1848 / 51 p. 4 (Allgemeine Preußische Zeitung) scan diff

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daß Erpressungen durch die vorgeschlagene Bestimmung möglich, so 2 5 ir nur als nn ere. 3 462 n vor 6 nie aber es rechtfertigen, einer aus allgemeinen und inneren Gründen zweckmäßigen Maßregel die Anerkennung zu versagen.

Die Abtheilung beschloß daher mit 9 gegen 4 Stimmen den Antrag:

—— Satz des §. 199 zu streichen, zu 66 und mit gleicher Stimmenmehrheit den Vorschlag zu machen:

daß die zwölfte der gestellten Fragen bejahend zu beantworten sei.“

Von mir ist in der Abtheilung der Antrag gestellt worden, den zweiten Satz des in Rede stehenden Paragraphen zu streichen. Außer den in der Abtheilung angeführten Gründen erlaube ich mir noch hervorzuheben, daß es hier sich um ein wesentliches Prinzip handelt, namentlich darum, daß der Privatvertrag nicht nur auf die Klage selbst, sondern auch auf die Vollstreckung einer bereits anerkannten Strafe Einfluß hat, wo also der Staat durch seine richterlichen Or⸗ gane ausgesprochen hat, daß die Strafe vollstreckt werden müsse, soll ihm ein Privatübereinkommen geradezn die Macht nehmen, das zu vollstrecken, was das Urtheil festgestellt. Ich muß also diesen Antrag wiederholen und nochmals auf Streichung des Paragraphen antragen, obgleich ich nicht verhehlen kann, daß nach anderen Ab⸗ stimmungen, namentlich bei der Abstimmung über die Nothzucht, meinem Antrage wenig Erfolg zu versprechen ist, obgleich nicht außer Augen zu lassen, daß der hier adoptirte Grundsatz für das Recht des Staates noch viel verletzender ist, wie der bei der Noth zucht angenemmene. Die Gründe der Zweckmäßigkeit haben zwar zu viel⸗ fachen Bedenken Veranlassung gegeben, und es wird von Seiten des Gouvernements vielleicht noch Veraulassung genommen, noch Erläute— nungen über die verschiedenen, in Beziehung auf diesen Punkt einge⸗ forderten Gutachten, zu geben, wie sie schon in der Abtheilung gege⸗ ben worden sind, und von welchen selbst die einiger rheinischen Juristen leider gegen meine Ansicht ausgefallen sind.

Regierungs-Komnmssar Bischoff: Bei der Wichtigkeit der Sache bitte ich um Erlaubniß, mich etwas ausführlicher äußern zu dürfen. Das Prinzip, welches von dem Herrn Referenten vertheidigt wird, streitet allerdings gegen die Ausdehnung, welche hier dem pPrivat⸗ Antrage gegeben worden ist, allein es ist zu bemerken, daß dieses Prinzip schen in der bestehenden Gesetzgebung sich findet. In der Circular⸗-Verordnung von 1798 war bestimmt, daß, wenn in einfachen Injuriensachen die Parteien sich bis zur Abfassung des ersten Erkennt- nisses vergleichen, es bei diesem Vergleiche sein Bewenden haben solle. Diese Bestimmung des Gesetzes von 1798 ist demnächst in dem Anhange zu der Allgemeinen Gerichte-Ordnung noch weiter ent— wickelt, und danach stellt es sich so, daß in allen Injuriensachen, mögen sie im einfachen Civilprozesse oder in dem fiskalischen Unter— suchungsprozesse zur Kenntniß des Richters gekommen sein, immer die Verzichtleisiung auf Bestrafsung bis zur Publication des ersten Er kenntnisses zulässig sein soll. Allein es ereigneten sich viele Fälle, wo auch dieses Prinzip nicht auszureichen schien; namentlich ereignete es sich häufig, daß nach Publication des Erkenntnisses, und wenn die Strajvollstreckung beginnen sollte, der Beleidigte sich mit dem Belei— diger verglich, und nun ein Begnadigungsgesuch angebracht wurde. Das hatte den Erfolg, daß, wenn eine solche Verzichtleistung statt= gefunden hatte, in der Regel auch kein Bedenken entgegenstand, die Begnadigung eintreten zu lassen, und es entstand dadurch ein großer Zuwachs von Arbeit bei den Behörden, indem die Begnadigung immer speziell bei des Königs Majestät nachgesucht werden mußte. Aus Veranlassung dieses Uebelstandes erging die Kabinets⸗-Ordre von 1334, in welcher bestimmt wird, daß die Verzichtleistung solle statt= sinden dürfen bis zu dem Anfange der Strafvollstreckung. Diese Orbre, welche mit dem §. 199 übereinstimmt, war demnach bestehen⸗ des Recht, als man sich daran begab, ein neues Strafrecht abzu⸗ fassen. Es entstand nun in Würdigung der Prinzipien, welche gegen diese Vorschrift geltend gemacht wurden, die Frage, ob man dieselbe auch in dem neuen Strafrecht beibehalten solle, und es wurden mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Sache die Gutachten der Gerichts⸗ behörden in allen Theilen der Monarchie erfordert. Dies hat das Resultat gegeben, daß man sich dafür entschied, bie Bestimmung bei⸗ zubehalten. Ganz entschieben für die Beibehaltung haben sich aus⸗ gesprochen die Obergerichte in den alten Provinzen, in den Landes⸗ theilen, wo das Allgemeine Landrecht Gesetzeskraft hat. Von diesen haben sich dafür ausgesprochen das Kammergericht, die Oberlandes⸗ gerichte zu Königsberg, Marienwerder, Köslin, Stettin, Bromberg, Posen, Breslau, Ratibor, Glogau, Frankfurt, Naumburg, Paderborn, Dalberstast, Münster und Arnsberg; abweichender Meinung sind nur drei QOberlandesgerichte gewesen, nämlich die zu Hamm, Insterburg und Magdeburg; indeß haben sich diese drei letzteren nicht insge⸗ sammt gegen die Bestimmung als solche ausgesprochen, sondern eines derselben ist der Meinung, daß man die Zurücknahme des Straf— antrages se bst noch während der Strasvollstreckung zulassen solle; es ist also noch weiter gegangen, als die Kabinets⸗Ordre von 1834 und jeßt der §. 199. geht. Anders hat sich die Sache bei den rheinischen Gerichtsbehörden gestellt, und hier muß anerkannt werden, daß bei den Letzteren im Allgemeinen der Grundsatz vorherrschend gewesen tst, daß man die Zurücknahme in einem so weit vorgeschrittenen Zeitpunkte der Untersuchung nicht mehr gestatten solle. Der Erste Präsident des Appellationshofes zu Köln und der General Prokurator haben sich grundsätzlich dagegen erklärt, daß die Zurücknahme des Strafantrages überhaupt noch stattsinden dürfe, nachdem die' gericht⸗ liche Untersuchung eingeleitet sei, in gleicher Art' haben sich auch die Landgerichte zu Koblenz und Köln und die Ober-Proluratoren zu Köln, Kleze und Elberfeld darüber geäußert. Die übrigen rhei⸗ nischen Justizbehörden Zehen in ihren Anträgen auseinander; einige sagen, man solle die Zurücknahme zulassen bis zur Publication des ersten Erkenntnisses, andere bis zur Strafvollstreckung. Mit Rück⸗ sicht auf die große Majorität der Gerichtsbehörden, welche sich für die Konservirung des Prinzips ausgesprochen haben, ist demnächst in 5. 199 dasselbe mit Rücksicht auf die praktischen Erfolge ie, halten eu, . 3

Justiz⸗Minister von Savigny: Zu den praktischen Grü welche der Herr K hier . erlaube ich mir noch einen prinzipiellen zur Unterstützung des Inhaltes des Entwurfes anzuführen. Die Abtheilung hat in ihrer Mehrheit zur Unterstüͤtzung des Paragraphen des Entwurses anerkannt, daß hier der Privaterlaß zuzulassen sei, aus den Gründen, wie sie Seite 78. ausgesprochen sind, nämlich weil eine Ehrenkränfung mehr wie jede andere Verletzung die Person ausschließlich berühre. Ich halte dieses Argument für gönz richtig, muß aber doch zur Unterstützung desselben noch ein anderes davon veischiedenes hinzufügen. Nach der allgemeinen Erfahrung ist es ein sehr gewöhnlicher Fall, daß die Injucien aus Uebereilung hervorgehen, und . alsdann bei genauer Ueberlegung dahin kommt, daß bie Beleidigung auf eine für beide Theile voll⸗ kommen ehrenhafte Weise vollständig ausgeglichen wird. Wo dies geschieht, wo also von beiden Seiten die Ausgleichung anerkannt, also die Verletzung der Ehre vollkommen ausgetilgt wird, und zwar auf eine für beide Theile ehrenvolle Weise, da ist die Gesinnung, woraus dieses hervorgeht, so wie der Erfolg, im höchsten Grade anzuerkennen und zu begänstigen, und dieser Umstand rechtfertigt nicht nur den Paragraphen überhaupt, sondern auch die Ausdehnung, welche

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diesem Nechte der Verzeihung gegeben wird. Weil also dieses Recht eben die höchste Begünstigung verdient, soll man es möglichst sort= setzen bis zum nf der Strafvollstreckung. Zu dieser weiteren Ausdehnung kommt aber noch ein besonderer Grund, welcher sich vor= züglich auf die wichtigste und gesährlichste Art der Injurien bezieht, nämlich die Verleumdung. Durch die Verleumdung kann ein Zweifel an der Ehrenhastigkeit des Verleumdeten im Publikum entstehen, weshalb er es seiner Ehre schuldig zu sein glaubt, die Sache gericht⸗ lich zu verfolgen so weit als möglich. Geseßtzt nun, es ist ein Straf⸗ Urtheil gegen den Verleumder ergangen, und rechtekräftig geworden, so steht dadurch stst, daß das dem Kläger Vorgeworfene wirklich Ver⸗ leumdung sei, und dadurch ist seine Ehre von dem Richter rechts⸗ kräftig anerkannt. Wenn er nun verzeiht, so ist damit für ihn der Zweck vollkommen erreicht, den er sichern wollte, ein früßerer Zeit- punkt der Verzeihung war dazu nicht ausreichend. So ist es also in allen Beziehungen räthlich, nicht blos das Recht der Verzeihung zu gestatten, sondern auch diesem Rath die höchst mögliche Ausdehnung in der Zeit der Anwendung zu geben.

Abgeordn. Camphausen: Allerdings ist, wie der Herr Refe⸗ rent bemerfte, nicht vorauszusetzen, daß in dem Sinne, den er befür— wortet, und den ich befürworte, ein Beschluß von der Versammlung über diesen Paragraphen gefaßt wird. Allein nicht minder ist hier zum ersten Male ein neuer Grundsatz eingeführt, der von dem Herrn Referenten und von den beiden Mitgliedern der Regierung so eben besprochen worden ist, und den ich noch einer kurzen Erörterung zu unterwersen wünsche, auch deshalb, weil er in einem engen Zusam⸗ menhange mit dem Strasprozesse steht, worüber in manchen Punkten eine Entscheidung noch nicht getroffen ist. Den Weg zu den Resul— taten, zu denen ich gelange, möchte ich Ihnen in ganz kurzen Worten andeuten. Das Strafrecht hat die Aufgabe, diejenigen Handlungen, welche die gesellschaftliche Ordnung verletzen, mit Strafe zu bedrohen und die bürgerliche Gesellschaft zu schützen. Der Staat hat die Strafe auszusprechen und zu vollstrecken, sowohl hinsichtlich derjenigen Handlungen, welche die bürgerliche Gesellschaft dem Staate im Ganzen, als auch hinsichtlich derjenigen Handlungen, welche den Ein⸗ zelnen in seinem Vermögen, in seiner Freiheit, in seinem Leben ver⸗ letzen. Wird in dem Einzelnen die bürgerliche Gesellschaft ange⸗ griffen, so hat der Staat die Pflicht, den Thäter zu bestrafen, und der Einzelne das Recht, darauf anzutragen, daß die Strafe erfolge; er hat außerdem das Recht, von dem Thäter den Ersatz des Scha⸗ dens zu fordern, der ihm verursacht sein kann. Ueber das eine hat der Staat allein zu entscheiden, über das andere hat der Verletzte allein zu entscheiden. Hierauf beruht der Unterschied zwischen der öffentlichen Klage und der Civil-Klage. Es kann Jemand von einem Bekannten in der Aufregung, im Jähzorn eine lebensgefährliche Ver= wundung empfangen; er kann vielleicht auf das Dringendste wünschen, ihm zu verzeihen; die bürgerliche Gesellschaft sagt ihm aber: das ist nicht Deine Sache, Du hast darüber nicht zu entscheiden, darüber habe ich zu entscheiden, der Thäter hat mich in Deiner Person an⸗ gegriffen. Es kann ein bedeutender Diebstahl von Jemandem began— gen sein, der der Verzweiflung nahe war, und der Bestohlene kann den innigsten Wunsch haben, diesem Manne das Urtheil zu ersparen, ihn der Bestrafung zu entziehen, den Wunsch, ihn von jeder Klage zu be—⸗ freien; die bürgerliche Gesellschaft sagt ihm: das ist nicht Deine Sache, das ist meine Sache, es ist gestohlen worden, der Diebstahl wird bestraft. Diese strenge Unterscheidung kann nun in unserem Entwurfe nicht mehr durchgeführt werden, nach den Beschlüssen, die wir bereits ge⸗ faßt haben, aber nichtedestoweniger kann doch dahingestrebt werden, die Fälle, wo es dem Staate nach dem Entwurfe verboten ist, ein Verbrechen, welches die bürgerliche Gesellschaft angreift, zu bestrafen, auf das Möglichste zu beschränken, und deshalb ist auch hier eine Erörterung noch an der Zeit. Daß darin ein Uebel liegt, wenn Verbrechen in der Gesellschaft begangen werden, und die Gesellschaft nicht das Recht hat, sie zu bestrafen, das ist von Allen anerkannt. Für mich nun gehören auch die Injurien, die Ehrverletzungen, ent⸗ weder zu solchen Vergehen, die den Charakter der Strafbarkeit an sich tragen iönnen, die im Interesse der gesellschaftlichen Ordnung zu ahnden sind dann soll der Staat einschreiten können, und nicht auf das Recht verzichten müssen, sie zu bestrafen oder man muß annehmen, daß sie nur eine Privatperson verletzen, ohne daß in dieser Privatperson die bürgerliche Gesellschaft sich selbst angegriffen sieht, daun würde der Verletzte lediglich auf den Weg der Civilklage zu verweisen sein.

Wenn nun auch die Versaumlung dem nicht beistimmen möchte, so muß ich doch darauf aufmerksam machen, wohin der entgegenge⸗ setzte Grundsatz und dessen weitere Entwickelung dahin, daß dem Kläger bis zur Strafvollstreckung die Zurücknahme des Antrages frei⸗ stehe, führen wird. Dieser Paragraph schützt das Recht des angeb— lich Beleidigten in äußerster Weise. Ich sage, des angeblich Belei⸗ digten, denn es ist wohl zu unterscheiden zwischen demjenigen, der bereits verurtheilt und als Verbrecher anerkannt, und zwischen dem⸗ jenigen, der erst angeklagt ist. Ich muß den Angeklagten, wenn nicht vorläufig als unschuldig, doch nur als verdächtig annehmen. Indem der Entwurf, wie es mir vorkommt, einem unbestimmten, für das Strafrecht verwirrenden Gefühle der Liebe und Milde huldigt, ver⸗ letzt er auf der anderen Seite das Recht des Beschuldigten auf eine harte Weise. Er giebt dem Kläger das Recht, zu jeder Zeit von der Verfolgung der Sache abzustehen, und giebt dem Angeklagten nicht das Recht, zu verlangen, daß nicht davon abgestanden werde. Es kann aber oft vorkommen, daß der Beschuldigte dringend wünschen muß, daß die Sache bis zu Ende geführt und ein Urtheil gesprochen werde. Der Kläger kann den Prozeß in dem Llugenblicke abbrechen, wo er, überzeugt, mit seiner Klage nicht durchzudringen, den Be— schuldigten in Nachtheil versetzt, wenn der Prozeß abgebrochen wird. Es kann der Beschuldigte in den Ruf gerathen, daß er sich von der Klage losgekauft habe. Nehmen Sie den bekannten Fall jenes ersten Ministers von England, gegen den von einer Privatperson wegen einer Verletzung Klage erhoben wurde, in welcher er Sieger blieb, so daß der Kläger abgewiesen wurde. Der Prozeß machte nicht nur in England, sondern in ganz Europa. großes Aufsehen. Den⸗ ken Sie sich, daß dem Kläger gestattet gewesen wäre, im Laufe des Prozesses, während eben der schlimmste Zeuge gegen den Minister vernommen worden wäre, von der Klage zurückzutreten, und daß es dem Beschuldigten nicht gestattet gewesen wäre, ein Ur⸗ theil zu begehren. Wenn vielleicht beinerkt wird, daß das Beispiel, welches ich angeführt habe, nicht eine Jujurie war, so paßt es doch eben so auf Injurien. Entgegnet man mir, daß es dem Beschuldig= ten freistehe, fpäter eine Klage auf Verleumdung zu erheben, so würde dies ihm wahrscheinlich nicht mehr erforderlich scheinen, wenn ein ihn freisprechendes Urtheil erfolgt wäre, wenn dieses Urtheil mit den Er⸗ wägungsgründen vorläge. Jedenfalls aber, wenn er die Klage auf Verleumdung erforderlich erachtet, würde das Urtheil ihm solche un⸗— . erleichtern. Ich erkenne in dem Paragraphen für den Be⸗

chuldigten eine Härte, die sich häusig im Entwurfe wiedersindet, und die daraus entspringt, daß man sich immer nur den Verbrecher und das Verbrechen, aber nicht den Angeklagten vor Augen hält, der sehr hn nicht schuldig sein kann. Alle diese Schwierigkeiten löst ohne usnahme der rheinische Prozeß. Er läßt dem Angegriffenen die Wahl, ob er die öffentliche Klage anstellen oder auf dem Eivil⸗Wege

klagen und eine Entschädigung beanspruchen will. he letzteren Falle

wird es ihm allerdings freistehen, auf die Verfolgung der Klage zu verzichten, jedoch nur insofern der . . im er 2 Falle aber wird niemals der Grundsatz zugelassen, daß seine Verzicht⸗ leistung die öffentliche Klage hemme. gi muß ihren Lauf behalten und wird vom Staatsanwalt entweder verfolgt oder nicht, nach sei⸗ nem Ermessen. Wird der Weg der öffentlichen Klage eingeschlagen, so steht es dem Privat⸗Verletzten noch frei, auf den Weg der Civil⸗ Klage zurückzukehren, insofern nicht bereits der Einwand erhoben worden ist, daß die Klage überhaupt nicht statthabe. Hat er auf dem Civil⸗Wege geklagt, so kann er 3. nicht auf die öffentliche Klage übergehen. Dann kaun auch die Civilklage wegen Schadenersatzes unabhängig von der kriminellen oder correctionellen angestellt und entschieden werden; denn es muß der Civilrichter über den Antrag auf Schadenersatz erkennen, wenn keine öffentliche Klage anhängig gemacht ist. Auf diesemn Wege können zugleich alle Zwecke erreicht werden, welche §. 199 zu erreichen sich vorgesetzt hat. Es kann der⸗ jenige, der seine Ehre durch ein Urtheil gereinigt wissen will, durch die Civilklage dazu gelangen; es kann derjenige, welcher bekunden will, daß er nicht wegen der Bestrafung so gehandelt habe, daß er verzeihen wolle, wenn sein Recht anerkannt werde, auf die Entschä—⸗ digung verzichten, und im Urtheile seine Genugthuung finden. Es wird aber das nothwendige und bedeutende Prinzip gerettet, daß nach Anstellung der öffentlichen Klage es einer Privatperson nicht mehr freistehen kann, ihren Fortgang zu untersagen. Sie sehen, daß ein wesentlicher Zusammenhang mit der Prozeß⸗-Ordnung bei diesem Pa⸗ ragraphen stattfindet, und daß Sie nicht einmal die Frage, ob auch bei der öffentlichen Klage es gestattet sein soll, bis zur Strafvollstrel= kung den Antrag zurückzunehmen, definitiv beseitigen würden, wenn Sie auf den Antrag eingehen, den zweiten Absatz zu streichen, wäh— rend, wenn gegenwärtig der Paragraph, so wie er steht, angenont= men wird, diese wichtige Frage nicht nür präjudizirt, sondern entschie⸗ den wäre. Ich trage darauf an, daß die Versammlung beantrage, den zweiten Theil des §. 199 zu streichen mit dem Vorbehalt, auf das Prinzip zür Zeit der Berathung der Kriminal Prozeßordnung zurückzukommen. .

Justiz-Minister Uhden: Das Hauptbedenken des geehrten Ab⸗ geordneten gegen diesen Paragraphen besteht darin, daß möglicher⸗ weise das Recht des Angeklagten könne verletzt werden. Wenn wirk— lich ein solcher Fall eintreten sollte, so könnte dem leicht durch einen Zusatz vorgebeugt werden, nämlich dahin, daß dem Beklagten ein Recht des Widerspruchs eingeräumt würde.

Abgeordn. Camphausen: Dagegen möchte ich erinnern, daß dieses mein Hauptbedenken nicht war. Mein Hauptbedenken liegt in dem Grundsatze, und ich erlaube mir, darauf aufmerksam zu machen, daß der im Gesetz⸗ Entwurf angenommene zur Ungerechtigkeit gegen den Angeschuldigten verführt. Das erhellt auch aus §. 208, in wel⸗ chem nicht gesagt ist, daß auch der Beschuldigte die Publication des ihn freisprechenden Urtheils fordern dürfe. ;

Justiz-Ministtr Ühden: Was den Grundsatz der Verzeihung anbetrifft, so hat die Versammlung bereits angenommen, daß das Recht der Verzeihung zulässig sein solle.

Abgeordn. Dittrich: Im Widerspruch gegen den geehrten Red⸗ ner aus der Rhein-Provinz und zur Widerlegung der von ihm ange⸗ führten Gründe führe ich für den Paragraphen Einiges an, und zwar 1) in Bezug auf den Grund: daß die bürgerliche Gesellschaft anger griffen, daß es im Interesse der öffentlichen Ordnung nothwendig sei, die Strafe zu vollstrecken, erwiedere ich, daß da, wo auf Antrag des Beleidigten die Untersnchung geführt wird, es nur darauf ankommen kann, welches Interesse das vorwiegende ist, ob ein öffentliches oder ein Privat⸗Interesse. In der Ehrenkränkung scheint mir dabei nicht ein Angriff gegen die bürgerliche Gesellschaft zu liegen und vielmehr das Interesse des Beleidigten zu überwiegen. In Bezug auf den zweiten Grund, nämlich den, daß das Recht des Angeklagten verletzt werden könne, habe ich außer demjenigen, was von dem Herrn Justiz— Minister gesagt worden ist, noch anzuführen, daß ich nach meinen Er—⸗ fahrungen das Recht des Angeklagten nicht verletzt finde, wenn der Kläger seine Klage zurücknimmt, denn je später, desto mehr Kosten übernimmt er. In der allgemeinen Meinung herrscht dann die Ueber⸗ zeugung vor, daß er nicht recht geklagt habe, daß der Kläger Unrecht habe. Wenn ferner angeführt worden ist, daß nach rheinischem Recht entweder die öffentliche Klage oder der Civilweg freistehen müsse, so bezeichne ich den §. 6, nach welchem Schadensersatz neben dem Anspruch auf Bestrafung freisteht. Zur Sache führe ich weiter an, daß der von der Abtheilung angeführte Grund, der nämlich, daß der Kläger nur sein Recht zuerkannt wissen will und sich dann versöhnt, der prak— tisch wichtigste ist, wie solches die Erfahrung sehr bestätigt. Man sagt gegen die vorliegende Bestimmung, das richterliche Urtheil werde durch dieselbe herabgewürdigt; ich bestreite das. Das Urtheil ist noch nicht rechtskräftig, so lange die Vollstreckung nicht verfügt wird. Die Rechtskraft wird also von der Zurücknahme des Strafantrags nur be= dingt. Ferner wendet man ein, das Ehrgefühl werde verletzt, weil oft Abfindungen durch Geld vorkämen. Ist dies der Fall, so wird die Ehre dessen, der sich durch Geld abfinden läßt, nicht so hoch zu stellen sein, daß die Milde, welche der Entwurf will, dadurch alterirt werden könnte. Ich stimme hiernach für den Paragraphen.

Marschall: Die Frage heißt: Soll auf Wegfall des letzten Satzes im §. 199 angetragen werden??

Abgeordn. Zimmermann: Zur Fragestellung. In welches Ver⸗ hältniß tritt die Erklärung des Herrn Justiz— Ministers zu dieser Frage? J. . Marschall: Es ist von keiner Seite der Erklärung des Herrn Justiz-Ministers, nach welcher es dem Angeklagten vorbehalten wer⸗ den soll, Widerspruch gegen die Zurücknahme der Klage einzulegen, widersprochen worden. Es ist also anzunehmen, daß die Versamm⸗ lung diese Erklärung sich aneignet,

(mehrere Stimmen: Ja! Jah und den Wunsch hegt, daß etwas dem Entsprechendes in den Parg⸗= graphen aufgenommen werde. Mit dieser Voraussetzung . zur Abstimmung über den Antrag der Abtheilung, den letzten ab des §. 199 wegfallen zu lassen, und diejenigen, welche die Frage be⸗ jahen, würden es durch Aufstehen zu erkennen ginn, ;

Abgeordn. Lucanus: Ich habe die Frage nicht richtig ver⸗ standen. ö

Marschall: Die Frage lautet und kann nicht anders lauten, als dahin: Ob die Versammlung, beantrage, den let Satz des §. 199 wegfallen zu lassen. Dit jenigen . Also, dit dem Antrage auf Wegfall des letzten Satzes von 8. 199 beistimmen, würden das durch Aufst ; ben. ;

Aufstehen zu ,,,, e en. i icht beigetreten. S. 290. . 26 i herb. Frhr. von Mylius (liest vor): „5. 200. ; hefrauen oder unter väterlicher Gewalt stehende Kinder e n, , so haben sowohl die Beleidigten, als deren Ehe⸗

männer oder Väter das Recht, auf Bestrafung des Beleidigers an⸗

mute s cen; Gutachten der Abtheilung lautet:

„Zu §. 200. hat die Abtheilung nichts zu erinnern gefunden, indem sie der Ansicht

war, daß eine Berathung desselben nur nach erfolgter Beschlußnahme über den §5. 70 stattfinden könne.“

Die Beschlußnahme bei §. 70 ist erfolgt, indessen ist sie von keiner Erheblichkeit für die hier vorliegenden Fälle. Es ist bei §. 76 nur bestimmt worden, daß das 16e Lebensjahr auf das 18te erhöht werde, in Folge dieses Beschlusses würde also keine Bemerkung hier zu machen sein.

Marschall: 5§. 201! .

Referent Abgeordn. Frhr. von, Mylius (liest vor):

201

528 * u .

Bei Ehrverletzungen gegen ganze Stände, Corporationen, Ge⸗ sellschaften oder Familien sst jedes einzelne Mitglied derselben zu dem Straf⸗Antrage berechtigt. .

Ehrverletzende Aeußerungen über einen Verstorbenen berechtigen den Ehegatten, die ehelichen Aeltern, Kinder, Groß⸗Aeltern, Enkel und Geschwister, so wie die Erben des Verstorbenen, und zwar jede einzelne dieser Personen, auf Bestrafung des Beleidigers anzutragen. In allen vorstehenden Fällen wird jedoch durch, die auf die Klage Eines Berechtigten erfolgte Bestrafung jede weitere gerichtliche Verfolgung des Beleidigers ausgeschlossen.“

Tas Gutachten lautet:

„Zu §. 201.

war der Antrag gestellt worden, daß die Worte: „ganze Stände“ zum Wegfall zu empfehlen, indem nicht ersichtlich, was unter „Stän— den“ zu verstehen. Stand, im engeren Sinne des Worts, seien durch gemeinschaftliche Rechte zu einer Genossenschaft verbundene Corpora= tionen, es werde das Wort Stand jedoch häufig in einem weiteren, von dem angegebenen Begriffe gänzlich abweichenden Sinne gebraucht, und gerade wegen dieser Unbestimmtheit sei es wünschenswerth, das Wort zu vermeiden.

Die Abtheilung war jedoch der Ansicht, daß es Sache des rich— terlichen Ermessens sei, in den einzelnen Fällen zu entscheiden, ob der im §. 201 für den „Stand“ gegebene Schutz mit Recht oder ohne Recht in Anspruch genommen werde, dieser richterlichen Prüfung sei vorweg nicht vorzugreifen, und sie hat mit einer durch die Stimme des Vorsitzenden entschiedenen Majorität von 7 gegen 7 Stimmen den Antrag: e

die Worte: „ganze Stände“ zum Wegfall in Vorschlag zu bringen, abgewiesen. ;

Der §. 201 enthält in seinem ersten Alinea die Bestimmung, daß ehrverletzende Aeußerungen über einen Verstorbenen dessen nächste in dem Paragraphen bezeichnete Verwandte zu dem Strafantrage gegen den Beleidiger berechtigen sollen. n,

Dies war die Veranlassung, daß die Abtheilung auf die früher bereits angeregte Frage zurückkam, ob, inwiefern und unter welchen Bedingungen die Beleidigungen gegen Mitglieder des Königlichen Hanses mit Strafen zu bedrohen seien. .

Für die Ansicht, daß hier von Injurien und demjenigen, was man unter der Beleidigung von Privatpersonen zu verstehen gewohnt sei, nicht die Rede sein könne, ward angeführt, daß die freieste Be—⸗ sprechung und Aburtheilung der Staats-Angelegenheiten, wie sie sich bis zur Gegenwart entwickelt, ohne ein Eingehen auf die Persönlich— keiten, welche an der Spitze dieser Angelegenheiten gestanden, nicht denkbar sei, daß aber dieser Aburtheilung, so wie jeder geschichtlichen Forschung, eine Bestimmung hemmend entgegentrete, welche auf eine dem Wesen der Sache nicht entsprechende Weise den Charakter der Privat-Injurie Urtheilen verleihe, welche in anderer Absicht, auch zu anderen Zwecken gefällt worden.

Andererseitslward hervorgehohen, daß durch Schmähungen Ver— storbener auch die Ehre der noch lebenden Mitglieder des Regenten⸗ hauses, wenn nicht verletzt, doch angegriffen werden könne, daß es Sache der richterlichen Beurtheilung sei, zu prüfen, ob es sich hier um geschichtliche und wissenschaftliche Forschungen oder um ein fre— ventliches Hintansetzen der dem Regentenhause gebührenden Ach⸗ tung handle, daß es sich von selbst verstehe, daß eine wissenschaftliche Begutachtung nicht straffällig sein könne, so lange sie sich auf dem Boden der Wissenschaft halte, daß aber, sobald sie diesen verlassen, die Würde des Regentenhauses vor Angriffen sichergestellt werden müsse, vor welchen das Gesetz ja selbst den Unterthan sichergestellt habe.

Nach Disfussion dieses und der bei den betreffenden Paragra— phen des Entwurfes bereits berührten Gesichtspunkte wurden bei der Abtheilung zu dem vorliegenden Paragraphen auf die desfalls ge stellten Anträge folgende Beschlüsse gefaßt, daß

1) und zwar mit 9 gegen 5 Stimmen, der Antrag: die Bestimmungen des §. 105 wörtlich aufzunehmen, abzulehnen; 2) mit 7 gegen 7 Stimmen, durch die entscheidende Stimme des Vorsitzenden, der Antrag: die Strafe des §. 105 hier aufzunehmen, zu befürworten; 3) mit 8 gegen 6 Stimmen, der Antrag: statt „Verleumdungen“, „Schmähungen“, die Worte: „ehr⸗ verletzende Aeußerungen“ zu substituiren, zu befürworten. Auch hinsichtlich der Form der Strafverfolgung ward durch meh— rere Erinnerungen Veranlassung zu Erörterungen gegeben, bei wel⸗ chen hauptsächlich, wie dies in früheren Fällen geschehen, die Bedeu⸗ tung des Anklage⸗Prozesses und das Wesen der offentlichen Anklage einerseits, das durch die Verletzung gekränkte Interesse des Einzelnen und bie gerade bei der Injurie nothwendige Voraussetzung der Pri— vatklage andererseits hervorgehoben ward. Der Abtheilung waren aus diesen Gesichtspunkten zwei Anträge vorgelegt: Der erste: ob der Richter von Amts wegen,

der zweite: ob er nur auf Antrag der Staats⸗Behörde einschreiten solle.

Sie beschloß, beide zu verneinen, und faßte diesen Beschluß hin⸗ sichtlich des ersten Antrages mit 10 gegen 4 Stimmen, hinsichtlich des anderen mit 9 gegen 5 Stimmen.“

Abgeordn. Graf von Schwerin: Ich wollte mir die Frage er⸗ lauben, in welcher Reihenfolge Durchlaucht diese Anträge zur Dis⸗ kussion und Abstimmung bringen werden; ich hatte mir das Wort erbeten nur in Bezug auf die Zte Frage.

Marschall: Es ist zu bemerken, daß in Bezug auf den Anfang und das Ende des Abtheilungs- Gutachtens zu diesem Paragraphen kein Antrag der Abtheilung vorliegt; wenn also auch von keinem Mitgliede der Versammlung ein Antrag gemacht wird, so würden wir darüber hinausgehen, denn es würde gar kein Gegenstand zu einer Fragestellung vorliegen und blos die Mitte des Gutachtens S. 80 übrig bleiben über die drei Fragen wegen Verletzung der Ehre ver⸗ storbener Mitglieder des Königlichen Hauses, und da wäre nun zu erwarten, welche Bemerkungen darüber zu machen sind.

Abgeordn. Graf von Schwerin: Ich möchte zunächst den Stand⸗ punkt auseinandersetzen, den ich bei dieser Frage eingenommen habe, ich bin nämlich der Meinung gewesen, daß §. 105 eben nicht unter die Majestãts Beleidigung gehöre, sondern daß es sich in demselben nur um mittelbare Injurien handle; ich bin aber eben so wenig der

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Meinung gewesen, daß, wie die Abtheilung gewollt hat, man nun etwas Anderes unter dem Begriffe subsumire, als was im §5. 105 subsumirt wird. Es folgt von selbst, daß, wenn statt „Schmähungen und Verleumdungen“ gesagt wird: ehrverletzende Aeußerungen, eine wesentliche Verschärfung des Begriffs des Verbrechens angedeutet wird; ich glaube also, daß durchaus keine Veranlassung vorhanden ist,

die vorgeschlageue Modification vorzunehmen. Dagegen fragt sich allerdings in Cen auf das Strafmaß, ob die Strafe des 5. 105 beizubehalten sei, und ich habe mich für die Beibehaltung eutschieden, weil ich keinen wesentlichen Grund für die Heruntersetzung gefunden habe. Aber allerdings ist die Frage noch von größerer Wichtigkeit, ob der Richter von Amts wegen einzuschreiten habe, oder ob man in. dieser Rücksicht Mitglieder des Königlichen Hauses den Privatperso— nen gleichstellen solle. Ich glaube nicht, daß man das kann, ich glaube, daß man den Vorzug Sr. Majestät dem Könige und dem Königlichen Hause einräumen muß in Bezug auf Schmähungen oder Verleumdungen verstorbener Mitglieder desselben, daß eine solche Schmähung oder Verleumdung nicht blos auf Antrag des mittelbar Beleidigten, sondern auf Antrag der Staats-Behörde bestraft werden müsse. Daraus folgt, daß, meiger Ansicht nach, 8. 105 des Ent— wurfs und der Begriff, der daselbst angegeben ist, hinzugefügt wer⸗ den, so wie die Bestimmung, daß die Bestrafung stattsinde nur auf Antrag der Regierungs-Behörde.

Abgeordn. von Saucken-Tarputschen: Ich wollte mir erlau⸗ ben, noch zurückzugehen auf den Vorschlag, der in der Abtheilung die Hälfte der Stimmen für und die Hälfte gegen sich gehabt hat und nur durch die Stimme des Vorsitzenden dagegen entschieden worden ist, nämlich die Worte „ganze Stände“ zu streichen. Ich weiß nicht, in welcher Beziehung wir hier den Begriff von ganzen Ständen auf— fassen sollen! Ich kann nicht glauben, daß hier von politischen Rör—= perschaften, von solchen Ständen die Rewe sein soll, die als Stand der Landgemeinden, Stand der Städte, Stand der Ritterschaft u. s. w. bezeichnet werden; es wird also der Begriff noch weiter ge— faßt, und in dieser Beziehung fragt es sich, ob hier nun alle Genos⸗ senschaften als besondere Stände, z. B. der Stand der Juristen, der Soldaten⸗, der Bürger- und Bauerstand und ähnliche Stände mehr gemeint seien? Ich glaube, daß der Begriff von Ständen auch, so gedacht, nicht für ein passendes Merkmal angenommen werden kann. Denn dann wäre es z. B. für jeden Juristen eine Beleidigung, wenn sich Jemand des bekannten Ausspruchs bediente: „Juristen sind schlechte Christen“; es könnte da Einer aus den entferntesten Theilen des Staates auftreten und sagen: Ich bin auch Jurist und daher per— sönlich mit beleidigt. Ich glaube, das würde wohl Niemand so an⸗ nehmen wollen. Eine Beleidigung der Person durch einen Angriff auf die Genossenschaft, hier als Stand bezeichnet, dürfte wohl nur in den Fällen zutreffen und eine Klage rechtfertigen, wenn die ehr⸗ verletzende Aeußernng sich auf eine ganz besonders bezeichnete Genos⸗ senschaft bezieht, wenn sie z. B. ausgesprochen wird gegen die AssesQ soren eines bestimmten Gerichtshofes oder gegen Offiziere einer Gar— nison oder Gelehrte einer Universität u. s. w., da könnte der Ein⸗ zelne sagen: Ich bin mit darunter begriffen, denn ich gehöre speziell ihr an. Wenn aber hier im Allgemeinen gesagt ist „ganze Stände“, so würde der bestimmte Begriff ihrer AÄbgränzung nicht gegeben und es allerdings besser sein, diese Worte zu streichen, und schließe ich mich daher dem AÄntrage der einen Hälfte der Mitglieder der Ab— theilung an, weiß aber nicht, ob dieser Antrag Unterstützung findet,

Marschall: Da zurückgegangen ist auf den 1sten Theil des Ab⸗ theilungs⸗-Gutachtens, so ist es zweckmäßig, die Diskussion, in welcher man vorhin schon begriffen war, aufzuschieben und sich nur auf diesen Punkt zu beschränken, und es ist zunächst zu ermitteln, ob der Vor⸗ schlag, der hier erneuert worden ist, die Worte „ganze Stände“ zu streichen, die erforderliche Unterstützung findet.

(Die Unterstützung erfolgt hinreichend.)

Justiz-Minister Uhden: Ich wollte nur auf eine Aeußerung des geehrten Redners eiwas erwiedern. Derselbe hat den Fall einer Beleidigung gegen den Offizierstand einer bestimmten Garnison ange— führt und hier, wenn ich richtig verstanden, jedem Einzelnen den An— frag auf Rüge gestattet. Da würde das Wort „Stände“ nicht über— flüfsig sein, sondern es bedürfte nur einer näheren Präzision.

Abgeordn. von Saucken-Tarputschen: Ich bin nur der Mei— nung, daß der Ausdruck hier so allgemein gefaßt ist, daß der Rich ter nicht wissen könne, wo ein Stand anfange und wo er aufhöre, so allgemein gefaßt, gehört jeder Landesbewohner einem Stande an, und deshalb scheint mir eine präzisere Fassung nöthig, eine solche, daß eine Beleidigung gegen den Stand nur zu verstehen sei, wenn sie z. B. gegen die Assessoren eines bestimmten Gerichtshofs, gegen die Offiziere einer bestimmten Garnison u. s. w. ausgesprochen ist. Der allgemeine Ausdruck „ganze Stände“ ist zu unbestimmt. Wir lesen z. B. häufig von der „Entsittlichung der höheren Stände“, es könnte also Jeder, der sich zu den höheren Ständen rechnet, obwohl hier der Beweis schwer zu führen sein würde auftreten und sagen: Ich bin beleidigt. Ich bleibe daher der Ansicht, daß man die Worte „ganze Stände“ hier wegfallen lassen kann.

Justiz-Minister Uhden: Das würde wohl eine andere Fassung nothwendig machen, aber nicht das Wegstreichen des ganzen Wortes „Stände“ erfordern.

Abgeordn. Neumann: Ich muß mich doch dafür erklären, daß das Wort „Stände“ gestrichen werde. Ich bin der Meinung, daß dieses Wort hier in einer Bedeutung gebraucht ist, die unsere ganze Gesetzgebung nicht kennt, mindestens aber in einer sehr unbestimmten. Das Allgemeine Landrecht gründet den Staats⸗-Organismus auf die verschiedenen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft, die sich nach Beruf und Lebensweise von einander absondern, und dadurch entstehen die drei verschiedenen Stände, die unsere Gesetzgebung anerkennt. In anderer Beziehung wird der Begriff des Standes aber häufig auf den besonderen Lebensberuf, dem sich eine gewisse Zahl von Einzelnen widmet, angewen⸗ det. Wenn es nun, da alle die verschiedenen Begriffe, die in das Wort „Stand“ gelegt werden, vielfach verwechselt werden, zweifelhaft wird, was hier unter diesem Worte zu verstehen sei, wie soll es da dem Richter möglich werden, darüber zu erkennen, ob ein ganzer Stand beleidigt worden? Die Ehre ist ein Ausfluß der Persönlichkeit, und es ist demnach nicht denkbar, daß sie einem ganzen Stande, einer Klasse einzelner Staatsbürger vindizirt werden könne. Bei einer Corporation ist dies in einem gewissen Sinne wohl möglich, weil sie bestimmte Glieder umfaßt, bei ganzen Ständen, wie sie hier ange— nommen werden, halte ich es aber für unmöglich. Nach meiner Ueberzeugung ist ein Stand in diesem Sinne ein reines Abstraktum, bei dem von einer Ehrenkränkung nicht die Rede sein kann. Ich bin daher der Meinung, daß dieses Wort gestrichen werden misse.

Marschall: Zu der vorigen Diskussion haben sich noch die Abgeordneten Zimmermann und Camphausen gemeldet, und insofern ich zu supponiren hätte, daß sie auch an dieser Diskussion sich bethei⸗ ligen wollen, hätte ich sie jetzt aufzurufen.

Abgeordn. Zimmermann: Wenn es sich um eine Begriffsbe— stimmung im Strafrecht handelt, so ist darauf zurüchugehen, ob dieser Begriff in unserer allgemeinen Gesetzgebung eine Definition sindet, und diese ist in Beziehung auf den Ausdruck „Stände“ im §. 6 des Isten Titels des 1sten Theils des Landrechts gegeben, indem es dort heißt: „Personen, welchen vermöge ihrer Geburt, Bestimmung oder Hauptbeschäftigung gleiche Rechte in der bürgerlichen gd. n n fn bei⸗

elegt sind, machen zusammen Einen Stand des Staates aus.“ In⸗ 33 nun dieser Begriff konstituirt gesetzlich ist, so muß auch ange⸗ nommen werden, daß das Strafrecht, wenn es von Ständen ohne weitere Modification spricht, diesen Begriff vor Augen gehabt hat. Nach dieser Definition halte ich aber diesen Begriff allerdings für viel zu weit, und es ist deshalb nothwendig, daß er genauer präzisirt werde, bevor er in das Strafrecht gelangt.

Abgeorbn. Camphausen: Ich hatte mir zwar über einen au- deren Gegenstand das Wort erbeten, behalte es mir auch dafür vor, da ich aber einmal aufgerufen werde, so will ich doch die Gelegenheit benutzen und bemerlen, daß auch mich der Vorschlag der Abtheilung, die Entscheidung, was Stände in Preußen seien, dem Richter zu überlassen, nicht befriedigt hat, daß ich nicht verstehe, was ein Stand ist, daß ich mir sehr häusig den Kopf darüber zerbrochen habe, was die Stände in Preußen eigentlich seien, und daß ich ungemein dankbar sein würde, wenn die Regierung eine Erläuterung darüber gäbe, was sie darunter versteht. So lange aber eine solche klare Erläuterung nicht gegeben werden kann, würde ich auch vorschlagen, den Richter nicht iZn Verlegenheit zu bringen, weil er wahrscheinlich ebenfalls nicht weiß, was in Preußen ein Stand ist.

Justiz-Minister von Savigny: Der geehrte Abgeordnete aus Preußen, der diesen Gegenstand zuerst zur Sprache brachte, hat nicht darauf angetragen, daß in dieser Nücsicht Alles weggestrichen wer⸗ den soll, sondern er hat es nur für bedenklich gehalten, die Sache unbestimmt zu lassen. Wenn ich ihn xecht verstanden habe, so hat er zugegeben, daß unter gewissen Beschränkungen die Sache ganz richtig sei. Wenn z. B. bei einem Gerichte Jemand einen Prozeß verloren hat und nun die Justiz-Kommissarien am Orte des Gerich— tes im Allgemeinen mit schweren Schmähungen in den Zeitungen überschütten wollte, so wäre es doch, unbedenklich, daß jenen das Recht zugestanden werden müßte, in dieser Beziehung einen An⸗ spruch auf Strafe geltend zu machen. Ich glanbe, daß die geschil⸗ derte Gefahr in der angegebenen Ausdehnung nicht vorhanden ist, daß bel allgemeinen Beleidigungen gegen eine unbegränzte Klasse von Menschen alle zu derselben gehörende Individuen dieselben auf sich beziehen und Injurien-Prozesse anhängig machen würden. Hier ist die Sache durch ihre weite Ausdehnung ganz kraftlos und eine Ge⸗ fahr deshalb nicht vorhanden. 6

Wenn man übrigens an dem Ausdrucke „Stände“ Anstoß nimmt und einen anderen Ausdruck wünscht, weil allerdings dieses Wort auch noch andere Bedeutungen hat, so hätte ich dagegen nichts einzuwenden, indessen ist kein bestimmter Antrag gestellt. Es sind hier ganze Klaffen von Personen gemeint, und ich stelle auheim, ob ein beson⸗ derer Antrag auf den Ausdruck gestellt werden soll, obschon auch im Allgemeinen Landrecht eine Desinition des Begriffes „Stand? vor= handen ist, wodurch Mißverständnissen hinlänglich vorgebeugt scheint.

Referent Abgeordn. Freiherr von Mylius: Es ist von mir in

der Abtheilung der Antrag gestellt worden, die gauze Stelle wegfallen zu lassen, und ich habe geglaubt, daß der Abgeordnete aus Preußen sich diesem Anträge anschließen würde, es muß auch darüber abge⸗ stimmt werden, und namentlich müßte ich wünschen, daß diejenigen, welche das Wort „Stände“ für unbestimmt halten, sich für den Wegfall desselben aussprechen möchten. Andererseits ist hervorgeho⸗ ben worden, daß Fälle vorgekommen seien, in welchen die besondere Klage gerechtfertigt sei, weil eine besondere Jechts verletzung vorge⸗ legen habe, und es ist vom Herrn Minister mit Rücksicht hierauf be⸗ merkt worden, daß es wenig bedenklich sei, entweder das Wort „Stände“ durch das Wort „Klassen“ oder durch einen anderen Aus⸗ bruck zu bezeichnen, indem hierdurch eigentlich verschiedene Personen gemeint seien, die in einer gewissen Gemeinschaftlichkeit leben, und diese vor Beleidigungen zu schüßtzen seien. Aber dieser Gesichtspunkt rechtfertigt eine besondere Strafbestimmung nicht, indem dann jeder der Verletzten deshalb wird klagen können, weil er aus den fattischen Verhältnissen beweisen kann, daß er auch mit den Anderen durch die Injurie gemeint sei, z. B. in dem von dem Herrn Minister eiwähn— fen Falle, daß mehrere Justiz-Kommissarien geschmäht worden wä⸗ ren wegen eines verlorenen Prozesses. Wenn dann gerade ein jeder Einzelne auftreten und wegen persönlicher Beleidigung klagen will, so halte ich es nicht für bedenklich, daß er hierzu befugt sei, selbst wenn das Wort „Stände“ oder „Klassen“ aus dem Gesetzbuche fortbleibe. Ich glaube, daß die Rücksicht auf diese praktischen Be⸗ dürfnisse die ausdrückliche Bestimmung hier nicht motivirt, indem aus allgemeinen Gründen dies Bedenken beseitigt wird.

Regierungs-Kommissar Bischoff: Ich glaube auch, daß es kein Bedenken haben würde, daß jeder Einzelne, ohne daß sich diese Bestimmung im Gesetze findet, würde klagen können; nur mache ich darauf aufmerksam, daß, wenn man den Satz hier streicht, eine große Verschärfung des Entwurfes entstehen würde. Wenn von mehreren Personen geklagt werden kann, so würde auch die Strafe eben so oft vollstreckt werden müssen. Dem soll aber durch §. 201 vorgebeugt werden, indem es dort im letzten Alinea heißt: „In allen vorste⸗ henden Fällen wird jedoch durch die auf die Klage Eines Berechtigten er⸗ folgte Bestrafung jede weitere gerichtliche Verfolgung des Beleidigers ausgeschlossen.

Referent Abgeordn. Freiherr von Mylius: Eine Verschärfung. liegt nicht vor, weil durch eine Handlung mehrere Verletzungen statt— gefunden haben und aus allgemeinen Gründen in diesem Falle nur eine Strafe erkannt werden soll.

Abgeordn. von Auerswald: Ich weiß nicht, ob ich recht ver— standen habe, daß nach dem bestehenden Recht eine solche Bestimmung existire? Dem gegenüber muß ich erklären, daß wenigstens die be—⸗ stehende Praxis nicht dafür spricht, und daß die einzelnen Klagen von mehreren gemeinschaftlich Beleidigten seitens mancher Gerichte nur als eine gemeinsame Klage angenommen werden. Was nun aber die Sache selbst betrifft, so ist gewiß nicht zu verkennen, daß das Wort „Stände“ hier einen etwas mystischen Anflug hat, und daß man sich sehr Verschiedenes darunter denken kann. Wenn jedoch von der Ministerbank die Wahl eines anderen Ausdrucks für das Wort „Stände“ bereits in Aussicht gestellt worden ist, so würde dagegen wenig zu erinnern bleiben. ö

Ich habe aber ein anderes Bedenken, und das betrifft das Wort „Corporationen.“ Unter Corporationen versteht man eine Gesellschaft, die gewisse Gerechtsame hat, welche durch berechtigte Organe der- selben ausgeübt werden. Wie soll es nun in einer Corpora- tion zulässig sein, daß jedes ihrer Mitglieder auftritt und sich anmaßt, ihren Statuten zuwider, die Rechte der Corporation ein- seitig zu vertreten? Mir scheint dies prinzipiell ganz unrichtig, aber auch faktisch unausführbar, um so, mehr, als es im letzten Aliuea heißt: „In allen vorstehenden Fällen wird jedoch durch die auf die Klage eines Berechtigten erfolgte Bestrasung jede weitere gerichtliche Verfolgung des Beleidigers ausgeschlossen.!“ Wenn ich mir den Fall denke, daß ein Mitglied irgend einer, von hier entfernten Corporafion in Berlin wegen einer der Corporation hier zugefügten Beleidigung, auf Grund des ersten Alinea, Klage erhebt und darauf ein Urtheil ergeht, welches vielleicht nur in Folge der einseitig und ungeeignet gestellten Klage, dem Interesse der, Corporation gar nicht zusagt, diese aber erst später von der Beleidigung Kunde erhielte und nun ebenfalls klagen wollte, so würde ihr dies nicht mehr gestattet sein.

Ich halte das für ganz falfch, insosern die Statuten der Corpora— ion nicht jedem Mitgliede das Recht ertheilen, dieselbe einseitig zu