1848 / 70 p. 4 (Allgemeine Preußische Zeitung) scan diff

„Daß der Vereinigte Landtag sich auf das Materielle des Straf⸗

rechts einlassen möge“, . so bin ich zwar sonst nicht ängstlich in der Beurtheilung, ob ich mich zu irgend einem Akt für kompetent halte; aber hier gehen wir weit Über das hinaus, was zu unserer Kompetenz gehört; es ist nämlich der Wunsch, die Aufforderung an den Vereinigten Landtag, sich einem Geschäft zu unterziehen, welches uns aufgetragen worden ist, wozu, und darauf möchte ich das geehrte Mitglied vom Rheine besonders aufmerksam machen, ein Theil der Versammlung ausdrück⸗ lich, sogar ausschließlich bevollmächtigt worden ist, wozu wir vom Könige einberufen worden sind, und dem wir uns unterzogen haben, ohne diese Momente früher in dieser Art geltend zu machen.

Wollen wir, wie Saturn, unsere eigenen Kinder verschlingen, wollen wir unser Werk, das uns so schwere Geburtswehen gekostet hat, wieder vernichten? ;

(Bravo⸗Ruf.)

Wenn das geehrte Mitglied vom Rheine hervorgehoben hat, daß die unerhörten Ereignisse der letzten Zeit nächstens einen Verei⸗ nigten Landtag herbeiführen könnten, so stimme ich dieser Ansicht voll⸗ kommen bei; von Gottes unerforschlichem Rathschlusse, von dem Ent⸗ schlusse unseres Herrn hängt dies ab. Tritt aber dieser Fall ein, so werden wir wahrlich andere Dinge zu thun haben, als uns mit 500 Paragraphen des Kriminalgesetzbuches herumzuschlagen.

(Bravo ⸗Ruf.

Ich stimme gegen jeden Antrag, der zu einer Verzögerung führt, und ich stelle meinen Antrag speziell dahin, dem Herrn Land⸗ tags-Marschall möge es belieben, die Fragen bei der Fragestellung so zu sondern, daß man sie ganz bestimmt mit Ja und Nein beant-

worten könne. (Bravo ⸗Ruf.)

Ref. Abgeordn. Naumann: Das geehrte Mitglied, welches so eben gesprochen, veranlaßt mich, gegenwärtig das Wort zu erbitten. Ich bin mit dem geehrten Mitgliede, welches auf der Herrenbank sitzt, einverstanden, daß das Abtheilungsgutachten drei verschiedene An⸗ träge enthält; es enthält den Antrag, die Nothwendigkeit auszu- sprechen, daß das Kriminalrecht nicht ohne eine Kriminalordnung er⸗ lassen werden könne, es enthält den Antrag, daß die Kriminalordnung dem Vereinigten Landtage vorzulegen sei, es enthält die Erklärung der Nothwendigkeit, 24 dem Vereinigten Landtage Gelegenheit ge⸗ geben werde, sich noch über das Materielle des von uns berathe⸗ nen Strafrechts zu äußern. Wenn das geehrte Mitglied aber nur auf die ersten beiden Punkte zu bestehen für angemessen erachtet und den dritten Punkt nur in der Weise auffaßt, daß nicht ein besonderes Gewicht darauf zu legen sei, so muß ich bedauern, daß ich gerade diese letzte Ansicht nicht theilen kann. Ich lege gerade einen besonderen Werth darauf, zu erklären, daß es nothwendig sei, dem Vereinigten Landtage noch Gelegenheit zu geben, das Strafgesetz zu prüfen, denn es kommt darauf an, wie ein geehrtes Mitglied aus Schlesien vor mir gesagt hat, in welchem Verhältnisse wir stehen zu dem Vereinigten Landtage. Ich gebe zu, es ist formell und verfassungsmäßig Alles erfüllt, was verlangt wer⸗ den kann, um das Gesetz zu emaniren; aber alle Gründe, die ange⸗ führt worden sind, zusammengenommen, sprechen dafür, daß wir nicht entgegentreten dem Vereinigten Landtage in seinem von der Stände Kurie ausdrücklich ausgesprochenen Wunsche, ihm Gelegenheit zu ge— ben, sich über das Strafgesetzbuch zu äußern. Und, meine Herren, ich will auf einen Gesichtspunkt aufmerksam machen, den, der gerade im Hinblick auf die letzten Tage geltend gemacht werden muß.

Es fragt sich: Welches ist die Bedeutung nnserer ständischen Versammlung? Sehen wir doch hinaus über diesen Saal, sehen wir über unser Land hinaus! Große Ereignisse, haben sich, zugetragen; Gewitterwolken stehen am Horizonte und Blitze zucken vielleicht schon nach Deutschland hinein. Die Stände, meine Herren, die in anderen deutschen Staaten versammelt sind, schaaren sich um die Throne und rathen und berathen, wie das Heil des Landes und das Heil Deutsch- lands zu sichern sei. Und es sind die Stände versammelt des ersten Reiches in Deutschland, des preußischen Staates, und diese Stände nehmen schweigend jene Ereignisse hin! Sie wagen nicht, ein Wort zu sagen, sie wagen es nicht, meine Herren, dem Throne gegenüber, sie wagen es nicht, dem Könige auszusprechen, worauf es in die ser schweren Stunde ankommt! Sie wagen es nicht, zu sagen, daß Ei⸗ nigkeit zwischen Krone und Volk in diesem Augenblicke gerade es ist, in, das Volk und wir vor allen Dingen unser Streben richten müßten.

(Graf von Schwerin: Warum geschieht es nicht?)

Ich bin unterbrochen und gefragt worden, warum es nicht ge⸗ schieht. Ich komme auf die Frage, warum es nicht geschieht. Ja! es geschieht nicht, weil die Krone uns nicht gefragt hat; es geschieht nicht, weil wir nicht rathen können, weil wir nicht berufen sind, diese Aufgabe zu lösen. Darum geschieht es nicht. Aber wenn wir uns so schwach fühlen, daß wir eine solche Verantwortlichkeit nicht über— nehmen können: wollen wir uns denn herausnehmen, uns im Wider spruch mit den Wünschen des Vereinigten Landtages, der allein jene Mission zu erfüllen haben würde, zu setzen? Ich sage: Nein, wir dürfen es nicht thun. Ich stimme vollständig bei, daß keine Gefahr im Verzuge ist, ich stimme vollkommen bei, daß das Kriminal⸗Recht noch recht gut warten kann auf die endliche Erledigung der Frage: ob die Kriminal⸗Ordnung und welche sich an dieses Kriminal⸗Recht anschließen wird. Ich will nicht, uieine Herren, und halte es nicht für zweckmäßig, daß der VereinigtesAusschuß in seinen letzten Votums, die er, wie ich glaube, überhaupt abgeben wird, daß er da noch sich in direktem Widerspruche setze mit den Ansichten, welche das Land durch den Vereinigten Landtag ausgesprochen hat. Ich stimme für den Antrag der Abtheilung.

Abgeordn. Knoblauch: Als Abgeordneter von Berlin oder viel- mehr von dem Standpunkte Berlins aus sehe ich mich veranlaßt, zu erklären, wie es auf das dankbarste uns freudigste anerkannt wird, daß in den alten Landestheilen hier zuerst die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Strafrechtspflege eingeführt worden *. zugleich und ohne wiederholen zu wollen, was besser, ala ich es vermöchtt, vor mir gesagt worden ist, muß ich jedoch aussprechen, daß in allen Krei⸗ sen, wohin sich mein Ohr auch gewendet hat, um das Urtheil sach— kundiger und rechtsverständiger änner zu vernehmen, der innige Zusammenhang zwischen dem Strafrecht und der Kriminal⸗Prozeß⸗ Srbnung anerkannt wird, daß man Beides für integrirende Theile eines gemeinsamen Ganzen hält und angelegentlich wünscht, daß das Eine von dem Anderen nicht getrennt erlassen werden möge. Meine eigene Ueberzeugung stimmt damit vollkommen überein, sie ist gegrün⸗ det auf die Berathungen, welche bereits im Jahre 1843 auf dem brandenburgischen Provinzial-⸗ Landtage gepflogen worden sind und zu demselben jetzt wiederum vorliegenden Antrage geführt haben; sie i auf das vollständigste i i durch die gründliche Begutachtung des Strafgesetzbuchs, an deren gu wir gegenwärtig stehen. Diesen Wunsch hiermit von neuem auszusprechen, fi. ich mich gedrungen,

und ich würde glauben, eine . versäumt zu haben, wenn ich dies unterließe. In Bezug au Abtheilung pflichte ich übrigens ganz den Gründen bei, wesche von einem verehrten Mitgliede des Herrenstandes der Provinz Preußen erschöpfend feige ier sind. Die Aufnahme dieses Satzes kann ich meinerseits weder für wesentlich noch für nothwendig halten. Auch

den Schlußsatz des Antrages der

Mangel gleichzeitigen Erlasses entstanden ist.

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laube ich nicht, daß der Ausschuß, indem er einen wichtigen Gegen- and der Gesetzgebung auf sich beruhen läßt, dadurch mit dem Ver⸗ einigten Landtage in irgend einen Widerspruch gerathen kann, da es diesem unter allen Umständen überlassen bleibt, seine Wünsche in je⸗ ner Beziehung auszusprechen.

Abgeordn. Dittrich: Es ist gegen den Antrag der Abtheilung, welchem ich beitrete, besonders hervorgehoben worden, daß das Bedürfniß einer neuen Strafgesetzgebung sich bald nach Publication des Landrechts herausgestellt habe, weil sich dieses als lückenhaft und mangelhaft erwiesen hat. ch erkenne darin einen Beweis für den Antrag der Abtheilung, daß das Strafgesetzbuch nicht vor dem Ge⸗ richts verfahren, sondern r r mit diesem emanirt werden müsse, denn die damalige Art des Verfahrens zeigte die Lücke, die durch den Es ist aber auch in neuerer Jeit ein gesetzliches Anerkenntniß vorhanden, wie wesentlich

das materielle Strafrecht mit dem Verfahren , , denn esti

in dem Gesetze vom 29. März 1844 sind die Strafarten mmt; es sind also materielle Bestimmungen darin enthalten und mit dem Verfahren verflochten; also auch hierin liegt ein Beweis dafür, daß Eines ohne das Andere nicht gehen kann. Es ist ferner bereits mehr— fach hervorgehoben, wie zweifelhaft es sein möchte, ob die Berathung der Proinzial⸗Landtage als diejenige ständische Berathung anzusehen sei, die dem Gesetze vorhergehen muß. Ich erweitere dies noch in Beziehung auf die Anträge der Landtage; namentlich der schlesische Landtag gal darauf angetragen, daß das Strafrecht mit der Straf⸗ Prozeß-Ordnung verbunden werden möchte; weil also dieser Antrag schon damals gemacht worden, so ist jene Berathung nur eben unter dieser Voraussetzung erfolgt. Es ist weiter gesagt, wir hätten mit dem Strafgesetz⸗Entwurfe einen kolossalen Fortschritt gemacht; ich er⸗ kenne diesen an, glaube aber, daß der geehrte Redner, welcher dieses gesagt hat, sehr häufig gegen die Härte der Strafen des Entwurss gesprochen hat, und daß also, wenn der kolossale Fortschritt durch nochmalige Berathung im Vereinigten Landtage in den kolossalsten verwandelt wird, dann eben eine noch weit größere Milde aus den sehr gründlichen Berathungen hervorgehen könnte; es wird daher kein Nachtheil, sondern nur ein großer Vortheil entstehen, der durch ein längeres Aufhalten und das Vorlegen an eine größere Versammlung wohl sicher erzielt werden könnte. Ich halte also auch deshalb einen, wie wir hoffen dürfen, nur kurzen Aufenthalt nicht für etwas Schäd⸗ liches, sondern eben nur für einen Fortschritt. Endlich ist gesagt worden, es lägen dem nächsten Vereinigten Landtage so viele wichtige Dinge vor, die es nicht zulässig machten, daß ein Gesetz- Entwurf von so und so viel Paragraphen seiner Berathung überlassen werden könnte. Darauf ist schon vorweg erwiedert, daß dieser Gesetz-Ent⸗ wurf ein so wichtiger, so sehr eingreifender ist, daß er anderen Vor⸗ lagen mindestens gleich ist, und daß die Vorlage anderer Berathun= gen nicht hindern würde, am wenigsten in der Art des Antrags, wie die Abtheilung ihn gefaßt hat, nach welcher dem Vereinigten Land—⸗ tage nur Gelegenheit dazu gegeben werden möge. Es ist weiter an⸗ geführt, wir seien dazu bevollmächtigt, um den Strafgesetz Entwurf zu berathen. Wäre das nicht, so würden wir ihn nicht haben bera⸗ then können; wir haben ihn aber berathen. Wenn wir aber doch am Ende fühlen, daß wir ihn nicht in so vollständiger Art vorberathen haben, wie wir vielleicht wünschen möchten, dann ist es doch etwas fehr Wesentliches, daß die öffentliche Meinung durch Berathung in einer größeren umfassenderen Versammlung sich ausspreche. Endlich ist hingewiesen worden auf die Einigkeit zwischen Regierung und Ständen; ja, meine Herren, auch mich durchglüht in meinem tiessten Innern dieses Gefühl, aber eben darum glaube ich, daß durch die Ma⸗ jorität der Versammlung das ausgesprochen werden muß, was aus⸗ zusprechen wir für Pflicht halten, und daß nur dadurch diese Einig feit angebahnt werben kann und begründet werden muß.

, . wodiczka: Ich gehöre zu denjenigen Mitgliedern der Abtheilung, welche sich in der Minorität , haben. Der Boden, auf welchem ich bei dem Vereinigten Landtage und hier ge— standen habe, ist das Patent vom 3. Februar v. J. Das, was ich bei dem Vereinigten Landtage gethan und gesprochen habe, habe ich unumwunden allen Kommunen, die zu vertreten ich die Ehre hatte, mitgetheilt. Keine einzige hat ihre Mißbilligung erklärt, ja meh⸗ rere haben ihre volle JZustimmung zu dem gegeben, was ich gethan habe, einige haben mich auch mit Aufträgen beehrt, die ich hier, da dieselben mit meinen Ansichten übereinstimmen, ausgeführt habe. Deshalb habe ich freudig und ohne Besorgniß vor dem Urtheile des fünftigen Vereinigten Landtages mich den Arbeiten unterzogen, die Se, Majestät der König von mir verlangt hat. Nachdem der Entwurf berathen, halte ich meine Misston für beendet. Ich überlasse es der Weisheit der Regierung, ob und wann sie das Geseß publiciren will. Einen Antrag darauf zu richten, halte ich nicht für nöthig, und auch nicht für Pflicht. Wir würden fogar den Rechten des Vereinigten Landtages meiner Ansicht nach zuwiderhandeln, wollten wir dies in Antrag brin⸗ gen. Ihm und nicht dem ständischen⸗ Ausschusse kommt es zu, einen Antrag zu formiren, ob ihm die Kriminal-Ordnung zur Begutachtung vorgelegt werden soll. Ich bin auch, abgesehen von der Schwierig- keit, welche durch die Berathung der Kriminal -Ordnung durch den Vereinigten Landtag entstehen könnte, nicht zweifelhaft, daß die Regie⸗ rung eine Prozeß-Ordnung vorlegen wird, abers darauf anzutragen, halte ich mich nicht für verpflichtet. Deshalb werde ich gegen die Majorität der Abtheilung stimmen. .

Abgeordn. Freiherr von Patow: Die in der Versammlung auf⸗ gestellte Behauptung, daß das Kriminalrecht, wie es aus unserer Berathung hervorgegangen ist, an manchen Mängeln laboriren möchte, a, ich nicht zu bestrelten; aber ich glaube, daß das Kriminalrecht auch dann, wenn es von dem Vereinigten Landtage noch, einmal be⸗ rathen wird, nicht von allen Mängeln ftei sein und immer noch von einer oder der anderen Seite getadelt werden wird. Ich, lann nicht in Abrede stellen, daß es zweaͤmäßig sein würde, gleichzeitig mit dem Kriminalrechte die Kriminal-Ordnung zu erlassen, ich erkenne dies aber nicht als unbedingt nothwendig an. Ich berufe mich auf den Vorgang, den wir in unserem Staate haben, daß nicht gleichzei⸗ tig mit der Kriminalprozeß-Ordnung von 1805 ein neues Kriminal recht erschienen ist, ich berufe mich auch darauf, daß das Bedürfniß eines neuen Kriminalrechtes, so wie eine neue Kriminal Ordnung, sich unbedingt klar herausgesteilt hat, daß vielfach der Wunsch ausge- sprochen worden ist, daß das neue Kriminalrecht recht bald erscheinen und mit der Kriminal⸗Srdnung, die gegenwärtig in Berlin zur An- wendung kommt, ins Leben treten möge. Von der praftischen Seite diese Angelegenheit auffassend, glaube ich, daß dann, wenn das neue Kri⸗ minalrecht mit der im Jahre 1846 eischienenen Kriminal⸗Ordnung, die jetzt in Berlin gilt, im ganzen Lande eingeführt wird, mancher Vortheil sich daraus ergeben wird. Ich erinnere an, die Zeit, die nicht lange verflossen ist, wo das öffentliche und mündliche. Verfahren noch vielfache Widersacher fand, ich glaube, daß diese jetzt fast sämmt⸗ lich besiegt sind. Das Verfahren, wie es hier in Berlin erst seit einem Jahre ins Leben getreten ist, hat fast Alle für sich eingenom⸗ men, und ich glaube, daß, wenn mit diesem Verfahren in den sieben alten Provinzen das neue Kriminalrecht ins Leben tritt, dann die Vorzüge des öffentlichen und mündlichen Strafverfahrens recht klar hervortreten werden, und daß man dann bei der Berathung der vor zulegenden neuen Kriminalprozeß⸗Ordnung über diese ein gründlicheres UÜrtheil wird fällen können, als setzt, wo das öffentliche und münd—

liche Verfahren in den anderen Landestheilen noch nicht ü bekannt ist. Ich schließe mich daher den e , f 6 ten eines geehrten Mitgliedes aus der schlesischen Ritterschaft formirt worden sind, an, und eventualiter stimme ich dem Antrage bei, der von Seiten eines Mitgliedes des Herrenstandes formirt worden ist.

Abgeordn. von Donimierski: Es ist schon so viel Gediegenes über den Gegenstand gesagt worden, daß ich auf das Wort verzich⸗ ten könnte, vorzüglich da ich meine Ansicht hierüber in der ersten Sitzung ausgesprochen habe, jedoch muß ich den beiden letzten Red— nern alf einige Aeußerungen erwiedern. Der Herr Abgeordnete der schlesischen Ritterschaft hat nämlich gesagt, wir hätten keine Veran⸗ lassung, eine solche Erklärung, wie sie die Abtheilung vorschlägt, ab⸗ zugeben. Ich erlaube mir, ihn aufmerksam zu machen auf §. J. des Einführungsgesetzes. Dort heißt es, das Strafgesetzbuch tritt im ganzen Umfange der Monarchie mit dem in Kraft. Also hat die Versammlung wohl die Befugniß und die Pflicht, Sr. Majestät zu erklären, von welchem Zeitpunkte ab sie wünscht, daß dieses Ge— setz in Kraft treten solle.

Der zweite Redner äußerte, es scheine wünschenswerth, daß der Entwurf nach dem neuen Verfahren, welches durch die Verordnung vom 17. Juli 1846 in Berlin eingeführt ist, sobald als möglich zur Anwendung kommen möchte. Ich kann mich dieser Ansicht nicht an⸗ schließen. Ich würde das für gefährlich halten. Es ist erwähnt worden, daß die Kasuistik des Landrechts durch diesen Entwurf und die Beweistheorie der Kriminal⸗Ordnung durch das Gesetz vom 17. Juli 1846 aufgehoben ist. Ich halte dieses für sehr zweckmäßig. Jedoch muß man nicht verkennen, daß Beides den Zweck hatte, die Willkür des Richters zu beschränken. Wir haben Beides aufgehoben und dem Richter den größten Spielraum gelassen, sowohl in Anwen— dung des Strafmaßes, als in der Wahl der Strafart. Nach dem Gesetz vom 17. Juli 1846 hat der Richter die Befugniß, unabhän— gig von allen Beweisregeln nach seiner subjektiven Ueberzeugung zu erkennen. Eine so große Freiheit kann vorzüglich bei Kollegien von 3 Richtern leicht zur Willkür Gelegenheit geben, deshalb glaube ich, daß der Entwurf unmöglich nach diesem Prozeß Verfahren zur An— wendung gebracht werden kann. Ich theile durchaus die von der Ab= theilung ausgesprochene Ansicht, daß eine neue Kriminal— Ordnung ausgearbeitet und, bevor sie ins Leben tritt, natürlich dem Vereinig⸗ ten Landtage vorgelegt werde. i lei e rf. es diesem, auf diese Weise etwas Gediegenes zu schaffen. Sie wissen, meine Herren, es ist in Deutschland die Umarbeitung der Strafgesetze ein allgemein ge⸗ fühltes Bedürfniß. Wenn dieses neue in sich ein systematisches Ganze bildende Werk in Deutschland allgemein angenommen würde, so würde dadurch mehr zur Einheit Deutschlands beigetragen werden, als durch die Annahme der zwei Paragraphen, welche den deutschen Bund be⸗ treffen. Ich habe dieselben unterstützt in Abweichung von den übri⸗ gen Vertretern meiner Provinz, weil ich sie mehr aus dem politischen als juristischen Gesichtspunkte betrachte. Die größere politische Br⸗ deutung Deutschlands erscheint mir von einem unberechenbaren Werth sür ganz Europa; denn ich bin von der Ueberzeugung volllommen durchdrungen, daß die Politik Deutschlands nicht durch kau fmännische Interessen, noch durch ehrgeizige oder eroberungssüchtige Pläne be⸗ stimmt wird, sondern durch Grundsätze reiner Humanitãt. Daher werde ich immer auch das Geringste, was die Einheit Deutschlands und so seine größere politische Bedeutung fördert, unterstützen, mithin auch! aus diefem Gesichtspunkte und in dieser Hoffnung bin ich für den von der Abtheilung gestellten Antrag. ‚.

Abgeordn. Graf von Schwerin: Meine Herren! Ich befinde mich wieder in der Lage, abzuweichen in meiner Meinung von wer= then Männern, mit denen sonst zusammenstimmen mir Freude ist. Ich suche mir diese Gelegenheit aber nicht auf, sondern nehme sie nur an, wenn ich sie nicht vermeiden kann. Es wäre demnach wohl Veran⸗ lassung für mich, zu schweigen, um nur durch die Abstimmung die Meinungs Verschiedenheit zu erkennen zu geben, aber ich mag nicht, ich kann nicht zweideutig erscheinen, und daher will ich den Stand punkt kurz entwickeln, von dem aus ich in der Abtheilung in der Minorität gewesen bin. Ich schicke voraus daß meine persoönliche Meinung entschieden dahin geht, daß der Vereinigte Landtag kein gesetzliches Recht hat, die Berathung des Strafgesetzbuches noch zu verlangen. Andererseits ist es mir eben so unzweifelhaft, daß die Krfminal-Prozeß-⸗Ordnung nur erlassen werden kann, nachdem dazu der Beirath des gesetzlichen Organs der Ration, des Vereinigten Landtags, eingeholt wor— den ist. Es scheint daher, als könnte ich mich, wenn auch nicht dem Antrage der Abtheilung, doch dem des Mitgliedes von der Herren— bank anschließen, und doch ist dem nicht so, und zwar aus dem for= mellen Grunde, weil ich glaube, daß der Ausschuß diejenige Stellung, die er von Anfang an für sich in Anspruch genommen hat, aufgeben würde, wenn er an sein Gutachten über das Materielle des Straf rechts irgend eine Bedingung knüpfen wollte in Beziehung auf den Zeitpunkt der Publication. Meine Herren, in den Erklärungen, welche den Berathungen vorausgegangen sind, ist der Standpunkt genau festge⸗ stellt, den die verschiedenen Mitglieder des Ausschusses für sich innegehalten wissen wollten. Sie gingen dahin, daß man in keiner Weise in die Rechte des Vereinigten Landtags eingreisen wolle. Zu, den Rechten des Vereinigten Landtags gehört aber ganz wesentlich die Erledigung und Prüfung der ständischen Fragen, die Prüfung der Frage, inwie⸗ weit die Gesetzgebung durch den Beirath der Nation bedingt ist oder nicht. Jedenfalls greift der Ausschuß, wenn er darüber ein Votum abgiebt, in die Rechte des Vereinigten Landtags über und verrückt sich die Position, welche festzuhalten theils aus , . theils aus Gründen des Rechts, alle Mitglieder einig gewesen sind. Deshalb hätte ich gewünscht, daß der Antrag von der Abthei ung nicht gestellt worden wäre, deshalb muß ich wünschen, daß der Ans schuß sich darauf beschränke, sein Gutachten über die Materie des Strafrechts abzugeben, der, Regierung die Verantwortlichkeit über⸗ lassend, die Frage selbstsländig zu prüfen, ob und was noch erfore er. lich sei, um eine angemessene Publication erfolgen zu lassen. Das ist heute mein Standpunkt, und von diesem Standpunkte aus 3 ich sowohl gegen das Votum, der Abtheilung, als auch gegen . modifizirten Antrag des Mitgliedes von der Herren-Kurie entschieden

stimmen. . i i kann man mit Entschiedenheit Meine Herren, das, glaube ich, .

agen: „Bas Land harrt mit bangem V . kan e Sr. Majestät über die ständischen Fragen entgegen.“ .

Wie aber auch der Einzelne in denken möge, wie sehr wir Alle überze blick auf dle Ereignisse und im Interesse

i, daß diese Entscheidung bal eh de ele ersre, ß ber Arch als selcher

spung der Frage nicht einwirken kann,

a ere. ner n, , gwenn er nicht die Stellung aufgehen will, die er eingenommen hat, und weil ich beide Anträge für eine Ein⸗ wirkung erachte, fo habe ich geglaubt, ihnen entgegen sein zu müssen. Abgeordn. von Werdeck: Ich erkläre mich e enfalls gegen das Votum der Abtheilung. Ich halte aus praktischen Gründen dafür, daß wir uns dahin aussprechen müssen, daß das Gesetz bald publi⸗ zirt werden möge. 59 befürchte sonst, man wird uns in nicht fer= ner Zeit den Vorwurf machen, daß wir über den Rath die That

dieser Versammlung darüber ugt sein mögen, daß, im Hin⸗ des Vaterlandes, wünschens⸗ bald, recht bald erfolgen möge, dar⸗

und diesen Vorwurf möchte ich im Interesse der Einhelt Deutschlands von uns abwenden. Dies erinnert mich an das, was ein geehrtes Mitglied vor mir gesagt hat. Meine Herren, ich gehe davon aus, daß nicht in der Art und Weise, wie wir in diese Versammlung berufen worden sind, ein Hinderniß liegt, unsere Wün⸗ sche, die der Augenblick in uns aufsteigen lassen möchte, zu den Stu⸗ fen des Thrones niederzulegen. Ich halte mich berechtigt, dies zu thun; allein ich hege das Vertrauen, daß wenn Se. Majestät den Beistand der Stände bedürfen wird, Er uns um seinen Thron ver- sammeln wird, habe aber auch Loyalitäts-Rückhsichten nicht nur für unsere Herren, sondern auch für unfere Mitstände, welche aus einem anderen Gesichtspunkte die Wahl in den Vereinigten Ausschuß ange⸗ nommen haben, als ich. Die Nützlichkeitsgründe, wesche mich bestim⸗ men, für den Entwurf zu stimmen, sind hier mehrfach angeregt wor= den. Das Bedenken, welches aber in der Sache obwaltet, liegt im Kriminal-Verfahren. Meine Herren, es ist der Weg zu einem ver- änderten Kriminal-Verfahren, welches ich in seinen Hauptgrundzügen dem Entwurf angemessen erachte, für die alten Provinzen angebahnt. Ich bin damit einverstanden, daß die Kriminal⸗Ordnung nur vom Vereinigten Landtage berathen und auf Grund des Gutachtens desselben ins Leben kreten kann; finde aber kein Bedenken, diejenigen Veränderungen des Verfahrens, auf welche die Verordnung vom 17. Juli 1846 hinweist, ins Leben treten zu lassen. Ein Mitglied aus Westpreußen hat darauf hingedeutet, daß in der Verordnung vom 17. Juli 1846 die Garantieen beseitigt seien, welche die Kriminal⸗ Ordnung von 1805 gewährt hat; ferner, daß die Behauptung der Kasuistik des Landrechts dem Richter einen freien Spielraum für die Willkür eröffnet habe. Wenn ich, obgleich ich dem nicht beistimme, annehme, daß diese Bedenken ihre vollständige Begründung in der Gesetzgebung finden, so hätte ich dennoch kein Bedenken, vorauszu⸗ setzen, daß bis dahin, wo die neue Kriminal⸗Ordnung dann unstrei⸗ tig von der Verwaltung und uns als ein Bedürfniß anerkannt wird, vorgelegt sein wird, die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfah⸗ rens, die Kollegial-Verfassung, die unbezweifelte Integrität unseres Richterstandes Garantie dafür sein wird, daß die Aussprüche nur nach Vorschrift der Gesetze werden gefällt werden. Wenn ich das Bedürfniß des Kriminal-Gesetzbuchs an und für sich anerkennen muß, so habe ich auch kein Bedenken, unter den obwaltenden Umständen mich dahin auszusprechen, daß es sofort publizirt werden möge, und mich gegen das Votum der Abtheilung zu erklären. . Ein besonderes Gewicht wird von einer Seite darauf gelegt, daß die Rhein-Provinz sich beängstigt fühle durch die Besorgniß, in ihren wohlhergebrachten Rechten gestört zu werden; ich glaube aber, daß in den beredten Worten, welche das geehrte Mitglied, was diesen Punkt angeregt, vorgetragen hat, bereits die Widerlegung liegt für solche Besorgniß. Das Mitglied hat uns gesagt, daß die gemachten Ver⸗ suche dort zur Berathung der Stände gelangt sind, daß die Stände sich gegen diesen Versuch ausgesprochen haben, und daß die Regierung in Folge davon von ferneren Versuchen abgestanden ist; es hat uns ferner gesagt, daß es im Interesse für die Rechtseinheit des ganzen Landes, ungeachtet viele Bestimmungen im Rechtszustande des Rhein⸗ landes durch das neue Gesetz verändert würden, doch für den Ent⸗ wurf sich aussprechen werde. Nun wohlan, wenn wir es wagen kön⸗ nen, bei anderen Garantien der Gerichts-Verfassung uns für den Ent- wurf auszusprechen, so kann auch seitens der Rheinlande kein Beden⸗ ken dagegen obwalten. Unter diesen Umständen hoffe ich, daß wir, bei vorausgesetzten schützenden Formen, im Interesse der Einheit von Preußen und der zu hoffenden von ganz Deutschland, den Gesetz—⸗ Entwurf unbedingt annehmen werden.

Abgeordn. von Auerswald: Ich habe in der Abtheilung mit der Masorität gestimmt, und bin auch noch in der Lage, mit dersel⸗ ben zu stimmen, sowohl im Ganzen wie im Einzelnen. Im Einzel⸗ nen zunächst für den ersten Theil des Antrages:

„Ber Vereinigte Ausschuß wolle erklären, daß er als nothwendig

erachte, es möge das Strafgesetzbuch nicht erlassen werden, bevor

eine neue Kriminal⸗Ordnung gegeben worden sei“, weil dies nach meiner Ueberzeugung unabweisbares Bedürfniß ist. Ich enthalte mich, die Gründe dafür zu wiederholen, die bereits besser ausgeführt sind, als ich es zu thun vermöchte. Für den zweiten Theil des Antrages, daß diese Kriminal-Ordnung nothwendig vom Vereinigten Landtage vorher berathen werden müsse, stimme ich fer⸗ ner, weil ich dies für eine Thatsache, für etwas Feststehendes, für etwas nach meiner Ansicht durch die ständische Gesetzgebung über jeden Zweifel Erhabenes erachte. Für den dritten Theil des Antra⸗ ges, daß dem Vereinigten Landtage Gelegenheit gegeben werde, sich zugleich über den Jnhalt des Strafgesetzbüches zu äußern, stimme ich allerdings aus einem anderen Grunde. Ich bekenne nämlich offen, daß, wenn ich den Antrag abzufassen gehabt hätte, ich diesen Satz nicht darin aufgenommen hätte, weil ich es nicht für nöthig und er— forberlich halte. Wenn die ersten Theile des Antrages von der Ver⸗ sammlung angenommen würden, so liegt darin einfach und bestimmt die Erklärung, daß das Strafgesetzbuch nicht erlassen werden dürfe, bevor es zur Kenntniß des Vereinigten Landtages gekommen ist, und es steht diesem verfassungsmäßig frei, diejenigen Abänderungen vor⸗— zuschlagen, die er für unerläßlich hält. Ich glaube, daß hierdurch den gerechten und billigen Wünschen des Rheinlandes, die ich nicht verkenne und überall unterstützt habe, wo ich mich nur irgend von ihrer Triftigkeit überzeugen konnte, Abhülfe werden kann und wird. Wenn ich hiernach dennoch für den dritten Theil des Antrages stimme, so thue ich es lediglich deshalb, weil ich nichts Verfängliches, oder Bedenkliches, oder Präjudizirliches darin finde und weil, wenn man nicht dafür stimmt, der Glaube entstehen könnte, man halte es gegen⸗ theils für nothwendig, dem Vereinigten Landtage das Urtheil über den Inhalt des Kriminal⸗Gesetzbuches zu entziehen, eine Vermuthung, die ich meinestheils nicht erregen möchte. Nachdem so manche Stimme sich erhoben hat, um ihr Votum zu motiviren, nehme auch ich Veranlassung, dies, wie geschehen, in der Sache zu thun. Es ist von einem geehrten Redner das schmerzliche Bedauern ausgesprochen worden, daß wir außer dem vorliegenden Berathungsgegenstande uns hier nicht berufen halten dürfen, unsere Stinime zu erheben über das, was uns zu dieser Stunde näher liegt, unsere Herzen tiefer bewegt: Ich theile in Beziehung hierauf die Ansicht des Abgeordneten der Ritterschaft aus Pommern. Ich glaube, daß, so heiß, so innig, so lebendig die Wünsche des Volkes, die Wünsche der Vertreter des Volkes auch sind, ihrem Könige in der Stunde des Ernstes zur Seite zu stehen, doch hier nicht der Ort ist, sie auszusprechen. Ich weiß, wenn ich an des Königs Majestät in diesem Augenblicke denke, kaum Anderes zu sagen, als daß Ihn Gott erleuchten und stärken möge, daß Er den Weg gesegneten Fortschrittes finde zu Seinem und Seines Volkes Frommen. Daß Ihm des Volkes Vertreter nicht fehlen werden, wenn Er sie auffordert, Ihm zur Seite zu stehen, Ihn zu tragen, zu stützen und Ihm zu helfen, darüber ist in dieser Versammlung, im ganzen Volke, nur Eine Stimme.

(Ein tönendes Ja der Versammlung erschallte.) Abgeordn. Grabow: Nachdem wir mit der Berathung des Kriminalrechts uns sieben volle Wochen beschäftigt haben und jetzt . Schlusse gediehen sind, hat ein Jeder von uns die Pflicht, sich gutachtlich auszusprechen, ob das nach diesen Berathungen ini * geschehen, von uns amendirte Kriminalrecht auch, sofort pu⸗

zirt werden könne. Ich bin der Ueberzeugung, daß dies nicht ge—

vergessen hätten,

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schehen kann, und habe in dieser Hinsicht zuvörderst eine Bemerkung, die der geehrte Vorsitzende der Abtheilung gemacht hat, zu wider⸗ legen. Er vermeint. daß der Ausschuß seine Stellung verkennen dürfte, wenn er die Publication des KFriminalrechts an Bedingungen knüpfe. Ich glaube nicht, daß wir mit Verneinung der obigen Frage und mit dem losruch unserer gewonnenen Ueberzeugung Über das, was vor Emanation des Strafrechts noch nothwendigerweise gesche⸗ hen müsse, Bedingungen stellen; ich erinnere daran, daß wir auf allen Landtagen n ! Schluß-Erklärungen als Quintessenz unserer Berathungen und Begutachtungen über alle Gesetz Vorlagen abgege— ben haben. Ich meine, daß uns der S§. 1. der Einführungs-Ordnung ausdrücklich dazu auffordert, uns am Schlusse unserer Here, über das Strafgesetzbuch zu fragen, ob das Strafgesetz auch wirklich so, wie wir es modifizirt haben, ins Leben treten kann, mit welchen Modalitäten oder ob es ganz zu verwerfen sei? Ueber alle diese Schlußfragen spreche ich meine gewonnene Ueberzeugung im 1Sinne der Majorität der Abtheilung unverholen hiermit aus. Sie gründet sich darauf, daß das neue Kriminalrecht zu gleicher Zeit in Geltung kommen soll, neben unserer alten Kriminal-Prozeß⸗ Ordnung vom Jahre 1805, neben dem neuen Gesetz vom 17. Juli 1846, neben dem rheinischen Verfahren und sogar in einzelnen Theilen der Mo⸗ narchie neben dem allgemeinen deutschen Strafprozeß. Ich muß als früherer Kriminalrichter bekennen, wie ich nicht glaube, daß man ein Strafrecht so normiren und abfassen könne, daß es zu gleicher Zeit in vier ganz verschiedene Verfahren hineinpaßt, und glaube meine Ansicht dahin motiviren zu dürfen: Wir erstreben mit unserem Straf⸗ rechte eine Einheit des Rechtes, eine Gleichheit vor dem Richter im ganzen Lande. Um diese aber möglich machen zu können, ist es auch nothwendig, daß nur ein Verfahren da sei, wodurch diese Einheit des Rechtes ausgesprochen, diese Gleichheit vor dem Richter zur Gel⸗ tung gebracht werden kann. Wenn nun aber in der alten Kriminal⸗ Prozeß ⸗-Ordnung vom Jahre 1805 eine ganz genau normirte Bex weis-Theorie ausgebildet ist, wenn im neuen Verfahren vom 17. Juli 1846 die Ueberzeugung des Richters an deren Stelle tritt, wenn im rheinischen Verfahren in Betreff der Beweistheorie sogar noch ein anderes Institut, das der Geschworenen, vorhanden ist, so muß ich mich billig fragen, ob es möglich ist, nach diesen drei verschiedenen Beweis⸗-Theorieen auch ein Recht, dieselbe Strafe in den gleichen Fällen aussprechen zu können? Und da muß ich mir die Mög⸗ lichkeit denken, daß dies nicht der Fall ist, nicht der Fall ist bei der alten Kriminal⸗-Prozeß-Ordnung und dem jetzt in Berlin eingeführten Strafverfahren. In der alten Kriminal- Prozeß Ordnung ist der Richter an bestimmte gesetzlich vorgeschriebene Beweisregeln gebunden, in dem neuen Verfahren urtheilt er nur nach seiner gewonnenen Ueberzeugung. Ich glaube, daß möglicherweise da, wo nur eine außerordentliche Strafe nach der Kriminal-Prozeß-Ordnung ausge⸗ sprochen werden kann, der Richter in dem neuen Verfahren die volle Strafe anwenden oder den Angeschuldigten von der Anklage entbin= den muß, und Aehnliches wird auch nach dem rheinischen Verfahren, im Vergleiche zu unserem alten und neuen Verfahren, der Fall sein, weil der Geschworene nur schuldig oder unschuldig aussprechen kann, eine außerordentliche Strafe, eine absolutio ab instantia, eine Ent⸗ bindung von der Anklage alfo nicht denkbar ist. Wenn diese Rechts—⸗ ungleichheit das verschiedene Verfahren nothwendigerweise herbeifüh⸗ ren muß und nach meiner Ueberzeugung das materielle durch das for⸗ melle Recht und umgekehrt nothwendig bedingt ist, so kann ich auch nur annehmen, daß der neue Strafgesetz⸗Entwurf zur Herbeiführung der gewünschten Rechtseinheit und Rechtsgleichheit im ganzen Lande nur tauglich sein würde neben einer Kriminal-Prozeß- Ordnung, die zum Zweck der Rechtseinheit und Rechtsgleichheit auch die verschiedenen Ver⸗ fahren in der preußischen Monarchie auszugleichen sucht. In dieser Hinsicht ist es zur Zeit noch nicht unbestritten, ob für das neue Ver⸗ sahren vom 17. Jull 1846 nicht noch eine Erweiterung dahin erstrebt werden müsse, daß das Geschworenen-Gericht, dieses altdeutsche In⸗ stitut, wieder ins Leben gerufen werde. Wenn die Wiederbelebung bieses höchst wichtigen Instituts aber in diesem Augenblicke vielfältig im deutschen Volke ventilirt wird, so glaube ich, daß es höchst pas⸗ send und sehr zutreffend sein würde, wenn Preußens allgemeine Ständeversammlung über eine so höchst wichtige kriminal politische Frage sich auszusprechen Gelegenheit hätte. Mit Rücksicht auf diese und die anderweitig schon geltend gemachten Gründe halte ich es un⸗ ter allen Umständen für unerläßlich, daß das neue Kriminal- Recht nicht eher in das Leben trete, als bis eine neue Kriminal- Prozeß- Ordnung dem Vereinigten Landtage vorgelegt und von ihm nach al⸗ len den einzelnen Hauptgesichtspunkten und Kriterien, die der Krimi= nal⸗Prozeß⸗Ordnung zu Grunde liegen müssen, berathen worden ist. Man könnte einwenden, daß das Prozeßverfahren, die Kriminal-Pro- zeß-Ordnung, nicht zu den Gesetzen gehöre, welche von dem Verei⸗ nigten Landtage zu berathen seien. Ich muß aber erklären, daß ich die Kriminal-Prozeß- Ordnung für ein Gesetz erachte, welches nicht ohne Beirath des Vereinigten Landtages erlassen werden kann; denn in der Kriminal- Prozeß- DOrdnung muß unter Anderem auch darüber verhandelt werden, wie es mit der Freiheit der Personen gehalten werden soll. Die persönliche Freiheit jedes Staatsbürgers ist aber recht eigentlich ein jus personalissimum, und schon allein aus die⸗ sem Grunde dürfte der Kriminal-Prozeß-Entwurf unter allen Um⸗ ständen dem Vereinigten Landtage vorzulegen sein. Wenn wir hier- nach den beiden ersten Schluß - Erklärungen der Majorität der Ab⸗ theilung unbedingt beitreten müssen, so glaube ich auch ein Gleiches thun zu müssen in Betreff des dritten Punktes. Es sind für den⸗ selben Gründe des Rechtes, Gründe der inneren Nothwendigkeit und Gründe der Zweckmäßigkeit in so großer Menge geltend gemacht, diskutirt und ausgesprochen worden, daß ich in dieser Beziehung nichts mehr hinzuzufügen habe.

Justiz-Minister Uhden: Ich will nur gegen eine Behauptung des geehrten Redners, der so eben gesprochen, etwas erinnern; der⸗ selbe hält es nämlich unmöglich, dieses neue Strafgesetz mit unserer Kriminal-Ordnung auszuführen. Dem muß ich entschieden wider= sprechen, und habe ich in dem Vortrage des geehrten Redners den strin⸗ genten Beweis darüber vermißt. Es ist nur hervorgehoben worden, in der Kriminal- Ordnung wäre die Beweistheorie verschieden von der des Verfahrens im Gesetze vom 17. Juli 1846. In einer Beziehung muß ich solches allerdings zugeben, insofern nämlich in der Kriminal= Ordnung sehr positive Beweisregeln vorgeschrieben sind. Aber es ist ein Punkt übersehen worden, nämlich daß der Richter auch nach die—⸗ ser Verordnung auf seine subjeltive Ueberzeugung verwiesen wird. Der §. 393 der Kriminal-Ordnung lautet nämlich:

Der Richter hat hinreichende Gewißheit, wenn für die Wahr- heit eines Umstandes vollkommen überzeugende Gründe vorhanden sind und nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge ein bedeutender Grund für das Gegentheil nicht wohl denkbar ist.“

Dieser Paragraph hat in der Praxis allerdings zu verschiedenen Auslegungen Veranlassung gegeben, man hat gesagt, er beziehe sich nur auf den Beweis von Rebenumständen, nicht darauf, ob der Ver⸗ brecher der Hauptthat schuldig sei oder nicht. Andere Gerichtshöfe haben ihn aber so ausgelegt, daß, wenn gewisse Beweise vorliegen, auch auf die ordentliche Strafe ex indiciis erkannt werden könne. Das Gesetz vom 17. Juli 1846 verfügt nun im 8. 19

Die bestehenden gesetzlichen Vorschriften über das Verfahren

bei Aufnahme der Beweise, insbesondere auch darüber, welche Per=

sonen als Zeugen vernommen und vereidet werden dürfen, bleiben ferner maßgebend. 12

Dagegen treten die bisherigen positiven Regeln über die Wir- kungen der Beweise außer Anwendung. Der erkennende Richter hat fortan, nach genauer Prüfung aller Beweise für die Anklage und Vertheidigung, nach seiner freien, aus dem Inbegriff der vor ihm erfolgten Verhandlungen geschöpften Ueberzeugung zu entschei- den: ob der Angeklagte schuldig oder nicht schuldig, oder ob derselbe von der Anklage zu entbinden sei. Er ist aber verpflichtet, die Gründe, welche ihn dabei geleitet haben, in dem Urtheil anzugeben.“

Es ist also nicht richtig, daß der Richter ausschließlich nach sei⸗ ner subjektiven Ueberzeugung, d. h. nach einer rein willkürlichen Be⸗ stimmung, zu erkennen habe, sondern er ist darauf hingewiesen, Gründe anzugeben, worauf er seine Ueberzeugung stützt. Ich kann aber auch nicht zugeben, daß von der Beweis- Theorit die materiellen Straf⸗ bestimmungen ahh n ig wären.

Zum Belag will ich noch historisch anführen, daß in Westfalen Geschworenengerichte bestanden und entschieden haben, während gleich⸗ zeitig das Allgemeine Landrecht bestand. Ich kann also die Unmög⸗ lichkeit durchaus nicht zugeben, daß das neue Strafgesetz bei den ver⸗ schiedenen Formen der Prozedur unausführbar sei. Der Beweis dar⸗ über dürfte schwer zu führen sein. Ich habe aber ich muß mir erlauben, dies von meiner Person anzuführen in Untersuchungs⸗ sachen einige Erfahrungen gesammelt. Ich bin lange Zeit Unter⸗ suchungsrichter bei dem hiesigen Kriminalgericht gewesen und Spruch⸗ richter bei dem Kriminal-Senat des Kammergerichts und getraue mir deshalb ein Urtheil über die Ausführbarkeit zu. Nach meiner innig⸗ sten und vollsten Ueberzeugung kann aber dieses Strafgesetzbuch auch auch mit unserer Kriminal-Ordnung sehr wohl ausgeführt werden.

Vice⸗Marschall Abgeordn. von Rochow: Es ist der Antrag gestellt worden, das neue Kriminalrecht nicht eher zu publiziren, als bis die Kriminalprozeß-Ordnung vorher von dem Vereinigten Landtage berathen worden sei. Ich erkenne es als einen Uebelstand an, daß mit dem Kriminalrechte die Kriminal⸗Ordnung nicht hat zugleich vor⸗ gelegt werden können. Indeß dies hat wahrscheinlich in nicht zu be⸗ seitigenden Umständen gelegen, und ich erachte diesen Uebelstand nicht für fo groß, daß ich mich dadurch von dem Wunsche, das Kriminal⸗ recht bald erscheinen zu sehen, abhalten lassen kann, weil ich glaube, daß die Vorlage der Prozeß -Ordnung in der allernächsten Zeit doch noch nicht erfolgen werde. Das neue Kriminalrecht enthält die Ver⸗ schmelzung des rheinischen Rechtes mit dem Rechte der alten Pro⸗ vinzen. Der Entwurf, der jetzt aus unserer Berathung hervorge⸗ gangen ist, mag noch mancher Verbesserungen fähig sein. Indeß auf diese Verbesserungen, so wie auf die Materie des Rechtes selbst, kann ich einen so ungeheuren Werth nicht legen. Ich habe die Meinung, daß auf die Handhabung eines Gesetzes mehr ankomme, als auf das Gesetz selbst, und daß man unter mancherlei Gesetzen glücklich leben und gerecht behandelt werden könne, Ich habe also eine so entschiedene Vorliebe für das, was wir hier zu Stande , ha⸗ ben, nicht. Ich muß vielmehr gestehen, daß ich eine Vorliebe für das Allgem. Landrecht habe. Ich bin unter demselben so zu sa⸗ gen groß geworden; es ist mir in meiner Jugend gelehrt wor⸗

den, und ich habe erfahren, daß unter der Herrschaft desselben Ge⸗ rechtigkeit im höchsten Grade bei uns geübt, daß mein Vaterland un— ter demselben groß und mächtig geworden ist. Ich kann im Gegen⸗ theil nicht leugnen, daß ich gegen das rheinische Recht ein sehr großes Vorurtheil gehabt habe. Ich entbehre jeder gelehrten Bildung; ich habe in den Feldlager der Kriege gegen Frankreich meine Erziehung vollenden müssen und bin mit Haß erfüllt wor⸗ den gegen Alles, was von unseren Unterdrückern und von dem, der sie damals regierte, ausging. Das Napoleonische Recht war mir demnach in Grund und Boden verhaßt. Im Laufe der neueren Zeit bin ich damit versöhnt worden, und zwar dadurch, daß eine schöne, altdeutsche, echt preußische Provinz unseres Vaterlandes unter diesem Rechte sich glücklich fühlt und unter allen Bedingungen sich es zu erhalten wünscht. Das ist für mich hinlänglich gewesen, in der Ver⸗ schmelzung mit demselben nichts zu sehen, was ich nicht als wünschens⸗ werth erachten sollte. Da diese Verschmelzung nun zu Stande ge⸗ kommen ist, habe ich auch den Wunsch, daß ihr ein baldiger, glück⸗

licher Erfolg gegeben werden möge; und wenn ich auf das Produkt

selbst nur einen untergeordneten Werth lege, so lege ich einen um so

höheren und größeren auf die vollständige Rechtsvereinigung mit der

Provinz, die ich bezeichnet habe. In diesem Augenblicke gerade

wünsche ich, daß Alles zwischen uns und unseren rheinischen Brüdern,

die jetzt recht eigentlich auf dem Vorposten stehen, gemeinsam sein

möge. Von mehreren Seiten her sind Bedenken gegen die Bestim⸗

mungen, die hier angenommen oder nicht angenommen sind, erhoben

worden. Auch ich habe dabei mancherlei Wünsche unerfüllt gesehen,

aber dadurch ist mir nicht eine solche Wunde geschlagen worden, daß

ich nicht die Nothwendigkeit der vollständigen Einheit unseres Vater⸗

landes viel höher achten sollte. Im Gegentheil, wie die Sachen jetzt

stehen, würde es eine Wunde für mich sein, wenn wir der Gewähr die⸗

ser Einigkeit in irgend einer Beziehung entbehren. Ich wünsche also,

daß das Kriminalrecht, wie es aus unseren Berathungen hervorge⸗ gangen ist, und mit den Bestimmungen, die Se. Majestät der König

etwa noch darüber treffen wird, auf das baldigste publizirt werden

möge, wünsche, daß kein weiterer Antrag sich hieran knüpfe, und daß

de, e der Antrag der Majorität der Abtheilung nicht angenommen

werde.

Justiz-Minister von Savigny: Ich bitte ums Wort. Die Mehrheit der Abtheilung und mit ihr viele einzelne geehrte Redner in der heutigen Sitzung sind von der Ueberzeugung ausgegangen, daß zwischen dem materiellen Strafrechte und der Strasprozeßordnung ein sehr inniger Zusammenhang bestehe, ein so inniger Zusammenhang, daß, wenn im Strafrechté eine große Reform vorgehen solle, man vorher genau übersehen müsse, nach welchem Prozeßverfahren dieses Recht angewendet werden solle. Nun aber, wird gesagtz haben wir jetzt in verschiedenen Theilen unseres Landes ein verschieden es Ver⸗ fahren. In einem großen Theile unseres Landes, sagt man, ist die⸗ ses Verfahren in einer Art von Bewegung, und Ks steht ihm eine

roße Reform bevor. So lange also hier nicht , n r , sind, so lange nicht ein . Stand unt . 8 nicht nen ist, kann man ein defnitives Untheil 66 p p gleform des abgeben. Es muß also abgewartet werden. .

ö: t J bsichtigt wird, zunächst vollendet werde; Strafverfahrens, so weit sie bea sichtig ehre tl grschchen, wenn es mit anderen Worten, Beides 564 1 , . giebt Wahr⸗ sicher und, zu oerl gesthe en i edehnte Anwendung, d. h. durch heiten, die nur burch engen h inbüßen, und dahin

rei ihren Wahrheitscharakter ganz einbüßen⸗ Uebertreibung, ihren W e enn e n echne ich die hier erwähnte Behauptung. Ich bin so weit en fernt, 174 ZƷusammenhang zwischen dem materiellen Strafrechte und

36 5. ĩ ĩ ielmehr hierin viel weiter afverfahren zu verkennen daß ich vielmehr hi . 3 Redner, die wir darüber gehört haben. Ich

in viel weiter, indem ich behaupte, daß ein eben so wesent= . el n enhah besteht auch zwischen Strafrecht⸗ und Civilrecht. gehe wester. Auch alle anderen Zweige der Gesetzgebung stehen Damnik in Zusammenhang. Ich behaupte, daß alle Theile unseres Rechtszustandes eine organische . bilden. Wollte man nun aber,

in Anerkennung dieses organischen Zusammenhanges, so weit gehen,