1863 / 59 p. 2 (Königlich Preußischer Staats-Anzeiger) scan diff

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In der heutigen Sitzung des Abgeordnetenhauses,

welcher die Minister Graf zur Lippe und v. Mühler beiwohnten, überreichten die Abgg. Schulze (Berlin), Immermann und Genossen einen Gesetzentwurf betreffend die Verantwortlichkeit der Mi⸗ nister. Derselbe wurde einer besonders zu erwählenden Kommission von 141 Mitgliedern zur Vorberathung überwiesen. Die Wahl des Kreisrichter Riebl wurde auf Antrag der 2ten Abtheilung des Hau— ses genehmigt, und trat das Haus demnächst in die Berathung von Petitionsberichten, welche bei Schluß unseres Blattes noch fortdauert. Die nächste Sitzung wird voraussichtlich am Mittwoch um 10 Uhr stattfinden.

Die Wiener »Pressen enthält in ihrer Nr. 63 vom 5. März einen Artikel über das Verhalten Oesterreichs zur russisch= preußischen »Convention«, der in zahlreiche hiesige und auswärtige Blätter übergegangen ist. Die Angaben dieses Artikels, welche sich auf die Stellung Preußens in der fraglichen Angelegenheit beziehen, und davon ausgehen, daß Preußen in Wien angefragt habe, ob Oesterreich der sogenannten Convention beitreten wolle, gehören in das Gebiet tendenziöser Erfindungen. Es gilt dieses, wie wir aus⸗ drücklich hervorheben wollen, namentlich auch von der eben er— wähnten angeblichen preußischen Anfrage in Wien und der darauf erfolgt sein sollenden Antwort, so wie von der Notiz, daß, nachdem die West— mächte in Berlin zunächst besondere mündliche Erklärungen in Be⸗ treff des russisch-preußischen Abkommens abgegeben hätten, diesen in den letzten Tagen durch schriftliche Noten ein präziser Ausdruck ge— geben worden sei.

Ueber die kriegerischen Vorgänge in Polen vom 26. Februar bis 6. März sind wir in Stand gesetzt, folgende Darstellung aus amtlichen Quellen zu geben:

Warschau, 26. Februar. Nachdem das Truppendetachement des Obersten Schilder Schudner die Rebellen bei Rrzywosoncz ge— schlagen, setzte es sich zur Verfolgung der geschlagenen und anderer Banden in Bewegung, die, wie empfangene Nachrichten besagten, von verschiedenen Seiten zur Verstärkung der Insurgenten unter Mieroslawski eintrafen. Am 21. Februar stieß das Detachement auf Spuren dieser schon etwa tausend Mann starken Schaar. Sie befand sich in einem Walde bei dem Dorfe Erojaczka, südlich vom Städtchen Pistrkowo im Distrikt Plodaweck. Ein kräftiger Angriff vertrieb die Rebellen aus dem Wald und sie wurden ohne Rast acht Stunden lang 20 Werst in der Richtung des Goplosee's verfolgt. Die Bande war vollständig aufgelöst; die Rebellen haben, ihre Waffen wegwerfend, sich nach verschiedenen Richtungen geflüchtet und mehr als 100 Mann an Todten und 32 Gefangene verloren. Die Truppen haben drei Verwundete.

Warschau, 27. Februar. Der Kommandant des 3. Sappeur⸗ Bataillons marschirte auf die Nachricht, daß sich eine Schaar Rebellen bei Zelechow zeige, mit 3 Compagnieen und 50 Kosaken nach Gorzne, Zelechow und Vola Okrzejeska. Im Walde von Gutow stieß er auf die Insurgenten und zerstreute sie vollständig, nachdem er ihnen 150 Mann getsdtet und sich der Sachen und Papiere des Anführers bemächtigt hatte.

Die Truppen hatten einen Verwundeten und einige von Sensen leicht Verletzte.

Die Truppenkolonnen unter dem Befehl des Obersten Czengiery, des Oberst- Lieutenants Dobrowolski und des Majors Golubiew griffen am 24. Langiewicz bei Malsgoszez an, wo sich eine große Anzahl Banden vereinigt hatte.

Die Rebellen wurden geworfen und bis 6Uhr Abends verfolgt. Sie haben sehr viele Todte verloren, auch hat man ihnen zwei Ka— nonen abgenommen und sie werden unausgesetzt verfolgt. Die Truppen hatten nur vier Verwundete.

Warschau, 28. Februar. Hauptmann Nowrodzko Opoezynetki marschirte an der Spitze eines Detachements von zwei Compagnieen und 100 Kosaken über Brzeziny gegen Lodz, um eine Schaar Re— bellen aufzusuchen. In Lodz angekommen, erfuhr der Führer des Detachemente, daß die Insurgenten, von dem Herannahen der Trup— pen benachrichtigt, sich wieder gegen Brzeziny gewendet hatten. Er setzte sich „demgemäß zu ihrer Verfolgung in Bewegung, und um ihnen den Weg abzuschneiden, rückte er durch die Wälder vor, wo er auf eine etwa tausend Mann starke Bande im Augenblick, wo sie sich um ihre Bivouaks lagern wollte, stieß. Die Rebellen ergriffen die Flucht; aber von den Kosaken verfolgt und von dem Feuer der , . dezimirt, wurden sie vollständig aus— einander gesprengt. 200 Insurgenten sind gefallen, 20 verwundet und S5 gefangen. Man hat ihnen viele Waffen, Pserde und drei Kanonen abgenommen. Von Seiten der Truppen ist ein Soldat todt, einer verwundet und drei haben Kontusionen erhalten. Die letzten Trümmer der Bande des Boydanowicz sind von dem De— tachement des Majors Rabusza vollständig vernichtet. Er selbst ist gefangen und das ganze Gepäck der Bande in unserxer Gewalt.

Die Bande des Langiewicz, die nach der Niederlage in Malo— goszez verfolgt worden war, hatte sich mit den von Jezloranski an—

geführten Insurgenten durch das Militair in Wloszezowa eingeholt und gänzlich aufgerieht.

wieder vereinigt. Am 26. Die ganze auf 70 Wagen geladene Bagage und 1 den genommen. Langiewiez, verwundet, entfloh nach Sandomir.

deren schon ungefähr 200 abgeliefert.

Der Verlust der Truppen ist unbedeutend.

Was die noch anzuführenden irrigen Gerüchte anbetrisst, H hierüber ausgebreitet sind, so giebt man zu erkennen, daß ar o. religiöser oder ärztlicher Beistand, der den Verwundeten dargebracht wird, welche die Banden der Aufständischen verlassen, den

Der Militairbefehlshaber des Gouvernements Radom theilt ü seinem amtlichen Bericht vom 28. Februar über die Vernichtung de Bande des Langiewiez in der Umgegend von Wloszezowa folgend ö Einzelheiten mit. Nach der Niederlage dieses Rebellenhäuptlingẽ n Malogoszez rückte der Oberst Czengiery am 26. mit seiner Kolonn:. vor und erreichte Morgens 9 Uhr an dem bei dem Dorfe Burng gelegenen Walde die Insurgenten. Die Kosaken und Dragon stiegen vom Pferde und eröffneten ein Tirailleurfeuer, während he Infanterie, die in einer Entfernung von 4 Wersten den Wald um stellt hatte, noch zeitig genug anrückte und die Rebellen in völlig Verwirrung brachte. 3 gefangen gewesene Gendarmen und 1 Kosck wurden bei dieser Gelegenheit wieder befreit. Im Lager der Insur— genten fand man 1 Falconet, Gewehre, eine beträchtliche Quantität Pulver, Patronen, Laffeten und viele wichtige Papiere. Außer den Rebellen, die von den Einwohnern ergriffen und ausgeliefert wur. den, ergaben sich viele freiwillig, wodurch die ganze Bande, die öhll Mann zählte, gänzlich auseinandergesprengt wurde. Langiewiez, an Fuß verwundet, hat sich nach den umlaufenden Gerüchten von Jendrsejow ins Ausland gerettet. (Irrthümlich war gestern in dem besonderen Nachtrage des offiziellen Journals - berichtet, daß er in der Richtung nach Sandomir entflohen sei. Die Dorfschulzen zeigen an, daß die Mannschaften der vorbin erwähnten Bande in kleinen Häuflein von 10 Köpfen im Felde nach Nahrung umherirren. Die Bauern, die immer in derselben Gesinnung verharren, freuen sch daß Alles sein Ende erreicht hat.

Der General⸗Major vom Gefolge des Kaisers, Prinz Schakowshh meldet aus Czenstochau, daß eine Expedition, welche in die Umgegen— den von Janow, Lelow, Szezekocin, Koniecpole und Przyrow ab» geschickt worden, bewiesen habe, daß in diesem Bezirk keine aufstän= dischen Banden vorhanden seien. Der Oberst Alenicz, gleichfalls von Czenstochau abgeschickt, aber in einer anderen Richtung und mit 2 Compagnieen und 2 Kanonen, ist unvermuthet am 26. Abends auf eine Bande von 400 Mann gestoßen, die sich an der Lisiere des Waldes bei Pauki aufgestellt hatte.

Nach einigen Kanonenschüssen zog sich die Bande in Unordnung in den Wald, indem sie nach Aussage der Einwohner ungefähr h Todte und Verwundete mitschleppte. Die Nacht erlaubte keine wei— tere Verfolgung.

Der Oberst⸗-Lieutenant Rediczki, welcher in einem Walde he dem Dorfe Skrwilno im Lipower Distrikt eine Bande entdeckt hatte sprengte sie gänzlich. Die Rebellen hatten 30 Todte; 16 Mann wurden gefangen und ihnen Pferde, Trainwagen und eine große Anzahl Waffen genommen.

Am letzten Sonnabend, den 28., Abends 7 Ahr, entdeche die Polizei in Warschau, in der Panska⸗Straße, eine Versammlung von ungefähr 90 Individuen, die sich vorbereiteten, die Stadt zu verlassen, um sich mit den Rebellenbanden zu verbinden. Die Po— lizei umzingelte unter Mitwirkung des Militairs das Haus; bald darauf wurden 6 Schüsse abgefeuert, die aber weder die Soldaten, noch die Polizeidiener trafen. Die Verschwornen suchten sich schnell zu zerstreuen und zu retten; Einer von ihnen, bis in einen Garten verfolgt, wurde durch einen Bajonnetstich getödtet. Die Anderen sind festgenommen und auf die Citadelle gebracht worden. Dieser Vorfall hat nirgend einen geräuschvollen Auflauf hervorgerufen und ist die öffentliche Ruhe nicht weiter gestört worden.

Telegraphische Depeschen. Warschau, 6. März. (4 Uhr.)

Am 2. März wurde eint Insurgentenbande bei Myschkow im Gouvernement Lublin eingeholt und zerstreute sich nach einem kleinen Tirailleurfeuer und zwei Ka

nonenschüssen. Sie verlor 20 Mann an Todten und Verwundeten und flüchtete nach Sosnowice. bei Morezew im Gouvernement Warschau geschlagen; der Verlus

der Insurgenten belief sich auf 100 Todte und 5. Gefangene. Beide .

Banden werden thätig verfolgt. Dragomirski, den die Zeitungen

einen neuen Sieg über unsere Truppen erfechten lassen, ist am

10. Februar in einem Gefecht bei Brzezyn geblieben.

(9 Uhr.) Dziedzicki, ehemaliger Beamter, ein Greis von 80 Jahren ö.

wohnhaft Nrasnysz, im Gouvernement Plock auf seinem Gute hatte die von dem Central-Comité ausgeschriebene Steuer und die

wurde s

d] denjenigen Geistlichen und Aerzten keine Verantwortlichkeit von cle i . Behörde zuzieht, die nur die Pflichten ibres Berufs erfüllen. .

Am 3. März wurde eine Bande

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Requisitionen der Insurgenten verweigert und von dem Komman— danten der Gendarmerie eine Schutzwache verlangt. Darauf hin verurtheilte ihn das Central⸗Comité zum Tode. Drei mit Revol—

vern bewaffnete kamen zu ihm, lasen ihm das Todesurtheil vor und

schossen ihn durch den Kopf. Das auf dem Tisch zurückgeblieben Todesurtheil war unterzeichnet: Kolbe.

(11 Uhr) Am 4. März wurden Insurgentenbanden bei Skala unweit Oycow von unsern Truppen angegriffen. Nach einem wüthenden Kampfe wurden die Insurgenten mit einem Verlust von

A400 Mann geschlagen.

SHöolstein. Itzehoe, 7. März. In der heutigen Sitzung der Ständeversammlung ist der Antrag Blome's einstimmig an⸗ genommen worden. Der Gesetzentwurf wegen bürgerlicher Gleich- stellung der Juden ist in freisinniger Fassung durchgegangen.

Frankfurt a. We., J. März. Die offizielle Mittheilung über die Bundestagssitzung vom 5. März lautet: Die König— lich württembergisßche Regierung ließ ihre Bereitwilligkeit, durch Absendung eines Bevollmächtigten an den beabsichtigten Kommis— sions⸗Verhandlungen zu Herbeiführung eines gemeinsamen Gesetzes gegen den Nachdruck Theil zu nehmen, erklären.

Königlich sächsischer Seits ward mitgetheilt, daß die Abbe⸗ rufung des bisherigen Königlichen Militair-⸗Bevollmächtigten Gene— ral⸗Majors von Spiegel in einigen Wochen bevorstehe und daß an dessen Stelle der Major von Brandenstein vom Kriegsministerium zum Königlichen Militair-⸗Bevollmächtigten ernannt worden sei.

Hauptsächlich kamen aber heute Angelegenheiten der Bundes- festungen zur Verhandlung; namentlich ward der Rechenschafts⸗ bericht der Militair⸗-Kommission über die Verwaltung einer Festung im Jahre 1862 entgegengenommen und das Erforderniß für dieselbe für das Jahr 1863 festgestellt und die nöthige Summe bewilligt; dann ward eine mit der Großherzoglich lugemburgischen Regierung über Abtretung eines der Festung gehörigen Grundstücks an die Stadt unter die Interessen der Festung sichernden Bedingungen abgeschlossene Convention genehmigt; auch die von dem Kommandanten von guxem—

burg, General- Major von Prondzynski, ausgestellte Eides⸗ Urkunde

entgegengenommen. Fr. Bl.) .

Bäyern. München, 6. März. Der neu ernannte Kriegs- minister, Generalmajor v. Liel, hat das Kriegsministerium vom J. d. M. übernommen, sich jedoch Tags darauf nach Frankfurt zurück begeben, um seine bisherigen dienstlichen und Privatgeschäfte dortselbst zu erledigen. (Bayer. Ztg.)

Großbritannien und Irland. London, 6. März, Einem gestern angelangten Telegramme aus Malta zufolge, bessert sich der Gesundheitszuftand des Pfrinzen Alfred auf erfreuliche Weise. Das Fieber ist völlig verschwunden und dem Patienten sind wieder kräftige Speisen gestattet worden.

In der gestrigen Oberhaus Sitzung erhielt die Appanagen - Bill die Königliche Sanktion. Der Marquis of Norman by fragte, warum bei der im Jahre 1851 erfolgten Vorlage einer von ihm im Jahre 1849 geschrie⸗ benen Depesche folgender Satz ausgelassen blieb. »Da in Folge der sozialen Gefahren und politischen Ausschweifungen des letzten Jahres in jeder bestehenden Regierung und in der Majorität fast eines jeden Volkes sich eine starke Abneigung gegen alle Reformen erhebt, die einen revolutionären Cha— rakter haben. Die in diesen Worten enthaltene Schilderung Euryppas sei

durch Alles, was sich zwischen 1849 und 1851 begab, vollständig bestätigt

worden. Earl Rusfell hofft, sein edler Freund werde nicht mehr leugnen, daß die Depesche, aus welcher er (Russells Einiges jüngst angeführt, längst nämlich 1851) vorgelegt worden ist. Einzelne Sätze mögen ausgelassen worden sein, weil sie nicht wichtig genug schienen, um dem Parlament vor—

gelegt zu werden.

Im Unterhause erklärte gestern Sir G. Grey die bei dem Einzuge der Prinzessin Alexandra morgen zu beobachtende Ordnung. Mr. Cob den erlaubt sich das Haus darauf aufmerksam zu machen, daß die Kriegs flotte eine große Anzahl unnützer Schiffe enthalte, nämlich Fahrzeuge von einer Bauart veralteten Stils. Die Flotte zähle nicht weniger als 166 mo— derne Linienschiffe. Davon seien 66 Dampflinienschiffe und 40 Dampf

fregatten, 35 von ihnen hätten über 2000, und 14 über 3000 Tons Gehalt,

während alle im Durchschnitt mehr Tonngehalt hätten als die »Victory«, an deren Bord Nelson bei Trafalgar fiel. Der Bau dieser Fahrzeuge hätte gar nicht begonnen werden sollen, da die Admiralität wissen könnte, daß Schiffe, die mit drei Verdecken über Wasser ragen, bloße Scheiben für den Feind seien. Sie seien für das Land ein Element der Schwäche und Gefahr, an— statt der Stärke; wenn morgen ein Krieg ausbräche, könnte man nicht eines derselben aussenden, um es mit den niedrig gebauten, schnellfahrenden und schwer gepanzerten Kanonenbooten Frankreichs oder Amerika's aufzunehmen. JTheilweise schiebe er die Schuld hiervon auf die frühere Admiralität, an deren Spitze Sir John Pakington stand, und theilweise auf die gedankenlose Ge— schwindigkeit, mit der das Haus Gelder bewillige. In diesem Augenblick seien 47 dieser unnützen Kasten mit 30000 Matrosen bemannt. Er wolle hoffen, daß die Regierung ihre Voranschläge zurücknehmen und die Zahl der Matrosen und Marinesoldaten für dieses Jahr verringern werde. Lord Rob. Montagu glaubt, dieser Stand der Dinge habe keine politische Partei, sondern die Apathie des Hauses überhaupt zu verantworten. Lord Paget bemerkt auf das »alljährliche Gekeif« Mr. Eobden's, daß das jetzige Ministerium nicht mehr als 5 hölzerne mit Panzern zu versehende Linienschiffe gebaut habe. Sir John Pakington erwidert, daß Mra Csbden Anklagen erhebe, ohne sie erhärten zu können; daß er vom »Seewesen und Schiffbau« gar nichts ver stehe. M.. Bentinck bemerkt, daß Mr. Cobden mit seinen Warnungen

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immer zu spät komme. Sir Eharles Wood ersucht, nicht zu übersehen, daß ein großer Theil der Ausgabe durch die raschen und fortwährenden Neuerungen in der Schiffsbaukunst veranlaßt worden sei. Das Haus läßt den Gegenstand fallen und geht in Comité über die Marine-Voranschläge.

7. März. Solches Drängen, Wogen und Lärmen wie seit beute Morgen 9 Uhr hat London seit vielen Jahren nicht gesehen. Seit 11 Uhr darf kein Fuhrwerk durch die Straßen, welche der Zug des hohen Brautpaars eben passirt.

Die Prinzessin⸗Braut war mit dem sie begleitenden Ge⸗ schwader schon am Donnerstag Nacht um 11 Uhr auf der Höhe von Margate angelangt, und da dichte Nebel sich auf den Kanal lager⸗ ten, ging das Geschwader daselbst vor Anker, um erst vier Stunden später in die äußere Themsemündung einzulaufen. Am Nore, wo ein rothes Wachtschiff die Mündungsstelle nautisch markirt, wurde Halt gemacht. Dort stellten sich alle Schiffe, welche zur Begrüßung der Prinzessin kommandirt worden waren, in zwei Linien auf, um zu salutiren.

Gegen 6 Uhr Morgens wurden die Anker gelichtet, um die Fahrt stromaufwärts fortzusetzen.

Vor Gravesend wurde zum dritten Male Halt gemacht, zum letzten Mal der Anker ausgeworfen; denn Gravesend war zum Lan⸗ dungsplatz erkoren. Unter Geschützsalven von den Höhen und un⸗ endlichem Hurrahrusen begab sich die Prinzessin am Arme ihres Bräutigams nach dem festlich geschmückten Landungsplatze. Von diesem Punkte an begann der feierliche Empfang auf Terra firma, mitten durch blumengeschmückte Straßen, Triumphbogen, Militair⸗ spalieren und Civilbehörden im Ornate. Selbst längs der Eisen⸗ bahn zwischen Gravesend und London fehlte es nicht an Triumph⸗ arkaden und begrüßenden Menschenmassen, trotzdem daß der Zug mit voller Expreßgeschwindigkeit dahinsauste.

Auf dem Bahnhofe zu London wurden rasch einige Erfrischungen eingenommen. Dann trat der Lord⸗Mayor mit den Spitzen der Citybehörden vor, um die Prinzessin zu bewillkommnen und darauf setzte sich der lange Zug in Bewegung.

Wie auf Londonbridge, so war es die ganze Strecke bis zum Mansionhouse, wo die Lady Mayoreß, umgeben von hundert Damen, der Prinzessin einen Blumenstrauß zum Willkommen überreichte; bis St. Pauls, bis Temple Bar, wo das City⸗Cortege sich verabschiedete; den Strand entlang bis nach Trafalgar⸗ Square, die Clubs von Pall Mall entlang, hinauf nach Piccadilly, bis hinein nach Hyde Park, wo gegen 16,900 Freiwillige die Honneurs machten, und von da nach dem Eisenbahnhofe des Great Western, wo der Zug hoffentlich vor 5 Uhr angelangt sein wird, und von wo die Prinzessin sich mit den Ihrigen nach Windsor begiebt.

Schließlich erwähnen wir noch, daß mit Ausnahme der Fa⸗ milienangehörigen der hohen Braut keiner der hier eingetroffenen Hochzeitsgäste am Zuge Theil nahm, wenn es auch andererseits möglich ist, daß sie denselben von irgend einem Balkone aus mit ansahen.

Und um die Hauptsache nicht zu vergessen; das Wetter war so günstig, wie man es nach dem gestrigen Sturm kaum zu erwarten gehofft hatte.

Im Unterhause beantragte gestern M. Bram ley⸗Moore folgende Resolution: »Es habe dieses Haus die Unterbrechung freundschaftlicher Be⸗ ziehungen zwischen diesem Lande und Brasilien mit Bedauern vernommen, ünd drücke hiermit den Wunsch aus, daß Ihrer Majestät Regierung ent sprechende Maßregeln ergreife, um zwischen den beiden Ländern ein herz— liches Einvernehmen wiederherzustellen, entsprechend dem Charakter und der Ehre dieses Landes, sowie der Würde und Ehre einer freundlichen unab— hängigen Macht.“ Der Antragsteller nimmt bei Motivirung seiner Motion entschleden Partei für die brasilische Regierung, er vertheidigt die Küsten = bewohner von Rio Grande, wo der oft erwähnte Schiffbruch stattgefunden hatte gegen den Verdacht des Meuchelmordes und der Strandräuberei, be schwert sich über das unbillige Benehmen der englischen Regierung einem schwächeren Staate gegenüber, und wünscht vermittelst dieses feines Antrages, die ungerechter Weise gestörte Harmonie zwischen den beiden Regierungen wiederherzustellen. Mr. Collier, welcher folgendes Amendement angekündigt hatte: ⸗»Daß dieses Haus zwar sein Bedauern über die zeitweilige Unterbrechung unserer freundschaftlichen Be— ziehungen zu Brasilien ausspricht, aber gleichzeitig die Pflicht der königlichen Regierung anerkennt, ihren Schutz allen britischen Unterthanen in allen Theilen der Welt angedeihen zu laäͤssen⸗, hebt hervor, daß wenn diese Re— solution ein Tadelsvotum der Regierung in sich schloͤsse, die Regierung diesen Tadel nicht verdiene, daß aber im entgegengesetzten Falle kein Grund zur Annahme des Antrages vorhanden sei. Der Redner stellt die Sache nach den vorliegenden Aktenstücken sehr zu Ungunsten der Brasilianer dar, und schließt mit der Erklärung, daß Ihrer Majestät Minister ihre Pflicht ver— säumt haben würden, hätten sie ihre Entschädigungsforderungen nicht mit größter Energie unterstützt. Es treten nun mehrere Redner für und wider den Antrag auf. Lord Robert Cecil und Mr. Bentinck unterstützen die

Resolution. Mr. Fitzgerald (unter Lord Derby Unterstaatssecretair des Aus-

wärtigen) tritt mit Scharfe gegen Lord Russell auf. Mr. Layard will sich darauf beschranken, die diplomatische Lletion der Regierung gegen den Vorwurf der Ueber; eilung oder Unbilligkeit zu wahren. Es wäre die Schuldigkeit der brasili, schen Lokalbehörden gewefen, den Schiffbruch eines englischen Fahrzeuges dem britischen Konsul sofort zu melden. Aber in diesem sowie in allen an— deren Fällen hätten die brasilischen Lokalbehörden ihre Schuldigkeit nicht ge— than. Lord Ru ssell habe sich strenge in den Grenzen der Diplomatie ge⸗ halten und wozu er vollständig berechtigt war, Entschädigung für die Plün ·