einen wesentlichen Ge⸗ gensatz hinzuweisen. Ich thue dies eigentlich ungern, deun es ist fast unmöglich, diese Ansicht auszuführen, ohne auf den christlichen Glau— ben hinzudeuten, und ich meinerseits gestehe, ich gehe mit einer ge⸗ wissen Zaghaftigkeit daran, in einer so großen Versammlung vom christlichen Glauben zu sprechen, besonders nach der Erfahrung, die ich gestern gemacht habe, wonach ein Vortrag, den wir gehört haben, mir eiwas zu welt zu gehen schien, namentlich insofern derselbe eine Heiterkeit erreichte, die mich schmerzlich berührt hat. Ich weise dar auf hin, daß das Judenthum mit dem Christenthum in direltem Wi⸗ deispruch steht, daß das Judenthum die Offenbarungen der christlichen Religion durchaus leugnet. Ich bin der Ansicht, daß das Heiden⸗ thum noch lange nicht in so direktem Widerspruch steht mit dem Ehristenthum, wie das Judenthum bei dem wesentlichsten Theile des christlichen Glaubens. Ich würde mich dem Gesetz-Entwurfe in sei⸗ nem Prinzipe hiernach durchweg anschließen und mit wenigen Worten zugestimmt haben, wenn ich es nicht für Pflicht hielte, auf die Ver⸗ hältnisse jener Provinz hinzuweisen, der ich die Ehre habe anzugehö⸗ ren. In dieser Provinz sind bisher nur ausnahmsweise die, Beken— ner des Judenthüms zugelassen. Es ist diese Zulassung statuirt wor⸗ den durch eine höchste Veroidnung des Landesherrn. Man nennt sie dort Kammerjuden. Ich habe die Ehre, einem Kreise anzugehören, mit einer Einwohnerzahl von 50, 000 Seelen, in dem sich 6 Städte und hierunter die Fabrikstadt Finsterwalde befinden. In dem ganzen Kreise domizilirt auch nicht ein einziger Jude. Wenn nun auf die⸗ sen Landestheil mit einemmale die Speculation der Juden sich wälzt, wird dies eine Umänderung aller dortigen Verhältnisse herbeiführen, die für jene Gegend um so bedenklicher ist, als dieser Landestheil gegenwärtig in einem Uebergange begriffen ist, herbeigeführt durch die Gewerbefreiheit. Ich hoffe, daß aus der Gewerbefreiheit heilsame Früchte für jenen Landestheil hervorgehen werden; allein ich glaube, es würde einen schädlichen Erfolg haben, wenn, ehe dieser Uebergang bewerkstelligt ist, schon ein zweiter erfolgen soll. Ich bin des Dafür⸗ haltens, daß das Gesetz nicht urplöhlich auf die ganze Monarchie Anwendung finden sollte, und darum möchte ich bitten, daß der Ge⸗ setz Entwurf für den Landestheil zunächst nicht ausgeführt werde, dem anzugehören ich die Ehre habe. erkläre offen, ich würde gegen den Gesetz⸗-Entwurf stimmen, wenn ich nicht fürchtete, dadurch zu einem Votum beizutragen, das eine noch weitergehende Richtung neh⸗ men könnte, während ich noch weniger wünsche. Ich fürchte, es wird sich meine Besorgniß bestätigt finden in den Aeußerungen, die wir aus diesem Landestheile in 2 bis 3 Jahren nach Durchführung der Maßregel vernehmen werden. Die nächste Folge davon wird sein die Begünstigung der Juden und die Benachtheiligung der Christen

1171 6 9. und Städten, namentlich in vormals sächsischen Landes⸗ eilen.

Abgeordn. Han semann: Bei Erwägung der vorliegend e drängt sich abermals der Unterschied g. gon der 123. . vom Jahre 1812 und der heutigen. In großen Zügen 3 das Edikt von 1812 das Staatsbürgerthum der Juden an die Spitze und macht nur die Ausnahmen, welche für die damalige Zeit als uner⸗ läßlich erachtet wurden, stellt aber zugleich in Aussscht, daß auch diese mit der Zeit fallen werden. Von dem Staatsbürgerthum sind wir nach und nach in der Gesetzgebung fast ganz abgekommen. Der Ausdruck Staatsbürgerthüm wird sogar in der Gesetzgebung sehr

escheut. Dagegen sind wir allmälig dahin gekommen, eine gewisse ell rerum verschiedener Klassen der Gesellschaft als nützlich zu erachten, und diese Ansicht herrscht auch in dem vorliegenden Geseß⸗ Entwurf vor. Schon darum allein kann ich mich mit dem Entwurf nicht einverstanden erklären, sondern muß im Gegentheil dem großen Grundsatz beistimmen, der in dem Amendement meines Freundes aus Krefeld enthalten ist, einem Grundsatz, den ich schon bei dem Votum der 158 ausgesprochen habe. Ich kann keinen Anspruch darauf machen, den gelehrten Herrn von der Ministerbank in den Deductio⸗ nen, wie wir sie so eben gehört haben, gründlich entgegenzutreten; es sei mir indessen erlaubt, wenige Bemerkungen über den von vort her so eben gehörten Vortrag zu machen. Wahr ist es, die Kirche hat allerdings den Staat groß gezogen. Unsere' Cidilisalion ist ein Resultat der Erziehung der Barbaren, die unsere Vorältern gewesen sind, durch die Kirche zu religiösen Menschen. Aber was ist denn nun in dem Fortgang dieser Erziehung der Geist der ferneren Ent— wickelung gewesen? Daß der Staat sich unabhängig von der Vor— mundschaft der Kirche machen wollte; daß der Staat das Staatliche als unabhängig von der Kirche und nicht den Staat in die Kirche hat hinstellen wollen. Das ist der Streit vieler Jahrhunderten ge— wesen; der Streit der französischen Regierung mit der Hierarchie; der Streit, wodurch endlich das große Ereigniß der Reformation ent— standen ist; ein Ereigniß, das fortwährend auf die Civilisation unse⸗ rer Zeit wirkt, wenn es auch dazu beigetragen hat, die politische Zersplitterung Deutschlands zu verwirklichen. Dieser Grundsatz der Unabhängigkeit des Staates von der Kirche, der namentlich in neue⸗ ren Zeiten sich an die Spitze, gestellt hat, ist nicht blos in protestantischen, sondern auch in katholischen Ländern vorherr— schen, wo die Menschen so gute Christen sind, wie irgendwo. Die Anwendung dieses Prinzips ist es, was ich unter dem verstehe, was der Redner von der Regierungebank am Schlusse seines Vor trags gesagt hat, daß unter dem Himmel und der Sonne des Christen⸗ thums die Nationen geschirmt sein müssen. Das Christenthum ist die erste Religion gewesen, die nicht auf den Staat begründet war. Mein Reich ist nicht von dieser Welt, sagte der Stifter, und diesen Grundsatz müssen wir bei der Frage der Gleichstellung der Juden mit den Christen festhalten. Wie die Rechtsansprüche der Christen verletzt werden könnten, wenn wir den Juden gleiche Rechte geben, vermag ich nicht einzu⸗ sehen. Wir thun ja nichts als Gerechtigkeit üben, erfüllen also eines der ersten Gebote unserer Religion. Man hat gesagt: wie möchte wir wohl den Juden das Recht einriumen, Beamte zu werden, sie könnten das nicht sein, ohne einen Theil ihrer Religious Gebräuche aufzugeben. Ganz richtig; der Beamte, dessen Beruf ihn zu Ge—

schäften am Sabbath fordert, kann den Sabbath nicht feiern in der Art und Weise, wie andere feiner Glaubensgenossen, die streng daran halten. Warum sollen wir aber deshalb ihm das Recht nicht erthei⸗ len? Ist es nicht Sache des Juden selbst, mit seinem eigenen Ge⸗ wissen sich zu berathen, ober es damit vereinbar hält? Die Regierung nimmt keinen Austand und sie thut Recht daran den Juden zu zwingen, Militair zu werden. Als Soldat kann er den Sabbath auch nicht feiern und seine Gebräuche nicht halten. Diese Last wird ihm auf— gelegt; wenn es sich aber darum handelt, daß er Rechte haben soll, s kann man dann auch nicht sagen: wir geben dir keine Rechte, weil du sie nicht ausüben darfst. Der Staat zwingt ihn, auf seine Gebräuche zu verzichten, wo es sich von Leistungen handelt, die er zu erfüllen hat; dagegen aber will er ihm das Recht nicht gewähren, nach seinem Ermessen von seinen Gebräuchen abzustehen, um Beamter sein zu können. ̃ Ich halte dies nicht mit der Gerechtigkeit, und namentlich nicht mit der christlichen Gerechtigkeit vereinbar. Der verehrte Redner, welcher vor mir an diesem Platze stand, hat die Besorgniß ausge—⸗ sprochen, sein bisher von Juden nicht bewohnter Provinztheil werde jetzt durch die spekulativen Juden überschwemmt werden. Ich glaube, derselbe kann sich vollkommen beruhigen, es wird dies nicht zu fürch⸗ ten sein. Ohne daß Juden dort wohnen, können sie doch dort Ge⸗ schäfte machen, und wenn also dort etwas zu verdienen ist, so wer⸗ den sie nicht wegbleiben, wenn sie auch dort nicht wohnen; ich habe die Ueberzeugung, daß sie auch jetzt nicht aus der Lausitz wegbleiben, wenn dort elwas zu verdienen ist. Die Erfahrung spricht übrigens dagegen, daß sie bei Gestattung der Freizügigkeit nun überall hinge⸗ hen, wo noch keine von ihnen sind, wo also nach der Auffassung des verehrten ritterschaftlichen Abgeordneten der Lausitz ein weites Feld der Speculation für sie noch unbeackert vorhanden wäre. Ich führe Ihnen ein Beispiel an. In Eupen, drei Meilen von Aachen, sind entweder gar keine Juden oder doch nur einer oder zwei. Dieses Feld liegt also unbeackert von den Juden in gleicher Weise, wie die Lausitz, und nichtsdestoweniger haben sich keine Juden dort angesie⸗ delt. Ich bin daher überzeugt, daß der verehrte ritterschaftliche Ab⸗ geordnete der Lausitz, wegen des Ergießens der Juden über die ge⸗ segneten Felder dieses Landes, ganz beruhigt sein kann. ü Ministerial⸗Kommissar Geheimer Regierungs⸗ Rath Brügge⸗ mann: Ich erlaube mir nur zwei Worte. Wenn der geehrte Red⸗ ner, der eben die Tribüne verlassen, mir hat die Ansicht unterschieben wollen, als ließe ich den Staat in der Kirche aufgehen so muß ich mich gegen eine solche Ansicht entschieden verwahren. Ich habe aus⸗ drücklich‘ die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des Staates neben der Kirche anerkannt. Auf Nachbarstaaten habe ich in dieser Frage nicht hinweisen wollen, weil ich es nicht für angemessen hielt, mich auf einen Staat zu beziehen, der es ist noch nicht lange her von einem atheistischen Standpunkte in der Umkehr begriffen, noch nicht zum Abschlusse seiner neuen Entwickelung gekommen ist, wie die Konflikte beweisen, die dort noch vorliegen. . Abgeordn. Diergardt: Nach den vielen schönen ausführlichen Reden, welche hier gehalten worden sind, würde ich es nicht wagen, den Rednerstuhl zu betreten, wenn ich nicht eine moralische Veran⸗ lassung dazu hätte. In einem mehr wie dreißigjährigen Geschäfts⸗ leben Lbin ich' mit so vielen wackeren Männern jüdischen Glaubens zusammengekommen, daß ich es für meine flicht halte, mich für die vollständige Emancipation der Juden auszusprechen. Ich könnte der hohen Versammlung Namen nennen, welche Tausenden von Christen sowohl in dieser Provinz als in anderen Landestheilen lohnende Beschäfti⸗ gung geben, so schön für sie sorgen, daß ich sie mit Freuden als meine Kollegen begrüße. Man kann mir dagegen sagen, daß dies Ausnahmen wären. Ich weiß hierauf keine * Antwort zu ge—⸗ ben, als die, was kann man von den Massen erwarten, wenn man sie nicht gleichstellt mit den übrigen Konfesstonen? Wir haben über⸗ all gesehen, meine Herren, daß, wenn sich ein Volk unterdrüct fühlt, der Gelberwerb das Hauptstreben ist, indem dieses das Mittel giebt, sich einige Geltung zu verschaffen, ein Streben, meine Herren, welches

einen solchen Höhenpunkt erreicht hat r Veranlassung ,. 8 6 . , . beren Alla sui eschaffen worden um deren nz sich Könige und Fürsten bemühen? W haben b den Griechen gesehen, daß zur Zeit, wo sie unter 3 tůrfise ö Herrschaft lebten, dieses einseitige Streben bei ihnen ebenfalls * handen war. Ich habe selbst vor der griechi ; . ; t dir griechischen Revolution viel- fach mit den Griechen verkehrt, ich habe ich gesiehe es ihnen offen bei den Transactionen, welche ich mit Griechen und Juden hatte, Ursache gehabt, mit mehr Vorsicht bei den Griechen, wie bei den Juden, zu , . Die Geschichte lehrt, daß bestegte Völker durch ein humanes Benehmen sich eher in den Verlust ihrer Ratio⸗ nalität fügen, als durch ein entgegengesetztes. Ich glaube, meine Herren, wenn wir in religiöser Hinsicht dies auf die Juden anwen⸗ den, und wenn wir der schönen Lehre folgen: „Was du nicht willst, das dir geschieht, das thue auch keinen Anderen“, die segensreichsten Fol⸗ gen daraus entstehen werden. Ich stimme daher für das Amende⸗ ment des Herrn Abgeordneten von Krefeld. ; Abgeordn. Wächter: Meine Herren! Nachdem ich erst heute das Wort erhalte und bereits am gestrigen Tage mehrere der geehr⸗ ten Herren Nedner, welche früher sich um dasselbe bewarben, in le⸗ bendigeren, kräftigeren und beredteren Worten die hohe Wichtigkeit dieser Angelegenheit, die Emancipation der Juden betreffend, darstell⸗ ten, als ich es im Stande bin, so fühle ich mich dennoch aus dem Innersten meines Herzens gedrungen und verpflichtet, diejenigen Wün⸗ sche, Bitten und Forderungen, welche ich im Interesse der ganzen Nation zu stellen habe, auch hier offen und unumwunden in Worte zu kleiden und auszusprechen. Ich fühle mich hierzu um so mehr verpflichtet, als ich, ein Bewohner und Abgeordneter einer der im fernsten Norden belegenen Stadt der preußischen Monarchie, nicht allein bei dem hier versammelten Vereinigten Landtage, sondern auch bei dem letzten Provinzial Landtage eine ähnliche Bitte um Eman⸗ cibation der Juden gestellt habe; ich fühle mich um so mehr dazu veranlaßt, als der Gesetz⸗Entwurf, der uns jetzt zur Berathung vorliegt, meinen Wünschen, meinen Hoffnungen und Erwartungen nicht entspricht; ich fühle mich ferner um so mehr dazu veranlaßt, als derselbe diejenigen Rechte, welche ihnen in Folge der früheren Gesetzgebung, durch das bekannte Edikt vom März 1812, verliehen worden sind, mehr verkümmert und verkürzt, als erweitert. Ich wün⸗ sche und bitte für die Bekenner des jüdischen Glaubens Glaubens⸗ freiheit und völlige Gleichstellung mit den Christen in ihren bürger⸗ lichen und politischen Rechten. Ich enthalte mich aller ausführlichen Motive, welche gestern schen angeführt sind; ich glaube aber diesen Anspruch auf das allgemeine Recht der Billigkeit, auf das Rechts—⸗ gefühl gründen zu können und bin der Ansicht, daß demjenigen, der die Pflichten des anderen Staatsbürgers erfüllt, auch dieselben Rechte, dieselben Begünstigungen zugeeignet werden müssen. Wenn ich dem⸗ nach wünsche, daß, wie vor Gott, auch vor dem Gesetz alle Menschen gleichgestellt sein mögen, so halte ich dafür, daß es nicht darauf an⸗ kommen kann, zu welcher Religion man sich bekenne. Der Jude ver⸗ ehrt, wie wir, ein höchstes Wesen, er verehrt, wie wir, Gott, und es scheint mir, daß es nicht auf die Form ankommt, wie man glaubt, wenn man nur glaubt. Wir haben gestern und auch früher bei einer anderen Gelegenheit gehört, daß der Grundpfeiler des Staats die christliche Religion sei; aber, meine Herren, der Grundpfeiler und der Grunzfatz der christlichen Religion ist Duldung, und die Religion lehrt uns, alle Menschen, ohne Unterschied des Glaubens, wie unsere Brü⸗ der zu lieben. So oft ich mir auch die Frage vorlegte, warum nicht drei Konfessionen in unserem Staate bestehen können, warum nicht der juͤdischen Religion neben der evangelischen, neben der katholischen ein Platz eingeräumt werde, um so mehr, als sie doch eine der ge⸗ duldeten im Staate ist; wie oft ich mir auch diese Frage vorgelegt habe, so wenig bin ich zur Beantwortung derselben gekommen. Es ist uns früher, namentlich gestern, von einer anderen Seite her eine Deduction gemacht worden, daß die Bekenner des jüdischen Glaubens in der Mehrheit sich noch nicht auf dem Stadium der sittlichen und geistigen Bildung befänden, als es bei den Christen vorweg ange⸗ nommen werden könnte. Ich gestehe, daß ich mich dieser Ansicht nicht anschließen kann, und glaube, daß, wenn man einen ähnlichen Maß⸗ stab bei den Bekennern der christlichen Religion anlegen würde, dieser auch nicht zureichend gefunden würde; wenn ich aber auch alles dieses theflweise einräume und anerkennen würde, so glaube ich doch, daß, wenn die Emancipation so vollständig verwirklicht sein wird, wie es bereits in ei⸗ nigen anderen Staaten der Fall ist, auch die sittliche und geistige Heran⸗ bildung sich in dem Maße in Progression stellen wird, als eben da⸗ durch denselben Gelegenheit geboten wird, eine würdigere Stellung im Staate anzunehmen und zu behaupten. Vorurthelle und Aber⸗ glaube, wie sie von der einen wie von der anderen Seite bis jetzt noch ffattfinden, werden dann verschwinden; doch der letzte Rest davon wird erst dann verschwinden, wenn die letzte Scheidewand, welche zwischen Juden und Christen noch besteht, gefallen sein wird. Werden die Misch-Ehen gestattet und nicht, wie es bisher geschehen ist, er⸗ schwert, und wenn sie stattgefunden haben, getrennt, so halte ich dafür, daß die letzte Scheidewand alsdann wirklich gefallen ist, und daß die allmälige Verschmelzung aller Religions⸗-Parteien stattfinden wird, und daß wir gerade darin das Heil für uns Alle zu suchen haben werden. Es ist heute auch von Seiten eines geehrten Redners der Ministerbank der Satz aufgestellt worden, daß die jüdische Reli⸗ gion die Misch-Ehen verbiete. Ich kann auf dieses Feld dem Redner nicht folgen, es ist mir ein fremdes; ich glaube aber hier bemerken zu müssen, daß der große Reformator der evangelischen Kirche, Luther, die Misch⸗Ehen zwischen Christen und Juden als nicht gegen das göttliche Gebot bestehend anerkannt, daß er sie vielmehr befürwortet und gebilligt hat. . . . Meine Herren! Ein Recht, Ein Gesetz, gleiche Pflichten für alle Bewohner der preußischen Monarchie, das sind die Forderungen, welche ich hier an den hohen Vereinigten Landtag stelle. Ich bitte um Unterstützung dieser Ansicht; ich würde mir aber noch erlauben, an diese Bitte die anzureihen, daß der. Zuzügigkeit fremder Juden, nämlich aus fremden Staaten, nach Möglichkeit gewehrt werde, Abgeordn. Steirowitz: Nachdem sich gestern mehrere Redner zu Gunsten der Judenschaft und so ausgesprochen haben, daß e. Gegenstand, über welchen ich sprechen wollte, vollig erschepft wurde, so will ich nur mit ein paar Worten den zweiten Abschnitt des Ent⸗ wurfs berühren. Der Entwurf scheint mir nicht dem eit ichen . schritt und der öffentlichen Meinung Preußens gef t . Er entrückt die Judenschaft des Großberzogthums Posen wiederum in

die alten Granzmauern, er nöthigt sie, sich noch mehr dahin 6 zentriren, um eine Corporation zu bilden und * die allen eli⸗ gions-Gebräuche noch mehr zu versinken. Meine Herren! Die Juden sind nur durch die bisherigen Beschränkungen in dem gegenwärtigen Zustande. Wir müssen sie aber herausheben, sie uns näher stellen, i

TEhrgefühl stärken, und sie werden das anerkennen und besser werden. Der geehrte Redner aus Westfalen hat gestern für die Freiheit der Juden mit beredten Worten sich ausgesprochen, dem ich auch nur deitreten kann, nur in dem einen Punkte nicht, daß er nicht die Frei⸗ zügigkeit der Judenschaft haben wollte. Ich glaube, meine Herren, zenn wir den Juden die ganze, Emancipation zugestehen wollen. po können wir ihnen auch diese Kleinigkeit lassen, d. H. die Freizügigkeit; kenn es könnte sonst den Anschein gewinnen, als wenn man ihnen zwar das Thor der Freiheit öffnen, sie aber noch an einen Faden