1861 / 59 p. 3 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

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September 1860, über die auf den Kampf in den Abruzzen bezüglichen Pwelamationen der sardinischen Generale, über die Aufhebung der admi⸗ nistrativen Autonomie Toskana's, der Depeschen Elliot's über das Plebi⸗ scit, welches die gesonderte Existenz der Regierung der beiden Sicilien aufhob, der Depeschen zur Erklärung des außerordentlichen Umstandes, daß einige der constitutionellen Minister des Königs von Neapel in der⸗ selben Amtsstellung unter General Garibaldi verblieben, und der Berichte über das Verhalten der britischen Flotte im Mittelmeer von der Zeit der Landung Garibaldi's an. In seiner Motivirung sagt Lord Normanby, das italienische Blaubuch, das Lord J. Russell vorgelegt, zeichne sich nicht durch die Klarheit, Offenheit und Vollständigkeit aus. Nach dem Blau— buch könnte man glauben, daß Sir J. Hudson in Turin sehr wenig Ein— fluß auf den Gang der Ereignisse zu üben gesucht, während das Gegen⸗ theil der Fall war, so daß man sich in den sardinischen Kammern darüber beklagt habe. Es scheine demnach, daß Hudsons Korrespondenz mit Cabour sich nicht zur Vorlage eigne. (Hört! Hört Ein Lord Stratford de Redeliffe, oder Sir H. Bulwer, oder Sir H. Seymour würde an Hudson's Stelle klare und staatsmännische Darstellungen der politischen Lage gelie⸗ fert haben, aber von Hudson wisse man eben nur, daß er sich in der Savohen⸗ und Nizza⸗Frage vom Grafen Cavour hinter's Licht führen ließ (Hört! Hörth „In dieser Frage, fahrt der Marquis fort hat auch der Staatssecretair des Auswärtigen seinen Ton zu ändern gewußt. Einmal überraschte er seine Freunde durch eine Aufwallung wahrer Mannhaftigkeit und sprach gar tapfere Vorsãäͤtze aus; aber bald nahm er sie mit so gefühlloser Gleichgültigkeit zurück, als handelte es sich um nichts als eine Reformbill (Cheerss.“ Dann kommt der Antragsteller auf die gegenwärtige Lage Italiens zu sprechen, und nach der Bemerkung, daß inan mit den hochträbenden Kedensarten von „nationaler Unabhängigkeit“ und constitutioneller Freiheit“ in keiner revolutionairen Periode seit 70 Jahren größern Mißbrauch getrieben habe als in der gegenwärtigen, sagt er: „Niemand würde so gern wie ich die Interessen Italiens fördern, aber es giebt zwei Italig's. Die eine Italia ist die mehr oder weniger föderative; dies ist das Italien aller Zei⸗ ten und Erfahrungen, das Italien Dante's und Macchiavelli's und aller shiloso⸗ phischen Staatsmänner von damals bis auf unsere Tage, das Italien Cesare Balbo's, Gioberti's, Alberi's, Ferrari's und endlich zweier Männer, die, wie ich persoͤnlich weiß, ein tiefes Verständniß Italiens haben, des Kaisers Napoleon und Lamartine's. Das andere funkelnagelneue Italien ist das einheitlich gemachte, das Italien Cavour's, Buoncompagni's, Li— borio Romano's und leider auch Lord J. Russells. Indem die piemontesische Regierung auf diese „Unification“ losarbeitet, zeigt sie eben so viel Verwegenheit im Planmachen wie Zaghaftigkeit in der Ausführung. Hätte Victor Emanuel genügenden Entbusias— mus für seine Idee zu erwecken vermocht, so müßte er ihn benutzen, um den Fremdling auszutreiben, der noch im nordöstlichen Winkel der Halbinsel sitzt. Aber Victor Emanuel ist schlau und weise. Ja, die pie⸗ montesische Regierung liebt die verborgenen Wege (hört! hört) Dies sah

man auch in Sicilien, wo sie Garibaldi alle Gefahr ließ und selber allen

Gewinn einsteckte obgleich Garibaldi selbst aufrichtig genug sein würde, zu gestehen, wie sehr ihn Sardinien bon Anfang an unterstützt bat. Garibaldi kam mit Stahl und Blei, aber alles Gold kam von Sardinien

(hört! hörth und das Gold hat mehr als Stabl und Rigi ausgerichtet. Meiß doch alle Malt, Saß die w Regierung 500, 000 Pfd. in Si⸗

eilien ausgab, und kurz, ehe Garibaldi in Reapel einzog, 25,0060, 000 Fr. auf Bestechung aller dortigen Beamten und Armee- und Flotten⸗ Offiziere verwendete, und daß ein neapolitanischer Banquier das Geld dazu gegen 8 Prozent Zinsen und 2 Prozent Prämie vorschoß. Man weiß auch, daß Liborio Romano, den Franz II. zu seinem constitutionellen Minister machte, ihn auf das schmäbhlichste verkauft und verrathen hat. Aber Victor Emanuel ist der König⸗Ehrenmann. Er hat wie er in einer Proclamation sagt nie zwischen seinem Thron und seinem Wort geschwankt; nein, er war stets entschlossen, den Thron zu nehmen und das Wort nicht zu halten. Hat Victor Emanuel das Wort gehalten, das er gab, keinen Theil seiner Lande je zu verschachern? Oder das Wort, das er Franz II. gab, daß er gegen Garibaldi's Unternehmen sei? Dies ist die Moral des wiedergebornen Italiens. (Hört! Hört!) Nach dem Allen glaube ich, daß die Nachwelt den Namen Il RS Galantuomo ganz anders als die Gegenwart aussprechen wird. Es ist ein anderer Titel erledigt, der auf ihn besser passen wurde König Bomba sollte er beißen denn ich glaube, kein König hat so diele Städte bombardirt wie er. Gleich nach seiner Thronbesteigung bombardirte er seine eigene Stadt Genua, und seitdem die Städte Ancona, Capua und Gaeta. Ich will jetzt die Aufmerksamkeit Ihrer Lordschaften auf den wirklichen Hergang bei den italienischen Wahlen lenken. Was die Plebiscite betrifft, so fand ich zum ersten Mal, daß man sich einbilden konnte, ein Volk ver—

moͤge seine Meinungen frei zu äußern, während eine revolutionaire Armee das Land besetzt hält und fast alle Provinzen sich im Belagerungszustand ich ge⸗

befinden. Um nur Ein Beispiel zu erwähnen, so habe g hört, daß der Bürgermeister eines Ortes im Neapolitanischen am Tische saß, die Urne auf der einen, die Stimmzettel auf der anderen Seite. Er saß und wartete, und es kam Rie mand, um zu stimmen. Da sagte der Bürgermeister: „Wer schweigt, sagt Ja“, warf den ganzen Haufen Zettel in die Urne, die er dann dersiegelte und den revolutionairen Behörden zusandte. Was denken Ihre Lord⸗ schaften von der Echtheit dieser Volkswahlen, wenn man weiß, daß Ge⸗ neral Garibaldi als damaliger Diktator 6 Tage vor dem Plebiscit in der Amtszeitung mit Bestimmtheit verkünden Üieß, daß das Königreich beider Sieilien unauflöslich mit dem constitutionellen Königreich des ganzen Italien unter Victor Emanuel und seinem Nach⸗ kommen bereinigt sei? Ich muß endlich sagen, daß eine Politik, welche die Rerolution aůfmuntert und die sogenannten Nationalitäten aufstachelt einem Reich, wie England, das in seinen zerstreuten Besitzun⸗ gen so viele Millionen Unterthanen von den verschiedensten Racen und Religionen zählt, Schaden bringen muß; und ich glaube, daß keine Nation sch je einer dauernden Blürhe erfreuen kann, wenn sie die auf Staaten, wie auf Individuen allgemein anwendbare goldene Regel: „Thue Andern,

wie Du wünschest, daß sie Dir thuen“, ganz und gar mißachtet.“ (Hört! Hörth Lord Wodehouse (der Unterstaatssecretair des Auswärtigen) erwidert, daß, da der edle Marquis gegen Ihrer Majestät Regierung keine spezifische Anschuldigung vorgebracht habe, eine Rechtfertigung derselben weder nothwendig, noch gut möglich sei. Einige der verlangten Ausweise und Depeschen könnte vielleicht das sardinische Parlament vorlegen, nicht Ihrer Majestät Regierung. Er brauche nicht zu wiederholen, daß Lord John Russell standhaft die Politik der Nichteinmischung in die italienischen Angelegenheiten befolgt habe. Es komme ihm nicht in den Sinn, die von den sardinischen Truppen in Süditalien geübte grausame Strenge rechtfertigen zu wollen, aber man dürfe nicht vergessen, wie sehr die Sardinier gereizt und durch

die martervolle Hinrichtung ihrer Kameraden und rieler harmlosen italie— .

nischen Liberalen erbittert wurden. Eben so wenig wolle er leugnen, daß es bei einem Plebiscit nicht immer ganz regelrecht und tugendhaft herzugehen pflege, daß mancherlei Einflüsse zur Bearbeitung des Volkes ge⸗ braucht werden; aber man müsse dieses System mit dem früherer Zeiten verglei⸗ chen, wo zahlreich bevölkerte Provinzen durch einen Federstrich den Herrn wech—⸗ selten, ohne daß man nur Miene machte, nach den Meinungen oder Ge— fühlen der Bevölkerung zu fragen. Lord Malmesbury findet das bor—

gelegte Blaubuch viel zu dürftig, und Lord J. Russell's Politik sehr in.

konsequent. Der Staats-Secretair des Auswärtigen erkläre selbst in einer seiner Depeschen, daß es seiner Meinung nach für Italien viel besser wäre, aus zwei constitutionellen Staaten zu bestehen, als aus einer ein⸗ zigen Monarchie, und doch habe er alles Mögliche gethan, um die „Uni⸗ fiction“ Italiens zu begünstigen. Lord Norm anby will nur die Mit⸗ theilung der Aktenstücke, deren Veröffentlichung dem Staatsinteresse nicht zuwiderläuft, und in dieser Form wird sein Antrag angenommen.

Unterhaus-Sitzung. Griffith interpellirt den Staatssecretair des Auswärtigen, ob Ihrer Majestaͤt Regierung jetzt, wo das erste sar⸗ dinische Parlament dem Könige von Sardinien einstimmig den Titel „König von Italien“ votirt habe, den Zusammentritt eines Kongresses zur Regelung der ita lienischen Angelegenheiten, wie derselbe von der franzoͤsischen Regierung vorgeschlagen wurde, für nothwendig er— achte. Lord John Russell erwidert, der Regierung liege eine der⸗ artige Proposition zu einem Kongresse nicht vor, und würde ein solcher Antrag gestellt werden, dann wäre es erst ihre Pflicht, ihn in Erwägung zu ziehen. Auf eine Anfrage Monsell's, ob die Regierung bereit sei, dem Hause weitere Aktenstücke über Syrien vorzulegen, antwortet Lord John Russell: Die bereits vorgelegten Dokumente reichen bis zum Conventionsabschluß. Die auf die späteren Unterhandlungen bezüglichen werde er aus schuldiger Rücksicht für die noch schwebenden Verhandlungen nicht vor Ostern mitzutheilen im Stande sein. Gleichzeitig erklärt Lord John, er wünsche nachträglich die Frage ausführlicher zu beantworten, ob der russische Gesandte in Konstantinopel eine Note oder Vorstellung an die Pforte gerichtet und ob der französische Gesandte diese unterstützt habe. Betreffs des zweiten Theils der Frage, den er in verwichener Racht nicht genügend zu erledigen im Stande war, könne er heute mittheilen, Lord Cowleh habe von Herrn Thouvenel zu verstehen bekommen, daß der fran— zoͤsische Gesandte sich bei dieser Angelegenheit gar nicht betheiligt, daß er sene Forderung nicht unterstützt und auch keine Ansicht über dieselbe aus— gesprochen habe. Der französische Gesandte babe sich damit begnügt, die Hoffnung auszusprechen, daß Reformen ehestens eingeführt werden möch— ten, damit die Nothwendigkeit der von Ihrer Majestät Regierung in Vor— schlag gebrachten Gesandten-Konferenz wegfalle.

Frankreich. Paris, 2. März. Der „Moniteur“ ver— kündet, daß er fortan nur die stenographischen Berichte über die Verhandlungen der Staatskörper, nicht aber zusammen—

fassende Uebersichten bringen werde. Die Adreß-Debatte im Senat eröffnete am 28. Februar der

Marquis Larochejaquelein, welcher zunächst der allgemelnen Politik

des Kaisers seine Zustimmung gab. Nach dem Feldzug in Italien, be— merkte er dann, hatte der Kaͤiser das Recht, als Herr zu sprechen. „Aber man hätte zur gelegenen Zeit sprechen sollen. Jeder Tag seit Villafranca verminderte den Einfluß Frankreichs in Italien. Nun kam der Vertrag von Zürich. Er bestätigte die Rechte der Souberaine bon Toskana, Parma und Modena. Wie hat Piemont diesen Vertrag gehalten? Man weiß es nur zu gut. Es hat ihn mit der Absicht unterzeichnet, ihn nicht zu balten. Welchen Namen verdient ein solch es Betragen? Lesen Sie Vattel; Es ist eine wahrhafte Schelmerei.“ * Gh! ohh Herr von TFarochejaquelein besprach sodann die Ereignisse, welche sich in der Romagna zugetragen haben, und drückte sein Erstaunen dar— über aus, daß nach den Worten des Kaisers, welcher am 3 Mai 1865 erklärte, daß er die Autorität des Papstes nicht erschüttern, sondern sie in Ansehen bringen werde, Piemont die Rechte des heiligen Stuhls auf die Romagna nicht achtete, und daß das Papstthum in Folge dieses Angriffs sich gezwungen glaubte, an die katholische Welt zu appelliren. Der Redner besprach dann die Vorgänge auf der italienischen Halbinfel von der Abfahrt Garibaldi's nach Sicilien bis zum Rückzug Franz II. nach Gaeta und machte besonders darauf aufmerksam, wie England auf offene und beimliche Weise die ita⸗ lienische Sache immer unterstützt habe. „Die Protestationen Frankreich s gegen das Vorgehen Piemonts waren, bemerkt er, nicht energisch genug, denn ein König, der Frankreich Alles verdankt, hätte sonst nachgeben müssen. Selbst heute noch sitzt die Krone Victor Emanuels so wenig fest, daß ein einziges Wort sie zum Fallen bringen kann. In den Marken, in Umbrien, so wie in Neavel, hat Piemont das Völkerrecht auf gröb⸗ liche Weise verletzt, und statt des schuldigen Dankes hat es den Kaiser, seinen Wohlthäter, der ganzen Welt gegenüber kompromittirt. Als Cialdini in die römischen Staaten einfiel, richtete Herr don Grammont eine Depesche an den französischen Konsul in Cibitabecchia, in welcher gesagt wurde, daß Frankreich sich der Handlung Piemonts widersetzen werde. Hat man sich dem Einfall widerseßt?? Nein. Als man Ctal— dini die Depesche zeigte, lachte er und sagte, daß Piemont und Frank⸗

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reich übereinstimmten. Ja, er eitirte selbst Worte, welche der Kaiser in Chambery zu ihm gesprochen haben soll. Die öffentliche Meinung wurde dadurch in Aufregung versetzt, und Herr Thourenel glaubte ein Dementi ergehen lassen zu müssen. Das war aber nicht genug, man hätte dem Willen Frankreichs vermittelst der Waffen Achtung berschaffen sollen. Es wäre dies noch nicht einmal nöthig gewesen; ein einziges Wert Frank— reichs hätte genügt, Piemont zurückzuhalten. Aber die Langmuth der Re— gierung war außerordentlich. Man kann selbst sagen, daß ihre Haltung mit ihren Werten nicht übereinstimmte. Es giebt Dinge, die schwer zu sagen sind aber da es sich um die Religion handelt, so nehme ich keinen Anstand zu behaup⸗ ten, was alle Männer wissen, welche die diplomatischen Angelegenheiten kennen oder in der Lage sind, die Vorgänge aus Rom selbst zu erfahren: nämlich, daß mehrere Jahre der französische Gesandte am römischen Hof nicht ganz die Ansichten seiner Regiagrung theilte und den Interessen Frankreichs besser zu dienen vermeinte, wenn' er das römische Kabinet manchmal zum Widerstand ermuthigte, anstatt es zu Konzessionen zu drängen.“ Herr Thouvenel pratestirte zur Vertheidigung des An⸗ denkens des Herrn von Rayneval' gegen diese Worte. Marquis de la Rochejaquelein behauptete, daß er die Wahrheit gesagt. Prinz Napoleon verlangte Beweise; der Marquis de la Rochejaquelein erwiderte, er könne diese nicht geben, doch wisse es Jedermann. Prinz Napoleon behaup Se das Gegentheil zu wissen. Graf Walewsfi widersprach dem Redner ebenfalls, und der Präsident beschwor ihn, im Namen der Würde des Senats und der eigenen Würde, seine Worte zurückzunehmen; allein der Marquis de la Rochejaquelein erklärte, daß er setne Behauptung nicht leichtsin niger Weise hingestellt habe. Der Redner tadelte es darauf als unedel und gefährlich, daß man den Papst angeklagt habe; man diene dadurch schlecht dem Kaiser Napoleon, der sich' den ältesten Sohn der Kirche nenne, Dann ging derselbe auf die Gefahren über, welche die Konstituirung eines einigen Italiens Frankreich bringen könne. Man werde sich, sagte er, dadurch weder einen dankbaren, noch einen getreuen Alliirten schaffen. Wolle man eine Ration begründen, welche die demo— kratischen Ideen nicht zu zügeln vermöge, welche den Völkern Freiheiten bringen werde, die Frankreich nicht besitze! Und um eines so unheil⸗ bollen Resultats wolle man das Haupt der Christenheit im Stiche lassen. Die Nichtintervention in Italien sei englisch und nicht französisch. dies gehe deutlich aus dem Blaubuͤch hervor. Er glaube, Frankreich sei in dieser Sache von England hintergangen und mit fortgerissen werden; es sei die höchste Zeit anzubalten. Darauf erhält Baron Beeckeren das Wort, um den Stellen der Adresse, welche die römische Frage und die italienische Frage betreffen, eine be— stimmtere Fassung zu wünschen: Die römische Frage hat einen doppelten Ehgrakter, einen religibsen und einen politischen. Zwei Länder sind außer⸗ halb ihrer Grenzen sür die Religion ibätig: das Protestantische England und das katholische Frankreich; jenes, seinem National-Charakter gemäß, durch individuelle Bemühungen, dieses durch Missionen, welche vom Papst⸗ thnm abhangen. Aber das Papstthum kann die Missionare nicht schützen; dieselben würden Martyrer werden, wenn Frankreich nicht die Hörer ihres Wortes in seinen Schuß nähme. Rom aufgeben, heißt diesen Stand der Dinge gefährden. Wenn man den Papst seiner weltlichen Herrschaft be⸗ raubt, wird er, das ist unzweifelhaft, auch weniger geistliche Macht haben. Was wäre der Papst in Fontainebleau? (Bewegung) Es ist wahr, man will den Papst nicht in die Verbannung treiben: er soll auch künftig im Vatikan thronen unter dem Schutze des Königs Viktor Ema— nuel, der geruhen wird, über ihn zu wachen. (Lachen) Der Papst würde das nicht wollen. Frankreich darf den Papst nicht im Stiche lassen; alle Traditionen verbieten es ihm. Die Juli-Negierung hat die Macht des Papstes aufrecht erhalten. Nach 1848 forderte Baͤrrot die Wieder— herstellung der päpstlichen Macht. Aus Religionseifer? Nein, aus Po⸗— litik, aus Frankreichs Interesse. (Zustimmung.) Die französische Be⸗ satzung muß in Rom bleiben, so lange die Sicherheit des Papstes bedroht ist. Sodann geht der Redner zu einer Schilderung des Benehmens über, welches Piemont während der ganzen italienischen Revolution beob— achtet, und beantragt als patrotische Pflicht, einen lauten Tadel deshalb über die piemontesische Regierung und ein lautes Lob über den König Franz II. auszusprechen. Schließlich billigt er den Geist der Adresse in dem Sinne, daß sie sich im Anschlusse an die in der Thronrede bekundeten Hoffnungen zu Gunsten des heiligen Stuhles und in scharfem Tadel Über die Handlungen, welche den König bon Neapel gestürzt, ausspreche. Es sei aber nöthig, daß diese Handlungen näher bezeichnet würden; auch hätten die Hoffnungen auf die Zukunft klarer ausgedrückt sein können. (Von mehreren Bänken werden zahlreiche Rufe vernommen.) Sodann er⸗ hebt sich Piet ri, um sich in dem bereits telegraphisch angedeuteten Sinne über die römische Frage auszusprechen. Wir entlehnen dem vom „Moniteur“ mitgetheilten stenographischen Texte der Rede folgende Stellen: der Mäßigung des Kaisers ist es jetzt vielleicht erlaubt, zu bedauern, daß der Erfolg der französischen Waffen in Italien nicht weiter verfolgt ward; es war so leicht, und es würden alsdann viele leere Hoffnungen ent⸗ schwunden und viel hartnäckiger Eigensinn zugleich mit den österreichischen Waffen überwunden worden sein Der Papst vergißt, daß er seit ge— raumen Jahren sein Heil und seine Sicherheit der Gegenwart der fraͤn— zösischen Armee in Rom verdankt, und beginnt damit, daß er eine Ench— clica erläßt, worin die Absichten des Kaisers und das in Betreff des hei— ligen Stuhles befolgte Verfahren verleumdet werden. Unter Anderem will er auch seine Armee selber rekrutiren, und beruft zum Befehlshaber sei— ner neuen Soldaten einen französischen General, der aus Haß gegen den Kaiser seit zehn Jahren sich weigert, seinem Vaterlande zu dienen. Kaum ist diese Wabl bekannt geworden, so fühlen alle dem Kaiser feindlich gesinnten Parteien sich mit neuen Hoffnungen erfüllt, die Reaction und der Ultra— montanismus singen Siegesliieder, die politischen Wallfahrten beginnen wie— derum und man macht aus dem katholischen Rom ein neues Koblenz. Fran⸗ zöͤsische Prälaten begehen die Thorheit, mit diesen schmählichen Kundgebun⸗ gen gemeinschaftliche Sache zu machen, und eine neue, doch ohnmaͤchtige Coalition, welche aus den Trümmern der alten Parteien zusammengesetzt ist, scheint sich im Innern zu konstituiren. Es ist bekannt, was aus dieser päpst—

lichen Armee, von der so viel Aufhebens gemacht war, geworden 6 Die päpstliche Regierung wird durch biefe Warnungszeichen des Himmels keineswegs aufgeklärt, und der Papst belegt den Kaiser mit einer Art von Interdikt, indem er hartnäckig den bon der Kaiserlichen Regierung neu er— nannten Bischöfen die kanonische Einsetzung verweigert. (Bewegung auf der Bank der Bischöfe.) . . . . Aber, es ist nicht zu läugnen, trotz dieser so aus— dauernden und so mit Undank belohnten Anstrengungen des Kaisers ist die weltliche Gewalt des Papstes nunmehr eine berlorene Sache, und zwar in Folge der Fehlgriffe ihrer eigenen Rathgeber. Man muß einen Entschluß fassen, wenn man aus dem Schiffbruche noch die Autorität des Papstes als Oberhaupt der katholischen Kirche retten will, und es ist nicht zu ver⸗ kennen, daß, wenn der Papst aufhört, Oberhaupt eines kleinen Staates zu sein, er darum noch keineswegs aufhört, der geistliche Vater der ge— sammten Christenheit zu sein, - Die Unabhängigkeit, die das Ansehen der geistlichen Gewalt des heiligen Vaters erhöht, wird nicht von dieser plumpen, trügerischen Hülle, weltliche Gewalt des Papstes genannt, die gegenwärtig nur noch ein Schild und eine Waffe in den Händen feind— licher Parteien ist, abhangen. Die Sprache und Haltung der royalisti⸗ schen Partei richteten einstmals das Konigthum zu Grunde; die Sprache und Haltung der rohalistischen und ustramontanen Reaction würden jetzt auch die Religion an den Abgrund bringen, wenn Napoleon III. und Frankreich nicht fest entschlossen wären, dieselbe trotz der faktibsen Ueber⸗ stürzungen, die an die schlimmsten Zeiten mahnen, zu retten. Lassrn Sie uns keine Stürme entfesseln, lassen Sie uns bedenken, daß Frankreich überall, wohin seine Grundfätze gedrungen sind, Bundesgenossen zaͤhlt. Wer könnte es wagen, Frankreich diesen moralischen Einfluß zu bestreiten, der es an die Spitze der Völker siellt, und wer hat ihm in Italien eine Sympathie geschaffen, die dereinst durch 300, 000 Mann bertreteén sein kann, welche seiner Fahne auf die Schlachtfelder folgen, wenn es dazu heraus⸗ gefordert werden sollte, un die Siege der Eivilifation zu vermehren

Der letzte Redner ist der Marquis de Gabriac, der sich gegen die Ein— heit Italiens und für das Föderativ „System ausspricht, vor England warnt als dem Nebenbubler, den Frankreich, trotz China, in Italien fürchten müsse, und mit dem Wunsche schließt, daß über die Dauer der syrischen Expedition etwas Bestimmtes gesagt werde.

In der gestrigen Senats fitzung nahm Prinz Napoleon das Wort, um uͤber den Adreßentwurf zu sprechen. Der wesentliche Inhalt der Rede ist bereits telegraphisch mitgetheilt. Es finden sich darin noch folgende Stellen. Ueber die Wien'er Verträge äußert sich der Prinz:

Ohne Zweifel sind diese Verträge zu achten, doch nur unter der Be⸗ dingung, sie zu verfluchen und, wenn wir können, sie zu zerreißen. Europa hat diese Verträge geachtet, aber nur unter der Bedingung, sie zu zerrei⸗ ßen, wenn es gegen uns ging. Denken Sie an Krakau! Ja, man hat sich gegen uns stets auf sie berufen, wahrscheinlich kraft der Lehrsätze des großen Rechtsgelehrten Vatel, den Herr Larochejaquelin gestern citirte. Meine Herren Senatoren! Es ist des Kaisers Nuhm, daß er die Verträge von 1815 mit seinem Schwerte zerrissen hat, und das Volk weiß es ihm Dank.“ Ueber die Unterhandlungen zwischen Turin und Reapel bemerkt der Redner: „Man widersetzt sich nicht, sagte die neapolitanische Regierung, dem Bikartct bes Königs Victor Emanuel über die Romagna und die Legationen, weil diese Provinzen schlecht verwaltet sind, sondern, fügte fie hinzu, es giebt andere, die auch schlecht verwaltet sind, nämlich die Marken und Umbrien; und die neapolitanische Regierung erklärte, daß sie fich dem Vikariate des Königs von Sardinien über die einen nicht widersetzen wolle, unter der Bedingung jedoch, daß der König von Neapel das Vikariat über die an— deren bekäme. Nun weiß Jedermann zur Genüge, was das Wort Vika— riat zu bedeuten hat und was das Ding, das aus dem Mittelalter wieder hervorgeholt wurde, auf sich hat. Läßt sich die Antwort des Herrn bon Martino nicht etwa so auslegen: Schneiden wir den Kuchen in zwei Stücke; Piemont willige ein, und wir sind ganz damit zufrieden?“

Das Amendement, das von den Herren Monnier de la Size— ranne, Geoffroy de Villeneuve, Guyard de Lalain, Larrabure und Oquin zur Adresse des gesetzgebenden Körpers pworge— schlagen wird, lautet:

Getreu der hundertjährigen und nationalen Politik, welche im Jahre 1818 dem heiligen Vater seine Staaten zurückgab, haben Sie, Sire, die Stärke Ihrer Armee vermehrt, als die Sicherheit und Unabhängigkeit des beiligen Vaters in Gefahr schwebten. Der gesetzgebende Körper dankt Ihnen dafür im Namen Frankreichs. Wir hegen das Zutrauen, daß der Kaiser, als Oberhaupt der ersten katholischen Ration, die weltliche Macht des Papstes schirmen wird, welche die nothwendige Bürgschaft für seine geistliche Unabhängigkeit und das Unterpfand für den Frieden Europa's ist.

3. März. (Telegraphisch) In der gestrigen Sitzung des Se⸗ nats hertheidigte der Kardinal Mathleu die Bischöfe und die Anhänger der päpstlichen Sache gegen den von Pietri gestern ihnen gemachten Vor⸗ wurf, daß sie aus polstischen und antikaiserlichen Gründen Opposition zu machen suchten, und bat die Räthe der Krone, sich darüber auszusprechen, ob die Rede des Prinzen Napoleon die Ansichten der Regierung ausdrücke. Billault erklärte, die Regierung sei einzig und allein fär diejenigen ver⸗ antwortlich, welche beauftragt seien, in ihrem Namen zu sprechen, und be⸗ merkte dann: „Unsere Väter, die aufrichtige Katholiken waren, haben nie⸗ mals der weltlichen Macht des Papstthums das Staatsinteresse geopfert). Er warf hierauf einen Rückblick auf die verschiedenen Phasen der ita⸗ lienischen Frage und hob den Widerstand herbor, welcher den weisen Rathschlägen des Kaisers entgegengesetzt worden sei. Man frage äußerte er was die zukünftige Haltung der französischen Regie⸗ rung in einer so schwierigen diplomatischen Frage sein werde, da doch jeder Augenblick die Mittel zu einer besseren Gestaltung der Dinge bringen könne. Eine Antwort sei jetzt unmöglich; doch thue der Kaiser alles, was in seinen Kräften stehe, um sowohl die italienische Freiheit, wie die Unabhängigkeit des heiligen Vaters zu vertheidigen.

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