1847 / 169 p. 7 (Allgemeine Preußische Zeitung) scan diff

dafür sind, daß eine Einmischung der Regierung stattsinden müsse. Es ist von den Gegnern angeflhrt worden, bei keiner ähnlichen Ver= bindung von Christen sinde eine Einmischung der Regierung statt; es handelt sich aber hier von Kirchengemeinden, nicht von bürgerli⸗ chen Gemeinden, und bei Kirchengemeinden leitet, so weit mir be⸗ kannt, dergleichen Verhandlungen der Pastor. (Einige Stimmen: Nein!) . Allerdings leitet bei den Presbyterien in der Provinz Sachsen der Pastor die diesfälligen Verhandlungen. . (Mehrere Stsinmen durch einander: Nein! Ja!)

Was ich gesagt, kann ich von meiner Provinz mit Bestimmtheit be⸗ haupten; wenn in anderen Provinzen der Pastor die Verhandlungen nicht leitet, sondern der Patron, so kann ich dem nicht widersprechen; aber ich glaube dann, daß dieses im vorliegenden Falle ganz gleich

ültig. Ra den Synagogen⸗Gemeinden giebt es keinen Pastor, auch einen Patron, wer tritt also dann ein? die Regierung.

Elne Stimme: Der Rabhiner, . Abgeordn. von Meding: Ich glaube, daß auch selbst für

; J Judenschaften in größeren Städten, die nach ihrer . ,., Stande wären, unter sich Personen zu , die dem 2zahlgeschäft mit Erfolg vorstehen könnten, es von diesen Judenschaften selbst gewünscht werden wird, daß die Wahl durch ellen Kommissar der Regierung geleitet werde, und zwar des- wegen, weil anerkannter und notorischerweise gerade in der jetzigen Zelt in den Kultus-Angelegenheiten unter den Juden verschiedene Par⸗ seien stattsinden, die sich unter einander bekämpfen und sehr von ein⸗ ander abweichen. Das ist namentlich, wie die Herren Deputirten von Berlin bestätigen werden, auch hier in Berlin der Fall, und ich glaube erade, daß der hiesigen Judenschaft, so wenig ich ihr die Fähigkeit absprechen will, einen Kommissar unter sich zu stellen, ein wesentlicher Dienst damit geleistet wird, wenn ein Kommissar des Gouvernements für ihre Wahlen bestellt wird.

Referent Sperling: Zur Berichtigung bemerke ich, daß mir von mehreren Vorstehern der Judenschaft geraͤde das Gegentheil er⸗ klärt worden ist, daß sie gerade eine Zurücksetzung darin sinden, was eben als von ihnen gewünscht angegeben wird.

(Ruf zur Abstimmung.)

Abgeordn. von Auerswald: Ich kann mir auf keine Weise denken, daß in Körperschaften, die auf zweckmäßige und angemessene Weise in gehörigem Umfange von den Königlichen Regierungen ge— bildet sind, unter einer Klasse von Leuten, die, wie die Juden im Allgemeinen, gescheidt und praktisch sind, nicht ein einziges geeignetes Individuum finden sollte, um eine Wahl zu leiten; sollte dies aber wirklich in seltenen Fällen eintreten, so glaube ich, daß die Ungn— nehmlichkeit, die Schwierigkeit, der Nachtheil, der daraus entstehen könnte, in gar keinem Verhältniß stände mit dem nachtheiligen und mit Recht nächtheiligen Eindrucke, den eine solche allgemeine Maß— regel machen müßte, die eine ganze Klasse von Staatsbürgern in ein so exceptionelles Verhältniß verweist. Wenn von einem Abgeordne⸗ ten aus Sachsen gesagt wurde, daß der Pastor immer in den Ver— sammlungen der Kirchenvorsteher den Vorsitz führe, so glaube ich, ist das nur in der Beziehüng richtig, als er zugleich Mitglied des Kir chenvorstandes ist, also als erster Kirchenvorsteher und nicht in, der Eigenschaft als Geistlicher, in welcher ihm der geehrte Herr gewisser— maßen das Amt eines Regierungs-Kommissars für diese Fälle vindi—

ziren wollte.

(Zahlreicher lauter Ruf zur Abstimmung.)

Abgeordn. Graf von Saurma: Ich wollte mir erlauben, zu §. 9 noch den Anhang vorzuschlagen, daß diejenigen Vorstands-Mit⸗ glieder, welche nach dem Loose ausgeschieden sind, auch wieder ge— wählt werden dürfen.

Marschall: Wir sprechen aber jetzt über einen ganz anderen Gegenstand, nämlich darüber, ob ein Regierungs-Kommissar der Wahl vorstehen soll.

Abgeordn. Graf von Schwerin: Ich will nur dem Abgeord— neten aus der Mark Brandenburg, der zugleich dieser Provinz vor— steht, gegenüber bemerken, daß er mir für den Paragraphen zu spre— chen schien, während er sich dagegen erklärt hat, eben weil in Mitt⸗ des Judenthums große Meinungs- Verschiedenheit herrscht, weil das⸗ selbe sich in einer Entwickelung befindet welche die Gegensätze scharf gegenüberstellt, darum meine ich, daß es nicht im Interesse der Re— gierung liegt, Partei zu nehmen, darum wünsche ich, daß kein Kom— missar der Regierung Theil daran nehme.

(Von allen Seiten wird „Abstimmung“ gerufen.)

Abgeordn. von der Heydt: Es ist von mehreren Rednern ge⸗— äußert worden, daß der Wunsch der Juden sei, daß eine Regierungs⸗ Kommissson zur Berathung bei den Synagogen Vereinen abgeordnet werde. Ich glaube, daß Niemand in dieser Versammlung das Man⸗ dat hat, als Organ der Juden deren Wünsche vorzutragen. Es scheint mir, daß wir uns nur an das Prinzip zu halten haben, von dem der Entwurf ausgeht.

Marschall: So wollen wir denn zur Abstimmung kommen. Die Frage ist die: „Sollen die Worte: „Das Wahlgeschäft wird durch einen Abgeordneten der Regierung geleitet“, wegfallen?“ Wer für den Wegfall ist, beliebe aufzustehen.

(Dies geschieht.) Mir scheint der Antrag die Mehrheit nicht zu haben. (Mehrere Stimmen: „Ja wohl! Ja wohl!“)

Nun so will ich die Herren Ordner bitten, zu zählen.

ö. (Geschieht.)

Das Resultat der Abstimmung ist folgendes:

Für ja haben sich erklärt 204

. w .

Die Worte bleiben also stehen.

4 g r n , 3 on , Ih trage darauf an, daß

3 gefü de J ö Sie Ausschei? dente. fun wi e! anhin werde, des Inhalts: „Die Ausschei

Landtags-Kommissar; Ich will hierauf nur bemerken daß, wenn nicht das Gegentheil im z. r r. fich diese dig, . . . Gesetz angeordnet ist, sich diese

arschall: Der Zweifel wird a ier ledi betrachlen h f lso hiernach als erledigt zu

Referent Sperling lliest):

„S. 10. Die Wahlen der Vorsteher unterliegen der Genehmi der Regierung, welche die ganze n des Borses d ie ng an, i . hat und befugt ist, einzelne Mitglieder wegen vorsätzlicher

Pflichtwidrigkeit oder wiederholter Dienstvernachlässigungen durch Be—⸗ schluß zu entlassen.“

Es versteht sich wohl von selbst, daß diese Entlassung nur nach vorgängiger Untersüchung und unter Vorbehalt des Rekurses statt⸗ finden kann. Daher wird es auch wohl kein Bedenken haben, dieses noch ausdrücklich hinzuzufügen.

Gutachten zu §. 10.

Da die Repräsentanten gegen die Synagogen-Gemeinde eine bedeutungsvolle Stelle einnehmen, indem sie . e ohne Rücksprache mit ihr in allen, auch den wichtigsten Angelegenheiten, dem Vor⸗ stande gegenüber vertreten, es also im Interesse der Gemeinde liegt, daß dazu nur orwurfsfreie Männer gewählt werden außer⸗ dem es aber auch nicht selten vorkommen dürfte, daß der Vorstand

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in äußeren Angelegenheiten der Gemeinde, bei denen ler die Re⸗ präsentanten zuziehen muß, die Legitimation derselben zu führen

hätte, so fand die Abtheilung es zweckmäßig, daß deren Wahl der.

Genehmigung der Regierung ebenfalls unterworfen werde, und schlägt dieselbe vor, in der ersten Zeile hinter „Vorsteher“ einzu⸗ schalten: „und der Repräsentanten.“ .

Marschall: Der Antrag der Abtheilung geht dahin, in der ersten Zeile noch einzuschalten: „und der Repräsentanten.“

Abgeordn. Möwe s: Ich erkläre mich gegen den Vorschlag der Abtheilung, daß die Repräsentanten der Genehmigung der Regierung bedürfen. Nach meiner Ansicht ist die Stellung und Wirksamkeit der Repräsentanten eine ganz andere, als die der Vorstände. Die Vor—⸗ steher sind die Beamten der Gemeinde, ihnen liegt die Verwaltung des Gemeinde-Vermögens wie aller inneren und äußeren Gemeinde⸗ Angelegenheiten ob. Sie sind der Gemeinde dafür verantwortlich, sie müssen dafür Rechenschaft geben. Auch werden sie nach dem vor⸗ hergehenden Paragraphen nur von den Repräsentanten gewählt, und sind, wie gesagt, beauftragt, nicht nur die Angelegenheiten im Innern der Gemelnde zu verwalten, sondern auch nach außen hin die Ge⸗ meinde zu vertreten. Um dies mit gehöriger Autorität thun zu kön⸗ nen, bedürfen sie, auch selbst der Gemeinde gegenüber, wohl der Ge⸗ nehmigung und Bestätigung der Regierung. Ganz auders verhält es sich mit den Repräfentanten; diese sind nicht Beamte, sondern nur Vertreter der Gemeinde, sie sind die Vertrauensmänner, welche ge⸗ wählt werden, um die Verwaltung der Vorsteher zu überwachen, diese durch ihre Beschlüsse zu leiten und der Gemeinde von der richtigen und ordnungsmäßigen Verwaltung Kenntniß zu geben. Wenn in dem Gutachten gesagt ist, daß die Vorstände in äußeren Angelegenheiten auch die Repräfentanten zuzuziehen und deshalb sie ihre Legitimatio= nen zu führen hätten, so scheint mir der 5. 11 des Gesetz⸗ Entwurfs dem entgegenzustehen, indem die Wirksamkeit der Vorsteher ausdrück⸗ lich darauf gerichtet ist, daß diese allein nur die Beschlüsse der Ne⸗ präsentanten zur Ausführung zu bringen haben, allein auch die Ge⸗ meinde nach außen hin und gegen dritte vertreten sollen. Aus die⸗ sem Grunde erkläre ich mich gegen den Vorschlag und würde die Ne= präsentanten nicht der Genehmigung der Regierung unterwerfen, selbst auch um deswillen nicht, um ihre Stellung als eine ganz unabhän⸗ gige bestehen zu lassen. In Beziehung auf den letzten Absatz des §. 10, daß die Regierung auch befugt sei, einzelne Mitglieder des Vorstandes wegen vorsäßlicher Pflichtwidrigkeiten oder wiederholter Dienstvernachlässigungen zu entlassen, bemerke ich, daß die Fassung dieser Stelle leicht die Deutung zulassen könnte, daß die Regierung ohne Weiteres die Vorsteher entlassen dürfte. Ich glaube nicht, daß es die Absicht der Regierung gewesen ist, auf diese Weise zu Werke zu gehen, und daß sie dieselben nicht eher entlassen kann als bis sie sich über die Richligkeit der den Vorstehern geinachten Beschuldigungen vergewissert hat. Um diese Mißdeutung zu beseitigen, erlaube ich mir vorzuschlagen, daß hinzugefügt werde, „nach vorangegangener Ermit⸗ telung der Verhältnisse“. ö

Dann bezieht sich ein anderer Antrag meinerseits darauf, daß es zweckmäßig sein wird, die Vorsteher nicht zu entlassen, ohne die Repräsentanten noch wenigstens gutachtlich zu hören, um auf diese Weise die Repräsentanten, welche ihrerseits die Vorsteher wählen sol⸗ len, in ihren Rechten nicht zu kränken. Es können Mißverhältnisse entstehen, wenn die Regierung ohne Weiteres einen Vorsteher ent⸗ läßt, ohne die Repräsentanten gehört zu haben, während die Reprä⸗ sentanten immer diejenigen sein werden, welche am besten beurtheilen können, ob die vorgebrachten Beschuldigungen Grund haben oder nicht. Aus diesen Gründen würde ich das Aniendement dahin zusammen— fassen, „daß die Regierung nur erst nach vorangegangener Ermitte⸗ lung der Verhältnisse und gutachtlichen Anhörung der Repräsentanten einen Vorsteher zu entlassen befugt sei“.

Marschall: Es fragt sich, ob der Vorschlag Unterstützung indet.

t (Es erheben sich mehr als 24 Mitglieder.) Ja!

Abgeordn. Dittrich: Was der geehrte Redner vor, mir in Beziehung auf die Repräsentanten gesagt hat, unterstütze ich. Es sindet hier zwischen den Vorständen und den Repräsentanten dasselbe Verhältniß statt, wie zwischen dem Magistrat und den Stadtverord— neten, also bedürfen die Repräsentanten der Bestätigung der Regie— rung nicht. In Beziehung auf das, was der geehrte Redner vor mir in Betreff des Schlußsatzes gesagt hat, glaube ich, versteht es sich von selbst, daß ohne vorangegangene Untersuchung die Entlassung nicht stattfinden kann.

Abgeordn. Graf von Schwerin: Ich würde nach den Grund⸗ sätzen, welche ich mir vorhin bereits zu entwickeln erlaubt habe, der Meinung sein müssen, daß der ganze 8§. 10 zu streichen sein würde; ich glaube aber, daß, nachdem wir die S8§. 2 und 3 angenommen haben, wonach dem Staat das Recht vorbehalten ist, zwangsweise solche Genossenschaften zu ordnen, wir, ihm auch das Recht der Bestätigung der gewählten Vorstände nicht werden streitig machen können, und ich werde daher für den ersten Satz dieses Paragraphen sein. Dagegen scheint mir für den letzten Satz durchaus keine Ver⸗ anlassung vorzuliegen, und wenn die verehrten Mitglieder, welche vor mir gesprochen, namentlich der Herr Referent, der Meinung ge⸗ wesen sind, der Satz, die Dienstentlassung durch Beschluß festzu⸗ setzen, hieße dasselbe, als nach vorangegangener Untersuchung, so glaube ich eben das nicht. Wenn die Festsetzung der Entlassung durch Beschluß der Regierung einen Sinn hat, dann kann sie keinen ande⸗ ren haben, als daß in Beziehung auf die Entlassung der Vorstände der Judenschaft ein anderes Verfahren maßgebend sein soll, als das, was überhaupt für die Entlassung der Beamten maßgebend gewesen ist, d. h. die administrative Untersuchung. Ich glaube, wenn wir die §§. 2 und 3 annehmen, wonach diese Corporationen unter der Kontrolle des Staats gebildete Corporationen sind, wenn wir dem Staat oder der Regierung das Recht vorbehalten, die An⸗ stellung zu genehmigen, dann werden auch die Vorstände in Beziehung auf die Entlassung in keiner Weise anders zu behandeln sein, wie die übrigen Staatsbeamten, d. h. sie können nur, im Wege der gegen sie eingeleiteten administrativen Untersuchung, keinesweges aber durch einfachen Beschluß der Regierung des Dienstes entlassen werden, und ich wäre darum der Meinung, diesen ganzen letzten Satz zu streichen und nur die Genehmigung der Regierung beizubehalten.

Abgeordn. Aldenhoven: Aus denselben Gründen, aus wel⸗ chen der Redner die Beibehaltung des Paragraphen beansprucht, er⸗ kläre ich mich für den Strich desselben. Gerade weil die Regierung die Wahl leitet, scheinen mir die Gründe nicht mehr obzuwalten, daß nun noch die Vorstände und Repräsentanten genehmigt werden. Ich beanspruche für die jüdische Gemeinde, die wir nun doch einmal als Synagogen für rein kirchliche Verhältnisse bilden wollen, eine Autonomie. Ich wohne in der Rheinprovinz, dort bestehen katho⸗ lische Kirchen-Vorstände, welche mit der Staäats⸗Regierung in gar keiner Communication stehen. In der vollsten Autonomie stehen sie da, sobald sie nicht von ber welllichen Behörde Geld-Beihülfe, ver= langen, und wenn die jüdischen Gemeinden nicht weltlicher, Beihülfe bedürfen, so müssen sie ebenfalls ganz in ihrem autonomischen Recht e n Darum erkläre ich mich für den Strich des ganzen Para⸗ graphen. ;

Marschall: Wir haben über den Paragraphen sehr verschie⸗

dene Amendements. Das erste geht dahin, denselben ganz zu streichen, ein anderes dahin, uur den ersten Satz stehen zu lassen, der da heißt: „Die Wahlen der Vorstände unterliegen der Genehmigung der Ne⸗ gierung;“ das dritte schlägt eine Einschaltung der Worte; „Nach voran⸗ gem ge , Ermittelung der Verhältnisse ünd gutachtlicher Anhörung er Repräsentanten“ vor. Der Antrag der Abtheilung ist, darauf gerichtet, der Repräsentanten hier mit zu erwähnen, so daß die Wahl derselben der Bestätigung der Regierung auch unterliegen solle. Zu⸗ erst wird man wohl wissen müssen, ob der ganze Parägraph wegfal— len soll, weil es das am weitesten gehende Amendement ist. Dieje— nigen, welche den ganzen Paragraphen gestrichen wissen wollen, bitte ich aufzustehen. . (Es hat keine Majorität erlangt.)

Der zweite Antrag geht dahin, den zweiten Satz des Para graphen zu streichen, so daß nur die Worte stehen blieben: „Die Wahlen der Vorstände unterliegen der Genehmigung der Re— gierung.“

Landtags-Kommissar: Wenn einmal die Regierung die Wahl genehmigen soll, so muß sie auch das Recht der Eutlassung haben. Wenn bemerkt wurde, daß der eine Entlassung festsetzende Beschluß kein willkürlicher sein dürfe, sondern sich auf eine vorange— gangene Untersuchung gründen müsse, so ist dies vollkommen richtig; es hat aber auch die Fassung des Paragraphen keinen anderen Sinn haben sollen. Wenn nun der geehrte Redner, der den letzten Satz des Paragraphen zu streichen vorgeschlagen hat, dessen Wegfall wünscht, weil er sich von selbst verstehe, so muß ich doch zur Besei⸗ tigung der Zweifel auf die Beibehaltung antragen, während es un⸗ bedenklich ist, die Worte „nach vorangegangener Untersuchung“ Lin- zuschalten oder die Bestimmung zuzuseßen, daß die Vorsteher in ähn licher Weise, wie andere Kommunal-Beamte, entlassen werden können.

Abgeordn. Graf Schwerin; Ich habe gesagt, es verstehe sich, was der Paragraph wollte, von selbst, unter der Voraussetzung, daß nicht Beschluß der Regierung etwas Anderes heißen sollte, als nach vorangegangener Untersuchung. Insofern dies nicht darunter verstan⸗ den sein sollte und die Einschaltung, wie sie der Herr Regierungs Kommissar vorgeschlagen hat, gemacht wird, so kann ich mein Amen— dement zurücknehmen. ;

Marschall: Die Sache ist also damit als erledigt anzusehen, daß der zweite Satz des Paragraphen stehen bliebe mitz der Ein⸗ schaltung, die der Herr Regierungs- Kommissar selbst hinzuzufügen vorgeschlagen hat. . —ͤ

Referent Sperling: Das geht noch über die Wünsche eines Jeden, der ein Amendement hier gestellt hat, hinaus, und ich bin ganz damit einverstanden.

Marschall: Dann früge es sich, ob das Wort „Repräsentan= ten“ in den zweiten Satz mit eingeschaltet werden soll. Dies ist ein Vorschlag der Abtheilung, ich muß also, darüber abstimmen lassen und bitte, 23 diejenigen, welche für die Einschaltung des Wortes „Re⸗ präsentanten“ in dem ersten Satze sind, die Güte haben, aufzu⸗ stehen.

Er ist nicht angenommen.

Referent Sperling liest den 8. 11 des Gesetz-Entwurfes vor:

8

„Der Vorstand hat die gemeinsamen Angelegenheiten der Inden⸗ schaft zu leiten und die Beschlüsse der Repräsentanten zur Ausfüh⸗ rung zu bringen. Er vertritt die Judenschaft überall, gegen dritte Perfonen, insbesondere in allen Rechtsgeschäften, sie mögen die Er⸗ werbung von Rechten oder die Eingehung von Verbindlichkeiten be treffen. Das Verhältniß der Vorsteher und Repräsentanten gegen einander und gegen die Judenschaft ist, so lange und so weit nicht das Statut (8§. i3) ein Anderes festsetzt, nach den Bestimmungen der revidirten Städteordnung vom 17. März 1831 über die Rechte und Pflichten des Magistrats und der Stadtverordneten zu he urtheilen.

Das Gutachten dazu lautet:

8. 11

„Die revidirte Städte⸗Ordnung vom 17. März 1831 gilt zur Zeit nur in einer verhältnißmäßig geringen Zahl von Städten der preußischen Monarchie. Sie da, wo sie nicht gilt, in Beziehung auf die Verhältnisse der Juden einzuführen, scheint nicht nothwen— dig zu sein. Es würde, wo solches geschähe, die Zahl der schon bestehenden Gesetzbücher und Gesetzsammlungen dem allgemeinen Interesse zuwider vermehrt werden und den Wünschen der Städte, welche sich der Städte Ordnung vom 19. November 1868 erfreuen, geradezu entgegen sein. Die Abtheilung hat nichts dagegen zu er— innern, daß die Beziehungen des Vorstandes zu den Repräsentan— ten und der Letzteren zur Synagogen-Gemeinde nach den bezoge— nen Bestimmungen der revidirten Städte⸗-Ordnung normirt werden, schlägt aber vor, diese Bestimmungen einfach in dieses Gesetz auf nehmen, so daß das Statut nur noch über solche Gegenstände sich verbreiten dürfte, über welche in diesem Gesetze hinweggegangen wäre.“

Marschall: Findet sich dagegen etwas zu erinnern? Wo nicht, so kann ich annnehmen, daß der Vorschlag der Abtheilung an genommen wird.

Referent Sperling (iest vor):

;;,

Ueber die Verwaltung des Vermögens der Judenschaften steht den Regierungen das Recht der Ober-Aufsicht in demselben Maße zu, wie nach der revidirten Städte-Ordnung vom 17. März 1831 über die Vermögens-Verwaltung der Stadtgemein— den.

§. 12 des Gutachtens:

„Hier gilt das bei dem unmittelbar vorhergehenden Para graphen Gesagte, und würde die Bezugnahme auf die revidirte Städte-Ordnung ebenfalls zu vermeiden sein.“

Marschall: Aus dem vorigen Beschlusse würde wohl folgen, daß auch hier der Abtheilung beigetreten wird.

Referent Sperling (liest vor):

„OY. 2

Ueber die Wahl des Vorsitzenden in dem Vorstande und des Vorstehers der Repräsentanten-Versammlung, so wie über deren Befugnisse, ferner über die Zahl der Mitglieder des Vorstandes und der Repräsentanten-Versammlung, der Stellvertreter dersel— ben, so wie darüber, ob die Wahl in den Vorstand auf jüdische Einwohner der zum Mittelpunkt der Judenschaft bestimmten Stadt beschränkt bleiben, und welche Neisekosten⸗Entschädigung im an⸗ deren Falle den Gewählten gewährt, werden soll, endlich über das Verhältniß der Vorsteher und Repräsentanten gegen einander und egen die Judenschaft sind die erforderlichen Bestimmungen in ein . der Bestätigung des Ober⸗-Präsidenten unterliegendes Statut aufzunehmen.

Die erste Wahl des Vorstandes und der Repräsentanten er⸗ folgt nach Vorschrift der Regierungen. Diese haben auch nach , Wahl wegen AÄbfassung der Statuten binnen einer estzusetzenden Frist das Erforderliche anzuordnen. Sofern die Ab- fassung innerhalb der gesetzten Frist nicht erfolgt, ist von den Re⸗ gierungen über die dem Statute vorbehaltenen Bestimmungen ein die Judenschaft bindendes Reglement zu erlassen.

§. 13 des Gutachtens:

„Es fehlt an einer ausdrücklichen Bestimmung darüber, wer über das Statut zu berathen hat. Der ganzen Gemeinde kann solches füglich nicht überlassen werden, da sie dazu wegen der gro— ßen Zahl und zum Theil mangelhaften Qualification ihrer Mit⸗ glieder nicht geeignet erscheint. Die Abtheilung hält es für zweck⸗ mäßig, daß die Berathung des Statuts durch den Vorstand und die Repräsentanten gemeinschaftlich erfolge.“

Marschall: Findet man dagegen etwas zu erinnern? Es wird nichts erinnert, und wird also der Paragraph als angenommen zu betrachten sein.

Referent Sperling liest vor):

58. 14.

Der Vorstand ist das Srgan, durch welches Anträge oder Beschwerden der Judenschaft an die Staatsbehörde gelangen. Er hat über alle die Judenschaft betreffenden Angelegenheiten und über einzelne zu ihr gehörige Mitglieder den Staats- und Kom— munal-Behörden auf Erfordern pflichtmäßig und unter eigener Ver⸗ antwortlichkeit Auskunft zu ertheilen.

§. 14 des Gutachtens; .

„Der Sinn der Worte „und über einzelne zu ihr gehörige Mitglieder“ ist nicht ganz klar. Es könnten diese Worte auf ein gewissermaßen poliz eigmtliches Verhältniß des Vorstandes zu den einzelnen Gemeinde- Mitgliedern gedeutet werden, Ein solches liegt aber außer seiner Bestimmung. Wenn Behörden den Vorstand der Synagogen- Gemeinde zu einer Auskunft über einzelne Mit⸗ glieder auffordern, so kann solche, der Natur der Sache nach und ähnlich, wie es bei den Presbyterien der christlichen Kirchen der Fall ist, nur Beziehungen des Einzelnen zur Gemeinde betreffen, und diese sind zugleich Angelegenheiten der Gemeinde selbst. Wenn also schon außerdem angeordnet worden, daß der Vorstand über alle die Judenschaft (Shnagogen- Gemeinde) betreffenden Angele⸗ genheiten den Staats- und Kommunal- Behörden auf Erfordern pflichtmäßige Auskunft zu ertheilen habe, so erscheint solches der Abtheilung genügend, und stimint sie dafür, die Eingangs gedachten Worte zu streichen.“

Marschall: Es wird auch hierin Einverständniß herrschen.

Wir kommen nun zu einem Gegenstande, über den eine längere Berathung nothwendig werden könnte. Ich schließe also die heutige Sitzung und bitte, sich morgen 10 Uhr hier wieder versammeln zu wollen.

(Schluß der Sitzung nach 54 Uhr.)

Sitzung der Kurie der drei Stände am 16. Juni. *)

Die Sitzung beginnt um 10 Uhr unter Vorsitz des Marschalls von Rochow mit Verlesung des Protokolls der gestrigen Sitzung, welches von der Versammlung genehmigt und anerkannt wird.

Abgeordn. Frhr. von Vincke: Ich befand mich gestern in der unangenehmen Nothwendigkeit, die verehrte Versammlung mit einigen Bemerkungen behelligen zu müssen, die sich auf das Verfahren eines geehrten Mitgliedes des Sekretariats bezogen. Die hohe Versammlung hat meinen Vortrag mit Ungunst aufgenommen; ich habe mich, wie im—= mer, ihrer Entscheidung gefügt, erlaube mir aber, heute darauf zurück— zukommen, jedoch nur in der einzigen Absicht, um mich persönlich ge—⸗ gen den etwaigen Vorwurf der Uebereilung zu rechtfertigen. Was zunächst die Thatsache anbetrifft, welche von dem betreffenden Herrn Secrétair, den ich in diesem Augenblicke zu meinem Bedauern nicht gegenwärtig sehe, in Abrede gestellt wurde, so habe ich geglaubt, je⸗ nes Faktum noch näher konstatiren zu müssen, und glaubte, das uicht besser thun zu können, als wenn ich mich zunächst an den Abegordne⸗ ten aus meiner Provinz wendete, auf welchen sich meine betreffenden Worte bezogen hatten. Dieser hat mir nun versichert, daß er meine Worte eben so gehört habe, wie ich sie gesprochen. Um aber auch aus dem entgegengesetzten Theile des Saales ein Zeugniß dafür zu erhalten, habe ich mit dem Herrn Secretair zu meiner Nechten darüber Rück⸗ sprache genommen, der doch auch ohne Zweifel das Ohr eines Se⸗ tretairs hat, und von diesem ebenfalls die volle Bestätigung meiner Behauptung erhalten. Daher muß ich also voraussetzen, daß, wenn meine Worte in den beiden entgegengesetzten Theilen des Saales vollständig so ver⸗ standen worden sind, wie ich sie auch gesprochen habe, sie auch dem Ohre des in der Mitte sitzenden Secretairs verständlich hätten werden kön⸗ nen. Dies zur näheren Konstatirung des Faktums, welche ich nur deshalb für nöthig gehalten, habe, weil ich nit einem Beamten der hohen Versammlung in Meinungs-Verschiedenheit gerathen war und mich deshalb verpflichtet hielt, durch konkludente Thatsachen meine Behauptung nochmals zu begründen.

Es ist ferner von der Versammlung festgestellt worden, daß es keine Pflicht der Secretaire sei, sich mit den Mitgliedern in zweifel⸗ haften Fällen in Communication zu setzen, sondern daß es nur der Verständigung zwischen den beiden fungirenden Secretairen dazu be⸗ dürfe; es lag also für mich in dem vorliegenden Falle Veranlassung vor zu der Frage, ob der Herr Secretair Dittrich in dem vorliegen⸗ den Falle zugezogen worden, worauf dieser mir jedoch versichert hat, daß er zur Berichtigung jenes Zusatzes zu dem stenographischen Bericht nicht zugezogen worden ist. Da aber die Geschäfts⸗Ordnung ausdrücklich vorschreibt, daß zwei Secretaire die Berichtigung vornehmen sollen, da diese Bestinmung ferner der Herr Marschall in dem Regulativ wegen Berichtigung der stenographischen Berichte wiederholt hat, so kann ich nur dann die Meinung eines Secretairs als eine amtliche anerkennen, wenn er sich genau nach den für sein Amt vorgeschriebe— nen Formen gerichtet und also seinen Kollegen zugezogen hat. Da das nun diesmal nicht geschehen ist, so kann ich nur Alles, was der Herr Secretair mir gestern entgegengesetzt hat, als nicht gesprochen ansehen und die gehorsamste Bitte an den Herrn Marschall richten, dem betreffenden Herrn Secretair, der sich nicht in der Ausübung seiner Pflicht befunden hat, die Instruction zu ertheilen, sich künftig nach den Bestimmungen des Reglements und nach den Bestimmungeñn des Regulativs des Herrn Marschalls zu richten. h

Marschall: Da der betreffende Herr Secretair nicht anwe— send ist und sich gegen das Gehörte nicht vertheidigen kann, so will ich nur für ihn anführen, daß er geantwortet hat, er habe nach bestem Wissen und Gewissen die Streichung des angeregten Wortes vorge— nommen, daß er aber, wenn er geirrt haben solle, was er eventualiter anerkannt hat, dies bedauere. Ich halte also diese Sache für erledigt und erkenne fonst an, daß in der Regel beide Secretaire in derglei—⸗ chen Fällen sich vereinigen müssen, um dergleichen Aenderungen vor— zunehmen.

Abgeordn. Frhr. von Vincke: Ich erkläre mich hiermit für beruhigt und kann übrigens nur wiederholen, daß ich nur habe be—

) Manuskript, 257 Folio⸗Blätter, erhalten Freitag, den 18. Juni, Abends 6 Uhr s60 Minuten. Heute, Sonnabend, den 19. Juni, Mor= gens 9 Uhr 59 Minuten, kam uns auch noch das Manus kript zu der Sitzung der Herren-Kurie vom 15. Juni, 203 Folio- Blätter, zu. Wir sind mithin, mit Einschluß des heute Aufgenommenen, im Besitz von 719 Blättern Manuskript, welche in dem morgen, Sonntag, Abends er— scheinenden Blatte, wo möglich, vollständig erledigt sein werden.

D. Red. d. All'g. Pr. Ztg.

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dauern können, von der Person des verehrten Mitgliedes bes Sekre= tariats reden zu müssen, während dasselbe sich noch nicht im Saale befand, weil der Herr Marschall mich aufrief. Ich bin Übrigens be⸗ reit, dem geehrten Mitgliede das, was ich gesagt habe, privatim zu wieberholen, und werde dazu gleich jetzt übergehen.

Marschall: Wir gehen nunmehr zur Fortsetzung der gestern abgebrochenen Berathung über, und ich ersucht den Herrn Referen= ten, den Vortrag wieder aufzunehmen.

Referent: ö

§. 15.

Vertretung der Judenschaften in Stadtgemeinden.

Wenn in einer Stadt, in welcher eine der beiden Städte⸗ Ordnungen gilt, sich so viele, wahlberechtigte Bürger jüdischen Glaubens befinden, daß sie mindestens diejenige Zahl der städti⸗ schen wahlberechtigten Bürgerschaft erreichen, welche eine Theilung ber Gesammtzahl der letzteren durch die Zahl der Stadtserord' neten ergiebt, so kann auf den Grund einer zwischen den städtischen Behörden und dem Vorstande der Judenschaft unter Zustimmung der Repräsentanten stattfindenden Einigung den jüdischen wahl⸗ berechtigten Bürgern gestattet werden, einen oder nach dem ange— gebenen Verhältnisse auch mehrere Verordnete nebst Stellvertretern aus ihrer Mitte zu wählen, welche in der Stadtverordneten Ver— sammlung in allen, nicht das christliche Kirchen- und Schulwesen betreffenden Angelegenheiten Sitz und Stimme haben; dagegen scheiden alsdann die Juden bei den Wahlen der übrigen Stadtver— ordneten, deren Zahl sich nach Maßgabe der eintretenden jüdi— schen Verordneten vermindert, als Wähler und Wahl-Kandidaten aus.

Das Ergebniß einer solchen Vereinbarung unterliegt der Be⸗ stätigung der Regierung und ist in das stdfische Ortsstatut auf⸗ zunehmen. .

Bei der seitens der Juden stattfindenden Wahl von Ver— ordneten aus ihrer Mitte sinden die Vorschriften und Bedingungen Anwendung, welche für die Stadtverordneten-Wahlen überhaupt an dem betreffenden Orte maßgebend sind. .

Gutachten der Abtheilung.

Wenngleich es den städtischen Behörden und Vorständen der Juden nur anheim gegeben und in deren freien Willen gestellt ist, Vereinbarungen zu kreffen, nach welchen die Juden in Beziehung auf die Verwaltung der städtischen Angelegenheiten ihren christlichen Mitbürgern gegenüber eine besondere Corporation bilden würden, so ist doch auch dem Gedanken an die Möglichkeit der Hinwirkung Königlicher Behörden auf die Bildung solcher Corporationen nicht aller Raum abgeschnitten. Wenn nun schon oben in der Einleitung und bei §z. 1. zur Sprache gekommen, daß Vereinbarungen, wie sie der in Rede stehende Paragraph statuirt, zu offenbaren Rechts—⸗ kränkungen der einzelnen Juden führen und dem öffentlichen Inter— esse entgegen sein würden, so mußte sich die Abtheilung hier noch besonders vergegenwärtigen, daß in dem Falle solcher Vereinba⸗ rungen in der Bürgerschaft eine Judenschaft bestehen, in der Stadt⸗ verordneten-Versammlung nicht blos Reprätentanten der Bürger⸗ schaft, sondern auch Repräsentanten der Judenschaft sitzen und die Städte-Ordnung in ihren wesentlichsten Bestimmungen aufgehoben sein wirde. Dlese Betrachtung sührte zu dem einstimmigen Be— schlusse:

daß der 8. 15 ganz und gar zu streichen sei.

Die Disposition dieses §. ist zwar nur als eine fakultative hin— gestellt, indessen kann dieselbe durch Interpretation auch bald einen verpflichtenden Charakter annehmen. Was das Gouvernement hier als zulässig ausgesprochen, hat dasselte auch für zweckmäßig erachtet, und was von ihm als zweckmäßig erachtet ist, darauf könnten die Unterbehörden sich lange verpflichtet fühlen hin zu wirken. Immer— hin mag bei dem Entwurf dieses 8. die beste Absicht obgewaltet ha⸗ ben, sowohl in Bezug auf die Juden, als auch in Beziehung auf das allgemeine Staatswohl. Aber das Mittel, welches zu deren Er— reichung gewählt worden, ist solchem Zwecke nicht entsprechend, denn es führt zu einer Separation der Juden von den Christen, über welche oft geklagt worden und gewöhnlich den Juden Schuld gegeben ist. Im Laufe unserer Debatte sind wir zu der Ueberzeugung gekommen, daß ein Theil dieser Schuld uns selbst trifft und den bisherigen Stand unserer Verfassung und Gesetzgebung. Sind wir zu diesem Schlusse bisher nur indirekt gekommen, so sinden wir in dem vorliegenden Gesetz⸗ Paragraphen die so oft beklagte Separation direkt ausgesprochen und sanctiönirt. Abgesehen hiervon ist noch ein Umstand ins Auge zu fassen. Nach der bisherigen Verfassung der Städte hatten die Ju— den, und zwar von allen in dem preußischen Staate lebenden mehr als die Hälfte derselben, das Recht, einzeln für ihre individuelle Per⸗ son an der städtischen Verwaltung Theil zu nehmen. Dieses ihr in—⸗ dividuelles Recht, an der Verwaltung der städtischen und ihrer eige— nen Angelegenheiten theilzunehmen, soll ihnen künftig durch einsei⸗ tigen Beschluß ihrer Vorstände und Repräsentanten, durch deren Ver⸗ einbarung mit dem Magistrat entzogen werden können. Dies wider⸗ streitet dem Rechtsprinzipe, und die eben gemachten Bemerkungen werden hinreichen, um die hohe Versammlung für die Annahme des Vorschlages zu stimmen, der von der Abtheilung gemacht wor⸗ den ist.

Abgeordn. Merkens: Der gestern von der Ministerbank ge⸗ hörten trefflichen Rede wird ohne Zweifel verdankt, daß die S§. 2 bis 14 des vorliegenden Gesetzes mit so großer Majorität von uns angenommen worden sind. Wir haben dadurch unser Bestes gethan, um mit echt christlicher Liebe dem Judenthum in kirchlicher Hinsicht Form und Gestalt zu geben und auf diese Weise die Verheißung der heiligen Schrift zu erfüllen, die uns die Unzerstörbarkeit dieses Vol⸗ kes Gottes verkündet hat. Vom Standpunkte des christlichen Staats aus betrachtet, mag dies recht fromm, aber mehr noch inkonsequent sein. Denn wenn beim §. 15 diesem allzu gutmüthigen Wirken nun auch eine politische Richtung gegeben werden wollte, so würde der politische Staat im Gegentheil so unchristlich staatsklug sein und dem christlichen Staat gegen seinen Willen den guten Dienst erweisen, das Judenthum als sosches nicht kirchlich zu organisiren, an der Repara tur seines hinfälligen Tempels nicht mitzuarbeiten, sondern an demselben den Zahn der Zeit ungestört fortnagen zu lassen. Der politische Staat würde ferner die große Beifälligkeit seitens der Judenschaft, welche der Herr Ober-Präsident von Potsdam uns so gerühmt hat, bedenk lich und für eine Aufforderung gehalten haben, schärfer über die Kon— sequenzen nachzudenken.

(Stimmen: Nicht abgelesen.)

Der politische Staat würde vielmehr alsbald erkannt haben, daß auf diesem Wege die unerwünschte Absonderung und isolirte Nationa⸗ lität der Juden immer mehr gefördert werde und neue Nahrung er⸗ lange; ja, daß auf diesem Wege das Christenthum die Amme werde, an der das neue Judenthum sich nähre und so zu erneutem Leben groß gezogen werde. Der politische Staat würde die Juden als selche ignoriren und ihnen eben als bezahlende Mitglieder des Staats alle politischen Rechte ungekränkt einräumen. Ich muß daher gegen den 15ten Paragraphen stimmen, weil er auf diesem Wege fortfährt, das politisch zu thun, was kirchlich schon gethan ist: absondern.

Reg. ⸗FKommissar Brüggemann: Es ist mir zwar nicht völlig gelungen, die Ansicht des geehrten Redners, der so eben die Tribüne verlasfen hat, aufzufassen; wenn ich mich jedoch nicht irre, so hat er eine Inkonsequenz darin sinden wollen, daß der christliche Staat die

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religiösen Verhältnisse der Juden ordne ĩ ̃ . rer äußeren Verhältnisse or zugleich Ehn , . desiste lung h ; r glichkeit gewähre, scch weiter zu entwickeln, während nach dem Ausspruche des Stifters des Christenthums dieses Volk in seiner Zerstreunng dem Jahne der überlassen werden solle. Eine solche Ansicht würde aber fowohl dem Rechtsbegriffe des Staates, als dem von mir gestern entwickelten christlichen Prinzip widersprechen. Das Rechts Prfuzsp gewährt auch anderer als christlicher religiöser Ueberzeugung Schutz . es die

ö 2 21017 h / Gewissensfreiheit sicherstellt, das christliche Prinziv verlangt Duldung. Der christliche Staat glaubt nicht durch Verletzung des Rechts und der Liebe der Vorsehung in der Ausführung ihrer Beschlüsse zu Hülfe kommen zu müssen; wenn er seine Pflicht erfüllt hat, überläßt er je= ner höheren Hand, welche über den Schicksalen der Menschen waltet, in welcher Weise sie ihre Rathschlüsse zur endlichen Erfüllung brin⸗ en will.

] (Von einigen Seiten Bravoruf.)

Abgeordn. von Auerswald: Ich erlaube mir, den Gründen, welche bereits gegen die Beibehaltung des 8. 2 entwickelt sind und welche in der Hauptsache mir dieselben scheinen, welche jetzt auf 5. 15 Anwendung finden müssen, wenige Worte hinzuzufügen. Der s. 15 enthält melner Ueberzeugung nach ein gefährliches Geschenk für die Juden, eine Bestimmung, welche einen kleinen Staat im Staate, mindestens eine kleine Stadt in der Stadt bildet und, wie schon von der Abtheilung richtig bemerkt ist, der Städteordnung widerspricht, aber auch den Juden theilweise die Staatshürgerrechte nimmt, die sie bereits haben, theilweise die beschränkt, aus die sie Anspruch machen dürfen. Ich glaube, daß dieses Geschenk nur nachtheilig für sie sein kann und daß sie wohl ein Recht hätten, auszurufen; Timeo Da- naos et dGua ferehtes! Vom Gesichtspunkte des Staats betrach⸗ tet, kann ich aber auch für diese Bestimmung keine anderen Gründe erkennen als diesenigen, welche hier bereits angeführt sind, die ich aber allerdings nicht theilen kann, daß nämlich die Vereinigung der Juden und Christen in bürgerlicher und politischer Beziehung für die Ehristen nur nachtheilig, ja gefährlich sei. Ich muß bekennen, daß mir vom Standpunkte gerade derjenigen, welche eben das Prinzip des Ehristenthums verfechten, diese Ansicht vollkommen n, lich ist, vom Standpunkt derjenigen, welche in der Erkenntni des Christenthums die alleinige Erkenntniß der Wahrheit finden. . gehöre zu denselben, ich gehöre ferner zu denen, die einen sehr we⸗ sentlichen Unterschied zwischen dem Sitktengesetz der Juden und dem der Christen finden, und schließe mich in dieser Beziehung gern den Worten des Redners aus Sachsen an, welcher sagte; Wenn dies die Ueberzeugung des großen Haufens ist, so gehöre ich gern zu dem großen Haufen; ich bin aber weit entfernt, ihm beizustimmen, wenn er eine solche UÜeberzeugung möglicherweise für ein Vorurtheil hält. Ich bin don der Richtigkeit dieser Ueberzeugung durchdrungen, ferner davon, daß die Wahrheit jederzeit siegen wird und muß; ich kann mir aber den Kleinmuth derer nicht erklären, welche sich Christen nennen und doch besorgen, daß der Einfluß von 2006, 000 Juden auf die sittliche Tendenz der Gesetzgebung eines Staates von 16 Mil⸗ lionen Christen bedenklich werden könne. Ich lebe der entgegengesetz⸗ ten Ueberzeugung, ich glaube felsenfest, daß, wenn auch das Verhält⸗ niß umgekehrt wäre und unter 16 Millionen Juden 2060, 000 Christen wohnten, dennoch so sicher, wie die Sonne, der Tag heranbrechen würde, wo das mosaische Gesetz dem sittlichen Prinzip des Christen⸗ thums weichen müßte. Daß ich von solchem Standpunkte aus eine jede Beschränkung der Juden, ja jede Gestattung einer Absonderung, die sich über die Vorhalle des Tempels hinaus erstreckt, unnöthig halte, wird klar sein. Ich muß sie aber auch zurückweisen und mich jeder Entscheidung widersetzen, welche der Grundregel alles Staats lebens und alles Gesellschaftslebens „gleiche Pflichten, gleiche Rechte,“ wi⸗ derspricht, einer Entscheidung, welche sich auf Besorgnisse gründet, die dem Prinzip des Christenthums nicht entsprechen, für die Christen meiner Ueberzeugung nach nicht geziemend sind. Es liegt mir fern, mich in den mysteriöfen Streit lber den Begriff des christlichen Staats zu mischen, aber die Bemerkung muß ich mir erlauben, daß ein Staat don 16 Millionen Menschen, der sich im Prinzip und der Tendenz sei= ner Gesetzgebung durch 200, 90090 Juden gefährdet glaubt, in dieser Beziehung nicht fester stände, als die Saaten der Inkas von Peru und Meniko den gebrechlichen Caravelen eines Pizarro und Cortez gegenüber. Ich glaube nicht, daß unser Staat also auf thönernen Füßen steht; ich glaube mich daher gegen eine jede Maßregel erklä⸗ ren zu müssen, welche aus einer so wahrhaft unchristlichen Besorgniß fließt, und schließe ich mich enschieden dem Abtheilungs⸗-Gutachten an.

Abgeordn. Krüger: Weil ich der vollständigen Emancipation der Juden hold bin, kann ich nicht zugeben, daß wieder eine Abson⸗ derung eintrete; ich kann es in Betreff des 8. 15 um so weniger, als verschiedene Gründe dagegen sprechen, und stimme daher voll- kommen mit dem Antrage der Abtheilung überein. Erstens, weil schon 8. 3 der Städte- Ordnung ausdrücklich festsetzt, daß bei Stadt⸗ Yerordüeten-Wahlen alle Stimmfähigen lediglich als Mitglieder der Stadtgemeinde, ohne Beziehung auf Corporation und Selte, theil⸗ zunehmen haben; zweitens weil schon nach §. S1 auch jeder Jude stimmfähig sein kann, und weil man nicht wollen kann, daß den Juden größere Rechte bei den Stadtverordneten-Wahlen eingeräumt werden sollen, als den Christen. Das würde aber unbedingt geschehen, wollte man den Juden gestatten, als Sekte Stadtverordnete zu wählen, und es würde dann dahin kommen, daß auch die christlichen Religions Parteien das Anverlangen stellen würden, konfessionelle Vertreter in die Stadtverordneten-Versammlung zu schicken. Das darf aber nicht stattfinden und darf es um so weniger, da den Juden die Vertretung in den Stadtverordneten ⸗Versammlungen schon speziell eingeräumt ist, indem jetzt schon fast in allen größeren Städten Juden zu Stadtverordneten gewählt werden. Derselbe Fall wird aber, wenn ihre. Zahl diejenige Höhe erreicht, welche §. 15 der gegenwärtigen Verordnung voraussetzt, um so mehr eintreten, und sie werden voll⸗ ständig in den Stadtverordneten-Versammlungen vertreten sein. Weil nun §. 15 eine Aenderung der bestehenden Paragraphen der Städte Srdnung voraussetzt und verlangt, muß ich jedenfalls gegen denselben stimmen und ihn verwerfen. ö .

Abgeordn. Som merbrodt (vom Platze): Obgleich ich mich für die Emancipation der Juden erkläre, da ich in ihr nur einen Akt der Gerechtigkeit erblicke, den wir denjenigen schuldig sind, die mit uns gleiche Pflichten und Lasten tragen, se lann ich mich doch nicht mit dem vorliegenden Paragraphen riiderstanden. Ille, 26 dem derselbe den Juden mehr Rechte einräumt, wie wir Christen be⸗ sitzen, ja selbst in die Prinzipien der Städte Ordnung eingreift. Die Gründe dafür sind von dem verehrten Redner vor 3 bereits ausführlich entwickell, dieselben leiten auch mich, für den Wegfall des

aragraphen zu stimmen. ö ; Pe ö , Schon bei Gelegenheit der Besprechung

des Gesetz Entwurfes im Allgemeinen habe ich mich gegen das Ab⸗ . ausgelassen, das in diesem 8. 15 hauptsächlich hervortrikt. Es ist mir unerklärlich, wie man in unserer Zeit auf solche Prinzipien geräth, während unsere Gesetzgebung es sich schon längst zur Aufgabe gemacht hat, alle Verschiedenheiten zu . und zu verschmelzen, die zwischen Juden und Christen in bürgerlicher

Beziehung bestehen. Lauter!) Mir ist nicht bekannt, daß daraus schon ein Nachtheil hervor-